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Mobilität
Mit Strom und autonom
Mobilität – Bei der Verkehrsrevolution kommt die Schweiz gut voran. Sie hat eines der dichtesten Ladenetze für Elektrofahrzeuge in Europa und forscht mit Macht an selbstfahrenden Automobilen.
Von Richard Haimann – Fotos: profifoto.ch; zVg; Lea Waser; Sara Keller
Es ist ein Novum, nicht nur für Zürich, sondern für die gesamte Schweiz. An der Färberstrasse 6 in der Limmatstadt hat die AmagGruppe diesen Sommer ihr erstes «Ladehaus» eröffnet. 50 der 150 Parkplätze im Inneren sind mit Ladesäulen für EMobile versehen. Im Dreieck von Opernhaus, ZürichseeUfer und Botanischem Garten können Anwohner ihr Elektroauto oder ihren PluginHybrid seit Juni nicht nur über Nacht sicher parkieren, sondern auch zugleich mit Strom betanken. «2021 waren rund ein Viertel der neuzugelassenen Autos in der Schweiz Steckerfahrzeuge», sagt Hendrik Lütjens, Managing Director der Amag Parking AG. Bis «Autonome Fahr 2025, so verheissen es aktuelle Prognozeuge haben viele Vorteile.» sen, würden voraussichtlich über 50 Prozent, ab 2030 über 70 Prozent der Neuzulassungen in der Schweiz von Hans Wicki, Swiss Elektromotoren angetrieben werden.
Association for Auto Eine gute Ladeinfrastruktur sei somit nomous Mobility (Saam) unumgänglich und werde zukünftig immer wichtiger. «Vor allem in den Städten, wo der Platz knapp und die Mietdichte hoch ist, verfügen viele Immobilien noch über keine oder nicht genügend Ladesäulen», sagt Lütjens. «Mit dem Ladehaus Utoquai bietet Amag Parking den Anwohnerinnen und Anwohnern im Zürcher Seefeld eine nachhaltige und komfortable Lösung und leistet einen Beitrag zur effizienteren Nutzung innerstädtischer Flächen.» Umweltfreundliche Stromer, Fahrzeuge, die – autonom – ohne Zutun eines Fahrers ihr Ziel ansteuern, alternative Kraftstoffe: Die Welt steht nach den Erfindungen von Rad und Verbrennungsmotor vor der dritten grossen Revolution in der Mobilität. Und die Schweiz ist einer der führenden Staaten bei der Entwicklung kommender Konzepte, obwohl es, anders als in den USA und den Automobilexportnationen Deutschland, Frankreich, Italien und Japan, keine eigene Fahrzeugindustrie mehr im Land gibt. Ajax, Ansermier, Belcar, Berna, Cegga, Dufaux, Egg & Eggli, Enzmann, Griffon, KaufmannMillot, Lucia, Martini, Monteverdi, Oehler, Saurer, Zedel– nahezu 100 ChlapfHersteller existierten während der ersten Blütezeit der Kraftwagen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg in der Schweiz; einige von ihnen bis in die 1970erJahre. Produzenten von Kleinserien, Sport und Luxusmobilen, die grösstenteils Nischenprodukte fertigten, so erlesen wie die Uhren aus den Manufakturen in den Kantonen Bern, Genf, Jura, Neuenburg, Solothurn und Waadt. Doch gegen die grossen internationalen Automobilkonzerne konnten sie alle nicht bestehen.
