Achse des Blöden chris Morris’ Terror-Satire »Four Lions« 115 Magazin für Glamour und Diskurs. MoNATLICH. VERLAGSPoSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 115, APRIL 2011
3Ds. fruits, flowers, and Clouds. Ja, panik. Dragon Age 2. panda Bear. 6th Borough project. state of sabotage. Crossing europe. Lykke Li. Bibio. Allgemeinbildung 2020. Wortwechsel: Was bringt spassterrorismus?
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► l e i ta rt i k e l ►Von Thomas Weber
designzeugs In Graz, das sich nun ganz offiziell »City of Design« nennen darf, tobt ein Kulturkampf über Sinn und Unsinn der Creative Industries. Im allgemeinen Unmut über Bettelverbot, Kultur- und Sozialpolitik hat sich die Szene allerdings das falsche Feindbild auserkoren.
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BILD MICHAEL WINKELMANN
löder hätte das Timing kaum sein können: Erst lässt sich die UNESCO mit der Entscheidung darüber, ob sich Graz künftig mit der Bezeichnung City of Design schmücken darf, deutlich länger Zeit als gedacht. Mehrmals hatte die Stadt ihre Bewerbung nachbessern müssen, einiges an Mitteln zuschießen. Und dann verkündet das UN-Organ sein »Ja« ausgerechnet zu einem Zeitpunkt als sich die steirische Landespolitik genötigt sieht, im großen Stil zu sparen. Die Optik ist übel: Dem verschwenderischen Luxus bloßer Behübschung, so ein Vorwurf der Kritiker, stehen massive Einsparungen nicht nur im Kulturbereich, sondern gerade im Sozialwesen gegenüber, immerhin minus 25 Prozent. Angespannt war die Stimmung schon davor: Obwohl sich Graz als zartgrünes Freiluftlabor in Sachen nachhaltiger Stadtentwicklung versucht, stehen den Erneuerungsbemühungen althergebrachte Verbohrtheit und die Barbarei eines landesweit beschlossenen Bettelverbots gegenüber. Wenig verwunderlich, dass es brodelt und die radikalisierte Szene freudig über das Sinnbild der Repräsentationskultur – die »Designhauptstadt« – herfällt. Immerhin hatte sich die Förderagentur Creative Industries Styria (CIS) für die Bewerbung zur City of Design die Unterstützung eines schwarzen Landesrats geholt – weshalb das Projekt schnell auch zur Prestigesache für fortschrittliche Bürgerliche wurde. Wohingegen der tendenziell linken Kulturszene das Credo des kreativen Wirtschaftens seit jeher suspekt ist. Man fürchtet die Ökonomisierung des eigenen Tuns und sieht sich als Kulturschaffende prekarisiert. Nun ist aller Grant über Einsparungen auf dem Rücken von Minderheiten und Marginalisierten verständlich, doch das Feindbild des Protests – die City of Design – das falsche. Natürlich geht es dabei um Standortmarketing, Wirtschaftsförderung und den Aufbau tragfähiger Strukturen. Sonst hätte man sich bei der CIS kaum einen Wirtschaftslandesrat als Mitstreiter gesucht. Aber ebenso geht es um eine lebendige Kreativszene, Partys und Lebensgefühl. Statt sinnvolle Investitionen zu kritisieren, sollten sich all die Organisationen, Vereine und zu Recht empörten Initiativen, die nun den Protest der www.plattform25.at mittragen, vielmehr der verschwenderischen Willkür der politischen Entscheidungsträger widmen. Denn Selbstgefälligkeit macht selbst vor jenen nicht Halt, die sich sonst gern zu den Gallionsfiguren von Anstand und Moral hochstilisieren: Seine Betroffenheit über das Bettelverbot nimmt man Kurt Flecker, dem aufmüpfigen Ex-Landesrat für Soziales, Kultur und Arbeit gut und gerne ab. Als es aber vor zwei Jahren, am
Höhepunkt der Wirtschaftskrise, darum ging, sich zum Abschied aus der Kulturpolitik eine Ausstellung über die lokalen Auswirkungen von 40 Jahre Woodstock im Landesmuseum Joanneum zu schenken, fühlte sich der bekennende Alt-Hippie allerdings noch »absolutely free« und spendabel. Dass nun das Geld fehlt, hat der Politpensionär schlicht mitzuverantworten.
Am Tropf des Landes
Zwar ist es ebenso eitel, wenn sich heute Bürgermeister und Landesräte im Glanz des UNESCO-Segens sonnen, doch wenn sich Graz nun als City of Design vermarkten darf, ist das immerhin kein fantastisches Konstrukt, sondern bloß die offizielle Anerkennung von Tatsachen. Dass nämlich Design, Architektur und Stadtplanung im Großraum Graz längst eine verhältnismäßig große Rolle spielen, es werden also bloß bestehende Stärken und Schwerpunkte hervorgehoben. Der Vorwurf, dass sich die Politik vor »Scheinkulissen« ins rechte Licht rücke, ist polemisch und unzutreffend. Wenn manche meinen, es werde »Designzeug aufgeblasen«, dann könnte man selbiges eins zu eins einem der ersten Opfer des steirischen Sparkurses vorwerfen: Die vom Land Steiermark finanzierte Regional-Ausgabe der Wiener Stadtzeitung Falter hat in den letzten Jahren steirische Literatur unverhältnis mäßig schöngeschrieben. Dass dem Hypen kein Hype folgte, fand niemand kritisierenswert. Wohl auch, weil viele derer, die nun, da der Geldhahn abgedreht und die Beilage eingestellt wird, aufschreien, unmittelbar davon profitiert haben: Als Autoren, Rezensenten oder Kolumnisten hingen sie selbst am Tropf des Landes. Dabei ist es ein großes Missverständnis, Förderungen als Gewohnheitsrecht zu erachten. Zwar hat die Politik gerade auch im Kulturbereich eine Basisversorgung zu garantieren. Doch Geld, das einmal verstärkt in einem Bereich eingesetzt wurde, darf auch woanders hin fließen – um neue Akzente zu setzen und zukunftsweisende Entwicklungen zu beschleunigen. Dass dabei die Schwächsten nicht unter die Räder kommen dürfen, ist eine andere Diskussion. Und Kultur gegen »Designzeug« aufzurechnen, bleibt schlicht eine unqualifizierte Vereinfachung. ¶
Thomas Weber, weber@thegap.at
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Zahl e n , b i t t e ! – Da s P l ag i at
Four L ions
Hollywood setzt auf Remakes, in der Pharmaindustrie wächst der Markt mit Generika, Guttenberg musste wegen übernommener Passagen in seiner Doktorarbeit zurücktreten. In seiner Kolumne widmet sich Thomas Edlinger dem künstlerischen Plagiarismus, Creative Commons und der Raubkopie im politischen Widerstand.
Chris Morris prägt mit seinen Parodien seit Jahren den britischen Humor und die dortige TV-Serienlandschaft. Gini Brenner und Kurt Zechner haben den Mediensatiriker anlässlich seines Kinodebüts interviewt, Joachim Schätz hat sich dessen Werk vorgenommen, während Thomas Weber den Typus »Terrorist« untersucht. Unsere Coverstory.
Magazin 018 Four Lions
Faisal würde gern den Bombenanschlag seiner Terrorzelle gegen eine Drogerie richten, weil diese Kondome verkauft und man deshalb weiße Mädchen knallen möchte – die Terroristen-Komödie »Four Lions« läuft im April in den Kinos. 022 Golden Frame : Bj ö r n Da h l e m Die ehemals raumfüllenden Installationen von Björn Dahlem sind auf Miniaturformat geschrumpft. 024 3D S Nintendo macht 3D ohne Brille möglich und damit massen tauglich. Unser Update in Sachen Konsolen-3D. 029 State Of Sabotag e Sabotage hat mit einem Kunstprojekt die Grenzen zur Realpolitik verwischt. Mit echten Reisepässen, und Visa. 030 Fruits, Flowe r s , a nd C lo uds Die neue Kunstmesse, zeitgleich mit der Vienna Fair, punktet mit Internationalität und ungewöhnlichem Konzept. 032 Ste phan Schm i dt-Wu lffe n Der Rektor der Akademie der Bildenden Künste wechselt an die New Design University in die Boomtown St. Pölten. 034 Crossing Eur op e : Red W est e r n Auch hinter dem Eisernen Vorhang bastelten Filmstudios am Western-Genre. Das Crossing Europe bietet einen Einblick.
035 Pa n da Be a r
Das dritte Album von Panda Bear hält am Sommer fest. Keine Spur von Panik, Verzweiflung, Apokalypse und Witch House. 036 Mo r lo ck k D i l e m m a Die Gosse glänzt nicht, sie ist dreckig. Morlockk Dilemma formt und rappt eine kunstvolle Leipziger True School Dystopia. 037 6 t h B o r o u g h P r o j ect Disco und House rücken näher aneinander. Die schottischen 6th Borough Project machen das ganz hervorragend. 038 Ja , Pa n i k Das erste Album nach dem Exodus in Richtung Berlin kreist um die Themen Drama, Wahnsinn und Depression. Mit dabei: der 23-minütige Jahrhundertsong »DMD KIU LIDT«. 039 Tw e n t y.T w e n t y Wir haben digital-affine Eltern gefragt, wie sich ihre Technik-Begeisterung auf die Erziehung auswirkt. 040 Neu e Tö n e : Sta n d o rt W i e n Was sind die Leitlinien der Wiener Kulturpolitik? Wir haben dort nachgefragt, wo diese Frage entschieden wird – bei Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. 042 F r e e r id i n g Freeriden ist mehr als Sport. Programat ließen sich von Walking Chair eine Leitsystem-Tafel designen.
Editorial b i ld dER d e r au s ga b e So schwierig wie dieses Mal war die Suche nach dem richtigen Covertext noch selten. »Bombenstimmung in Britannien«, »Lachen bis der Arzt kommt«, »Terror aus der Nebenhöhle«, »Vier Gotteskrieger für ein Halle lujah«, »Die Ritter der Komiknuss« oder »Manche mögen’s explosiv« stand am Ende auf der Liste. Gewinner war – Tata! – die Achse des Blöden.
Rubriken 003 Leitart i k e l 005 Ed itoria l 006 Porträts / Im p r ess u m 011 Fon d ue 010 Fabul a Ra sa 011 Unbe zah lt e r A n ze i g e r 014 Charts / Spl i t t e r 044 Wortwec h s e l : Wa s b r i n gt Spa SSpr ot est ? 046 Prosa 048 Bil dstr eck e Wo r kstat i o n 054 Grün der s e r i e Ga r mz 057 Reviews 059 Lost in Mu s ic: Va m p i r e w e e k e nd 061 T racksp ot t i n g 076 T ermine
... und außerdem gibt es dieses Internet ja auch noch. Dort – nämlich auf thegap.at – hat sich gerade eben ein Graz-Schwerpunkt aufgedrängt. Der Preis für den Titel »Unesco City of Design« ist die Kürzung des Kulturbudgets um 25 Prozent. Auf derartige Entwicklungen kann man nur im Netz reagieren. Und immer wieder haben wir genau das im letzten Jahr getan. Der Konkurs des Urban Art Forms, die Unibrennt-Doku, Pratersauna, Bruderzwist im Forum Stadtpark, das virale Video zu Ursula Stressned oder einfach nur sonnendurchflutete Bilder von diesem albernen Festival mit lächerlichen 80.000 Besuchern – für all das ist das Papier schon lange zu langsam. Dafür gibt es The Gap in seiner papiernen Form seit gerade eben digital via issuu.com auch überall dort, wo die Internet-Strahlung hinkommt. Weitere Netz-News: 50% unserer Four square-Fans sind aus Indonesien. Und Facebook und Twitter – da waren wir ja ohnehin schon, als deine Mutter noch Vinyl gehört hat. Im Heft beschäftigen wir uns ausführlich mit Satire als Kritikform (Coverstory und Wortwechsel). Seit den Führer- und Flüsterwitzen (Ausgabe 103) oder Armin Wolfs Studie zum Medienverhalten US-Jugendlicher mit besonderer Berücksichtigung der Fake-News Sendungen von John Stewart und Stephen Colbert (Ausgabe 112) begleitet uns das Thema des Spaßterrorismus mindestens schon. Um die Games-Konsole 3DS kommen wir ebenso wenig herum wie um eine neue DIY-Kunstmesse in Wien und eine ganz Stange neuer Alben. ¶
Kolumnen 016 Zahlen, b i t t e ! 082 Know-N ot h i n g -Ges e l l sch a ft
Stefan Niederwieser, Chefredakteur niederwieser@thegap.at
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Mit 5 Jahren hat sich Margit in Prince verliebt, mit 10 in Axl Rose, mit 14 in Jim Morrison und mit 19 in Nick Cave. Heute ist sie fast erwachsen und verliebt sich nicht mehr in berühmte Musiker. Umso mehr aber in die Kunst und ihre Geschichte. Dabei ist für sie der zweite Blick entscheidend und ein Kunstwerk wohl nur dann wirklich überzeugend, wenn es eben diesen gar nicht braucht. Wohl deshalb ist sie auch bei The Gap gelandet. Neben der Arbeit für Künstler und Institutionen wie die Secession oder das Quartier 21 ist sie Mitglied der Performance-Gruppe H.A.P.P.Y. und schreibt freiberuflich. Texte über Kunst, bei denen keiner etwas versteht, verabscheut sie. Und trotzdem hat sie einmal Foucault zitiert. Für die aktuelle Ausgabe gestaltete Margit Emesz den Golden Frame und hat über ein Projekt der Gruppe Sabotage geschrieben. Persönlich schätzt sie insbesondere Andy Warhol und Dieter Roth, fachlich hat sich die Kunsthistorikerin aber auch auf Möbeldesign spezialisiert, weil Stühle beispielsweise gleichzeitig Skulptur, Architektur und Gebrauchsgegenstand sein können und dabei oft ziemlich sexy und spannend sind. Stichwort sexy: Was sie im Leben noch sucht, ist vergleichsweise ziemlich banal: die perfekten roten Stöckelschuhe. Bis sie diese gefunden hat, spaziert sie gerne in getupften Sommerkleidern und bloßfüßig (ein echtes Wiener Mädel mit ungarisch-tschechischen Wurzeln sagt nicht barfuß) im Garten herum. Mit Vorliebe hört sie dabei Fleet Foxes oder Chief. Sicher aber nicht Blumfeld. Die hasst sie mindestens so wie Langeweile. ¶
Florian Bogdan macht seit Anfang des Jahres ein ausgedehntes Praktikum in Sachen Marketing bei uns. Seit er Teil des Monopol-Hauses ist, krempelt er hier angestaubte Abo-Strukturen um, kümmert sich mit Hingabe um unsere Veranstaltungen und leistet auch sonst ganze Arbeit. Geboren wurde Florian im niederösterreichischen Mistelbach und wuchs in den Hügeln des Weinviertels auf. Musik und Fußball waren ihm schon früh wichtig. Bis zum 14. Lebensjahr war er sogar Ministrant, ohne vom Pfarrer belästigt zu werden. Das liegt nicht daran, dass Florian kein fescher Kampl ist, sondern laut eigener Aussage einfach an dem wirklich netten Geistlichen damals. Musiktechnisch began für Flo alles mit Scooter, Nirvana, Deftones, Blockflöte und Keyboard und mündete schließlich in Gitarre und Turbojugend Ladendorf. Später wurden neben Rock auch HipHop und elektronische Musik interessant. Angefixt durch Tunes von Aphex Twin und Autechre, stürzte er sich ins Musikproduzieren am Computer und werkelt seither in seiner Freizeit ständig mit Programmen wie Reason, Fruity Loops, Logic oder Ableton Live. Neben der Musikschule besuchte Florian auch eine HTL für EDV und Organisation und begann danach auf der FH Biotechnologie zu studieren. Sein Selbstversuch, als PhD-Student echtes Interesse an biomedizinischer Forschung zu entwickeln, scheiterte allerdings nach acht Monaten. Talent war zwar vorhanden, aber der Wille zum Doktor fehlte, meint Florian dazu ganz entspannt. Gut für uns, denn er entschloss sich auf Musik und Marketing in Kombination umzusatteln. Zurzeit ist Florian also DI (FH) mit Hang zu Musik, einem fast fertiggestellten Werbelehrgang und in der Marketing-Abteilung von Monopol bereits ein wichtiger Bestandteil. ¶
TEXT juliane fischer
TEXT Maximilian Zeller
Kunst( )vertextet
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
Musikliebhaber & Marketeer
Impressum
BILD Alexander Bogdan
BILD margit emesz
margit emesz
florian bogdan
HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Christine Baumgartner, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, David Bogner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Manfred Gram, Dominique Gromes, Benedikt Guschlbauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Peter Hoffmann, Lena Hopp, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Markus Köhle, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Johannes Luxner, Julia Melcher, Nuri Nurbachsch, Florian Obkicher, Michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karoline Podolecka, Christian Prenger, Teresa Reiter, Werner Reiter, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Lukas Schmid, Bernhard Schmidt, Johann Scholz, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidl, Wolfgang Smejkal, Cornelia Stastny, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Ursula Winterauer, Imre Withalm, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Lisa Dreier, Johannes Rausch termine Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Raphaela Valentini, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Klaus Mähring, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVERBILD Polyfilm WORKSTATION-FOTOstrecke Matthias Hombauer DESIGN Monopol, Super-Fi Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, Codeon, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Christoph Ullmann, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Manz Crossmedia GmbH & Co KG, Stolberggasse 26, A-1051 Wien geschäftsFÜHRung Bernhard Schmidt PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2.00 erscheinungsweise 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien
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Allgemeinbildung 2020 media literacy in times of digital revolution »Was wird im Jahr 2020 unter Allgemeinbildung verstanden und wie kann diese vermittelt werden?« Keynote Ursula Maier-Rabler (Professorin am ICT&S Center an der Universität Salzburg)
14.04.2011 – 19.00 Uhr The Hub Vienna, vienna.the-hub.net Wien 7., Lindengasse 56 / Top18-19 Der humanistische Bildungskanon ist zum Auslaufmodell geworden. In Zeiten, in denen Fakten im Netz recherchiert werden können, hat Wissen nicht mehr den Wert, den es früher hatte. Andere Fähigkeiten sind gefragt. Die wichtigste Eigenschaft der Zukunft wird der souveräne Umgang mit dem reichhaltigen Informations- und Kommunikationsangebot sein. Das stellt auch die schulische und universitäre Ausbildung vor neue Herausforderungen. Während die Erwachsenengeneration sich oft noch unsicher in der digitalen Welt bewegt, wachsen Kinder heute mit und in ihr auf. Und doch müssen die Erwachsenen Lehrpläne und pädagogische Konzepte entwickeln, die Kinder und Jugendliche auf dem Weg durch die digital-vernetzte Welt begleiten. Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussionsplattform Zukunftsszenarien einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.
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ein funktionierendes Miteinander beginnt mit einer gedankenvollen notiz zum Toilettenverhalten. und endet damit, dass man sich mit mit dem Zettel den Hintern auswischt.
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24/7 bzw. 5/8 durchgerechnet muss man ja auch irgendwie auf- bzw. abrunden.
Fraglich, wie die österreichische Wertschöpfungskette beim Thunfisch wohl aussieht … oder ist der Pazifik neuerdings randvoll mit Vöslauer ohne?
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KOLUMNE GEORG CR ACKED
Standards in Sachen vertretbarem Kulturpessimismus. »Sag »naja« zum Leben.« Letztens komme ich an einer Kreuzung zu Stehen und neben mir sehe ich am Steuer eines grünen Jaguar Josef Pröll sitzen. Neben ihm eine Frau. Seine, nehme ich an. Und was mir blieb, von diesem unerwarteten Zusammenstoß mit der hohen Politik, war die Erkenntnis, dass auch Menschen, die man sonst nur in der Zeit im Bild zu sehen bekommt, wie viel zu viele andere auch in der Nase bohren, wenn sie im Auto an einer roten Ampel zu Stehen kommen. Ein wunderliches Zusammentreffen des höchstlichen, staatsrepräsentativen, bedeutenden Honoratiorenlebens mit, nun ja, mit mir eben. Gut, ich weiß, dass auch Werner Faymann beim Duschen die bloßen Hände benutzt, wie es auch Elisabeth Gürtler mit Richard Lugner vereint, dass ihnen ab und an Essensreste zwischen den Zähnen hängen bleiben. Ich bin überzeugt, dass Hannes Androsch manchmal Kopfweh hat, dass Paul Konrad Liessmann flucht wie ein Straßenbahnfahrer, wenn er sich mit dem Hammer auf den Finger haut, und dass Christina Stürmer Frauenhygieneprodukte benutzt, die im Fernsehen ohne ihre Mithilfe beworben werden. Aber bedeutet das für mich, dass ich all diese Leute nun besser verstehe oder gar Verständnis für sie habe? Nur weil wir uns alle abends niederlegen und morgens mit verstrubbelten Haaren und verklebten Augen wieder aufwachen, soll ich jetzt exakt bitte was von ihnen halten? Soll ich deshalb meine Meinung ändern? Das wäre ja noch schöner. Warum hast Du diese einmalige Chance nicht genutzt? Das werden einige Leser sich zu Recht fragen. Warum hast Du nicht das Fenster runter gekurbelt und ihm gedeutet und ihm dann mal diese Frage gestellt, die uns alle interessiert? Nun, zum einen gehen meine Autofenster elektrisch runter. Zum anderen, welche Frage ist das denn genau? Ja eh, nach dem Leben, dem Universum und all so was, aber da kennen wir auch die Antwort. Improvisiert fällt mir auf die Schnelle nur diese Frage ein: Warum zahl ich im Februar gleich viel Miete wie im Jänner, wo doch der Februar um mehr als zehn Prozent kürzer ist? Oder soll ich einen chinesischen Machthaber aus dem 19. Jahrhundert zitieren, der einen Kolonialherren gefragt hat: »Eine so alte Frau bereitet ihnen noch Freude?« Das kann man nur verstehen, wenn man mal auf offener Straße als »selbstsüchtiger Kapitalist« angeschrieen wurde, und das nur, weil man mit Bodyguard beim Shoppen war und einfach keine Zeit hatte, nach links und rechts zu sehen. Oder wenn man sich bei dem Versuch eine Weinflasche zu öffnen drei Schnitte an den Handinnenflächen zugezogen hat. Oder wenn man in Untersuchungshaft sitzend lesen muss, wie es andere noch viel schlimmer getrieben haben, aber trotzdem frei herumlaufen. Alles nimmt ein bitteres Ende. Mit Ausnahme von kandiertem Ingwer, der brennt noch nach, soll dafür aber sehr gesund sein, wenn eine Grippe in Anmarsch ist. Mit dieser Kalauer-Vorlage soll es diesmal enden. ¶ cracked69@hotmail.com ► 0 1 0 / AU S GA B E 1 1 5
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Unbezahlter Anzeiger
ALLE WAREN UND DIENSTLEISTUNGEN DIESER WELT SIND GLEICH GUT. DIE SCHEINBAREN UNTERSCHIEDE WERDEN NUR IM KoPF DER KoNSUMENTINNEN ERZEUGT, U.A. BZW. V.A. MIT WERBUNG, D.H. Z.B. MIT BEZAHLTEN ANZEIGEN. AUCH IN DIESEM HEFT GIBT ES DAVoN WELCHE, UND NUR DIE BEWUSSTE VERKNAPPUNG VERMAG DEM IMPACT NoCH EIN ZUSäTZLICHES MoMENTUM ZU VERLEIHEN. UM EINER DRoHENDEN BRANCHENMoNoPoLISIERUNG EINE ANGEMESSENE BLoCKADE ENTGEGENZUSTELLEN, FINDEN SICH AN DIESER STELLE EINIGE UNBEZAHLTE ANZEIGEN – SEGNUNGEN DES KoNSUMIVERSUNS.
