The Gap 139

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INDIEPLOITATION Porno-Boom im Indiefilm GIN Ga / V V Brown / Stefanie Sargnagel 139 Magazin für Glamour und Diskurs.

»Das liest der Mailath sicher auf dem Klo.« (Leider nicht freigegebene Interviewpassage über unser Magazin)

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MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 139, OKTOBER / NOVEMBER 2013

Oktober November. Kelela. Indie-Musiker am Theater. Michael Buchinger. Danny Brown. Fijuka. Buchhandel in Österreich. Martin Puntigam. Prisoners. Youki Festival: Blokes. Clara Moto. Im Wortwechsel: Wie beeinflussen Konferenzen und Festivals den IT-Standort Wien?

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Leitartikel von Thomas Weber.

Abwesenheitsnotiz

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orry für das Pathos. Aber es ist schließlich eine einschneidende Sache. Wenn Ihr das lest, werde ich auf Facebook ein Lebensereignis bekannt gegeben haben. Ich werde den Link zu dieser Story gesetzt und ihn auch getwittert haben: »Abwesenheitsnotiz. Ein Monat ohne Facebook und Twitter«. Reaktionen darauf werde ich – vorerst – nur mündlich oder via E-Mail mitbekommen. Wer mich kennt, weiß: Das ist ein gravierender Einschnitt in mein alltägliches Kommunikationsgebaren. Denn ich bin das, was man vor ein paar Jahren noch Poweruser nannte: auf beiden Plattformen hyperaktiv, bewusst freizügig auch mit manch persönlicher Information (solange es um mich und nicht um Angehörige geht), mir auch bewusst, dass die daraus gewonnenen Daten gegen mich verwendet werden können – und damit mit Sicherheit auch gegen mich verwendet werden. Als Mittler zwischen den Welten und Milieus bin ich von Netz-Euphorikern ebenso umgeben wie von Skeptikern, As-

keten und auch von all dem Befremdeten. Es ist die Neugier, die mich treibt, kein Kulturpessimismus. Genügend Fragen stellen sich mir. Weitere werden auftauchen. Wird mich meine Absenz zum Außenseiter machen? Werde ich mich gar der Handvoll Menschen, die ich kenne, die sich nicht auf Facebook rumtreiben, verbundener fühlen? Muss ich plötzlich Freunde und Kollegen fragen, wo gefeiert wird? Werde ich wieder aktiv Websites ansurfen, wenn ich mich nicht dem Strom meiner Timeline hingeben und auf die Auswahl der von mir Auserwählten, denen ich auf Twitter folge, verlassen darf? Wie werde ich mich in den nächsten Wochen informieren? Klar, ich werde weiterhin Die Presse und an manchen Tagen Die Süddeutsche lesen. Aber werde ich darüber hinaus wissen, was Sache ist? Ist es fahrlässig, sich als Journalist und Medienmacher auszuklinken? Vielleicht. Doch es braucht Bewusstsein. Also ist es notwendig. Eine These: Meine Welt wird kleiner werden. Wobei: Vielleicht wird sie sich auch größer anfühlen, wenn ich in der U-Bahn nicht mehr auf Twitter das Best-of von New York Times, The Atlantic und frühmorgens die News aus Neuseeland scanne? Werde ich irgendetwas aus Afrika mitbekommen, wenn ich nicht sehe, welche Artikel der Journalist Simon Inou, gewissermaßen mein persönlicher AfrikaKorrespondent, zur Lektüre empfiehlt? Vielleicht wird es mir aber auch wieder leichter fallen, zu fokussieren. Jedenfalls, das wäre zumindest der Vorsatz: Ich werde David Eggers neuen Roman »The Circle« gelesen haben. Ich sehe mein Monat Social-Media-Auszeit als Versuch an, den

Menschen kennenzulernen, der ich einmal war. Und damit: den Menschen, der ich heute bin, besser zu verstehen. Denn es hat mich definitiv zu einem anderen Menschen gemacht, als ich mich irgendwann im Sommer 2008 bei Facebook und wenig später bei Twitter registriert habe. Unwiderruflich denke ich heute »extrovertierter«. Ich feile an Tweets, denke in Gags und griffigen Formulierungen, manchmal auch untergriffigen. Es gibt einen gewissen Drang, sich mitzuteilen; Momente, Gedanken und ja, auch belanglosen Blödsinn zu teilen. Ob mir dadurch etwas abhanden gekommen ist? Keine Ahnung. Was definitiv fehlt, ist mir allerdings schon aufgefallen: Auf Facebook gibt es keine Möglichkeit einer Out of Office Auto-Reply. Wenn mir jemand schreibt, kann ich niemandem mittels Abwesenheitsnotiz mitteilen, dass ich länger nicht in Reichweite bin. Ausklinken ist vom System nicht vorgesehen. Na gut, schau ma’ mal. I’ll be back. Bild MICHAEL WINKELMANN

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Nicht Kulturpessimismus, sondern Neugier treibt mich, es ein Monat ohne Facebook und Twitter zu versuchen. Kein Wagnis, sondern ganz simpel: ein Experiment.

Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber

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Don Jon – Porno-Boom im Indiefilm Pornos schaut jeder, geht damit aber nicht hausieren. Bei Indiefilmen ist es genau umgekehrt. Aktuell kokettiert die Branche ja ganz gerne mit der Porno-Ästhetik. Filmfestivals und das Feuilleton wittern nicht erst seit Joseph Gordon-Levitts Regiedebüt »Don Jon« einen Trend. Nachdem Sophie Kettner für uns einen Text zu dem Thema geschrieben hatte, blieb nur noch eine Frage: Wie illustrieren? Joseph, oder noch besser: Scarlett nackt auf's Cover? Letztlich haben wir unseren Grafiker Sig gezwungen, ein Sexploitation-Cover zu basteln. Es ist sehr schön geworden.

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Magazin Porno-Boom im Indiefilm 018 —— Das Porno-Genre ist perfekt dafür geeignet, die Übersexualisierung unserer Gesellschaft zu reflektieren. Deshalb stehen die Drehbuchautoren aktuell ziemlich darauf. Golden Frame: Pae White 022 —— Die Installationen von Pae White funktionieren durch Sammeln, Umdeuten, Arrangieren. Das kann man jetzt auch im MAK bestaunen. Oktober November 024 —— Götz Spielmann erzählt in seinem neuen Film die Geschichte zweier ungleicher Schwestern. Wir haben den Regisseur zum Interview getroffen. Youki Festival: Rausch 026 —— Das Festival in Wels widmet sich heuer dem Thema »Rausch«. Artemis Linhart hat sich das Programm angeschaut. Insbesondere den chilenischen Kurzfilm »Blokes«. departure: Tagtool 027 —— Mit Tagtool wird das iPad zum Live-Instrument für Visualisten. Die Macher sind professionell geworden, gefördert durch departure. Kelela 028 —— Kelela spielt Mikado mit R’n’B und Post-Dubstep und fordert die Zukunft heraus, meint Stefan Niederwieser. V V Brown 029 —— Die Britin V V Brown schneidet alte Zöpfe ab und entwirft ein düsteres Konzeptalbum um die biblische Geschichte von Samson und Delilah.

Musiker am Theater 030 —— Von Gustav bis I-Wolf landen immer mehr Musiker am Theater. Leidenschaft oder doch eher Versorgungsposten? Wir haben nachgeforscht. Martin Puntigam 032 —— Der MC der Science Busters über sein neues Programm »Supererde«, Felix Baumgartner und seinen Plan, immer schlau und witzig zu sein. Glam 034 —— Das Linzer Lentos widmet dem Phänomen Glam Rock eine Schau. Auch ohne Lady Gaga. Buchmarkt 036 —— Wie geht’s dem österreichischen Buchhandel mit Amazon, Thalia und Kindle? Eine Bestandsaufnahme. Warhol Basquiat 039 —— Smells like Blockbuster-Ausstellung: Das Kunstforum zeigt mit »Warhol / Basquiat« Einzelwerke und Gemeinschaftsarbeiten zweier Ikonen. Design: Illustrationen 040 —— Illustration ist längst im Mainstream angekommen, Kreative liefern sich ein Wettrennen um Aufträge. Doch was zeichnet gute Illustratoren aus? Michael Buchinger 048 —— Er ist einer der bekanntesten Youtube-Vlogger Österreichs, vielleicht bald beruflich. Stefanie Sargnagel 050 —— Aus dem Alltag einer Callcenter-Sklavin. Oder: Schöne, grindige, Statusmeldungen als Buch.

kommt bald

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Stefanie Sargnagel Die Wienerin unterhält auf Facebook eine wachsende Fangemeinde mit lustigen, traurigen, grindigen Statusupdates und kleinen Illustrationen. Die Ideen dazu hat sie meist im Callcenter, wo sie parallel ein halbwegs bürgerliches Leben führt. Die besten »Callcenter-Monologe« erscheinen jetzt in Buchform. Manfred Gram, Spezialist für Grind und Interviews, die meist aus gemeinsamen Saufen bestehen, hat mit ihr mehr als sieben Bier getrunken. Dabei hat sie ihm erklärt, warum sie gerne mit »Halbhinichen« trinkt, zuhause im Müll ertrinkt und warum sie den Pointenzwang auf Twitter hasst.

024 Rubriken Leitartikel Inhalt Editorial / Porträts / Impressum Fondue Unbezahlter Anzeiger Splitter Wortwechsel: Wie beeinflussen Konferenzen und Festivals den IT-Standort Wien? Workstation: Arnold Pöschl Prosa: Stefanie Sargnagel Blow-up: Heimatfilm Reviews Introducing: Lizzy Caplan Termine

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Bild der Ausgabe Bald haben wir Social Media durchgespielt: 5.000 Follower auf Twitter, 10.000 Fans auf Facebook, 900 Follower auf Spotify. Wir freuen uns natürlich über jeden von ihnen. Bitte weiter fleißig kommentieren, einmischen, liken, antworten, retweeten. Bei Level 50 gibt es eine gratis App obendrauf. Danke!

Kolumnen Fabula Rasa Zahlen, bitte Know-Nothing-Gesellschaft

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Oida Ego — Themen, sicher keine Homestorys. So viel war bisher klar. Die Blattlinie von The Gap liegt in keinem Tresor wie ein geheimes Rezept oder der Bauplan einer Apparatur bei großen Firmen, sie steht auf keinem Zettel, wurde nicht detailliert in Worte gefasst, sondern ist mehr ein diffuses Zusammenspiel aus Gesprächen, Ideen und Personen. Aber Themen, das will The Gap behandeln. Und jetzt, ausgerechnet, doch mehrere Storys, die erst einmal nicht wirklich nach den großen Stoffen unserer Gegenwart aussehen. Allen voran die Geschichte von einem Jungen namens Gretl (048), der nichts weiter macht als ein paar semi-ironische, ganz-lustige Tratsch- und Trash-Videos hochzuladen. Oder diese Frau mit roter Kappe, die wie wild auf Facebook postet (050). Oder ein älterer Herr, der seine Bierwampe in ein rosa Stretch-Oberteil klemmt (032). Ein bisschen klarer sollte werden, was das denn soll, wenn man bei dem Text über Gustav und I-Wolf anlangt. Oft lassen sich Themen eben einfacher über Personen erzählen, in dem Fall österreichische Indie-Musiker am Theater (030). Die Trennung von Kunstfigur und Person hält hier, aber heute wird sie oft diffuser. Menschen wie Michael Buchinger und Stefanie Sargnagel entwickeln auf Plattformen wie Youtube und Facebook heimlich Alter-Egos, die ihnen oft sehr ähneln. Das sind sie und natürlich sind sie es auch nicht. Und Martin Puntigam. Ganz klassisch dagegen die Coverstory zum Porno-Hype im Indiefilm – ein bisschen XXXPloitation, ein bisschen Hirnfutter. Wir bleiben, wie wir nicht sind.  Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap

kontribut

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Werner Sturmberger

David Bauer

Ironie macht Spaß — »Komm zu The Gap«, hat Chefredakteur Stefan Niederwieser damals gesagt, »da wird man zwar nicht reich [Check!], aber berühmt [darauf wart ich noch].« Wenn man sich von Werner Sturmberger ein paar persönliche Details schicken lässt, sollte man sich besser auf einen Ironystorm einstellen. Freut uns total. Echt. Hey. Er möchte also gern neuartigen Kulturtechniken offener gegenüber stehen … Selfies etwa [siehe Foto]. Er macht auch was mit Medien. Und er legt auch auf. Mit Werner Sturmberger kann man herrlich seine Zeit im Sumpf der Ironie verschwenden. Das lernt man heute offenbar an der Soziologie, dort ist er nämlich Studienassistent und Tutor, bzw. war es vier Jahre lang – hat sicher seine Arbeit viel zu gut gemacht. Mit fertigem Politikwissenschaftsstudium. Sicher mit Auszeichnung. Nein, echt jetzt, mit Auszeichnung. Damit schreibt er jetzt als Freier für die »Qualitätsmedien« Heureka (Falter Verlag), Biorama oder The Gap. Gern über Musik, die die Grenzen des ästhetisch Machbaren verschiebt. Darüber, warum Ironie noch kein Inhalt ist, sondern eine Ausdrucksform, die allzu gern mit Inhalt verwechselt wird. Oder aktuell über österreichische Musiker am Theater. Damit kennt er sich aus, spielt selbst seit zwei Jahren am Wiener Schauspielhaus als Theatermusiker. Erste Ironiegeige, munkelt man. 

Namedropping — Als David seinen ersten Text für The Gap über aktuelle Artists im HipHop schrieb, knurrte ein Teammitglied 30+ ein paar Tage später herum: »Der macht Namedropping, und 80 Prozent davon kenn ich nicht.« Das zeigt aber nur, wie sehr wir Menschen wie David brauchen. Musikliebhaber ist er, seit er denken kann. Seine erste CD war eine Single der Gorillaz. Wir verdächtigen ihn allerdings, mit dieser Behauptung nur irgendwelche peinliche Käufe kaschieren zu wollen. Wie viele andere auch machte David später eine Punk-Phase durch, bis es dann – auch durch last.fm – geschmackstechnisch in die Breite ging. Das heißt also: Anfangs waren HipHop und Metal noch eher fremd und wild, später dann genau das Richtige. Thank you, Internet. Ansonsten isolierte sich David in seinem Zimmer mit Konsolen oder PC und entdeckte Horrorfilme wie »The Thing«. Momentan studiert er mehr oder weniger motiviert Publizistik und Kommunikationswissenschaften und bezeichnet das als sehr interessantes Fach. Wir glauben auch das nicht. Allerdings haben wir auch von 80 Prozent der übrigen Dinge keine Ahnung. David, klär uns auf! 

TEXT jonas vogt

TEXT stefan niederwieser

Impressum

HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Ranya Abd El Shafy, Niko Acherer, Matthias Balgavy, Josef Berner, Sandra Bernhofer, Liliane Blaha, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Andreea Dosa, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Miriam Frühstück, Daniel Garcia, Yannick Gotthardt, Manfred Gram, Dominique Gromes, Julia Gschmeidler, Andreas Hagenauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Lukas Hoffmann, Peter Hoffmann, Michael Huber, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Jakob Kattner, Sophie Kattner, Iris Foster-Kern, Markus Keuschnigg, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Leonie Krachler, Christoph Kranebitter, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Artemis Linhart, Gunnar Landsgesell, Ali Mahlodji, David Mochida Krispel, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Christoph Prenner, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Martin Riedl, Tobias Riedl, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Peter Schernhuber, Bernhard Schmidt, Nicole Schöndorfer, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Lisa Stadler, Cornelia Stastny, Roland Steiner, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Wernr Sturmberger, Denise Helene Sumi, Asha Taruvinga, Hanna Thiele, Horst Thiele, Franziska Tschinderle, Erwin Uhrmann, Jonas Vogt, Luise Wolf, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM David Bauer, Stefan Schallert termine Manuel Fronhofer, Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Sig Ganhoer, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Kurt Prinz, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Stefan Niederwieser ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Elisabeth Els Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Martin Mühl PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6 / III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— erscheinungsweise 8 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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LUMNE

Fabula Rasa All Hail The Captain! Die Kolumne von Georg Cracked. »wir haben stark davon profitiert, zeit zu haben uns zu überlegen, wo wir als nächstes hinwollen. dieses ziel war klar definiert. wir haben erkannt, dass wir nicht nach links, rechts oder rückwärts gehen wollen, sondern vorwärts.« (satyricon im interview). Marianne hat nicht ÖVP gewählt, sondern die NEOs. Drei Tage war sie fort auf einem Seminar für Nachwuchsführungskräfte in einem Thermenhotel bei Gamlitz in der Steiermark. An zwei Tagen läutete der Postbote mit Zalando-Paketen. Wieder zurück redet sie neuerdings von Rotwein, den sie mit angestrengter Kennermiene und ausgesuchten Vokabeln verkostet. Sie fragt nicht, was du getan hast (aufgenommene Folgen von »Homeland« und »Breaking Bad« geschaut). Dann lässt sie die Bombe fallen: »Du, ich habe eine super Nachricht für dich. Ich habe mit meiner Company-Mentorin gesprochen und sie hat ein paar Fäden gezogen und, pass’ auf, du kannst in die PR-Abteilung kommen! Ist das nicht cool!? Ich weiß ja«, (dabei legt sie ihre Hand sachte auf deinen Unterarm) »dass es für dich ein Problem in unserer Beziehung ist, dass ich deine Vorgesetzte bin, und das ist damit gelöst.« (Sie nimmt ihre Hand wieder weg und strahlt.) »Außerdem passt das viel besser zu dir, weil du doch ohnehin eher ein an Medien und so interessierter Mensch bist. Die PR ist auch eine wirklich nette Abteilung und du hast auch viel bessere Aufstiegschancen dort. Jetzt schau nicht so! Was sagst du zu den super News?«

15.11. „The GreaT hans UnsTern swindle” foto©Tanja Pippi

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»ob’s edler im gemüt die pfeil und schleudern des wütenden geschicks zu ertragen, oder sich waffnend gegen eine see der plagen sie im widerstande enden? und sterben.« (shakespeare, »hamlet«) Du hast das Gefühl, sie hat diese Ansprache geübt wie eine wichtige Präsentation. Aber du weißt trotzdem nicht, was du sagen sollst. PR-Abteilung? Sie hat vier Argumente genannt, alle stichhaltig, aber dir scheint, der Kern deiner empörten Erstarrung liegt ganz woanders. Nur wo nur? Du weißt auch, weil sie es dir einmal erklärt hat, dass eine gute Gesprächs-Strategie immer mindestens fünf unterstützende Argumente haben soll, und sie hebt sich die gemeinsten Geheimwaffen für den Notfall auf. Also sagst du nur zurückhaltend und deine Truppen sammelnd: »PR-Abteilung? Wir haben wirklich eine PR-Abteilung? Was tun die?«. Und sie hält ihre Truppen ebenfalls an der Demarkationslinie zurück. »Am besten, du siehst es dir mal an. Es ist wirklich eine super Gelegenheit für dich. Da kannst du was draus machen.« Und lächelt dich an, damit du weißt, ihre schwersten Geschütze sind in der Nähe, aber noch außer Sichtweite deiner Aufklärer. Leichter Raumverlust, vorübergehender Waffenstillstand, Barack Obama könnte in der Situation auch nicht mehr tun. Du nickst und schenkst dir Rotwein ein.  Powered by Kadavar, Kanye West und Pearl Jam.

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UNBEZ

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Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.

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Essbarer Anus Nichts sagt so sehr „»Ich liebe dich« wie einer wichtigen Person Schokolade zu schenken. Da kauft man dann einfach eine Packung Pralinen, mit Liebe in Frankreich hergestellt und in herrlich dünner Plastikfolie eingeschweißt. Beim Aufreißen steigt einem dann der süße, verführende Duft der köstlichen Kreationen in die Nase. Wunderbar! Aber wieso nicht gleich ein bisschen avantgarde sein und einfach ein Arschloch aus Schokolade verschenken? Schließlich ist man heutzutage ja offen für alles. Kann Spuren von Nüssen enthalten. edibleanus.com

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Brötchen-Listen. Von Tex Rubinowitz. Heute: Wie Floskeln entstehen

… und das Ergebnis kann sich durchaus blicken lassen. Fünf der zwölf getesteten Proviantvarianten schnitten mit der Note „sehr gut“ ab. Darunter das Thunfisch-Ei-Brötchen von Trzesniewski am Wiener Westbahnhof …

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Jesus-Drachen

Bis jetzt war die Welt für das gemeine Meer- Herr im Himmel. Egal, welchem christlichen schweinchen eine einzige Gefahr. Scharfe Sektenbekenntnis man sich selbst zurechnet Kanten, steile Klippen, gefürchtete Gefahren. – ein Plastik-Drache als fliegender LiebesbeWie auch immer, diese Zeiten sind vorbei: weis an den göttlichen Heiland ist sowohl Ab jetzt ist das Tier auf sich alleine gestellt. wortwörtlich himmlisch als auch ein lustiger Zumindest in dem Fall, dass dem Tier diese Zeitvertreib. Vielleicht gelingt es damit auch Rüstung angelegt und es zum furchtlosesten dem engstirnigsten Atheisten, die Größe Ritter der Karotte des Kleintiergeheges ge- Gottes zu erahnen, vor dem Hintergrund schlagen wird. Vielleicht nimmt es diesem eines babyblauen Himmels. Bleibt zu hoffen, kleinen und kuscheligen Wesen auch ein biss- dass der Zorn des Herrn über die freche Anchen die Berührungsangst. Dann kann man es näherung an seine Pforten nicht so groß ist, auch endlich mal streicheln. dass ein Blitz dieses tolle Stück trifft. Die aufgenähte Grafik ist nämlich exquisit. jesuskite.myshopify.com

Die meisten Floskeln kommen aus unterirdischen Floskellaboratorien in unzugänglichen Tälern Andorras. Dort arbeitet eine Gruppe hochspezialisierter Linguisten, die mit einem weltweiten Netz aus eloquenten Hausmeisterinnen, Taxifahrern, Kellnern und Frisören ständig durch ein Intranet verbunden sind, eine Gruppe, die ihnen das Rohmaterial zuliefert. Die hereinkommenden Floskeln werden gewaschen, sortiert, durch Mikroprozessoren geschickt, zerlegt und wieder zusammengesetzt. Damit wird ein Elektronengehirn gefüttert, welches das ganze Material auswertet. Danach wandern sie in die Testabteilung, dort repräsentieren 7 Menschen die gesamte Weltbevölkerung, einer für eine Milliarde, an ihnen wird die Floskel durch ständiges Wiederholen getestet. Diejenige Floskel, die den Test besteht, wird in die Welt entlassen, z.B.: „Sei es wie es sei“

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Martin Riedl

(The Gap / Our man from Hannover)

TOP 10

DINGE, ÜBER DIE ICH MICH GERNE UND OFT AUFREGE

01 Inkompetenz 02 Schlechte Qualifikation 03 Verlotterung der Republik 04 Organisationsführung 05 Arbeitskollegen, besonders A, B und C 06 Österreichischer »Onlinejournalismus« 07 Harald Fidlers Schreibstil 08 Strache, Stronach et al. 09 ÖBB, ORF, Post 10 Die falsche Verwendung von »sorgen für«

TOP 5

URLAUBSZIELE, DIE ICH NOCH NICHT BESUCHT HABE

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Gumpoldskirchen Tiflis Lyon Republik Irak Edinburgh

twenty.twenty #16: Tod im Netz

auch nicht schlecht: Wenn Albany (NY) ein »Museum for Political Corruption« bekommt, warum hat Österreich dann noch keines? Exponate gäbe es ja ausreichend.

Am 29. Oktober 2013 findet im Wiener HUB das nächste 20.20 zum Thema »Tod im Netz« statt.

Clara Moto (Musikerin / DJ)

TOP 10 01 Frost – Thomas Bernhard 02 Stiller – Max Frisch 03 Pale Fire – Vladimir Nabokov 04 Holzfällen – Thomas Bernhard 05 Crying Of Lot 49 – Thomas Pynchon 06 Verbrechen und Strafe – Fjodor Dostojewski 07 Slaughterhouse 5 – Kurt Vonnegut 08 Anna Karenina – Lew Tolstoi 09 Pride & Prejudice – Jane Austen 10 Middlemarch – George Eliot

TOP 5

SCHWARZWEISS-FILME

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Casablanca Dr. Strangelove Some Like It Hot The Great Dictator Witness For The Prosecution

auch nicht schlecht: Oneohtrix Point Never – R Plus Seven

TEXT martin mühl BILD florian auer

BÜCHER

Das Internet hat eine konzeptionelle Schwäche: Es ist so gut wie nicht auf Tod, Verschwinden und Vergessen vorbereitet. All unsere digitalisierten Äußerungen – ob Text, Bild oder Video – die einmal online gegangen sind, bleiben das auch. Sie werden dank ausgefeilter Algorithmen in Beziehung zueinander gesetzt, analysiert und weiterverarbeitet. Dabei kann es ganz leicht passieren, dass sie den Bezug zum echten Leben verlieren. Am deutlichsten wird das, wenn ein Mensch stirbt. Es gibt keinen Status-Update mit Inhalt »tot«. Unsere digitalisierten Äußerungen bleiben vorerst, wie sie sind. Das Netz vergisst uns nicht. Die Älteren unter uns entdecken in ihrer Online-Freundesliste immer öfter lächelnde Gesichter von Menschen, die auf dieser Erde längst nicht mehr lächeln. Das Netz vergisst auch nicht, wenn wir mal – sei es aus einer Laune heraus, aus Unwissenheit oder Dummheit – etwas getan oder gemacht haben, zu dem wir Jahre später nicht mehr stehen können. Es gibt keinen Status-Update mit Inhalt »Heute sehe ich das anders«. Im realen Leben heilt die Zeit alle Wunden. Solche Mechanismen gibt es im Internet noch kaum. Das Netz ist der beste und größte Wissensspeicher, den die Menschheit jemals hatte. Und doch geht mehr verloren als in den großen Bibliotheken. Wer sich etwas mit der Geschichte digitalen Kunstschaffens auseinandersetzt, wird rasch feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, auf ältere Werke zuzugreifen. Diese wurden oft in einer Programmiersprache und für Endgeräte entwickelt, die heutzutage nicht mehr gebräuchlich sind. Neuere Hard- und Software ist nicht so weit abwärts-kompatibel, dass die Interaktion mit diesen Werken in der gleichen Art möglich ist wie zu der Zeit, als sie entstanden sind. Die Keynote wird die Berliner Schriftstellerin Elisabeth Rank halten. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin und Ethnologin hat Texte für jetzt.de, Spiegel Online, Die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und die TAZ verfasst. Für ihren Vortrag »Bis der Tod uns scheidet« bei re:publica 13 hat sie sich sehr intensiv mit sozialen Medien und dem Umgang mit dem Sterben auseinandergesetzt.  »Tod im Netz« findet am 29. Oktober 2013 im HUB Vienna statt. Beginn ist um 18.30 Uhr. www.twentytwenty.at

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Stefan Schallert (The Gap)

TOP 10

FRAUEN, DIE WIE SONGS HEISSEN (BEGINNEND MIT A)

01 Arienette (Bright Eyes) 02 Burgundy (Earl Sweatshirt) 03 Clementine (Elliott Smith) 04 Ingrid Bergmann (Wilco) 05 Karen (The National) 06 Kiara (Bonobo) 07 Marla (Grizzly Bear) 08 Mary (Spiritualized) 09 Sheila (Atlas Sound) 10 Soldier Jane (Beck)

TOP 5

FRAUEN, DIE SINGEN

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Amber Coffman (Dirty Projectors) Annie Erin Clark (St. Vincent) Leslie Feist Megan James (Purity Ring) Vashti Bunyan

auch nicht schlecht: Männer, die wie Frauen singen können und umgekehrt.

www.thegap.at/gewinnen Viennale Goodies Wir verlosen eine Menge Viennale-Goodies: 10 Tickets (für 5 Filme), 3 Pakete mit Tasche und jeweils 3 × 2 Tickets für die Abschlussparty im Volksgarten und die Ehrengala. Die Viennale selbst müssen wir ja nicht mehr erklären, oder? Bitte ausnahmsweise Mail mit eindeutig zuordenbarem Betreff an: gewinnen@thegap.at

»House Of Cards« Staffel 1 Netflix – die mit dem Webstreaming – haben diese Webserie entwickelt, die lose auf einem britischen Vorbild basiert. Kevin Spacey brilliert als skrupelloser US-Politiker, der auf Rache sinnt und dem kein Mittel fremd ist, um an seine Machtziele zu kommen. Wir verlosen Serienboxen: 2 × DVD und 1 × Blu-ray.

»Only God Forgives« Am 18. November erscheint Nicolas Winding Refns bisher letzte Großtat, das wie gewohnt kompromisslose »Only God Forgives«: Ryan Gosling in einer asiatischen Hölle aus Verbrechen, Gewalt und den Erwartungen seiner Mutter. Wir verlosen 3 Fanpakete bestehend aus DVD, Poster und der Dokumentation »NWR« über den Regisseur.

»Battlefield 4« Auf die Next-Gen-Versionen müssen wir noch ein bisschen warten. Aber schon Ende Oktober veröffentlicht EA die neue Version ihres Vorzeige-Shooters. Im heiß erwarteten Multiplayer ist der Commonado-Modus zurück, in dem ihr mittels Tablet eure Einheiten befehligt. Wir verlosen je 1 Exemplar für PC, PS3 und Xbox 360.

Lousie Lässig (Mamis)

TOP 10

SINGENDE MÄNNER MIT GRABESSTIMMEN

01 Nick Cave 02 Tom Waits 03 Ian Curtis (Joy Division) 04 Tom Smith (Editors) 05 Mark Lanegan 06 Vladislav Parshin (Motorama) 07 Leonard Cohen 08 Paul Banks (Interpol) 09 Elliott Smith 10 Blixa Bargeld

TOP 5

SCHIMPFWÖRTER, DIE MAN ALS DEUTSCHER IN WIEN KENNEN SOLLTE

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Wappler Oasch, depperter Gschissener Gfrast Fetznschädl

auch nicht schlecht: Filme mit Bill Murray

»Wrong« Quentin Dupieux aka Mr. Oizo hat mit seinem zweiten Film »Wrong« ein lakonisches Stück Unterhaltungskino geschaffen. Absurde Einfälle und gemächliches Erzähltempo schließen sich nicht aus. Wir verlosen 3 DVDs.

Dirk Stermann »Zweier« / Austrofred »Hard On« Im Czernin-Verlag erscheinen diesen Herbst zwei neue Kurztext-Sammlungen: »Zweier« von Dirk Stermann und »Hard On« von Austrofred. Letzteres angeblich nur die Steigerung des Ausdrucks Rock On. Aber »Zweier« ist ja auch der Nachfolger von »Eier«. Wir verlosen 3 Exemplare von »Zweier« und 2 von »Hard On«.

Frank Spilker »Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen« Frank Spilker – man erinnert sich: Die Sterne – erzählt eine Geschichte vom Niedergang, und das so lässig und lakonisch, dass man seinem Helden liebend gern folgt. Wie verlosen 3 Exemplare des Buchs.

»Schöne Grüße aus dem Orbán-Land« Wie der »ungarische Weg« die europäischen Werte gefährdet, oft gar mit Füßen tritt, warum die EU im Anbetracht dieser nationalkonservativen Politik fast machtlos erscheint, und wie fatal die Folgen dieser Regierung sein können, schildern zwei Experten, die in Orbáns Augen wohl als »unverbesserliche linkspropagandistische« Berichterstatter betrachtet werden – weil sie … die Wahrheit sagen! Wir verlosen 3 Exemplare (Styria Premium, 208 Seiten; www.styriabooks.at)

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AM RAD

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Beste Klolektüre der Welt

TEXT STEFAN NIEDERWIESER bild H.A.P.P.Y

H.A.P.P.Y wird 20. Statt Torte gibt es einen schockierend pinken Buchziegel mit viel Häkel-Aktionismus, Spaß-Diskurs und natürlich Haaren am Popo.

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Vorne gibt es auch kluge Worte. Man ist ja nicht dumm, macht nicht nur hohle, superlustige Party. Man kennt sich aus mit dem Geschlecht, mit dem Aktionismus und diesem scheiß Österreich. 20 Jahre gibt es H.A.P.P.Y jetzt schon. Das Buch zum Happy Birthday ist – Spoiler Alert – super fun time. Und wenn das Buch manchmal so tut, als hätte es keine Ahnung von Layout und Bildern, dann stimmt das gar nicht. Außerdem riecht das Buch wirklich exzellent. Bis auf den braunen Punkt am Anfang von Kapitel 4, den man reiben soll und dann daran schnuppern. H.A.P.P.Y das ist super, man hat über die Jahre ordentlich was verpasst bei diesem Spaß- und Performance- und Alltagskollektiv. Dabei ist Gründer Tomtschek vor zwei Jahren tödlich verunglückt. Über das große, wuchtige Andenken scheint man sich trotzdem nicht allzu viele Gedanken zu machen, schnitzt lieber ein lässiges Buch. Ja, Party darf auch Hirn haben und komisch riechen.  »Hapsi Apsi Pipsi Popsi Yipsi – Jugendhaare einer Kaiserin« von Eva Dranaz, Jochen Fill, Christopher Wurmdobler (Hg.) ist bei Czernin erschienen.

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Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger

7 000 000 000   Mobiltelefone soll es Anfang 2014 geben. Sie zwinkern uns zu: Genieße deine Überwachung wie dich selbst!

I

n der U-Bahn, auf der Straße und selbst dort, wo Menschen gemeinsam an einem Tisch sitzen und miteinander reden, ist ein neuer Körperteil dabei. Die Prothese heißt Handy. Sie ist mit uns verwachsen. Wir lieben sie, weil sie mehr kann als ein fades Auge, ein taubes Ohr oder ein ödes Gespräch. Durch die Prothese sind wir nach unseren Spielregeln mit der Welt verbunden, holen sie uns auf das Display, texten, senden, empfangen, gestalten. Vor allem aber zeigen wir den anderen, was wir sind, indem wir zeigen, was wir erleben. Wer heute eine Ausstellung, ein Konzert, eine Stadt oder eine Party besucht, sieht, wie Prothesen uns die lästige Arbeit des Erlebens abnehmen und für uns das dokumentieren, was wir uns nicht antun, was aber andere in den sozialen Netzwerken liken sollen – am besten live, wie es Echtzeitfetische wie Google Glasses versprechen.