Pilotprojekt mit positiver Bilanz…
Heute fokussieren sich Forscherinitiativen und Unternehmen der Schweiz im Mobilitätssektor daher vor allem darauf, an den Zukunftstechnologien zu arbeiten. Ein Beispiel dafür ist der Kanton Schaffhausen, in dessen Gemeinde Neuhausen am Rheinfall die Swiss Association for Autonomous Mobility mit dem Verein Swiss Transit
11.000 Passagiere in knapp fünf Monaten: autonom fahrender Kleinbus Trapizio in Neuhausen
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Lab und den Verkehrsbetrieben Schaffhausen 2018 erstmals weltweit einen selbstfahrenden Bus an das öffentliche Nahverkehrsnetz angebunden hat. Auf der Linie 12 hat der fünf Meter lange, «Trapizio» getaufte Kleinbus mit elf Sitzplätzen während des Pilotprojekts bis 2019 das Ortszentrum mit dem Industrieplatz verbunden. Hersteller des Fahrzeugs ist das in Neuhausen ansässige Unternehmen Trapeze. Der Spezialist für Fahrzeug- und Betriebsleittechnik, Fahrgastinformation und Ticketing ist eine Tochter des kanadischen Transporttechnologiekonzerns Modaxo. Das Experiment verläuft nicht unfallfrei. Obwohl immer eine Begleitperson im Trapizio ist, die jederzeit die Kontrolle über den Kleinbus übernehmen kann, prallt eine Velofahrerin gegen den Bus. Dessen Fahrten werden daraufhin vorübergehend gestoppt. Der Vorfall bestätigt die Befürchtungen der Neuhauser Bevölkerung, wie Umfragen des Instituts für Wissenschaft, Technologie und Politik (ISTP) der ETH Zürich zeigen, welches das Pilotprojekt wissenschaftlich begleitet. Danach stösst der Testversuch zwar auf grosse Unterstützung bei den Einwohnern. Einem vollautomatisierten Strassenverkehr stehen viele Befragte jedoch tendenziell skeptisch gegenüber. Besorgt sind sie vor allem, ob schwächere Verkehrsteilnehmende – Velofahrer und Fussgänger – durch die Technik ausreichend geschützt sind. Das Swiss Transit Lab, eine vom Kanton Schaffhausen unterstützte Initiative aus Industriefirmen, inklusive Trapeze, lokale Verkehrsbetriebe, Wissenschaft und öffentliche Hand für die Mobilitätszukunft, kann bereits nach den ersten knapp fünf Monaten des Pilotversuchs positive Bilanz ziehen: «Über 11.000 Passagiere sind in dieser Zeit mit dem selbstfahrenden Bus mitgefahren. Zudem konnten entscheidende Erkenntnisse bezüglich Einbindung in die Leitstelle und im regulären Verkehr gesammelt werden.»
…doch die Technik stösst an Grenzen
Dass solche Bedenken berechtigt sind, «Der Wandel zur zeigt auch ein Versuch in Zug. Dort lässt Elektromobilität verein Konsortium aus Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), Zugerland Verlangt ein Umdenken.» kehrsbetriebe, Mobility Genossenschaft, Helmut Ruhl, Amag-Gruppe Tech Cluster Zug und Stadt Zug von 2017 bis 2019 den selbstfahrenden MyShuttle im innerstädtischen Fliessverkehr rollen. Das Fazit: Die Technologie ist noch nicht ausgereift für den Routineeinsatz. Zwar sei es heute bereits möglich, selbstfahrende Fahrzeuge «mit hoher Präzision zu manövrieren», heisst es im Abschlussbericht. Bei der Integration in den Fliessverkehr stosse die Technik aber an ihre Grenzen. «Ein Antizipieren von anderen, menschlichen Verkehrsteilnehmenden, Fah-
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In der Färberstrasse in Zürich eröffnete die AmagGruppe in diesem Jahr ihr erstes «Ladehaus».
rern sowie Fussgängern, erforderte mehr als reaktive Bremseingriffe aufgrund von Sensorinformation.» Und: «Hindernisse und Gefahren müssten früher erkannt und verarbeitet werden können, um ein sicheres, im Verkehr integriertes Vorwärtskommen zu erreichen.» Es sind Schwierigkeiten, mit denen auch in den USA Unternehmen wie Google und Tesla ringen, die ebenfalls in autonomen Fahrzeugen die Zukunft der Mobilität sehen. Immer wieder kommt es zu Unfällen, weil die Rechner in den Mobilen die Informationen der Sensoren nicht schnell genug oder falsch verarbeiten. Im Kanton Schaffhausen soll noch in diesem Jahr, «Neue Mass- diesmal auf der Linie 13 in Schaffhausen stäbe setzen und hochspannende selbst, erneut ein autonom fahrender Kleinbus zum Einsatz kommen: ein handelsüblicher Kleinbus Toyota Proace Projekte rund um die Verso Electric, ausgestattet mit der SenMobilität der Zukunft sor und Steuerungstechnologie des finermöglichen.» nischen Unternehmens Sensible 4 – natürlich mit einer Begleitperson an Bord, die im Fall des Falles rechtzeitig die Bremse treten und das Lenkrad herumreissen kann. «Der in Kürze angesetzte Betriebsbeginn wird neue Massstäbe setzen und hochspannende Projekte rund um die Mobilität der Zukunft ermöglichen», sagt Dirk Apel, Vizepräsident des Swiss Transit Lab. Die autonome Mobilität scheint die «richtige Lösung» für die Herausforderungen der Zukunft zu sein, sagt Hans Wicki, Mitglied des Ständerats (FDP) und Präsident von dessen Verkehrskommission sowie seit Mai neuer Präsident der Swiss Association for Autonomous Mobility (Saam). «Autonome Fahrzeuge haben viele Vorteile.» Sie könnten für effiziente und wirtschaftliche Mobilität in ländlichen und abgelegenen Gebieten mithilfe von Abrufdiensten sorgen. «Ebenso können sie Senioren und Menschen mit Behinderungen mehr Freiheit bieten», sagt Wicki. «Ausserdem könnten sie dazu beitragen, unsere Strassen sicherer zu machen, indem sie die Komponente des menschlichen Versagens beseitigen und so Leben retten und medizinische Kosten einsparen.» Da autonome Fahrzeuge über das Internet miteinander kommunizieren, könnten sie Staus reduzieren, «was wiederum zu einer Verringerung der CO2Emissionen führen würde», sagt Wicki.