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»Kernkraft ist ein schöner name, Kernkraft will ich heißen, Kernkraft heißt mein Klopapier, auf Kernkraft kann ich scheißen.« Fukushima hat’s gezeigt, es wird höchste Zeit, die Suche nach der »freien energie« weiterzutreiben, um die ewigen Batterien des Vakuums anzuzapfen. denn lieber unsinn als Wahnsinn, und schließlich fliegen die uFOs ja auch damit. im internet finden sich schon seit längerem grausbunte Websites und youTube-Videos, welche die Versuche die Welt zu retten dokumentieren. www.jnaudin.free.fr ▪▪
eDrA
Schaut aus wie das Möbel gewordene »unternehmen Kornmandl« von Helmut Qualtinger, ist jedoch das Cabana-designerregal von den Brüdern Campana. unter dem raffiabast-Wuschelkopf verbergen sich fünf Aluminium Fachböden, wo man bequem dope- & Voodoo-utensilien verstauen kann. Gechillt wird dann auf der Polstercouch Cipria Attila, die als Kind mal in der raumschiffenterprise-Folge »Kennen Sie Tribbles?« mitgespielt haben dürfte. Auch zum niederlegen ist der Preis: rund 22 Kilo für das abgebildete Setup. Ohne das dope. ▪▪
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Ganz schön unsenft entfaltet sich der Smoked Chilli Chipotle Mustard im Gaumen, bringt Stoffwechsel und Geschmacksnerven in die oberen drehzahlen. Fürs leistungsfähigere Gemisch wurden zum Chipotle noch rote Jalapeños eingespritzt. dennoch ist der Senf nicht einfach nur deppert scharf, sondern in seiner rauchigen eminenz sehr füllig und aromatisch, und somit auch noch als klassische Tunke geeignet. ein herzhafter Schrittmacher für Käsesandwich, Hamburger und Gewürst. www.hot-headz.com ▪▪
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Trendforschung via Kurzfilm, Teil 1
Der Wald ist nicht genug
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Kurzfilm ist bekanntlich nicht nur der unübertreffbare Gipfel aller Kunst von Menschenhand, sondern in seiner wabernden Gesamtheit auch ein untrüglicher Indikator für die Themen, die die Welt bewegen. Wir haben im Zuge unserer Festivalprogramm-Zusammenstellung in diesem Jahr 31.941 Minuten Kurzfilm gesichtet, fabriziert in 90 verschiedenen Ländern – und es ist psychohygienisch doch befreiend, unsere thematisch-soziologischen Erkenntnisse endlich jemandem mitzuteilen. Die Filmnation Westsahara ausgenommen, liegt ein erster unumkehrbarer Trend klar vor Augen: der Wald als Abenteuerspielplatz. Was wir diesmal an Verfolgungsjagden, Folterszenen und inneren Monologen im Fichtendickicht ansichtig wurden, geht quantitativ auf keine Hirschkuhhaut. Interessanterweise ist es dabei aber selten der Blick aus den Wipfeln oder der Waldameisenperspektive, der da geboten wird, sondern der aus der Augenhöhe eines durchschnittlich großen Kameramanns. Die gesellschaftlichen Implikationen liegen auf der Hand. Der zeitgenössische Kurzfilm lehrt uns, dass wir im Wald möglichst schnell zu rennen haben, nicht aber am Boden zu kriechen oder auf Bäume zu klettern. Logisch. In Städten hingegen werden wir es – geht es nach dem Kurzfilm-Trendbarometer – künftig immer schwerer haben, kommen doch aktuelle Urbanitäts-Kurzfilme weitgehend ohne menschliche Protagonisten aus und schieben auf dystopische Art und Weise ein Hochhausfenster da und eine Asphaltwüste dort vor die Linse. Das lässt nichts Gutes ahnen. Und zu guter Letzt: Lasst uns nicht auf Sex vergessen! Der beschäftigt die Kurzfilmwelt nämlich ungebrochen, immer öfter mittels Nahaufnahmen erigierter Penisse – die schönsten bringen wir dann bei unserem Festival auf die Leinwand. Apropos: Was ist zurzeit die in Kurzfilmen beliebteste, wenn auch in ihrer Häufung schon ziemlich nervige Metapher für dysfunktionale Beziehungen? Brutaler Analsex. Die Spuren des Most Famous Austrian der Nullerjahre verloren sich indes im Sand. Gingen noch letztes Jahr die düsteren Inzest-Kurzfilme aus aller Welt in die Dutzende, bleibt 2011 relativ unbefritzlt. Es kann recht schnell gehen mit der Themenrochade in der Kurzfilmwelt (und definitiv schneller als bei den langen Kollegen). Das stimmt uns zuversichtlich, aber auch nachdenklich. Und irgendwie auch erleichtert darüber, dass uns vermutlich einiges erspart geblieben ist, weil wir unser Festival erst mit drei Jahren Sicherheitsabstand zu 9/11 gestartet haben … ¶ VIs Vienna Independent shorts 8. Ausgabe des internationalen Kurzfilmfestivals, 26. mai bis 1. Juni 2011
TEXT RAIMUND LIEBERT, DANIEL EBNER BILD VIS
01 Barbara Rosenkranz – MenschInnen: Gender Mainstreaming 02 Eva Herman – Das Eva Prinzip 03 Miley Cyrus – Miles To Go 04 Heinrich Kramer – Hexenhammer 05 Michael Barnett – Handbuch für die Kunst des Springens
lädt ein …
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APRIL 28 TH
SIME VIENNA 2011 OUR PASSION IS TO SPREAD KNOWLEDGE ABOUT THE INTERNET AND DIGITAL OPPORTUNITIES!
Ausstellung »Struktur _ & Organismus« Wir machen eine Bustour: Von Wien in die Wachau zur Ausstellungs eröffnung und anschließend zur Abschluss-Party des Donaufestivals nach Krems. Ab Mai wird in Mühldorf in der Wachau ein jährlich stattfindendes Kunstprojekt im öffentlichen Raum umgesetzt. Zum Auftakt der Ausstellungsreihe »Struktur & Organismus«, werden Max Frey, Tue Greenfort, Petrit Halilaj und Rita Vitorelli für eine Woche nach Mühldorf eingeladen, um in einem pittoresken Obstgarten Arbeiten zu entwickeln und auszustellen, die auf den Ort und seine Umgebung reagieren. Dabei spielen narrative und architektonische Strukturen ebenso eine Rolle wie ökonomische und gesellschaftliche. Der lebende Organismus als ein »Stufenbau offener Systeme«, wie ihn der Biologe und Systemtheoretiker Ludwig von Bertalanffy definierte, bildet gleichsam den Ausstellungsraum im Freien. Die Ergebnisse dieser künstlerischen Untersuchungen, die auch in den nächsten drei Jahren von nationalen wie internationalen Künstlern fortgesetzt werden, sind ab dem 7. Mai 2011 in einem 1300 m² großen Marillengarten zu besichtigen. Dessen Topographie und alte Baumsubstanz bildet den Ausgangspunkt der künstlerischen Interventionen, die bis 30. Oktober 2011 ausgestellt sind. ¶ eröffnung 7. mai, 15.00 Uhr, www.st-or.at
BILD ART:PHALANx
The Gap lädt alle Besitzer eines gültigen Tagespasses für den Abschlusstag des Donaufestivals am 7. Mai ein, kostenlos den The Gap-Bus zu nutzen und vorab die Ausstellungseröffnung von »Struktur & Organismus« zu besuchen. Wer noch keine Donaufestival-Karte hat, aber unbedingt mit will, kann sich bei uns für eine ermäßigte Karte anmelden. Ablauf 13.00 Uhr – Treffpunkt Wien Universität, Grillparzerstraße / ecke rathauspark 15.00 Uhr – eröffnung der Ausstellung »struktur & organismus« mit speis & Trank 17.00 Uhr – Abfahrt richtung Krems nach ende des letzten Konzerts fährt der Bus zurück nach Wien. Anmeldung zur gemeinsamen The Gap-Landpartie unter: bustour@thegap.at
VIENNA Please apply for an invitation at www.sime.nu
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Daniela Fischnaller (MAK Wien)
TOP 10 90ER
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Dune – Hardcore Vibes Ace of Base – All That She Wants Marusha – Somewhere over The Rainbow Haddaway – What Is Love Fugees – Fugeela Anouk – Nobody’s Wife Mr. President – Coco Jambo East 17 – Stay Another Day Die Fantastischen Vier – Die Da Schwester S – Ja klar
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TOP 05 SüDTIRoL 01 02 03 04 05
Watten Speck Knödel Hüttengaudi Tirtlan
AUCH NICHT SCHLECHT: Ruede Hagelstein – Emergency.
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www.thegap.at / gewinnen
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»eVIL eye« Von ADIDAs 01
Adidas brachte im Jänner mit der »Evil Eye Halfrim« eine Biker-Brille auf den Markt, nach der sich viele gesehnt haben: Modernste Technik in einer extrem leichten, aber widerstandsfähigen Brille, die auf Rennrad, BMX oder auch Mountainbike ihren Einsatz findet. Wir verlosen ein Exemplar. Betreff: 115 Sonnenstrahlen stören mich nicht
LyKKe LI – »WoUnDeD rHymes«02
Sandra Bernhofer (The Gap / Studentin)
Die schwedische Musikern Lykke Li konnte sich innerhalb weniger Jahre einen bleibenden Namen machen. Ihre elektronischer Pop ist mit allerlei akustischen Instrumenten angereichert und ihre Stimme ziemlich unverwechselbar. Wir verlosen 5 CDs. Betreff: 115 Schwedische Stimm-Träume
»GLee« – 1. sTAffeL 03
TOP 10
Die US-Serie um eine Highschool-Musical-Truppe ist modern inszeniert und geschnitten, überrascht aber mit differenzierten Charakteren und einer große Liebe zur Popkultur. Wir verlosen 2 DVD-Boxen. Betreff: 115 Pop-Anspielungen und verstecke Tränen
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»DIe UnABsICHTLICHe enTfÜHrUnG Der frAU eLfrIeDe oTT«04
NoUVELLE-VAGUE-KLASSIKER La peau douce A bout de souffle Die Verwundbaren Jules et Jim Bande à part Belle de Jour Pierrot le fou Le Beau Serge Look Back In Anger Hiroshima mon amour
TOP 05
DINGE, DIE SALZBURG FAST ERTRäGLICH MACHEN 01 02 03 04 05
Im Frühling an der Salzach sitzen Sonnenaufgang über einer menschenleeren Stadt Nebensaison Bierauswahl im Alchimiste Belge Whisky-Auswahl im o’Malley’s
AUCH NICHT SCHLECHT:
Abwarten und Teetrinken, am besten ingwer-Zitrone.
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Michael Ostrowski nervt manchmal. Hier ist ihm aber ein echtes Highlight geglückt. Andreas Prochaska inszenierte die in Graz spielende Komödie um zwei Dodeln, die unabsichtlich Elfriede Ott entführen. Oldschool-Slapstick in einer durchaus ansprechenden Variation. Wir verlosen 3 DVDs. Betreff: 115 Grazer Pointen
sTArBUCKs »TrIBUTe BLenD«05
Starbucks wurde 40 und feiert diesen Geburtstag mit einem neuen Logo und einigen neuen Produkten wie dem »Tribute Blend«, mit dem sich Starbucks-Kaffee auch zu Hause genießen lässt. Wie feiern mit und verlosen ein Paket aus 1x Tribute Blend, 1x Tasse und 1x Tumbler. Betreff: 115 Runden Kaffee aufs Haus
»sCrUBs« – 9. sTAffeL 06
Eigentlich hätte ja nach der achten Staffel Schluss sein sollen. Aber wer kann schon aufhören, wenn’s am schönsten ist und deswegen gibt es auch eine neunte Staffel, in der die beliebten Ärzte-Chaoten an einer Medic-School unterrichten. Wir verlosen 3 DVDBoxen. Betreff: 115 neue Studenten sind kein Ersatz für JD
12—15 MAY 20 11
Messe Wien, Messeplatz 1 1020 Wien, Eingang A U2: Messe-Prater Do 11.00—19.00, Fr 11.00—21.00 (Performance Nite ab 18.00) Sa 11.00—19.00, So 11.00—18.00
Jeder will die Wolke _ Sony hat sie, Google will sie, Apple will sie, Amazon hat sie seit Ende März, T-Mobile bringt sie; und Simfy, Mspot, Play.fm und Spotify sind schon längst dort. Die Musik aus der Cloud ist das große Thema 2011.
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ir haben im Februar bereits von der Cloud berichtet. Sie ermöglicht, dass man Musik auf allen Smartphones, Laptops, Tablets oder Geräten mit Internetzugang hören kann. Ein- und dieselbe unlimitierte Musiksammlung, Playlists, Favoriten überall dabeizuhaben, das ist das Versprechen der Cloud. Manchmal sogar für lau; unter Einschränkungen. Sony hatte Anfang Februar gerade seinen okayen Dienst gestartet. Inzwischen besetzen einige kleine, vorher wenig bekannte Dienste einzelne Länder: Spotify in Skandinavien, Frankreich und Großbritannien, Simfy in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Doch schon länger drängen einige der ganz großen Konzerne ebenfalls in diese wolkige Zukunft.
bild t-mobile
Allen voran Google, dem einiges Misstrauen von Labelseite entgegenschlug und das bisher an Rechte-Verhandlungen scheiterte. Die Vermutung, Google Music könnte sehr bald online sein, gab es schon vor einem halben Jahr. Amazon will gleich noch Filme und E-Books in das Angebot packen, und hat kurz vor Druckschluss ein Service namens Amazon Cloud Drive angekündigt. Nachdem dort Musik nur wie auf einer externen Festplatte gespeichert werde, benötige man keine Lizenzen, so Amazon. Bumm. Die Labels werden wohl heftig zurückschießen. Apple wiederum hatte mit MobileMe ein ähnliches Service parat. Doch die Musikindustrie ziert sich.
Mit diesen internationalen Multis können fast nur noch Mobilfunker mithalten. T-Mobile startet nun seinen eigenen Cloud-Dienst. Über das frei zugängliche Mediencenter können Fotos, Musik und Videos hochgeladen und geteilt werden. 25 GB bekommt jeder User. Mit einem entsprechenden Vertrag können die Inhalte auch auf Smartphones, Laptops und Fernsehern abgespielt werden. Dass man dabei auch Musik an Freunde über Facebook verschicken könnte, ist das eigentlich Interessante, derzeit aber wegen Lizenzfragen noch nicht möglich. Der Nachteil im Unterschied zu Simfy oder Spotify: man hat nur Zugriff auf das, was man selbst vorher besessen hat. Der Vorteil: sollte man bei T-Mobile kündigen, hat man die Fotos, Videos und Musik noch immer. Die Luft unter der goldenen Cloud wird also dünner. Die großen Unterhaltungskonzerne haben sich in Position ge¶ bracht. Auf die Plätze, fertig, Wolke ab!
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►KOLU M NE / Z a h l en , b i t t e ! ►Von Thomas Edlinger
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st Karl Theodor zu Guttenberg ein Kindesräuber? Wenn man der Bedeutung des seit dem 17. Jahrhundert verbürgten Worts Plagiat folgt, dann wohl ja. Das Wort Plagiat geht nämlich angeblich auf einen spätantiken Dichter zurück, der einen seine Pointen kopierenden Kollegen als Plagiarius, also als Kindesräuber bezeichnete. Die Gutenberg-Bibel des 15. Jahrhunderts wollte möglichst viel Verbreitung statt Originalität, die Guttenberg-Dissertation wohl eher das Gegenteil, nämlich die Vortäuschung von Originalität und nicht allzu viel Verbreitung, damit nichts auffällt. Nachdem der deutsche Freiherr mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt worden war, spürte man die Genugtuung der Plagiatsjagdgesellschaft aus netzaktiven Hobbydetektiven, »alten« Medien, akademischen Würdenträgern und politischen Gegnern. Dabei geriet in Vergessenheit, dass Plagiarismus auch eine künstlerisch-aktivistische Strategie mit einer gewissen Tradition ist, dass der Streit um geistiges Eigentum auch ein Streit um den materiellen Wert von Eigentum an sich und damit eine eminent politische Grundsatzfrage darstellt – und nicht zuletzt, dass es so etwas wie Creative Commons bzw. eine Copyleft-Bewegung gibt, die sich gegen die systematische Erschwerung des technologisch heute ja vereinfachten Zugangs zu Wissen und kulturellem Material wendet. Und waren Raubkopien nicht immer wichtig für die Kommunikation im politischen Untergrund? Ist Produktpiraterie etwa im von der Pharmaindustrie bewusst hochpreisig gehaltenen Arzneibereich nicht ein Gebot der Stunde? Sind nicht umgekehrt diejenigen, die Produktpatente etwa auf Reis oder andere Grundnahrungsmittel durchsetzen und gegen Plagiate bzw. Fälschungen vorgehen, diejenigen, die gegen ein Gesetz der Menschlichkeit verstoßen?
Zitate, Referenzen, Samples, Kopien
Originalität und Fälschung unterhalten miteinander eine schwierige Beziehung. Einerseits gilt Originalität im Sinne von nachweisbarer Eigenständigkeit bei gleichzeitig korrekter Zitation der Quellen nach wie vor als Gebot der Wissenschaft. Und für viele auch als oberste Künstlerpflicht, die den Zeitgenossen vom Epigonen und das Neue vom Alten trennt. Andererseits ist es in der Kunsttheorie längst State-of-the-Art, dass die am bürgerlichen Geniebegriff klebende Vorstellung einer vom Himmel fallenden Eingebung obsolet ist. Es gibt das Neue als Neues nicht, während umgekehrt sogar die 1:1-Wiederholung den Gegenstand der Wiederholung als Differenz wiederholen kann – so entstehen zum Beispiel Sog, Trance, Rhythmus und Spannung am Tanzboden. Als origineller Geist gilt daher heute der, der mit dem Wissen um die Unmöglichkeit einer bahnbrechenden Originalität möglichst originell umgeht.
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Die Beispiele der genialen Fladeranten reichen jedenfalls von Malcolm McLaren bis Danger Mouse, von Thomas Meinecke bis Helene Hegemann, vom radikalen Plagiarismus als Antikunst des KunstCoup-Verfechters Stewart Home bis zur feministischen Appropriation-Art-Künstlerin Sherry Levine. Denn überall wimmelt es mittlerweile von Zitaten, Referenzen, Samples, Kopien, Plagiaten, Fakes und Serien. Leben wir also ohnehin schon längst in einer Recyclingkultur, wie sie Tricky einst im griffigen Slogan »Brand new, you are retro« zu fassen versuchte? In der Wiener Secession stellt zum Beispiel derzeit der junge Künstler Christoph Meier neben anderen durch den Vorgang des Kopierens erst ins Leben gerufenen Skulpturen auch eine reale Kopiermaschine aus. Ihn reizt aber gerade nicht die simple Verdopplung, sondern die Abweichung (die Guttenberg ja auch zum Zweck der Spurenverwischung in seine geklauten Sätze eingebaut hatte): »In den Prozess des Kopierens Fehler einzubauen, das ist dann die Freiheit, oder auch die Notwendigkeit, wenn man so will, damit man auch etwas Neues macht. Die Quelle existiert dabei nur als eine solche und als ein Grund, etwas zu machen.« Die produktive Kraft der Wiederholung ist in der Kultur längst zum Standard geworden. In gewisser Weise beweist das ironischerweise gerade das plagiatkritische, selbst aber wiederum aus lauter Samples bestehende Projekt »Everything is a remix«. Die auf vier Teile angelegte Internet-Videoserie des Künstlers Kirby Ferguson widmet sich Pop und EntertainmentIndustrie, die laut Ferguson in einer ewigen Wiederkehr des Gleichen gefangen ist, die sich als ewige Wiederkehr des Neuen tarnt. Soweit, so alt. Denn diesen Vorwurf in Richtung einer »alles mit Ähnlichkeit schlagenden Kultur« ist selbst ein Loop. Man kennt ihn schon seit Adorno. Die erste Ausgabe der rasant geschnittenen Videos ist jedenfalls eine Art popdetektivische Spurensuche mit Schwerpunkt HipHop und verfolgt etwa die exemplarische, bis heute andauernde Karriere der Chic-Basslinie in »Good Times«, die als Über-Sample Tracks der Sugarhill Gang, von Grandmaster Flash, Will Smith oder Daft Punk anschiebt. Remixen, kommentiert Ferguson aus dem Off, könne jeder. Das Schnipseln und Basteln an der Endlosschleife der Rekombination sei daher die heutige »Folk Art«. So gesehen war zum Beispiel Marcel Duchamp ein Wegbereiter dieser neuen Volkskunst. 1919 hatte er eine Kopie der Mona Lisa auch mit einem »Fehler« veredelt. Er malte ihr einen Schnurrbart und kritzelte die Buchstaben L.H.O.O.Q. dazu. Laut Duchamp selbst standen die Buchstaben für: »Ihr ist heiß am Arsch«. ¶
Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at
bild Ingo Pertramer
… von 100 der erfolgreichsten Filme der letzten zehn Jahre sind Fortsetzungen, Remakes oder Adaptionen von Büchern und Comics. Arbeitet Hollywood wie Guttenberg und sampelt nur die Arbeit anderer? Notizen zur Plagiatsdebatte.
18 text JoACHIM SCH채TZ bild PoLyFILM
► FO U r l i O N S ► Chris Morris und seine Djihad-Komödie
UnGUTe UnTerHALTUnG Der Brite Chris morris steht für schlaue Komik abseits der safety Zone. Jetzt kommt der erste Langfilm des mediensatirikers ins österreichische Kino: die selbstmordattentäter-Buddy-Komödie »Four Lions«. itze sind unzuverlässig. Sie folgen, gerade mulierungen und verwegenen Gedankenexperimenten genügt wenn sie gelingen, keinen Parteilinien. Auch sich gern einmal selbst – etwa in den kristallinen Schlagzeilen nicht denen jenes liberalen, linken Huma- (»De-frocked cleric eats car park«, »More oxygen needed, says nismus, der sich so gern in den Dienst po- France«), die Morris in seiner Radionachrichten-Parodie »On litischer Aufklärung gestellt sähe. Über das the Hour« (1991-92) zu verlesen pflegte. Kritik ist hier keine Savertrackte Verhältnis zwischen Komik und che der polemischen Absichtserklärung, sondern ergibt sich aus Kritik weiß derzeit niemand besser Bescheid als Chris Mor- der Konsequenz, mit der Morris sich an bestimmten Formen abris. Vor zehn Jahren löste der Brite ein mediales Strohfeuer aus, arbeitet. Damit hat er auch einige popkulturelle Selbstentwürfe als sich eine Spezialfolge seiner TV-Satire »Brass Eye« dem in ihrem lächerlichen Kern getroffen: 1999, als die britische Lad Reizthema Pädophilie widmete: Die Fake-Reportagesendung Culture um Britpop und Nick Hornby mit ihrer ironischen Feikarikierte nicht nur böse die Sensationalisierung von Pädophi- er männlicher Unverbesserlichkeit zur Macho-Attitüde erstarrt lie durch Medien wie Tagespolitik (in einem Sketch fackelt ein war, erfanden Morris und Robert Katz das Kolumnisten-Alias Eltern-Lynchmob einen riesigen aus Korb geflochtenen Phallus »Richard Geefe«. Der schrieb im observer zuerst launige Prosa ab), sondern führte auch leichtgläubige Prominente mit abstrus über Hangovers, Frauen und Autos, dann über seinen angekünerfundenen Anliegen aufs Glatteis. Ein überlisteter Labour- digten und terminlich fixierten Selbstmord. Mit Charlie Brooker Parlamentarier warnte vor der Gefahr aufblasbarer Hosen, mit schuf Morris ein paar Jahre später die schrille Sitcom »Nathan denen Pädophile ihre Erektionen verbergen würden, während Barley« (2005), deren Gegenstand die Medien-Hipsteria des Phil Collins eine frei erfundene Organisation zum Kampf ge- Londoner In-Viertels Shoreditch war: Der gallige Kommentar gen »Kinderschänder« (umgangssprachlich: »nonces«) un- auf kalkulierte Trash-Appropriationen à la Vice stellt zugleich terstützte: »I’m talking nonce sense.« Jetzt läuft Chris Mor- die minutiöseste Dokumentation dieser Kultur dar, die das ris’ erster Langfilm »Four Lions« (2010) in Österreich an: eine Fernsehen bis heute geleistet hat. Auch »Four Lions« behandelt den Djihadismus primär als ziemlich lustige, aber auch einigermaßen bedrückende Komödie über eine Gruppe britischer Islamisten, die sich auf ein Selbst- Subkultur, deren Versatzstücke und Phantasmen sich längst verselbständigt haben. Rädelsführer Omar (sympathietragend: mordattentat vorbereitet. Riz Ahmed) und seine vier Komplizen haben sich den »Heiligen Krieg« abseits internationaler Terrornetzwerke angeeignet. (Ein DJIHADIsmUs UnD desaströser Besuch im pakistianischen Trainingslager isoliert AnDere sUBKULTUren Bei so viel Kontroversen-Zündstoff verteilen sich die Rollen sie endgültig.) Die Rhetorik vom erbarmungslosen Kampf gegen wie von selbst: Die Tageszeitung The sun schrieb anlässlich die Ungläubigen eignet sich zwar hervorragend als Blaupause der Pädophilie-Sendung 2001 von »the sickest TV ever«, wäh- für interne Machtspielchen und Beschimpfungstiraden, schießt rend Qualitätsmedien Morris als unnachgiebigen Tabubrecher aber absurd über die Fähigkeiten der angehenden Terroristen feierten. Der Film »Four Lions« wurde in Großbritannien ver- und ihre Lebenswirklichkeit in der mittelenglischen Provinz gleichsweise gelassen zur Kenntnis genommen (und ein solider hinaus. Bricht das Auto zusammen, gibt der von der rechtsPublikumserfolg). Die Rollenzuschreibung des engagierten Sub- extremen National Front übergelaufene Barry (Nigel Lindsay) versiven oder geschmacklosen Schlagzeilen-Trittbrettfahrers den »jüdischen Zündkerzen« die Schuld. Der schüchterne FaiMorris dominierte aber auch hier die Berichterstattung. So sal (Adeel Akhtar) wiederum favorisiert als aussagekräftige einfach ist der wohl erstaunlichste britische Comedian seiner Anschlagsziele Drogerien, weil: »They sell condoms that make Generation (sorry, Ricky Gervais!) aber nicht zu fassen: Die you wanna bang white girls.« Nicht dass Omar und seine BanGattungsbezeichnung »Satire« findet Morris erklärtermaßen de, die mit den logistischen und symbolischen Komplexitäten dubios, weil sie zu oft selbstgerechtes Witzeln unter Gleich- eines Attentats hoffnungslos überfordert ist, die einzigen Dögesinnten bedeutet. Geblödel ist wohl tatsächlich der seriösere deln im Film wären: Am Ende steht den linkischen Terroristen Begriff für das, worauf sich Morris spezialisiert hat: Anstatt ein Sicherheitsstaat gegenüber, dessen Vollzugsorgane nicht Pointen um Themen zu bauen, stellt er Redeweisen und Ha- weniger lächerlich zwischen Selbstüberschätzung und Hysterie bitusformen nach, um sie dann mit absurder Folgerichtigkeit schwanken. Dass das jüngste Mitglied der Truppe ein Rapper ist, für den wuchern und aufplatzen zu lassen. Dieser avancierte Maturantenhumor mit seiner Lust an poetisch bescheuerten For- sich »martyrs« auf »tomatoes« reimt, darf man programmaAU S GA B E 1 1 5 / 0 1 9 ◄
DER TERRORIST, EIN ABSOLUTISTISCHER HERRSCHER Mit dem Terroristen hat sich, so der deutsche Philosoph Dirk Quadflieg, eine Randfigur des Sozialen inmitten der Gesellschaft verankert. Unheimlich, unfassbar und zum Äußersten entschlossen, deutet er ihn als Wiedergänger unserer verdrängten Sterblichkeit. der Terrorist ist der ultimative endgegner der säkularen, liberalen demokratie. davor unsichtbar, manifestiert er sich erst, wenn es zu spät ist, er sein symbolisches Ziel der maximalen Zerstörung erreicht und sich selbst allen weltlichen Maßstäben und strafrechtlichen Ordnungsmaßnahmen entzogen hat. Sobald er auftaucht, ist er auch schon aus dem Spiel. Keine Forderungen, keine Möglichkeit zu verhandeln, bloß: eine radikale Absage an jeden friedlichen diskurs. und weil er immer und überall auftauchen kann, das ist uns am 11. September 2001 in eindrucksvollen Bildern ins kollektive Gedächtnis gebrannt worden, ist die demokratie selbst fundamental herausgefordert. neben dem »Amokläufer« lässt sich nur der »Selbstmordattentäter« einzig in tisch verstehen: Wie so viele interessante Komödien der Gegen- den Kategorien des Pathologischen erklären. dirk Quadflieg, Philosoph und wart – und wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass Mor- Kulturtheoretiker an der Goethe-universität in Frankfurt, beschreibt ihn in ris übers Radio zur Comedy gekommen ist – ist »Four Lions« vor seinem Beitrag für den Suhrkamp-reader über die »Sozialfiguren der Gegenwart« allem ein Sprach- und Klang-Erlebnis. Wie in den Dialogen der als Todesengel einer Gesellschaft, in welcher der Tod als »gemeinschafts- und fünf assimilierten Mujaheddin konsumkulturelle Referenzen sinnstiftende Macht das einzige Fundament der modernen symbolischen und islamistische Ideologie übereinander stolpern, muss man Ordnung« darstellt und zugleich »das undarstellbare schlechthin, denn mit im englischen Original mit Urdu-Einsprengseln gehört (und auf dem Verschwinden der religiösen wie traditionalen Weltordnung hat er jeden Untertiteln mitgelesen) haben. Zumindest Disneys »König der Sinn verloren. er schrumpft auf das persönliche Schicksal zusammen, dem es Löwen« wird man danach nicht mehr mit gleichen Augen sehen. möglichst viel abzutrotzen gibt.« Aus einer ausdifferenzierten Moderne mit ihren radikal diesseitigen Heilsversprechungen wird der Tod verbannt – als ende eines nach maximaler erfüllung strebenden lebensentwurfs. An den Tod zu denken Komik, die so spezifisch funktioniert wie die von Morris, lässt bedeutet ihm eine unfassbare einschränkung. Weshalb Quadflieg den Terror des sich nicht beliebig oft wiederholen: Die Scherzinterviews und islamistischen Fundamentalismus als »einbruch des realen« (lacan) deutet. Zweckentfremdungen von Nachrichtenmaterial, mit denen sei- Oder, Hegel weiterdenkend, als »absoluten Herren«. Mit ihm ist, weil er keinen ne Fake-Nachrichtensendungen der 90er arbeiteten, sind längst Tod fürchtet und sogar den Tod schlechthin symbolisiert, ein Kompromiss wie ins Grundinventar des Spaßfernsehens übergegangen. Wäh- jener zwischen Knecht und Herrn, aus dem heraus sich der Knecht in einem renddessen hat er sich kontinuierlich wie eigensinnig weiterbe- historischen Prozess emanzipieren konnte, unmöglich. wegt. Mit der Serie »Jam« (2000) ist die Kompromisslosigkeit Weil ein »Krieg gegen den Terror« ohne fassbaren Gegner die demokratie aber zur vorübergehend zum Selbstzweck geronnen: Verzerrte Bilder zu Knechtschaft zu verwandeln droht, verordnet ihr Quadflieg eine Psychotherapie: dröhnenden Scores erzählen kühle Sketches, die routinemäßig eine Auseinandersetzung mit dem Verdrängten, dem unheimlichen doppelgänvon Kindstod, Vergewaltigung oder Inzest handeln. In seiner dü- ger eines individualisierten, säkularisierten und auf sein eigenes Glücksstreben steren Gekünsteltheit ist »Jam« ziemlich nervtötend und mar- bedachten Subjekts. dem Tod.
fALsCHe sICHerHeITen
kiert zugleich die äußerste Konsequenz von Morris’ konzeptueller Orientierung: eine Comedyshow, in der die Gags nur mehr untergeordneter Teil einer unguten Gesamtatmosphäre sind.
