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Energetische Sanierung
Wie weiter, Bestandseigner?
Energiekrise – Gas- und Strompreise sind durch die Decke gegangen. Der kommende Winter könnte der Schweiz eine Mangellage bescheren. Was das für den Immobilienbestand bedeutet.
Von David Strohm – Foto: Depositphotos.com
Plötzlich soll es schnell gehen. Schon seit Jahren machen sich Portfoliomanager, Bewirtschafter und Liegenschaftsbesitzer Gedanken, wie sie auf eine Herausforderung reagieren können, die bisher in weiter Ferne lag. Etwas für das Klima tun, dabei aber nicht pressieren und nicht zu viel ausgeben. Netto-Null bis zum Jahr 2050, so hiess das Ziel, vorgegeben durch den Bundesrat und das Pariser Abkommen, welches die Schweiz 2017 ratifiziert hat. In den Chefetagen entstanden Konzepte, Präsentationen, es gab viel geduldiges Papier. Darin ist die Absicht festgehalten, den CO2-Ausstoss zu reduzieren, zumeist auf einem eher gemächlichen Pfad. Vielleicht die Fassaden dämmen, die Heizung ersetzen. Immerhin, die gute Absicht war erkennbar. Denn auch vonseiten der Eigentümer nimmt seit Längerem der Druck auf die Assetmanager zu, die Emissionen der von ihnen verwalteten Vermögenswerte zu reduzieren. «Um den ambitionierten Absenkpfad zu realisieren, setzen wir uns klare Ziele für die Umsetzung bei den Bestandsliegenschaften und bei Projektrealisierungen», sagt René Zahnd, Konzernchef der grössten kotierten Immobiliengesellschaft der Schweiz, Swiss Prime Site (SPS). Sein wichtigstes Ziel lautet: Bis 2040 soll das ganze Immobilienportfolio klimaneutral sein. Bereits heute verfügen drei Viertel aller SPS-Flächen über ein Nachhaltigkeitszertifikat.
Mehr Tempo gefordert
«Höchste Priorität hat für uns die Eindämmung des Klimawandels. Wir leisten unseren Beitrag, indem wir bei all unseren Tätigkeiten die Treibhausgasemissionen reduzieren.» So setzt André Wyss, CEO von Implenia, die Leitlinie des Baukonzerns. Gemeinsam mit 70 weiteren Unternehmenschefs hat André Wyss zudem in einem offenen Brief an die Politik mehr Tempo in der Klimafrage gefordert. Von gutem Willen zeugt ausserdem das Statement der Pensimo-Gruppe, die für diverse Pensionskassen einen Bestand von 540 Liegenschaften unterhält. «Wir gehen haushälterisch mit den natürlichen Ressourcen um, leisten einen Beitrag zur Eindämmung der Klimaerwärmung und setzen uns für Biodiversität ein.» Doch trotz aller wohlfeilen Lippenbekenntnisse und der Vorreiterfunktion von potenten Branchenriesen: Die Sanierung des gesamten Gebäudebestands bleibt nach wie vor weit hinter dem Nötigen zurück. Etwa 3 Prozent aller Liegenschaften in der Schweiz müssten jährlich auf den neuesten Stand gebracht werden, um das Ziel 2050 zu erreichen. Weniger als 1 Prozent sind es tatsächlich. Nun scheint es, als hätte der Wind gedreht. Die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm. Plötzlich pressiert es, denn die Preise für Energie sind in die Höhe geschnellt. Ein Szenario mit Mangellage für Gas und Strom lässt sich für die nahe Zukunft nicht mehr ausschliessen. Das betrifft in erster Linie die Mieter, denen bei gleichzeitig sinkender Kaufkraft hohe Nebenkosten für Wärme und Elektrizität drohen. Doch weil sich längst nicht alles überwälzen lässt, sind die Auswirkungen ebenfalls bei den Bestandseignern zu spüren: Sie sehen sich mit sinkenden Renditen, steigenden Zinsen und ungeplanten Investitionen konfrontiert.
Sanierung angehen
Was also ist zu tun? In vielen Unternehmen mit einem Immobilienportfolio sind die CO2-Reduktionspfade und die Systeme zur Messung von Ausstoss und Kosten angelegt. Daran gilt es festzuhalten. Falls nötig lässt sich der Weg auch nachzeichnen und korrigieren, das heisst konkret: Warum nicht jetzt ein wenig mehr Tempo bei der Umsetzung wagen? Denn das kann sich rasch auszahlen. Das grösste Reduktionspotenzial, so heisst es etwa im Nachhaltigkeitsbericht von SPS, bestehe «in der Beschaffung der Elektrizität und Wärme sowie in Sanierungsmassnahmen». Für Bestandshalter liegen die weiteren Aufgaben auf der Hand. In einem ersten Schritt bedeutet das: Wo die Übersicht fehlt, ist das gesamte Portfolio auf Herz und Nieren zu prüfen. Auf Objektstufe muss dabei jedes einzelne Gebäude unter die Lupe genommen werden: Substanz, Zustand, Heizsys-
tem, Energiewerte, Stellung im Erneuerungszyklus, Planung der konkreten Massnahmen. Für all das gibt es Standards und Benchmarks in der Branche, die als Orientierung dienen. Daraus abgeleitet ergeben sich der Handlungsund der Sanierungsbedarf samt unterschiedlicher Optionen. Oft kommt das Naheliegende zuerst, die Haustechnik. Hier kann mit versierten Dienstleistungspartnern und innovativen Anwendungen professionell nach Schwachstellen gesucht und rasch optimiert werden. Das Reduktionspotenzial, siehe SPS, ist meist erheblich. Intelligente Steuerungen und smarte Messinstrumente helfen dabei den Bewirtschaftern und Gebäudenutzern. Besonders wenig CO2 verursacht der Betrieb von
Die energetische Sanierung von Bestandesobjekten ist oftmals ein Gewinn für Umwelt, Eigentümer und Mieter.