«Antwort auf den Klimawandel»
Zusammen mit den sauberen Stromern, die im Betrieb keine Schadstoffe ausstossen, gelten selbstfahrende Automobile damit als die Antwort auf das grösste Problem der Menschheit: den Klimawandel. Denn das bei der Verbrennung von Benzin und Diesel entstehende Kohlendioxid befeuert als Treibhausgas die globale Erwärmung. Die Folgen sind in diesem Sommer in der Schweiz so sichtbar geworden wie nie zuvor: In den Alpen blicken Urlauber auf rapide schmelzende Gletscher; tauender Permafrost lässt Steinlawinen zu Tal prasseln. Hitze und ausgebliebener Regen haben Felder und Wiesen vertrocknen lassen. Weil Futter fehlt, sind Bauern gezwungen, Tiere früher als vorgesehen zum Schlachthof zu bringen. Im August werden im Kanton Waadt pro Woche 300 Rinder auf den Viehmärkten an Metzger verkauft – doppelt so viele wie üblich zu dieser Jahreszeit, berichtet die Tageszeitung «24heures». Im Jurabogen, von der Nordwestschweiz bis hinunter nach Genf, würden ältere Kühe zum Schlachten gebracht, berichtet die «Luzerner Zeitung». «Um genügend Futter für die jüngeren Tiere zu haben, die von der Alp zurückkehren.»
Eine Frage der Reichweite
Dennoch zögern viele Interessenten, sich ein E-Mobil anzuschaffen. Aus «Reichweitenangst»– aus Sorge, mit dem Stromer liegen zu bleiben, weil dessen Akku leer, eine Ladestation aber nicht zu finden ist. Der ADAC, der Allgemeine Deutsche Automobil-Club, hat diesen Sommer den Stresstest gemacht: Mit einem Elektro-SUV samt Wohnwagen geht es 1.281 Kilometer durch die Alpen– von Landsberg am Lech durch Österreich über Venedig, Triest, Ljubljana, Villach, Salzburg und München zurück zum Startort. Eine Fahrt durch vier Länder in drei Tagen. Das Fazit: Machbar – aber noch schwierig. Der 1,6 Tonnen wiegende Wohnwagen im Schlepp reduziert die Reichweite des Mittelklasse-Elektro-SUV vom Typ Kia EV6 von knapp 400 auf 220 Kilometer bis zur nächsten Stromladung. Insgesamt achtmal muss das Fahrzeug unterwegs Strom tanken; gleich in zwei Schnellladeparks entlang der Route sind sämtliche Ladesäulen defekt. «Der Wohnwagen musste einmal sogar stehen gelassen werden, um noch genügend Reichweite bis zur nächsten Ladesäule zu haben», berichtet ADAC-Redaktor Thomas Kroher von der Testfahrt. «Die Fahrt zeigte grossen Handlungsbedarf, was die Zuverlässigkeit und die Abdeckung der Reiserouten mit Schnellladesäulen angeht; nur knapp konnte ein Liegenbleiben verhindert werden.» In der Schweiz ist ein Liegenbleiben nicht zu erwarten. Mit mehr als 9.000 öffentlichen Ladeanschlüssen, verteilt auf über 5.500 Ladestationen, verfügt das Land über eines der dichtesten Netze in Europa. Die Ladesäulen stehen an Tankstellen, vor Shoppingcentern und Bürogebäuden, auf Parkplätzen und – wie nun an der Färberstrasse in Zürich – erstmals auch in grosser Zahl in Parkhäusern. Die Amag-Gruppe hat inzwischen auch das Parkhaus am Zürcher Kongresszentrum mit 28 Ladestationen zum Ladehaus gemacht, weitere sollen folgen. «Der Wandel zur Elektromobilität verlangt ein Umdenken», sagt CEO Helmut Ruhl.