Im Kontrast dazu ist die unfähige Attentäter-Bande in Morris’ Langfilmdebüt überraschend warmherzig gezeichnet. Das wirkt hier allerdings nicht wie die Bändigung eines wilden Talents durch die Kompromissmaschine Kino. (Übertragen spielt »Four Lions«, hauptproduziert von der Filmdivision des Plattenlabels Warp, in derselben Budget-Kategorie wie die von Morris für Nischen produzierten TV-Arbeiten.) Eher ist dieser Zugang das Ergebnis der Suche nach einer passend verstörenden Form: Die charakterorientierte Erzählhaltung gibt der nach wie vor durchschimmernden Sketchrevue-Dramaturgie einen emotionalen Anker. Und genau darin steckt schon die nächste Perfidie. Denn im Gegensatz zu bisherigen Komödien, die designierte Selbstmordattentäter als sympathiefähige Figuren eingesetzt haben (»American Dreamz«, »An American Carol«), sollte man hier besser nicht auf einen rettenden Selbsterhaltungstrieb setzen: Diese Terroristen meinen es, bei aller Patschertheit, ernst. In seiner dunkelsten Stunde sprechen dem verzagten Omar seine schlaue, schöne, selbstbewusste Frau und sein herziger Sohn Mut zum Märtyrertod zu. Diese ungeheuerliche Szene hat Morris freilich durch ein sehr selektives Porträt der muslimischen Bevölkerung erschummelt: Neben den kulturell assimilierten, aber zornigen Attentäter-Protagonisten und einigen friedfertigen, aber rückständigen muslimischen Eiferern gibt es in der Erzählwelt von »Four Lions« schlicht keine Alternative. Allerdings: Wer eine Serie von Witzen mit Milieurealismus verwechselt, ist selbst schuld. ¶
»Diven, Hacker, spekulanten. sozialfiguren der Gegenwart«, hg. von stephan Moebius und Markus schroer, ist in der Edition suhrkamp erschienen.
MEDIEN-COMEDIAN: 5 × CHRIS MORRIS »ON THE HOUR« (1991–92) Fake-radionachrichten zwischen Satire und Surrealismus, mit Chris Morris als hyperartikuliertem Host und Steve Coogan als Sportreporter Alan Partridge. ein Meilenstein, wie auch das TV-Spinoff »The day Today«.
»WHY BOTHER?« (1994) Tolle Audio-improvisation mit Komiker-Altspatz Peter Cook: interviewer Morris befragt den lebemann Sir Arthur Streeb-Greebling (eine lebensrolle Cooks) unter anderem über seine experimente mit Aalen und seine rolle in den rodney King-riots.
»BRASS EYE« (1997 & 2001) Böse, schlaue Fake-reportage-Sendung mit haarsträubenden Sketches
und Promi-interviews zu erfundenen Anliegen. legendär: Tory-Abgeordneter david Amess warnt vor »Cake«, einer neuen »made-up drug« aus Prag.
»NATHAN BARLEY« (2005) »Stupid people think it’s cool. Clever people think it’s a joke. Also cool.« Mediensatire über den bescheuerten Trash-Guerillero nathan, der den Journalisten dan unabsichtlich in den Wahnsinn treibt.
»THE IT CROWD« (2006) Morris’ Schauspielerauftritte abseits eigener Arbeiten sind spärlich. die erste Staffel der hübschen BüroSitcom von Graham linehan veredelt er trotzdem als energischer Boss denholm reynholm. ■■
inteRview GINI BRENNER & KURT ZECHNER bild PoLyFILM
» klar können islamisten über sich selbst lachen « Terroristen sind auch nur menschen: Im Interview erzählt Chris morris, wie viel Wahrheit in seiner BombenattentäterKomödie »four Lions« steckt.
»Ich wüsste gern, ob Bin Laden in seiner Höhle auch lachen würde.«
»Four Lions« behandelt ein extrem kontroversielles und sensibles Thema – wurden Sie nie mit Vorwürfen konfrontiert, dass Sie die Sache banalisieren? chRis mORRis : Nein, gar nicht. Der Film behandelt die Konsequenzen von Fanatismus auch mit gehörigem Ernst. Mein Punkt ist ja nicht, dass Terrorismus an sich komisch ist, sondern dass Leute, die einen Terrorangriff planen, komisch sein können. Ich habe im Vorfeld des Drehs zahllose Gerichtsverhandlungen besucht, die Leute dort beobachtet, Transkripte gelesen, Menschen interviewt, die in radikalen Gruppen involviert waren oder in Afghanistan gekämpft haben. Und immer gab’s da auch komische Geschichten – weils einfach immer überall welche gibt! Man könnte sicher auch über US-Marines, die gerade in Falludscha einfallen, eine Komödie drehen. Und wenn Sie mit Entwicklungshelfern in Ruanda sprechen, werden Ihnen auch die komische Geschichten erzählen. Das hat mit der menschlichen Torheit zu tun. Die menschliche Torheit ist allgegenwärtig. Und spart sicher nicht höflicherweise eine Gruppe islamistischer Djihaddies aus, sondern wird quer durch deren Mitte ihre Bresche schlagen. Manchmal fällt es ja sogar dem Laien auf, wie holprig viele Attentate – zum Glück – schlussendlich ablaufen. Es ist relativ leicht, eine Bombe zu basteln – aber sie effektiv einzusetzen, ist sehr schwierig. Und selbst beim Bombenbau herrscht Murphy’s Gesetz: Wenn etwas schief gehen kann, wird es schief gehen. Für den 21. Juli 2005 war zum Beispiel nach den Londoner Attentaten vom 7. Juli noch ein weiterer Anschlag auf London geplant, quasi ein Follow-up. Die Bombenbastler haben aber eine falsche Formel erwischt, deswegen sind die Sprengkörper nicht hochgegangen. Waren es diese Attentate vom 7. Juli 2005, die Sie zu diesem Film inspiriert haben? Nein, ich hatte schon Jahre vorher mit der Recherche begonnen. Was hat Sie an dem Thema so interessiert? Anfangs wollte ich mich nur informieren – ich wollte wissen, wogegen sich der vielzitierte »War on Terror« eigentlich wirklich richtet, wo die Wurzeln der radikalislamistischen Bewegungen liegen und wie sich das Ganze eigentlich in den Islam einordnen lässt. Es ist sehr schwer, aus den Medien darüber fundierte Informationen zu bekommen, schon weil es sehr wenige Journalisten gibt, die sich da wirklich auskennen. Ich hab mich also immer mehr reingelesen – und bin auf immer mehr total lächerliche Sachen gestoßen. Das hat mich echt überrascht. Wie zum Beispiel die Geschichte von den Typen, die ein riesiges US-Kriegsschiff in die Luft sprengen wollten, indem sie es mit einem explodierenden Boot rammen. Sie haben also um drei Uhr morgens ihr Boot mit Sprengstoff beladen, es zu Wasser gelassen – und es ist sofort versunken. Ich wette, die Konversation, die da ablief, war sehr interessant. Allein die Vorstellung, was die zueinander gesagt haben könnten, bringt mich zum Lachen. Hatten Sie nie Angst vor Racheaktionen? Man stellt sich Islamisten ja nicht gerade als Leute vor, die über sich selbst lachen können … Aber sicher können die das! Ich habe sehr ernsthafte Leute getroffen, die eine sehr extreme Ideologie verfolgt und an vorderster Front gekämpft haben, und die hatten alle Sinn für Humor. Einmal mussten wir bei einem Screening einen libyschen Mudschaheddin aus dem Saal bitten, weil er so heftig gelacht hat, dass er die anderen störte. Man lacht nun mal gern über Witze aus seinem unmittelbaren Lebensbereich – weil man nie glaubt, dass es um einen selber geht, sondern um den Trottel daneben. Ich wüsste gern, ob Bin Laden in seiner Höhle auch lachen würde. ¶ AU S GA B E 1 1 5 / 0 2 1 ◄
»Milchstraße« als Miniatur im Glaskasten aus Holz und Kieselsteinen. Science-Fiction als mystisch-fragile Installation.
► Golde n Fra me ► »Milchstraße« von Björn Dahlem
23 TE X T Margit Emesz BILD Florian Schneider (Courtesy: Björn Dahlem, Kunstraum Innsbruck)
Kosmos im kasten Björn Dahlem lädt zu einem imaginären Ausflug in die Milchstraße. Die ehemals raumfüllenden Installationen sind nun im Kleinformat hinter Vitrinenglas gebannt. Der Betrachter blickt in ein kleines Universum im Guckkasten, auf eine Galaxie, die im Inneren einer Glasvitrine ruht. Luftleer wird sie dort verwahrt, ein Studienobjekt, eine Kuriosität, als wäre sie ein Flaschenschiff. Wie ist bloß die große Milchstraße da hineingekommen? Björn Dahlem liest gerne, er beschäftigt sich mit Alchemie und Mystik, Chemie und Physik, Philosophie, Grimms Märchen und anderen Offenbarungen, etwa auch der des Johannes. Apokalyptische Visionen oder naturwissenschaftliche Erklärungsversuche werden aus diversen Fundstücken zu Objekten zusammengesetzt und in großen Glasvitrinen zur Schau gestellt, die stellvertretend für jene Räume stehen, von denen sie einst Besitz ergriffen haben. Wilde Gebilde waren das, aus Teppichen, Styropor, Holzlatten und Neonröhren. Nun hat Dahlem diese Installationen als Minimundi hinter eine Scheibe gebannt, als bloße Anschauungsobjekte ohne tatsächlichen Berührungspunkt. Der junge Wilde ist ruhiger geworden und setzt auf präzise Arbeit. Was bleibt, ist die Verwendung gefundener Materialen. Man glaubt, Exponate aus einer anderen Zeit zu betrachten, wie damals, als die Menschen noch staunend vor Kuriositätenkabinetten standen.
Supernova und dunkle Materie
Als »Lichtkünstler« wird Dahlem gerne beschrieben, also hat er sich hier offenbar mit der weltenumfassenden Fragestellung von Licht und Schatten auseinandergesetzt. »Milchstraße« ist ein an molekulare Zusammensetzung erinnerndes Gewächs, das kosmische Denkdimensionen annimmt. Die Endpunkte der Galaxie sind goldene Sterne und dunkle Kieselsteine. An sprühende Gestirne gemahnen die goldlackierten Ausläufer, man denkt an den Stern von Betlehem, möglicherweise sind sie aber auch glänzende Boten der Endzeit: eine Supernova, das letzte Aufleuchten am Ende der Lebenszeit eines Sterns. Als Gegenstück fungieren als »dunkle Materie«, wie der Künstler sagt, schwarze und graue Steine. Man könnte sie als Schwarze Zwerge identifizieren, ein Zustand, an dem ein Gestirn weder Licht noch Wärme ausstrahlen kann. Schöpfung und Verderben liegen nah beieinander. Die Exponate lassen sich schwer einordnen – einerseits fühlt man sich, als stünde man vor Großmutters Wohnzimmeranrichte, andererseits blickt man in Visionen der Vergangenheit und Zukunft, des Weltalls und der Fremde. Auch den Beigeschmack des Sakralen wird man nicht los, sind Dahlems Vitrinen doch inszeniert wie Reliquienschreine. »Aus fernen Welten (Focus imaginarius)« nennt der 1974 in München geborene Abgänger der Düsseldorfer Kunstakademie seine derzeitige Ausstellung in der Kerstin Engholm Galerie in Wien, wo man neben »Milchstraße« weitere wundersame Exponate betrachten kann. Ab Mai in der Kunsthalle Wien. ¶ AU S GA B E 1 1 5 / 0 2 3 ◄
► 3DS ► Nintendo macht 3D ohne Brille mobil
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Der Gameboy-Nachfolger Nintendo 3DS erweitert seine bekannten Features um brillenloses, stereoskopisches 3D und zieht damit alle Blicke auf sich. Der 3DS ist aber eigentlich viel mehr als eine Konsole – ebenintendo ist wieder einmal so viel ist er ein Spielzeug. Es gibt ein Betriebssystem, das immer Branchenprimus und macht mehr an die Oberflächen von Xbox 360, PS3 oder Wii erinnert. Technologie massentauglich. Die Miis sind diesmal ein integraler Bestandteil, und mit den KaDiesmal 3D. Während das meras lassen sich 3D-Fotos machen und in Programmen verzieGeschäft bei TV und Heimren. Wer den 3DS auf Standby stellt, nützt unterwegs halbsinnKonsolen dank mehr und besvolle Funktionen wie einen Schrittzähler. In Sachen Connectivity serem 3D-Content nun anlaufen könnte, bringt Nintendo mal will Nintendo weiterhin punkten. Die Funktion StreetPass lässt eben eine mobile Konsole auf den Markt, auf der man ohne Brille Konsolen unterwegs im Netzwerk miteinander kommunizieren, in den Genuss von stereoskopischer Tiefenoptik kommt. Das macht auf andere 3DS-Spieler in der Umgebung aufmerksam funktioniert deswegen, weil der Spieler meist von einem genau und bietet ein paar Community-Minispiele. SpotPass sorgt dafür, bestimmbaren Abstand und Winkel auf das Bild sieht und das dass der 3DS immer auf dem neuesten Stand ist – ungefragt und Gerät – ähnlich einem Kippbild – dem linken und dem rechten automatisch. Im bald nachgelieferten Online-Shop lassen sich Auge zwei unterschiedliche Bilder zeigen kann. An ähnlicher dann wieder jede Menge Spieleklassiker erwerben. Technologie wird auch im Heim-Segment gearbeitet; aber da ist Gerade in Sachen Connectivity muss sich Nintendo aber der Betrachter meist bewegter. Zwar muss man sich auch beim auch einige Fragen gefallen lassen. Es ist letztlich nicht ganz Handheld erst an 3D gewöhnen, aber schon nach kurzer Zeit ist verständlich, warum der Hersteller hier so extrem auf Eigender Effekt absolut verblüffend und ansprechend. Nintendo ge- ständigkeit setzt. Facebook und Twitter haben einen Standard lingt damit ein neuer Standard. Wenig überraschend kann der geschaffen, an den sich die Heimkonsolen Xbox 360 und PS3 Gameboy-Nachfolger vom Start weg mit einem hochkarätigen angepasst haben. Gerade eine mobile Konsole könnte hier punkLine-up und kräftiger 3rd-Party-Unterstützung rechnen. Auch ten und etwa ein Mii-Profil mit dem auf Facebook oder Twitter wenn so manch großer Name noch fehlt, lassen sich nur wenige kurzschließen. Hier zeigt sich Nintendo aber weiterhin zaghaft Entwickler die Chance entgehen, von der Aufregung um die neue – vielleicht auch tatsächlich zum Schutz der oft minderjährigen Zielgruppe. Aber selbst die Verbindung zur eigenen Wii ist eher Hardware zu profitieren. Bei den meisten Titeln ist 3D noch ein behübschender Effekt, der wenig Einfluss auf das Spielgesche- eingeschränkt. Trotzdem: Nintendo gelingt mit dem 3DS wieder hen hat. Immerhin eignen sich die eingebauten Kameras beson- einmal das Meisterstück einer Konsole, die mit einem Killerfeaders gut für Augmented Reality Games. Diese sind teilweise im ture die Aufmerksamkeit auf sich zieht und Technologie masLieferumfang enthalten und lassen sich mittels zu scannender sentauglich macht. Abermals ist das neue Gerät dabei nicht in Karten starten. Kleine Spiele wie das Zielspiel »Face Raiders« jedem Bereich High-End, dazu ist etwa die Auflösung zu klein. sind derzeit noch nicht viel mehr als unterhaltsame Gimmicks. Aber bis das zum Problem wird, ist Nintendo wohl wieder zwei Sie lassen aber auf witzige Spiel-Ideen für die Zukunft hoffen. Schritte weiter. ¶ Und manche Insider gehen davon aus, dass die Masse, mit der Nintendo wohl bald den Markt beherrscht, auch wieder für einige Der Nintendo 3DS ist am 25. März erschienen und in den Farben Kosmos-Schwarz und Aqua-Blau erhältlich. schräge Nischentitel sorgen wird.
text martin mühl bild nintendo
Spielzeug
3DS-Launchtitel im Kurztest
3D-Update Einige Monate nach dem Verkaufsstart von 3D-Fernsehern und diversen Abspielgeräten haben wir uns angesehen, wie sehr aktuelle Produkte überzeugen und damit zum Kauf anregen. Am Filmsektor gibt es in Sachen 3D wenig Überraschungen. Wie im Kino dominieren Animations- und Actionfilme das Angebot. Viele davon waren offensichtlich nicht vom Start weg für 3D gedacht – Unschönheiten wie ständig angeschnittene Personen brechen immer wieder den Effekt und lassen im Nachhinein erkennen, wie durchdacht »Avatar« war. Herausheben wollen wir Alexandre Ajas »Piranha 3D« (Kinowelt). Neben ordentlich blutiger, aber nie ekelhafter Biss-Action setzt der Regisseur in erster Linie auf nackte Haut und lässt allerlei Bikini-Trägerinnen (Stichwort Spring Break) auch ganz ohne Textil auf den Zuseher los. Und einen abgebissenen Penis. Guilty-Pleasure-Trash und 3D passen ganz gut zusammen. Auch die Spiele-Industrie kommt erst langsam in die Gänge, dieser Tage erscheinen aber einige 3D-fähige Blockbuster. Sony – die auch ihre 3D-Fernseher verkaufen wollen – sind hier wenig überraschend Spitzenreiter. »Gran Turismo 5« ließ den Blech-Voyeurismus bereits im Herbst in 3D erstrahlen und das neue »Motorstorm Apocalypse« zeigt, wie gut Rennspiele, Chaos und die ständige Bewegung in den Raum zusammenpassen. Der Prestige-Shooter »Killzone 3« ist nicht nur per Bewegungssteuerung Move spielbar, sondern auch in 3D. Der Effekt sieht gut aus, macht das Spiel aber leider nicht besser spielbar. Ebenso eine Vorreiterrolle nimmt wieder einmal Ubisoft ein. Der Publisher veröffentlichte schon Ende 2009 mit »Avatar« das erste 3D-fähige Spiel. Sehr fein kommt der Effekt auch bei »Shawn White Skateboarding« und dem HD-Remake der »Prince Of Persia«-Trilogie zum Einsatz. Letztere ist allerdings wieder nur für die PS3 erhältlich. Wer auf der Xbox 360 in den Genuss von 3D kommen will, muss erstens darauf achten, dass die Konsole HMDI-fähig ist und zweitens auf Multiplattform-Titel zurückgreifen. Allerdings zählen drei aktuelle Releases hier zum Besten in Sachen 3D-Gaming: »de Blob 2« (THQ) macht mit seiner bunten Spielwelt und dem freundlichen Gameplay so noch mehr Eindruck. In »Topspin 4« (2K) muss man sich kurz an das neue Schlagtiming gewöhnen, dann aber gilt es, die derzeit wohl akkurateste und beste Tennis-Simulation zu genießen. Und wenig überraschend ermöglicht der fliegende Ball einen besonders feinen räumlichen Effekt. Das absolute Highlight in Sachen Technik und Games ist derzeit aber »Crysis 2« (Crytek / EA). Der Shooter überzeugt in fast jeder Hinsicht und lässt sich auch in 3D großartig spielen. High-End Gaming wird hier zur Pflicht-Übung.
Ghost Recon: Shadow Wars (Ubisoft); 3DS; www.nintendo3ds.ubi.com Ubisoft verlegt Tom Clancys Kriegsschauplätze auf den kleinen Schirm und in ein rundenbasiertes Strategiespiel. Das macht die klischeehaften Kriegshandlungen – es gilt wieder einmal russische Fanatiker zurückzudrängen – nicht frischer, funktioniert aber großteils ganz prächtig und sorgt für ein mittlerweile seltenes Spielvergnügen. Gepaart mit der gelungenen, wenn auch nicht spielverändernden 3D-Grafik ergibt das ein durchaus attraktives Angebot. (7/10) Asphalt 3D: Nitro Racing (Ubisoft); 3DS; www.nintendo3ds.ubi.com »Asphalt 3D« bietet geradlinigste RennAction mit Spaßfaktor. Rennspiele eignen sich prinzipiell durch die ständige Bewegung in den Raum ganz gut für 3D-Effekte, und das trifft auch auf das neue »Asphalt« zu. Der Titel glänzt dabei nicht unbedingt mit Spieltiefe oder als technische Meisterleistung, bietet aber soliden Fahrspaß für zwischendurch. Andere Rennspiele für den 3DS haben hoffentlich mehr Eigenständigkeit und Charisma. (5/10) Super Monkey Ball 3D (Sega); 3DS; www.sega.com/supermonkeyball3d Ein Spiel mit Bewegungssteuerung am 3DS beweist Witz: das Kippen des Geräts macht nämlich den 3D-Effekt unmöglich. Das ändert aber nichts daran, dass »Super Monkey Ball« auch hier hervorragend funktioniert, richtig viel Spaß macht und das neue Steuer-Pad hervorragend nutzt. Von den vielen bekannten Minispielen sind hier leider nur »Monkey Race« und »Monkey Fight« implementiert, aber das Paket ist trotzdem rund und überzeugend. (7/10)
Links oben: »Top Spin 4« – Der fliegende Ball ergibt einen feinen räumlichen Effekt. Rechts unten: Blut und Haut in Alexandre Ajas »Piranha 3D« AU S GA B E 1 1 5 / 0 2 7 ◄
► S IM E - Konfe r enz ► Wien als europäischer Start-Up-Standort
Am 28. April findet die »SIME« MedienKonferenz erstmals in Wien statt. ProjektDirektor Martin Drexler über Standortwahl und Aufbruchsstimmung in der Stadt.