Neue Aufmerksamkeitsökonomie Am frühen Morgen, vor dem Ritual des ersten der ungezählten Mailchecks des Tages, dämmert uns möglicherweise, dass wir schon recht viel von uns preisgeben. Dann schenken wir uns einen Kaffee ein, schauen das erste Mal auf Facebook und wundern uns über aufpoppende maßgeschneiderte Angebote. Dann lesen wir einen dieser schlechte Laune machenden Artikel über die Machenschaften der Geheimdienste. Zum Beispiel wie heute darüber, dass die NSA natürlich nicht soziale Netzwerke überwacht. Wir sind ein wenig beunruhigt. Irgendwann wird aber leider wie üblich das Gegenteil solcher PRBeschwichtigungsversuche bewiesen sein. Zum Glück werden wir dann die Beunruhigung schon gut verdrängt haben. Die ohnmächtige Empörung von heute wird sich dann nur mehr als müdes Achselzucken zeigen. Wir werden uns dann wieder wichtigeren Dingen zuwenden können. Zum Beispiel der Frage, wie man eigentlich mehr und coolere Facebook-Freunde kriegt oder wie man überhaupt ein Big Player wird in dieser neuen Aufmerksamkeitsökonomie, wenn man schon in der

alten Ökonomie keinen Auftrag hat. Natürlich wissen wir, dass dieser Wunsch nach Gestreichelt-Werden schon ein wenig kindisch ist. Wir ahnen sogar, dass es sich vielleicht sogar so verhält, dass das Verlangen nach dem großen Auftritt im Rampenlicht nicht von realer Beachtung, sondern eher von gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit, sozialer Deklassiertheit und politischer Apathie kündet. Das narzisstische Selbst, das Role-Model für Celebritys, Topmanager und Ghettorapper, taumelt ja inzwischen massenhaft zwischen der Suche nach der Bestätigung der eigenen Grandiosität und der durch die Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit beförderten depressiven Verstimmung. Oft hängt es in den Seilen, dann zieht es wieder in den Ring. Wo sind die Nummern-Girls, wo sind die schmachtenden männlichen Fans? In den sozialen Netzwerken, dort, wo jeder jeden beim Beobachten beobachtet, könnte man sich den Applaus abholen für seinen Geschmack, seinen Konsum, seine Individualität. Denn das ist die schlimmste Strafe für das narzisstische Leben: ein Leben zu führen, das nicht einmal überwachungswürdig ist, also nicht beachtet wird. Für die Anerkennung opfert man vieles, zum Beispiel den Wunsch nach Autonomie oder den politischen Glauben an ein prinzipiell anderes Leben in einer anderen Gesellschaft. Oder auch den Widerstand gegen die Ausspionierung durch den militärischen Entertainmentkomplex und die Geheimdienste. Denn die machen ja eh alle nur das im großen Stil, was wir ja klammheimlich auch alle tun. Doch das Datensammeln und -vernetzen der professionellen Schnüffler ist nicht nur wegen seiner globalen Dimension untragbar. Es ist demokratiepolitisch auch deshalb unerträglich, weil es sich selbst jeder Kontrolle entzieht. Ich überwache dich und du überwachst mich, aber keiner sieht den Aufseher im Bentham’schen Panoptikum des Weltknasts. Was wäre heute die Alternative? Im Sinne der technisch schon implementierten und wohl nicht mehr zurücknehmbaren Transparenz wäre wenigstens eine

Gleichheit der Waffen wünschbar. Alles muss einsehbar werden, auch das Tracken des soften Autoritarismus der Maschinen und ihrer Kontrolleure selbst. Die Zerstörung der Privatsphäre muss radikal demokratisiert werden. Jeder, auch das Pentagon, muss wissen, dass auch die eigene Schnüffelei nachvollziehbar und damit bekämpfbar ist. Zum Bild des gläsernen Menschen gesellte sich dann die gläserne Institution bzw. (Stronach schau her) das gläserne Unternehmen. Die andere Alternative hat schon seit einiger Zeit neue Fürsprecher. Sie lautet: unsichtbar werden, vom Radar verschwinden wie die paranoiden Drifter bei Thomas Pynchon. Nicht ohne Grund nennt sich eine französische klandestine Politgruppe, die vom kommenden, dezentral organisierten Aufstand schreibt, Unsichtbares Komitee. Der Hamburger Autor Hans-Christian Dany hat aus Notwehr gegen den Zugriff des Macht-Kalküls auf das Leben, wie er sich im kybernetischen Erfolgsmodell namens Kontrollgesellschaft zeigt, ein Plädoyer gegen das Mitmachen verfasst. Es heißt: »Morgen werde ich Idiot«. Idiot werden heißt hier: zu versuchen, klug zu verblöden, nichts Aneigenbares mehr zu kommunizieren, auch wenn das mit dem Nicht-Kommunizieren bekanntlich keine einfache Sache ist. Und zweitens bedeutet Idiot werden auch: privat werden, und zwar in Form einer radikalen Übertreibung und als Konsequenz davon, dass sich das Öffentliche in der Postdemokratie ohnehin erledigt hat. Werde Teil der idiotischen Asozialität! Kapsle dich ab und mache dir nicht mehr die Finger mit deinen Tastenkombinationen schmutzig! Und vor allem: Wirf’ dein Handy weg und verschwinde »im Zauber der Funklöcher«. Es geht nämlich vielleicht auch anders.

Thomas Edlinger Journalist und Kurator

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Eines unserer Clubhäuser. Ö1 Club-Mitglieder erhalten bei der Viennale 2013 10 % Ermäßigung. Sämtliche Ö1 Club-Vorteile finden Sie in oe1.orf.at

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Scarlett Johansson spielt in »Don Jon« jene Frau, für die Jon seine ausgedehnten Porno-Sitzungen vor dem Laptop immer häufiger unterbricht. 018

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»Don Jon« von Joseph Gordon-Levitt — Porno-Hype im Indie-Land

YOU & ME PORN

Joseph Gordon-Levitts hinreißendes Regiedebüt »Don Jon« ist nach »The Look Of Love« und »Lovelace« ein weiteres Beispiel für das aktuelle Kokettieren des Indie-Kinos mit Porno. Schon wittern Filmfestivals und das Feuilleton einen Trend. Aber wie neu ist der Ausflug in die Tabuzone wirklich?

Text sophie kettner Bild luna film, TWC Radius, Filmladen, Concorde Video, Filmladen

ass aktuell so unterschiedliche Filme wie »The Look Of Love«, »Lovelace« oder »Don Jon« sich an Porno abarbeiten, wird vielerorts nicht unbedingt als launiger Zufall unter Drehbuchautoren aufgefasst. Das Thema liege eigentlich schon längst in der Luft, weil es treffend den Zeitgeist reflektiere. Denn welches Genre wäre besser geeignet, die Übersexualisierung unserer Gesellschaft zu reflektieren, die zwar zu nichts mehr wirklich Lust hat, aber ständig um die Perfektion der Körper kreist? Unter der sauberen Oberfläche der Correctness, die sich um geschlechtsneutrale Zustände bemüht, ist genau das Gegenteil entstanden, nämlich die vollständige Sexualisierung, die kaum einen Bereich von Werbung bis zu Medien und Politik verschont – zumindest am Rande werden überall ausführlich sexuelle Belange, Klischees oder auch Abartigkeiten thematisiert. Keinesfalls neu ist es, dass Porno außerhalb der dafür vorgesehenen Adult-Zonen auftaucht. In praktisch jeder Dekade hielten Elemente und einzelne Stilmittel dafür her, Schamgrenzen und moralische Tabus im Independent- und infolge auch im Mainstream-Kino zu brechen und die Latte für noch nie Gezeigtes immer wieder höher zu legen. Explizite, drastische Bilder dienten dazu, eine offizielle Doppelmoral, menschliche Abgründe oder autoritäre Zwänge darzustellen. Naturgemäß begannen deshalb seit den 70ern – der Ära der sexuellen Revolution – XXX-Genre, Exploitation- und Autorenkino besonders stark zu oszillieren (siehe Kasten). Der ständige Versuch, am Mainstream anzudocken, Porno-Akteure in Hollywood und im Privat-TV salonfähig zu machen oder sie in Hauptrollen in Indie-Filmen unterzubringen, ließ sich schon von jeher als Werbekampagne in eigener Sache interpretieren. 019

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links:

Das Biopic »Lovelace«, über die Hauptdarstellerin des kontroversiellen Pornoklassikers »Deep Throat«, betreibt Geschichtsklitterung. rechts: »The Look Of Love« porträtiert den Porno-Millionär Paul Raymond und zeichnet ein rissig werdendes Bild der Industrie im Retro-Design.

Don Juan de Porno

The Look Of Love Genau diese Industrie steht nun auch mehr oder weniger offensiv im Zentrum nostalgischer Betrachtungen in aktuellen Indie-Arbeiten. Michael Winterbottoms »The Look Of Love« porträtiert das Leben der englischen King-of-Sleaze-Legende Paul Raymond, der im Swinging London der Sixties zunächst mit Nudie-Shows in Soho zum SelfmadeMillionär aufstieg. Mit Sex- und späteren Hardcore-Magazinen scheffelte er ein Vermögen, rief aber auch die Zensur im prüden Britannien auf den Plan, die er jedoch mit Bauernschläue niederzwang. In detailverliebten Retro-Designs zeichnet Winterbottom ein durchaus charmantes, erst nach und nach rissig werdendes Bild eines skrupellosen Verfechters von sex sells, der sein Leben mit Champagner und Partys, Drogen und Sex verbrachte und privat auch mit der Upperclass oder den Beatles abhing. Damit schlägt Winterbottom in eine ähnliche Kerbe wie zuvor schon Paul Thomas Anderson mit dem großartigen »Boogie Nights« (1997) oder Milos Forman mit »The People vs. Larry Flynt« (1996). Die gemeinsame Prämisse: Es gab so etwas wie eine unschuldige Zeit der Sexindustrie, die ständig gute Laune hatte und für ebendiese auch sorgte. Sie repräsentierte eine schrankenlose Welt, hatte Glamour und Pop-Appeal, trug auch mit leichter Subversion zur überfälligen sexuellen Befreiung aller bei und entmachtete moralinsaure Autoritäten. Erst die 80er hätten die Branche dann mit überdimensionierten Silikonbusen, SM, Obszönitäten, Video und Geldgier in die Abgründe niedrigster Instinkte ohne Bildungsauftrag gestürzt. Bei »The Look Of Love« gelingt die Vermittlung dieser Botschaft noch halbwegs, vor allem, weil es Winterbottom schafft, unter dem Mäntelchen der Retro-Mania die mit Abstand meisten Nacktszenen der letzten Jahre in einem Kunstfilm unterzubringen. In »Lovelace«, das die Laufbahn von Linda Lovelace verhandelt, die die Titelrolle im Porno-Klassiker »DeepThroat« spielte, wird hingegen belang- und teilnahmslose Geschichtsklitterung betrieben. In dem bei uns noch nicht angelaufenen Biopic wird die naive Linda zunächst zum Opfer ihres brutalen Ehemannes, kann sich von ihrer schmutzigen Vergangenheit aber »reinwaschen«, weil sie sich nach ihrer nur 21 Tage dauernden Pornokarriere als Frauenrechtlerin und Anti-Porno-Agitatorin engagiert.

Dem dritten Fim im aktuellen Arthouse-Porno-Reigen, dem am 15. November in den heimischen Kinos startenden »Don Jon« gelingt es nun, viele bekannte Versatzstücke und Subtexte aus artverwandten Filmen originell zu streifen – und dass es sich dabei um eine leichte und lapidar erzählte Komödie handelt, macht die Sache noch besser. Joseph Gordon-Levitt ist mit 32 Jahren bereits ein alter Hase im Hollywood-Biz, glänzte zuletzt in »Inception«, »The Dark Knight Rises« und »Looper«. In seinem Regie-Erstling verschränkt er Zitate aus »10« und »Saturday Night Fever« mit einer witzig-klugen Analyse zur Zeit. Jon (Gordon-Levitt) ist schwer süchtig nach Pornos, die darin verkauften Fantasien erscheinen ihm begehrenswerter als realer Sex mit realen Frauen. Das Masturbieren vorm Laptop wird nur unterbrochen, um mit seinen Freunden aufgestylte Girls in Clubs aufzureißen oder im Fitnessstudio seine Muskeln zu trainieren. Als er auf seine – von Scarlett Johansson grandios gespielte – Traumfrau Barbara trifft, versucht er, sein Leben zum Besseren zu ändern. Anhand dieser Story demonstriert Gordon-Levitt, wie Beziehungen, aber auch Porno in unserer, nach kapitalistischen Prinzipien strukturierten Gegenwart funktionieren. Beide spiegeln sich auf absurde Weise gegenseitig wider, in beiden geht es vor allem um Leistung und Optimierung, um sich auf dem großen freien Markt besser verkaufen zu können. In der Warenwelt und im Alltag ist dafür ständig ein Maximum an Nacktheit, Selbstentblößung und Exhibitionismus nötig. Gordon-Levitt wollte, wie er in einem Der Spiegel-Interview vermerkte, humorvoll klarmachen, »wie wir uns ständig zu Objekten machen«. Dies führt bei Jon auch zur Reduktion auf sich selbst, indem er ständig allein vor dem Laptop hockt oder sich um die Perfektionierung des eigenen Körpers an der Hantelbank kümmert. Unter diesen Bedingungen ist auch die sogenannte Liebe nur ein Deal, bei dem Sex nach dem Belohnungsprinzip angewandt wird, weil im Endeffekt alles dem geregelten Funktionieren einer festen Bindung dient. Romantik und echte Intimität sind da nur hinderliche, verstaubte Anachronismen und daher fehl am Platz. Keine Angst, das klingt alles ernster als es ist: »Don Jon« serviert seine Botschaft charmant, mit Augenzwinkern, tollen Darstellern und viel Situationskomik. Dass Jon als eine Art heitere Variante von »Shame« (siehe Kasten) doch noch den Ausstieg findet, verdankt er Esther (Julianne Moore), einer schwer ergründlichen Frau. Mancher mag diesen Handlungsbogen bildungsbürgerlich oder aus einem Missverständnis heraus moralisch empfinden, aber Gordon-Levitt belebt dabei Begriffe wie Hingabe, Passion und das Sich-Verlieren wieder. Also eigentlich das genaue Gegenteil von Porno.

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Kunst und Kalkül: Die Seventies Im Reich der Sinne

In den 70er Jahren kam es zu einer wahren Explosion des Pornofilms, die heftig auf das Independent-Kino ausstrahlte. Kaum ein Streifen dieser Ära beteiligte sich nicht zumindest in einer Nebenszene am Boom. Die gegenseitige sinnenfreudige Umarmung führte dabei unbestritten zu Meisterwerken, spätere Kultregisseure wie Alejandro Jodorowsky, Walerian Borowczyk und Nagisa Oshima nutzten sie für die Kritik an repressiven Systemen und verfolgten die tabubrechende Entgrenzungstheorie der Erotik im Bataille‘schen Sinne. Der Billig-Porno »Deep Throat« wurde schließlich 1972 auch außerhalb seiner Sparte ein Kassenschlager. Er einte die Massen und Lager, versöhnte Unten und Oben und galt in intellektuellen Kreisen gar als progressives Kulturgut. Ein wahrer Triumphzug für die milliardenschwere Pornoindustrie, die sich oft nur eines wünscht: Raus aus der rotbelichteten Schmuddelecke, im Establishment ankommen – oder womöglich sogar so feudal wie Hugh Hefner und Larry Flynt mit Celebritys abhängen und dabei vielleicht auch ein wenig Politik betreiben. Dennoch mischten die Größen des New Cinema bereits zu PornoChic-Hochzeiten bittere Pillen in den aphrodisierenden Cocktail: Der Sexfilmkonsument Travis Bickle in Martin Scorseses »Taxi Driver« ist kein aufgeschlossener und moderner Mann, sondern hochgradig entfremdet und beziehungsgestört – und Paul Schrader präsentierte in »Hardcore« das Porno-Business gleich als das, was es zum allergrößten Teil ist: ein Opfer produzierender Sweatshop-Betrieb ohne allzu viele ethische Mindeststandards. pornoklassiker der 70er: »Deep Throat« (1972): Gerard Damiano stilisierte Linda Lovelace und Harry Reems zu Hardcore-Ikonen. »Behind The Green Door« (1972): Debüt von Marilyn Chambers mit einer legendären Trapez-Sexszene. Chambers war 1977 auch in David Cronenbergs »Rabid« zu sehen. »Debbie Does Dallas« (1978): mit Bambi Woods ist einer der meistzitierten und parodierten Filmtitel der Kinogeschichte. verstörendes autorenkino der 70er: Alejandro Jodorowsky »El Topo« (1971): Surreales Opus über Sex, Tod und Religion. Nagisa Oshima »Im Reich der Sinne« (1976): erzählt die Geschichte der japanischen Prostituierten Abe Sada inklusive der Sexualpraktik Hypoxyphilie. Walerian Borowczyk: heute fast vergessener Schöpfer von Kult-Erotika wie »Unmoralische Geschichten« (1974) und »La Bête« (1975). Andy Warhol / Paul Morrissey: Die Trilogie »Flesh« (1968), »Trash« (1970) und »Heat« (1972) mit Joe Dallesandro dreht sich um Sex und Drogen und bekannte Factory-Groupies.

iPorn, YouPorn, Re-Porn: Die Nineties und danach Nymphomaniac

Ein weiterer Höhenflug der Porno-Industrie ereignete sich in den 90er Jahren: Die Erfindung des Internets ermöglichte es, die Ware in Windeseile rund um die Uhr weltweit an den Mann und nun verstärkt auch an die Frau zu bringen. Die 2000er Jahre lösen das Versprechen des flächendeckenden, allgegenwärtigen (Porno-) Konsums in allen Schichten dann tatsächlich ein. Wer auf sich hält, sieht Porn. Mehr noch, er macht ihn selbst. Online-Plattformen wie YouPorn, Blogs und Apps ermöglichten eben auch hierbei völlig neue Betätigungsfelder. Dabei wurde Mitte und Ende der 90er Jahre von an sich klugen Köpfen die Idee des Cybersex noch als vernünftige, neue Chancen bietende Variante des menschlichen Sexuallebens diskutiert. Den technikaffinen Lustgewinn stellt schon David Cronenberg in »Crash« (1996) zur Diskussion. Rund um die Millenniumswende ließ sich dann das Aufkommen sogenannter Arthouse-Pornos beobachten. Während Virginie Despentes mit »Baise-moi« (2000) und Gaspar Noé mit »Irréversible« (2002) ihr intellektuelles Publikum mit der Thematik detaillierter sexueller Gewalt schockten, beklagten andere den Verlust der Lust und Intimität. In Catherine Breillats »Romance XXX« (1999), Patrice Chéreaus »Intimacy« (2001) und Michael Winterbottoms »9 Songs« (2004) versuchten die Protagonisten die zunehmende Isolierung des Einzelnen und die Libido- und Kommunikationslosigkeit zwischen den Geschlechtern mit dem anscheinend einzig probaten Mittel zu überbrücken: intensivem, wortlosem Sex. Rund ein Jahrzehnt später hat man es sich vielerorts bereits in der fortschreitenden Durchsexualisierung und -pornografisierung gemütlich und affirmativ eingerichtet. Sexsucht gilt als neue Modekrankheit und ist zugleich das Symptom und die Diagnose dieser Entwicklung. Bravourös schonungslos schildert Steve McQueen in »Shame« (2011) die Ausweglosigkeit aus der ritualhaften Leere. Anders als in »Taxi Driver« 35 Jahre zuvor war darin kein noch so diffuser Ausbruch möglich, denn die Hauptfigur war nun mal kein antisozialer, entwurzelter Working-Class-Guy mehr, der sich nicht artikulieren kann, sondern ein angepasster und funktionierender Business-Man – so, wie man es erwartet. weitere explizite arthouse-pornos der letzten 10 jahre: Vincent Gallo »The Brown Bunny« (2003): mit einem echten Bowjob von Indie-Darling Chloe Savigny. John Cameron Mitchell »Shortbus« (2006): besetzt als einziger konträr zum Genre Realsex als positiv. Lars von Trier »Nymphomaniac« (2013): expliziter erotischer Reigen mit Charlotte Gainsbourg, ShiaLeBeouf und Uma Thurman. 021

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Im Wiener MAK steht ein Jahr lang eine von Pae Whites Installationen, die altes Handwerk zu kleinteiligen, magischen Totems arrangiert. Hatte sicher keine leichte Kindheit. 022

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golden frame — Pae White – »Orllegro«

RetroTech-Totems Die amerikanische Künstlerin Pae White schafft Objekte von Glanz und Schönheit. Sie nutzt alte Techniken, Objekte, Fundstücke, Alltägliches, setzt dies in einen zeitgemäßen Kontext und schafft dadurch neue Bedeutungsebenen. Sammeln, Umdeuten, Arrangieren. Die Installationen und Objekte der amerikanischen Künstlerin Pae White fußen oft auf Fundstücken und alten Techniken. Das Spektrum ihrer Arbeit reicht von Tapisserien über Mobiles bis Installationen. Für Letztere hat Pae White am Anfang ihrer künstlerischen Karriere schon große internationale Aufmerksamkeit erringen können. Mit den jetzt entstandenen Tapisserien, großformatigen Wandteppichen, greift White eine Kunstform auf, die eher in der alten als in der zeitgenössischen Kunst zu finden ist. Anstatt von Polyester- oder Baumwollgarnen verwendet White Metallfäden. Statt klassischer figurativer Motive finden sich computergenerierte Bilder und Versatzstücke aus dem Archiv der Künstlerin auf den großen Wandteppichen.

Es heißt, Pae Whites Arbeiten haftet etwas Magisches an. Die Objekte tragen den Glanz, die Sehnsüchte und Moden (für manchen auch den Moder) längst vergangener Zeiten. Oft greift die Künstlerin mit ihren Arbeiten alte und antiquierte Objekte auf, löst sie aus ihrem Kontext und arrangiert sie neu, ein bisschen Retro-Charme nicht ausgeschlossen. Das Spannungsverhältnis von Dingen, die sich im Lichte der Zeit verändern, ist auch in der Titelwahl ihrer aktuellen Ausstellungen offensichtlich. Eine Ausstellung (in Deutschland) hieß »In love with tomorrow«. Für ihre aktuelle Schau im Wiener MAK wurde der Titel »Orllegro« gewählt, ein Begriff, der aus der Textilindustrie der 1950er Jahre stammt und ein, wie es heißt, magisches Material bezeichnet haben soll, das ein Imitat war und damals im Geiste der Moderne die Sehnsucht auf eine künstliche Zukunft verkörperte. Es ist der Blick der Vergangenheit auf die Zukunft, der heute nostalgische Gefühle weckt. Im Wiener MAK hat die Künstlerin aus Kalifornien vor eineinhalb Jahren die Sammlung durchforstet und eine Ausstellung kuratiert. Damals wurde White in der MAK Sammlung auf für sie interessante Objekte und Formen aufmerksam, wurde fündig und schuf auch gleich neue Arbeiten, die nun gezeigt werden. Aus ihren Entdeckungen nährt sich auch die aktuelle Ausstellung. Pae White, geboren 1963, lebt und arbeitet in Los Angeles. Sie studierte am Art Center College of Design, Pasadena, was ihre Nähe zum Design erklärt, für die sie manchmal auch kritisiert wird. Whites Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen sowie auf der Biennale in Venedig, der Skulptor Projekte Münster und der Whitney Biennale gezeigt. Die Ausstellung »Orllegro« im MAK (Stubenring 5, 1010 Wien) läuft ein Jahr lang bis 12. Oktober 2014. www.mak.at

Text Erwin Uhrmann Bild Serge Hoeltschi, MAK / Katrin WiSSkirchen

Gewobene, utopische Moderne

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»Oktober November« von Götz Spielmann — Familienaufstellung im Dorfgasthof

Schöner, größer, — richtiger leben 024 Text Leonie Krachler Bild Stefan Oláh, Coop 99 / Spielmann Film

Götz Spielmann konnte mit »Revanche« nicht nur international einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen, er brachte es damit sogar zu einer Auslands-Oscar-Nominierung. Das Familiendrama »Oktober November« ist nun sein mit Spannung erwartetes Folgewerk. The Gap hat den Regisseur zum Gespräch getroffen. Wie auch bei »Revanche« liest sich die Handlung von »Oktober November« fast schon banal einfach: Zwei ungleiche Schwestern (Ursula Strauss, Nora von Waldstätten) werden durch den Herzinfarkt und den drohenden Tod des Vaters (Peter Simonischek) wieder zusammengeführt. Doch die Handlung kommt einem recht schnell zweitrangig vor. Spielmanns Zauber entfaltet sich in der atmosphärischen Tiefe des Filmes. In der Dichte und der Komplexität der Dialoge, in Blicken und subtilen Gesten, der Poesie der akribisch durchkomponierten Bilder. Der eigentliche Sinn liegt im Ungesagten und im Ungezeigten. In »Oktober November« wird nichts dem Zufall überlassen. the gap: »Ich bin, wie ich bin, aber nicht wie ich sein möchte. Aber ich habe keine Angst mehr, keine Angst, die Wahrheit zu sagen, über das, was ich weiß, was ich suche, was ich noch nicht gefunden habe.« Könnte man dieses Zitat aus Fellinis »8 ½« auch als Aussage auf Ihren Film anwenden? götz spielmann: Federico Fellini war mir früher sehr nahe und seine Werke eine Inspiration für mich. Besonders »8 ½«. Und ja, dieses Zitat ist wunderschön. Ich denke, so etwas Ähnliches – auch wenn sie

es nicht aussprechen – könnten die zwei Schwestern vielleicht am Ende der Geschichte denken oder sagen. In ihren Worten. Warum haben Sie für die von Nora von Waldstätten gespielte jüngere Schwester Sonja den Beruf der Schauspielerin gewählt? »Oktober November« ist ein suchender Film. Die Frage, die er stellt, ist die nach Identität und die lässt sich nur schlüssig untersuchen, wenn man sie in einer Geschichte anhand von verschiedenen Figuren, die verschiedene Aspekte dieser Thematik verkörpern, stellt. Ich glaube, ein Schauspieler stößt eher auf die Wichtigkeit dieser Thematik. Weil er einen künstlerischen Beruf ausübt. Künstlerische Arbeit ist immer auch eine sehr selbstreflektierende. Ich glaube aber, dass diese Frage essentiell ist und jeden Menschen prägt, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. »Oktober November« ist ein sehr realistischer Film, gleichzeitig wird die Nahtod-Erfahrung des Familienvaters ausführlich erzählt. Sind Sie ein spiritueller Mensch? Ich glaube, dass zwischen Spiritualität und Realismus kein Gegensatz besteht, sondern eine Hierarchie. Alles Realistische, alles Logische, alles kausale Denken, alle Vernunft – all das hat Platz in einer spirituellen Betrachtung des Lebens, der Existenz. Und in dem Sinne bin ich – manchmal mehr, manchmal weniger, manchmal gar nicht – auch

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die Geschichte, dass die zwei Schwestern diese Erfahrung gemeinsam machen. Da liegt auch eine große Versöhnung drinnen, da sie in dem Moment wahrscheinlich so intensiv einander liebende Geschwister sind, wie sie es schon lange nicht mehr waren. Es führt sie in gewisser Weise gemeinsam an ihren Ursprung zurück. Und das ist die große Hoffnung, mit der der Film endet. Wie kann man die Wallfahrtsgruppe interpretieren, die Sonja bei ihrer Wanderung vertreibt und die die Gaststätte danach überfallsartig in Beschlag nimmt? Die kann man glaub ich ganz verschieden interpretieren. Und das ist auch wertvoll und gut und richtig. Ich mache ja nicht deshalb Filme, ein spiritueller Mensch. Doch für dieses Nahtod-Erlebnis, da braucht es keine Spiritualität, um das zu erzählen. Das ist eine Tatsache. Tausendfach belegt und erforscht. Und es ist auch eine Tatsache, dass die Menschen, die das erleben, es als eine Art religiöse Erfahrung begreifen und es sie nachhaltig verändert. Sie sind nachher wacher, finden das Leben schöner, größer, richtiger. Sie fühlen sich freier, sind aufmerksamer gegenüber anderen und auch verantwortungsbewusster. Woran liegt das? Ich glaube, es liegt daran, dass die Angst vor dem Tod verschwindet. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Der Sterbeprozess des Vaters nimmt einen beträchtlichen Teil des Films ein, was recht ungewöhnlich ist …

Zuerst einmal eine Gegenfrage: Ist es nicht merkwürdig, dass das, was da geschieht – jemand stirbt und das braucht seine Zeit, seine Angehörigen sind bei ihm und müssen damit umgehen –, dass so etwas kaum jemals gezeigt wird, obwohl es doch etwas so Alltägliches ist? Und weiter gefragt: Ist der Tod nicht auch ein großes Mysterium, das unser Intellekt nicht wirklich … fassen kann? Und ist er nicht deswegen auch – wie zum Beispiel Liebe oder Gerechtigkeit – eines der ganz großen Themen der Kunst? Und ist es da nicht verwunderlich, wie nebenbei, wie leicht im Kino gestorben wird und wie selten das wirklich erzählt wird? Dies zu zeigen ist völlig normal und selbstverständlich. Dass das soviel Fragen aufwirft zeigt eher, dass wir in einer merkwürdigen Kultur leben. Im Film hat das natürlich eine ganz wichtige erzählerische Funktion. So etwas zu erfahren ist nicht nur schrecklich und zum Verzweifeln, sondern da steckt auch ganz viel Kraft und Wahrheit drinnen. Und das kann auch, so merkwürdig es klingt, eine große und tiefe Bereicherung sein. Es ist ganz wichtig für

weil ich meine Gedanken, Philosophien und Ideologien darin verkünden will. Erzählen ist für mich eine poetische Arbeit und der Versuch, ein Erlebnis zu schaffen. Ein Erlebnis und nicht ein Denksystem. Weil ein Erlebnis fundamental ist. Immer. Wenn wir etwas erleben, ist das fundamental. Wie wir es dann interpretieren, ist bereits sekundär. Ich will Fundamentales schaffen und nichts Sekundäres. Nora von Waldstätten musste, um sich auf ihre Wanderszene vorzubereiten, selbst auf den Berg hinaufsteigen. Quälen Sie Ihre Schauspieler manchmal? Nein, ich quäle sie überhaupt nicht. Nie. Ich verlange ihnen nicht mehr ab, als sie geben wollen oder können. Ein guter Schauspieler verlangt sich selbst sehr viel ab. Weil er eine Figur erfüllen will. Weil er komplex sein will. Weil er authentisch sein will. Ich begleite ihn dabei mit meinem Wissen und Können als Regisseur. Mit Schauspielern, die sich nicht selbst fordern, könnte ich gar nicht arbeiten. Das sind langweilige Schauspieler. Lassen Sie ihren Schauspielern Freiraum in der Gestaltung der Rollen oder wollen Sie alles vorgeben? Ich habe ein sehr präzises Ziel. Ich bin aber darin offen, wie ich es erreiche. Jeder Schauspieler kann seine Figur bereichern und damit auch irgendwie verändern. Ich versuche den Schauspielern so gerecht wie möglich zu werden und sie nicht in etwas zu zwingen, das ihnen nicht entspricht. Ja, und ich mag Schauspieler und ich liebe es, mit ihnen zu arbeiten. Ich glaube, das spüren sie auch. Diese Zuneigung und die Tatsache, dass ich sehr genau weiß, was ich da tue, sind sehr wichtig, weil es den Schauspielern Sicherheit gibt. Eine Sicherheit, in der sie erst frei werden, in der sie sich erst öffnen können. »Oktober November« startet am 8. November in den heimischen Kinos. Seine Österreich-Premiere feiert der Film im Rahmen der Viennale, die heuer von 24. Oktober bis 6. November stattfinden wird. 025

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Youki — Internationales Jugend Medien Festival 2013

Jugend im Taumel 026

Text Artemis Linhart Bild Marialy Rivas, SND Films

Rausch, Kontrolle verlieren, Grenzen ausloten sind mit dem Heranwachsen untrennbar verbunden. Ob nun von Drogen oder Alkohol induziert, von Liebe oder vom Erwachsenwerden selbst– Rausch ist oft gewollt, manchmal unentrinnbar. Und Thema des Eröffnungsfilms beim Youki in Wels. »Blokes« basiert auf einer Kurzgeschichte von Pedro Lemebel und spielt im Jahr 1986 in Chile. Er zeigt den 13-jährigen Luchito zwischen Diktatur und Sexualität. Das, worum es hier geht, ist längst nicht mehr am Aufkeimen. Sowohl Pinochets Regime als auch Luchitos heimliche Begierde ist bereits in vollem Gange. Der Teenager lebt auf engem Raum mit seiner Mutter. In seinem Häuserblock ist Privatsphäre ein Fremdwort. Für Luchito wird dadurch das Kopfkino zur persönlichen Peep-Show. Der Junge im Fenster gegenüber hat es ihm angetan. Luchito kann Stunden damit verbringen, aus dem Fenster seines kleinen Zimmers zu blicken und seinen Angebeteten zu beobachten. Das Fenster zum Hof bietet ihm die reizvolle Aussicht auf den Fußball spielenden Manuel. Der Fensterrahmen wird dabei zum Bildschirm bzw. zur Leinwand und Luchito sieht zu, als Manuel sich seinerseits im gegenüberliegenden Haus sexuell auslebt. Im Taumel der Sinne verschmelzen Bilder und Gefühle zu einer rauschhaften Collage der Ekstase. »Blokes« vergegenwärtigt retrospektiv die Bedrängnis einer Diktatur – sowohl räumlich als auch affektiv – und bebildert dabei den jugendlichen Liebesrausch, der Luchito psychisch und physisch einnimmt.

Hohe Häuser, dicke luft

Luchito wiederholt wie in Trance den Namen seines Schwarms. Seine Sehnsucht überlagert den Terror der Geschehnisse. Ohne Romantik schildert »Blokes« den Alltag jugendlichen Begehrens und ist dennoch gefühlvoll und atmosphärisch. Ein Teenagerfilm, der den Bogen zwischen Benommenheit und Verwirrung in bestmöglicher RauschManier spannt. Rausch ist das Thema des diesjährigen Medienfestivals Youki in Wels. Es verschwimmen die Grenzen der Themenkreise der vergangenen Festival-Jahre. Sowohl von den »Probierräumen« (2011), als auch von »Teenager in Love« (2012) lassen sich Rauschzustände ableiten. Jugendliche finden und erfinden sich stets neu, experimentieren und verlieren sich – in sich selbst, im Rausch der Sinne oder der Gefühle. Filmisch festgehalten wurde dieses jugendliche Ungestüm nicht zuletzt glänzend in Richard Linklaters »Dazed And Confused« (1993). Der Film inspirierte zum Untertitel des diesjährigen Festivals und ist auch Teil des kuratierten Filmprogramms abseits des Wettbewerbs. Die Regisseurin von »Blokes«, Marialy Rivas, die bereits im Vorjahr mit ihrem Langfilm »Joven y Alocada (Young And Wild)« (2012) vertreten war, ist dabei zweifellos eine der authentischsten Stimmen des gegenwärtigen Coming-of-Age-Kinos. Immer am Puls der Zeit, gelingt auch dieser Blick in die Vergangenheit als überzeugende, zeitlose Visualisierung unverfälschten Erlebens.

Als das Militär eines Nachts in die Wohnungen des Blocks einfällt und Frauen und Männer separat im Innenhof aufreiht, nimmt Luchito alles durch den Schleier der jugendlichen Ekstase wahr. Vor ihm, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, das Objekt seiner Begierde in Unterwäsche. Greifbar nah und doch so fern. Ein Annäherungsversuch wird im Keim erstickt – der Nachbarsjunge muss sich identifizieren.

Der Schwerpunkt der Youki liegt heuer auf Kurzfilmprogrammen. Der Eröffnungskurzfilm »Blokes (Blocks)« (2010) der chilenischen Regisseurin Marialy Rivas sticht dabei besonders hervor. Marialy Rivas wird beim Screening anwesend sein und bei der Youki außerdem einen Regie-Workshop leiten.

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DIESE SEITE IST TEIL MIT DEPARTURE.