Wärmepumpen, deren Strom durch den Einbau einer Photovoltaikanlage gedeckt werden kann. Damit sinken die Heizkosten erheblich. Als effiziente Investition erweist sich der Einbau von Wärmepumpen überall dort, wo es die Baugesetze und die örtlichen Gegebenheiten zulassen, etwa wenn die Bohrung einer Erdsonde zur Wärmegewinnung möglich ist. Anreize für die energetische Sanierung und den vorzeitigen Ersatz von Heizanlagen und Geräten gibt es genug: Gemeinden, Kantone und der Bund halten erhebliche Fördermittel vor. Der Verzicht auf Energieschleudern steht dabei im Vordergrund. Nach dem Motto «Wer jetzt noch fossile Brennstoffe nutzt, sieht ganz schön alt aus!» bietet etwa die Stadt Zürich für den Austausch von Öl und Gasheizungen grosszügige Subventionen an, und zwar selbst dann, wenn die Anlagen noch relativ neu sind. Allein aus dem Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen flossen im Jahr 2021 rund 361 Millionen Franken – so viel wie noch nie seit Bestehen des Programms. Mit 126 Millionen Franken ging gut ein Drittel der Fördersumme an Wärmedämmprojekte. An Vorhaben im Bereich Haustechnik wurden 106 Millionen Franken ausbezahlt, ein Plus von 70 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Dass damit tatsächlich dem Klima gedient wird, rechnet das Bundesamt für Energie vor: Über die gesamte Lebensdauer reduzieren die dank Fördergeldern umgesetzten Massnahmen den Energieverbrauch des Gebäudeparks um 6,5 Milliarden Kilowattstunden und den CO2Ausstoss um rund 1,8 Millionen Tonnen.
Abriss oder Ertüchtigung
Eine wichtige Grundsatzfrage ist bei allen Projekten zu klären: Lohnt sich eine Ertüchtigung der bestehenden Liegenschaft oder ist ein Ersatzneubau sinnvoller? Anhaltspunkte hierfür liefert die Lebenszyklusbetrachtung. Der Grossteil des CO2Ausstosses fällt bekanntlich nicht während des laufenden Betriebs an, sondern zu Beginn, bei der Konstruktion und durch die Herstellung des Materials, sowie später bei Instandhaltung und Rückbau. «Manche Anleger werden feststellen müssen, dass sich eine Sanierung ihrer Objekte aufgrund der hohen Kosten nicht lohnt», sagt Simon Kinnie, Leiter des ImmobilienForecasting beim Vermögensverwalter und Fondsmanager Abrdn. Solche Gebäude würden künftig kaum noch Mieter finden oder keinen positiven Cashflow mehr erzeugen, sodass letztlich nur noch der Abriss bleibe. So weit will Kinnie es nicht kommen lassen. Es lohne sich, besser früher als zu spät zu handeln. «Wir ergreifen lieber jetzt schon die wichtigen Massnahmen.» «Energetische Sanierungen von Renditeliegenschaften stellen im Idealfall einen Gewinn für alle drei involvierten Parteien dar: Umwelt, Eigentümer und Mieter», sagt Jörg Schläpfer, Leiter Makroökonomie beim Beratungsunternehmen Wüest Partner. Für die Mieter würden sich Vorteile ergeben, wenn die dank der Sanierung eingesparten Nebenkosten die Mietzinssteigerung überkompensierten. Eigentümer könnten den Marktwert ihrer Liegenschaften steigern, sofern sich die Investitionskosten durch höhere Mieterträge gegenfinanzieren liessen, sagt Schläpfer. Apropos Finanzierung: «Wir haben unsere ambitionierten Klimaziele mit unserer Finanzierungsstrategie verknüpft», sagt SPSChef René Zahnd. Jede Verbesserung der Nachhaltigkeit trage letztlich dazu bei, eine attraktivere Finanzierung zu erhalten – und legt die Grundlage dafür, «um langfristig einen ökologischen, ökonomischen und sozialen Mehrwert für alle Stakeholder zu schaffen». ∙
Mehr zu diesem Thema am Kongress INNOVATION DAY vom 10.11.22.