Wie beurteilt ihr Wien als Standort für Digital Entrepreneurs? Es ist nicht leicht in Wien. Das Klima ist eher nivellierend und bürokratische Abläufe dauern mitunter viel zu lange. Daniel Mattes etwa hat auf ein Patent im Zusammenhang mit Jajah rund fünf Jahre gewartet. In so einem Zeitraum ändert sich in Online-Angelegenheiten so viel, dass es dann schon innerhalb eines Jahres zu spät sein kann. Es werden in Wien durch Einrichtungen wie Departure oder ZIT aber auch äußerst positive Signale gesetzt. Schade ist allerdings, dass diese Investitionskraft hier bzw. in Europa noch nicht nachhaltig genützt wird und der überwiegende Teil der Start-ups dann in die USA verkauft werden. Es braucht dringend europäische Player, die im Internet-Business an vorderster Stelle mitmischen, sonst subventionieren wir immer nur, mal grob ausgedrückt, USKonzerne, die hier relativ billig Innovationen einkaufen, um sie uns dann teilweise wieder teuer zurückzuverkaufen. Du unterrichtest selbst Multimedia und Kommunikation an der Graphischen. Wie schätzt du die Ausbildungssituation in Wien ein? Sehr gut, aber noch nicht ideal, wenn man bedenkt, dass in Indien erst 2010 die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde. Wie glaubt Europa, dass es als Wirtschaftsstandort in 20 Jahren dieser Masse an ausgebildeten digital affinen Arbeitskräften begegnen wird können? Oder ein weiteres Beispiel: Ich bin jedes Jahr zur Präsentation von Diplomarbeiten des Royal College Of Art in London eingeladen. Auch da gibt es einen Trend: Junge chinesische Top-Leute studieren dort, bekommen ihre Ausbildung vom Staat finanziert, müssen aber nach der Ausbildung ins Land zurückkommen, um das erworbene Wissen weiterzugeben. Europa ist gerade dabei, in solchen Belangen langfristig sein Know-how zu verspielen. Es fehlt an visionären Politikern, die das ändern würden. Und hier kann Österreich wiederum sehr viel von Skandinavien lernen. Trotzdem: wir spüren eine absolute Aufbruchsstimmung in der digitalen Community, die auf niemanden mehr wartet und sich selbst organisiert. Das ist gut so und da ist die SIME Vienna Conference als willkommene Plattform aufgenommen worden, die wiederum ähnliche, bereits geplante Veranstaltungen in Wien befruchten kann. ¶ www.sime.nu / vienna
s gibt viele Konferenzformate, warum gerade SIME (Scandinavic Interactive Media Events mit Sitz in Stockholm). Warum gerade Schweden? Schweden lässt sich sehr gut mit Österreich vergleichen. Das Land hat nur wenig mehr Einwohner, ist aber gerade im digitalen Bereich deutlich aufgeschlossener, selbstbewusster und Team-orientierter. Wien war immer der Brückenkopf zwischen Ost und West, ab heute kann die Stadt der Brückenkopf zwischen Analog und Digital werden. Wir wollen mit SIME an die Aufbruchsstimmung vergangener Tage anschließen und in Wien etwas bewegen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich in Wien Leute als Kreative, IT-Techniker oder Unternehmer wahrnehmen, aber selten als z.B. kreative Unternehmer. Ja, da ist schon etwas dran. Genau das wollen wir aber ändern. SIME Vienna soll als Meet-&-Mingle-Event nachhaltig wirken und mit positiven Beispielen zeigen, dass es auch anders geht, dass Mann oder Frau auch höchst kreative wie erfolgreiche Unternehmer sein können.
»Die SIME Vienna Conference ist ein wichtiger Schritt, Wien als Media-Metropole noch besser zu positionieren.« Daniel Mattes, Serial Entrepreneur und Gründer von Jumio.com
Die SIME Vienna findet am 28. April 2011 in der Ottakringer Brauerei in Wien statt. Unter den bekanntesten Rednern finden sich: Daniel Mattes (Jajah, Jumio), David Rowan (Wired, Europe), Fabian Heilemann (Daily Deal), Florian Gschwandtner (runtastic), Stefan Glänzer (last.fm). Veranstaltet wird die Konferenz von: Ola Ahlvarsson, Martin Drexler, Rupert Schäfer (SIME Vienna); Sponsoren sind: Microsoft, ZIT, Ottakringer und Raiffeisen.
interview martin mühl bild martin mühl
► Stat e O F Sa b OtaG e ► Kunst kommt in die Praxis
it’s sabotage Die mikro-nation »The state of sabotage« hat als Kunstprojekt gesellschaftspolitische Konsequenzen nach sich gezogen. einige der mittlerweile 14.000 staatsbürger ohne Territorium wurden nicht nur der Kunst wegen Citizens of the state of sabotage. Jetzt gibt ein Buch darüber Aufschluss.
text MARGIT EMESZ bild SABoTAGE
m 30. August 2003 fand auf der unbewohnten finnischen Insel Harakka ein Staatsakt statt: Im Beisein eines finnischen Männerchors und des Schweizer Künstlers H.R. Giger, der eigens für diesen Anlass eine Skulptur entworfen hat, wurde der »State of Sabotage« (SoS) ins Leben gerufen. Robert Jelinek, Gründer des seit 1992 existierenden Kunst-Kollektivs Sabotage, das unter anderem auch ein Musik-Label (Sabotage Recordings) betreibt, hatte beschlossen, wider das System eine eigene Mikro-Nation, ein gesellschaftliches Experiment des Protests und Widerstands zu gründen. SoS ist eine parallele Alternative zu existierenden Staatsformen, ein selbsterdachtes diplomatisches Idealbild, vielleicht vergleichbar mit einer Kommune, jedoch unter dem Prinzip der absoluten persönlichen und künstlerischen Freiheit. »The seductive rule is the law of the State of Sabotage«, steht als Grundsatz von SoS zu lesen. Die Versuchung sei die radikalste Form der Zerstreuung, der Abgrenzung – der Versuch, eine brauchbarere Gesellschaftsform zu schaffen.
GrenZe ZWIsCHen fAKT UnD fIKTIon
Das Kunstprojekt führte im Lauf der Zeit zu einer heiklen politischen Verstrickung. SoS hat eine eigene Verfassung, ist von der UNO ein im Sinne der Menschenrechte anerkannter Staat, jedoch ohne definiertes Territorium. Der Staat ist, wo seine Bürger sind, und fungiert in dieser Hinsicht als Kunstinitiative mit diplomatischem Hintergrund, tritt weltweit mit diversen Interventionen und Ausstellungstätigkeiten in Erscheinung. Auf
der SoS-Website kann man eine ID-Card und einen Pass, der von Heimo Zobernig gestaltet wurde und somit als Multiple gehandelt wird, erwerben. Ebenso gibt es eine eigene Währung oder Devotionalien wie Flaggen oder Briefmarken. Was nun als idealistisches Rollenspiel im Sinne der Kunst begann, hat ernsthafte Probleme aufgeworfen – das Ausstellen des SoS-Passes hat die Grenze zwischen Fakt und Fiktion überschritten. Nachdem mehrere vor allem nigerianische Künstler im Rahmen eines Austauschprojektes – Kunst gegen SoS-Pass – die Staatsbürgerschaft erhalten haben, ist eine Welle an Beantragungen losgebrochen. Das Kunstprojekt wurde als reelle Chance gesehen, um Migranten Zugang zu medizinischer Versorgung zu verschaffen, Arbeitsgenehmigungen zu ermöglichen oder in andere Staaten einzureisen. Der SoS-Pass wurde auf dem Schwarzmarkt vertrieben, gefälschte Dokumente und Visa ausgestellt. Schlussendlich kam es zur – inzwischen bereits niedergelegten – Anzeige der Staatsanwaltschaft gegen Robert Jelinek, auch Exponate einer geplanten Ausstellung in Amerika wurden als kriminell eingestuft und konfisziert. In Folge gab es auch einen Ansturm auf die Ausweise und Reisedokumente anderer eingetragener MikroNationen. Das eben im Springer Verlag erschienene Buch »Offshore Census« fasst diese Geschehnisse zusammen, bietet Einblick in Projekte des State of Sabotage und gibt den inzwischen rund 14.000 Bürgern im großzügigen Abbildungsteil ein Gesicht. ¶ »offshore Census: The Citizens of the state of sabotage« ist bereits via springer Wien erschienen. AU S GA B E 1 1 5 / 0 2 9 ◄
► Frui ts, F low e rs , an d C lou ds ► Eine alternative Kunstmesse für Wien
Where have all the Fruits and Flowers gone?
Kartonturm – Pierre Leguillon »Danse Libre«, 2010, Siebdruck, aufgestapelte Kartonboxen
Alternative Messekonzepte sind in den großen Metropolen zeitgenössischer Kunst längst Standard. Mit Fruits, Flowers, and Clouds, der neuen Wiener Messe für Gegenwartskunst, hat nun auch Wien eine längst fällige Alternative zur Massenabfertigung im Labyrinth der Kojen.
300
Galerien aus 36 Ländern mit Werken von mehr als 2.500 Künstlern. Diese stolzen Zahlen stammen aus dem Abschlussbericht der 41. Ausgabe der Art Basel, der weltweit bekanntesten Messe für zeitgenössische Kunst. Selbst wenn man Besitzer zweier geschulter Profiaugen ist, empfindet man diese Dichte als eine Zumutung. Das Problem an diesem Messetypus ist die oft wahllose Zusammenstellung von Kunstwerken, die trotz vereinzelter Solopräsentationen den Blick auf das individuelle Werk eines Künstlers unmöglich machen. Eine Messebeteiligung kostet natürlich Geld, viel Geld. Also versuchen die Galerien möglichst flächendeckend die Arbeiten ihrer Künstler auszustellen – um dann hoffentlich viel zu verkaufen. Im schlechtesten Fall decken die Verkäufe nicht einmal die Kosten der Messe, im Idealfall gibt es satte Gewinne. Die österreichischen Galerien können dabei – im Gegensatz zu ihren Mitbewerbern aus den anderen Ländern – auf die Unterstützung des Staates zählen, denn der stellt für internationale Messebeteiligungen jährlich bis zu 300.000 Euro zur Verfügung.
Konzept von Fruits, Flowers, and Clouds. Auch hier geht es ums Geld, aber auf Augenhöhe mit den ausgestellten Künstlerpositionen, die allesamt als Einzelausstellungen konzipiert wurden. Neben freiem Eintritt räumt die Messe auch mit der größten Lächerlichkeit auf, die einem im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Kunst einfallen konnte und sich allerorts wie ein Geschwür ausgebreitet hat: den VIP-Veranstaltungen. Es wird auch keine Previews geben, an denen sich der oft beschworene Demokratiegedanke in der Kunst im Besonderen ad absurdum führt. Es sollen Inhalte vermittelt werden, die neben dem Verkauf der ausgestellten Arbeiten als ebenso wichtig, weil notwendig empfunden werden.
Bis zu 25 Künstlerpositionen, nationale wie internationale, werden an drei Tagen zu besichtigen sein. Dabei wird auch auf die Ausstellungsarchitektur viel Wert gelegt, die im Gegensatz zu den üblichen Kojen in verschiedenen Größenordnungen auf eine einheitliche Größe mit einem offen gestalteten Display Rücksicht nimmt. Die Messe wird vermutlich mehr Ausstellungscharakter besitzen als jene Formate, die auf den reinen Kunstschau mit Verkauf angelegt sind, schon alleine deshalb, weil die ausgeAusstellungscharakter Kunst muss verkauft werden, damit die Künstler und die Ga- stellten Künstler vom Kurator Maximilian Geymüller und der leristen davon leben können, und das ist auch gut so. Das Pro- Künstlerin Rita Vitorelli bewusst ausgesucht wurden. Geymüller blem ist aber die Gier und die in diesem Umfeld erzeugte Stim- ist Messeleiter von Fruits, Flowers, and Clouds und hat mung, die die ausgestellte Kunst in den Hintergrund drängt. Eine sich freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung gänzlich andere Philosophie verspricht das Programm und das gestellt.
text und interview stefan tasch sujet Christoph Steinegger porträt STEFAN TASCH
himmel über wien
hier leider doch recht hoch. Am Schluss sind es vier heimische Galerien geworden: Layr, Mezzanin, Senn und nächst St. Stephan. Warum fühlte sich die Viennafair, die vom Messegiganten Reed Exhibitions veranstaltet wird, bedroht? Immerhin ist Reed mit diversen Veranstaltungen in 36 Ländern vertreten. Das hat uns auch sehr gewundert. Vor allem in Anbetracht der unterschiedlichen Budgets, mit denen hier gearbeitet wird. Fruits, Flowers, and Clouds ist ein Low-Budget-Projekt. Gibt es jetzt in irgendeiner Form eine Zusammenarbeit mit der Viennafair? Nicht inhaltlicher Natur, aber man wird versuchen, die eine oder andere organisatorische Kooperation einzugehen. Wie viele Künstlerpositionen wird es geben, und wie ist das Verhältnis national zu international, renommiert zu jung? Der überwiegende Teil der gezeigten Künstler kommt aus dem internationalen Umfeld. Die Überlegung dahinter ist, dass es auch zu einem Austausch mit der heimischen Kunstszene kommt und Positionen gezeigt werden, die man ist Österreich erst selten oder nicht in diesem Umfang sehen konnte. Unter den 25 Positionen sind sowohl renommierte Künstler wie Ernst »Fruits, Flowers, and Clouds«-Kurator Caramelle und Andreas Slominski als auch ganz junge wie Carina Brandes und Helen Marten. Bei den Galerien verhält es sich Maximilian Geymüller im Interview über das ähnlich: Neben der Galerie Neu oder Johann König aus Berlin werden Balice Hertling aus Paris oder die Londoner Gallery Vela Messekonzepte, Organisation, das Verhältnis teilnehmen. zur Vienna Fair und Internationalität. Wie sieht die Infrastruktur im MAK aus – wird es ein Rahmenprogramm geben? Warum dieser ungewöhnliche Messename? Neben dem Ausstellungsbereich wird in der unteren AusSchon der Titel drückt aus, dass es keine ganz konventionelle stellungshalle des MAK eine Bar eingerichtet, die über die ÖffMesse ist, sondern formal wie auch inhaltlich eine Mischform nungszeiten der Messe hinaus bis zwei Uhr früh geöffnet hat. zwischen Gruppenausstellung und Kunstmesse. Der Name erin- Im erweiterten Barbereich werden Kunstmagazine und Fannert ja eher an einen Ausstellungstitel und entspricht unserem zines sowie Künstlerbücher des amerikanischen Verlegers Brian Konzept der kuratierten Auswahl von einzelnen Künstlern und Kennon angeboten. Tagsüber wird Schorsch Böhme kochen, am Abend wird es dort Performances und DJs geben. Es soll ein Ort deren Werken, die aber natürlich käuflich zu erwerben sind. Wie gestaltete sich die Vorbereitungszeit? geschaffen werden, wo man sich nach der Messe trifft und geDie ersten konzeptuellen Gedanken zu dieser Messe wurden meinsam trinkt und feiert. ¶ vergangenen Sommer entwickelt, konkrete Arbeitsschritte erfolgten ab Oktober. Wir mussten uns dann relativ schnell für einen Veranstaltungort entscheiden, und die Wahl fiel auf das MAK. Die Messe ist allerdings mobil, das heißt, wo sie nächstes Jahr stattfinden wird, ist noch nicht klar. Wir haben in sehr intensiven Gesprächen mit der jüngeren Generation von Galeristen herausgefunden, was deren Bedürfnisse sind und versucht, diese so gut es geht in unsere Konzeption einfließen zu lassen. Man kann junge internationale Galerien nur über sehr niedrige Standmieten gewinnen. Um unsere Kosten dennoch abzudecken, haben wir eine Art Patensystem entwickelt. Wir suchen Unternehmen oder Privatleute, die einen bestimmten Beitrag bezahlen, und so die Teilnahme der Galerien unterstützen. Die Suche nach diesen Förderern ist noch nicht abgeschlossen … (lacht) Wie waren die ersten Reaktionen? Man muss zwischen den internationalen und den österreichischen Reaktionen unterscheiden. Spike Art hat als internationales Kunstmagazin Kontakte zu Künstlern, Kuratoren und Institutionen im Ausland, die uns großes Interesse entgegengebracht haben. Begeistert waren die Künstler und Galerien deshalb, weil wir kuratierte Solopräsentationen zeigen und sie sich mit unseren Ideen, die Messe anders zu gestalten, identifizieren 12. bis 14. Mai können. Viele der jungen Galeristen sind davon überzeugt, dass MAK (Museum angewandter Kunst), Stubenring 5, 1010 Wien man über inhaltliche Auseinandersetzung die Kunst auch besser verkaufen kann. Außerdem ist wichtig, dass auch Kuratoren Öffnungszeiten: und Kritiker eine Messe besuchen. In Wien war es schon schwie- 12. und 13. Mai: 13.00 – 21.00, 14. Mai: 12.00 – 19.00 Uhr riger, weil die bereits bestehende Messe, die Viennafair, von ver- Bar-Öffnungszeiten: schiedenen Protagonisten der Wiener Kunstszene als gefährdet 12. und 13. Mai: 19.00 – 02.00 Uhr gesehen wurde. Was wir nicht so sehen, weil unsere Messe ein gänzlich anderes Konzept verfolgt und von uns immer auch Abschlussparty mit Vinnie Who: als Ergänzung gesehen wurde. Es gab dann aber letztlich auch 14. Mai: 22.00 Uhr, Location wird bekannt gegeben sehr positive Reaktionen aus Österreich, und es sind ja österreichische Künstler und Galerien vertreten, allerdings nicht so viele, Freier Eintritt wie wir uns das gewünscht hätten. Die Zahl der Absagen war www.fruitsflowersandclouds.at
Fruits, Flowers, and Clouds
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► Ste p h an S chm i dt-Wu l ffe n ► Der neue Rektor der New Design University im Interview
»das bauhaus der wissensgesellschaft« Bevor er 2002 Rektor an der Akademie der bildenden Künste in Wien wurde, leitete Stephan Schmidt-Wulffen den renommierten Kunstverein Hamburg. Nun verschlägt es den Kunsttheoretiker ausgerechnet ins beschauliche St. Pölten. Warum? Weil er aus der dortigen New Design University eine Hochschule mit internationalem Format machen will.
ie wechseln von einem Haus mit großer Tradition und beachtlicher öffentlicher Wahrnehmung als Rektor zu einer kleinen Privatuniversität in eine Stadt, die von vielen hämisch als provinziell abgetan wird. Wie empfinden Sie diesen Schritt in Ihrer beruflichen Laufbahn? stephan schmidt- wulffen : Die New Design University ist eine kleine Universität, hinter der eine potente Trägerin steht, die jetzt diese Universität neu positionieren will. Das ist eine unglaublich spannende Aufgabe. Zumal in einem Moment, wo das Design viele Vorstellungen der Kunst übernimmt, um sie in der Realität und nicht nur im Museum umzusetzen. Und da spielt es keine wesentliche Rolle, wo man eine Lehr- und Forschungsinstitution auf die Beine stellt. Das Bauhaus entstand auch nicht in Berlin, sondern in Weimar, dem St. Pölten Thüringens. Ihre Arbeit als Rektor in Wien war auch von vielen Konflikten innerhalb der Akademie geprägt. War auch das ein Grund zum Wechsel? Oder anders gefragt: Sie sind müde von den Konflikten und erwarten Sie sich in St. Pölten weniger Widerstand? An den Kunstakademien trägt man einen Kampf mit einer jahrhundertealten Geschichte aus, die in den Strukturen der Lehre und in einem heroischen Künstlerbild überlebt. Es besteht in der Tat eine akute Gefahr, dass die kulturelle Entwicklung an diesen Ausbildungsstätten einfach vorbei geht. In Wien haben wir einiges bewegt und es wird sich zeigen, ob das Bestand hat. Aber es hat tatsächlich viele Kräfte gekostet. Die NDU ist dagegen eine sehr junge Institution, die noch ihre Rolle finden muss. Da gibt es ein engagiertes Team von Lehrenden, die sich ganz offensichtlich über einen neuen Mitdiskutanten freuen. Und es gibt vor allem noch kein festgefahrenes Bild der Kunstuniversität. Wir werden hier das Bauhaus der Wissensgesellschaft entwickeln, jenseits von alten Designkategorien, jenseits von »angewandt« oder »frei« und orientiert an den vielen Problemen, die sich der heutigen Gesellschaft stellen.
Die Designausbildung in Österreich ist zwischen zwei extremen Polen angesiedelt: Von der traditionell kunstlastigen Angewandten bis zur international beachteten FH Joanneum, die sehr eng mit der Wirtschaft kooperiert. Die NDU ist als Gründung der Wirtschaftskammer per se marktorientiert. Manche meinen, die Absolventen seien mehr angepasst als kreativ. Was sagen Sie zu dieser Kritik? Ich hoffe für die Design-Studierenden an der Angewandten und am Joanneum, dass ihre Ausbildung marktorientiert ist. Eine der interessanten Aspekte von Design ist ja gerade, dass es nicht am Geschmack und Verständnis der großen Öffentlichkeit vorbeigehen kann. Die Wirtschaftskammer hat viel weiter gesteckte Ziele: Hier geht es schon darum, die Talente im Land – auch jene aus dem Handwerk – an einer internationalen Entwicklung der Wissensgesellschaft partizipieren zu lassen. Die Entwicklung dieser Gesellschaft hängt auch von den Märkten ab, sie ist aber nicht nur »marktorientiert«. Bisher wurde in St. Pölten auf eine gute handwerkliche Grundlage der Studierenden Wert gelegt, die deshalb beruflich auch sehr gute Perspektiven hatten. Allerdings ist sicher auch richtig, dass der Unterricht dabei etwas verschult ist. Jetzt geht es darum, kreative Freiräume zu schaffen, räumlich und in den Studiengängen. Darüber denken wir zurzeit nach und werden sicherlich schon das Wintersemester 2011 in inspirierenderen Räumlichkeiten beginnen. Wo steht die NDU zur Zeit? Wo sehen Sie Positives, wo die größten Schwächen? Die NDU ist im Aufbau begriffen. In ihren drei »Säulen« – Gestaltung, Technik, Management – existieren einige Bachelorprogramme, wenige Master, keine Doktorate. Jetzt muss man die Aufbauphase abschließen, in dem sich vieles auch dem Zufall verdankte und zu einem gemeinsam Leitbild finden. Das Thema der materialen Kultur kann ich mir als ein solches gemeinsames Dach vorstellen, das auch entsprechende
Forschungsschwerpunkte liefern würde. In allen drei Fakultäten fehlen noch Programme, die noch dazu stärker verzahnt sein sollten. Die Stärke der NDU liegt im Moment sicherlich in ihren grundständigen Studien, wie sie die Fakultät für Gestaltung anbietet. Sie liegt in einem unglaublich engagierten Lehrkörper, der die Studierenden zu begeistern weiß. Und schließlich in der Entschlossenheit der Trägerin Wirtschaftskammer, die jetzt den Erfolg dieser Schule national und international will. Wie sieht Ihr Zeithorizont für diesen Job aus? Welche konkreten Ziele können Sie jetzt schon nennen? Und innerhalb welchen Zeitraums sollen diese erreicht werden? Ein wichtiges Ziel ist der Neubau, den wir zusammen mit dem WIFI und finanziert von der Wirtschaftskammer betreiben. Hier gibt es eine atemberaubende Dynamik. Der Wettbewerb wird demnächst ausgeschrieben und das Gebäude soll 2014 bezogen werden. Wir werden in diesem Jahr gemeinsam eine Gesamtkonzeption für diese Universität entwickeln und entscheidende neue Programme im Laufe des nächsten und übernächsten Jahres implementieren. In drei Jahren könnte die NDU drei Mal so viel Studierende haben wie heute – rund 700. An der Akademie gelten Sie als ein Mann, der die Studierenden an den Markt heranführen will – Stichwort: Marketing. Sehen Sie auch bei den sogenannten Kreativen einen Mangel an Realitätssinn, was die berufliche Perspektive betrifft? Ich weiß nicht, woher Sie das haben. Ja, ich habe immer auf die harten Realitäten nach dem Studium hingewiesen. Aber ich habe damit eigentlich nicht die Selbstvermarktung propagieren wollen, sondern auf andere Formen heutiger Kunst in der Gesellschaft hinweisen wollen. Für das Design gilt dasselbe. Wer sich hier nur auf den herrschenden Geschmack einstimmt, der hat schon verloren. Auch im Design zählt die kritische Betrachtung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, weil nur dann Freiräume für gestalterische Aufgaben entstehen. In einem Interview meinten Sie, die Kreativwirtschaft hätte noch ein enormes Entwicklungspotenzial. Der Amerikaner Richard Florida hat bereits vor zehn Jahren das Zeitalter der Kreativität ausgerufen, derzeit findet ein weltweiter KreativWettkampf statt. Was konkret meinen Sie mit Entwicklungspotenzial? Geht’s da mehr um Arbeitsplätze oder gesellschaftliche Relevanz? Ist der Begriff »Creative Class« nicht auch ein Euphemismus, der verschleiern soll, dass viele Kreative am Existenzminimum leben? Offenbar gibt es eine ästhetische Intelligenz, die anders funktioniert als die Vernunft von Wissenschaft und Logik. Diese ästhetische Intelligenz, für die noch Kleist und Novalis gekämpft haben, hat während der Industrialisierung ihr Exil in den Künsten gehabt. Aber jetzt, in der Wissensgesellschaft, kehrt sie offenbar wieder in die Gesellschaft zurück. »Kreativität« ist ein ziemlich hohler Begriff und niemand, auch nicht Richard Florida, kommt bei seinen Beschreibungsversuchen über Plattitüden hinaus. Viel interessanter ist dagegen, diese ästhetische Intelligenz in ihrer Mechanik zu durchleuchten. Sie findet Aufmerksamkeit eben nicht nur in den traditionellen Bereichen der Creative Industries, sondern z. B. auch im Management. Hier scheint mir die entscheidende Rolle der Kunstuniversitäten heute zu liegen: In der Gesellschaft für diese Form des Denkens ein Bewusstsein zu schaffen, es zu erforschen. Das meine ich, wenn ich vom Entwicklungspotenzial der Künste und des Designs spreche. Und das Prekariat ist keine Erfindung des Postfordismus! Wenn ich an die vielen denke, die in diesem Land von Armut bedroht sind, dann klingt die Klage vom Existenzminimum, für das sich viele Kreative nach einer jahrelangen exquisiten Ausbildung selbst entscheiden konnten, auch ein wenig larmoyant. Zuletzt noch eine private Frage: Werden Sie nach St. Pölten übersiedeln? Oder doch pendeln? Ich sehe die NDU in der Zukunft als eine kreative Schule, die an vielen Orten agiert. Da muss man nicht unbedingt nach St. Pölten ziehen. ¶
Die New Design University vergibt jedes Jahr den Event Design Award mit anschließender Party. Das nächste Mal am 9.4. in der Ottakringer Brauerei mit Fritz Kalkbrenner, 2ManyDJs und Patrick Pulsinger live.