#3: Tagtool

Lehrgeld Im ersten Jahr wurde viel Lehrgeld bezahlt, erzählen Markus Dorninger und Matthias Fritz im Interview. Lehrgeld, das aber für den weiteren Projektverlauf extrem wichtig war. Die Patentierung der Software kostete, ebenso jede Schleife in der Entwicklung der Software, jedes Feintuning, jeder kleine Versuchsballon. Man musste an anderen Stellen den Gürtel enger schnallen, um auf Spur zu bleiben und sich genau überlegen, wo man wie viel investieren will. Dem Projektverlauf hat das nicht geschadet, sondern genützt. Kurz vor Weihnachten 2012 war die Tagtool-App dann für knapp 40 US-Dollar erhältlich. In fünf Ländern wurde Platz 1 der Verkaufscharts und in 31 Ländern eine Positionierung in den Top 10 erreicht. Mit ihren Powerusern stehen sie im regen Kontakt, das Feedback auf Facebook lässt auf eine starke Community schließen. Dort finden sich Bilder und Videos von Werken der User, Workshops, von Konferenzen oder Details zu aktuellen Ausstellungen wie jene von Thomas »Keramik« Mock namens »The Forest«. All das trägt zur Verbreitung der Software bei und zeigt die vielfältigen Anwendungsbereiche – vom TheaterBühnenbild über Interventionen im öffentlichen Raum bis hin zum kreativen Gesellschaftsspiel.

m 2007 herum machte eine neue Form der Street-Art die Runde. Hauswände wurden mittels Beamer zu temporären Leinwänden umfunktioniert, diese mit Controller und Stift in Echtzeit bemalt und getaggt. Die Begeisterung war in vielen Kreativbereichen groß, es ließ sich sogar Geld verdienen, aber es waren auch schnell Grenzen erreicht. Bei den Wiener Entwicklern von Tagtool experimentierte man mit diesem intuitiven System für Visuals, aber ohne Geld für Developer ging und geht es nicht. Markus Dorninger und sein Team entschieden sich, einen Förderantrag bei departure einzureichen und nicht Investoren oder Business Angels ins eigene Boot zu holen, die bei Fehleinschätzungen oder negativen Kalkula- Handhabung der Zukunft tionen Tagtool die Freiheit nehmen könnten. Damit wurde zunächst Da es sich bei Tagtool doch um eine komplexere Software handelt, Grundlagenforschung betrieben. Aus 30 Interviews aus vielfältigsten mit der man innerhalb des gleichen Netzwerkes im Team Bilder zeichAnwendungsgebieten wurde ein Maßnahmenkatalog ausgearbeitet. nen und animieren kann, will das Team in Zukunft neben Tagtool Pro Man wollte einen Hardware-Controller entwerfen. Aber dann kam – natürlich samt neuen Features – eine abgespeckte, simplere Version das iPad. Plötzlich war der Controller überflüssig, das iPad einfach namens Jam als Gratis-App veröffentlichen. Damit dürften viele Leute die zukunftsträchtigere Lösung. Das Projekt wurde in Abstimmung schnell ihre Freude und auch ihr Auslangen finden. Pro für die Pros. mit departure neu ausgerichtet, auf den veränderten Markt reagiert. Von da an stand nur mehr die App im Mittelpunkt. departure SWOT-Blog Stärken, Schwächen, Chancen, Gefahren – auf englisch abgekürzt S.W.O.T. – müssen am Anfang eines großen Projekts nicht immer klar sein, aber es hilft, sie zu kennen. Wenn öffentlich gefördert wird, hilft es nicht nur, dann muss es sein. departure, die Kreativagentur der Stadt Wien, unterstützt das mit dem SWOT-Blog, der laufend beobachten wird, was aus neuen Ideen der Musikkreativen über die Jahre entsteht, was gelingt, was stirbt und daraus erwächst.

Text johannes piller Bild omai

EINER ENTGELTLICHEN KOOPERATION

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Kelela – »Cut 4 U« — Transatlantisches R’n’B-Debüt

High Tech Soul 028

Text stefan niederwieser Bild fade to mind

Kelela spielt Mikado mit R’n’B und Post-Dubstep, ganz heißkalt, vermisst den schwarzen Atlantik neu und fordert die Zukunft heraus. Was für eine Stimme. Wie Honig und Hightech. Kelela singt dabei aber eben nicht wie die anderen, mit einer Schleife hier, einem Kräuseln da und ein bisschen Glitzer, Kelela singt ohne all die üblichen Pirouetten und die Akrobatik, ihre Stimme strömt eher wie ein warmes Gas aus verchromten Schlitzen aus. Sie hat eben keine klassische R’n’B-Stimme, sie ist schlichter, dezenter, diamantener. Für das Album, ihr Debüt, offiziell ein Mixtape, vielleicht weil es gratis ist, das macht aber keinen Unterschied, ist das klar ein Vorteil. Sie drängt sich nicht ganz in den Vordergrund, aber sie trägt das Album, gibt ihm seine Stofflichkeit. Ohne Kelelas Stimme wären es nur ein paar kühle, nebelige Tracks von beiden Seiten des Atlantiks, wie man sie nun schon seit ein oder zwei Jahren kennt. Aber Kelela bringt auf den Punkt, was andere bisher noch nicht richtig bündeln konnten mit ihren Stimmen aus digitalen Sample-Banken, die sie geschnitten, verschliffen und oft raffiniert arrangiert hatten. »Cut 4 Me« aber ist eine Klimax des High Tech Soul.

Zurück in die Zukunft Trennung und Drama, das sind klassische Themen im R’n’B, sie sind es auch hier. Die Songs selbst mäandern, haben kaum klassische Refrains, sind wie kühle Kammern, in denen der Schmerz konserviert wird. Die Musik stottert, sie groovt nicht, wirkt oft fast schwerelos, in ihr ist – so wie in einem der großen Filme dieses Kinoherbsts, dem kunstvollen Katastrophenfilm »Gravity« – die Orientierung weitgehend verloren gegangen, Gewissheiten gelten nicht mehr und das Herz ist ein bisschen schwer geworden. Musik wird ja in ihren besten

Momenten zu mehr als nur ein paar hübschen oder traurigen Songs. Auch »Cut 4 Me« richtet den Blick nach innen und spiegelt die Welt da draußen. Liebe allein ist nicht genug, Kelela weiß, sie hat die Zukunft gesehen und sie ist vorbei, das singt sie über flüchtigen Beats. Auf dem großartigen »Enemy« wummern Bässe und schnalzen synkopische Rhythmusimpulse wie zu allerbesten Grime-Zeiten. Es geht um mehr als nur ein bisschen Gefühlstotschlag: »I need someone who gives a fuck.« Es ist ein bisschen therapeutisch, was Kelela da singt.

Trans-Atlantik-Wolke Dabei kommt das Debüt fast aus dem Nichts, nur bei Daedalus und Teengirl Fantasy war Kelela bisher kurz zu hören. Bei Letzteren sorgte sie für den besten Track am Album, über sie kam auch der Kontakt mit den verschwisterten Labels Night Slugs in England (Girl Unit, BokBok) und Fade To Mind in den USA (Fatima Al Qadiri, Nguzunguzu) zustande. Quer über den Atlantik ist dort in den letzten Jahren ein Kollektiv entstanden, das sich via Soundclouds und Dropboxes gegenseitig befruchtet, das rund um Schlüsselsounds wie zerbrochenem Glas, glänzendem Chrom und splitterndem Metall an neuen, hybriden Beats forscht, aus dem Erbe der schwarzen Diaspora heraus. Früher hätte man sie futuristisch genannt. Aber eigentlich sind sie dafür viel zu bedrohlich und zu dunkel. Derselbe Futurismus hallt auch noch im Artwork des Albums nach, das ganz unironisch aus dem Müll des jungen, digitalen Zeitalters etwas Neues macht. Zeit wird’s.

»Cut 4 Me« von Kelela ist bereits via Fade To Mind erschienen.

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V V Brown – »Samson And Delilah« — Düsteres Konzeptalbum als Wiedergeburt

Alte Zöpfe abschneiden 029 Die Britin V V Brown hat um die biblische Geschichte von Samson und Delilah herum ein düsteres, wunderschönes Konzeptalbum voller Elektro-Pop-Perlen gestrickt. Um dorthin zu kommen, musste sie aber erstmal alles hinwerfen. Sag alles ab Eigentlich gilt in der Musikindustrie die goldene Regel, dass Künstler ihren Stil erst mit dem dritten Album ändern dürfen. Erst dann gilt die Marke als stark genug, dass die Fans den Schritt auch mitmachen. V V Brown hätte sich diesem Dogma vor drei Jahren beinah gebeugt. Damals stand ihr zweites Album »Lollipops & Politics« in den Startlöchern, als sie überraschend alles hinwarf. Sie verließ Capitol Records, machte ein bisschen in Mode und sperrte sich später in ihr KellerStudio ein. V V Brown bezeichnet das heute als den richtigen Schritt. Sie hängte ihre Karriere an den Nagel, um Freiheit zu gewinnen. »I wanna say everything that I’ve got, I haven’t got a thing to lose«, singt sie in »Knife«. V V Brown schnitt alte Zöpfe ab, und ermöglichte sich so selbst eine Rückkehr mit Würde. Das hat sie übrigens mit Samson gemeinsam, dessen Geschichte auch nicht mit der Blendung zu Ende ist. Sein Haar wächst nach, und er begibt sich auf einen letzten, triumphalen Feldzug, auf dem er mit sich und seinen Fehlern ins Reine kommt. Und so erzählt auch V V Brown auf »Samson And Delilah« eben nicht nur die biblische Geschichte von einem Israeliten, der sich in eine Philisterin verliebte. Und auch nicht nur auf einer Meta-Ebene die Geschichte von tragischer Liebe für den falschen Menschen, die einen ins Verderben reißt. Sondern auch ihre ganz eigene. Die Geschichte der 25-jährigen Vanessa Brown, die sich den Verlockungen der Musikindustrie hingibt und fast an ihnen zerbricht. Aber jetzt stärker denn je zurückkommt. V V Brown »Samson And Delilah« ist bereits via YOY Records erschienen.

Text jonas vogt Bild y0y

Die Geschichte von Samson und Delilah ist, was popkulturelle Rezeption angeht, eine der beliebtesten Geschichten der Bibel. Das ist auch nicht verwunderlich, handelt sie doch überwiegend von Sex, Gewalt und Verrat. Für die nicht ganz Bibelfesten: Samson war ein Israelite mit übermenschlichen Kräften, der sich in die hübsche Delilah vom feindlichen Stamm der Philister verliebte. Delilah schaffte es nach einigen Mühen, Samson das Geheimnis seiner Kraft zu entlocken – es war sein Haar. Sie schnitt es ihm im Schlaf ab, woraufhin der Krieger besiegt und geblendet wurde. Die britische Sängerin V V Brown hat um diese Geschichte herum ein leicht sperriges, düsteres, wunderschönes Konzeptalbum gestrickt. Es klingt überhaupt nicht mehr nach dem sonnigen Soul-Pop ihres Debüts »Travelling Like The Light« und dem Hit »Shark In The Water«. Es ist Elektro-Pop der dunklen, geheimnisvollen Sorte, der den Kopf genauso bedient wie den Bauch. Leicht arty und unterkühlt. »Samson And Delilah« riecht konsequent nach den 80ern und klingt nach Depeche Mode, Santigold, The Knife. Und hat mit »Substitute For Love« einen der schönsten, zartesten Opener des Jahres. V V Brown singt von Stärke, Schwäche, Liebe, aber auch Macht. Und was diese Dinge miteinander zu tun haben. Es geht um den tiefen Fall, aber auch um die Wiedergeburt. Böse Zungen könnten das verkopft nennen, aber dazu hat das Ganze zum Glück zuviel Gefühl. V V Brown hat einfach viel nachgedacht, und im Herbst 2013 darf man das auch. Das Konzeptalbum gilt wieder als legitime Kunstform. Zuletzt entwarf Machinedrum auf »Vapor City« eine ähnlich lebendige Stadt mit unterschiedlichen Bezirken.

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Gustav & I-Wolf — Musik aus der Subkultur an österreichischen Bühnen

Theater goes Pop 030 Wenn Musiker ans Theater gehen, sind es nicht nur die Toten Hosen, die an der Burg ein Konzert spielen. Die wenigsten aber inszenieren dort selbst wie Schorsch Kamerun. Die meisten machen einfach nur Musik – viele lässt das Theater dann nicht mehr los. Ende November lässt Eva Jantschitsch wieder die Puppen tanzen. Genauer gesagt werden die Wiener Praterkasperl die Puppen von Gerhard Haderer zu den Stimmen von Maschek und zur Musik von Eva Jantschitsch, auch bekannt unter ihrem Alias Gustav, tanzen lassen. »Bye-Bye, Österreich!« heißt der Abend im Wiener Rabenhoftheater, der alles andere als einen Erstkontakt mit der Bühne darstellt. Das Theater war viel mehr einer der Gründe für ihren Umzug nach Wien: »Ich habe zwei, drei Jahre zuerst bei freien Gruppen hospitiert und später Regieassistenz gemacht. Als ich dann visuelle Medienkunst studiert habe, hatte ich jahrelang nichts damit zu tun.« Im Zuge ihrer Soundarbeiten ist sie dann als Musikerin und Komponistin wieder am Theater gelandet. In »Der Alpenkönig und der Menschenfeind« an der Burg spielt sie nicht nur selbst, sondern dirigiert auch acht Musiker. »Es gibt aber auch Produktionen, wo es nicht notwendig ist, ständig vor Ort zu sein und man Playbacks autonom erarbeitet, erst zur letzten Probephase einfliegt und nach der Premiere wieder nach Haus fährt«, führt sie das Spektrum ihrer Arbeit am Theater aus. Für Sofa Surfer und I-Wolf Wolfgang Schlögl, war es gerade die Aussicht, nicht mehr ständig herumfliegen zu müssen, die ihn an die Bühne lockte: »Meine Tochter war damals sieben Monate alt und ich kam gerade von einer zweimonatigen Tour zurück. Da hat mich die Kleine drei, vier Tage lang nicht erkannt. Das war sicher so ein Initialmoment, wo man als junger Vater beginnt nachzudenken: Willst du irgendwelchen diffusen Welteroberungsplänen nachhängen oder willst du beim Aufwachsen deines Kindes dabei sein?« Wolfgang Schlögl erzählt, dass er ohne diese Engagements am Theater wohl ohnehin die Popmusik mit einem seriösen Job hätte eintauschen müssen, um samt Familie über die Runden zu kommen. So wie ihm geht es einigen. Das Theater ist in Österreich für Musiker ein zweiter Karriereweg. Extrem viele kommen dort zwar nicht unter, aber doch zu viele, um es als Möglichkeit zu ignorieren.

ausspuckt. Meist etwas mitgenommen. Weder Endproben-Stress noch Premierenapplaus, Premierenfeier oder der langsame Stress-Abbau nachher gehen spurlos an einem vorüber. Das ist wohl eine der wenigen sich regelmäßig wiederholenden Dynamiken im Theaterbetrieb. Dass Musiker aus dem Pop-Umfeld am Theater andocken, ist nicht neu. Ein Trend zwar, wie Eva Jantschitsch meint, aber einer, der bereits in 70ern begonnen habe, unter anderem mit den Einstürzenden Neubauten. Eva Jantschitsch und Wolfgang Schlögl befinden sich als Musiker am Theater auch in namhafter Gesellschaft: 1000Robota, Chicks On Speed, Die Goldenen Zitronen, Hans Platzgumer, Kante oder Mouse On Mars, um nur einige zu nennen. Ob es sich bei solchen Engagements bloß um Promotion-Vehikel handelt, lässt sich nicht nur an der Qualität der Arbeiten erkennen, sondern auch daran, ob sich eine fortgesetzte Zusammenarbeit ergibt oder nicht. Es ist zudem ein Indiz dafür, dass Hoch- und Subkultur schon länger durchlässig sind und sich immer wieder Anknüpfungspunkte ergeben: Eben Menschen, die unabhängig von ihrer Szene neugierig aufeinander sind. »Man darf ja nicht vergessen, Intendanten sind nicht immer nur alte, grauhaarige Männer mit dicken Bäuchen, sondern wollen in ihren

zweiter karriereweg Natürlich ist Geld nicht der einzige Grund, um am Theater anzuheuern. Die Engagements sind nicht per se gut dotiert. Gagen variieren ja nach Haus und Produktion. Gerade bei freien Bühnen lässt sich mit Theater allein oft kein Lebensunterhalt bestreiten. Doch auch dort, wo finanzielle Anreize gering oder nicht vorhanden sind, schlägt die Arbeit am Theater Musiker in ihren Bann. Eva Jantschitsch beschreibt es so: »Es ist ein wabernder Zustand, in dem man sich permanent gegenseitig befruchten kann.« Wolfgang Schlögl: »Ich finde es einfach sehr spannend, Teil einer größeren Maschinerie, die eben aus Bühnenbild, Dramaturgen, Ausstattern, Regisseur und Schauspielern besteht, zu sein, um eine Geschichte zu erzählen. Das Theater als Maschine, die Arbeit dort wie auf einer Bohrinsel«. So beschreibt er die vier Monate Proben zu Matthias Hartmanns Tolstoi-Adaption von »Krieg und Frieden«. Gerade in arbeitsintensiven Endprobenphasen wird das Theater immer mehr zur primären Lebenswelt. Das Theater wird zum Wal, der seine Protagonisten erst am Premierenabend wieder 030

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Elektronikoper zu den Christine Nöstlinger-Gedichten »Iba de gaunz oamen Leit« mit Wolfgang Schlögl, Gerald Votava, Ingrid Burkhard, Christian Dolezal und Ursula Strauss am Rabenhof.

Pop goes Theater – Die letzten 5 Jahre Ernst Molden »Häuserl am Oasch« – Rabenhoftheater, 2010 »Hafen Wien« – Rabenhof, 2013 Peter Rehberg (Pita) »Showroom Dummies 2« – Le Quartz, Brest (F), 2009 »This Is How You Will Disappear« – Festival d‘Avignon (F), 2010 »Soft Target« – Reykjavik Dance Festival (IS) , 2010 »Variations On Closer« – Reykjavik Dance Festival (IS), 2012 »Showroom Dummies 3« for Ballet de Lorraine – Opera de Nancy (F), 2013 »The Pyre« – Centre Pompidou, Paris (F), 2013 Christian Fennesz (Fennesz) »On Invisible Pause« - Skane Dansteater, Malmö, 2011 »Phoenix« – Biennale Zagreb, 2011 »Three Spells« - Cherkaoui Frankfurt, 2011

Tarkovsky Bis Nestroy Arbeit am Theater ist immer Arbeit am Text. Für Musiker heißt das, in Zusammenarbeit mit der Regie ihre Interpretation zu erstellen. In letzter Konsequenz eben: Welcher Sound passt zu welcher Passage, welche Ästhetik zu welchem Stück? »Beim Tarkovsky-Abend in Basel arbeite ich mit der Lüftung und mach daraus einen psychoakustischen Soundtrack. Der passt für das Stück. Für Nestroy eher nicht«, erklärt Wolfgang Schlögl. Genau wie im Film schaffen Musik und Sound auch im Theater den Kontext, in dem Handlung vorangetragen, Emotionen verhandelt werden. Genau wie im Film ist Klang äußerst effektiv, um Emotionen zu führen. »Man kann direkt durch die musikalische Reaktion einen großen Einfluss auf Inhalte und ihre Rezeption ausüben. Musik relativiert Wahrnehmungszustände, verändert diese und nimmt immer darauf Einfluss«, sagt Martin Siewert, Gitarrist der Band Radian. Oft ist er dabei nicht bloß Theatermusiker, sondern Performer. Es gehe ihm vor allem um »improvisationsinduzierte Szenarien abseits der normalen musikalischen Komposition.« Dadurch rückt die Musik näher an das Geschehen auf der Bühne, ist weniger akustischer Hintergrund. Das spontane Zusammenspiel würde sich aber noch immer grundlegend von einer Konzertsituation unterscheiden. Im klassischen Theaterbetrieb bleibt diese Freiheit, Spielsituationen und Grenzen ausloten, meist nur den Schauspielern vorbehalten. »Es geht nicht so sehr darum, sich künstlerisch auszuleben. Meine Bühnenpersönlichkeit ist da nicht gefragt, sondern letzten Endes vor allem mein handwerkliches Geschick«, erzählt Eva Jantschitsch. Es gelte, die Visionen der Regie umzusetzen. Reibungsflächen sind da, Theater ist immer auch ein Kompromiss. Einer, mit dem sich leben und arbeiten lässt.

Hannes Wirth (A Life A Song A Cigarette, Ernst Molden Band) »Hafen Wien« – Rabenhoftheater, 2013 »Häuserl am Oasch« – Rabenhoftheater, 2010 Stephan Stanzel mit Ernst Molden (Nowhere Train) »Weniger Notfälle« – Burgtheater, 2006 Jakob Kubizek (Nowhere Train, Love & Fist) »FM4 Ombudsmann Dienstreise« – Rabenhoftheater, 2012 Stefan Deisenberger (Nowhere Train, Love & Fist) »Faust« – Theater K.l.a.s. am Heunberg Kärnten, 2000 Markus Kienzl, Michael Holzgruber, Wolfgang Schlögl und Wolfgang Frisch (Sofa Surfers) »Kleiner Mann, was nun« – Volkstheater, 2013 »Lumpazivagabundus« – Theater in der Josefstadt, 2011 Bernhard Fleischmann »Oedipus der Tyrann« – Theater Chemnitz, 2013 Franz Adrian Wenzl (Austrofred) Du kannst dir deine Zauberflöte in den Oasch schieben - Rabenhoftheater, 2010 Didi Bruckmayr w/ Sigi Aigner (Fuckhead, Wipeout) I Furiosi – Rabenhof, 2008 The History Of Sexuality – Tanzquartier Wien, 2011

Eva Jantschitsch spielt aktuell in »Der Alpenkönig und der Menschenfeind« am Burgtheater und ist ab 27. November mit »Bye-bye, Österreich!« am Rabenhoftheater zu hören. Wolfgang Schlögl spielt zurzeit in »Krieg und Frieden« am Burgtheater, in »Speed« am Theater in der Josefstadt und in »Kleiner Mann – was nun?« (mit den Sofa Surfers) am Volkstheater Wien.

Text werner sturmberger Bild reinhard werner, rabenhof / ingo pertramer

Theatern auch eine gewisse Lebensrealität gespiegelt sehen. Dazu holt man sich natürlich auch immer Leute in diese Tempel und diese Museen, die abseits dieser Parallelwelt leben«, so Gustav.

Marlene Lacherstorfer (Velojet, Alma) »Hafen Wien« – Rabenhoftheater, 2013 »Häuserl am Oasch« – Rabenhoftheater, 2010

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Wer hier »Fick die Polizei« liest, vertraut seinem Gehirn, das Muster ergänzt. Das Sujet von Ingo Pertramer hat bereits für einige Aufregung gesorgt.

Martin Puntigam – »Supererde« — Der MC der Science Busters über den Neubeginn der Menschheit

»Wenn ich endlich bestimmen kann, wird alles gut!« Martin Puntigam präsentiert ab Mitte November sein neues Programm »Supererde«. Ein neuer Planet will gefunden und bewohnt werden, damit endlich alles gut wird.

INTERVIEW Manfred Gram, Martin Mühl Bild Ingo Pertramer

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the gap: Kannst du einen kurzen Einblick geben, worum es im neuen Programm »Supererde« geht? Die Vergreisung des Abendlandes wird von Katzenjammer begleitet: Es wollen zwar alle seit jeher nur das Beste, aber es wird offenbar immer schlimmer. Das Klima verändert sich, in den Meeren wohnen immer weniger Fische, viele Rohstoffe gehen zur Neige, die Kriege werden nicht weniger, die Menschen dafür immer mehr, die Schulden steigen überall, Tiere soll man nicht mehr essen dürfen und der Primat der weißen Rasse geht auch zur Neige. Wie soll man da Gerechtigkeit herstellen unter Beibehaltung der Herrschaftsverhältnisse? Das kann niemand verlangen. Wie gut, dass seit Anfang der 90er Jahre Supererden entdeckt worden sind, Planeten, die um andere Sterne kreisen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Supererde dabei ist, auf der Leben möglich sein könnte, ist groß, und der Protagonist meines neuen Solos bereitet sich genau auf die Auswanderung dorthin vor. Wo noch alles frisch und neu und unverdorben ist. Eine Reise ins Glück mithin. Hat das etwas mit der Forderung nach dem Anthropozän zu tun? Anthropozän ist ja mehr ein Kampfbegriff als eine Forderung. Die Menschen haben allerdings den Planeten Erde in den letzten Jahrtausenden tatsächlich sehr erfolgreich bewirtschaftet, möglicherweise aber langfristig nicht nur zu ihrem eigenen Vorteil. Der Erde selber wird das im Weiteren jedoch letztlich herzlich egal sein, davon können wir getrost ausgehen, und einen Weltuntergang, unter anderem das Geschäftsziel praktisch aller Religionen, die die Menschen erfunden haben, bringt die Menschheit bei aller Gier und Ausbeutung nicht einmal im Spaß zusammen. Dafür reicht es bei Weitem nicht. Ein neuer Planet, alte Menschen – wie hoch ist deines Erachtens die Wahrscheinlichkeit, dass auch ein neuer Versuch scheitert? Wenn ich hinfliege und endlich bestimmen kann, wo es lang geht, dann wird alles gut. Das ist zumindest die Vorstellung des Ich-Erzählers von »Supererde«. Es gibt viele heilige Bücher, es gibt viele gut abgehangene Gesetze und Moralvorstellungen, wenn man die behutsam remixt, sollte doch eine bessere Welt möglich sein. Mit Bestimmtheit wissen werden wir es aber erst dann, wenn ich gelandet bin und die Herrschaft installiert habe. Wann setzt es bei dir aus und was lässt dich an der Menschheit verzweifeln, was gibt dann doch vielleicht wieder Hoffnung? Ich habe bestenfalls eine normale Lebenserwartung für europäische Männer zu erwarten, das heißt nach 44 absolvierten Jahren bleiben mir statistisch noch 31,5. Das ist eindeutig zu wenig Zeit, um sie damit zu verbringen, an der Menschheit zu verzweifeln. Das sollen andere machen. Ich gehe davon aus, dass die Menschen auch weiterhin das tun, was sie in den letzten Millionen Jahren hervorragend gemacht haben, nämlich überleben. Wie viele, weiß man natürlich nicht, aber mehr Hoffnung hat es genau genommen nie gegeben. Kabarett ist in Österreich oft kritisch und gern mit politischer Agenda. Hat dein Programm eine Botschaft? Naja, so kritisch ist das Kabarett in Österreich gar nicht, wenn man genauer hinschaut. In der Regel ist es eine Zierleiste bürgerlicher Kultur, und, wenn über Politik geschimpft wird, in der Regel eine Ergänzung des Bestehenden. Selbstverständlich hatten alle meine Programme seit jeher eine Botschaft, sie lautet ungebrochen: »Liebes Publikum, kaufen Sie sich um Ihr Geld eine Eintrittskarte für mich und nicht ein neues Telefon oder einen Cluburlaub. Ich habe mich sehr bemüht, und wenn alle ordentlich mittun, dann wird die gemeinsam verbrachte Lebenszeit nicht vergeudet sein.« Wer mehr Botschaft verlangt, darf sich nicht wundern, unbescheiden genannt zu werden. Was hat das Plakat, in dem du vor einer Wand mit »Fick die Polizei«, Partyhut und Feuerwerksrakete im Anus mit dem aktuellen Programm jetzt genau zu tun? Wenn man genau hinschaut, dann steht erstens überhaupt nicht

»Fick die Polizei« auf dem Plakat, das liest nur der, dessen Gehirn das Muster so vervollständigt, und zweitens ist überhaupt nicht erkennbar, ob die Rakete den Enddarm tatsächlich genetzt hat. Und damit ist der Zusammenhang mit dem Programm auch schon klar: gut gelaunt genau hinschauen, lieber einmal mehr überlegen, dann können wir dem Leben furchtlos gegenübertreten und es krachen lassen. Steckt die Rakete jetzt im Rektum, oder nicht? Für diese Frage bin ich dankbar und möchte der Bevölkerung auf diesem Wege zurufen: Silvester steht vor der Türe, Raketen werde bald wieder leicht erhältlich sein, probieren Sie es einfach aus, denn nur wo man zu Fuß war, war man wirklich! In deinem Programm kommt auch Felix Baumgartner eine Rolle zu. Ihr tauscht die Köpfe. Du kriegst also seinen Körper und springst aus der Stratosphäre … Von der Grundidee, nämlich zu behaupten, der Protagonist sei aus 39 km Höhe gesprungen, und Felix Baumgartner nur das Fotomodell des Events, ist nicht viel mehr geblieben als die Überlegung, ob man eine Reise, die mehrere Lichtjahre dauert, dadurch überleben kann, indem man seinen Kopf regelmäßig auf einen neuen Körper verpflanzt. Was medizinisch zwar sehr kompliziert, aber theoretisch machbar ist. Hätte ich den ursprünglichen Gedanken weiter verfolgt, müsste ich mich jetzt eher fragen, ob ein Sixpack am Rumpf ein guter Tausch ist, wenn ich dafür Kinder zu ohrfeigen auf einmal lässig finden muss. »Mens sana in corpore sano« ist übrigens keine Feststellung, sondern ein Wunsch, und zwar, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnen möge, damit es ihn nämlich möglichst lange gibt. Das wird gern missverstanden. Mit den Science Busters erhältst du Ende November den österreichischen Kabarettpreis – wie geht es mit dem Format im TV weiter? Die Verhandlungen für eine mögliche Fortführung sind am Laufen und alle Beteiligten bemühen sich sehr, was keine schlechte Nachricht ist. Resultat lässt sich aber noch keines verlauten. Wisst ihr eigentlich von irgendwelchen Nachahmern, von anderen Wissenschaftlern, die versuchen, auf Bühne lustig zu sein? Hier vermähle ich sehr gerne wissenschaftliche Exaktheit mit unverblümter Eitelkeit und stelle richtig: wir versuchen nicht nur lustig zu sein, wir schaffen es sehr oft auch. Und wir waren beileibe nicht die Ersten, die das versucht haben. Vor allem im angelsächsischen und US-amerikanischen Raum gibt es jede Menge Menschen mit Humor, die sich für Wissenschaft interessieren und das auch zum Ausdruck bringen können. Außerhalb von Österreich sind Naturwissenschaften nämlich nicht so unbeliebt wie bei uns, und man findet deutlich weniger Menschen, die auch noch stolz darauf sind, dass sie in der Schule in Physik, Chemie oder Mathematik Nieten waren. Man erzählt sich, dass Leute, die nur die Science Busters kennen, bei deinen Solo-Programmen immer wieder spontan den Saal verlassen. Beeinflusst das, wie du neue Programme schreibst? Etwa, in dem du die Menschen schnell rausspielen oder doch halten willst? Das ist eine Urban Legend, die neben dem Huhn mit Gipsbein wohnt und sich mit der Spinne in der Yuccapalme eine Wohnung teilt. Natürlich kann es passieren, dass ab und zu wer vorzeitig marschiert, aber Plan ist das keiner. Der Plan lautet vielmehr, immer möglichst schlau und witzig zu sein, sodass niemand in Versuchung gerät. Ich freue mich über alle Besucherinnen und Besucher und möchte auch, dass sie (gefälligst) bis zum Schluss bleiben, denn für wen mache ich das alles denn? Doch nicht für mich! Martin Puntigam präsentiert »Supererde« am 12. und 16. November im Wiener Stadtsaal und am 14., 15. und von 21. bis 30. November im Niedermair. Am 6. und 7. Dezember findet in der Wiener Stadthalle »Science Busters XXL« statt. Alle Termine und mehr Infos unter www.puntigam.at 033

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Glam! The Performance of Style — Ausstellung im Lentos Kunstmuseum

(Nicht) Alle Wege führen zu Lady Gaga 034

Text Peter Schernhuber Bild Karl Stöcker, Ulay

Tanzen und singen, während um einen herum alles brennt: Das Linzer Lentos widmet Glam eine Ausstellung. Sie bietet weitaus mehr als das verstaubte Erbe von David Bowie und Roxy Music und vermeidet zu simple Schlüsse.

Bryan Ferry, ehemaliger Sänger von Roxy Music. Glam Rock von Kopf bis Schuh.

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Auch Glam: Ulay »sHe« (1973)

Die Beatles wären sicher nie nackt auf einer Abrissbirne geritten. Und doch haben sich bereits die relativ unschuldigen Pilzköpfe zu einem guten Teil über den Sex verkauft. Ob Justin Bieber‘sche Jungmädchenträume oder viel nackte Haut – Pop und Sexyness bilden seit jeher ein untrennbares Gespann. Das Lentos Kunstmuseum in Linz bringt jetzt eine große Ausstellung über Glam Rock. Ja, genau: Glam oder Glitter Rock. Diese funkelnde und schillernde Phase des Pop, in der Sex und Glamour maximaler waren als je zuvor. Allerdings ist das Maximum einer Parabel auch ihr Scheitelpunkt, wie Mathematiker und Trendforscher wissen. Pop muss überdrehen und überzeichnen, erzeugt aber eben auch Gegenreaktionen. Glam Rock wurde ebenso intensiv gefeiert wie gehasst. In der Popkultur selbst haben Künstler wie Gossip, Lady Gaga und Co. das Erbe der Glam-Ära angetreten. Als Zitat taucht er aber an allen Ecken und Enden auf – und wenn es nur das Konterfei von David Bowie auf Modeartikeln ist. Grund genug also für eine Retrospektive. Auch, um der Beliebigkeit einen Riegel vorzuschieben: Es ist einfach, von Glam eine direkte Linie zu Lady Gaga zu ziehen oder so zu tun, als habe Ziggy Stardust die Queer-Theorie erst ermöglicht – zu simpel. Glam führt nicht automatisch zu Warhol, Foucault oder Butler, sondern genauso zu Slade – also »schlimmer Schunkelmusik auf glitzernden Plateauschuhen«, wie es die Kollegen vom Skug treffend ausgedrückt haben. Vorsicht ist also geboten. Auch im Lentos begnügt man sich nicht mit einfacher Welterklärung und denkt generell über Kulturwaren ebenso nach wie über die Geschichte des Genres.

Pop im Museum Im Museumsbetrieb hat man die Attraktivität von Pop längst erkannt: Breitenwirksam verschaffte David Bowie diesen Sommer dem Victoria and Albert Museum in London Rekorde. Das Thema Bowie und die sozialen Unruhen in Großbritannien während seiner »Ziggy Stardust«-Tour besetzten auch einen Raum im britischen BiennalePavillon in Venedig. »Schere - Stein - Papier« überschrieb das Kunsthaus Graz 2009 eine Ausstellung, die Popmusik als Gegenstand bildender Kunst verhandelte. Ebenfalls 2009 setzte auch das Lentos mit »See this Sound« eine Ausstellung aufs Programm, die an der Scharnier zwischen bildender Kunst, Musik und Film Pop musealisierte. Dem Museum als Ort für Popgeschichtsschreibung begegnete man lange mit Skepsis. Für all jene, für die Glam mehr ist als Roxy Musics »More Than This« und eine Best-Of-Bowie-Platte, verspricht der differenzierte Blick im Lentos erhellende Momente. Die Werke, Begleittexte und ergänzenden Vorträge leuchten Glam in seinen Facetten aus: Kunst, Mode, Lifestyle und Musik. Glam ist Bild und Ton, Fernsehen und Plattencover, Haare und Schminke, alles zugleich. Es macht die Barrieren zwischen Hochkultur und Unterschicht durchlässig. In der Ausstellung wird dabei nicht nur beliebig zitiert, sondern die Aktualitätsfrage gestellt. Es genügt ein Blick in den Gegenwartspop, von Sofia Coppolas »The Bling Ring« über Lana del Rey, Of Montreal, die AvantPop-Huldigungen von Sonic Youth sowie ihre späte Begeisterung für Bryan Ferry und Roxy Music. Die Kuratoren würdigen die mit Glam einhergehenden Errungenschaften für den Bereich der Kunst deshalb auch völlig zu Recht. Auch wenn man sie im Jahr Fünf der Krise sicher als falsches Signal kritisieren kann. Aber nicht so schnell.

Das bunte, queere Orchester der Titanic Glam war Lifestyle-Phänomen und Geisteshaltung, ein Stilphänomen der 70er Jahre, das zugleich aber nicht von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entkoppelt war. Im Guten wie im Schlechten. 1967 wurde Homosexualität in Großbritannien entkriminalisiert. Nun konnten Glam-Rock-Stars wie David Bowie offen mit Geschlechteridentitäten spielen. Dieses Anliegen spiegelt sich auch im Begriff Glam Rock wieder: Glam übernimmt den als hart und gegen das Establishment gerichteten Genre-Begriff Rock. Vom zumeist männlich polternden Authentizitätsdogma verabschiedet man sich aber. Glam Rock ist also auch ein Ort, an dem gesellschaftliche Normen und Zuschreibungen spielerisch umgangen werden. Außerhalb der Bühne und der Plattencover war das Leben alles andere als glamourös. Ziggy Stardust & Co. waren auch das bunte, queere Orchester der Titanic. Mit Opulenz, Glamour und Künstlichkeit fanden sich die Akteure, ob anfangs in UK oder später auch in den USA, im »Grand Hotel Abgrund« ein. Der bitteren gesellschaftlichen Wirklichkeit stellten Künstler wie David Bowie, Brian Eno, Gilbert & George und viele andere, die in der Ausstellung bedacht werden, eine Welt der Künstlichkeit gegenüber. »Tanzen und singen, während Rom brennt« betitelt daher Alwyn W. Turner auch sein Essay über die politischen Implikationen von Glam im erhellenden Katalog zur Schau. Im Film »Reel« (1973) stellt Derek Boshier Darstellungen von Glam und Mode mit Aufnahmen gegenüber, die den Aufstieg der Rechtsextremen in Großbritannien zeigen und wirft damit auch den Widerspruch zwischen sozialem und wirtschaftlichem Wandel und der Populärkultur auf.