Amag startet Ladestationenoffensive
Gross geworden ist die Amag-Gruppe mit dem Import von Automobilen. 1948 unterzeichnet Firmengründer Walter Haefner dazu einen Vertrag mit Volkswagen, 1951 einen weiteren mit Porsche. Es folgen der Einstieg in die Parkhausbewirtschaftung, Automobilvermietung, das FahrzeugLeasing, der Import weiterer Marken wie Audi, Bentley, Seat, Skoda und zuletzt Cupra. Jetzt stösst die Amag in ein neues Segment vor: Stromerzeugung und Stromverkauf für Elektromobile. Photovoltaikanlagen von 20.000 Quadratmetern nimmt die Amag in diesem Jahr in Betrieb, 75.000 Quadratmeter sollen bis 2025 hinzukommen, ebenso 2.000 Ladestationen. Eine Investition von 100 Millionen Franken. Es gelte, den Wandel voranzutreiben, «die Umsetzung weiter zu beschleunigen und neue Wege einzuschlagen», sagt Ruhl.
E-Fuels «schlicht zu teuer»
Doch nicht alle möglichen Wege in die neue Welt der Mobilität erweisen sich am Ende als gangbar. Ein Beispiel dafür sind die E-Fuels. Synthetische Kraftstoffe, die mittels Strom aus Wasser und Kohlendioxid erzeugt werden sollen. Die Volkswagen-Tochter Audi und der deutsch-schweizerische Versorger Energiedienst in Laufenburg kommen 2017 überein, am Wasserkraftwerk in der Stadt im Aargau gemeinsam eine Anlage zu schaffen, mit der pro Jahr 400.000 Liter synthetischer Diesel produziert werden können. Doch 2018 wird Herbert Diess Vorstandschef bei Volkswagen. Ein hochkarätiger Ingenieur, der die Zukunft allein in der E-Mobilität sieht und alle Anstrengungen darauf richtet, den deutschen Konzern zum Weltmarktführer bei Steckerfahrzeugen zu machen. E-Fuels seien in der Herstellung schlicht zu teuer, weil sehr grosse Mengen Elektrizität benötigt werden, um Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zu spalten und Letzteren mit Kohlendioxid zu verbinden, meint Diess. Ein Liter E-Fuel würde bis zum Zehnfachen des Preises einer vergleichbaren Menge Diesel kosten. Entsprechend kommt das Projekt in Laufenburg nicht recht voran. 2020 steigt Energiedienst aus, konzentriert sich stattdessen auf ein Projekt zur Wasserstoffgewinnung durch regenerativ erzeugten Strom im Wasserkraftwerk im direkt hinter der Grenze gelegenen Wyhlen im baden-württembergischen Landkreis Lörrach. «Nach unserer Ansicht liegen auch in der direkten Nutzung des Wasserstoffs grosse Chancen, um klimaneutrale Mobilität voranzutreiben», sagt Jörg Reichert, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Energiedienst. Diess ist seit dem 1. September nicht mehr CEO von Volkswagen. Sein Nachfolger, der bisherige Vorstandschef der Konzerntochter Porsche, Oliver Blume, ist Befürworter synthetischer Kraftstoffe. Sportwagenliebhaber suchen den kernigen Klang von Verbrennungsmotoren. Porsche hat sich unter seiner Ägide an einer Anlage zur Produktion von E-Fuels in Chile beteiligt. Ob sich daraus eine neue Chance für das Projekt in Laufenburg ergibt, wird die Zukunft zeigen. • «Vor allem in den Städten, wo der Platz knapp und die Mietdichte hoch ist, verfügen viele Immobilien noch über keine oder nicht genügend Ladesäulen.» Hendrik Lütjens, Amag Parking AG