Ad Personam Stephan Schmidt-Wulffen wurde 1951 in Witten im Ruhrgebiet geboren und studierte Philosophie, Sprachwissenschaft und Kommunikationsdesign. Er begann als Journalist und Kunstkritiker, unterrichtete ab 1988 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und leitete von 1992 bis 2000 den renommierten Kunstverein Hamburg, ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst. Seit 2002 ist er Rektor an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Mit Sommer 2011 verlässt er die Akademie in Richtung St. Pölten, wo er als Rektor der New Design University bestellt wurde. ◄◄◄ interview BILD
Peter Stuiber Lisa Rastl AU S GA B E 1 1 5 / 0 3 3 ◄
► CrO SS i N G eU r O p e F eSt i Va l ► Pferdeopern aus dem Ostblock
der sheriff mit dem roten stern Wo Winnetous ostdeutscher Blutsbruder wohnt: Das Linzer filmfestival Crossing europe zeigt sowjetische und osteuropäische »red Westerns«. esternfilme zogen in den 60er und 70er Jahren als Blockbuster auch in den kommunistischen Ländern des damaligen Ostblocks Millionen von Menschen in die Kinos. Dass dieses Kunststück nicht ohne Modifikation des amerikanischsten aller Genres gelingen konnte, ist klar. In der DDR etwa wollte man ähnliche Leinwand-Abenteuer wie jene der Karl-May-Erfolge aus der BRD produzieren – lediglich ohne die Verherrlichung amerikanischer (Besiedelungs-)Kultur. Also wurden politisch korrekte Geschichten aus der Sicht der Indianer entworfen, die in sozialfriedlicher Eintracht zusammenleben und ihr Recht gegen kapitalistische weiße Eindringlinge verteidigen müssen, die ihrerseits nur an Landgewinn, Biberfellen und Besäufnissen interessiert sind. Gedreht wurden diese Breitwand-Abenteuer im damaligen Jugoslawien, zum »Winnetou«-Star des Ostens wurde der serbische Athlet Gojko Mitić. Die Ergebnisse dieser Übersetzung waren bisher im Westen Europas kaum zu sehen. Auch deshalb gehört die Schau (eine Kooperation mit dem Rotterdamer Filmfestival) zu den Pflichtterminen des heurigen Crossing Europe-Festivals.
text DoMINIQUE GRoMES bild CRoSSING EURoPE
DIe GLorreICHen sIeBen Der reVoLUTIon
Einen anderen Weg, dem US-amerikanischen Filmformat ein kommunistisches Antlitz zu verleihen, hat die Sowjetunion eingeschlagen, indem sie aus den Cowboys kurzerhand Revolutionäre und Rotarmisten machte, die über die Grenzen Russlands hinweg für die »gerechte Sache« eintreten. Staubige Straßen, galoppierende Pferde und ohrenbetäubende Pistolenduelle durften aber auch in keinem dieser Filme fehlen. So befindet sich in »Die weiße Sonne der Wüste« (1969) der Soldat Sukhov nach erfolgreichen Kämpfen in Turkmenistan auf dem Nachhause-Weg zu seiner Frau (die in seinen Tagträumen als russisches Idealweib inmitten sonnendurchfluteter Felder auftaucht), wird jedoch fortwährend aufgehalten. Er muss Kameraden helfen, für Recht und Ordnung sorgen und zu guter Letzt einen Harem von sieben Frauen aus den Händen des gewalttätigen Abdullah befreien. In »The Elusive Avengers« (1966) werden diese Genre-Stereotypen mit märchenhafter Kinderfilm-Ästhetik versetzt: Eine Bande von drei Jungen und einem Mädchen macht sich auf, den Tod ihres Vaters zu rächen, unterwegs werden sie zu Helden des russischen Bürgerkriegs. Die beschwingten musikalischen Einlagen sollten daraus einen Film für die ganze Familie machen. So waren es trotz aller politischen Unterschiede ausgerechnet die klassischen US-Westernklischees der 30er bis 50er Jahre, an denen sich die »Red Westerns« orientierten. Die positive Gesinnung des Helden und sein Kampf für eine bessere Welt standen in der Tradition einer uramerikanischen Kinomythologie, die im Westen längst ins Wanken gekommen war. Im zeitgleich boomenden Italound amerikanischen Spätwestern warfen abgeklärte Antihelden nur noch einen melancholischen Blick auf jene Gesellschaft, die allem Anschein nach (siehe Vietnam) in ihrer dunkelsten Stunde angekommen war. Solche Ausweglosigkeit findet sich in der »Red Westerns«-Retrospektive paradoxerweise nur im ältesten, der sowjetischen Revolution zeitlich am nächsten liegenden Beitrag: Lev Kulešovs »Nach dem Gesetz« (1926) blickt in kantigen Bildern den menschlichen Abgründen direkt ins Gesicht. In der Einsamkeit Alaskas verfällt eine Gruppe von fünf Abenteurern erst dem Goldrausch und schließlich dem Wahnsinn. Gezeigt wird »Nach dem Gesetz« in einer vom Österreichischen Filmmuseum restaurierten Version zur eindrucksvollen Live-Musik von Franz Reisecker. Und im fiebrigen Finale um einen Galgenstrick lässt sich Sergio Leone bereits erahnen. ¶ Das Crossing europe filmfestival findet von 12. bis 17. April in Linz statt. Infos unter www.crossingeurope.at
► Pa n da B e a r ► Strand-Psychedelik auf den Spuren von Brian Wilson
der sommer so nah Animal Collective-Mastermind Noah Lennox aka Panda Bear veröffentlicht dieser Tage sein drittes Soloalbum »Tomboy«. Führt die Suche nach dem ewigen Sommer in den Pop-Olymp?
n Fankreisen munkelte man schon, »Tom- Meer – Ebbe und Flut, Rückzug und Preisgabe, die Seele boy« würde Noah Lennox’ Äquivalent zu als Tropfen im kollektiven Ozean. Verschrieb sich Brian »Smile« werden – Brian Wilsons unvoll- Wilson in »Smile« noch einer Beschwörung aller vier Eleendeter »teenage symphony to god«, ein mente, so ist »Tomboy« ganz klar eine Ode ans Wasser. Die gescheiterter Geniestreich, der den zer- Erinnerungen, die sich darin spiegeln, sind die Erfahrungen brechlichen Musiker letztendlich in den der Kindheit und Adoleszenz. Auch lyrisch ist die ComingWahnsinn trieb. Bereits vor über einem Jahr angekündigt, of-Age-Thematik Konzept: Es geht darum, anders zu sein, wurde der Release immer wieder nach hinten verschoben. als von einem erwartet wird – der Begriff »Tomboy« ist in Nun ist »Tomboy« tatsächlich fertig geworden – und der diesem Zusammenhang eine Bezeichnung für Mädchen, Künstler nicht dem Wahn verfallen. Das Album öffnet mit die sich entgegen ihrer anerzogenen Geschlechterrolle wie einer zwei Minuten kurzen, beinahe sakral anmutenden Jungs verhalten. Pop-Perle. Ein Kokon von unzähligen Texturen umgibt Anders als erwartet ist auch der Zugang zu den Songs ausufernde, an die Beach Boys erinnernde Chorbögen. Al- ausgefallen: Im Vergleich zu dem fast vollständig auf Loops les schreit: Sei naiv, sei liebevoll, sei glücklich! Der kate- und Samples basierenden »Person Pitch« gibt sich »Tomgorische Imperativ findet auch in den Tracks »Tomboy« boy« melodieverliebter und um einiges reduzierter, was den und »Slowmotion« Gebrauch, dazu nisten sich düstere Einsatz von elektronischen Fragmenten angeht. Dies mag Dub-Elemente in die sonnengebräunten Strandmelodien auch dem Mitwirken der Dreampop-Legende Sonic Boom ein. »Now I see« singt Lennox repetitiv in dem von wie- (Spacemen 3) zuzuschreiben sein, der den Sound eine Spur derhallenden Synth-Lines getragenen »Drone« – von hier mehr in Richtung kantenfreie Popmusik verschob. Die Psyaus geht die Reise ins Innere, und die das Sakrale und Un- chedelia der späten Beach Boys in Synthese mit Chillwaveschuldige stets begleitenden Zweifel gewinnen Überhand. Electronica zwischen Flying Lotus und Washed Out dienen Im hypnotisch-pulsierenden »Afterburner« beginnen die als Blaupause zur kontextuellen Einordnung. Chöre, die Lennox im Kampf gegen sich selbst anstimmt, Die Referenzen sind aber in keiner Weise als Zitatenbrei allerdings wieder zu frohlocken. Es ist die Stelle, an der das zu verstehen, sondern als Einflüsse in ein Werk, das inspiAlbum seinen musikalischen Klimax erreicht. Das endgül- riert und inspirierend zugleich ist. Was es wichtig macht? tige Heilsversprechen wird dann im Closer »Benfica« er- »Tomboy« hinterlässt beim Zuhörer das Gefühl, das Album teilt: Der post-psychedelische Afterglow mündet in den ku- sei mehr als nur die Summe seiner Teile. Es produziert ein mulativen Effekt der Freude – oder dem, was kalifornische eigenes Bild, einen eigenen Geschmack – und wird somit Hippies eine ozeanische Selbstentgrenzung nennen würden. zur Referenz für sich selbst. Musik für einen Sommer, in dem wir nie wieder alt werden wollen. ¶
Nostalgischer Meeres-Song-Zyklus
»Tomboy« funktioniert als wiederkehrendes, periodisches Ereignis: Die Platte verrauscht wie ein Tag am »Tomboy« (Paw Tracks) erscheint am 8. April auf CD und LP.
TEXT Michael Kirchdorfer BILD Brian DeRan
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► Mo r loc k k Di l e mma ► Qualitäts-Rap aus der Gosse
»Circus Maximus« heißt das neue Album des zornigen Leipzigers Morlockk Dilemma und ist eine wortgewaltige Offenbarung.
Der lyrische Aggressor
Falko Luniak – so heißt der studierte Journalist hinter dem Pseudonym – vermeidet es, sich als Künstler betiteln zu lassen. Rap müsse nicht als Kunst verstanden werden, der Begriff werde ohnehin zu inflationär verwendet, sondern als Handwerk. So souverän sich das für einen Musiker anhört, der in grauen DDRPlattenbauten sozialisiert wurde, so kunstvoll welkt die cineastische Sample-Ästhetik seiner Produktionen. Seine Kompositionen funktionieren als atmosphärische Soundtracks. Sie klingen abgewetzt, angeschrägt, disharmonisch und sind voll von Sample-Reminiszenzen an verklungene Filmmusik und zerkratztes Soul-Funk-Vinyl. Die Gosse glitzert nicht, sondern ist dreckig. Etwas anderes würde auch nicht in sein klassenbewusstes Konzept oder das seines kreativen Umfelds (Spoken View, Snuffproduction) passen. 2009 veröffentlichten Dilemma und Hiob das gemeinsame Album »Apokalypse Jetzt«. In rauen, mythologisch aufgeladenen Sprachbildern sinnierten die beiden über menschliche Abgründe, Herrschaftsverhältnisse, Verwertungs- und Gewaltstrukturen oder solidarisierten sich mit Deklassierten. Auf seinem fünften Solowerk perfektioniert Morlockk Dilemma jetzt seine True-School-Dystopien an den Straßenrändern von Hartz IV. In »Der wahre Messias« wird etwa ein Erlöser als obdachloser »Restmensch« verkannt, in »Die Taube« wird eine Friedenstaube zum rächenden Krankheitserreger. Bei »Mordshunger« zielt ein verzweifelter Raubüberfall nicht auf Geld, sondern auf glänzendes Fast-Food ab. Oder bei »Galgenberg« werden öffentliche Hinrichtungen zu boulevardesken Medienevents. Zwischendurch streut Dilemma Wahnsinn in Form von unerbittlicher BattleRap-Akrobatik zu pochenden Beats. Rap muss auch 2011 weder romantisch noch sanft sein. Der grobe Morlockk Dilemma überzeugt als reflektierter Dramatiker, der Abgase atmet. So realitätsnah ist deutscher Rap der Straße nur ganz selten. ¶
»Circus Maximus« von Morlockk Dilemma ist bereits via Spoken View erschienen. — www.spokenview-shop.com
TEXT Klaus Buchholz BILD Spoken View
rap mir das lied vom tod
ls das Label Aggro Berlin 2003 die Karriere von Bushido zündete und ein Jahr später »Mein Block« von Sido veröffentlichte, war deutschsprachiger HipHop endgültig im Ghetto-Gefühl angekommen. Ein neuer, brachialer GossenGlamour eroberte die Charts und verklärte die Sicht auf die Unterschicht. Zeitgleich begann Morlockk Dilemma unermüdliche Sprechgesang-Salven gegen diesen GhettoFlächenbrand zu feuern. Für die Härte des Rinnsteins, für die Vergänglichkeit von Reichtum und Menschheit. Für gnadenlosen Battle-Rap, der Gesellschaft in cineastischen Dystopien reflektiert. »Du bist tot!« – Um zu derartigen Punchlines genießerisch mit dem Kopf nicken zu können, braucht es einen guten Grund. Mit seinem neuen Track »Fieber«, in dessen Refrain Morlockk Dilemma diesen Imperativ platziert hat, liefert er gleich mehrere gute Gründe. In einem post-apokalyptischen Szenario beschreibt er einen glücklichen Misanthropen, der eine tödliche Epidemie dank seiner Sozialphobie überlebt hat. Der Track hüllt sich in einen entspannt psychedelisch wabernden Soul-Beat, auf dessen Basis Dilemma sein sarkastisches Storytelling zelebriert. Wenn der MC seine Stimme erhebt, schmettert er einem entweder unerbittliche Battle-Rap-Strophen um die Ohren oder er erzählt in durchdringenden Fabeln von urbanen Schattenwelten. In jedem Fall hinterlassen seine rastlosen Stakkato-Flows verbrannte Erde, so auch auf seinem herausragenden neuen Album »Circus Maximus«.
► 6 t h Bor ough P ro j ect ► Disco-Deep-House-Veredelung
funk ’em all! 6th Borough Project verschmieren auf ihrem Debüt-Album Disco und Deep House so formvollendet und knackig wie kaum jemand bisher. Ihre Samples sind mächtig, ihr Stil unprätentiös. Kein Werk von ErneuerungsFanatikern, sondern von Funk-Göttern. TEXT Maximilian Zeller BILD Delusions of Grandeur
eit einigen Jahren bereits spuckt der House-Vulkan wieder heftig Feuer und hat dabei Minimal Techno und Konsorten unter einer mächtigen Aschewolke begraben. Selbst Leute, die sich eher wegen Sex, Alkohol oder anderem in einen Club verirren, haben das schon spitzgekriegt. House und auch dessen älterer Bruder Disco sind omnipräsent und schwängern sämtliche Stile aktueller Clubmusik von Electro bis Dubstep. Diese Umwälzung passierte nicht über Nacht, sondern sukzessive. Minimal-House war dabei die Interimsregierung im Staate Club. Dieser funktionierte und tönte immer noch wie minimaler Techno der Nullerjahre und befriedigte die nach vorne drängende Clubkultur und ihre Jünger nur kurzzeitig. Deep House wurde ausgegraben, einer Frischzellenkur unterzogen und kurz darauf fast einstimmig als passende Staatsvertretung angelobt. Er erfüllte die Chord- und Vocal-Sehnsucht der Tänzer, ohne dabei zu überhitzen.
Die Suche nach dem goldenen Sample
Das Rennen um den smoothesten Chord, die souligsten Vocals und das organischste Sound-Fundstück ist bereits in vollem Gange. Dabei wird auch vom Teller anderer Genres genascht. Disco und House rücken sowieso immer näher aneinander, durch Samples aus Soul, Funk, R’n’B und Jazz erschließen sich neue Möglichkeiten. Bei alledem ist und bleibt der Arsch aber immer noch Kriegsminister – am Schlachtfeld, der da Dancefloor heißt, müssen gerade Tracks funktionieren. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz, das den Produzenten zwar instinktiv bewusst ist, aber von manchen zugunsten des Novelty-Effekts zurückgestellt wird. Die schottischen Disco-Nerds Craig Smith und Graeme Clark von 6th Borough Project liefern jetzt auf ihrem Debütalbum den bisher unaufgeregtesten, spannendsten, wenn nicht besten Deep-House-Disco-Hybrid der Gegenwart – und gleichzeitig eine Art Manifest in Form eines uralten SpokenWord-Samples, wie es kaum schöner sein könnte: »Nothing is original. All human expression is really just endless variations. There are only a limited number of stories you can tell, but there is an unlimited number of ways to tell the same story«, röchelt eine alte Soul-Stimme auf dem Album-Track »Deep C«. Stile niederreißen, um aufregende Musik zu machen, muss nicht sein, eine überzeugende Art Geschichten zu erzählen aber haben 6th Borough Project längst gefunden.
Retro vs. Zeitgeist
Den Nerv der Zeit zu treffen war wohl nicht mal das Anliegen von 6th Borough Project. Ihre bisherigen Produktionen rochen zwar immer schon nach etwas Großem und waren alle samt Underground-Hits, aber so präzise wie auf »One Night In The Borough« wurde die Disco-Deep-House-Symbiose noch nie gemacht. Ihr Wissen um und ihre Samples aus alten Funk und Soul-Platten katapultiert sie allen anderen weit voraus. Die Tracks des Albums pendeln sich eher im Tempo oldschooliger Disco-Platten zwischen 110 und 115 Bpm ein und gerade das lässt ungepitchte Samples zu, die so ihre geballte Kraft entfalten. Aber auch die Beats’n’Claps des Duos haben genügend Eier, um nicht als Chill-Out-Gedudel abgetan zu werden. Und selbst wenn sich synkopische Bassläufe mit discoider African Percussion paaren, halten 6th Borough Project ihre Stücke klar auf Kurs. Ihre Musik vereint mit Leichtigkeit, was House-Connaisseure, Disco-Nerds und Club-Kids gleichermaßen suchen – musikalische Tiefe, organische Fülle, ekstatische Emotionen und eine adäquate Portion Punch. Kommende Disco-House-Hybride müssen sich ab heute an diesem Album messen. ¶
»One Night In The Borough« von 6th Borough Project erscheint am 6. Mai via Delusions Of Grandeur. AU S GA B E 1 1 5 / 0 3 7 ◄
TEXT Michael Aniser BILD Staatsakt
► Ja , Pa n i k ► Das vierte und beste Album
» Du bist wieder mal drauf reingefallen. «
Auf ihrem vierten Album »DMD KIU LIDT« zeigt sich die Gruppe Ja, Panik reflektiert und steht trotzdem zwischen den Orten. Wir haben Andreas Spechtl und Christian Treppo zu einem Gespräch über das Reisen, Vereinzelung und Songwriting getroffen. Die Platte beginnt mit dem Track »The Ship’s Ought To Sink«, in dem es heißt »Save the planet, kill yourself«, und auch weitere Songs kreisen um das Thema Selbstmord. Ist das so eine Art roter Faden? AS: Es gibt auf der Platte verschiedene Schattierungen von Drama, Wahnsinn, Depression und das ist halt so ein Blatt vom Ganzen. Es geht nicht grundsätzlich um Selbstmord, es geht um Verzweiflung und Vereinzelung. Also auch eine Art Stillstand? Eine gewisse Ruhe im Gegensatz zur letzten Platte, die ja sehr von einer Aufbruchsstimmung gezeichnet war. AS: Wir haben diesmal versucht, richtige Songs zu schreiben, ohne großartiges Drumherum. Auch ging es darum, Sachen, wenn man sich einmal hinsetzt, fertig zu machen und nicht irgendwas zusammenzuschustern. Es war uns von vornherein klar, dass wir Songs schreiben und dann schauen, wie wir das im Nachhinein zerstören können. Also weg von den überfrachteten Pop-Songs? Mehr so die Songwriter-Platte? AS: Es ist auf jeden Fall ein Bruch, den wir anvisiert haben. Es war klar, dass wir uns selbst gar nicht mehr zufriedenstellen können. Ich glaube, die Leute, die Ja, Panik verstanden haben wussten, dass es so nicht mehr weitergeht. Aber mit dem Begriff Songwriter-Album tu’ ich mir ein bisschen schwer, es ist eher ein Antisongwriter-Album. Die Schrammelgitarre wurde soweit es geht ausgemerzt, die wollten wir gar nicht haben. Es ist in gewisser Weise unsere musikalischste Platte. CT: Der Ausgangspunkt war ein Songwriting-technischer, weil zuerst das Lied – sprich Strophe, Refrain, Melodie, Text – da war. Bei der letzten Platte war das nicht so. AS: Wir haben versucht, das zu brechen. Die Platte hat ja
auch zwei Teile. Es ist ein Irrweg, auf den man den Hörer mitnimmt, ihn kurz mal für 50 Minuten in den Arm zu nehmen, um dann zu sagen: »Hey, du bist wieder mal drauf reingefallen.« Das letzte Stück ist in gewisser Weise die Zusammenfassung. Es erklärt sich für mich auch alles erst am Schluss, das war das Allerletzte, was ich gemacht habe, diese wagen Ideen noch einmal auf den Punkt zu bringen. Also thematisiert die ganze Platte ihren eigenen Produktions prozess? AS: Es gibt zwei Wege das zu verstehen, glaube ich. Man kann sich das einfach so anhören und sagen o.k., das ist jetzt so, oder man lässt sich darauf ein. Das klingt jetzt vielleicht prätentiös, aber die Platte ist nicht wirklich dazu gemacht, dass man sie sich nebenher anhört. Das ganze ist eine Einladung zur Entschleunigung. Lass dich darauf ein oder nicht. Auf dem letzten Album war irgendwie alles so durcheinander. Dieses ganze Sloganizing und all die Kritik. Ist das jetzt eine reflektiertere Kritik? Eine Rückschau? AS: Es gab den Punkt, an dem wir dachten, lass uns mal ein bisschen klarer werden. Aber die Ideen und unsere grundsätzliche Einstellung hat sich eigentlich nicht geändert. Es ist eine Reaktion auf die alten Dinge und auch eine Korrektur. Welchen Einfluss hatte das Reisen und das Unterwegssein auf die Musik und die Texte? AS: Der Umzug nach Berlin und dieses Leben unterwegs … ich merke dadurch jedesmal, wie sich in meinem Kopf Dinge auftun, die da sonst nicht möglich wären. Einfach schauen, dass man on the road bleibt. ¶ »DMD KIU LIDT« erscheint am 15.4. via Staatsakt. Das vollständige Interview: www.thegap.at
► t w e N t Y. t w e N t Y : a l lG e M e i N b i l dUNG 2020 ► Wie gehen Eltern, deren Alltag mit digitalen Medien gefüllt ist, diesbezüglich mit ihren Kindern um?
DIe KInDer Der nerDs Anlässlich des kommenden twenty.twenty-Abends zum Thema »Allgemeinbildung 2020« haben wir ein paar digital-affine eltern gefragt, wie ihr technisierter Alltag die erziehung ihrer Kinder beeinflusst.
text MARTIN MüHL bild PRIVAT, HAFENSCHER, FoTo WILKE
MERAL AKIN-HECKE, 40 Online-Medien-BerATerin 1 TOCHTer, 5 JAHre Wie beeinflusst deine Beschäftigung mit digitalen Medien, wie du in dieser Hinsicht mit deinen Kindern umgehst? digitale Medien sind ein Teil unseres Alltags, unser Kind beobachtet, wie wir ständig am laptop oder am Handy hängen und uns informationen rausholen (Wetter, navi, Voice) bzw. Arbeiten erledigen. Sie kennt Skype, e-Mail, SMS und diverse Apps wie Google earth. Alles, was ihrem Alter entspricht, nutzen wir gemeinsam. Was darf dein Kind in welchem Alter und was nicht? noch haben wir kein Gameboy oder Ähnliches – das zögere ich noch hinaus. Beim ersten Kind ist das auch leichter möglich. ein Handy bekommt sie erst, wenn sie alleine unterwegs ist. Spiele sind bei uns auch eher sehr eingeschränkt, weil die eltern auch sehr wenig spielen, aber sie nutzt mein iPhone, um zu malen, Musik zu machen, Videos aufzunehmen etc. MARTIN KERsCH, 35 SeniOr PrOduCT MAnAGer POrTAlS Bei HerOld BuSineSS dATA, 1 SOHn, 3 JAHre (2. SOHn AB AuGuST) Wie beeinflusst deine Beschäftigung mit digitalen Medien, wie du in dieser Hinsicht mit deinen Kindern umgehst? Auch wenn ich keine mir bewusste, aktive Beeinflussung erkennen kann, wirkt meine laufende Auseinandersetzung mit diesem Bereich schon allein über meine Vorbildfunktion als elternteil auf meinen Sohn. er hat einen sehr offenen Zugang zu Technologie und elektronischen Medien, und erlebt sie als etwas völlig Alltägliches. So ist etwa mein Android-Tablet eines seiner liebsten Spielzeuge, und er konnte es schon mit zwei selbst entsperren, um seine heiß geliebte »Tierstimmen-Applikation« zu starten. diese Alltäglichkeit sehe ich übrigens nicht nur als Vorteil. So sehr ich selbst einen Großteil meiner Zeit mit Gadgets oder online verbringe und somit die Begeisterung meines Sohnes nachvollziehen kann, so sehr mache ich mir manchmal auch Gedanken darüber, ob sie klassisches, kreatives Spielzeug wie Baukästen et al nicht zu sehr verdrängt. Was darf dein Kind? in Stein gemeißelte regeln gibt es hier noch nicht, zumal Felix digitale Tools schon rein altersbedingt primär mit uns und somit beobachtet nutzt. ich habe mir aber schon häufig darüber Gedanken gemacht, wann und in welcher Form ich ihm die selbständige nutzung des internets erlauben würde. einerseits ist es ein großartiges repositorium für von information, andererseits sind darunter natürlich auch dinge, die ich von meinem Kind lieber fernhalten möchte. dass ich damit auch selbst zum oft kritisierten »Zensor« würde, macht diese überlegung nicht unbedingt leichter.