Den historischen Kontext wiederherstellen Kurator Darren Pih hat das ganze Prisma von Glam in neun Kapiteln festgemacht. Roter Faden ist der Paradigmenwechsel zwischen E- und U-Kultur, aber auch die Rolle von Glam »als Fortführung der Agenda der Avantgarde mit neuen Mitteln«.Wenn Pop sich der Geschichte entledigt und Objekte aus dem historischen Kontext reißt, ist es ein Verdienst von Ausstellungen wie Glam, diesen wieder herzustellen. Die Ausstellung kann auch als Möglichkeit dienen, Popgeschichte und ihr postmodernes Zurechtrücken gegen den Strich zu bürsten. Und auch der Lady-Gaga-Universalverweis auf die Frage, was das mit dem Gegenwartspop zu tun hat, lässt sich dann neu bewerten. »Glam! – The Performance of Style« läuft von 19. Oktober 2012 bis 2. Februar 2013 im Lentos Linz. Zuvor wurde die Schau bereits in der Tate Liverpool und der Schirn Kunsthalle in Frankfurt gezeigt. 035

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Buchmarkt Österreich — To Krise oder Not To Krise?

Dieses Buch ist vergriffen und wird nicht mehr nachgedruckt Es rumort in der Buchbranche: Zuerst haben große Ketten kleine Buchhandlungen verdrängt. Jetzt setzt Amazon dem stationären Buchhandel und den Verlagen mit dem Autorenselbstvermarktungsprogramm Kindle Direct Publishing zu. Und das E-Book wird den Rest erledigen. So lautet zumindest die gängige These. Geht’s dem Buch schlecht? Eine Bestandsaufnahme.

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In die Nische ducken Unbeeindruckt von alldem zeigt sich Anna Jeller, Inhaberin der gleichnamigen Buchhandlung in der Wiener Innenstadt. Seit 1985 führt sie die seit 1947 bestehende kleine Buchhandlung mit dem Schwerpunkt Belletristik. Das Geschäft läuft »bestens«, der Umsatz steigt. Wer professionell arbeitet und Nischen besetzen kann, merkt auch nichts von einem raueren Gegenwind, so Jeller. Statt eines Online-Shops gibt es auf der Homepage ausgewählte Buchtipps. Bei ihr kann man auch keinen E-Reader kaufen. Der Trend zum E-Book »existiert zweifelsohne«, sie bemerkt in ihrer Buchhandlung aber nichts davon und sieht ihn auch künftig nicht als Bedrohung. Und der unlängst entstandene Wirbel um die miserablen Arbeitsbedingungen bei Amazon ist gut für ihr Geschäft.

Wer überleben will, muss kreativ sein Ein paar Zahlen: In drei der letzten vier Jahre erwirtschaftete der österreichische Buchhandel Umsatzsteigerungen – bloß 2011 gab es ein Minus. Die Zahl der Buchhandlungen lag 2010 bei 1.160 (Tendenz leicht fallend, aktuelle Zahlen gibt es keine). 2012 gab es 1.490 Verlage (Tendenz steigend) und laut Zählung der Statistik Austria 9.533 Buchneuerscheinungen in Österreich – so viele wie seit Jahren nicht. Klingt alles in allem nicht schlecht. Doch die Digitalisierung schreitet voran: Verkauften 2010 17 % der für eine Studie untersuchten heimischen Verlage E-Books, waren es 2011 bereits 32,2 %. Auch die Zahl der E-Book-Veröffentlichungen und der Umsatz – meistens auf bescheidenem Niveau von bis zu 5 % des Gesamtumsatzes der Verlage – steigen. Szenenwechsel: Absdorf in Niederösterreich hat 1.800 Einwohner, die üblichen Gewerbeeinrichtungen, leerstehende Geschäfte – und die im November 2012 eröffnete, gut sortierte Buchhandlung Bücherturm. Absdorf wachse und entwickle sich, so Inhaberin Eva Weinlinger, deswegen hat man die Gründung gewagt. Wobei das Geschäft nicht nur Buchhandlung ist, sondern gleichzeitig als Büro für einige Nebenaktivitäten dient und auch lokale Anbieter ihre Produkte im Laden anbieten – was genauso wie die Buchpreisbindung zur Existenzsicherung beiträgt. Vor allem junge Familien, Ältere und solche, die persönliche Beratung suchen, kommen. Da das erste Jahr noch nicht um ist, gibt es noch keine Zahlen, um über Gewinn oder Verlust zu sprechen. E-Books sind in Absdorf kaum Thema: »Man kann einen E-Reader bei mir kaufen. Ich bin aber kein Fan davon«, und es gibt nur wenige, die danach fragen. Und Amazon? »Amazon hat Kunden an mich verloren!« Der Amazon-Skandal kommt auch ihr nicht ungelegen. Abseits der Kopierschutzproblematik kann die Verlagsbranche dem digitalen Verkauf und Amazon eigentlich gelassen entgegenblicken. Ist es letztlich doch egal, wo und auf welchem Medium Inhalte ver-

kauft werden. Seit 1978 verlegt der Literaturverlag Droschl vorwiegend zeitgenössische, anspruchsvolle Belletristik. Das Geschäft läuft »sehr gut«. Seit Mai 2012 bietet der Verlag neben rund 740 Print-Titeln auch E-Books an. Im Moment werden die circa 80 Stück auf der Homepage aber nicht hervorgekehrt und sie verkaufen sich bloß bescheiden. »Ich finde E-Books nach wie vor hässlicher als Papierbücher, aber letztlich geht es mir um Inhalte. Und wenn die in elektronischer Form gelesen werden, ist uns das auch recht«, meint Verlegerin Annette Knoch. Eine in der Verlagsbranche gängige Meinung, die Buchhändler nicht gerne hören. Knochs Haltung zu Amazon ist ambivalent: Die Berichte über die Arbeitsbedingungen dort findet sie abstoßend. Der kleine Verlag kann aber nicht auf den »größten Anbieter für Literatur im Netz« verzichten.

do it yourself Die digitale Schiene öffnet auch Autoren neue Möglichkeiten des Selbstverlages und auch hier mischt Amazon mit dem Kindle Direct Publishing-Programm mit. Erfahrungsberichte dazu klingen durchaus positiv, doch die meisten genannten Verkäufe liegen im untersten dreistelligen Bereich. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber es sieht so aus, als ob sich dort hauptsächlich diejenigen tummeln, die bei Verlagen keine Chance haben. Für Stefan Slupetzky ist Selfpublishing keine Option, bürgt doch das Zusammenspiel zwischen Verlag und Autor für eine gewisse Qualität des Textes. Der Autor der Lemming-Krimis gewährt zudem Einblick in seine Einnahmen aus der Schriftstellerei: »Die Verkäufe machen ein gutes Drittel aus, Lesungen knapp zwei Drittel«. Seine zahlreichen Auszeichnungen bringen auch Einnahmen, heben aber vor allem die Arbeitsmoral. Dass das E-Book noch nicht wichtig ist, Lesungen aber sehr, bestätigt auch der letzte Roman des Musikers und Autors Rainer Krispel. Der erschien zuerst als E-Book, später als Buch. Die Buch-Verkäufe haben das E-Book locker überholt, vor allem, weil das Buch bei Lesungen gleich mitgenommen werden kann. Was wird die Zukunft bringen? »Schwer zu sagen«, so Slupetzky. Er denkt an eine Spaltung des Markts: »Hier ein mächtiges Angebot an digitalem literarischen Junk-Food, da eine handverlesene Auswahl an liebevoll zubereiteter Haute Cuisine«. Das wäre möglich, aber ein Zukunftsszenario lässt sich zum heutigen Zeitpunkt kaum entwerfen. Die demonstrative Gelassenheit einiger Händler und Autoren erinnert ein wenig an die Situation vor zehn Jahren, als Musik-Labels im Indie-Bereich dauernd von der Qualität redeten, die sich langfristig durchsetzt, während die großen Konzerne verzweifelt jammerten und lobbyierten. Die fundamentalen Veränderungen des digitalen Zeitalters hatten beide nicht richtig erkannt: Dass sich das Kräfteverhältnis nämlich langsam von den Künstlern und ihren Verlagen hin zu den Internet-Giganten verschob. Bis sie den neuen Möglichkeiten plötzlich hoffnungslos hinterher waren. Das Buch jedenfalls lebt. Und es sieht nicht so aus, als ob sein Ende naht. Eine Krise schon eher. »Buchquartier – Der Markt der Independent- und Kleinverlage« findet von 26.–27. Oktober im Museumsquartier Wien statt. Bei der »Buch Wien« kann man eine Menge Bücher ansehen. Sie findet von 21.–24. November in der Messe Wien statt. Bei der »Lesefestwoche« von 19.–24. November kann und soll man sogar in Bücher reinsehen.

Text Martin Zellhofer Bild ###

Thalia ist der größte und umsatzstärkste Buchhändler Österreichs. Das spiegelt sich auch in der medialen Berichterstattung wider, die den Riesen oft als Stimmungsbarometer der Branche betrachtet. Und Thalia jammert: Nicht andere Buchhandlungen, sondern Amazon sei der größte Konkurrent. Während in Deutschland gerade 20 Filialen schließen mussten oder demnächst schließen, geht es Thalia Österreich wohl besser, man expandiert sogar. Aber mitten in einer großen Wiener Filiale residiert jetzt ein Computergeschäft, Unmengen Playmobil und Lego füllen ganze Regale. Wo sind die Bücher, die hier vorher standen? »Das Angebot ist so gut wie nicht zurückgegangen«, behauptet die Filialleitung. Spielzeug gehört zum Konzept der sogenannten Themenwelten und das »funktioniert blendend«. Die Elektronikgerätschaften von DiTech locken zusätzlich Kunden. Klappt es also nur mit dem Buch nicht mehr so recht? »Dem Buch geht es nicht schlecht.« Aber die zusätzlichen Angebote bringen mehr Leute in die Filialen und daher mehr Umsatz. In den letzten beiden Geschäftsjahren gingen die Gewinne allerdings zurück. Um am Ball zu bleiben, investiert Thalia ungenannte Summen in sein E-Reading-Konzept und den Online-Handel. Letzteres mit Methoden, die wohl beim Kunden, nicht aber in der Branche selbst auf Zustimmung stoßen. Bekommt man nämlich einen Rabatt-Gutschein für einen Buchkauf im Netz, stellt sich die Frage nach der Wahrung der Buchpreisbindung. Umso verwunderter ist der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels, dass der Oberste Gerichtshof diese Methode gerade quasi legalisiert hat.

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MARKTFESTIVAL FÜR KUNST & DESIGN

#16: Tod im Netz Das Internet hat eine konzeptionelle Schwäche: Es ist so gut wie nicht auf Tod, Verschwinden und Vergessen vorbereitet. All unsere digitalisierten Äußerungen – ob Text, Bild oder Video – die einmal online gegangen sind, bleiben das auch. Am deutlichsten wird das, wenn ein Mensch stirbt. Es gibt keinen Statusupdate mit Inhalt „tot“. Das Netz vergisst nicht und doch geht viel verloren. Wer sich etwas mit der Geschichte digitalen Kunstschaffens auseinandersetzt, wird rasch feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, auf ältere Werke zuzugreifen. Diese wurden oft in der Programmiersprache und für Endgeräte entwickelt, die heutzutage nicht mehr gebräuchlich sind. Auf der einen Seite müssen wir also dem Netz das Vergessen beibringen und auf der anderen müssen wir Mechanismen entwickeln, um das technologische Vergessen zur verhindern. Kurz vor Allerheiligen wollen wir bei twenty.twenty über den Tod und das Verschwinden im Netz diskutieren. Keynote: Elisabeth Rank Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin und Ethnologin hat u.a. Texte für jetzt.de, die Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, Die Zeit und die Tageszeitung verfasst. Für ihren Vortrag „Bis der Tod uns scheidet“ bei re:publica 13 hat sie sich sehr intensiv mit sozialen Medien und dem Umgang mit dem Sterben auseinandergesetzt.

Di., 29.10.2013 – Empfang 18:30 Uhr – Start 19:00 Uhr The Hub Vienna, vienna.the-hub.net Wien 7., Lindengasse 56 / Top 18 –19 Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussionsplattform Zukunftsszenarien einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.

15. BIS 17. NOVEMBER OTTAKRINGER BRAUEREI DESIGN / KUNST / MODE / FOOD / DJS FESCH’CAFÉ / PUNSCH’N MUSIC FESCH’DEPENDANCEN KLEIDERTAUSCHBÖRSE / VINYL’MARKT WORKSHOP / EXHIBITION / FÊTE’FESCH WWW.FESCHMARKT.AT

www.twentytwenty.at | www.facebook.com / exploring2020 | www.twitter.com / exploring2020

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Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat im Kunstforum Wien — Pop-Art und Postmoderne

Copy Paste 039 Das Kunstforum zeigt mit »Warhol / Basquiat« Einzelwerke und Gemeinschaftsarbeiten zweier Ikonen, deren Collagen den urbanen Bilder-Dschungel reflektieren.

No Wave! New York! Basquiat war intuitiv, spontan und leidenschaftlich, und er bewunderte Warhol. Warhol war der schüchterne, der intellektuelle, neurotische Workaholic. Sie arbeiteten in ihren letzten Jahren zusammen. Warhol starb 1987 an den Komplikationen einer Operation und Basquiat im Jahr darauf mit nur 27 Jahren an einer Überdosis Heroin. Lower Manhattan war hart, arm, dreckig und unglaublich kreativ. Es war frei von der unterkühlten Attitüde der weißen Kunstszene, der White Cubes und Concept Art. Es war bunt und billig, ein einziger Off-Space und Brutstätte der Avantgarde. Rapper arbeiteten mit Filmern zusammen, die sich von der Punkszene zum »No Wave Cinema« inspirieren ließen. Jim Jarmusch spielte Gitarre, Fab 5 Freddy drehte seine ersten Filme, Basquiat machte Noise in einer No Wave-Band. Die Atmosphäre dieses New Yorks sagte: Mach, was du nicht kannst! Es feierte seine Medien – Super-8, Fotografie und Drum Machines. Alles gehörte ausprobiert und diese Experimentierfreude hatte v.a. Warhol angestoßen. Hohe Kunst

oder Pop, Kommerz oder Avantgarde – weg mit diesen Kategorien. Wie sehr das heute nachwirkt, kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

Kollaborationen in der Factory Basquiat lebte diese Freiheit und er lebte auf den Straßen Sohos, in Klubs und Bars und hier und da bei Freunden und Frauen, bis er zu Geld kam durch seine Kunst. Seine Bilder sind Collagen der Zeit, Samples des Sounds der Stadt: expressiv, abstrakt, politisch und medienaffin. Motive aus dem Fernsehen, Comics von der Straße, selbst Speisekarten fanden als Malereien, Fotokopien, Symbole und Schrift auf selbst gespannten Leinwänden Platz. Er arbeitete wie getrieben, während der Fernseher und die Musik liefen, oft tanzend und Marihuana rauchend. Drogen und Kunst, auch so ein Dauerthema bis ins Heute. Warhol hatte das Spielfeld eröffnet, in dem sich Basquiat voll auslebte und das er in seiner eigenen Handschrift reflektierte. Er erklärte dazu: »Andy collages photos, I collage my own hand.« Wenn sie zusammenarbeiteten, reagierten sie aufeinander – Warhol setzte einen Strich auf die Leinwand, dann fing Basquiat an, Warhols Motiv zu kommentieren, verändern oder zu übermalen. Ihre gemeinsamen Arbeiten sind wie abstrakte Aphorismen über die Bilder der modernen Konsumkultur. Sie erprobten aktuell gängige Praxen wie Wissens-Sampling, Copy & Paste und Bestehendes in einen neuen Kontext setzen. In den Gemeinschaftsarbeiten der beiden Künstler – von denen die Ausstellung auch bedeutende Einzelwerke zeigt – zeichnen sich zwei der am stärksten nachhallenden Stile unserer Zeit ab: die Pop-Art und die Postmoderne.

»Warhol / Basquiat« vom 16. Oktober 2012 bis 2. Februar 2013 im Bank Austria Kunstforum. www.bankaustria-kunstforum.at

Text Luise Wolf Bild Galerie Bruno Bischofberger, Schweiz

Was Macintoshs Apple und Andy Warhols Siebdruck »Apple« von 1983 gemeinsam haben: beide zeigen keinen Apfel. Apple zeigt eine Marke, Warhols Siebdruck ein Produkt. Warhol dreht Markenstrategien gegen sich selbst, er stellt Motive aus der Werbung in übertrieben knalligen Farben da. Spuren des Siebdrucks, des Handwerks des Malers, zeugen davon, wie Lebens- und Gebrauchsmittel in der modernen Industrie zum abstrakten Fetisch werden. Als Kritik? Als Hohn oder Ironie? Warhol liebte Fetisch. Er liebte Geld und Jean-Michel Basquiat, den jungen, schwarzen GraffitiKünstler und Maler, der als 17-Jähriger nach Lower Manhattan kam. »Er ist einfach einer dieser Jungs, die mich verrückt machen«, schrieb Warhol nach der ersten Begegnung 1978 in sein Tagebuch.

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Von kommerziellen Aufträgen bis zu Graphic Novels reicht das Portfolio des Schweden Denis Eriksson, der von der Wiener Agentur Agent Azur vertreten wird.

Charakterstudie von Sophia Nicoladoni, einer Absolventin der »Angewandten«.

Illustrationen und ihr Boom — Zwischen freier Kunst und vollem Kommerz

Dekoration vs. Interpretation 040

Text peter stuiber Bild Agentur Azur, Olaf Hajek

Illustration ist längst im Mainstream unserer Kultur angekommen, immer mehr Kreative liefern sich ein Wettrennen um die Aufträge. Doch was zeichnet gute Illustratoren aus? Eine Recherche zwischen freier Kunst und vollem Kommerz. Die Beauty-Strecke in der Frauenzeitschrift, das neue vegane Kochbuch, die Bilanz eines börsennotierten Unternehmens: Überall ist heute Illustration zu finden, und ihr Boom schreitet munter voran. Schon vor zehn Jahren suchte man in Werbung und Printmedien nach Alternativen zur Fotografie und entdeckte sie in einer Disziplin, die im vergangenen Jahrhundert immer wieder ihre Höhen und Tiefen erlebt hatte. Dass zeitgleich auch eine gigantische Retrowelle startete, beschleunigte den Siegeszug jener Illustratoren, die sich stilistisch an der Vergangenheit bedienten. Plötzlich sah man Bilder, die man aus deutschen Kinderbüchern der Nachkriegszeit oder amerikanischen Modezeitschriften der 20er Jahre kannte: eine ziemlich verklärte Welt, offen für Projektionen. Doch Illustration ist weit mehr als Behübschung oder gar Verkitschung: Allein ein Blick in eine aktuelle Publikation wie »A Life In Illustration« (jüngst erschienen im Gestalten Verlag) macht die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten klar. Warum man da nicht schon früher draufgekommen ist? »Ich arbeite fast 20 Jahre in dem Bereich, seinerzeit war das definitiv ein Nischenprodukt«, sagt Olaf Hajek, einer der führenden Illustratoren in Deutschland. »Es gab bei vielen damals die Angst, dass ein Illustrator bei einem Auftrag zu eigenständig agiert, denn die Illustration interpretiert ja mehr als die Fotografie.« Die Autonomie der Illustration,

ihre Nähe zur Kunst schien suspekt. Das ist die eine Seite. Doch es gibt auch eine andere, von der Hajek zu berichten weiß. »In den ersten Jahren in Deutschland wurden die Illustratoren als bloße Dienstleister betrachtet, die sich der Bildsprache des Kunden einfach unterzuordnen haben.« Stichwort: Illustration ist Dekoration, nicht mehr. »Doch das Selbstbewusstsein der Szene ist gewachsen«, ist sich Hajek sicher. Und er meint damit auch sich selber, schließlich zählten Time Magazine, Rolling Stone, The New Yorker ebenso zu seinen Auftraggebern wie Macy’s oder Daimler Chrysler. (Ganz abgesehen davon, dass der Deutsche mit seinen freien Arbeiten von einer Kunstgalerie vertreten wird.) Je mehr die Illustration von Werbung oder Medien genutzt wurde, desto attraktiver wurde sie für Grafikerinnen und Grafiker, die Lust auf weniger Zwang verspürten. Die Szene ist freilich noch immer überschaubar, besonders in Österreich. Seit Langem schon gibt es zwei Agenturen, die – neben Fotografen und anderen Kreativen – auch Illustratoren vertreten. Mit Anfang des Jahres gründete die Luxemburgerin Fabienne Feltus mit Agent Azur die erste Agentur in Österreich, die sich ausschließlich auf dieses Feld konzentriert. Feltus, selbst Illustratorin und früher Art-Direktorin bei der niederländischen Avantgarde-Agentur KesselsKramer, koordiniert ein Team von derzeit 17 freien Illustratorinnen und Illustratoren, kümmert sich um die Akquise, macht PR und berät Kunden

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Cover zur Werkschau des bekannten deutschen Illustrators Olaf Hajek, die kürzlich im Gestalten Verlag erschienen ist.

»Geistesblüten«, Illustration von Olaf Hajek für die Autorenbuchhandlung Berlin

bei der Auswahl. »Es ist wie bei einer Modellagentur, nur eben für ten bei Fons Hickmann, der keineswegs eine Schlagseite Richtung Illustration«, so die Jungunternehmerin, die in Wien organisatorisch Illustration hat) hält allerdings eine allgemeinere Grafikausbildung schon durch den »Lieblingsflohmarkt« auf sich aufmerksam gemacht – ohne Spezialisierung auf ein Gebiet – prinzipiell für keinen Nachhat. Nicht alle, die bei ihr unter Vertrag sind, arbeiten hauptberuflich teil. »Man ist dann breiter aufgestellt, denn kaum jemand kann von als Illustratoren, »manche probieren es einfach aus«, einige studieren Anfang an von Illustration leben.« Die eingangs erwähnte Spannung auch noch. Talentiert müssen sie definitiv sein, denn Feltus erhält aus künstlerischer Freiheit und den Wünschen kommentiert sie so: durchschnittlich eine Bewerbung pro Tag – aus ganz Europa. Neue »Wir sind Dienstleister. Illustration funktioniert selten alleine. Sonst nimmt sie nur dann auf, wenn sie das stilistische und thematische wäre sie Kunst.« Eine Einschätzung, die wiederum Olaf Hajek nicht Spektrum erweitern. Wer sich markttauglich positionieren will, sollte ganz teilt. »Eine gute Illustration sollte immer ein Bild sein, das selbst außerdem viele Bereiche abdecken können: Porträts, Food, Tiere, Na- bestehen kann. Sie sollte im Kopf hängenbleiben, unabhängig vom Text. Wenn Illustration hingegen bloß als Deko-Element eingesetzt tur, Still Life oder Interior. wird, hat sie keine Chance.« Wer übrigens glaubt, ein Illustrator müsse Illustration bedeutet Position beziehen auch technisch eine bestimmte Richtung abdecken, der täuscht sich Keine leichte Aufgabe, gibt es doch hierzulande kein Studium, das gewaltig: Es gibt ebenso herausragende Vertreter, die nur mit der Hand sich ausdrücklich auf diesen Bereich konzentriert. Ein Manko, wie zeichnen, wie solche, die ohne Computer kein passables Bild zustande die Illustratorin Katharina Ralser meint, die neben ihrem Grafikstudi- bringen würden. um an der Angewandten einen Studienaufenthalt an der Pariser ESAG vorzuweisen hat. Dort habe sie im Rahmen von drei Kursen gelernt, Bilder-Boom dass es bei Illustration nicht darum gehe, »einfach schöne Bilder zu Der Markt wird zweifelsohne wachsen, nicht nur, weil es gerade generieren, sondern dass es vielmehr bedeutet, eine starke Position so hip ist. Feltus nennt einen guten Grund, warum immer häufiger zum Inhalt zu beziehen«. Ihre Beurteilung der aktuellen Situation fällt zu Illustrationen gegriffen wird: Sie ist nicht so zeitaufwendig wie kritisch aus: »Es gibt in Österreich wenig Bewusstsein und keine Tradi- ein Fotoshooting, die stilistische Bandbreite ist dem Laien gut vertion im Bereich Illustration. Viele Arbeiten sind von guten Zeichnern, mittelbar. Die Auftraggeber kommen längst nicht mehr nur aus der die sich für einen Stil entschieden haben. Meist werden dann ein klassischen Werbung oder aus dem Printbereich. So macht etwa der paar Stichworte aus dem Text gewählt, gezeichnet und optisch an- Bio-Produzent Sonnentor vor, wie stark Illustration auf Verpackungen sprechend auf der Fläche verteilt. Es gibt wenige, die versuchen, eine wirken kann, bei anderen Qualitätsmarken, etwa Zotter Schokolade, Position zu beziehen – ein Bild zu entwickeln, das den Text inhaltlich setzt man ebenfalls auf die Macht der Bilder und es scheint nur eine trifft, es ironisch verstärkt oder einen Standpunkt verdeutlicht. »Eine Frage der Zeit, bis der 08 / 15-Bereich nachzieht. Auch in der Mode oder im Interiorbereich sind die Illustratoren auf seriöse Ausbildung für Illustration könnte ein klares Bild vom Beruf vermitteln und wichtige Kompetenzen fördern«, ist Ralser überzeugt. dem Vormarsch, Olaf Hajek hat kürzlich etwa Tapeten für den Wiener Wer sich tatsächlich schon so früh für diese Richtung entscheidet, Ableger der 25hours Hotels entworfen. »Natürlich ist auch digital im kann sich derzeit um einen Studienplatz an der Hochschule in Luzern Vormarsch, Animation wird eine große Rolle spielen. Auch wenn ich oder an anderen Ausbildungsstätten in Berlin, Hamburg oder Münster das nicht mehr mitmachen werde, dazu habe ich keine Lust«, so der bewerben. Deutsche. Er wird sich wohl damit trösten können, dass vielleicht Ralsers ehemalige Studienkollegin Fabienne Feltus (beide studier- eines der alten Printmedien wie The New Yorker anruft. Man muss ja 041

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Hellmut Schneider

der wortwechsel. vier personen zur frage:

FourMedia

Wie beeinflussen Konferenzen und Festivals den ITStandort Wien?

Es müssen nicht immer London und Berlin sein. Auch in anderen europäischen Städten regt sich etwas im Spannungsfeld zwischen Creative Industries und technologiegetriebenen Unternehmen – im Bereich der nur mehr unscharf definierbaren Start-ups. Von Stockholm, hier wurde die SIME gegründet, und München, Heimat von Burdas DLD-Conference, erzählt etwa Martin Drexler: »Gegenüber Stockholm bleiben Oslo, Helsinki und Kopenhagen schlichtweg chancenlos. Und in München kam der schnelle Zuzug von internationalen Digital-Firmen, Inkubatoren etc. hinzu. Wenn man am Münchener Flughafen landet, wird man mit dem Statement begrüßt: ›Welcome in Munich, the Silicon Valley of the Alps‹. Der bayerische Staat investiert in den kommenden drei Jahren satte drei Milliarden Euro in den Wirtschaftsraum München, vornehmlich in Digital Automotive.« Es scheint also durchaus möglich, mit Konferenzen nicht nur etwas für den Event-Standort und die ausrichtenden Unternehmen tun zu können, sondern auch für die regional ansässigen Unternehmen. Noch beobachten aber einige Branchenmedien und unabhängige Kommentatoren eher einen »Brain Drain« aus Österreich weg: Einige in Wien gegründete Unternehmen verlassen das Land, weil ihnen die Strukturen und auch die Unterstützung der Privat-Wirtschaft fehlen. In Deutschland oder anderen Ländern werden manche von ihnen erfolgreich und verhelfen ihrer neuen Heimat zu einem Gewinn in Sachen Wirtschaft, aber auch Image und Außenwirkung. Wir haben einige Akteure der heimischen Digital- und IT-Wirtschaft um ein Statement zum Standort Wien gebeten. Am 30. und 31. Oktober findet in Wien das zweite Pioneers Festival statt. www.pioneers.io

dokumentation Martin Mühl text Meinrad Hofer, Privat

Ende Oktober feiert das Pioneers Festival zum zweiten Mal nicht nur den heimischen Unternehmergeist. Doch was bringen Events über ihre Dauer hinaus für den Standort?

»Die Smart City Vienna sehe ich nur auf Plakaten an der Stadtgrenze« — Ich bin kein Digital Native. Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, in der die Welt der Bildschirme aus FS1 und FS2 bestand. Ich habe Lesen noch mit Büchern und Zeitungen gelernt. Und Schreiben mit Anzeigen und Flugblättern. Dass Kommunikation einmal aus Liken, Sharen, Reviewen und Tweeten bestehen – und dass die zweitgrößte Suchmaschine der Welt ein Videoportal sein würde, lag jenseits unserer Vorstellung. Deshalb habe ich vielleicht einen etwas anderen Blickwinkel – auch wenn ich mich jetzt als Unternehmer mit der Entwicklung von digitalen Medienformaten beschäftige. Wir fragen uns: Was davon macht Sinn? Und: Wem bringt es was? Ich erlaube mir die Frage, was der Boom an einschlägigen Konferenzen für Wien tatsächlich bringt. Macht das Wien zu einer Stadt, die als IT-Standort an Bedeutung gewinnt? (By the way: Ist das Silicon Valley ein »IT-Standort«? Ich habe das Gefühl, die machen was anderes dort …) Oder hilft das der Stadt Wien bloß, ihren Platz 1 im weltweiten Kongress-Ranking zu verteidigen? Was ja an sich nicht schlecht ist. Aber nichts damit zu tun hat, Ideen, Menschen, Unternehmen zu fördern und schon gar nicht, den Aufschwung einer bestimmten Branche zu initiieren. Man kann sich auch fragen, wer denn tatsächlich etwas davon hat, dass diese Konferenzen immer inflationärer stattfinden. Sind es die Teilnehmer, die Gäste, die Aussteller solcher Events? Oder sind es die Veranstalter, die sich im Lichte der Prominenz ihrer Speaker sonnen – und nebenbei Zugriff auf die Ideen junger »Unternehmer« bekommen? Wäre es das Erstere, dann müsste in Wien und Umgebung langsam das Entstehen einer neuen Forschungs-, Entwicklungs- und vor allem InvestitionsKultur zu beobachten sein. Ich erlebe nichts dergleichen. Die Smart City Vienna sehe ich nur auf Plakaten an der Stadtgrenze. Die Smart Brains verlassen in der Zwischenzeit die Stadt in Richtung München, Berlin, Amsterdam oder Stockholm.  Hellmut Schneider ist Mitbegründer von FourMedia Digital Media Innovations und Consulting Partner der Schweizer Unternehmens-Beratung Accelerom. Er war Texter, Creative Director und Client Service Director bei internationalen Werbeagenturen.

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Jutta Scheibelberger

Harald Leitenmüller

Brigitte Jank

ZIT

Microsoft

Wirtschaftskammer Wien

»Die unmittelbaren Auswirkungen in diesem Zusammenhang sind in der Regel eher ernüchternd« — In der wirtschaftspolitischen Einschätzung von Kongressen oder Festivals geht es immer auch um Fragen – »Wie viele Arbeitsplätze werden geschaffen?«, »Wie viele Unternehmen werden gegründet?« oder »Wie viele davon überleben die Start-up-Phase?« –, wobei die Beantwortung der letzten Frage oft vernachlässigt wird. All das wird insbesondere dann virulent, wenn die Wirtschaftspolitik Veranstaltungen aus öffentlichen Mitteln unterstützt. Die unmittelbaren Auswirkungen in diesem Zusammenhang sind in der Regel eher ernüchternd, abgesehen von der kniffligen Frage der Kausalität. Konferenzen und Festivals haben aber wichtige (schwer messbare) Funktionen und senden eine Vielzahl von Impulsen aus: sie sind Neuigkeiten- und Kontaktbörsen, neue Zielgruppen werden angesprochen und oft wird ausgezeichnete Vermittlungsarbeit geleistet. Konferenzen und Festivals bereichern beziehungsweise beleben den Ort und die Region, in denen sie stattfinden, maßgeblich. Letztendlich können sie die Identifikation mit dem Standort unterstützen. Im Übrigen ist es manchmal nicht konsistent, wenn von Festivalorganisatoren bzw. Besuchern Entstaatlichungsforderungen propagiert werden, welche aber genau dann nicht gelten, wenn es um öffentliche Unterstützungen für das nächste Festival oder den nächsten Kongress geht. Hier dürfen auch öffentliche Geldgeber verlangen, dass man sich dem Pitch des Wettbewerbs stellt. 

»Festivals sind Blitzlichter der IT-Szene.« — Sie beleuchten kurz, was man selten zu sehen bekommt und nur wenige kennen. Mit viel Wortgeschick wird das Abgelichtete erklärt, weil keiner glauben kann, dass es in Wien eine IT-Szene überhaupt gibt – oder ist traurig, weil man so wenig davon hört. Selten verirren sich diese Momentaufnahmen unserer IT-Kreativen in internationale IT-Communities. Schade, denn eigentlich würden wir gerne dazugehören – und es wäre auch angemessen. Immerhin hört man gelegentlich von possierlichen und innovativen Wiener Start-up-Pflänzchen, die gedeihen, solange man sie mit genügend Kapital rechtzeitig düngt. Man nimmt sie daher gern mit, steckt sie in gut gepflegte Start-upKulturgärten und erntet ITFrüchte im Überfluss – nur kaum hier daheim. Hier wird eher durch Jammern und Angst vorm Scheitern dem Entrepreneur der Mut und der notwenige Optimismus entzogen. Wenn wir den IT-Standort stärken wollen, brauchen wir mehr Risikofreudigkeit und eine gesellschaftliche Akzeptanz des Scheiterns. Ich hätte auch zusätzlich gerne eine lokale IT-Szene mit eigenem Festival, das man global kennt – ähnlich der SIME. Also eine Plattform, auf der dem man sich gerne über die Zukunft unserer Gesellschaft unterhält, man es als Ehre ansieht, dabei zu sein, keine Gastsprecher einkaufen muss, sondern einfach jeder dazugehören will. 

»Branchenevents sind Erfolgsturbos für Start-ups« — In Wien hat sich der IKT-Sektor zu einem überdurchschnittlichen Wirtschaftsmotor mit hoher Wertschöpfung entwickelt. Mehr als acht Prozent der Wiener Unternehmen sind im IKT-Bereich tätig, sie beschäftigen insgesamt 60.000 Mitarbeiter und erzielen fast 20 Milliarden Euro Umsatz. Die Zahlen belegen eindrucksvoll, dass die IKT-Branche und die Creative Industries längst zu einem wichtigen Faktor für eine positive Zukunft des Wirtschaftsstandorts Wien geworden sind. Besondere Bedeutung kommt dabei zu, ob die Unternehmen auch auf internationalen Märkten erfolgreich agieren. Dafür müssen die Unternehmer laufend ihre Kontakte pflegen und Netzwerke ausweiten. Nirgendwo gelingt das in hochkonzentrierter Form besser als auf Messen und Konferenzen, wie beispielsweise dem Pioneers Festival in Wien. Während sich Start-ups primär durch Kreativität und Innovationskraft auszeichnen, bieten Events wie das Pioneers Festival – speziell der Investorentag – für diese jungen Unternehmen eine gute Gelegenheit, sich auch intensiv mit den Themen Führung und Unternehmerspirit auseinanderzusetzen. Darüber hinaus können die Jungunternehmer über neue Geschäftsmodelle und Beteiligungen mit privaten Investoren und Business Angels sprechen. Und das gilt es kontinuierlich auszubauen. Denn leider gehen viele gute Ideen verloren, weil in Österreich das Finanzierungsverständnis für innovative Start-ups noch nicht stark genug ausgeprägt ist. Für den Standort Wien ist das Pioneers Festival enorm wichtig: Weil es den Jungunternehmergeist beflügelt und Start-ups mit Investoren zusammenbringt. 