MARTIN MÜHL, 31 CHeFredAKTeur & GAMeS-redAKTiOn THe GAP, 1 TOCHTer, 3 JAHre Wie beeinflusst deine Beschäftigung mit digitalen Medien, wie du in dieser Hinsicht mit deinem Kinder umgehst? überraschend wenig. Am ehesten wohl, dass ich auf Pauschalurteile leicht gereizt reagiere und mich gerne auf diskussionen zum Thema einlasse. in der Praxis finden diese aber wenig niederschlag, da ich erlebe, wie leicht ein Alltag mit Kindern ohne digitale Medien funktioniert. ich nehme an, dass das eine Frage des Alters ist und sich hier in den nächsten zwei Jahren vieles ändern wird. derzeit achte ich eher nicht auf die Vermittlung, sondern auf die inhalte und versuche selbst bei Kinderliedern etwas, das ich unpassend finde, von ihr fernzuhalten. Was darf dein Kind in welchem Alter und was nicht? unsere Tochter ist die ersten Jahre ohne Fernsehen aufgewachsen. Mittlerweile gibt es bestimmte Situationen wie Krankheit, oder mal einfach so … in denen sie auf dem Handy, iPad oder auch am Fernseher einzelne Kindersendungen oder Musik ansieht. da sie gerade erst beginnt, ein Verständnis für Spielregeln und -ziele zu entwickeln, haben wir uns mit Games noch Zeit gelassen. Manchmal fällt das mir wohl schwerer als ihr, da ich mich darauf freue, diese Art der unterhaltung mit ihr gemeinsam zu erleben. WERNER REITER, 40 SelBSTSTÄndiGer KOMMuniKATiOnSBerATer 2 TÖCHTer, 7 und 9 JAHre Gibt es dinge, die du deinen Töchtern zeigen würdest, das sie aber noch gar nicht interessiert? ich stelle fest, dass Kinder in dem Alter noch sehr in den Kategorien von Old Media denken. Sie wollen eher konsumieren als selbst inhalte produzieren. Sie verwenden die Kamera ihres nintendo kaum (obwohl es da recht unterhaltsame Features zur Bildbearbeitung gibt). Sie telefonieren nicht sonderlich gerne und verwenden SMS auch kaum (obwohl sogar die Kleinere mit ihren sechs Jahren schon welche schreiben kann). dafür suchen sie sehr gerne nach dingen, die sie interessieren, sie spielen viel (obwohl diese leidenschaft bei ihren eltern kaum ausgeprägt ist) und sie lieben es, stundenlang youTube-Videos zu schauen. Was wünschst du dir von Ausbildungsstätten in Sachen digital literacy? die Aufgabe von eltern und Pädagogen liegt aus meiner Sicht vor allem darin, mit den Kindern richtigen und verantwortungsvollen umgang zu diskutieren. ich glaube, dass digital literacy ein permanenter lernprozess sein wird. Wo laufend neue Services entstehen und junge Menschen Angebote früher entdecken als erwachsene, wird es um drei dinge gehen: die Förderung eines kreativen umgangs mit neuerungen, die Ausbildung der Fähigkeiten für eine zielgerichtete nutzung sowie das erkennen von Stolpersteinen und Gefahren. da werden die Pädagogen mindestens so viel von den Kindern lernen als diese von ihnen.
Vollständige Versionen der Kurz-Interviews auf www.thegap.at — Die nächste Veranstaltung im rahmen von twenty.twenty findet am 14.4. zum Thema »Allgemeinbildung 2020 – media Literacy In Times of Digital revolution« im Wiener HB statt. Anmelden unter www.twentytenty.at AU S GA B E 1 1 5 / 0 3 9 ◄
► NeU e tÖ N e : Sta N d O rt w i e N ► Der Wiener Kulturstadtrat im Interview
An Der sCHÖnen BLAUen in Interview mit dem Wiener Kulturstadtrat ist unterhaltsam, aber in einiger Hinsicht unbefriedigend. Denn die SPÖ ist in Wien eine Volkspartei und muss verschiedenste Interessen vertreten. Das merkt man. Es werden eine Reihe von Punkten in die Programme geschrieben und für wichtig befunden, aber mit welcher Priorität diese behandelt werden, bleibt der Realpolitik und nicht nur transparenten Entscheidungsfindungen überlassen. Nur selten lassen sich Aussagen auf konkrete Ergebnisse umlegen oder die abwägende Rhetorik in Handlungsanweisungen umlegen. Immer wieder treten dabei auch inhaltliche Unschärfen auf, die wohl dann entstehen, wenn man sich für die Kulturpolitik einer Stadt in ihrer ganzen mühsamen Breite – und nicht nur Musik, Clubkultur oder Design, weil: bei der eigenen Klientel fehlt das Subventionsgeld natürlich am dringendsten – vertreten muss und sich deshalb entscheidende Differenzen verwischen. So sieht der Stadtrat das Popfest etwa als Schaufenster für internationale Beobachter (wovon es derzeit diametral entfernt ist), Singer-Songwriter aus Wien als ein internationales Aushängeschild (sind sie nicht, viel eher sind das elektronische Schaltstellen wie Fennesz, Soap & Skin, Dorian Concept, Wolfram, etc.), ein internationales Popfestival noch in mittlerer Ferne (das Waves Vienna könnte sich über die kommenden Jahren dazu entwickeln). Ja, fuck – die Diskussionsplattform »Wien denkt weiter« ist eingeschlafen, die Terminüberschneidung mit dem Donaufestival wird herunter gespielt, die Sperrstundenpolitik nur mit Absichtserklärungen abgespeist. Und dennoch: es hat sich in den letzten zehn Jahren in Wien tatsächlich sehr viel getan. Cutting-Edge-Magazine wie De:bug und monocle widmeten der Stadt redaktionelle Schwerpunkte. Viele Kreativbereiche atmen Morgenluft, die geschätzten deutschen Numerus-Clausus-Flüchtlinge tragen den Ruf Wiens nach Hause. Die Politik hält einen gesteuerten Hype trotz aller günstigen Voraussetzungen aber nicht für zwingend – vielmehr setzt Mailath-Pokorny auf leise Töne statt allzu schrillem Kulturmarketing. Falls aber jemand meint es anders machen zu müssen, hätte der freundliche Kulturstadtrat wohl sicher auch für dieses Anliegen ein offenes Ohr.
Wie steht es um den Kulturstandort Wien? a ndRe a s m a il a th - pOKORnY : Ich sehe das ähnlich wie viele Beobachter: in den 90er Jahren gab es mit Downbeat Vienna eine international wahrnehmbare Wiener Popkultur. Mitte der Nuller Jahre hat sich in Wien wieder viel Interessantes getan. Namen wie etwa Gustav, Clara Luzia, Ja, Panik, Kreisky, Ernst Molden stehen hier stellvertretend für viele andere. Durch die Weiterentwicklung der Produktions- und Distributionsformen ist dieser Bereich allerdings noch weiter fragmentiert worden. Diese Musik lässt sich international nicht mehr Wien zuordnen, wie das noch bei den Elektronikern der Fall war. Pop und Klassik wirken institutionell noch immer stark voneinander getrennt. Es gibt eine grundsätzliche Tendenz zur Auflösung dieser Zuordnungen. In den kreativen Spots, sei das Brut, Garage X, Impuls oder Tanzquartier, aber auch bei Wien Modern lösen sich diese wasserdichten Zellen auf. Die Dinge werden unberechenbarer. Wir führen das Interview an dem Tag, an dem das Sound:frame eröffnet wird, das ist ein Bereich, in dem es vor zehn Jahren nur einzelne Künstler gegeben hat, die Musik mit digitaler Kunst verbanden. Was ich sagen will: Wir haben in Wien eine Entwicklung, die deshalb so interessant ist, weil es diese starke Hochkultur gibt. Wenn diese beginnt, ihre Zellwände zu öffnen und auf eine lebendige Szene trifft, können sehr spannende Dinge entstehen. Ist so etwas auch für die Musik vorstellbar? Wenn jemand wie Patrick Pulsinger mit Wien Modern kooperiert, ist das genau das, was wir intendiert hatten. Wir versuchen, diese Trennungen aufzulösen. Verschiedene Clubs haben sich Ende der 90er Jahre etabliert, das Flex, das Fluc und die ganze Gürtelszene. Mit dem Tanzquartier, dem Brut, dem Museumsquartier erfolgte noch ein zusätzlicher Schub. Ist diese Interdisziplinarität also eine Leitlinie oder eher eines unter mehreren Themen der Wiener Kulturpolitik? Es ist eines unter mehreren Themen. Es gab es früher nicht und ich sage schon, dass die klassische Musik eine große Stärke, ein USP, dieser Stadt ist. Solange es qualitativ stimmt und nicht zu einem Klischee verkommt, bin ich sehr dafür; aber wir haben die Unterstützung der Interdisziplinarität als zusätzliches Element dazu genommen und wollen die Vernetzung fördern. Teile
TEXT UND INTERVIEw STEFAN NIEDERWIESER BILD PETER RIGAUD
Was zählt in der Wiener Kulturpolitik? Kulturstadtrat Andreas mailath-pokorny gibt flauschige Antworten.
Neue Töne der Musikwirtschaft Die Musik ist im Umbruch. Die digitale Revolution hat keine Kunstform so erschüttert wie die Musik. CDs verstauben in den Regalen, im Gegenzug sind unsere Mobiltelefone voll mit Tracks. Werbung, Mode und Serien kaufen Musik an, im sozialen Web wird sie vervielfältigt, Festivals multiplizieren sich und ganze Städte entdecken Musik als Standortfaktor. Kurz: Die gesamte Wertschöpfungskette von Musik ist drunter und drüber. Das eröffnet viele Chancen für jene, die früh dran sind, für First-Mover, für einfallsreiche Köpfe. Departure, die Kreativagentur der Stadt Wien, fördert die Wiener Kreativwirtschaft. Im Juni 2011 startet der Themencall »Focus Musik« unter dem Titel »Neue Töne der Musikwirtschaft«. Für innovative Projekte in der Musikwirtschaft steht eine Gesamtfördersumme von rund 800.000 Euro zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit Departure und dem Musikwirtschaftsexperten Peter Tschmuck wird The Gap bis dahin neue Perspektiven der Musikwirtschaft beleuchten, erfolgreiche Projekte vorstellen, Entwicklungen aufzeigen. Außerdem wird es Diskussionen mit internationalen Experten im Wiener Mica geben. Das Ziel: möglichst gute und weitsichtige Einreichungen. Musik aus Österreich boomt, die Strukturen dafür sollen es auch. — www.thegap.at/neuetoene — www.departure.at
des Programms der Wiener Festwochen mit einem Fördervolumen von 12 Millionen Euro, gehen mit »Into The City« und über das Theaterprogramm in Teile der Stadt, die überhaupt nichts mit Hochkultur zu tun haben. Es muss beides geben. Graz ist seit Kurzem Unesco City of Design – was ist die mittelfristige strategische Ausrichtung der Wiener Kulturpolitik? Zum einen natürlich immer die Qualität, zum anderen die Zugänglichkeit. Ich halte es für entscheidend, dass noch mehr Menschen unabhängig vom Geld Zugang zu kulturellen Einrichtungen erhalten sollen. Ein anderer Punkt ist das Migrant Mainstreaming, das Hervorheben und die Beachtung für kulturellen Leistungen von Menschen mit Migrationshintergrund; vor allem in der Sichtbarmachung. Zur postmigrantischen Kulturpolitik gehört es, das an die Öffentlichkeit zu bringen – das ist eine unsrer großen Zukunftsaufgaben. Mainstreaming – heißt das, in die bestehenden Strukturen zu integrieren und nicht wieder ein Festival für XY? Das muss es auch geben und wir haben hier im MA7 auch eine eigene Abteilung, die sich mit migrantischer Kultur beschäftigt, aber wir sollten uns darum bemühen, Leute sichtbar zu machen, die eine andere Identität haben. Eine unsrer Schienen ist »Cash For Culture«, das dazu dient, jungen Menschen sehr unbürokratisch Geld zukommen zu lassen. Das Angebot nehmen insbesondere viele Mädchen in Anspruch. Und weiterhin geht es darum, Internationalität zu ermöglichen, auch einzufordern. Das Popfest ist auch aus dieser Idee heraus entstanden. Aber gerade das Popfest ist doch ein Beispiel für ein sehr lokales Festival, das für die Bevölkerung der Stadt gemacht wird? Natürlich wurden zuerst einmal Künstler heran gezogen, die hier vor Ort sind. Bei der Zweitauflage wird das schon durchmischter. Und ich nehme auch die Leute wahr, die fragen, warum es denn kein großes internationales Popfestival in Wien gibt. Ich habe auch schon vielfältige Gespräche geführt, wo ich allerdings nicht den Eindruck hatte, dass sich etwas Derartiges materialisiert. Das Popfest hat dem gegenüber klein und engagiert begonnen. Barcelona gilt etwa als ein Beispiel, wo internationale Festivals das Image der Stadt verändert haben. Ich bin bei der Imagefrage durchaus selbstbewusst und gelassen. Wien steht nicht vor der Notwendigkeit, sich zwangsweise ein Image geben zu müssen. Wenn man sieht, was in den letzten 20 Jahren geschehen ist, so hat sich trotzdem eine sehr kreative Szene entwickelt. Es geht eher um die Nachhaltigkeit und das kompetente und sensible Aufspüren von Projekten. Ich verstehe das zwischen den Zeilen so, als würde man das nicht brauchen. Nein, nein. Ich habe ja zu einer öffentlichen Nachdenkrunde eingeladen, wo wir versuchen, diese Linien und die Idee der Breeding Places, der Zwischennutzungen weiter zu denken. Meine Skepsis geht nur in die Richtung, dass wir einen Hype generieren müssten, weil Wien sonst von der Landkarte verschwindet. Diese Angst habe ich überhaupt nicht. Ich hätte zwar sicher gerne mehr Geld für Design, Mode, Architektur, Musik – was allerdings immer ein Verteilungskampf bleiben wird. Also, wenn ich sage, dass uns die großen Dampfer der Kultur manchmal in unserer Beweglichkeit behindern, bieten sie uns auch eine große Chance. In Wien wird nicht über Nacht gekürzt, wir haben langfristige Verträge und einen institutionalisierten Dialog. Abschließend: Wird es heuer das letzte Mal sein, dass es eine Termin-Kollision zwischen Popfest und Donaufestival gibt? Leider wurde diese Überschneidung hochgespielt. Als wir erstmals daran gingen, einen Termin für das Popfest zu suchen, gab es nicht viele Möglichkeiten. Soviel ich weiß ist die Gesprächsbasis zwischen den Organisatoren beider Festivals aber sehr intakt. Wenn es geht, werden wir die Termine auseinander nehmen. Es steckt aber keine böse Absicht dahinter, sondern ist dem Termindruck geschuldet. ¶ AU S GA B E 1 1 5 / 0 4 1 ◄
► iNFO r M at i O N S - U N d l e i tSYSt e M e ► Ein roter Faden für Freerider
die evolution der skitafel einst randerscheinung, ist freeriding zum Hoffnungsträger der skiindustrie geworden. mit zunehmender Bedeutung steigt auch das Bedürfnis nach aktuellen Informations- und Leitsystemen für fahrer abseits planierter pisten. Auch im Design besteht nachholbedarf.
Fast wie die Profis: Ein Wochenende mit der FreerideExperience in Fieberbrunn Ganz im osten Tirols, nur wenige Kilometer entfernt von namhaften Skidestinationen wie Zell am See, Kaprun oder Kitzbühel, liegt das beschauliche Fieberbrunn. Umgeben von Größen des Wintertourismus führt der ort ein relativ ungestörtes Dasein und zugleich den Titel des »bestversteckten Skigebiets«, zumindest wenn man den Touristikern glauben schenkt. An einem März-Wochende folgte ich der Spur ins Pillerseetal und nahm an der Freeride-Experience Fieberbrunn teil. Bereits am ersten Morgen wurden wir mit der Ski- und Sicherheitsausrüstung und den Skiführern bekanntgemacht. In den folgenden Tagen führten sie uns an die letzten von Pulverschnee bedeckten Plätze, und trotz allgemeiner Schneearmut überraschten sie stets aufs Neue. Der Samstag stand ganz im Zeichen des Big Mountain Fieberbrunn, dem Weltcup der Freerider. Dabei hatten wir die seltene Gelegenheit, die Profis über Videoleinwand oder mit dem Fernglas bei ihrer Fahrt vom Gipfel des Wildseeloders zu verfolgen. Was für viele wie ein rücksichtsloser Ritt wirkt, ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer genau einstudierten Linie. Zwei Stunden später stehen auch wir am Gipfel des Wildseeloders auf 2118 Metern. Wir sind den Spuren der Freerider gefolgt und sehen von Weitem den Gegenhang, von wo aus wir vor Kurzem noch die Teilnehmer angefeuert haben. Vom Start ist mittlerweile nur noch ein Stahlgerüst übrig. Fahrer und Veranstalter sind längst abgefahren, doch wir ahnen zumindest, wie es sein muss, auf diesem schmalen Berggrat auf ein Startzeichen zu warten. Unserem Skiführer nach wählen wir eine nicht weniger steile, aber dennoch entschärfte Route. Dort, wo die Fahrer zuvor Sprünge über 20 Meter machten, weichen wir auf einen einsehbaren Weg durch eine Rinne aus und schütteln nur fassungslos den Kopf. Auch Minuten später am Fuße des Bergs pocht uns noch immer das Herz. Ungläubig blicken wir zu den Spuren der Teilnehmer hinauf. Erst am Abend bei der Riders Party in der Skihütte schließen wir mit den Ereignissen des Tages ab und lassen es am letzten Tag ein wenig ruhiger angehen. — www.freeride-experience.at — www.freerideworldtour.com
TEXT Reiner Kapeller bild Programat
ie Werbeplakate der Tourismusorte zeigen ein einen Blick auf die Info-Base, fällt in erster Linie eine detailgeeinheitliches Bild. Mittlerweile gibt es kaum treue Fotografie des Skigebiets auf, die im Gegensatz zur Interein Skigebiet, das nicht mit staubtrockenen pretation gemalter Karten jeden Felsen und Strauch vermerkt. Pulver und unverspurten Hängen lockt. Dem Profis liefert eine topografische Karte Informationen zur SteilFreeriding, d.h. dem Skifahren abseits präpa- heit des Geländes, der eingebaute LVS-Check gehört ebenfalls rierter Pisten, wird eine große Zukunft voraus- zur Ausstattung. Dank Internetverbindung besteht zudem die gesagt. Vor allem die Skiproduzenten sehen in breiteren Skiern, Möglichkeit, Wetterdaten, Lawinenberichte oder Informationen vom All-Mountain-Ski bis hin zum reinen Freeride-Ski, einen zu Events auf dem Bildschirm bereitzustellen. Zukünftig soll Wachstumsmarkt. Derzeit liegt der Anteil der Freerider bei es möglich sein, über den integrierten Wlan-Hotspot und einer sechs Prozent, langfristig soll er sich jedoch verdreifachen. Die App Informationen auf Smartphones zu spielen, ein Service, das Zukunft des Skisports wird zu einem gewissen Teil auch mit gerade in Bergregionen bei schwacher Netzabdeckung nützlich der Öffnung unberührter Abfahrten für eine breite Masse ein- erscheint. Ergänzend zur Info-Base liefert ein Leitsystem am hergehen. Mit zunehmender Popularität steigen dadurch aber Beginn so namhafter Routen wie »Ice Age«, »West Side Story« auch Sicherheitsanforderungen an die Skilifte. Ziel ist es, kon- oder »Pipe Line« nochmals eine letzte Beschreibung der Strecke. trollierte Räume für Neulinge zu schaffen, in denen sie erste Er- Aus einer Fülle an Mosaiksteinchen entsteht dabei ein genaues fahrungen sammeln und darüber hinaus lernen, Gefahren in der Bild der vorherrschenden alpinen Bedingungen. Natur einzuschätzen.
Kalkuliertes Risiko
Auch für Volker Hölzl hat Sicherheit oberste Priorität. Als Organisator der Freeride Experience veranstaltet der gebürtige Zeller seit 2004 Freeride-Wochenenden abseits gewalzter Pisten. Neben einem Paket aus breiten Freeride-Skiern und aktueller Sicherheitsausrüstung, vom Verschütteten-Suchgerät (LVS-Gerät) bis hin zum Lawinen-Airbag-Rucksack, bietet die Freeride Experience auch ein Rahmenprogramm aus Events und gemeinsamen Abendessen. Dennoch geht Hölzls Ansatz über den reiner Sicherheitsausrüstung hinaus. Angeregt durch die Erfahrungen mit der Freeride Experience, entwarf seine Agentur Programat ein Leitsystem, das Sportler im Gelände führt. Seit der Wintersaison 2009 / 2010 steht ein Prototyp davon am Kitzsteinhorn. Wer dort die Gondel verlässt, kann den weißen Koloss nur schwer übersehen. Massiv steht die Freeride Info-Base inmitten einer Reihe weiterführender Lifte. »Die bauliche Form der Info-Base war bereits vorgegeben, eigentlich ist sie viel zu groß«, gesteht Hölzl. Geht man an die Rückseite, entdeckt man den ursprünglichen Formgeber dieser interaktiven Installation, eine herkömmliche Skitafel.
Interaktiver Sicherheits-Check
Naturnahes Design
Neben ergänzenden Inhalten ist es vor allem eine einheitliche Form, die als zentrales Konzept kommender Info-Basen dienen soll. Im Zuge dieser Überlegung kontaktierte Programat das Wiener Designstudio Walking Chair, das vor allem für innovative Sitzlösungen wie »You May« bekannt ist. Die Variabilität der Produkte von Karl Emilio Pircher und Fidel Peugeot spiegelt sich auch in den Ideen für die Info Base wieder. Ziel war es, mit einer weichen und anpassungsfähigen Form dem Bild starrer, fast totalitärer Tafeln zu entkommen. »Die Info-Base muss mit der Natur spielen bzw. sich an sie anpassen«, erklärt Peugeot. Damit spricht er den steten Wandel in der Natur an. Je nach Schneemenge lässt sich die einbeinige Info-Base in ihrer Höhe verstellen, bei ungünstiger Sonneneinstrahlung kann sie neu justiert werden. Somit bietet das Konzept auch Potenzial für wechselnde Anforderungen wie beispielsweise im Sommertourismus. Den technischen Herausforderungen in der Umsetzung begegnet das Designstudio mit Konzepten aus der 3D-Frästechnik. Umgeben wird die Technik von einer Hülle aus gehärtetem PU-Schaum, schließlich muss die Info-Base widrigen Witterungsverhältnissen und großen Temperaturunterschieden trotzen können. ¶
Betrachtet man die beiden Seiten, dann verdeutlicht sich das Bild einer über lange Zeit eingefrorenen Entwicklung. An Orien- Die Freeride Info-Base wird auf der Seilbahnmesse Interalpin tierungskonzepten und Leitsystemen, so scheint es, hat sich in von 4.–6. Mai 2011 in Innsbruck vorgestellt. den vergangenen Jahren im Skisport nur wenig getan. Wirft man — www.programat.at AU S GA B E 1 1 5 / 0 4 3 ◄
Dzumie Grasch in Nar
Wenn er uns
► wO rt w eC h S e l ► Spaßprotest – eine sinnvolle Sache?
www.thegap.at/wortwechsel
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machn!
was bringt spaßprotest? Angewiderte Bürger tun ihren Unmut über Karl-Heinz Grasser über Twitter-Witzchen kund. Wiener Clubbetreiber protestieren gegen die sperrstundenpolitik der stadt mit dem lustigen Video-Viral »Ursula stressned«. Eh ganz lustig. Bleibt bloß die frage: macht spaßprotest mehr als nur spaß?
»Wer VerArsCHT, WIrD VerArsCHT!«
Marlene Altenhofer
»meHr ABWeHr ALs GeGenWeHr«
Gerald C. Stocker
Für mich sind diese sogenannten Spaßproteste – ein Wort, das ich für mich nicht gelten lassen möchte – nichts anderes als die massenkompatible Fortführung des einstmals politischen Kabaretts mit den Kommunikationsmitteln einer heutigen Gesellschaft. Protest darf und soll zwar Lust machen und befreien, er soll aber auch zum Handeln und Verändern anregen. »Lachen« ist dabei meist die ursprünglichste Form, mit einem Problem fertig zu werden. Im Großen und Ganzen habe ich aber nach all den Jahren des ProtestSongContests bemerken müssen, dass die österreichische Seele mehr auf Abwehr als auf Gegenwehr gepolt ist. ¶ Gerald C. stocker, geboren 1968, ist erfinder des »protestsongContest« im Wiener rabenhof, hauptberuflich für die Kommunikation des staatsopernballetts zuständig und regelmäßiger Verfasser von musikkritiken in The Gap.
Die Frage müsste wohl eher lauten: Was bringen Proteste? Denn auch Aktionen wie »Grassermovies« oder »Ursula Stressned« sind nicht einfach vom Himmel gefallen. Wie bei jeder anderen Form von Protest stecken dahinter vor allem Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen oder politischen Verhältnissen. So lustig die »Grassermovies« auch waren, im Hintergrund schwangen doch immer die Skandale rund um ExFinanzminister Karl-Heinz Grasser mit. Und genau hier setzen Proteste wie »Grassermovies« an: Wenn er uns verarscht, dürfen auch wir ihn verarschen! Jene Aktion scheint zwar in der Causa nichts verändert zu haben – erreichte aber trotzdem ein wichtiges Ziel von Protesten: große (mediale) Aufmerksamkeit. Die Gesellschaft wehrt sich – und dafür braucht man sich nicht mehr an Bäume zu ketten oder Parolen an die Wände zu schmieren. ¶ marlene Altenhofer, 23, hat publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Anglistik studiert. sie ist society-redakteurin bei Woman und war eine der ersten, die bei den »Grassermovies« mitgetwittert haben.