» Die Smart City Vienna sehe ich nur auf Plakaten an der Stadtgrenze.« (Hellmut Schneider)

Jutta Scheibelberger ist für ZIT – Die Technologieagentur der Stadt Wien GmbH tätig. Sie hat u.a. die Leitung des Content Award Vienna seit 2009 inne. Zuvor war sie selbstständige Dramaturgin für deutsche und österreichische Produktionsfirmen sowie Film Program Consultant für das Zurich Film Festival.

Harald Leitenmüller ist Chief Technology Officer bei Microsoft Österreich. Er unterstützt Unternehmen bei IT-Strategien, damit neue Technologien vorteilhaft genutzt werden können und die Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen IT-Markts steigt.

Brigitte Jank ist Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien.

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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Angela Sixt, 34, Restauratorin

Die Liebe zu alten Dingen kam früh. Seit sie denken kann, war Angela Sixt mit ihren Eltern auf Flohmärkten und Antiquitätenmessen unterwegs. »Und mit der beginnenden Kenntnis über die Kunst des Handwerks kam auch die Wertschätzung für die Objekte.« Sich auf ein Objekt immer wieder aufs Neue einzulassen, auf detektivischem Wege seine Geschichte zu ergründen und ganz nebenbei auch noch über die Menschheitsgeschichte zu erfahren, das mache den Reiz dabei aus. Besonders viel Freude bereitet Sixt, die im Wiener Theatermuseum arbeitet, die Restaurierung der Stabfiguren von Richard Teschner. »Dieses einzigartige Figurentheater lebt noch, die Figuren werden teils noch gespielt und bedürfen einer regelmäßigen Wartung«, erzählt Angela Sixt. Umfassende Kenntnisse über Innenleben und ihre Rolle auf der Bühne seien essentiell, um den Figuren ihre geschmeidigen Bewegungen zu bewahren. Klingt ja nach einem Spaziergang, diese Arbeit als Restaurator.

bild arnold pöschl dokumentation stefan kluger

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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Michael Rainer, 34, Wing-Tjun-Trainer

»Das ist mein Weg«, sagt Michael Rainer, Wing-Tjun-Instruktor. Der Kampfkünstler – es handelt sich hier um eine berühmte Form des Kung Fu – findet es aufregend, die Entwicklung seiner Schüler zu beobachten. Das Training würde ihnen zu mehr Selbstbewusstsein und besserer Gesundheit verhelfen. »Durch meine Arbeit tue ich Gutes«, ist Rainer überzeugt. Die Waage zwischen Geschäftsmann und Kampfkünstler in Balance zu halten, sich seine eigenen Wertvorstellungen bewahren – nicht selten eine Zerreißprobe. Doch das Unterrichten motiviert. Und wenn es mal nicht so gut läuft? »Es läuft immer gut. Alles nur eine Frage der Einstellung.« Einen anderen Beruf könne sich Michael Rainer derzeit nicht vorstellen, ohne sich aber dabei festzulegen. »Ich agiere da wie in meinem Stil, ich lasse alles fließen.« Im Wing-Tjun nennt man das »Iao«.

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Michael Buchinger aka Gretl Productions — Der DIY-Medienmacher im Porträt

Self-Media Man

Text Amira Ben Saoud Bild Michael Buchinger / Gretl Productions

Michael Buchingers »albernes Hobby« hat 17.000 Likes auf Facebook. Er ist einer der bekanntesten Youtube-Vlogger Österreichs und könnte das schon bald zu einem Beruf machen. Wie jede gute Geschichte beginnt auch diese mit einem schüchternen Jugendlichen, dem einfach sehr langweilig war. Wie uns »Super 8« und zahlreiche andere Hollywood-Filme lehren, ist Langeweile der allerbeste Anlass, um sich die Kamera von Papa zu schnappen und Videos zu drehen. Ein Junge namens Michael ergoogelte sich also die nötigen Skills und begann Freunden zuliebe, seine Versuche festzuhalten und nach einiger Überwindung ins Internet zu stellen. Von den Eltern indoktriniert, dass man dort nichts Persönliches preisgeben soll, nannte er sich Gretl Productions. Dann passierte erst einmal nicht viel. Heute ist dieser Michael 20 Jahre alt, seine offizielle Facebook-Seite hat über 17.000 Likes, sein beliebtestes Video wurde über eine Million Mal auf Youtube geklickt.

Von Anal Del Rey zur Hass-Liste Was dieser Michael in seinen Videos macht, kann man vielleicht unter dem schwammigen Begriff »Entertainment« einordnen. Zuerst waren es eher Parodien und kleine Sketches, die man sich am ehesten wie einen Hybrid aus »Tohuwabohu« und der amerikanischen Comedy-Show »Saturday Night Live« vorstellen kann: viel Trash, viel absurd. Michael als Lana Del Rey, die zur Melodie von »Video Games« den Text »Mein Name rückwärts ist anal, aber ich glaube, das ist dir egal« trällert. Michael als Bella Swan und Edward Cullen, die Nonsense-Dialoge von »Twilight« nachspielend. Mittlerweile hat sich Michael Buchinger zu einer Marke gemacht. Jetzt geht es in den Videos um eine überzeichnete, ironische Version seiner selbst. Nicht zuletzt deswegen verwendet er nun konsequent seinen eigenen Namen und tritt nur noch als Gretl Productions auf, wo er es nicht mehr ändern kann. Selbstinszenierung als Selbstzweck und Selbstläufer. Michael kocht, bäckt und bastelt, stellt Hass-Listen zusammen oder beantwortet Fragen seiner

Fans. Wie so viele gute Satiren sind seine Videos oft Mediensatiren. Er ist einer bekanntesten Vlogger Österreichs, natürlich vollkommen selbstgelernt, natürlich von klassischen Medien ignoriert.

Glücklicher Zufall? Ausschlaggebend für den Rummel um seine Person – oder besser Persona – war der Clip »Was wäre, wenn Facebook das reale Leben wäre«, der über den Umweg eines Jugendkulturpreises im Fernsehen landete und daraufhin in den sozialen Netzwerken weitergereicht wurde. Der Hype um Michaels Videos also nur glücklicher Zufall? Nein. Denn auch ohne das Besuchen von Social Media-Seminaren folgte Michael – bewusst oder unbewusst – der wichtigsten Regel, um erfolgreich im Internet zu sein: Aktualität. »Was wäre, wenn Facebook das reale Leben wäre« war Buchingers Antwort auf den Film »The Social Network«, der damals gerade heftig diskutiert wurde. Die einfache Art, Aktuelles zu feiern, darüber zu spotten und sich dabei selbst nicht zu ernst zu nehmen, wird durch Michaels »Hass-Listen« fast schon auf eine Metaebene gehoben. Ähnlich wie die unzähligen Youtube-Videos, in denen Leute ihre liebsten Videos des Monats abhandeln – auch da redet das Medium wieder über sich selbst–, schildert Michael, was er im letzten Monat besonders gehasst hat. Dort lässt er sich dann eher über ziemlich allgemeine Phänomene wie die falsche Verwendung von Satzzeichen aus. Die Videos gewinnen dadurch noch einmal an Absurdität, nehmen unerwartete Wendungen, überraschen. Sie sind meistens angenehm kurz, unter fünf Minuten, und obwohl ja eigentlich nur eine Person dasitzt, die redet, außerordentlich kurzweilig. Das liegt am Schnitt, an der eingesetzten Musik und natürlich auch an Michaels Sprache, die zwischen fein artikuliertem Hochdeutsch und burgenländischem Dialekt wechselt. Und – weil ja Youtube – seine Videos eignen sich für die Zigarette zwischendurch, oder man geht

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»Michael, schick uns bitte ein trashiges Foto.« Danke! eben auf Klickorgie. Sie greifen Themen aus alten Episoden wieder auf, haben kleine Running-Gags, Charme und sind doch sehr eigen. Ein Gesicht haben sie sowieso. Ohne Michael die Fähigkeit der Reflexion und auch ein Kalkül in seiner Produktion absprechen zu wollen – denn beides hat er reichlich –, ist es dennoch die Arbeitsweise eines dieser vielzitierten Digital Natives, der mit dem Internet aufgewachsen ist und mehr durch Bauchgefühl und Erfahrung als durch Recherche weiß, was funktioniert.

Vlogger von Beruf

Michael verdient mittlerweile durch Werbung auf seinem Kanal ein respektables Trinkgeld, ist aber weit davon entfernt, davon leben zu können. Auf die Frage, wie er die Entwicklung von Youtube in nächster Zeit einschätzt, meint er, dass es – seit es durch den Launch von youtube.at im April möglich wurde, Partner zu werden – noch einmal einen großen Schub gegeben habe. »Die Verdienstmöglichkeit hat viele gelockt. Einige meiner Freunde haben jetzt ihre eigenen Kanäle«, sagt Michael. Wie weit man mit Youtube gehen kann, weiß er nicht, es sei ja doch noch immer ein verhältnismäßig neues Medium, doch er glaubt, dass Videos im Netz nicht so bald weniger geschaut werden. Und Youtube hat selbst ein Interesse daran, dass Leute ihre Kanäle professioneller bespielen können. Michaels etwas naiv klingender Wunsch, dass Youtube-Videos machen zu einer Art Beruf und nicht als »albernes Hobby« abgetan wird, ist gar nicht so unrealistisch. Michael hat darin jedenfalls sein optimales Format gefunden, es an sich und sich an es angepasst. Für seine Texte – er beschreibt auf seiner Website gewohnt überspitzt Episoden aus seinem Leben und verfasst eine Kolumne für das Faux Fox Magazin – erhält er nur den Bruchteil der Likes. Nur zu sagen, dass Videos einfach immer beliebter sind als Texte,

wäre aber zu kurz gegriffen. Es ist eher einer Frage der Wahrnehmung. Michael Buchinger ist eben Youtube und Facebook. Spricht man mit Freunden und erwähnt den Namen, heißt es oft: »Ah, der mit den Videos.« Das ist umso bemerkenswerter, weil Michaels Fans eher jünger sind als er selbst. 13- bis 18-Jährige machen den größten Teil seiner Fans aus, sagt die Facebook-Statistik. Zwischen 20 bis 30 tut sich am wenigsten und dann geht es erstaunlicherweise wieder bei den über 50-Jährigen los. Gestört hat ihn das nie. Kurz hatte er aber überlegt, seine Inhalte anzupassen, weniger zu fluchen, politisch korrekter zu sein. Das war ein Fehler, sagt er. Auch wenn den jüngsten Fans vielleicht einige subtile Anspielungen in Michaels Videos entgehen, ist er vor allem froh, dass er überhaupt ein Publikum hat. Ja, er wird auch erkannt. Wenn er etwa ein Foto von sich bei Starbucks auf Instagram postet und dann mitunter Fans wenig später dort aufkreuzen. Die unangenehmen Begegnungen halten sich aber eher in Grenzen, wie auch negative Reaktionen in der notorischen Kommentarsektion auf Youtube, obwohl Michael hier nicht eingreift. In ein paar Jahren kann sich Michael dann seine ganze Jugend auf Youtube anschauen, da er nicht nur mit dem Internet, sondern auch im Internet groß geworden ist. Seine Fans werden wohl mit ihm älter werden, ein bisschen, vielleicht besucht er doch die FH Journalismus oder vertieft sich in Gender Studies – ob er sich also neu erfindet oder in ein paar Monaten von keinem mehr erkannt wird – Michael sieht seine Zukunft jedenfalls gelassen. Wir sehen sie dann in einem Video. www.michaelbuchinger.at www.youtube.com/user/gretlproductions www.facebook.com/gretlproductions 049

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Text manfred gram Bild sig ganhoer

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Stefanie Sargnagel – »Binge Living« — Erzählungen aus dem Alltag einer Callcenter-Sklavin

Das Fräulein vom Amt 051 Mit der Auslotung von Geschmacksgrenzen unterhält die Wienerin Stefanie Sargnagel seit Jahren eine eingeschworene Facebook-Gemeinde. Nun erscheinen die schönsten und witzigsten Status-Meldungen in Buchform. Das Cafe Weidinger ist ein altes Traditionskaffeehaus am Wiener Gürtel. Gleich neben der Lugner City. Im Weidinger ist es gemütlich, vor allem dann, wenn man Grind super findet. Die Sitzbänke sind speckig, die Tische schwitzen, der Boden pickt. Richtig gut ist die Luft nur am Häusl. Um auf den Abort zu gelangen, muss man durch den schwach frequentierten Nichtraucherbereich. Dort lungern auffällig gut gepflegte Karamboltische herum und es stinkt auch. Nach Schülerschweiß. Verschwindet Stefanie Sargnagel im Weidinger, um Frischluft zu schnappen, kündigt sie das mit einem herzhaften »Ich geh brunzen!« an. Kommt sie zurück, sitzt ihre rote Baskenmütze, seit Jugendtagen ihr Markenzeichen, unmerklich, aber doch immer ein wenig anders. Ob sie beim Brunzen verrutscht, vorm Spiegel zurechtgezupft wird oder beides – man muss nicht alles fragen, und wissen schon gar nicht. Auf die Idee, sie Rotkäppchen zu nennen, kommen übrigens nur alte Männer an der Theke. Nichts wäre, folgt man Sargnagels Selbstbeschreibung, unpassender, es sei denn: »Rotkäppchen würde den Kuchen selbst fressen, den Wein exen, den Wolf vergewaltigen und dann zur Großmutter Geld schnorren gehen.« Man merkt, die Wienerin füttert einen gerne mit Informationen aus ihrem Leben. Früher tat sie dies mit Blogeinträgen, mittlerweile veröffentlicht sie ihre kleinen MS-Paint-Cartoons und pointierten Alltagsbeobachtungen in ihrem Fanzine Extrem deprimierende Zines und eine Spur publikumswirksamer auf ihrer Facebook-Seite. »Irgendwie zog der Blog für meinen Geschmack zu weite Kreise und war nicht mehr anonym. Ich hab dann nur mehr Facebook verwendet, weil es praktischer war, es hat wie bei vielen Leuten dann einfach das Bloggen ersetzt«, erzählt Sargnagel, die an der Akademie der bildenden Künste bei Daniel Richter Malerei studiert, über ihr Ende als Bloggerin. Kurz war sie auch auf Twitter, hat es aber relativ rasch wieder aufgegeben. Weil zu viele mitlesen könnten? Weil sie bewusst kein Internet zu Hause in ihrer Künstlerklause in einem Margaretener Gemeindebau hat? Weil sie, wenn sie nicht gerade eine Zigarette dreht, lieber mit einem alten, abgeschlagenen Nokia-Handy herumhantiert als ziellos auf einem Smartphone-Display herumzuwischen? »Auf Twitter herrscht so ein Pointenzwang, das gefällt mir nicht!« Das passt. Wenn Sargnagel nämlich via Facebook aus ihrem Leben erzählt, bevorzugt sie eher die zwanglose Pointe. Und: »Ich hasse Wortspiele, die sind mir einfach zu gekünstelt.«

Anleitung zum Saufen Ganz so rigide sieht es die 27-Jährige unterm Strich dann aber wohl weder mit dem absoluten Kontrollwillen über ihre Leserschaft noch mit der Wortspielerei. Ende November erscheint nämlich mit »Binge Living – Callcenter-Monologe« ihr literarisches Debüt. Das besteht vorwiegend aus ihren amüsantesten Facebook-Statuseinträgen und einigen ausgewählten Cartoons. Im wünschenswerten Erfolgsfall hat man dann als Künstler nicht unbedingt die Möglichkeit zu bestimmen, wer einen liest. Zudem findet sich in diesem schmalen Büchlein, das die letzten fünf Jahre aus dem Leben der Künstlerin zusammenfasst, die sich halbtags in einem Callcenter verdingt und quasi als »Fräulein vom Amt« Rufnummern beauskunftet, auch folgender Eintrag: »Elegant sagen, dass man scheißen geht: Ich mousse au chocolat.« Auf die kleinen Widersprüchlichkeiten angesprochen und mit dem eigenen Wortspiel konfrontiert, gibt es einen Anflug von Lächeln, das gleich mit einem kräftigen Schluck aus der Bierflasche weggespült wird. Es ist mittlerweile das dritte Gösser und der Kellner hat das unbenutzte Glas, das am Tisch herumsteht, nun endgültig abserviert. Eine Anleitung zum Saufen braucht Stefanie Sargnagel jedenfalls nicht. Sie hat das von

späten Schultagen an gelernt. Gleichaltrige gingen in die Clubs, das tat Sargnagel zwar auch, doch lieber trank sie mit »Halbhinichen«, hörte ihnen zu und inhalierte die Thekenstorys. »Vor ein paar Jahren hab ich versucht, Bukowski zu lesen – ich weiß, das macht man mit 16 oder 17, aber ich wollte wissen, ob ich was versäumt habe. Mir wurde jedenfalls schnell fad, ich kannte die Figuren und kaputten Existenzen, die dort beschrieben werden, alle aus eigenen Erlebnissen – ich mag ihn als Autor aber trotzdem sehr gerne«, erzählt sie bei Bier Nummer vier.

Filmriss im Swingerclub? Nebst Beschreibungen der exzessiven Auswüchse eines BohemienAlltags tendiert Sargnagel vor allem zur radikalen Überzeichnung und wird dabei von Tabuzonen, Flüssigkeiten, Geräuschen und Gerüchen des menschlichen Körpers magisch angezogen. »6. 5. 2011: Meine Strumpfhose riecht nach Brie.« Man bemerkt, der Ekel hat bei der humorbegabten Sargnagel, übrigens ein Pseudonym, Stil. Den Blick für die Absurditäten, Widersprüchlichkeiten und Hässlichkeiten des Lebens hat sie vorwiegend an Mad-Heften und Deix-Zeichnungen geschult. Weitere Fixpunkte und wiederkehrende Elemente in ihrer Status-Sammlung: Beziehungs- und Liebesprobleme, Reibebaum-Mutter, Gewichtsprobleme, Selbstmitleid, Welthass und natürlich die irren, verwirrten Anrufer, die Sargnagel im Callcenter als Steffi Fröhlich betreut und mit boshafter Freude seziert. Zum Job pflegt die Künstlerin, die sich zwischen den Stühlen von Literatur, Comics, Cartoons und Malerei sichtlich wohl fühlt, eine gediegene Hassliebe: »Ich mag die Arbeit eigentlich, sonst hätte mein Tag überhaupt keine Struktur.« Kleine Notiz am Rande: Ein Großteil von Sargnagels Status-Eingebungen erfolgt im Callcenter. Nur konsequent von einer, die über sich selbst sagt, aus Versehen antiautoritär erzogen worden zu sein. Kommt das Talent mütterlicher- oder väterlicherseits? »Ich habe viele Ähnlichkeiten mit meinem Vater. Er ist auch ein Messy, er sammelt und kann nichts wegschmeißen. Als ich einmal eine Waschmaschine brauchte, fragt ich ihn – er hatte zwei in der Wohnung herumstehen, originalverpackt.« Und wie sieht es bei ihr zu Hause aus? »Ich kann auch nichts wegwerfen, ich gehe unter in Müll, aber es stört mich nicht, wenn Dreck in der Wohnung herumliegt. Der sauberste Ort aber ist mein Bett!« »Wie oft wechselst du die Bettwäsche?« »So alle zwei bis drei Monate.« Zeit, dass wir langsam das siebte Bier bestellen. Zwischen Saufen und Telefonieren wringt Sargnagel also aus ihrem Leben und Hirn das Tragische und Komische heraus und verbratet es, um mit Überhöhung die Grenzen des Zumutbaren auszuloten. Authentisch, kompromisslos, immer aber eben auch am schmalen Grat zwischen Übertreibung, Wirklichkeit und Überhöhung als Kunstfigur: »20. 11. 2011: Vor einer Woche hatte ich einen Filmriss und jetzt habe ich das Feuerzeug eines Swingerclubs entdeckt, beunruhigend.« Das ist nicht unbedingt ein nagelneuer Ansatz, um Humor zu generieren, Sargnagel pfercht und schludert das alles zu einem aberwitzigen Texthybrid zusammen. Zu einem – wenn man so will – Social-MediaKünstlerroman, der sich zudem streckenweise auch noch als aphoristisches Sudelbuch tarnt. Am Stück konsumiert, wird man das Gefühl nicht ganz los, dass man es hier gerade mit einer entkitschten, von jedwedem Pseudofeminismus befreiten Bridget Jones zu tun hat. Oder anders: »Im Grind liegt oft das wirklich Schöne und im Tiefen nicht selten die Wahrheit!« Stefanie Sargnagel »Binge Living. Callcenter-Monologe« erscheint am 29. November bei Redelsteiner Dahimène Edition. Am 30.11. präsentiert Stefanie Sargnagel das Buch in der Transporter Bar Wien. 051

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Prosa von Stefanie Sargnagel

bücher müssen nicht so langweilig sein. man kann in sie auch einfach nur reinschreiben, was auf facebook steht. das kostet zwar mehr, ist aber total praktisch, zum angeben, am häusl. stefanie sargnagel lebt diesen traum.

Liebe Kulturscheissis

10.01.2013 Am Feminismus mag ich am liebsten dieses Hasserfüllte, Frustrierte.

11.01.2013 Waschbrettbäuche schauen so stressig aus.

11.01.2013 Immer wenn meine Mutter mir hilft meine Messywohnung in Ordnung zu bringen und sie ganz schön und sauber ist, fühl ich mich als hätte ich mein Leben im Griff. (Währenddessen eher nicht so)

12.01.2013 Liebe Kulturscheissis. Gebt mir Geld für irgendwas, damit ich niemals Vollzeit arbeiten muss. Bussi, eure Stupsi.

14.01.2013 Nachteil am Singledasein: Das üppige Geburtstagfrühstück als Form der emotionalen Erpressung fällt aus.

04.01.2013 „Rufnummerauskunft, Steffi Fröhlich, was kann ich für Sie tun?“ „Ich hätte gerne die Nummer von der Pilzambulanz in Floridsdorf.“ „UÄHH! Die Nummer lautet 0127076600.“

18.01.2013 Ist das unreif, dass ich mich an den gynäkologischen Stuhl und dieses wüste Scheidengewühle nie gewöhnen werde? Ich hab immer das Gefühl, für erwachsene Frauen ist das ganz locker und sie tauschen währenddessen Kochrezepte über feine Pilzgerichte mit dem Arzt aus.

22.01.2013

24.01.2013 Ich lade herzlich zum Rundgang der Akademie der bildenden Künste ein. Trinkt ein günstiges Getränk und bestaunt lahme Kunstwerke. Wir sind alle sehr talentiert und arrogant auf eine interessante Art. Manchmal sitzt irgendwo sogar eine nackte, dicke Frau und bewirft einen mit Gummibärchen, das nennt man Performance.

25.01.2013 Omas in der Trafik sind das Schönste. Es ist Freitag, da setzt sie ihr Pelzhauberl auf holt sie sich Die Ganze Woche, ihre Rätselzeitung und drei Lottoscheine. Da ist die Welt so in Ordnung, einfach schön anzuschauen.

26.01.2013 „Rufnummerauskunft, Steffi Fröhlich, was kann ich für Sie tun?“ „Ich hätte gerne die Nummer vom Herby in Weiz.“ „Sie meinen Herbys Bierpub in Weiz?“ „Nein, nein, das ist ein Lokal neben dem Chinarestaurant.“ „Das Lokal Herby in Weiz. Es ist in der Marburgerstrasse, da befindet sich auch ein Chinarestaurant. Die Nummer lautet-“ „Nein, das meine ich nicht. Ich meine das Herby in Weiz!“

Das Leben sollte nur aus Schlafen, Kuscheln und Frühstücken bestehen.

27.01.2013

22.01.2013

Gerade festgestellt, dass das einzige was tatsächlich in meinem kaum benutzten Badezimmerschrank steht Burgit Fussspray und Agaffin – das milde Abführmittel mit dem Geschmack reifer Bananen ist. Sexy.

Ich bin für Callcenter statt Bundesheer.

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29.04.2013 Für alle die langsam wieder ein bisschen runterkommen wollen von der Frühlingslaune, hier ein paar Ratschläge, wie man akute Depressionsanfälle herbeiführt, selbsterstested in den letzten Tagen: 1. Sich das Karussell am Meidlinger Platz ein paar Minuten (für Suizidgedanken: EIN PAAR STUNDEN) anschaun. 2. Makellosen leichtbekleidete Körper ausführlich bespannen, danach eigenen Körper ausführlich im Spiegel betrachten. Ergebnis vergleichen. 3. Alleine zum Chinabuffet gehen (für Suizidgedanken: viel bis zur Unkenntlichkeit Frittiertes aufladen) 4. Die ORF 2 Show „BINGO“ schauen, von Anfang bis Ende.

03.05.2013 Mein Lebenshilfe Buch ist angekommen. Jetzt wird alles gut (Jetzt wird alles gut)

30.05.2013 Soll ich heut dem süßen Serben an der Kassa in meinem Zielpunkt verraten, dass ich heut vergessen hab eine Unterhose unter der Jogginghose anzuziehen?

09.06.2013

09.06.2013

Eigentlich suche ich nur eine langweilige, wohlhabende Frau, die mich schwängert, mir mein Vater und Hausmanndasein ermöglicht, in dem ich meine Kreativität im basteln von Glückwünschkarten und im kreieren witziger Jausen ausleben kann, und die mir hin und wieder einen bläst.

Ich sehe mich eigentlich nicht als Schriftstellerin und noch weniger als bildende Künstlerin, ich sehe mich mehr als, wie soll ich sagen, blader depressiver Versager.

22.05.2013 Der Mensch, den ich am öftesten in meinem Leben nackt gesehen hab, ist Elfi Eschke.

07.05.2013 Einer dieser Momente, in denen man vergessen hat, dass vorm hinsetzen eine Tschick ins Klo geworfen hat und sich sehr erschrickt, weil man offensichtlich eine Tschick geschissen hat.

04.06.2013 Gestern habe ich mir aus Langeweile kurz die Hanfparade angeschaut. Ein riesiges schwerfälliges schlurfendes Dreadlock schleppte sich zu trägen Raggae- Bässen durch die schöne Wiener Stadt. Wenig Bierdosen, viele Snacks, Hippies, ausgetrocknete Altkiffer mit strohigem Haar,milchgesichtige Teenagerbuben, die Augen genauso rot wie ihre reifen Aknepickel, die Bong in der Hand als Phallussymbol der trüben Adoleszenz. Insgesamt eine sehr friedliche Demo, trotzdem gab es einige Ausschreitungen: Um 18 Uhr am Schwedenplatz hatte plötzlich niemand mehr Papers, zwei Jugendliche sind beim Gehen eingeschlafen, gegen 17 Uhr verschluckte sich jemand an seinem Schokodonut, eine Bong ging kaputt und Babylon brennt.

16.05.2013

05.04.2013 Ich habe mir heute einen Ordner gekauft, EINEN ORDNER! Ich habe ihn auf den Gipfel des Müllbergs meiner Wohnung gestellt wie ein religiöses Symbol.

17.06.2013 In meinem Lieblingsbadeort Greifenstein kann man noch nicht baden weil die Donaugewässer wegen dem Hochwasser jetzt mit Fäkalien und so was zugeschissen sind. Also bin ich nur allein mit dem Fahrrad herumgefahren, hab mich ans Wasser gesetzt, mit einem stück Treibholz an einem toten fisch herumgespielt, einen Schmetterling erschlagen und geschwitzt.

04.07.2013 Meine heimlichen Freuden: ins Schwimmbad brunzen, Nasenrammel unauffällig unter deinen Tische schmieren.

28.06.2013 Immer wenn ich im Stress bin, vergesse ich zu essen (bin nie im Stress)

26.06.2013 Me so horny

24.06.2013

Wenn ich mehr als eine Sache pro Woche zu tun hab, krieg ich Burn-out.

Ich hab ein Lied gedichtet und das geht so: Thomas Brezina, du seltsamer kindermann, verrat mir dein dunkles geheimnis. in deinem Keller wohnen Lilo, Poppi, Axel und Dominik, gell? Oder nicht? Was sind deine Hobbies, lustiger Kindermann? Thomas Brezina, Wächter der Fantasie! Du verrückter Kindermann! Hör auf mich zu kitzeln!

06.06.2013

22.06.2013

Gestern hab ich einen recht schirchen Typen in einer Bar, sagen wir einfach mal, es war die Einhorn-Bar, gesehen. Er war mager, hatte ein ganz blasses, eingefallenes Gesicht und dazu ein pferdeähnliches Gebiss und ich dachte mir, du bist aber ein abstoßender Einhornprolo. Dann hat er was gesagt und dabei hatte er einen britischen Akzent .Da hatte sich plötzlich alles gewandelt, denn er war plötzlich UK- schirch, authentisches fahles, kränklich wirkendes Großbritannien- hässlich, was ja eigentlich unheimlich attraktiv ist, plötzlich war er wunderschön. (Irgendwann stellte sich raus, dass er Italiener ist, da war der Zauber wieder weg)

Hallo kälte, mein böser Geliebter. Küss mich mit deinen blauen Lippen, schling deine eisigen dürren Arme um mich ganz fest- bohr mir deine knorpeligen Glieder in meinen schwammigen verschwitzten Körper. Buder mich fest rein mit deinem harten Eiszapfen!

Zwischen meinem Zeige- und meinem Mittelfinger riechts echt komisch, nicht schlecht … aber auch nicht wirklich gut.

08.06.2013

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16.06.2013 Ich will nicht mehr ins Callcenter irgendwie

29.03.2013 In einer perfekten Welt wäre ich Zumba-Lehrerin.

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Kolumne Blow-up: Film in Österreich von Gunnar Landsgesell

Links: Blutgletscher. Rechts: The Sound Of Music. Dahinter: Berge.

Die Berge sind frei   Genre ist nicht nur narrative Konvention, sondern auch geteiltes Erleben und Verstehen. Notizen zu »Blutgletscher« und Heimatfilm.

N

och einmal zur klugen Genreproduktion »Blutgletscher«: Ursprünglich hatte der Film ja »Gletscherblut« geheißen. Der Titel musste geändert werden, weil es bereits eine deutsche Fernsehproduktion gleichen Namens gibt. So verdrängte der Gletscher das Blut in der primären Wahrnehmung des Titels, was auch eine Deutungsverschiebung vom Organischen zum Geografischen mit sich brachte. Die ursprüngliche Betonung von Blut, in Verbindung mit dem Narrativ des Berges, ließ die historische Referenzialität von Heimatfilmen und schicksalshaftem Geschehen in den Vordergrund treten. Dass auch noch die Genetik eine Rolle spielt – die Körper von Tieren mutieren zu Chimären – bringt einen assoziativ fast schon auf die Nazi-Zeit und deren filmischen Korpus. »Blutgletscher« selbst versucht aber nicht, sich mit historischen Topoi auseinanderzusetzen. Auch das Genre des Heimatfilms mit seinem gesellschaftlichen Determinismus, den genderauffälligen Förster- / Wilderer- und Großbauerfiguren und schließlich seiner verlogenen Moral bieten nur die filmhistorische Rahmung einer Erzählung, die auf dem Berg spielt und mit Begriffen wie Blut und Genetik changiert. Eigentlich ein erfreuliches Zeichen, dass die Referenzpunkte dieses Films nunmehr zeitgemäß ausfallen dürfen. Die Klimaveränderung scheint ein wichtiger Punkt zu sein, in dem das Creature Feature seinen Anfang findet. Zudem zeigt die Verschiebung der Genreausrichtung vom Heimat- zum Horrorfilm (wiewohl dieses oft auch sehr nahe beieinander lag), dass die österreichische

Gesellschaft sich soweit verjüngt (und ihren mentalen Isolationalismus überwunden) hat, dass ein Andocken an internationale Formate auch in heimischen oder »nationalen« Rahmungen möglich ist. Bei einem Film über Blut und Berge und Eis steht einfach so John Carpenter Pate, ohne dass Luis Trenker 2.0 noch einmal auf den Berg zum Kampf gegen Riesenameisen getrieben werden muss. Nach dem völkisch-dümmlichen Determinismus der Heimatfilme, der erst in den 70er Jahren abebbte bzw. im Lederhosen-Jucken eine letzte groteske Selbstentäußerung fand, und nach einer Phase kritischer Heimatfilme, die sich noch einmal am Genre abarbeiten mussten, scheinen die Berge nun wieder frei zu sein.

Almrauschen Entscheidend ist dabei der Genrebegriff, der hier freigesetzt wird. Geht es bei Genre doch nicht allein um bestimmte narrative Konventionen, etwa, dass in einem Horrorfilm erst im zweiten Akt ein Monstrum auftreten darf, sondern auch darum, dass Genre so etwas wie ein »kollektiv geteiltes emotionales Erleben« (Kappelhoff) ermöglicht und herstellt. Dass sich also im Genrekino Kommunikationszusammenhänge und Erfahrungen einer Gesellschaft öffnen und verflüssigen, dieser also nicht nur eine filmische Sensation vorgesetzt wird, sondern auch deren aktives Verstehen vorausgesetzt werden darf. Damit unterscheidet sich so eine Filmproduktion in seiner responsiven Kollektivität etwa von Arbeiten, die solitär funktionieren, die man als kritische, aber nur vereinzelte Positionen nennen kann. Denkt man an die 70er Jahre, als das Heimatfilmgenre langsam auslief, dann war dieses ja nicht nur ein Unterhaltungsformat. Die Filme wurden fast alle von deutscher Hand finanziert, während die Österreicher als stolze Enzian- und Almenrauschvertreter

durch das Bild liefen. Auf Aufnahmen, die etwa die Medientheoretiker Peter Weibel und Valie Export bei ihren Straßenaktionen in den 60er / 70er-Jahren zeigen, sieht man im Hintergrund die Lodenmantelfraktion auch in der Bundeshauptstadt auf den Gehsteigen stehen und glotzen. Devianz war damals – anders als mit dem Ende, das »Blutgletscher« nahelegt – kein kollektivierendes Programm für Zukunft. Heimatfilm in Österreich wurde zum Narrativ einer reaktionären Gesellschaft selbst, ein funktionierendes Genre in Ausdruck und Sprache seiner Zeit. Die Gründung der Österreichischen Filmförderung 1981 war insofern eine Zäsur. Sie hat den finanziellen Boden bereitet, um einzelne Autorenpositionen wie jene von Valie Export (etwa ihr Spielfilm »Unsichtbare Gegner«, 1976) in das Kommunikationsgeschehen eingreifen zu lassen. Genre ist ein Container, der solches Geschehen anbietet, verschränkt und verändert. »Blutgletscher« ist insofern selbst ein Mutant auf diesem Gebiet, und das ist gut so. Denn Widergänger des Heimatfilms treten noch einmal – nun als Farce – auf, wie demnächst bei »Im weißen Rössl«. Hier ist die Welt noch auf unheimliche Weise in Ordnung, nur mehrheitsfähig ist das nicht mehr.

Gunnar Landsgesell landsgesell@thegap.at

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Bleib kritisch.

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Karlheinz Kopf, ÖVP, Dezember 2011

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139 Gin Ga Yes/No (Monkey)

Eingelöste Erwartungen Gin Ga veröffentlichen mit »Yes/No« schlicht das beste von ihnen erhoffbare Album. Pop voll großer Momente und einer immer noch tief stapelnden Produktion. Die Drums und Rhythmen treten in der Vordergrund, die Keyboard-Flächen wurden opulenter und mutiger und es gibt noch mehr mehrstimmige Gesänge. Gin Ga überraschen auf ihrem zweiten Album »Yes/No« dabei in erster Linie mit der durchgängigen Qualität des Ergebnisses. Alle bisherigen Veröffentlichungen haben diese Richtung angedeutet, die – von gewohnt stimmigen Videos unterstützten – Previews »Dancer« und »Golden Boy« haben die Erwartungen verdichtet und die Konzerte der letzten Monate schon vorab jeden Zweifel beseitigt: Indie-Geschrammel findet sich auf »Yes/No« nur mehr als bewusst eingesetztes Stilmittel, statt dessen ist das Album ein Bekenntnis zu großem Pop ohne Berührungsängste. Ein Musikverständnis, dass sich nicht bei den Trends der letzten Jahre bedient und auch diese nicht bedient. Die Verbreiterung des Sound-Spektrums und der endgültige Abschied vom Selbstverständnis als Gitarrenband waren immer schon vorbereitet, werden nun aber ausgespielt. Könnte irgendetwas besser sein? Gin Ga halten nach wie vor an einer detailreichen Indie-Produktion fest, die verhindert, dass manche Momente im Kitsch aufgehen, es andererseits aber auch schwerer macht, dass weniger offene Ohren Zugang finden. Die Songs würden jedenfalls mehr Stadion-Sound vertragen, als tatsächlich zu hören ist. Nach wie vor großartig auch Alex Konrads Stimme, die jederzeit Dringlichkeit ausdrückt, sich aber dem Band-Sound unterordnet. Die Texte zeugen von Humor und Stilbewusstsein – treten aber nie gegenüber den musikalischen Ideen in den Vordergrund. Die Songs sind so groß und gut, sie würden ein bisschen mehr Show und Schein vertragen; live bekommen sie immerhin teilweise mehr Druck. »Yes/ No« zeugt in jedem Moment von einer zwingenden Entschlossenheit, zeigt eine Band, die die letzten Jahre genützt hat, um zu reifen, die große Songs schreiben und diese vielfältig instrumentieren kann. Viele Details findet man hier sowieso, aber warum sich damit aufhalten: Lieber kapitulieren und sich der großen Euphorie hingeben. 09/10 Martin Mühl 057

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Danny Brown Old (Warner)

m u si k

Ryan Hemsworth Guilt Trips (Last Gang)

Alt und neu

Mädchenmusik für Buben

Der Detroiter Rapper Danny Brown spart nicht mit Überraschungen. Dabei gelingt ihm der schrille Sprung über die Gräben der Rap-Generationen.

Das Remix-Wunderkind veröffentlicht ein Album, das nach Liebe, Leichtigkeit und Glück klingt, den Bogen aber gelegentlich überspannt.

Intakte Schneidezähne sind überbewertet – auch im Rap. Seit seinem Erfolgsalbum »XXX« aus 2011 kommt man um Danny Browns zerlückte Vorderzahnreihe nicht mehr herum. Mit zerzausten Haaren grinst der Rapper aus Detroit seither von MagazinCovers, gibt Style-Interviews und featurt sich durch den Rap-Olymp. Jetzt hat er mit seiner neuen Platte »Old« nachgelegt und eindrucksvoll bewiesen, dass er unter der neuen MC-Generation zu einer der interessantesten Persönlichkeiten zählt. Entscheidend dafür ist, dass Brown eben problemlos den Sprung über die Gräben der unterschiedlichen Rap-Generationen schafft, ohne sich einer Ecke anzubiedern. Dabei scheint es ihm in der Outcast-Rolle des Rap zu gefallen. Statt in teuren Tom Ford-Anzügen schlägt sich Brown lieber auf Uppers durch das Nachtleben. »Old« bricht dabei weder mit RapTraditionen noch verwehrt es sich dem aktuellen HipHop-Status-Quo. Vielmehr vereint das Album sie: Aufgebaut als klassische Vinyl-LP bedient die A-Seite die Fans des alten Danny Brown. Dort gibt er sich als großer Geschichtenerzähler, berichtet über sein Heranwachsen in Detroit, Obdachlosigkeit, Crackdealer, die ihre Hunde auf Süchtler jagen und über zerbrochene Familien. Seine eigene gehört dazu. »Red 2 Go« markiert einen symbolischen Schnitt und tritt den Hörer unweigerlich ins musikalische Jetzt. Crack und Tristesse waren gestern, MDMA und Glitzer sind heute. Danny Browns unverkennbarstes Merkmal ist sein Spiel mit der Stimme, irgendwo zwischen Wu-Tang-Legende ODB und der britischen Grime-Ikone Dizzee Rascal. Die neun Nummern der zweiten Seite nach elektronischer Rasanz, die in »Float Go« ihren Ausklang finden. Mithilfe der britischen Synthie-Pop-Göre Charlie XCX rundet Danny Brown das Album ab und unterstreicht seine Stellung als vielseitiger und ausgezeichneter Rapper, der sich für Überraschungen und Stilbrüche nicht zu schade ist. Schneidezähne braucht er dafür jedenfalls keine. 08/10 Andreas Hagenauer

Im Jahr 2009 hatte Facebook 360 Millionen Mitglieder, mittlerweile sind es eine Milliarde. Soundcloud hat seine Nutzerzahlen zwischen 2010 und 2012 von einer auf zehn Million gesteigert. Im selben Zeitraum kam es zu einem Aufstieg einer Generation von Produzenten, die die Möglichkeiten des Social Webs exzellent zu nutzen wissen: Sie kommen ursprünglich nicht aus dem elektronischen Bereich, nehmen das Beste aus Hip Hop und R’n’B, werfen es mit Elementen aus House und teilweise sogar Elektro in den Zementmixer und betonieren damit ihren Weg durch das Internet. Sie kommunizieren persönlich über Twitter und Facebook. Sie sind jung, gutaussehend und als Posterboys geeignet. Sie heißen Cyril Hahn, Cashmere Cat oder eben Ryan Hemsworth. Doch sie stehen alle vor einem Problem: Das Internet gibt ihnen die Möglichkeit ihre Songs in Windeseile zu verbreiten. Allerdings funktioniert das SoundcloudFormat auf Basis einzelner Tracks und Remixes. Eine Übersetzung in ein Album stößt dann oft an ihre Grenzen. Grundsätzlich gelingt das »Guilt Trips« aber ganz gut. Der Kanadier Hemsworth gilt als Remix-Wunderkind und hat auch schon »Show Me The Meaning Of Being Lonely« von den Backstreet Boys so zercuttet, dass es wieder cool war. Und auch auf »Guilt Trips« finden sich diese kleinen, absolut glücklich machenden Perlen. Wie »Yaeko Mitamura Is Lonely«, das vom Zusammenspiel von Xylophon, Bongo und den Stakatto-Vocalsamples lebt. Oder »Weird Life«, ein Synthiegewitter vor dem Herren. Und nicht zuletzt das leicht unheimliche »Ryan Must Be Destroyed«, das nach nächtlichen Autofahrten klingt, nach Filmmusik, und bei dem von weit her Kavinsky winkt. Ryan Hemsworth hat keine Angst vor Pop, macht Mädchenmusik, die man auch als Junge gut finden kann. Vielleicht auch umgekehrt. Das bedarf aber eines Balanceakts, der Hemsworth nicht überall gelingt. Leider verliert er bei einigen Tracks den Halt und gleitet ins Süßliche ab. Das gilt insbesondere für Tracks mit Gastsängern wie Bath oder Tinashe. Hemsworth Motto ist offenbar »Happiness & Dreams Forever«. Und das geht sich ziemlich gut aus. 07/10 Jonas Vogt

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Fijuka Fijuka (Seayou Records)

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Laurel Halo Chance Of Rain (Hyperdub)

Hair-Folk

Sich wichtig nehmen

Fijuka prahlen mit ihren wunderschönen Haaren. Das ist größtenteils auch auf den musikalischen Inhalt übertragbar, aber mit ein klein wenig Spliss.

Im ambivalentesten Sinn des Wortes »interessante«, bildungsbürgerlich überfrachtete, kühl-verkopfte Techno-, Elektro- und Ambient-Variationen.

Fijuka, das sind Ankathie und Judith Filimónova, machen schon seit 2011 gemeinsam Musik, den Namen richtig wahrgenommen haben die österreichischen Indie-Tastemakers aber erst seit ihrem Auftritt beim diesjährigen Popfest. Zumindest setzte sich von da an die erste Single »Behave (From Now On)« immer wieder als hartnäckiger Schunkel-Ohrwurm fest – Disco-Synths, darüber glamouröser Sologesang, der schließlich in einen ironisch-schulmeisternden Refrain mündet. Dazu ein Video, das fast ebenso gut ein American Apparel-Reklame-Clip sein könnte. Glanzleggings, Mesh-Bodies, Lackslipper, Gymnastik und ja, jede Menge 80ies-Frisuren. HairFolk anstatt Hair-Metal quasi, nur besser. Aber so schwierig ist das ja auch nicht. So jedenfalls, wie man auch Frisuren mit Haarspray in Form bekommt, pimpen Fijuka ihren als Weird-Folk abgestempelten Sound mit ein bisschen elektronischem Tingeling hier und einer laut eigener Aussage schön schrottig klingenden Heimorgel da. Dass die hochsympathische bayerisch-österreichische Connection sehr viel Spaß an der eigenen Musik hat, lässt sich eigentlich weder überhören noch übersehen. Fast jeder einzelne Song auf dem selbstbetitelten Debüt trägt diesen feinen, ironischen Twist wie auf dem Silbertablett vor sich her. Das ist natürlich super und etwas ganz Besonderes, jedoch kann sich dieser allgegenwärtige gewitzte Charme als Aushängeschild zumindest bei den eher zurückhaltenden, balladesken Nummern wie »Porcelain Girl« und »Trains (The Checker)« schnell selbst im Weg stehen. Man könnte sich fragen, ob das denn jetzt ernst oder eh wieder nur lustig gemeint ist. Das ändert selbstverständlich nichts an der musikalischen Qualität der Songs, die durchwegs super bis souverän und okay sind, könnte aber schließlich dazu führen, dass Fijuka nicht unbedingt ewig von diesem Ulknudeln-Image zehren können. Oder eben von ihren wunderschönen Haaren. Aber Schluss mit der Spaßbremserei. Da das flotte Discofolk-Gespann wahrscheinlich auch lieber im Jetzt anstatt weit in der Zukunft nach der übernächsten American Apparel-Leggings-Kollektion lebt, wollen wir nicht so sein und tanzen und kichern einfach einmal mit. 06/10 Nicole Schöndorfer

2012 gehörte Laurel Halo mit ihrem Debütalbum »Quarantine« zu den Kritikerlieblingen. Dass ihre nicht unbedingt an konventionellen Hörgewohnheiten orientierte Musik durch Einsatz ihrer Stimme zugänglicher wurde, hat dabei wohl eine Rolle gespielt, denn die Kombination aus brauchbarem Gesang und dem Willen, technologiebasierte Klangmanipulationsmöglichkeiten auch weit jenseits eines pragmatischen Zugangs auszureizen, ist keine, der man jetzt so häufig begegnen würde. Da ist dann ein kleiner Hype in einschlägigen Kreisen verständlich und auch nicht unangebracht. Ob Kalkül dahinter steckte, beim Debüt durch das menschliche Element Stimme die Zugangsschranken zu senken, weiß nur Laurel Halo selbst – auf »Chance Of Rain« bleibt sie jedenfalls konsequent stumm und lässt die Maschinen sprechen. Dass eine Künstlerin sich einfach eines ihrer zuvor benutzten »Instrumente« nicht bedient, noch dazu, wenn es ihr viel Aufmerksamkeit brachte, ist an sich schon ein starkes Statement. Ob die Reaktionen so überschwenglich ausfallen werden wie beim letzten Album, darf aber bezweifelt werden. Die Stücke sind sperriger als auf dem Debüt, ohne Erdung durch die Stimme fällt auch stärker auf, wie bemüht und kopflastig diese Musik ist – ein ständiges und durchaus geschickt ausgeführtes Schichten, Türmen und Verschränken von vielen kleinen Details, die miteinander – irgendwo zwischen Tanz und stilisiertem Kampf – im Clinch liegen. Nur fehlt die große Leidenschaft, sondern gleicht mehr einer diszipliniert geführten, akademischen Diskussion über ein Nischenthema ohne große praktische Relevanz. Etwa darüber, ob es wirklich eine starke künstlerische Aussage ist, Eingängigkeit bewusst der Komplexität zu opfern. Das Technouniversum liefert hier die Grundbausteine, so wie Halo sie bearbeitet und zusammensetzt, kommt aber Musik dabei heraus, die sich bei ihren Bemühungen die Untiefen der auf Effizienz ausgerichteten Konventionen zu umschiffen, einfach eine Spur zu wichtig nimmt. 06/10 Thomas Wieser

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Paul McCartney New (Sony BMG)

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Blood Orange Cupid Deluxe (Domino Recording Company)

Old Is The New Young

Dub wiederentdeckt

Paul McCartney hat ein Album gemacht, ein nebensächliches, ein ganz neues. Dass Pop andererseits gerade so alt ist wie noch nie, liegt nicht an ihm.

Dev Hynes behält sein Alias Blood Orange für ein weiteres Album. Neben 80er-Glam, Soul und Hip-Hop brilliert er vor allem damit, den Dub für sich zu entdecken.

Paul McCartney hat alles erreicht. Er muss nichts mehr. Aber offensichtlich will er. Paul dürfte sich ein paar gute Berater genommen haben. Die arbeiten nun weniger an der Promotion eines einzelnen Albums, sondern an seinem ganzen Vermächtnis. Auch noch mit 71 Jahren soll es von Pauls einzigartigem kindlichen Genie durchwetzt sein. Die Alben davor fanden noch ohne breite Öffentlichkeit statt – ganz im Stil alternder Musiker, die sich ohne Ende Studiozeit leisten können, Musik wie für sich selbst machen und sich nicht mehr mit Anwälten herumschlagen möchten, mit der PR-Ochsentour oder dummen Executives. Das sollte sich ändern. »New« heißt das Album, mehr wie eine Parole. Neu will es sein. Das Album kommt mit dem kompletten Netzgeschirr daher – Soundcloud, Instagram, Youtube, Twitter-Interview, mit den Produzenten Mark Ronson – Goldjunge von Amy Winehouse – und Paul Epworth – Goldjunge von Adele oder Bloc Party. Warum all die bunten Services? Weil sie heute dazu gehören und längst Mainstream sind. Man konnte ja in den letzten beiden Jahren manchmal das Gefühl bekommen, dass so viele alte Männer wie noch nie zuvor den Ton angaben. So wie David Bowie, Daft Punk, Pearl Jam, Dave Grohl, Jay-Z, Placebo, Nick Cave, Tocotronic, Kate Bush (die weibliche Ausnahme), Depeche Mode oder Green Day – ihre Alben werden durchs Dorf getrieben, als wäre von ihnen tatsächlich etwas Neues zu erwarten, als hätten sie der Gegenwart etwas hinzuzufügen, das diesen Moment definiert. Das hatten sie nicht. Was nun nicht heißt, dass all ihre Alben schlecht gewesen wären. »New« ist innerlich ganz alte Schule. Das Songwriting sowieso – klassischer Pop, wie er ja von McCartney selbst vor einem halben Jahrhundert definiert wurde, zwischendurch folkige oder vorsichtig elektronische Einsprengsel, Musik für frohe Tage. Das große Statement ist »New« nur nicht geworden, zu sehr fransen die Ansätze der vier Produzenten aus. Auch wenn man sich kaum etwas vorstellen kann, was man mit 71 Jahren lieber machen würde wollen als so ein Album.

Jeder Pop-Inszenierung ihr eigenes Alter-Ego: Mit den Test Icicles hält Devonté Hynes Mitte der Nuller Jahre Dance-Punk warm. Ab 2006 beschreitet er als Lightspeed Champion und mit Pelzmütze folkige Pfade. Klar, dass damals seine »Never Meant To Hurt You«-Version geiler klang als das Original von den Good Shoes. Auch klar, dass nach zwei Alben wieder Schluss war, denn sein überzeugendstes Projekt war noch ungeboren: Blood Orange. Nach einer Stimmoperation, dem Umzug nach New York und Arbeiten für Solange oder Cassie hat sich sein Blick auf Pop verändert. Und seine Möglichkeiten: Falsettgesang à la Prince geht jetzt. Sein Debüt wird eine Hommage an das New York der 80er, an vor Rouge glühende Drag-Queen-Wangen, im Neonlicht schimmernde Pelzmäntel, japanischen Synth-Kitsch und Surf-Gitarren. Auf seinem Debüt singt er »I feel unique, not complete« und in der gelungenen Single »Sutphin Boulevard« dann »See you in the May, when I’m a boy« – fast so als wüsste er, dass eine weitere Metamorphose bevorsteht. Im Falle seines zweiten Albums »Cupid Deluxe« ist es die Entdeckung des Dub, den er mit R’n’B, Afrobeat und immer noch einem 80er Vokuhila-Glam-Musical paart. Blood Oranges Sound ist gewachsen und nicht mehr so ortsgebunden. Es zieht einen auch einmal an den Strand oder wie in der Single »Chamakay« zu seinen Wurzeln nach Georgetown. Im Video sieht man ihn mit seinen Verwandten durch die Straßen tanzen. Das erinnert stark an seine Solange-Produktion »Losing You«, in »Uncle Ace« auch unverkennbar an die SinkaneSingle »Runnin«. In »It Is What It Is« erklingt ein Xylophon-Thema, auf Plattenlänge schrauben mal organische Rhythmuspatterns, mal HipHop-Beats an der Struktur. Man hört sanfte Keyboard-Flächen, Wah-Gitarren, Slap-Bässe und Bläsersätze. Dazu gesellt sich Hynes Falsetto zu stimmigen Soul-Chören bis hartem Sprechgesang. Im August, kurz vor Album-Release, hat Blood Orange übrigens Drakes »Hold On We’re Coming Home« gecovert: Es wirkt, als wüsste er, dass seine Art R’n’B zu arrangieren noch nie so gut funktionieren wird wie heuer. 07/10 Franziska Tschinderle

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Rez

Bo Candy & His Broken Hearts Flowers Must Fade (Konkord)

musik

Clara Moto Blue Distance (Infiné)

Sado Maso Guitar Club Sado Maso Guitar Club (Beatpop)

Abseits des Wasserkopfs

Faraway, so close

Wo Rock ’n’ Roll bunte Blüten treibt: die neuen Alben des Sado Maso Guitar Club und von Bo Candy & His Broken Hearts.

Keine Frage, Clara Moto ist eine sehr subtil agierende Produzentin. »Blue Distance« erweitert das Spektrum und geht sehr selbstbewusst an musikalische Grenzen.

Das kleine heimische Popwunder der letzten Jahre, das etwa vom Popfest Wien vorbildlich dokumentiert wird, ist natürlich mehr als ein Phänomen aus der Bundeshauptstadt. Eine ebenso große Rolle spielen dabei viele Landeshauptstädte, aber auch kleinere Orte – die sogenannte Provinz. Zum einen, weil diese zuverlässig gute Bands ausgespuckt hat, die über kurz oder lang dann doch wieder den Weg in Richtung Wasserkopf Wien finden sollten. Und zum anderen, weil sie auch Heimat so mancher Musikschaffender geblieben ist. Zwei treffende Beispiele dafür haben sich vor Kurzem mit neuen Alben zurückgemeldet. Da wäre etwa der Sado Maso Guitar Club aus Graz. 2009 von Matthias Krejan als ein freier agierender Spin-off der auch international überaus gefragten Sixties-Trash-Rock-’n’-Roller The (Incredible) Staggers ins Leben gerufen, lässt die Band auf ihrem Zweitling die ausgestellte Psychedelik-Affinität locker in Richtung Pop ausfransen. Gesang und Gitarre kratzen dabei weniger im Ohr als noch bei früheren Arbeiten, der bunte Strauß von Ideen wird von handwerklicher Versiertheit zusammengehalten – eine Konstellation, die der Musik aber leider etwas von ihrer Unmittelbarkeit nimmt. Auch Bo Candy & His Broken Hearts haben ihr zweites Album am Start. Und die Band rund um Tom »Kantine« Pronai, der in seinem Studio im burgenländischen Oslip schon so manch österreichisches Vorzeigealbum auf Spur gebracht hat, greift ebenfalls auf gut abgehangene Rock-’n’-Roll-Traditionen zurück. Neben stampfenden Stücken glänzen auf »Flowers Must Fade« aber auch entschleunigte Elegien, die nach schwerem Herzen und gleichzeitig nach Trost, sehr persönlich und gleichzeitig allgemein gültig klingen, irgendwie nach echtem Leben – und jedenfalls, um die Klammer zur Einleitung zu schließen, alles andere als provinziell. 07/10 bzw. 06/10 Manuel Fronhofer

Erst kürzlich stand uns Clara Moto zum Geschlechtergefälle in elektronischer Musik Rede und Antwort. Darin erläuterte Clara Moto auch, dass sich ihr neues, zweites Album um Distanz, Entfernung und Entfremdung drehen wird. Das ist auch deutlich zu hören. Geisterhaft surrende Synths, dunkle Nebel, einsam gestorbene Pianomelodien ziehen schon im Opener auf, bis eine satte Bassdrum einsetzt. Clara Moto hat eindeutig ihr Spektrum erweitert. Verhallte Stimmen huschen durch den nächsten Track, flirten eindeutig mit Tri Angle Records. Genau das klingt nun zwar nicht sehr frisch, zeigt aber, dass Clara Moto aus den bekannten Beats ausbrechen will. Die aus Graz stammende Wahlberlinerin war seit jeher eine Grenzgängerin zwischen Songwriting und Intelligent Dance Music. Ihr Label Infiné ist ohnehin bekannt dafür, dass es elektronische Produktionen mit Ingredienzien anreichert und es um Elemente erweitert, die erst einmal nicht am Floor funktionieren müssen, sondern als Ohrmuscheltechno für die Zeit außerhalb vom Club gedacht sind – sei das nun von Labelgründer Agoria, von Francesco Tristano mit seinen diversen Verpuppungen wie etwa Aufgang oder eben Clara Moto. Was sich heuer bereits auf der geradlinigeren EP »Joy Departed« angekündigt hatte, wird nun auf »Blue Distance« äußerst konsequent weiter gesponnen. Es gibt sie natürlich auch, die Tracks, die nicht nur auf den Dancefloor schielen, sondern dort daheim sind. Insgesamt finden sich auf »Blue Distance« aber viele persönliche und fast intime Songs, die sich den gängigen Kategorien entziehen. Sie zeugen auch davon, dass Clara Moto bereit ist, als Musikerin an ihre Grenzen zu gehen. Egal ob auf »For All Reasons So Sad«, »Holy« oder »Lyra« – all diese Songs strahlen trotz ihrer Zerbrechlichkeit große Kraft und Selbstbewusstsein aus. Das geht, anders als der Albumtitel es nahe legt, ziemlich nahe. 07/10 Kevin Reiterer 063

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R ez Inside Wikileaks (von Bill Condon; mit Benedict Cumberbatch, Daniel Brühl, Carice van Houten) — Männer, die auf Bildschirme starren, unentwegt, immerfort: Nicht gerade die packendste Idee für die visuelle Ausgestaltung eines Polit-Thrillers. So optimal getimt die Adaption von Assange-Kollaborateur Daniel Domscheit-Bergs Wikileaks-Enthüllungsbuch sein mag, so missraten ist letztlich deren Umsetzung. Regisseur Bill Condon, der in den Zeiten vor seinen »Twilight«-Filmen mit einem Kinsey-Biopic noch als fantasiebegabte Kraft galt, scheint mit dieser dröge dahinholpernden Arbeit aber gar nicht erst den Eindruck erwecken zu wollen, etwas über Leben und Streben des genialen Egomanen Assange zu erzählen zu haben, das über TV-Spieldoku-Standards hinausragen könnte. Betrachtungen zum schwelenden Konflikt von Datenschutz und Transparenz? Lieber mal noch, extraflashig, Chat-Protokolle über die Leinwand sausen lassen. Like it’s 1996. Keine Botschaft, keine Bilder, kein Bumms. Da kann selbst der gewohnt souveräne Benedict Cumberbatch nichts mehr retten. 05/10 Christoph Prenner Shirley – Visions Of Reality (von Gustav Deutsch; mit Stephanie Cumming, Christoph Bach, Florentin Groll) — Von Hitchcock über Jarmusch bis hin zu den Simpsons: Oft schon hat man sich an Edward Hoppers malerischen Inszenierungen filmreferenziell vergriffen. Mutig genug also, sich ein weiteres Mal mit diesen klassischen Zitaten zu beschäftigen. Den Avantgardefilmer Gustav Deutsch hat aber weniger Mut als vielmehr Liebe zu Kunst und Kino dazu bewegt, Hoppers wiederum vom Medium Film inspirierte Bilderwelten als Grundlage seines ersten Spielfilms zu verwenden. Bestens vertraut im Umgang mit Found Footage erwecken Deutsch und sein Team (darunter Lebensgefährtin und Malerin Hanna Schimek) 13 Hopper-Gemälde von den 30ern bis in die frühen 60er in akribischer Feinarbeit und mit viel Fingerspitzengefühl zum Leben. Innerhalb dieses rekonstruierten Settings bewegt sich Hauptdarstellerin Shirley, eine Schauspielerin des New Yorker Living Theatre. Ihr persönlicher Lebens- und Leidensweg korreliert ständig mit popkulturellen und politischen Aspekten amerikanischer Geschichte. Das Ergebnis ist ein einzigartiger Kunstfilm, der neben einer Art historischer Dokumentation pittoresk-inszenierte Visionen von Realität erschafft. 08/10 Cornelia Dorfer

Venus im Pelz (von Roman Polanski; mit Emmanuelle Seigner, Mathieu Amalric) — »In der Leidenschaft des Mannes beruht die Macht des Weibes«, heißt es in Leopold von Sacher-Masochs »Venus im Pelz«. Von David Ives wurde die Novelle für den Broadway adaptiert. Roman Polanski hat Ives’ Stoff nun fürs Kino aufbereitet. Eine lange Planfahrt entlang einer Allee führt durch ein Foyer auf die Bühne eines Theaters. Hier castet der Regisseur Thomas die weibliche Hauptrolle für seine Bearbeitung der Novelle. Es ist die letzte Kandidatin, Vanda, die Thomas in ihren Bann ziehen soll – sie ist plump, vulgär und anrüchig. In dem dichten Kammerspiel stülpt Polanski Mathieu Amalric und Emmanuelle Seigner die Rollen von Regisseur und Schauspielerin über. Natürlich sind ab nun die Grenzen fließend. Natürlich sind die Kernfragen, wieweit eine Rolle reicht, reichen darf, wie sehr das gespielte Machtspiel umgeleitete Lust und Begierde ihrer Darsteller widerspiegelt. Polanski spielt mit dem Tabubruch, der keiner ist. Trotz des beeindruckenden Spiels der beiden Hauptdarsteller scheint die psychologisierende Tiefbohrung nicht so recht zu gelingen. 06/10 Peter Schernhuber

Film

Prisoners (von Denis Villeneuve; mit Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Paul Dano)

Spurlos verschwunden Hugh Jackman übt als verzweifelter Vater Selbstjustiz. Ein fesselnder Thriller, der an die Grenze des Erträglichen geht, ohne sich in Kunstblut zu suhlen. Manche nennen sie umsichtig, andere paranoid: Immer mehr Menschen, vorwiegend in den USA beheimatet, horten haltbare Lebensmittel und Benzin, bauen Luftschutzbunker in ihre Gärten und vergraben Munitionskisten im Wald. Schließlich will man vorbereitet sein, falls die Zivilisation plötzlich vor die Hunde geht – ob nun durch einen atomaren Anschlag, ein landumspannendes Blackout oder die Zombie-Apokalypse. Keller Dover (Hugh Jackman) gehört zu diesen angehenden Selbstversorgern und -verteidigern, die gemeinhin als »Prepper« bezeichnet werden. Dover ist Handwerker und Hobbyjäger, Familienvater und Alphatier. Er ist es gewohnt, die Dinge selbst anzupacken und fest im Griff zu haben. »Pray for the best, prepare for the worst« ist sein Wahlspruch und »Be ready!« der Ratschlag, den er von seinem Vater mit auf den Weg bekommen hat. Als es tatsächlich zur Katastrophe kommt, fällt sie allerdings anders aus als erwartet. Während die Dovers mit Freunden Thanksgiving feiern, verschwinden Tochter Anna und ihre Spielkameradin spurlos. Ein zuvor in der Nachbarschaft gesichtetes Wohnmobil wird zur Fahndung ausgeschrieben und kurz darauf aufgespürt. Detective Loki (Jake Gyllenhaal) vernimmt den Fahrzeuglenker (Paul Dano), der sich als geistig zurückgeblieben herausstellt. Als der junge Mann aus Mangel an Beweisen laufen gelassen wird, sieht Dover sich zu drastischen Maßnahmen gezwungen. Er entführt den vermeintlichen Kidnapper und verfrachtet ihn in eine selbstgebaute Folterkammer. Der Schutz, den die Vorbereitung bietet, ist letztlich eine Illusion. Wirklich sicher kann man niemals sein, so die Kernaussage von »Prisoners« – nicht vor den seelischen Abgründen seiner Mitmenschen, nicht vor den eigenen. Regisseur Denis Villeneuve verzichtet weitgehend auf explizite Gewaltdarstellungen und verlagert den Horror (das Ungeheure, das Grausige) erfolgreich ins Kopfkino. Der Spannungsbogen, den er dabei konstruiert, darf als grandios erachtet werden. Der Film gewinnt nach langsamem Beginn stetig und doch unaufhaltsam an Intensität, bis die Zuseher vor Spannung fast von den Sitzen kippen. Sehr gute Schauspielerleistungen runden das großartige Gesamtpaket ab. 08/10 Leo Dworschak

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Film

highlights Di. 05.11. // 20:00 LiteraturSalon

Armin Thurnher: Republik ohne Würde

Fr. 08.11. Linzer Kleinkunstfestival

Georg Ringsgwandl: Mehr Glanz!

Sa. 09.11. Linzer Kleinkunstfestival

Liberace (von Steven Soderbergh; mit Michael Douglas, Matt Damon, Scott Bakula)

Andreas Rebers: Predigt erledigt

Di. 12.11. // 20:00 Singer/Songwriter

Glen Hansard

The Bling King Zuviel des Guten ist wundervoll: Für seinen Schwanengesang hat sich Steven Soderbergh das Motto des porträtierten Piano-Exzentrikers vielleicht etwas zu sehr zu Herzen genommen. In seinem mutmaßlich tatsächlich letzten Film entführt uns Steven Soderbergh in die extravagante Welt von Liberace, eines Las-VegasSuperstars, der wirksam sein musikalisches Talent am Klavier mit spektakulärer Effekthascherei vermischte. Das zuletzt mit gleich elf Primetime Emmy Awards prämierte, mangels Filmstudio-Interesse eigentlich für den amerikanischen Pay-TV-Sender HBO produzierte »Behind The Candelabra« (so der Originaltitel) verhandelt dabei im Speziellen die Liebesbeziehung des zu Handlungsbeginn 16-jährigen Scott Thorson zu einem deutlich älteren Mann. Mit einer unwiderstehlichen Leichtigkeit und Einfühlsamkeit interpretiert Michael Douglas die Rolle des egozentrischen und doch charismatischen Entertainers, der die emotionale Reife eines kleinen Kindes hat. Das Motiv des minderjährigen Waisenjungen, der, von der glitzernden Welt des Reichtums angezogen, in die gierigen Hände eines alternden Superstars fällt, birgt einiges an Konfliktpotenzial. Andeutungsweise wird das auch genutzt. Am Operationstisch auf ein Facelifting wartend, das ihm eine Ähnlichkeit zu Liberace bescheren sollte, flüstert Scotts alternder Lover ihm liebevoll zu: »Sleep tight, Baby Boy! I see you on the other side!« Dabei ist der Umstand, dass der Entertainer Scott mit dem Rufnamen seines Lieblingspudels anspricht, noch gar nicht das Menschenunwürdigste an der Situation. Letztlich entpuppt sich aber die Besetzung des über 40-jährigen Matt Damon für die Rolle eines (anfänglichen) Teenagers als ordentlicher Griff ins Klo. Selbst wenn Damon ein besserer Schauspieler wäre, fiele es schwer, ihm den zarten Jugendlichen abzukaufen. Vielmehr fragt man sich etwa in der besagten dramatischen Szene, wie er wohl nach der Operation noch gekünstelter aussehen hätte können. Man hätte sich jedoch auch von Steven Soderbergh mehr erwartet. Die Zerrissenheit der Figuren und die aufwühlenden Konflikte werden meist von extravagantem Dekor und bunten Kostümen erdrückt. So müht man sich teilweise durch visuell überladene Langatmigkeit – und ärgert sich über ein verkitschtes, überhastetes Ende. 06/10 Leonie Krachler

Fr. 15.11. // 20:00 Pop

Edwyn Collins & Band / Rachel Sermanni

Sa. 16.11. // 20:00 Songwriter/Indie

Adam Green / Mika Vember

Sa. 23.11. Linzer Kleinkunstfestival

Die Geschwister Pfister in der Toskana

Sa. 23.11. // 20:00 HipHop/Ragga

Ohrbooten

Mi. 27.11. Linzer Kleinkunstfestival

Sven Ratzke: NachtSpiele

Do. 28.11. // 20:00 HipHop

Chakuza / Ok Kid

Fr. 29.11. // 20:00 LiteraturSalon

Erich Hackl: Dieses Buch gehört meiner Mutter

Sa. 30.11. // 20:00 Pop/Folk/Rock

Shy „Zwei“ CDPräsentation / mes. & .aga. / Florian Horwath / Loving.the.Alien

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at

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Flesh And Blood (Koch) Von Paul Verhoeven; mit Rutger Hauer, Jennifer Jason Leigh, Tom Burlinson

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Höchstwahrscheinlich waren es die für die 1980er Jahre ungewohnt deutlichen Liebesakte dieses Films, die ihm das Genick bei den Behörden gekostet haben: Paul Verhoevens »Flesh And Blood« (1985) ist nach vielen Jahren des Weggesperrtseins jetzt also auf dem Markt, und man merkt ihm die Jahre doch ziemlich an. Der robust gemachte Söldnerfilm thematisiert das Ende des Mittelalters anhand einer Handvoll von Protagonisten: hier der Söldner und sein rauf- und sauflustiges Gefolge, dort der junge und bis über beide Ohren verliebte angehende Wissenschaftler und gedemütigte Fürstensohn, dazwischen eine junge Frau ( Jennifer Jason Leigh), verliebt in beide Hauptdarsteller. Dass Holzstatuen Heiliger handlungsbestimmend werden konnten, stimmt und gibt »Flesh And Blood«, neben an da Vinci erinnernde neue Waffentechniken beim Erstürmen der Burg etwas Besonderes. Die Spielhandlung selbst bleibt mittelmäßig, ein bisschen scheint Sam Peckinpahs »Wild Bunch« als Vorbild gedient zu haben. 06/10 Hans-Christian Heintschel

Introducing Lizzy Caplan sie hing mit »freaks and geeks« ebenso ab wie mit »mean girls«. trotzdem kennt man lizzy caplan immer noch viel zu wenig. das sollte sich mit »masters of sex« nun ändern. — Was man Elizabeth Anne Caplan nun echt nicht vorwerfen kann: Dass sie nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre. Gleich ihren ersten Auftritt vor der Kamera hatte die Kalifornierin mit 17 in der als Urknallmoment des Judd-Apatow-Universums geltenden Serie »Freaks And Geeks« – ihre damaligen Mitstreiter James Franco, Seth Rogen und Jason Segel bilden heute die Speerspitze des kontemporären Komödienkinos. Doch damit nicht genug: Ihren ersten Leinwandauftritt hatte Caplan dann in einem der maßgeblichsten Chick Flicks der Nuller Jahre: »Mean Girls« – ihre damaligen Mitstreiterinnen Lindsay Lohan, Rachel McAdams und Amanda Seyfried gehören heute zu den ersten Adressen im RomCom-Rollenspektrum. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen hat es für Lizzy mit dem Platz in der ersten Reihe nie so recht geklappt. Fast schon hatte man sich damit abgefunden, dass eine der unterschätztesten lustigen Frauen der Gegenwart eben nie den ihr gebührenden Ruhm abstauben würde. Nun scheint es, als habe Caplan mit einem weiteren TV-Projekt doch noch den Jackpot geknackt: »Masters Of Sex«, die beste neue Serie dieses Fernseh-Herbstes, verhandelt die Geschichte von William Masters (Michael Sheen) und Virginia Johnson (Caplan), die in den Fifties mit revolutionären, dereinst aber sehr verpönten Methoden Pionierarbeit auf dem Gebiet der Sexualwissenschaften leisteten. Caplan weiß dabei die größte Stärke ihrer Leading Lady, eine ganz spezielle Art von scharfzüngiger Sexyness, aufs Allerfeinste für sich zu nutzen. Und selbst im Kino scheinen sich nun die richtigen Rollen aufzutun: Demnächst wird sie die weibliche Protagonistin in »The Interview« geben – einer naturgemäß schlüpfrigen Komödie, die sie mit ihren ExTV-Kollegen Seth Rogen und James Franco zusammenführen wird. Der Kreis, er schließt sich.  TEXT Christoph Prenner, TEXT Showtime