DOKUMENTaTION LISA DREIER & THoMAS WEBER
s war mehr als eine dieser lustigen Ideen, die sich, ohne großen Hintergedanken im sozialen Netzwerk abgesondert, verselbstständigen. Keine zufällige Eigendynamik, sondern ein kalkulierter Kampagneneffekt und ein professionelles Produktionsteam standen hinter dem Video »Ursula Stressned«. Vertreter der Wiener Clubszene hatten unter dem Namen »Copy Paste« ein Viral-Video in Umlauf gebracht, das den Duck-Sauce-Hit »Barbra Streisand« auf Ursula Stenzel ummünzte. Die gesamte Szenerie des Videos war von NYC nach Wien umgelegt worden – wo Ursula Stenzel, die auf Law and order bedachte Bezirksvorsteherin der Innenstadt, über eine rigorose Einhaltung der Sperrstunde wacht. Weil in richtigen Städten aber rund um die Uhr gefeiert werde, war der Aufruf des Videos eben: »Ursula, stress ned!«. Eine amüsante und letztlich vieltausendfach aufgerufene Kampfansage an die Wiener Sperrstundenpolitik. Weniger geplant, doch um nichts weniger weitreichend im Web 2.0: die Causa Karl-Heinz Graser und dessen Unschuldsgeltungsvermutung. Auf den Hashtag #grassermovies gab es schnell eine ganze Flut an Reaktionen und Variationen auf bekannte Filmtitel. Von »Die fabelhafte Welt der Amnesie« bis »Erwischen Impossible«. Dass Protest oder auch nur Unmut mit Witz kundgetan wird, ist kein Phänomen der Gegenwart. Beispiele für Witz als Kritik an politischer Systematik gibt es zahlreiche. Selbst im Dritten Reich konnten Kabarettisten die Herrschaft der Nationalsozialisten ins Lächerliche ziehen, ohne gleich dafür belangt zu werden. Auch am Hofe eines mittelalterlichen Herrschers war der Hofnarr der einzige, der ungestraft Kritik unter dem Deckmantel des Witzes am Herrscher üben konnte. Wohl auch, weil er dazu beitrug, eben diese Herrschaft aufrechtzuerhalten. Ein Streifzug durch die Kulturgeschichte zeigt, dass es sich bei den aktuellen Spaßprotesten keineswegs um eine Neuerfindung handelt. Wobei die Frage offen bleibt, inwiefern gerade auch die dezentral übers Internet verbreiteten Formen des Protests im Stande sind, wirklich etwas zu beeinflussen. Im Falle des Sperrstundenprotests um »Ursula Stressned« schlägt das System mittlerweile gnadenlos zurück. Die hinter der Kampagne steckenden Clubs werden derzeit besonders rigoros kontrolliert, ob sie die vom Gesetzgeber vorgegebenen Sperrstunden auch wirklich einhalten. ¶
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»BLoss posTmoDerne BeLIeBIGKeIT«
Evelyn Fürlinger
Im neoklassischen Gottesstaat gilt neben dem Geld auch für die Aufmerksamkeit: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, also bedeutungsloser. Sie verlieren zunehmend ihre politische Vertretung und damit die gesetzliche Verankerung ihrer Ansprüche auf einen Anteil an den vorhandenen Ressourcen. Gegen diese Marginalisierung kann man versuchen anzurennen, indem man sich in Castingshows von geifernden Zynikern demütigen lässt, pünktlich zur Nachtschicht in der Fun Factory erscheint oder sich im Hauptabendprogramm von seinem Vater mit dem Auto über den Haufen fahren lässt. Wer es sich noch leisten kann, greift freilich zu weniger körperfeindlichem, metaphorischerem Aktivismus. Ideen hierfür finden sich etwa beim Schweizer Uhrmachersohn Jean-Jacques Rousseau, der bekanntlich einer jungen Fürstin den Vorschlag in den Mund legt, das Volk solle, wenn es kein Brot habe, eben Brioche, also Kuchen essen. Die fiktive Monarchin beweist in diesem Zitat ihre Geistesgegenwart, indem sie mühelos zwischen der Bevölkerung und diversen Backwaren unterscheidet. Mittlerweile, an der Schwelle von der Demokratie zum aufgeklärten Lehenswesen wird der Bürger von der herrschenden Klasse allerdings in zunehmender Häufigkeit mit Tortendiagrammen verwechselt. Es handelt sich also durchaus um einen Dienst am Gemeinwesen, wenn Teile der Zivilgesellschaft den Entscheidungsträgern helfen, sie nicht allzu sehr aus den Augen zu verlieren, indem sie sich in zuckriger Form zurück ins Gesichtsfeld rücken. Womöglich finden sie sich dann ja sogar gegenseitig ganz süß und alle werden doch noch Freunde. ¶
Mitunter scheint es mir, als sei meine Generation die letzte gewesen, die sich seinerzeit noch aufraffte, eine angebrachte Sturm-und-Drang-Phase zu durchleben, die sich immer noch anschickt, wider das Patriarchat aufzubegehren, gegen soziale Ungerechtigkeit auf die Straße zu gehen und die es nicht als vergebene Liebesmüh sieht, sich etwas Wissen anzueignen ehe sie sich zum Tagesgeschehen äußert – möglicherweise die letzte Generation, die sich überhaupt noch ab und an zu einer politischen Haltung durchringen kann. Mein längst überfälliges Outing als über 30 Jahre alte und potentiell verbitterte Frau und Feministin wäre also hiermit erfolgt. Der Terminus Spaßaktionismus evoziert vielleicht vordergründig positive Assoziationen weil Aktionismus erstens eine wünschenswerte Sache ist und was sollte schon - zweitens – gegen Spaß einzuwenden sein? Nun ist es ist natürlich erstmal eine gute Sache, dass die jungen Leute überhaupt etwas machen. Aber die in Verbitterung überaus versierte Feministin wird leider rasch stutzig, wenn sich sämtliche Vorurteile gegen die Nachfolgegenerationen - bei der tagtäglichen Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel gehegt und gepflegt – bestätigen, sobald man auch nur oberflächlich am Lack dieser Flashmobs, Smartmobs, Twitter-Hashtags und der sonstigen Aktionismen zu kratzen beginnt. Gründliches Nachdenken, die Aneignung von Hintergrundwissen, das Verstehen von Zusammenhängen und die reflektierte Inbetrachtnahme derselben scheint vielen der Partizipanten eher Zumutung denn Voraussetzung zu sein. Es ist ja auch unbestritten wesentlich bequemer, postmoderne Beliebigkeit zu leben als eine Poststrukturalismus-Vorlesung zu besuchen. »The Next Social Revolution« (Howard Rheingold, 2002) kann ich also beim besten Willen (noch) nicht in diesen punktuellen Aktiönchen aufkeimen sehen. Allerdings gibt es auch immer wieder regionale Erfolgsstories, die das Phänomen für sich verbuchen kann; so sollen etwa diverse Smartmobs in Kalifornien kleinen BioLäden Umsatzpeaks beschert haben und korrupte Politiker fürchten sich mitunter vor dem Auftauchen schwarz gekleideter Demonstranten. Es bleibt daher vorerst abzuwarten, ob die nächste Revolution nicht doch noch aus Polsterschlachten, Social Media Buzz Words und Gummientchen gestrickt werden wird. ¶
Hosea ratschiller, 29, ist Kabarettist, fm4ombudsmann und war bis vor Kurzem auch im rahmen der mittlerweile abgesetzten Ö1-satiresendung »Welt ahoi!« tätig.
evelyn fürlinger, 34, hat Anglistik und Germanistik studiert. sie lebt und arbeitet in Wien – u.a. als Teil des offen widerständigen Künstlerkollektivs monochrom.
»DIe TorTUnG ALs GrUnDpfeILer Des GeseLLsCHAfTsVerTrAGs«
Hosea Ratschiller
»LIeBer spAssproTesT ALs GAr KeIn proTesT«
Copy Paste
In der heutigen Zeit wird viel zu viel ganz einfach so hingenommen, nach dem Motto: »Was auf den Tisch kommt, wird - ohne darüber nachzudenken - einfach gefressen.« Die meisten Menschen sehen es nicht einmal mehr als Option an, in irgendeiner Form zu protestieren. Der Mensch sollte sich nicht alles so gefallen lassen, man sollte sich mitteilen, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Dafür gibt es viele Wege. In unserem Fall wollen wir unsere Message durch gute Laune und positive Energie unter das Volk mischen. Um auf die Frage zurückzukommen, was Spassprotest bringt: Es bringt auf jeden Fall mehr als gar kein Protest. Unzufriedenheit einfach runterschlucken ist ungesund und wie will man Themen behandeln, die niemand vorgibt. Das »Ursula Stressned«Projekt hat auf jeden Fall eine Diskussion ausgelöst, wurde von vielen Medien im In- und Ausland behandelt und war erst der Grundstein für ein weiteres kreatives Schaffen. ¶ Copy paste setzt sich als anonyme Aktionismus-plattform u.a. mit dem Video »Ursula stressned« für die sperrstundenverlängerung in Wien ein. In dem Video tauchen allerlei szene-figuren auf, darunter mel merio, patrick pulsinger, Hennes Weiss (pratersauna), rudi Wrany (flex), Christopher Just, Katha schinkinger und Tamara mascara.
AU S GA B E 1 1 5 / 0 4 5 ◄
► pr osa ► Josef Kleindienst
Eine Einladung in die Gefahrenzone – das schreit nach Für und Wider im Gedankenprozess. Der österreichische Autor Josef Kleindienst erzählt, wie es ist, einen Trip in den Jemen zu planen.
n den Jemen soll ich reisen, in dieses Land, von dem ich bis vor Kurzem nur wusste, dass in regelmäßigen Abständen Ausländer entführt werden. Gut, ich wusste auch, dass es an den Golf von Aden grenzt, aber sonst war mir dieses Land gänzlich unbekannt. Nach einer Stunde Google erfahre ich, dass es dort auch die Malaria gibt, aber nicht nur die Malaria ist dort verbreitet, auch verschiedenste andere Krankheiten, wie zum Beispiel das Dengue-Fieber, eine Erkrankung, bei der es im schlimmsten Fall zu inneren Blutungen kommen kann. Die Form der Malaria ist dazu auch noch die schwerste von allen. Außerdem gibt es Minen in der Nähe von Straßen, manchmal Selbstmordattentate, gewisse Regionen werden von Stämmen regiert, Frauen werden mitunter schon mit neun verheiratet und noch einiges mehr lese ich, was mich nicht gerade beruhigt. Ich beschäftige mich weiter mit den Krankheiten, bis ich mit Malaria, Lun-
genentzündung und Schweinegrippe in mein Bett taumle und mich für weitere zwei Stunden nicht mehr bewege. Danach setze ich mich wieder vor den Computer und wage mich erneut an dieses Land. Manchmal werden die Touristen an die Al Kaida verkauft, besonders im Norden an der Grenze zu Saudi-Arabien soll es gefährlich sein. Mein Gemütszustand verschlechtert sich von Minute zu Minute. Vier deutschen Touristen wurde erst unlängst die Kehle durchgeschnitten, weitere drei Personen werden noch vermisst. In der Regel werden die entführten Touristen aber gut behandelt, solange sie nicht in die Hände von Al Kaida fallen. Ich überlege mir, was das kleinere Übel wäre, entführt zu werden oder an Malaria zu erkranken und mit 40 Grad Fieber im Bett zu siechen, wobei ich über die anderen Krankheiten, die womöglich noch viel schlimmer sind, noch gar nichts Genaues weiß. Missionierung wird mit dem Tod bestraft, lese ich. Gut, missionieren will ich niemanden. Dann sehe ich die ersten Fotos – Hochplateaus, Berge, Lehmbauten, Wüstengegenden. Ich stelle mir vor, wie ich von meinen Entführern durch die Wüste getragen werde. Das Land beginnt mich zu reizen, und nachdem ich das Geld gut brauchen kann, beschließe ich, den Vertrag anzunehmen. Ich schreibe der Dame, dass ich das Angebot annehme. Sie schreibt mir zurück, dass ich mir das nochmals überlegen und mir die Seite der deutschen Botschaft nochmals genau ansehen solle. Ich klicke auf den Link, den sie mitgeschickt hat. Reisewarnung Jemen. Vor Reisen in den Jemen wird ausdrücklich gewarnt. Überfälle von Piraten aus Somalia können auch in den Gewässern vor dem Jemen nicht ausgeschlossen werden, steht da noch dick gedruckt. Die Piraten hatte ich doch glatt vergessen. Aber nachdem ich nicht vor habe eine Kreuzfahrt zu machen, ignoriere ich diesen Punkt. Ich brauche das Geld, schießt es mir wieder in den Kopf. 3000 Euro, Flug wird bezahlt, ein neues Land und die Chance, von Islamisten gekidnappt zu werden. Toll, denke ich mir. Ich lasse mich nicht abbringen. Ich stelle mir vor, wie mein Entführungsvideo in allen österreichischen Haushalten zu sehen ist. Täglich fünf Minuten live aus dem Jemen. Ich denke an meine arme Mutter, dann an meine Exfreundin, wobei ich nicht wirklich weiß, warum ich an meine Exfreundin denke. Hat sie überhaupt einen Fernseher? Ich komme, schreibe ich der Dame in Aden. Zwei Tage nichts, dann plötzlich wieder ein Mail. Sehr geehrter Herr Kleindienst, wir freuen uns schon sehr auf Ihr Kommen. Mir wird leicht schwindlig, ich sehe mich bereits im Roten Meer versinken
und Piratenschiffe auf mich zukommen. Ich sehe mir die Lage nochmals genau an, Somalia ist nicht weit entfernt, das heißt, es gibt auch Kriegsschiffe, die mich im Falle des Falles aufnehmen könnten, wenn ich schon für ein deutsches Kulturinstitut arbeite, so muss mir auch das deutsche Militär Schutz gewährleisten, denke ich mir und falls ich entführt werde, kann ich ja sagen, dass ich Österreicher sei. Österreicher kommen im Orient meist besser weg, zumindest sagt man das immer. Ich kann ja mal fix zusagen, denke ich mir und es mir im Notfall immer noch überlegen, es zwingt mich ja niemand, in das Flugzeug zu steigen. Ich suche nach passenden Flugverbindungen. Kairo und dann nach Sanaa und weiter nach Aden. Nach der zweiten Zwischenlandung mit der jemenitischen Airline über die Wüste. Die Wahrscheinlichkeit in Afrika oder im Orient in einen Flugzeugabsturz verwickelt zu werden, ist statistisch gesehen achtmal so hoch wie in Westeuropa. Ein Flugzeugabsturz ist wahrscheinlich nicht zu überleben. Innerhalb kurzer Zeit habe ich nun relative viele Möglichkeiten zu sterben. Wien ist ja wirklich eine sichere Stadt, hier kann man eventuell an der Schweinegrippe erkranken, vielleicht auch an Krebs, eine Blinddarmentzündung kann man haben, überfallen kann man auch werden, aber meist nur, wenn man als Taxifahrer oder in einem Wettbüro arbeitet, Entführungen sind hier eher auszuschließen. Banküberfälle verlaufen meist auch nicht tödlich. Rimbaud hat auch in Aden gewohnt, lese ich, Waffenhändler war er dort. Zwei Tage später treffe ich in einer Bar einen Freund, er lehnt gelangweilt an der Wand und ich erzähle ihm, dass ich in den Jemen fahre. »In den Jemen«, erwidert er. »Tatsächlich. Rimbaud war auch da. Und ohne sein Bein ist er wieder zurückgekommen«, erklärt er mir. Ich schaue ihn an. »Ihm war es in Paris zu langweilig und da hat er sich gedacht, er muss die Welt erobern. Wie ein Hund ist er durch die Wüste gekrochen, mit Malaria und allem, was man haben kann, und zwei Jahre später war es vorbei mit ihm.« Ich schaue ihn an und verlasse augenblicklich wieder das Lokal. Kaum stehe ich auf der Straße, über mir vereinzelt ein paar Sterne und im Hintergrund der Flakturm, denke ich mir, Wien ist doch eine schöne Stadt. »Rimbaud!« hämmert es auf dem Heimweg immer wieder in meinem Kopf. Ich wage mich nun gar nicht mehr an den Computer, hoffentlich sagt sie mir ab, hoffentlich kommt kein Mail mehr. Erst am nächsten Tag traue ich mich wieder meine Mailbox zu öffnen. Und, oh Schreck, tatsächlich
Ad Personam Josef Kleindienst (nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen FP-Polizeigewerkschafter) wurde 1972 in Spittal / Drau geboren und lebt in Wien. Er studierte Philosophie, Theaterwissenschaften, Deutsche Philologie und Spanisch an den Universitäten Wien und Amsterdam und an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Als Autor verfasst er Prosatexte, Theaterstücke und Drehbücher, im Vorjahr erhielt er die Einladung zum Wettlesen beim BachmannPreis. Seine Texte entwickeln einen merkwürdigen Sog, strotzen von absurden Einfällen und grotesken Begebenheiten. Dabei versteht er es, die Pointen unaufdringlich, aber mit langem Nachhall zu setzen. In der abgedruckten Geschichte gibt der Autor einen autobiografischen Einblick in einen durchaus existenziellen Entscheidungsprozess, der ihn schließlich als Deutschlektor in den Jemen führte. Sein Debütroman »An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben« ist 2010 im Sonderzahl Verlag erschienen. wieder ein Mail und kurze Zeit danach auch schon der erste Anruf von einer mir gänzlich unbekannten Nummer. Ich höre eine weibliche Stimme, Jemen, Aden, höre ich immer wieder, dann wieder Rauschen. Ob ich nicht schon nächste Woche kommen kann. Auf keinen Fall, entgegne ich, hier habe ich noch zuviel zu erledigen. Die Verbindung bricht ab. Die meint es ernst. Ich soll jetzt wirklich in den Jemen reisen. Ich erzähle es einem befreundeten Paar. Er findet es cool und sie schaut mich an und meint, dass es jetzt sicher super warm dort sei, 30 Grad und kein Winter, ist doch toll. Ich frage sie, ob sie weiß, wo das ist und erzähl ihr von den Piraten und von der Malaria und der Al Kaida und von den geköpften Deutschen. Sie verzieht kurz den Kopf und meint dann, dass sie mich doch nicht besuchen kommen werde. Auf keinen Fall fahre sie dahin. Am nächsten Tag treffe ich meinen Verleger, auch ihm erzähle ich von meiner Reise. Er verzieht kurz die Nase und meint, dass er es mir nicht wünsche, aber für mein Buch wäre es natürlich toll, wenn ich entführt würde. Besseres Marketing gäbe es gar nicht. Die Kellnerin bringt mir eine Sachertorte und ihm noch einen Kaffee. Es wäre gut, wenn ich den Buchvertrag, noch bevor ich in den Jemen fahre, unterschreiben würde, höre ich dann. Ich schaue auf meine Sachertorte, aber irgendwie ist mir der Appetit vergangen. Draußen fallen die ersten Schneeflocken vom Himmel, im Jemen hat es 30 Grad versuche ich mir einzureden. ¶ AU S GA B E 1 1 5 / 0 4 7 ◄
Foto MATTHIAS HoMBAUER Doku RICHARD SCHWARZ
BIRGIT RAMPULA, 30, cRAFTSWOMAn
Die Attitüde des Amateurs in der Bedeutung des Kunstliebhabers gefiel Birgit Rampula, weshalb sie ihr Label und ihre Boutique »amateur« taufte. »Alles ist irgendwie selber machbar«, und da sie ihre Ideen lieber selbst verwirklicht, als sie in Großprojekte abzugeben, setzte sich ihr Wunsch durch, ein eigenes Geschäft zu führen. Sie gab die Arbeit als Dekorateurin auf, zog in die Gumpendorferstraße und geht dort seit vier Jahren ihrem Handwerk nach. »Eigentlich kommt jeden Tag was Neues raus«, aber mit den Genres Mode und Accessoires lassen sich die im Verkaufsbereich präsentierten Werke nicht schlecht umschreiben. Ein paar Schritte weiter in den Laden hinein wird der Platz enger – ist aber schön mit einer Auswahl an Nähzeug, Fundstücken vom Flohmarkt und einer reichhaltigen Ausrüstung zum Siebdruck ausgefüllt: Die Werkstatt. Alles, was auf den Namen »amateur« hört, wird hier gefertigt. Das Handwerkliche ist extrem wichtig – erstens kann bei jedem Schritt das Ergebnis beeinflusst werden und zweitens macht die Eigenproduktion unabhängig von den Prozessen der Modeindustrie. Ihre Kollektion wird nicht für 2014 angekündigt, sondern wird fünf Meter zum Schauraum transportiert, wo Käufer ihre Lieblingsstücke finden. Der Anspruch an die Träger ihrer alltagstauglichen Schnitte lautet: Sie sollen Spaß damit haben. — www.amateur-fashion.at
Hermann Trebsche, 30, Unternehmer
Das Produktdesignstudium in Graz und ein weiterführender Master in London, wo er zusätzlich ein Kunst- und Wirtschaftsstudium absolvierte, führten Hermann Trebsche wieder zurück in den Kindergarten. Zumindest in letzter Zeit geschah dies häufiger, da er dort die richtigen Testbedingungen für den Prototyp des von ihm erdachten modularen Lernspielzeugs vorfindet. Momentan bereitet er die Markteinführung vor und steht somit kurz vor dem Ende einer langen Entwicklung und Recherche im Feld der Kindheit. Dabei zeigte sich: »Eigentlich würden die Leute schon erahnen, was den Alltag erleichtern könnte, nur der Designer schaut genauer hin und hat die Aufgabe, eine Lösung zu präsentieren.« Diese Berufsauffassung rechtfertigt theoretisch die Beschäftigung in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Ohnehin würde ja das »echte« Leben zu Ideen führen – Dinge wie Tuba spielen oder interessante Menschen treffen. Denn die Gestaltung eines basisdemokratischen Sitzmöbels ist zwar eine tolle Herausforderung, doch die Entwicklung für kommerzielle Zwecke läuft meist zu professionell ab, um eine inspirierende Lebendigkeit zu entwickeln. Manchmal kann die Arbeit in einem bunten Team aus Ingenieuren, Nerds und sonstigen Spezialisten oder das Tüfteln im Bereich der Kunst Abhilfe schaffen – frei nach dem Motto: Die Abwechslung entsteht aus der Offenheit für Neues. — www.hermanntrebsche.com
Aktuell zu sehen bis 14. April: Die Installation »12.00 / 14.00 / 16.00 / 18.00. Experiment about perception of time, material and form« – Rado Store Vienna, Kärntnerstr. 18
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_ Lass die Kleidung sprechen »Unsere Vision ist, dass Kleidung so etwas wird wie eine intelligente Schicht, die individuell bespielbar ist.« Wolfgang Langeder, Designer aus Linz, versucht dieses Konzept mit the utope project und Smart Fashion umzusetzen: Die Außenseite eines Kleidungsstücks wird als Display verwendet, steht mit Computer, Handy, Smartphone oder iPhone in Verbindung und ist im Sinne eines Computerbildschirms individuell veränderbar. Bis dato ist ein Business-Anzug namens »Cyber Nomade Suit« erschienen, der das Läuten eines Handys am Display des Anzugs aufscheinen lässt. Angesprochen auf die Eingliederung elektronischer Geräte, meint er: »Unsere Kleidung ist eine intelligente Schicht, die in Verbindung mit deinem Device steht, Daten speichert, sensorische Funktionen hat und auf ihrer gesamten Fläche individuell bespiel- respektive veränderbar ist. Sie wird ein nützlicher und zugleich schöner Teil unseres Lebens.« Gemeinsam mit Fraunhofer IZM / Stretchable Circuits arbeitet Langeder seit Januar 2010 in Berlin an der Umsetzung. Der 1971 in Linz geborene Designer erzählt auch gerne von weiteren Entwicklungen: »In Textil integrierte Sensoren zur Messung von Körperfunktionen oder Umgebungsdaten oder textilbasierte Leiterbahnen und flexible Displays, die längst auf dem Weg sind. Was sicher auch Thema wird ist mobile Energieversorgung mit Solarenergie oder kinetischer Energie für die Geräte, die wir mit uns herumtragen.« ¶ www.theutopeproject.wordpress.com
»Kurz gesagt: Intelligente / Smarte Alltagskleidung für den Mann, in der er gut aussieht und in der er sich gut bewegen kann.« (Wolfgang Langeder, Designer)
Foto: Elisabeth Grebe / Linz
Wenn Utopie zu Mode wird und umgekehrt: Der Linzer Designer Wolfgang Langeder entwirft mit »the utope project« Smart Fashion für die Zukunft.
»Mit unserem Display ist es möglich, Farbänderungen, bewegte Bilder und einfache Zeichen auf der Außenseite von Kleidung darzustellen.«
Wolfgang Langeder über Impulse: Die Förderung durch impulse hat es uns ermöglicht, die neue technologische Entwicklung, an der wir arbeiten, schneller umzusetzen, als es sonst möglich gewesen wäre. Das verschafft uns schlicht und einfach einen sehr großen Vorteil und mehr Aufmerksamkeit.
Was hat euch zu Smart Fashion inspiriert? Ein konkreter Anstoß dazu, jetzt in diesem Bereich zu arbeiten, war, dass es im technologischen Bereich, was mikroelektronische Funktionen betrifft, großartige Entwicklungen gibt, die von Modedesignern bisher noch wenig genutzt werden. Vermutlich hat das auch damit zu tun, dass hier zwei Welten zusammenkommen, die bisher kaum miteinander zu tun hatten. Die Annäherung wird von der Technologieseite momentan stark gesucht und das bietet die Chance, interdisziplinär zu arbeiten, spezialisiertes Know-how aufzubauen und diesen neuartigen und relativ unbearbeiteten Bereich führend mitzugestalten. Wird die Produktion extern vergeben oder plant ihr eure Ideen selbst umzusetzen? Wir werden die Produktserie als eigenständigen Brand international vertreiben. Daneben machen wir aber auch Auftragsarbeiten / Consulting für Unternehmen, die selbst Produkte in diesem Bereich entwickeln und dabei auf unser Know-how zurückgreifen können, das wir in Bezug auf die Verbindung von Design und Technologie haben. Wann wird die erste Produktserie im Handel erhältlich sein? Momentan entwickeln wir mit unseren Partnern in Berlin die technologischen Komponenten weiter und arbeiten an unserer ersten Produktserie, die 2012 auf den Markt kommen wird. Das wird eine Männerkollektion von ungefähr 20 Teilen sein, in der innovativstes Hightech sich mit traditionellen Elementen von Männerkleidung und mit Komponenten aus der Sportswear mischen wird. Kurz gesagt: Intelligente / smarte Alltagskleidung für den Mann, in der er gut aussieht und in der er sich gut bewegen kann.