The Hour (BBC) Mit Romana Garai, Ben Whishaw, Dominic West

The Raid (Koch) Von Gareth Huw Evans; mit Iko Uwais, Pierre Gruno, Tegar Satrya

Wrong (Tiberius) Von Quentin Dupieux; mit Jack Plotnick, Eric Judor, William Fichtner

Die BBC entwirft in dieser Serie eine Historien-Version der eigenen Vergangenheit und schwelgt dabei wohl gewollt in »Mad Men«-Retro-Ausstattung. 1956 wird eine neue News-Sendung im britischen Fernsehen gelauncht, die sich gegen den Einfluss der Regierung wehrt. Schnell werden die Protagonisten außerdem in einen Spionagefall verwickelt. Schön ausgestattet, eher gemächlich erzählt und dafür ziemlich fein besetzt erzählt »The Hour« auch von gesellschaftlichen Umbrüchen, macht eine junge Frau zur Sendungschefin und lässt ihr Privatleben mit dem Job kollidieren. So richtig Spannung kommt in der Serie nicht auf, erst in der letzten der sechs Folgen verdichten sich die Ereignisse in einer Live-Sendung. Kriege und andere große Themen, wie Demonstrationen und lügende Politik, werden leider ein bisschen oberflächlich abgehandelt, auch wenn wenigstens die daraus entstehenden Zwickmühlen und Positionen ihrem Platz bekommen. Echte Überraschungen braucht es da gar nicht. 05/10 Martin Mühl Koch Media launcht zum zehnjährigen Geburtstag die AktionsReihe »Watch It« und macht so den grandiosen indonesischen Action-Film »The Raid« zugänglich. Rama, ein junger Polizist, und seine Spezialeinheit bekommen den Auftrag, ein Hochhaus in den Slums von Jakarta zu stürmen, in dessen oberstem Stockwerk sich der Gangsterboss Tama eingenistet hat und von wo aus er das gesamte Haus kontrolliert. Schon in den ersten Stockwerken werden die Polizisten aufgerieben und viele getötet. Kleinen Gruppen gelingt es weiterzukommen, viele Chancen haben sie aber nicht. Noch dazu stellt sich bald heraus, dass der Einsatzleiter ein undurchsichtiges Spiel spielt. Die Story erinnert an den letzten »Judge Dredd«-Film, ist aber naheliegend Nebensache. »The Raid« setzt auf Geradlinigkeit, bietet furiose Action, die nicht nur visuell großartig in Szene gesetzt wurde und bietet in der zweiten Hälfte vermehrt Martial Arts. Wohl auch wegen des beschränkten Budgets gibt es wenig Explosionen und anderes Blendwerk, dafür Körperkino der besten Form. Obwohl in Farbe gedreht, wird der Film von Grauschattierungen dominiert und von blutigem Rot aufgeheizt. »The Raid« ist ein Highlight. 08/10 Martin Mühl Nach dem spannenderen, aber auch absurden »Rubber« hat Quentin Dupieux aka Mr. Oizo mit »Wrong« eine eher leichte Komödie geschrieben und verfilmt. Im Zentrum steht Dolph, ein nicht besonders engagierter Mitt-Dreißiger, dessen Hund verschwindet. Geprägt ist der Film von allerlei humorvollen Absurditäten: Etwa ein Wecker, der nach 07:59 konsequent auf 07:60 springt. Mehr zu verraten, würden dem charmanten Streifen viel nehmen. »Wrong« liegt damit ziemlich genau zwischen den beiden Filmen von Miranda July: »You And Me And Everyone We Know« war noch stringenter und zwingender, »The Future« einfach nur unglaublich langweilig. »Wrong« nimmt sich ähnliche Freiheiten, besteht auf sein gemächliches Tempo und verweigert bei allem Humor Pointen im eigentlichen Sinn. Im besten Sinne schräg wird der überschaubare Cast durch die Szenen geschoben, echte Höhepunkte oder eine wirkliche Story braucht es nicht. Das ist sympathisch, aber nicht immer zwingend. 07/10 Martin Mühl Auf www.thegap.at außerdem Reviews von »Der Blender« (Ascot Elite), »Frankenstein’s Army« (Ascot Elite), »Hai-Alarm am Müggelsee« (Warner), »Der Hypnotiseur« (Prokino), »The Impossible« (Concorde), »Mystery« (Alamode), »Nikita Staffel 1« (Warner), »Star Trek Into Darkness« (Paramount)

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Buch Austrofred Hard On! (Czernin)

Carlotto / Carofiglio / De Cataldo Kokain 01 (Folio Verlag) — Der weiße Stoff eignet sich noch immer hervorragend als Transporteur von spannenden Geschichten. Die Anthologie »Kokain« beinhaltet drei Storys der italienischen Noir-Spezialisten Giancarlo De Cataldo, Gianrico Carofiglio und Massimo Carlotto. De Cataldo schwingt sich im »Schneeregen« nach Kolumbien, lässt dort eine wuchtige Kokaplantage emporwachsen, vernichtet sie sodann, spannt in rasender Geschwindigkeit Mexikaner vor seinen Karren und setzt in Mailand dann doch sehr gekonnt zur Landung an. Fazit? »Cocaine makes the world go round.« Carofiglio hingegen ist im besten Sinne des Wortes ein Weichzeichner. »Schneller als der Schutzengel« handelt von einer platonischen Beziehung zwischen einer mysteriösen Dame und einem Autor. Er ist auf der Suche nach einer Geschichte und sie will ihre Geschichte loswerden. Scheibchenweise wird erzählt, wie sie vor einigen Jahren als Kommissarin in den Strudel einer Liebesaffäre mit einer Informantin geriet, die mit einem großen Knall endete. Die Treffen zwischen der ehemaligen Kommissarin und dem Autor in einem abgewirtschafteten Café am Meer haben etwas Magisches. Eine aufregende Geschichte, die einzig und alleine einen Fehler hat: Sie ist zu kurz. Massimo Carlotto ist der renommierteste unter den drei Autoren, nicht zuletzt aufgrund seiner aufregenden Biografie – ein Justizirrtum ließ ihn einige Jahre hinter schwedische Gardinen wandern. Nun, wer die Gefängnisse von innen kennt, schreibt mit einer anderen Weitsicht. In seiner Geschichte »Campagnas Spur« schildert er sehr detailliert, wie in Padua die einstige Nobeldroge Kokain dem einfachen Arbeiter zugänglich gemacht wird. Kleine Fische würde man annehmen, doch ein Großer steckt bekanntlich immer dahinter, in seinem Fall ist es die bulgarische Mafia. Fast schon sentimental, die gelungene Zeichnung von Kommissar Campagna.

Dü Übrüchnüng bütte! Tour verhaut, Steuerprobleme und Journalisten im Genick – der Austrofred ist kurzfristig in die Türkei geflüchtet. Mit dem Orient Express kommt er aber wieder zurück. Eine putzmuntere Persiflage. Mit literarischen Formen hat Austrofred respektive Franz Adrian Wenzl, der Mann hinter der Kunstfigur, immer schon gerne experimentiert. So gibt es etwa vom Schmähführer der Nation bereits Tagebuchveröffentlichungen und auch einen Briefwechsel mit Wolfgang Amadeus Mozart. Nun pirscht sich der größte lebende österreichische Entertainer an den Roman heran. »Hard On!« heißt das schmale Büchlein, das auf keine 150 Seiten kommt, es aber trotzdem in sich hat. Denn was Wenzl / Austrofred so aufführt, ist mehr als bloß geblödelter Edel-Trash. Auf engstem Raum werden kleine erzähltechnische Volten vollzogen, die – sehr erbaulich – einiges an Stilmitteln der Postmoderne mit leichter Hand persiflieren. Gleichzeitig zitiert sich Austrofred in seinem ureigenen Ton aus Naivität, Bauernschläue und Größenwahn durch die (Austro-)Popgeschichte. Gewohnt gekonnt wie immer, wird dabei mit Alltagssprache, Dialektfetzen und Medienfloskeln jongliert, dass bringt eine ganz eigene Verve hervor. Querverweise und Fußnoten tun ihr Übriges, wenn in dem ganzen Irrsinn zum munteren Pointenhalali geblasen wird. Da darf das Buchcover schon an das Filmplakat des französischen Berufskillerthriller »Der Profi« mit Jean Paul Belmondo erinnern. Und im Metaebenen- und Pointengewitter ist auch kein Problem, wenn der Plot ganz, ganz lose an die Jean Paul-Satire »Dr. Katzenbergers Badereise« angelehnt ist. Alles, was so vorbeizieht, wird also zu erledigen versucht. Das ist Entertainment à la Austrofred. Der ist in diesem »autobiografischen« Roman in der Türkei gestrandet. Seine letzte Tour »Fire, Light & Austrofred« ist nämlich nicht von sonderlichem Erfolg gekrönt gewesen. Musikkritiker haben Schmähungen fabriziert und den Champion in seiner sensiblen Künstlerseele schwer getroffen. Zudem ist auch der Fiskus hinter ihm her. In Istanbul kommt Austrofred langsam wieder auf die Beine, indem er in Clubs, die so schillernde Namen wie »Sailor’s Heaven«, »Pink Hercules«, »XXXLarge«, »Golden Fountain« oder »Hard on!« dabei ist, wie die Post abgeht. Schnauzbärtige, durchtrainierte türkische Männer jubeln sehr körperbetont ihrem »Üz-trü-früd« dabei zu. Als ein Anruf kommt, dass ihn das österreichische Gesundheitsministerium als Testimonial zur Verbesserung des Images von Kuraufenthalten buchen will, sieht der Austrofred sein Comeback zum Greifen nahe. Mit dem Orient Express geht es in Richtung Heimat. Und zum Comeback-Willen gesellt sich noch eine schöne Portion Rachelust, denn der Austrofred hat eine Mission: Dem Journalisten Didi oder Sigi Neidhart für seine miesen Kritiken ordentlich einzuschenken. Das soll in Bad Schallerbach passieren, wo die »Kurnee« startet. Der Champion ist also wieder zurück und zeigt seiner Fangemeinde neue, auch nicht ganz lupenreine Facetten seiner vielschichtigen Persönlichkeit.

07/10 Martin G. Wanko

Sasha Grey Juliette Society 02 (Heyne Hardcore) — Sasha Grey ist im Moment vielleicht der bekannteste Ex-Pornostar des Planeten. Außerdem ist sie sehr klug und sagt viele schlaue Sachen in Interviews. Das macht sie deswegen auch zu einem der interessantesten ExPornostars des Planeten und ein bisschen auch zur Wichsvorlage für viele Feuilletonisten, die sich einen in die Tastatur schrubbeln, wenn die Sprache auf Sasha Grey und ihre neuen Projekte kommt. Nun hat die Amerikanerin einen Roman geschrieben. Ihren ersten. Der hat – zuallererst einmal einen ekelhalft grünen Einband. Wobei, grün trifft es nicht, es ist vielmehr mint. Das macht die Angelegenheit nicht besser. Mint ist nämlich viel grauslicher noch als grün. Natürlich darf man ein Buch nie nach seinem Einband beurteilen. Darum kann es nicht schaden, es zu lesen. Oder zumindest »50 Pages of Grey«, um zum Schluss zu kommen, dass dieser Fick-Thriller um eine freimaurermäßige geheime Bumsloge ein ziemlich lauter Futschas ist. Manfred Gram

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Buch

Lars Gustafsson Der Mann auf dem blauen Fahrrad 03 (Hanser) — Oft sind Erzählungen mit passenden Bildern illustriert, hier ist es umgekehrt. Die Fotografien aus der Kamera des Großvaters bilden für den schwedischen Autor Lars Gustafsson die Ausgangslage für eine spontane Erzählung, die zwischen Traum und Wirklichkeit changiert. Jan Friberg, ein Handelsvertreter, verletzt sich bei einem Fahrradsturz am Weg zu einem Herrenhaus, dessen Besitzer er ein Haushaltsgerät verkaufen möchte. Damit betritt er – ähnlich wie Alice einst ihr Wunderland – ein Spukhaus in einer scheinbar anderen Zeitzone und entkommt seinen Schmerzen, indem er sich blätternd seinen Fantasien überlässt. Die Szenerie gleitet ins Unwirkliche. Besucher erscheinen unvermittelt in seiner Kammer, verwechseln ihn mit irgendjemandem, verlassen und vergessen ihn wieder. Und da Jan hin und wieder in Schlaf fällt, mischen sich die Szenen der alten Fotos und die Bemerkungen der Besucher mit Traumbildern, bis weder ihm noch den Lesern deutlich ist, wer hier wen träumt. Der Protagonist, ein Traummännlein und Realitätsverweigerer, überhäuft den Leser mit Fragen an sich selbst und kindlicher Philosophie. Rückblenden vom Jahre 1953 ins Jahr 1923 spannen sich wie dünnes Fotopapier und so kann Gustafsson seinen Janne Friberg, »der ein poröses Verhältnis hat zu dem, was die anderen hartnäckig für die Wirklichkeit hielten«, mühelos zwischen den Zeiten und den Geschichten wechseln lassen. Das ergibt ein kunstvolles Spiel voller Überblendungen eines modernen Adalbert Stifters. 04/10 Juliane Fischer Christof Kessler Wahn – Storys 04 (Eichborn) — Ein Spezialist für Hirnerkrankungen (Jahrgang 1950), Professor und Direktor einer praktisch ausgerichteten und patientenorientierten Neurologie, hat zwölf seiner skurrilsten und tragischsten Fälle aufgeschrieben. »Wahn – Storys« bedient einen gesunden Voyeurismus. Stets möchte man wissen, wie es um Dr. Kesslers Patienten, darunter Alkoholiker, Kettenraucher, vom Parkinson-Syndrom Betroffene und MS-Kranke, bestellt ist. Den »Grapscher« beispielsweise ereilt ein ähnliches Schicksal wie das des bekannten Phineas Gage anno 1848 in Neuengland, wo einst ein viel versprechender junger Mann und Familienvater beim Vorbereiten einer Sprengung das Bohrloch mit Sand nachzustopfen vergaß, wodurch eine sechs Kilo schwere Eisenstange durch die Wucht der Detonation links in seine Wange eindrang, die vorderen Teile des Gehirns durchschlug und rechtsseitig über dem Ohr in der Scheitelgegend wieder austrat. Gage überlebte, doch durch die Schädigung des Frontalhirns, das die Funktion hat, unser triebhaftes Verhalten in sexueller oder sozialer Sicht zu hemmen, war er nicht mehr der Gleiche. Er log, betrog und war nur noch in dunklen Spielhöllen aufzufinden, bis er schließlich während eines epileptischen Anfalls erstickte. Kesslers Fiktionalisierungen, in denen es, wenn nicht gerade witzig, dann auch liebes-heldenhaft bis kriminell zugeht, geben pointierte Einblicke in die Welt des Gehirns. 07/10 Eva Morocutti

Andrew Miller Friedhof der Unschuldigen 05 (Zsolnay) — Paris von unten: Es sind die Tage vor der Französischen Revolution, es brodelt, alles riecht nach Umbruch. In dieser Zeit bekommt der tapfere Jean-Baptiste von der Regierung den Auftrag, den Friedhof der Unschuldigen, den größten Friedhof am Stadtrand von Paris, zu säubern. Noch radikaler: Ihn auszulöschen und auch gleich die dazugehörige verrußte Kirche dem Erdboden gleichzumachen. Denn das größte Massengrab des Landes nagt an der Existenz der französischen Metropole, die Ausdünstungen drohen Paris zu verpesten, das Grundwasser ist durch die Absonderungen abertausender Gebeine in Gefahr. Jean-Baptiste macht sich an die Arbeit und erfährt dabei Liebe, Kunst, Freund- und Feindschaften. Andrew Miller macht aus dem pompösen Inhalt einen realistischen, dezent grausigen Roman mit sonderbaren Großstadtgewächsen wie Armand dem Organisten oder Jeanne, dem Mädchen vom Friedhof. Fast wichtiger jedoch: der Autor entwickelt ein Gefühl für die Epoche. Von T.C. Boyle abgesehen kann sich kaum ein anderer lebender Autor besser in eine fremde Zeit hineinversetzen als Andrew Miller. Von der ersten Zeile weg entwickelt der Roman somit eine ganz eigene, seltsame Triebkraft, die bis zur letzten Seite anhält. 08/10 Martin G. Wanko

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SUBOTRON/WKW pro games Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen im MuseumsQuartier/ quartier21 / Raum D, 1070 Wien subotron.com/veranstaltungen/ pro-games/

Do. 03.10.13, 19h International Indie Games Meeting Martin Jonasson grapefrukt, Malmö Josef Ortner All Civilized Planets Philipp Seifried bobblebrook Do. 17.10.13, 19h Games Don’t Sell Themselves: How to Get the Press and Players Talking About Your Game Mike Rose editor at Gamasutra and jack-of-all-trades at PocketGamer, ex-editor-in-chief at IndieGames.com Fr. 18.10.13, 9–12h Workshop mit Mike Rose Ort: EPU-Forum der Wirtschaftskammer Wien, Operngasse 17-21/6. Stock, 1040 Wien Anmeldeformular: subotron@wkw.at Anmeldeschluss: 07.10.13 Do. 07.11.13, 19h PR Quest: Promoting Your Game Can Be An Adventure! Trevor Longino Head of Marketing & PR, GOG.com, Warszawa Fr. 08.11.13, 13–16h Workshop mit Trevor Longino Ort: EPU-Forum der Wirtschaftskammer Wien, Operngasse 17-21/6. Stock, 1040 Wien Anmeldeformular: subotron@wkw.at Anmeldeschluss: 28.10.13 Do. 21.11.13, 19h Ausbildung für die Gamesbranche: globale Möglichkeiten Univ.Prof. Dr. Michael Wagner Associate Professor of Digital Media, Drexel University Philadelphia Markus Wiemker Dozent für Games Design & Game Studies, Aachen Unterstützt von www.creativespace.at – Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien

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R ez Colleen Doran A Distant Soil – Volume 1: The Gathering 01 (Image / Shadowline) — Rückblickend wirken manche Geschichten, die uns als Kinder und Jugendliche begeistert haben, fast lächerlich. Wenige Ausnahmen überleben die Zeitkluft, spannen eine Klammer vom Teenager zum Erwachsenen. Colleen Dorans »A Distant Soil« ist eine solche Ausnahme. Die Weltraum-Seifenoper rund um die 15-jährige Hunter Liana Scott scheint kindliche naiv in der Darstellung von Protagonisten und Antagonisten, doch das trügt. Neben den eskapistischen Vorstellungen von Einzigartigkeit und Selbstermächtigung, die wohl in den meisten Teenagerköpfen nachhallen, existiert in Dorans Welt der psychisch begabten, wunderschönen Aliens eine andere Ebene. Soziale Ungerechtigkeit, Sexualität und politische Machtspiele kommentiert sie in ihren Situationen und Dialogen, wo nichts mehr monochromatisch ist. In den frühen 80ern zum ersten Mal veröffentlicht, als Doran selbst noch ein Teenager war, war »A Distant Soil« auch eines der frühesten Comics, in denen Hauptrollen von homosexuellen Charakteren besetzt sind. All das macht »A Distant Soil« zu einem essenziellen Bestandteil der Comic-Book-Kultur. Die Neuauflage der Anfänge als Sammelband ist ein Einstieg in die fortlaufende Serie und sollte jedem Freund intelligenter Fantasie wärmstens empfohlen werden. 09/10 Nuri Nurbachsch

Peter Milligan, Brendan McCarthy The Best Of Milligan & McCarthy (Dark Horse)

Verborgene Inspiration Alan Moore, Neil Gaiman und Grant Morrison haben Comic Books verändert. Zur gleichen Zeit begannen zwei andere britische Künstler gemeinsam ihre Karrieren. Ihr Einfluss ist ebenso massiv. Peter Milligan begann als Schreiber für »2000 AD«, dem Magazin in dem fast jeder britische Comic Book-Macher die ersten Erfahrungen sammeln konnte. Brendan McCarthy hatte die Universität abgebrochen, um als Künstler zu arbeiten. Auch er kam zu »2000 AD«, aber vorher produzierte er mit Milligan gemeinsam »Electrick Hoax« für das Musikmagazin Sounds. So harmlos fing es an. Wobei harmlos nicht ganz zutreffend ist: »Electrick Hoax« deutete den Vektor der kommenden Comics an. Milligans Schreiberei, in Popkultur, esoterischem Wissen und den großen Fragen des Lebens getränkt; McCarthys dichter Illustrationsstil, voller Symbolik und Referenzen, dynamisch und gefühlsgeladen. Beide noch ungeschliffen, roh, doch Kenner haben bereits 1978 erkannt, was da anrollt. Dann kam Margaret Thatcher und »Strange Days«. Eine Anthologie, erdacht und erschaffen zwischen Milligan, McCarthy und Brett Ewins. Psychedelische Wahrheitsfindung. Oder weitaus mehr als das. Ein visuelles Manifest einer anderen Mentalität. Da war Paradax, der dauergeile Prolet, der ins Superheldendasein stolpert und nur von Anerkennung, Sex und Berühmtheit getrieben wird. Keine Spur von Altruismus. Das war vor Morrisons »Zenith« und nach Moores »Marvelman«, aber ohne dem Pathos und Drama des Letzteren und ohne der verbissenen Ernsthaftigkeit des Ersteren. Und Freakwave gab es in »Strange Days«, postapokalyptische Surfer-Action, die zu metaphorischer Politkritik und esoterischen Begutachtungen des menschlichen Zustandes mutierte. Milligan schreibt für DCs Vertigo-Imprint Chicago-Gangster in eine düstere Zukunft in »Skreemer«, erfindet Ditkos »Shade, The Changing Man« neu, verbindet sexuellen Fetisch und moralischen Mörderkrimi in »The Extremist« – hier hat überall McCarthy seine Finger mit im Spiel. Wir sind erst bei 1993 und das war nur ein Auszug. Via »Rogan Gosh« (1990), dem unwirklichen Karmaritter, explodieren Milligan und McCarthy vedische Mystik und Quantenphysik in ein Farbenspektakel aus Liebe und Leben, das noch heute seinesgleichen sucht. Sie wenden sich zwei Jahre später dem britischen Proletariat zu. »Skin« schneidet in die Netze eines kapitalistischen Lebens, zentriert an einer Hauptfigur mit durch Thalidomid-Vergiftung verursachten Geburtsfehlern. In Milligans Worten und McCarthys Bildern schwingt hier destillierte Emotion, wie sie ehrlicher und auch nüchterner nicht sein kann. Klingt alles Voranstehende verkopft und obskur, so ist es das nicht. Aus den Comics des Duos strömt in jedem Moment so viel Dynamik und Energie, dass es keiner Erklärungen braucht. Es ist, als ob man in dem Comic Book lebt, Verständnis entsteht organisch. »The Best Of Milligan & McCarthy« führt Ausschnitte aus dem kreativen Schaffen zweier geheimer Giganten zusammen. Es ist die gefährlichste Einstiegsdroge ins McCarthy & Milligan-Universum. 10/10 Nuri Nurbachsch

Harlan Ellison, Paul Chadwick, Ken Steacy 7 Against Chaos 02 (DC) — Trotz seiner zahlreichen Auszeichnungen ist Harlan Ellison nicht unbedingt der beliebteste oder meist zitierte Autor fiktiver Literatur. In erster Linie ist seine streitsüchtige Natur dafür verantwortlich. Hinzu kommt, dass er seit geraumer Zeit keine nennenswerten Werke mehr veröffentlicht hat. Nichtsdestotrotz ist sein Werk von unangefochtenem Stellenwert. Ergo lastet auf »7 Against Chaos« der Druck hoher Erwartungen und großer Skepsis. Und leider hält es dem nicht stand. Ob Ellison möglicherweise einen Versuch wagte, Pulp Science Fiction zu schreiben ist unklar, aber die derivative Handlung um sieben zusammengewürfelte Außenseiter, verschiedene Zeitströme, Mehrklassengesellschaft und die Hybris der Menschheit sieht wenige lichte Momente. Paul Chadwicks hinreißende Illustrationen retten »7 Against Chaos« vor ultimativer Banalität. Trotzdem bleibt es ein Tipp für Ellison-Sammler. Man kann nicht sagen, dass es schlecht wäre, diese Kritik ist viel vernichtender: »7 Against Chaos« ist langweilig. Schade. 05/10 Nuri Nurbachsch Shigeru Mizuki Kitarō 03 (Drawn + Quarterly) — In Japan sind Yōkai Bestandteil des Alltags, unanzweifelbar auch fix in der Popkultur verankert. Ein Grund dafür ist sicherlich die animistische Natur von Shinto und japanischem Buddhismus, deren Einfluss sich weit über Religiöses hinaus erstreckt und auch heute noch anhält. Mizuki hat allerdings auch erheblich zur Popularität dieser Wesen und Monster der japanischen Folklore beigetragen. In den 60ern hauchte er einem alten Märchen neues Leben ein und aus »Hakaba no Kitarō« wurde »GeGeGe no Kitarō«. Der Titelheld – halb Mensch, halb Yōkai – begegnet in Mizukis Erzählungen den unterschiedlichsten Yōkai, manche gutartig und manche bösartig. Der Erfolg von »GeGeGe no Kitarō« war so groß, dass angeblich manche der Yōkai-Interpretationen von Mizuki die traditionellen Versionen ablösten. Durch die Zusammenstellung der Strips in »Kitarō« gewinnt man einen Einblick in ein Stück japanischer Popkultur, das auf vieles, was wir als »typisch japanisch« kennengelernt haben, merklichen Eindruck hinterließ.

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Netter Versuch David Cage erweitert mit »Beyond: Two Souls« seinen Traum von narrativen, emotionalen Spielen: Die Mechanik ist ok, die Story leider bemüht und durchschaubar und der Spieler zur Passivität gezwungen. »Beyond: Two Souls«, nach »Heavy Rain« der neue Titel von David Cage und seinem Quantic Dream-Studio, führt den Spieler zu Beginn in die Mechanik ein: Ein Stick bewegt den Charakter, einer führt – wenn möglich – Handlungen aus, das Geistwesen Aidan lässt sich freier bewegen, ist in den Interaktionen aber eben so eingeschränkt. Dafür gibt es einen schlüssigen Kampfmodus, in dem die Bewegung der Figur fortgeführt werden muss und sogar Schusswechsel und eine Deckungsmechanik. Das ist eine ganze Menge und wenn das Spiel es ermöglicht, funktioniert all dies ausgesprochen gut. Leider ist dies nur allzu selten der Fall. »Beyond« nimmt die Story wichtiger: Es gilt, 15 Jahre im Leben von Jodie Holmes zu spielen. Einem jungen Mädchen, das mit einem Geistwesen verbunden ist. Sie wird zu Untersuchungszwecken von ihren Eltern getrennt und später zur CIA eingezogen. Mehr zu verraten würde den Spielspaß endgültig beenden. Technisch ist das Spiel wirklich gelungen und die Arbeit mit den Schauspielern – allen voran Ellen Page und Willem Dafoe – hat sich offensichtlich gelohnt. Trotzdem fällt das Spiel vor allem in der ersten Hälfte ziemlich zäh aus: Die Story ist bemüht und durchschaubar, ohne ein größeres Ziel erkennbar zu machen. Der Spieler ist zur Passivität gezwungen. Die späteren Level bringen deutlich mehr Bewegung und Action. So richtig mitreißend werden aber weder Story noch Gameplay. »Beyond« ist meilenweit von den berüchtigten interaktiven Filmen vergangener Tage entfernt und doch ist das Ergebnis ähnlich: Der Spieler hat keine Möglichkeit einzugreifen, Entscheidungen passieren nebenbei und haben nicht viel Einfluss (bis auf das Ende) und Fehler des Spielers bleiben ohne Konsquenzen. Ebenso demotivierend: Nachdem der Spieler oft nur eine einzige Handlung setzen kann, ist umgekehrt nicht ersichtlich, wann eine Handlung angeboten wird, aber nicht ausgeführt werden muss, sondern eine Entscheidung darstellt. Es ist gut, dass es Spiele wie »Beyond« gibt, die anders sein wollen und eine Alternative darstellen. Leider ist das Ergebnis in dem Fall nicht besonders gelungen und das liegt am kreativen Konzept von David Cage. Sein Team hat hervorragende Arbeit geleistet, aber seine Story ist eine Sammlung ziemlich durchschaubarer Tricks (in einem Level muss Jodie Obdachlose mit Essen versorgen, ihre seelischen Wunden heilen, bei einer Geburt assistieren und dann auch noch Menschen aus einem brennenden Haus retten), die deswegen auch emotional nicht funktioniert. In Sachen Gameplay wurde eine interessante Mechanik entworfen, die der Spieler aber leider nur extrem eingeschränkt nutzen kann. Immerhin mal etwas anderes. 05/10 Martin Mühl

Beyond: Two Souls (Quantic Dream / Sony); PS3; beyondps3.com 071

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R ez Disney Castle Of Illusions starring Mickey Mouse 01 (Sega); Xbox Live Arcade getestet, PSN, PC; www. sega.com — Gelungenes Plattformer-Remake, das den Übergang zu 3D unbeschadet übersteht und mit Atmosphäre punktet. 06/10 Martin Mühl Grand Theft Auto V 02 (Rockstar North/Rockstar Games); Xbox 360 getestet, PS3; www.rockstargames.com — Mit der Marke »Grand Theft Auto« verbinden viele Gamer vorrangig eines: Einen Sandkasten für Erwachsene, in dem man sich mit Fahrzeugen und Waffengewalt wieder mal so richtig austoben kann, um digitales Chaos zu zelebrieren. Rockstar Games bekannteste Spielserie bietet jedoch weit mehr als einen anarchischen Spielplatz zum Verfolgen persönlicher Guilty Pleasures. Mehr denn je lässt sich der aktuelle Teil der Reihe als ein Zerrspiegel der gegenwärtigen amerikanischen Gesellschaft begreifen, der sowohl den Kapitalismus, als auch den mit ihm einhergehenden medialen Overflow reflektiert. Dies geschieht dabei so detailreich und unüberblickbar (inklusive »Fake«Internet, eigens kreierten Filmen und TV-Shows, beinflussbarem Aktienmarkt u.v.m.), dass das Spiel sogar die moderne Plage der Reizüberflutung thematisiert. Was Fülle und Komplexität angeht, sucht diese überzogene Gesellschaftsparodie nicht nur im eigenen Medium ihresgleichen. Der Haupthandlungsstrang, der drei Protagonisten mit unterschiedlichen sozialen Umfeldern und Weltanschauungen zu einer waghalsigen Heist-Crew zusammenwürfelt, erinnert durch Einbezug staatlicher Behörden, zwielichtiger Gangstergestalten und leitender Figuren der Entertainment-Industrie an vielschichtige Werke der zeitgenössischen amerikanischen Literatur, wie etwa James Ellroys »Underworld USA«-Trilogie. Auch in Sachen Gameplay und Technik weiß »Grand Theft Auto V« zu überzeugen. Die Schießereien sind dank überarbeitetem Deckungssystem solide und spaßig, wenn man auch vergleichsweise schnell ins Gras beißt. Die Fahrphysik wurde stark überarbeitet, sodass je nach Fahrzeugmodell deutliche Unterschiede beim Passieren von Offroad-Geländen, glattem Asphalt oder verregneten Straßen spürbar werden. Im umfangreichen Onlinemodus bietet diese Qualität die solide Grundlage für sportlichen Wettstreit mit anderen Spielern. Technisch fällt vor allem die Euphoria-Engine auf, die neben den Protagonisten auch den unzähligen Passanten ein beachtliches Level an Realismus verleiht, während die Licht- und Wettereffekte der penibel detaillierten Landschaft zusätzlich Leben einhauchen. Die gewagte Neuerung, jederzeit zwischen drei Spielfiguren wechseln zu können, ermöglicht exzessives Spielverhalten, ohne dabei die Charaktere aus ihrer Rolle fallen zu lassen. Damit bleibt die Spielwelt in sich glaubwürdig, während auch Chaos und Zerstörungstrieb in diesem Paralleluniversum ihren wohlverdienten Platz finden. 10/10 Lukas Traber

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FIFA 14 03 (EA Sports); PS3 getestet, Xbox 360, PC, Wii, 3DS, PS Vita; www.ea.com/de/fifa-14 — Die auffälligste Änderung offenbart sich bereits nach den ersten Ballkontakten: weniger Tempo. Die Spielgeschwindigkeit ist im Vergleich zum Vorgänger so deutlich gedrosselt worden, so dass sich »FIFA 14« beinahe träge spielt. Mehr Zeit also, um über Taktik nachzudenken, während Flanken und Pässe durch die Mitte angetragen werden. Wie soll etwa die Abwehr stehen? Gut positioniert, beißen sich Angreifer nun deutlich schneller die Zähne aus – eine weitere Tendenz in Richtung Simulation ist erkennbar. Die individuellen Werte wie Ausdauer, Technik und Beschleunigung wirken sich nun stärker aus: Achtung vor Sprintkanonen! Dank der neuen LocomotionEngine gibt es nicht nur sichtbare Verbesserungen im Bereich Spieleranimation, sie nimmt auch auf Schwerpunkt und Masse der einzelnen Spieler Rücksicht. Das Ergebnis ist vor allem im Sprintmodus offensichtlich, wo ein Spieler nach abruptem Abbremsen erst sein Gewicht verlagern muss, ehe er eine andere Richtung einschlagen kann. Das fühlt sich realistisch an und gut – aber erst nach kurzer Eingewöhnungszeit. In der Offensive wird Dank der »Protect the Ball«-Option das Leder leichter in den eigenen Reihen gehalten, das ist ein großes Plus. Für Tricks werden nun nicht mehr die Schultertasten benötigt, sondern lediglich der rechte Stick – vor allem für Einsteiger eine Erleichterung, Veteranen müssen sich womöglich erst anfreunden. Bei Lizenzen hat »FIFA« immer schon die Nase vorn, diesmal gibt’s sogar die Deutsche Bundesliga komplett dazu. Und die Auswahl an Spielmodi bleibt gewohnt groß – allen voran der beliebte »Ultimate Team«-Modus, an dem behutsam geschraubt wurde. »FIFA 14« ist ein rundum gelungenes Update, diesmal sogar mit echten Neuerungen. 08/10 Stefan Kluger Killzone: Mercenary 04 (Sony); PS Vita; www.killzone.com — So schön war mobiles Ballern noch nie: Technisch ein Schmaus, spielerisch gibt’s häppchenweise solides Mini-»Killzone« ohne große Raffinesse. 08/10 Harald Koberg

Lone Survivor 05 (Superflat); PS3 getestet, PS Vita; lonesurvivor.co.uk — Game-Designer Jasper Byrne macht hier gleich mehreren Varianten von Videospiel-Kritikern einen Strich durch die Rechnung: Es ist nicht der grafische Fortschritt, der Spiele emotional stärker wirken lässt. Und es sind auch nicht die großen Freiheiten, die uns immer tiefer in ein Spiel hineinsaugen. »Lone Survivor« ist ausschließlich zweidimensional. Und die Pixelgrafik ist verschwommener, als sie es je hätte sein müssen. Und doch ist die Geschichte von »Du« – einen anderen Namen bekommt der Avatar nicht – eines der gelungensten Angst-mach-Spiele seit Langem. Du hat sich während einer Zombie-

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Apokalypse in seiner Wohnung verschanzt und meint nun, der einzige Überlebende zu sein, als er sich zu Beginn des Spiels erstmals wieder aus seiner Wohnung wagt. Es geht um Nahrungssuche, Munition und mögliche Überlebende, während er sich durch die verschiedenen Wohnungen seines Hauses schleicht und dabei den Monstern (oder Zombies?) bestmöglich aus dem Weg geht. Die Handlung ist verwirrend, die Grenzen zwischen Realität und Illusionen sind fließend und die Ungewissheit macht unruhig. Tatsächlich sind es gerade die Enge der zwei Dimensionen und jene des Wohnhauses, die das Spielgefühl ausmachen. Wir wissen nicht, wer wir sind, was wir glauben dürfen und wohin all das führt. Aber es wird zunehmend dunkler, die Monster werden bedrohlicher und die Neugier steigt, während Musik und Sound uns immer furchtbarere Vorahnungen in den Kopf setzen – ein äußerst gelungener Mix. 08/10 Harald Koberg Madden NFL 25 06 (EA Sports); PS3 getestet, Xbox 360; http://www. easports.com/madden-nfl — Darf ruhig nun wieder jedes Jahr bei uns erscheinen: Die »Madden«-Reihe verbesserte sich zuletzt erheblich und steht anderen großen Sportserien (»FIFA«, »NHL«) in fast nichts mehr nach. 08/10 Stefan Kluger NHL 14 07 (EA Sports); PS3 getestet, Xbox 360, PC; — Bessere Animationen und nur wenige Detailänderungen genügen. »NHL 14« ist die beste Eishockey-Simulation der aktuellen Konsolengeneration. Großartig. 09/10 Stefan Kluger

Pro Evolution Soccer 2014 08 (Konami); PS3 getestet, Xbox 360, PC; www.konami-pes2013.com/de — Wieder hat »PES« in Sachen Simulation die Nase ein klein wenig vorn, aber es ruckelt und hakt und es fehlen die echten Neuerungen. 05/10 Harald Koberg Das Schwarze Auge – Memoria 09 (Daedalic); PC; www.daedalic.de/de/game/memoria — Auch das zweite Abenteuer ist geglückt: anspruchsvolle Rätsel, stimmungsvolle Schauplätze und eine Geschichte mit Tiefgang – »Memoria« bietet viel, kleinere Unstimmigkeiten inbegriffen. 07/10 Stefan Kluger

Tales of Xillia 10 (Namco Bandai); PS3; www.talesofgame.com — Ein technisch mageres Anime-Rollenspiel, das immer mehr an Fahrt gewinnt, vor allem aber durch seine facettenreichen Kämpfe überzeugt. 07/10 Harald Koberg

Total War: Rome II 11 (Sega); PC; www.totalwar.com/rome2 — Segas große Strategie-Serie tritt auf der Stelle. Ja, gewissermaßen sind sogar Rückschritte zu verzeichnen. Dass »Total War: Rome II« dennoch ein gutes Spiel geworden ist, verdankt es hauptsächlich seinem bewährten Grundgerüst. 07/10 Stefan Kluger

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THE ANSWER 10. November 2013

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EDWYN COLLINS 13. November 2013

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EXCUSE ME MOSES 15. November 2013

Carinisaal, Lustenau

VOLBEAT

*AUSVERKAUFT!

16. November 2013

Event.Center, Hohenems

THE SOUNDS 22. November 2013

Conrad Sohm, Dornbirn

PRINZ PI

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DAS RADIOKULTURHAUS PRÄSENTIERT:

Ein AbEnd für Licht ins dunkEL

29.11.2013

Eine Live-CD-Präsentation zugunsten der Aktion "Licht ins Dunkel" mit

Carinisaal, Lustenau 28.09.13 16:04

MATTHEW CAWS (Nada Surf) 06. Dezember 2013

Conrad Sohm, Dornbirn

CHAKUZA

07. Dezember 2013

LOUIE AUSTEN AxEL WOLPH BEN SKy

Conrad Sohm, Dornbirn

KARTEN UND INFOS: http://radiokulturhaus.Orf.at

BILDERBUCH

JOHN MEGILL 14. Dezember 2013

(Fm4)

Conrad Sohm, Dornbirn

14. Dezember 2013

Carinisaal, Lustenau

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BILD Michel Comte / I-Management, Ursula Mayer, Nicole Six & Paul Petritsch, Nebel, 2007, Heijne Patton, Lukas Birk, Gunter Damisch, Asgar Gabriel

Vielfältige Interessen kann man Michel Comte durchaus unterstellen. Ob Fashion, Porträtfotografie, Werbung oder Fotoreportagen in Krisengebieten. Der 59-jährige Schweizer zählt seit den 80er Jahren zu den gefragtesten Fotografen. Im Oktober eröffnet das Wiener Kunsthaus eine Ausstellung, die alle wichtigen Etappen seines Schaffens abdeckt. Ausstellungsdauer: 17. Oktober 2013 bis 16. Februar 2014, Wien, Kunst Haus Wien

Michel Comte

TERMINE KULTUR

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TERMINE

KULTUR

Ursula Mayer – But we loved her Ausgehend von Quellen aus Film, Philosophie, Politik und Kultur stellt Ursula Mayer ideengeschichtliches Text- und Bildmaterial neu zusammen und entwickelt daraus ein vielschichtiges Geflecht autonomer Aussagen und Konzepte. Für das 21er Haus hat die Künstlerin gemeinsam mit dem Architekten Roger Bundschuh einen kinematografischen Rahmen geschaffen, Der über die Grenzen der filmischen Arbeiten hinaus Objekte, Skulpturen, Collagen und Fotografien zu einem erlebbaren Referenz- und Handlungsraum zusammenfasst. Ausstellungsdauer: 13. Oktober 2013 bis 12. Jänner 2014, Wien, 21er Haus

Nebelland hab ich gesehen

BILD Michel Comte / I-Management, Ursula Mayer, Nicole Six & Paul Petritsch, Nebel, 2007, Heijne Patton, Lukas Birk, Gunter Damisch, Asgar Gabriel

Die Ausstellung zeigt anhand bestehender und eigens für den Anlass konzipierter Arbeiten künstlerische Strategien im Umgang mit Literatur wie auch literarische Formen im Umgang mit bildender Kunst. Durch Raumsituationenwird das literarische und bildnerische Schaffen von Autoren und Künstlern der Gegenwart ins Licht gestellt. Eröffnung: 13. November, 19.00 Uhr Ausstellungsdauer: 14. November 2013 bis 16. Februar 2014, Klagenfurt, Museum Moderner Kunst Kärnten

S / he Is The One

Der Kunstraum Niederoesterreich verbindet mit »S / he Is The One« Ausstellung mit Performance und geht der Frage nach, inwieweit der heutige Performance-Begriff gesellschaftspolitisch relevant und an der Schaffung neuer Lebensräume beteiligt ist. Veronika Hauer & Nicole Miltner, Christina Gillinger, und Anna Ceeh & Iv Toshain runden mit ihren Performances die Schau ab. Eröffnung: 24. Oktober, 19.00 Uhr, Performance: 21. und 27. November, 19.00 Uhr, Ausstellungsdauer: 25. Oktober bis 14. Dezember, Wien, Kunstraum Niederoesterreich

Under Pressure Die Ausstellung »Under Pressure. Politik in der zeitgenössischen Fotografie und Medienkunst« stellt sich politischen Fragestellungen in der zeitgenössischen Kunst. In den Arbeiten von Oliver Ressler und Heidrun Holzfeind spiegelt sich politischer Ungehorsam und ziviler Widerstand, und Lukas Birk führt in seiner Installation »Kafkanistan« die Absurdität von Katastrophentourismus in Krisengebieten wie Afghanistan und Pakistan vor Augen. Ausstellungsdauer: 1. November 2013 bis 2. März 2014, Salzburg, Museum der Moderne

Gunter Damisch Bekannt geworden im Umfeld der Neuen Wilden in den 80er Jahren, eröffnet Gunter Damisch mit seinen farbintensiven und leuchtenden Bildern ein mannigfaltiges Spektrum an Farbwelten und Feldern. In einer installativen Präsentation werden Malerei, Grafiken, Zeichnungen, raumgreifende Skulpturen und Designelemente in der neuen Ausstellung von Zeitkunst Niederösterreich vorgestellt. Eröffnung: 22. November, 19.00 Uhr, Ausstellungsdauer: 23. November 2013 bis 23. Februar 2014, St. Pölten, Zeitkunst Niederösterreich

A Tribute to Joe Goode In einer Hommage an Joe Goode präsentiert die Hilger BrotKunsthalle neueste Arbeiten des Künstlers sowie auch junge österreichische Künstler wie Asgar / Gabriel, Markus Hanakam & Roswitha Schuller und Gerd Hasler, die sich mit ähnlichen Themen wie Joe Goode beschäftigen und mit unterschiedlichen Medien das Werk und dessen Positionen reflektieren. Ausstellungsdauer: 5. Oktober bis 9. November, Wien, Hilger BrotKunsthalle 075

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Perspektive wechseln. Magazin f端r Politik und Gesellschaft

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Michael Kienzer, »10 × 95 Grad«, 2013, Aluminium, 240 × 100 × 120 cm

Walter Swennen. Curated by Miguel Wandschneider

Michael Kienzer. Non-Finito

Die vordergründig naive Bildsprache erweckt den Eindruck, von Kinderhand verursacht zu sein. Comic-artige Strichmännchen, freundlich lächelnde Äpfel oder wild stilisierte Tiere kombiniert er in farbintensiven Linien mit poetischer Bildkomposition und traditionellem Malgrund. Walter Swennen befasste sich in den 60er Jahren eingehend mit dem Verfassen von Lyrik und transferierte diese Erfahrung in seine Malerei. Er enthält sich so der Interpretation, die zwischen simplem Humor und tiefgründiger Bedeutungsebene zu schwanken vermag. Im Rahmen von »Why Painting Now?«, curated by_Vienna 2013 Eröffnung 10. Oktober, bis 14. November Galerie nächst St. Stephan

Das Unvollendete und Vorläufige macht Michael Kienzer zum Thema seiner Ausstellung »Non-finito« in Graz. Er greift damit das Konzeptuelle in der zeitgenössischen Kunst auf, das mehr denn je die Möglichkeitsform annimmt und das Improvisierte zum Endprodukt macht. Wann ist ein Kunstwerk vollendet? Wo liegt die Grenze zwischen Skizze und Werk? Ob die Vollkommenheit schlussendlich mehr Kraft hat als eine Arbeit, die alles offen hält und wie sich das Vollkommene überhaupt definiert, beantwortet Kienzer an vorwiegend in Metall gehaltenen Skulpturen und raumgreifenden Situationen. Eröffnung 17. Oktober, bis 29. November Galerie artepari, Graz

Niederösterreich

Andy Graydon, Albert Sackl Galerie Stadtpark, Krems bis 23. November Stefan Sakic. Installation in der Eisgrube Verein für Kunst und Kultur Eichgraben bis 31. Dezember TEXT Margit Emesz BILD Walter Swennen, Michael Kienzer, courtesy artepari, 2013

G a lerien

Oberösterreich

Christoph Schirmer. Trial Monk Galerie Brunnhofer, Linz Eröffnung 5. November, bis 9. Dezember

Tirol

Vis à vis. Junge Malerei im zeitgenössischen Dialog K12 Galerie Bregenz bis 9. November Dreiseitiger Fußball. Niklas Lichti, Jan Timme, Astrid Wagner Galerie der Stadt Schwaz Eröffnung 9. November, bis 18. Jänner 2014

Salzburg

Bernhard Cella. and learning english has no use Galerie Fotohof Salzburg, Bibliothek bis 11. November Robert Mapplethorpe. curated by Isabelle Huppert Galerie Ropac, Salzburg bis 21. Dezember Maurizio Nanucci Galerie Ruzicska, Salzburg Eröffnung 24. November, bis 11. Jänner 2014

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Paul Divjak. Lehen / Sehen Galerie Eboran Salzburg Eröffnung 20. November, bis 31. Jänner 2014 Florian Herzog. Zwischen den Zeilen Leica Galerie, Salzburg Eröffnung 11. Oktober, bis 17. November

Steiermark

Kunsthalle Wien

Museumsquartier/ Karlsplatz Salon der Angst Ausstellung 6/9 13 – 12/1 2014 #ANGST Angst kennt jeder. Jeder weiß wie sie sich anfühlt. In Worte fassen lässt sich das Gefühl hingegen schwer. Die Künstler/innen der Ausstellung Salon der Angst finden einen intuitiven Zugang zu einem Thema, das sich als Reaktion auf jene Aspekte der Gegenwart präsentiert, mit denen wir nicht umzugehen wissen. Diese Form von Angst – befördert von Anlässen wie 9/11, der Finanzkrise und den sozialen und politischen Verschiebungen im Zuge der Globalisierung – bildet das Zentrum der Ausstellung. Alle Infos zu Ausstellung und Programm unter: www.kunsthallewien.at

Common Ground Barrier Galerie Zimmermann-Kratochwill, Graz bis 23. November Maßnahmen zur Rettung der Welt_Teil 3 Rotor, Graz bis 23. November

Wien

Why Painting Now? curated by_ Bart van der Heide Galerie Emanuel Layr Eröffnung 10. Oktober, bis 24. November Mark Wallinger. Sum Galerie Krinzinger Eröffnung 8. Oktober, bis 14. November Dress rehearsal. curated by_Franklin Melendez Galerie Andreas Huber Eröffnung 10. Oktober, bis 14. November Painting beyond Paint. curated by_John Peter Nilsson Galerie Kerstin Engholm Eröffnung 10. Oktober, bis 14. November Silent Work Galerie Michaela Stock Eröffnung 11. Oktober, bis 15. November

Kunsthalle Wien Museumsplatz 1 1070 Wien, Austria www.kunsthallewien.at www.facebook.com/ KunsthalleWien www.twitter.com/ KunsthalleWien

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TERMINE

FESTIVALS

3 Fragen an Cornelia Anhaus – Kuratorin (Open Mind Festival 2013) Hat sich dein Wahrheitsbegriff durch die Vorbereitung auf das Festival geändert? Nachdem das diesjährige Motto des Open MindFestivals »Befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein« ist, hab ich mich intensiv mit der Konstruktion von Wahrheit(en) beschäftigt. Ich denke, die Anschauung »Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners« (Heinz von Foerster) trifft für mich die Bedeutung des Begriffs am besten, auch wenn die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit meist vorhanden ist. Kurzbeschreibung des Festivals? Das Herzstück beschäftigt sich vor allem mit der Entstehung von Geschichte und Geschichten. Ausgehend vom Schicksal dreier Kriegsgefangener zu Ende des Zweiten Weltkriegs lautet die Frage daher nicht: Was ist geschehen? Sondern: Was erzählen wir? Oder was erzählen wir nicht? Welche Figuren ruft das Erzählte in uns auf? Und in welche Welt fügen wir es ein? Zu welcher Geschichte bauen wir es zusammen? Weitere Formate setzen sich ebenfalls künstlerisch und diskursiv mit dem Festivalthema auseinander, wie beispielweise ein Konzert vom Great Hans Unstern Swindle, die Mockumentary »Fraktus«, eine Lecture der »Bavarian Taliban« oder ein Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Wie passt die Kunst des Festivals in den Lüge- und Wahrheit-Kontext? Kunst stellt eine Verdoppelung der Realität dar, die nicht als Wahrheit auftritt und gerade, weil sie Schein ist, zerbricht der Schein an ihr. Um es mit den Worten von Pablo Picasso auszudrücken: »Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen  begreifen können.« Open Mind Festival 2013, 14.–23. November, Salzburg www.openmindfestival.at

Autos, Stricken und Street-Art – heute hat eh schon alles in einer Galerie Platz. Tipp: Kloschüsseln mitnehmen, Marcel Duchamp draufschreiben und in der Ausstellung verstecken.

Vienna Art Week 2013 Unter dem Titel »Projecting Worlds« beschäftigt sich das Kunstfestival heuer mit der identitätsstiftenden Funktion des künstlerischen Ausdrucks. Der Fokus liegt auf dem Künstler als Erzähler im Dialog mit dem Betrachter und liefert am Open Studio Day die Gelegenheit, mehr als 80 Künstler in ihren Ateliers zu besuchen. Dabei werden auch zahlreiche Off- und Project-Spaces vorgestellt. Unter dem Titel »Crucial Experiments« präsentieren Studierende von Art & Science an der Angewandten Reinszenierungen großer Experimente der Naturwissenschaft. Mit Curators’ Picks schafft die Vienna Art Week 2013 eine neue Plattform: Nach Wien eingeladene Kuratoren sollen den Austausch zwischen kuratorischer und künstlerischer Praxis intensivieren. 18. bis 24. November, Wien, diverse Locations

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TERMINE

FESTIVALS

TEXT Stefan Schallert BILD Wolfgang Lienbacher, Gottfried Bechtold – Courtesy Galerie Krinzinger, Farhad Ahrarnia, Shepard Fairey, Madison, Kabinett ad Co.

fmRiese: Kollaborationen im Zwischenbereich von elektronischer und akustischer Musik. U.a. mit Emika.

5.400 ... Meter ist der geografische Umkreis des This Human World-Filmfestivals. So weit sind nämlich die vier Festival-Kino-Locations voneinander entfernt. Eine sehr humane Distanz.

fmRiese – Forward Music Festival

Im Bauch des Swarovski-Riesen in Wattens in Tirol erkundet Festivalkurator Christof Dienz zum zweiten Mal den Raum zwischen Subkultur und Avantgarde. Sechs Konzerte an zwei Abenden bringen Sampling-Spezialist Matthew Herbert mit einem Elektronik-Quartett, die anglo-tschechische Post-Dubstepperin Emika, Pianist Hauschka, die Violinistin und Sängerin Iva Bettóva, Manu Delago’s Manuscripts Ensemble und die Analog-Elektroniker Elektro Guzzi mit Techno-Pionier Cristian Vogel gemeinsam auf die Bühne. 28. bis 30. November Wattens, Swarovski Kristallwelten

Cineastic Gondolas

Werden sich im Rahmen des Tanzschwerpunkts viel und expressiv zu Musik bewegen: Dingen.

Multimediale Kunst inszeniert im winterlichen Lech. »Hier & Jetzt« lautet das Motto der Cineastic Gondolas, wo Kunst und Kultur auf die winterliche Bergwelt treffen. Zum dritten Mal werden Ausstellungen gezeigt sowie Live-DJs und das berühmte Gondelkino präsentiert, wo Kurzfilme der besonderen Art zu sehen sein werden. 14. Dezember, Lech

Frontale

Dass Filmkunst technisch nicht zwangsweise aufwendig sein muss und ein riesiges Budget benötigt, wird beim Filmfestival Frontale bewiesen. Der Kurzund Handyfilm-Wettbewerb schafft Zugang und Interesse für Filmnachwuchs, umrundet von einem ausgewählten Programm an Spielfilmen. 28.-30. November, Wiener Neustadt, Sub

Curated By

Departure, die Kreativagentur der Stadt Wien, versucht mit dem Projekt Curated by_vienna die Zusammenarbeit internationaler Kuratoren mit der Wiener Galeristenszene in neue Wege zu leiten. Der Frage »Why Painting Now?« stellen sich einen Monat lang insgesamt 20 Galerien mit ihren Ausstellungen. 11. Oktober bis 14. November, Wien

Wien Modern

21 Spielstätten verteilt auf ganz Wien bitten zum Tanz. Klassischer Tanz trifft auf zeitgenössische Konzertformate, komplexe Klangstrukturen auf rhythmische Bewegungen. Ein Widerspruch? Ein Experiment, dem sich die 26. Auflage des Wien Modern Festival verschrieben hat. Im Zentrum des musikalischen Schaffens steht der ungarische Komponist und Dirigent Peter Eötvös. Bei Clubnächten in Fluc Wanne und Grelle Forelle sollte dann mehr als nur der Kopf bewegt werden. 24. Oktober bis 15. November, Wien, diverse Locations

This Human World

Das Filmfestival der Menschenrechte ist fester Bestandteil der österreichischen Filmkunstszene. Sichtbar machen und Bewusstsein schaffen steht im Zentrum der zahlreichen Dokumentationen von Lebensrealitäten, die einerseits kritisch an der Festung Europa rütteln und andererseits auch über den kontinentalen Tellerrand blicken. 5. bis 12. Dezember, Wien, Gartenbaukino, Topkino, Schikaneder, Filmcasino 079

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Riemergasse 11 | 1010 Wien

Michael Wertmüller Special

Einzelkarten: EUR 10,– (< 26 Jahre | Vollpreis 18,–) 3-Tage-Pass: EUR 18,– (< 26 Jahre | Vollpreis 34,–)

TERMINE

MUSIK

© Francesca Pfeffer

Porgy & Bess

21.11. Do | 20:30 | All that Jazz Johnny La Marama plays Wertmüller and more

Michael Wertmüller Schlagzeug, Komposition Guest: Jorge Sánchez-Chiong Turntables 19:15 | Meet the artists: Ute Pinter im Gespräch mit den Künstlern

22.11. Fr | 20:30 | Fast Forward Ensemble Nikel & guests Kammermusik von Wertmüller

23.11. Sa | 20:30 | Jazz & beyond Steamboat Switzerland

Hat artsy zerzauste Haare, anders als die meisten Frauen, die Opernstimme großartig beherrschen: Austra.

Michael Wertmüller

Ahoi! Pop

CD Präsentation Steamboat Switzerland »Zeitschrei«

Schlagzeug, Komposition

© Christoph Hofbauer

Ahoi Linz, du Hafenstadt Österreichs! Der Posthof lädt zu vier thematisch versierten Musikabenden: Unter dem Label Dancebeat verbergen sich am ersten Abend Elektro-, Indie- und Funk-Musiker, allen voran das Brandt Bauer Frick Ensemble und Kateboy. Für Herzschmerz sorgen am Folgetag Scott Matthew und Ghostpoet. Tag drei stellt sich mit Austra, Sohn und Slut unter die Fahne des Alternative. Am vierten Tag heißt es Indiepop von Thees Uhlmann und Friska Viljor. Mast- und Schotbruch! 30. Oktober bis 2. November, Linz, Posthof

Likewise Fr | 20:30 | GARAGE X

29.11.

20:00 Einlass EUR 12,– | 14,– (VVK | AK)

Petersplatz 1, 1010 Wien

Jeunesse – musik.erleben

Amanda Palmer lacht nicht nur über die Prüderie des britischen Boulevards, sie wird beim Blue Bird Festival auch über Crowdfunding also Schwarmfinanzierung für Bands, diskutieren.

saison 2013|14 klassik jazz world neue musik kinderkonzerte

www.jeunesse.at

Blue Bird Festival Drei Tage lang werden Songwriter aus den verschiedensten Genres gefeiert. Allen voran das ehemalige Anti-Folk-Wunderkind Adam Green und Amanda Palmer, die eigentlich immer viel zu viel Interessantes zu sagen hat. I-Wolf, Rae Morris, Edwyn Collins und Sara Jackson-Holman dürften weitere Highlights unter dem Banner des blauen Vogels sein. 14. bis 16. November, Wien, Porgy & Bess

TEXT Stefan Schallert BILD Austra, K. Ambriel, Swim_Deep_Melt, Electronic Beats, Oddisee_Oddspring, Standard, Flo Auer

Michael Wertmüller Schlagzeug, Komposition Skip a Beat (2012) time_involved in processing (n. F. 2013, UA) Die Vollendung (2013) Linda Lovelace (2013) u. a.

Jeunesse Kartenbüro . Bösendorferstraße 12, 1010 Wien im Musikvereinsgebäude . Tel: (01) 505 63 56 E-Mail: tickets@jeunesse.at . Mo – Fr, 9:00 – 19:30 Uhr 139_074-081_Termine.indd 80

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TEXT Stefan Schallert BILD Austra, K. Ambriel, Swim_Deep_Melt, Electronic Beats, Oddisee_Oddspring, Standard, Flo Auer

www.dasTAG.at

TERMINE

MUSIK

Swim Deep Das englische Quartett Swim Deep sind endlich mal wieder nette Jungs mit netten Tracks, die nicht wirken, als wären sie für eine Reality-TV Show gecastet, zumindest für keine US-amerikanische. Ihr kürzlich erschienenes Debüt »Where The Heaven Are We« bewegt sich irgendwo zwischen Indie-, Rock- und Dreampop und hat etwas von einer unschuldigen Coming-of-Age-Story. 20. November, Wien, B72

EIVØR

Electronic Beats

Laurel Halo

Als eine von fünf europäischen Städten ist Wien zum wiederholten Mal Gastgeber des Electronic Beats Festival, diesmal jedoch nicht in der Arena, sondern im Museumsquartier. Geladen sind wieder große Namen der internationalen elektronischen Musikszene, allen voran Produzentenlegende Giorgio Moroder, die Deep House-Legenden von Metro Area oder Laurel Halo. 23. November, Wien, MQ Halle E

Do 21. Nov. 2013, 20:30 Uhr Preisgekrönte Singer-/Songwriterin von den Färöer Inseln.

Oddisee Geboren in Washington DC, erzogen von einem sudanesischem Vater und einer afroamerikanischen Mutter, waren dem Rapper und Produzenten Amir Mohamed el Khalifa politische und kritische Texte bereits in die Wiege gelegt. Battlerap und Drogenexzess sind nicht seine Themen. »Ich komme aus DC. Politik liegt uns im Blut.« Umrahmt werden seine Raps durch soulig angehauchte Klänge aus eigener Hand. 24. November, Vienna, B72

CRUMBS Mi 6. Nov. 2013, 20:00 Uhr

Lloyd Cole Nach 19 Jahren im Geschäft darf man Lloyd Cole schon fast den Titel Altrocker anhängen. Der 52-Jährige sieht das wohl anders und gibt mit dem neuesten Longplayer »Standards« ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Nach einem Ausflug in die Welt des Folk geben energetische E-Gitarren wieder eine rockigere Richtung vor als zuletzt. 4. Dezember, Salzburg, Rockhouse; 5. Dezember, Wien, Szene

Freestyle-Impro-Comedy-Duo aus Winnipeg/Kanada.

Weiters im N O

VEMBER im TA

G

Jack by The Gap Grande Finale! Noch einmal wird an der Pole-Stange getanzt, noch einmal am Klo geschmust, noch einmal geschmeidige Bässe angerührt. Dafür treffen sich die drei House-Schaffner Moogle, Kid Soylent und Laminat, damit sich die Balken biegen, bevor sie dann runtergehen. Pro tip: Jack wandert kommendes Jahr in die Grelle Forelle. 29. November, Wien, Morisson

HEINRICH 4

Uraufführung von Gernot Plass ab Mi 30. Okt. 2013, 20 Uhr

VON MÄUSEN UND MENSCHEN Von John Steinbeck Do 14. bis Mi 27. Nov. 2013, 20 Uhr

SPORT VOR ORT

Pixies Pixies, Pixies, Pixies? »Fight Club«. Ah, Pixies! Eine Band auf einen Song zu reduzieren, tut den Musikern immer unrecht. Zwei Dekaden AlternativeRock, zahlreiche Hitsingles und eine bewegte Bandgeschichte, das sind die Pixies und jetzt sind sie wieder da. 1. November, Wien, Gasometer

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Savages Wer mit dem Begriff Post-Punk etwas anfangen kann, kam in letzter Zeit um die Savages nicht herum. Warum auch? Die vier wütenden Damen aus England zeichnen mitverantwortlich für ein neuerliches Revival des Genres. 2. November, Wien, Flex

Fisch-Fest Das Bach in Wien hat sich für November ein ambitioniertes Projekt ausgedacht: Unter dem Namen Fisch-Fest bietet es jeweils von Mittwoch bis Samstag einen Live-Querschnitt der nationalen Alternativszene, jeweils kuratiert von heimischen Veranstaltern und Labels. Und das bei freiem Eintritt. 9. bis 20.November, Wien, Das Bach

So 3. Nov. 2013, 19 Uhr

TAGebuch SLAM

So 17. Nov. 2013, 19 Uhr

DRAMA SLAM

So 24. Nov. 2013, 19 Uhr

Tickethotline: 01/586 52 22 oder karten@dasTAG.at Onlineticket: www.dasTAG.at 23.10.13 12:05


Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.

illustration Jakob Kirchmayr

Ü

blicherweise bereitet es mir kaum Kopfzerbrechen, wenn ich vollmundig angekündigte Versprechen nicht einlöse. Meist ist der Kontext so, dass dies ohnehin nicht erwartet wird. Oder die Formulierung kleidet sich in derart merkwürdigem Gewand, dass man die Botschaft nicht ganz ernst nehmen kann. Zum Beispiel so: »Meine liebe, aufreizende Mamsell, mich überwältigt gerade ein Tsunami der Begierde. Ich habe deswegen eigenmächtig die Running-Order des heutigen Abends geändert und werde in Kürze damit beginnen, Sie die ganze Nacht nach allen Regeln der Kunst durchzuorgeln. Erlauben Sie mir bitte zudem, diese prächtige, ausgelutschte Orgel-Metapher einem glücklichen Ende zuzuführen: Also, meine Liebe, darf ich Sie noch einmal herzlich einladen, mit mir gemeinsam alle Register der Leidenschaft zu ziehen und dann hernach mit Ihnen dennoch weiter per Sie verkehren?« Ans Ziel, das in diesem Fall natürlich unmissverständlich die geschlechtliche Vereinigung ist, also das problemlose Einführen des erregierten Penis (vulgo harte Nudel) in eine dafür bereits bestens vorbereitete und ausreichend befeuchtete Vagina (vulgo Tropfsteinhöhle), kommt man mit diesem Satz höchstwahrscheinlich nicht. Das kann man mir glauben, ich bin Experte und habe nicht fast 30 Semester Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert, nur um dann nicht zu erkennen, womit man Gespräche abwürgt und Menschen den Boden unter ihren Small-Talk-Füßen wegzieht. Als Feldforscher der Geilheit bin ich aber natürlich dafür, das oben erwähnte Geschwurbel trotzdem auszuprobieren. Es wäre zumindest eine Alternative zum beliebten, aber halt auch sehr schmucklosen »Ficken, jetzt!«, oder seinem infantilen Phrasenbruder »Ficki! Ficki!«. Angeblich sollen diese unverhohlenen Lakonien, rausgelassen im richtigen Moment, bei so manchen schon zu vollerotischen Erfolgserlebnissen geführt haben. Es möge so sein, worauf ich aber eigentlich hinauswollte ist, dass ich beim letzten Mal vollmundig angekündigt habe, dieses Mal über Muschis zu schreiben. Wortwörtlich stand geschrieben: »Nächstes Mal schreib ich übrigens über Muschis.« Aber das mach ich jetzt nicht. Vielmehr will ich über Ohren schreiben, denn mit Ohren habe ich mich in letzter Zeit etwas intensiver beschäftigt. An der Supermarktkassa

ist mir nämlich aufgefallen, dass ganz viele Menschen beiderlei Geschlechts ein Muttermal am äußeren, hinteren Ohrknorpel haben. Vorwiegend rechts, aber auch links ward es von mir geortet. Das ist übrigens meist ein kleines, zartes Pünktchen, tritt aber wie gesagt derart auffällig gehäuft vor, dass man meint, hier wurde von der Natur markiert. Ich frug mich schon, was denn dies bedeuten mag, ob die alle miteinander verwandt sind, aber selbst das sonst an Verschwörungsund Rassentheorien so reiche Internet konnte mir nicht weiterhelfen. Allerdings weiß ich jetzt, wie der fachmännische Terminus heißt, wenn bei jemandem der Ohrknorpel an einer Stelle so Peter-Panmäßig spitz zuläuft: Darwinscher Höcker. Die anatomische Besonderheit tritt bei ca. zehn Prozent der Menschen auf und ist ein Atavismus, also erinnert an einen alten evolutionären Entwicklungsstand, der schon längst überwunden sein sollte. Andere Atavismen beim Menschen wären zum Beispiel Schwimmhäute zwischen den Fingern oder ein dritter Nippel. So etwas kommt übrigens gar nicht so selten vor. Lily Allen zum Beispiel hat auch eine überzählige Brustwarze und zeigt diese bei guter Laune auf der Bühne immer wieder gerne her. Und irgendwo habe ich mal gelesen, dass Rothaarige ihr Gen wahrscheinlich vom Neandertaler haben. Mit diesem Wissen sollte man aber nicht vor Rothaarigen prahlen, die hören das nicht so gern. Man stelle sich nur einmal Boris Becker vor, wenn man ihn direkt darauf anspricht, dass er Neandertalererbgut durch die Gegend spritzt. Wobei, seine Gene dürften es echt drauf haben. Denn trotz allem sind rote Haare, helle Haut, Sommersprossen und der ganze Rest vom Ginger-Package nicht einfach zu vererben. Alles rezessiv. Ich kann mir beinahe schon zu bunt ausmalen, wie Beckers ekelhaftes Spitzensportsperma verbissen und mit gierigem Ehrgeiz zur Gebärmutter, oder wo auch immer eine Eizelle lässig abchillt, hoch sprintet und sich rankämpft. Bei Niki Lauda stelle ich mir leider auch sehr oft vor, wie sich sein Samen so macht und ob seine wackeren Soldaten, die er durch den Unterleib der Damen jagt, extra speedig unterwegs sind. Zu Recht kann man mich jetzt einmal kritisieren und sagen: »Mein lieber Kolumnist, wir wissen, dass du selten sonderlich subtil vorgehst und es durchaus bevorzugst, mit

dem Holzdildohammer als Schwanzdampf in allen Gassen Pointen zu dreschen. Aber oben von Ohren zu schreiben und unten auf Niki Lauda zu kommen, das ist auch für dich ein neuer Tiefpunkt und sicher keine geile Metabene.« Ja, kann ich sagen, die Kritik ist berechtigt, aber mir ist das Ohrli von Lauda egal. Der Mann gibt mehr her, immerhin hat er im stattlichen Alter noch Zwillinge auf die Rennstrecke des Lebens geschickt. Wobei, in seinem Alter Zwillinge, da liegt immer auch ein wenig der In-Vitro-Verdacht wie ein Asbestschleier in der Luft. Was aber auch egal ist. Falls jetzt jemand meint, in diesen kurzen Zeilen Bewunderung für die Zeugungskraft älterer Mitbürger gelesen zu haben, möchte ich sofort dagegen sprechen. Ich finde alte Väter nicht so leiwi, ja eigentlich fast ekelhaft. Die riechen ja schon nicht mehr ganz frisch. So gesehen würde ich gerne mal an Niki Lauda schnuppern, vielleicht riecht der besser als die alten Säcke, die man zu Hauf in den Sandkisten der Nobelbezirke antrifft, falls sie überhaupt noch bandscheibenbedingt so weit runter kommen. Ich frag mich ja immer, was sagen die wohl ihren Kindern, wenn die checken, dass der Tatti nicht mehr zum ganz jungen Eisen gehört? Was pädagogisch Wertvolles mit Geschichtsexkurs? »Sei doch glücklich. Ich bin dein Vater und habe Zeit für dich wie ein Großvater. Ich hatte nie einen Opa, mein Kind. Mein Opa, also dein Urgroßvater, ist kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges in Italien gefallen.« Irgendwie eh ok, da kriegt man schon als ganz junger Mensch einen anderen Zeit- und Vergänglichkeitsbegriff. Egal, um mich jetzt vollmundig aus dieser Kolumne zu vertschüssen, möchte ich noch ankündigen, oder anteasern, wie man so schön sagt, dass ich das nächste Mal eine Liste mit Frauen jenseits der 60, mit denen ich gerne Sex haben würde, veröffentlichen werde. Ein echter Text über Sugar-Mummys (oft als »Zuckermumien« übersetzt) wird das werden. Mit Cher und Iris Berben als Positivbeispiele.

Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly

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So bekommt Weihnachten wieder einen Sinn!

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