Die Idee von intelligenter Kleidung ist bekannt. Wie unterscheidet sich eure Idee und Ausrichtung von anderen Konzepten? Bisher war die Oberfläche eines Kleidungsstücks statisch, wurde von einem Designer / Produzenten im Fertigungsprozess gestaltet – zum Beispiel als Farbfläche oder durch das Muster eines Stoffs – war aber dann im Prinzip relativ unveränderbar. Mit unserem Display ist es möglich, Farbänderungen, bewegte Bilder und einfache Zeichen auf der Außenseite von Kleidung darzustellen. Dabei ist unser System dehnbar und feuchtigkeitsunempfindlich, so dass es bei alltäglichem Gebrauch, etwa durch Verknittern oder Schweiß, nicht beschädigt wird und auch bei der Pflege im Kleidungsstück bleiben kann. Das Förderprogramm impulse unterstützt »the utope project/Wolfgang Langeder« im Rahmen von impulse XS. www.impulse-awsg.at
kreativwirtschaft in österreich by
►GrÜ N d e r S e r i e VO l . 2 ►Garmz #11: Das magische Land, wo man Ideen vor Probleme reiht text bild
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ANDREAS KLINGER GARMZ.CoM
silicon valley us dem Wunderland des Internet, einem Disneyland der Entrepreneure, einem Tal, in dem sich die Gründer von Google und Facebook Gute Nacht sagen, berichtet Andreas Klinger, Co-Gründer eines in Österreich unter viel Schweiß groß gezogenen Start-ups namens Garmz.com. Meine Anreise ins Silicon Valley war dem Klischee eines Start-ups würdig. Dank Kälte und alkoholbedingter Überschätzung des Immunsystems über Nacht noch krank geworden, verbrachte ich die gesamte Zeit bis zum Abflug auf einer Flughafen-Toilette, mit dröhnendem Kopf, hochgeklappten Sitz und vollgekotzter Schüssel. Auf dem Flug, eingespannt zwischen einem übergewichtigen Amerikaner und einer superfleißigen Asiatin, konzentriert auf die ultra-effiziente Arbeit an ihrer Diplomstudie, hätte ich mich körperlich und sozial kaum unbehaglicher fühlen können. Regelmäßige Atemübungen, die meinen Magen unten hielten während der Flieger nach oben ging, machten mich vermutlich auch nicht zur Idealvorstellung eines Sitznachbarn. Und so verbrachte ich gefühlte 20 Stunden in Selbsthypnose, fixiert auf das Entertainment System, auf dem Weg ins gelobte Land – Silicon Valley, das Land der Träume und ökonomischen Seifenblasen.
eXIT-ZomBIes …
Silicon Valley hat mich dann persönlich sehr überrascht. Unter perfektem Sonnenschein präsentiert sich eine kleine, harmonische, typisch amerikanische Vorstadt. Unglaublich ruhig, breite saubere Straßen, schöne Sequoia-Bäume, ein paar nette kleine Kaffees. Ich erwartete Touristenströme, Glücksritter und Coder auf den Gehsteigen. Nichts dergleichen. Geht man zur richtigen Zeit in den richtigen Starbucks, fühlt man sich in seinen Google-Reader oder Twitter-Stream versetzt. Das Who-is-Who der Webszene schlürft hier den Chai-Latte, und als Neuling weiß man nicht, ob man Fotokamera oder Unternehmenspräsentation, Autogrammheft oder Scheckbuch herausholen sollte. »Anybody you see in this coffee place, at least those with a laptop, has at least half a mill in the bank«, hörten wir vom Chief of Product von Flipboard, die gerade zehn Millionen US-Dollar geraised haben, um die US-Medienwelt auf den Kopf zu stellen. Wie verrückt das Tempo ist, merkt man erst so richtig, wenn man erfährt, wie schnell die A-Liga
► 0 5 4 / AUSGABE 115
agiert. 50.000 US-Dollar werden nach Background-Check spätestens beim zweiten Meeting gerne unterschrieben. Wer innerhalb von wenigen Monaten nicht abhebt, gilt als Bruchlandung. Aussagen wie »Yeah, but you want to avoid ending with a 100 million exit zombie!« muss man als Europäer erst mal verdauen. Denn 100 Millionen bei Verkauf des Unternehmens werden dort als etwas Negatives betont.
… HUnGry As HeLL
Wir waren auch auf Meetings bei Facebook und Google – zwei Unternehmen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Google-Komplex ist riesig: Das legendäre Building 43 in der Mitte, und ein Raum verrückter als der andere. Man fühlt sich etwas wie in Charlie’s Chocolate Factory. Unser Guide mit knapp 140 cm Körpergröße half auch nicht wirklich gegen diese Vorstellung. Die Facebook-Zentrale hingegen besteht einfach aus riesigen Räumen mit einer unüberschaubaren Menge an Tischen und Bildschirmen. Man hat das Gefühl, mitten in einem Hivemind gelandet zu sein. Alle und alles hat ein Ziel. »Move fast and break stuff.« Und auf jedem Laptop klebt »This journey is 1% finished«. Treffender als Dean Frankenhauser von nuji.com hätte ich es nicht sagen können: »Mark is building this f***ing army and they are hungry as hell«. Die Energie in diesen Räumen ist absolut ansteckend, angesichts der Macht von Facebook gleichzeitig aber auch irgendwie beunruhigend. Innerhalb einer Woche haben wir einen guten Teil des Whofunds-Whom von Silicon Valley getroffen, konnten einige wichtige Personen von Garmz überzeugen und haben hoffentlich Kontakte aufgebaut, die auch von Europa aus halten. Ich hätte es nicht geglaubt, aber dieses magische Land, in dem ständig die Sonne scheint und in dem man Ideen vor Probleme reiht, gibt es tatsächlich. Und als ich bei der Landung in Europa in meinem E-Mail-Eingang die sechste Ablehnung der österreichischen Creative Industries-Förderung vorfand, hatte ich nur einen Gedanken: Verdammt, ich will zurück. ¶ Garmz.com will mit Hilfe des internets die Modewelt verändern. ein Team von Mode- und internetnerds baut eine Community für junge Modedesigner und der Möglichkeit auf Produktion für jene designer, die ausreichend nachgefragt werden.
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Endless Summer Verwurschtelter Pop im Unschärfebereich. Ein Sommeralbum, schon wieder, aber ein ziemlich gutes. Bibio Mind Bokeh (WARP)
Boards Of Canada und Sommer, diese zwei Begriffe sind in Zusammenhang mit der Musik von Stephen Wilkinson alias Bibio nicht nur einmal gefallen. Fünf Alben hat der britische Produzent bisher veröffentlicht, zwei davon bereits auf Warp. Auch beim sechsten Streich bleibt er seinen, wenn auch nicht als Soundcollagen, so aber doch als komplexe Klangkosmen zu bezeichnenden Songs treu. »Bokeh« nennt man den absichtlich unscharf gehaltenen Bereich eines Fotos. Dementsprechend scheint Bibio bei »Mind Bokeh« das Abdriften der Gedanken, bei welchem man sich beim Zuhören immer wieder ertappt, beabsichtigt zu haben, auch wenn er selbst immer scharf fokussiert und seine Tracks nie aus den Augen verliert. Sie also nicht belanglos dahindudeln oder beliebig werden lässt, sondern eher auf hohe Komplexität und auf das Übereinanderschichten zahlreicher Spuren Wert legt. Unsere Gedanken werden indes in ferne Länder getrieben, durch Filmszenen auf Gewürzmärkten, zu Open-Air-Popkonzerten und an weiße Strände. Und unter Wasser, denn auch diese Stimmung zieht sich als roter Faden durch die zwölf Songs, das Gefühl, im seichten Meer zu planschen, ob es nun durch Gitarrenakkorde, Handclaps oder elektronische Wasserblasen aus dem Glockenspiel ausgelöst wird. Wieder verarbeitet Bibio Field Recordings von gefüllten Glasflaschen bis Percussions, diverse Sitarklänge und (verfremdete) Gitarren zu verkopften Songstrukturen, diesmal auch unter Verwendung seiner Stimme. Neu nämlich ist auf »Mind Bokeh« die Verstärkung des Popappeals. Bei »Take Off Your Shirt« könnte man streckenweise tatsächlich meinen, sich auf einem Phoenix-Album zu befinden, oder irgendwo in der Nähe von Tahiti 80, in manch anderen Momenten ist er mehr Aphex Twin als Boards Of Canada. Denn unter beinahe allen Songs ziehen sich gebrochene, verdrehte Beats (dubsteppig gar in »Artists Valley«), die die Musik am Boden und im Bewusstsein verankern und vor zu viel Luftigkeit bewahren. Immerhin sprechen wir immer noch von einer Warp-Platte. Wie er aus derart zahlreichen gefühlten Spuren, Einflüssen und verwurschtelter Komplexität ein ziemlich stimmiges Popalbum macht, das hohe Ansprüche befriedigt und gleichzeitig Entspannungsgefühle auslöst, wobei es selbst in keiner Sekunde belanglos wird, ist seine große Kunst. Bleibt nur zu hoffen, dass die Bobolokale dieser Welt Bibio nicht für ihre Samstags-Brunch-Sessions entdecken. 8/10 KATHARINA SEIDLER
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Abt. Musik
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a. 115/ R ezens i onen
Times New Viking Dancer Equired
Lykke Li Wounded Rhymes
( W ichita )
( Warner)
Licht und Schatten Mit Lärm poliert
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Herrlich krachige Lo-Fi-Euphorie mit hymnischem Anspruch: Times New Viking pfeifen auf Hochglanzpolitur. Und fahren gut damit.
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Die schwedische Pop-Sängerin Lykke Li hat jegliche juvenile Zurückhaltung abgelegt und spielt auf dem wenig fragilen Zweitwerk mit der dunklen Seite der Macht. Das verspricht natürlich Erfolg.
Wikipedia verrät, dass sich Times New Viking bei der Wahl ihres Bandnamens von einer allseits bekannten Schriftart inspirieren ließen. Etwas preiszugeben haben auch Keyboarderin Beth Murphy und Drummer Adam Elliott: Bei der Bandgründung hatten sie von ihren jeweiligen Instrumenten wenig Ahnung. Der dritte im Bunde, Jared Phillips, heute an der Gitarre, kam ebenfalls als blutiger Anfänger zum Trio. Nichtsdestotrotz setzten sich die Kunststudenten aus Columbus, Ohio, 2005 zusammen und krächzten sich »Dig Yourself« aus dem Leib. Zusammengebaut haben sie es in Handarbeit, zu einer Zeit, als Do-It-Yourself gerade mal wieder weniger dem Zeitgeist entsprach. Beschrieben wurde der Sound der Lo-FiArtisten seinerzeit als Reinkarnation von 90er-Bands wie Pavement. Seit damals sind einige Jahre ins Land gezogen, die Amateuraufnahmen auf Tape und VHS wurden erstmals durch professionelle Studiotechnik ersetzt – und doch klingt das fünfte Album der Band immer noch so, als wäre es eine Demo. Dazu kommt, dass die 14 Stücke auf »Dancer Equired« einander so sehr ähneln, dass man Unterschiede in dem noisigen Geschrammel beim oberflächlichen Hören kaum ausmachen kann. Stimmlich klingen Times New Viking so, als griffen sie statt zum Mikro lieber zum Megaphon. Glücklicherweise ist die Lautstärke derart hochgefahren, dass man musikalische Mängel gar nicht erst bemerkt. Und dann hört man etwas raus, das man bei all dem Getöse nicht vermutet hätte: zarte Melodiebögen (»No Room To Live«) und die zauberhafte Stimme Murphys, unsicher zuweilen und wenig ausbalanciert, aber dennoch einnehmend (»California Roll«). Die drei Musiker können auf ihrer fünften Platte mit Liebe zum Detail und deutlich elaborierterer Technik aufwarten. Besonders zur Geltung kommt dies in Liedern wie »Want To Exist« oder »No Room To Live«, einem Song, in dem sich das elegische Brummen von Elliotts Stimme, vermischt mit jenem Murphys, durchaus in den Ohrwindungen festsetzt. Was Times New Viking von sich geben, mag zwar zu Beginn unausgegoren wirken, tatsächlich ist es aber eine begnadete Gratwanderung zwischen Lärm und genial reduzierten Kompositionen.
Vor drei Jahren debütierte die kosmopolitisch veranlagte Lykke Li Timotej Zachrisson mit »Youth Novels«, einem zwar vorsichtig, aber ebenso ungezwungen anmutenden Erstling, getragen von sanften Rhythmen und Lis markanten Vocals. Vergleichsweise rare öffentliche Auftritte, von einer gewissen Distanziertheit geprägt, und ein Beitrag auf dem »Twilight«Soundtrack (»Possibility«, eine Ballade) bereiteten den Nährboden für ein Album, das Durchbruch ruft. Trotz schillernder Kontraste zieht sich ein dunkler Faden durch »Wounded Rhymes«. Schmerz trägt bekanntlich vielerlei Gewänder, zum Auftakt des Albums schlüpft er in sein Buntestes und lädt zum Tanz. Dabei wirkt der schwere Popmantel, hinter dem sich das jugendlich-trotzig dahinstampfende »Youth Knows No Pain« verbirgt, etwas abgetragen. Überladenheit steht der 25-Jährigen nur bedingt, ihre Stärken offenbaren sich in der Reduziertheit, die nicht ganz verloren gegangen ist. Wie auf dem sphärisch-getragenen »Love Out Of Lust« und gleich anschließend über einer kleinen Gitarrenmelodie und vorsichtigen Percussions dahinschwelgenden »Unrequited Love«. Manchmal übertreibt sie es aber mit der Kontrastierung. Voluminös und flächig instrumentiert wird es bei »Sadness Is A Blessing« übel kitschig. Da schnieft die »Twilight«-Zielgruppe und greift zu den Taschentüchern. Alle anderen werden mit darauf folgenden, sechsminütigen »I Know Places« wieder versöhnt. Sanft und doch bestimmt lockt Li uns auf Wege, nimmt uns an der Hand und führt uns, begleitet von einer vorsichtig gezupften Gitarrenmelodie in die höheren Sphären der Zwischenmenschlichkeit, »where the highs won’t bring you down, babe«. Nach vier Minuten ist das Ende des Gipfelpfades erreicht, Stimmen verstummen und versinken gemeinsam mit den Wanderern in wohltemperierten Klangteppichwolken, die sich längst im Tal breit gemacht haben. Dass Kanye West, der ungekrönte Meister im Über-Das-Ziel-Hinausschießen, sich als Fan von Lykke Li tituliert hat, scheint ob Lis leichter Verschrobenheit und ihrer außergewöhnlichen Variabilität, die sich schlussendlich doch immer auf hohem Niveau bewegt, wenig verwunderlich. Um Lykkes Licht muss man sich also weder in der temporären Dunkelheit, noch in der ungewissen Zukunft sorgen. Mit Sicherheit.
7/10 sandra bernhofer
7/10 Nikolaus Ostermann
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Lost in Music — N°. 49 _
Q
QUALITÄT kann man sich leisten* a. 114/ Re zens ione n
Text Stefan Niederwieser
NEU
Vampire Weekend Vampire Weekend (XL Rec ordi ngs, 2008)
»Vampire Weekend« ist eine der letzten Konsensplatten der auslaufenden Nuller Jahre. Das Albumformat wird seit der Erfindung von P2P-Netzwerken und Filehosting Diensten sowohl als Kunstform wie auch als kollektiver Bezugspunkt zunehmend abgeschafft. Es ist eine Zeit von Singles und gekaperter Songs. Sie sind der Kristallationspunkt der Neuen Medien: Blogs, Youtube, bald auch Twitter und Facebook, befördern Trends, Hypes und Stimmungen deutlich schneller über die Schwelle der Sichtbarkeit als Magazine und Zeitungen das können. Die Schwarmintelligenz der Blogosphäre bestimmt das Grundrauschen der Musikwahrnehmung. Garage und Indie-Rock ist allerdings seit spätestens 2007 sozial und ästhetisch erstarrt. Die Fluchtpunkte des New Yorker Quartetts heißen Afrika und Karibik einerseits und Europa andrerseits. Barocke Akkordzerlegungen, warme, klare Orgeln, synkopische Gitarrenläufe, Off-Beats, kammermusikalische Arrangements, Triolen und Synkopen, Perkussion und kontrapunktische Harmonien – auf »Vampire Weekend« tanzen die prä- und post-kolonialen Einflüsse, tanzen Klassik, Pop und World Music miteinander. Das ist kulturelle Integrationspolitik, eine Verkreuzung der verschiedensten Spurenelemente im transatlantischen Dreieck. Nur vier Wochen bevor »Vampire Weekend« erscheint, gewinnt der Senator von Illinois, ein gewisser Barack Obama, den Auftakt der Vorwahlen der US-Präsidentschaftswahl. Mit ihm gedeiht in der Welt die Hoffnung, den unerträglichsten Präsidenten der USA seit 100 Jahren endlich los zu werden, den Kampf der Kulturen zu beenden. Vampire Weekend tragen ebenfalls diese erwartungsvolle, manchmal verschwenderische Euphorie vor sich her, atmen die klare Luft der ersten Stunden nach einem Gewitter, hören mit ihrem Debüt weit in andere Kulturen hinein.
Revolutionen und Eliten
Anfang 2008 surren die Finanzmärkte noch, Heuschrecken und Hipster prägen das öffentliche Bild, während gleichzeitig die USImmobilienkrise schon in vollem Gang ist. Insofern passt der privilegierte Kleidungsstil der Ostküsten-Prep-Schools von Vampire Weekend denkbar gut in seine Zeit. Die Band gilt wegen dieser elitären Inszenierung als Teil des Establishments – was sie allerdings nur ganz bedingt ist. Sie vermischt Stile und Idiome, treibt soziale Hybridisierungen auf die Spitze. Bei ihnen haben die symbolischen Aneignungsmechanismen keine eindeutige Flußrichtung mehr. Sie reimen »Louis Vuitton« auf »Reggaeton«, »Kefir« mit »Kufiya«. Auf viele wirken Vampire Weekend deshalb ausgedacht, lasch, überladen, artifiziell und überhaupt viel zu studentisch. Nur zwei Jahre später klingt die Phase von Afro-Indie schon kurz nach der Fußball-WM in Südafrika wieder ab, der Glanz Obamas ist verflogen, die Finanzkrise bringt die eigenen vier Wände zurück in den Pop. Das ändert allerdings nichts daran, dass Vampire Weekend für ein paar Wochen genau jene Musik gemacht haben, die die gesellschaftliche Transformation auf den Punkt gebracht hat, wie keine andere Platte dieser Zeit. ¶
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( Duck D own / G r o ove Attack)
Glitzerstep
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Widerständig mitklatschen
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Dubstep-Freigeist 2562 wühlt sich durch die DiscoPlatten seiner Kindheit und zaubert durch feinfühliges Sampling eine der schillerndsten Dubstep-, PostDubstep-, Electronica-, Whatever-Platten der Gegenwart.
Im Marschton erhebt Pharoahe Monch wieder unser aller Stimme gegen Populismus, Manipulation, staatliche Repressalien und soziale Ungerechtigkeiten. Selbst wenn das nicht neu ist – er weiß, was zu tun ist und dreht den Swag ab.
Dubstep und sämtliche Spielarten davon haben schon längst das, was gemeinhin als Electronica firmiert, vom Thron der angesagten HomeListening-Elektronik gestoßen. Beatbastler wie 2562 verkörpern den Zeitgeist einer sich im Wandel befindenden Electronica-Kultur und sind deren neue Stars. Der Terminus Wunderkind wurde in den letzten Jahren so oft in Zusammenhang mit jungen Dubstep bzw. Post-Dubstep-Produzenten strapaziert, dass man meinen könnte, es handle sich hierbei schon um ein neues Subgenre. Acts wie Pariah, James Blake, Floating Points oder Joy Orbison, die quasi direkt nach dem Schulabschluss von der Musikpresse hofiert wurden, verkörpern die Speerspitze der englischen Wunderkinder-Armee. Ein bisschen älter als die eben Genannten, kein Brite, aber ebenfalls ein Dubstep-Produzent mit überaus virtuosem Output ist der Holländer 2562. Auf seinem bereits dritten Album werkelt er an einer höchst originellen Symbiose aus alten Disco-Samples, verspielt subtilen Melodie figuren und reduziert stolpernden Beats mit Durchschlagskraft. Der Dubstep von »Fever« lebt nicht nur von der Kraft seiner reduzierten Beats, Claps und Hi-Hats, sondern vor allem von sehr überzeugendem Sampling. Die Disco-Versatzstücke verkommen auf »Fever« nie zu platter Retro-Emotion, sondern werden schlau und nuanciert eingearbeitet. Besser gesagt besteht die Musik zur Gänze aus diesen Samples – jeder einzelne Ton von kleinsten Background-Noise bis zum fettesten SubBass. Diese Sound-Fragmente sind meistens nicht mal als Samples der Disco-Ära erkennbar, sondern werden zu post-dubsteppigen Chords, Flächen und Beats gemorpht, die im internationalen Beatbastler-Rennen mindestens gleichauf mit Joy Orbison und Konsorten liegen. Hier schwingt so viel Musikverständnis und Soul mit, dass sogar Zuschreibungen wie Dubstep schwer fallen. Viel eher handelt sich um ein genre-übergreifendes Electronica-Album, das Broken Beats, HipHop, House und Groove zu einem atemberaubenden Sound vermengt. Ja, selbst beim Schielen Richtung Techno landet 2562 nicht im Gatsch, sondern schlägt große Wellen. Sogar der Vergleich mit Meistern wie Aphex Twin liegt nahe. Ja, so wurde Disco bisher noch nie zitiert.
»Fuck the police!« zu rufen kommt nicht aus der Mode, schon gar nicht in New York. Solange scharfzüngige Rapper wie Pharoahe Monch ihren reflektierten Zorn in solidarisierende Kunst verwandeln, klingt das auch richtig so. Der zehnminütige Kurzfilm zu seiner neuen Single »Clap (One Day)« erzählt von einem Polizisten, der im Übereifer ein Kind erschießt. Monch und die betroffene Community antworten mit non-verbalem Widerstand. »We are Renegades« schickt der Albumtitel hinterher und Gast-Vokalist Immortal Technique präzisiert im gleichnamigen Track: »Renegades, never slaves, this means W.A.R. / One hundred percent, uncut raw / Fuck limited freedom, nigga, we want more«. Der Kampf ist noch lange nicht vorbei, besonders in den USA eines Barack Obama. Es ist Pharoahes drittes Soloalbum. Auch wenn »W.A.R.« mit einer etwas plakativen Warnung aus einer Zukunft eröffnet, in der Kabul noch immer ein US-amerikanischer Kriegsschauplatz ist und ein Lieutenant die Gegenwart mit einer Art Wiki-Leaks-Coup vorwarnen will. Auch wenn aus vielen seiner neuen Stücke große Verbitterung spricht. Auch wenn so manche Parole auf die Dauer redundant wirkt. Der spürbare Geltungsdrang von Pharoahe Monch, seine gesellschaftspolitische Wachsamkeit und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten als MC geben ihm oft genug Recht. Zweifelsohne bleibt Pharoahe Monch mit seinem verschachteltem Flow und seinen komplexen Politstrophen auch künftig ein legendärer Wortakrobat und ästhetischer Klassiker. Die durchwegs kantigen Arrangements und klassischen Kompositionen bestätigen das. Der australische Produzent M-Phaze lieferte die pumpende Boom-BapSoul-Grundlage für »Clap (One Day)«, bei »W.A.R.« baute Marco Polo den krachenden Schlagzeug-Beat zur wetternden E-Gitarre von Vernon Reid (Living Colour). Bei »The Grand Illusion« gönnt sich Monch sogar einen opulenten Rap-Song mit Folk-Rocker Citizen Cope. Die Stimmen von Showtyme, Phonte, Mela Machinko oder Jill Scott sorgen bei Tracks wie »Black Hand Side« oder »Let My People Go« hingegen durchwegs für satte Soul-Gospel-Emotionen. Nach einem guten Dutzend eingängiger Anklageschriften schickt Pharoahe Monch noch ein »I’m still here!« hinterher – und das hoffentlich noch ein paar Alben lang.
8/10 maximilian zeller
8/10 klaus buchholz
► 0 6 0 / AUSGABE 115
a. 114/ Re zens ione n
Trackspotting
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12-Inch, Singles und Kleinformatiges für große Aufmerksamkeitsspanner TEXT Florian Obkircher
Letztens über einen Essay gestolpert. Die Krise der (elektronischen) Musik als Thema, mal wieder. Allerdings wirkt Stefan Goldmann, Boss des deutschen Macro-Labels, um einiges ausgeschlafener als viele andere Kommentatoren: »Die sogenannte Demokratisierung hat nicht funktioniert. Alle glaubten, Zugang zu haben. Nur dieser Zugang ist für sich genommen nichts mehr wert, weil es niemanden interessiert, dass DJ XY aus Z eine Platte herausgebracht hat. Ich bekomme auf bestimmt zehn verschiedenen Kanälen jeden Tag dutzende Anfragen, irgendein File anzuhören. Das Ergebnis ist, dass ich mir überhaupt keine Files mehr anhöre. […] Und genau da wird es wieder interessant. Weil alle nur einen Minimalstandard halten, muss man einfach völlig überproportionale Kreativität abfackeln. Weil nichts sicheren Erfolg verspricht, kann man nun endgültig alle Rücksichten auf das Übliche fallen lassen. Je abwegiger desto besser. […] Eventuell ist die Zukunft sowieso die, dass die Künstler, die wirklich etwas zu vermitteln haben, sich aus der Verfügbarkeit weitestgehend zurückziehen werden. Wozu Files verbreiten? Für wen soll das einen Wert haben? Man stelle sich einen großartigen Track vor, den es ein einziges Mal gibt – auf Dubplate.« Guter Cliffhanger, oder? Den ganzen Text gibt’s auf silo-magazin.de. Bitte lesen, zahlt sich aus. Nicht nur für resignative Techno-Fritzen.
Burial & Four Tet / Thom Yorke – Ego / Mirror (T ex t)
Diese drei Herren befolgen Goldmanns Rat. Gut, die Single dieses britischen Triumvirats ist zwar kein Dubplate, aber streng limitiert. 300 Stück – angesichts des Hypes schon vor Veröffentlichung ausverkauft. Und das nicht nur, weil die Dinger verlässliche Discogs-Wertanlagen sind. Bei »Ego« hatte offenbar Four Tet einen Finger mehr am Mischpult. Flankiert von Glöckchen und Karamell-Schnipseln schraubt sich ein tiefgelegter Wummer-Bass langsam nach oben, bis Thom Yorkes schwummriges Crooning einsetzt. Piano-Linien und Vocal-Schnipsel tauchen auf und verschwinden wieder in einem Meer warmer Dancefloor-Melancholie. Traumhaft. Genau wie die B-Seite, die wie ein unveröffentlichter Eraser-Track klingt. Düster und dicht, wohlig und wuchtig. Ein verspieltes Stück 2-Step, das ins Gedächtnis ruft, dass Thom Yorke eigentlich der erste Post-Dubstepper war.
Pearson Sound – Deep Inside / Working With (N ight S lugs W hitelabel )
Achtung, auch diese Platte wird in Windeseile vergriffen sein. Geht nicht anders, wenn sich /der/ Producer des letzten Jahres – formerly known as Ramadanman – an einem Dancefloor-Klassiker vergeht, und diesen beim coolsten Label des Jetzt herausbringt. Aber kann das auch was? Türlich, türlich. Bis auf Harddrives markantes Vocalsample lässt der britische Youngster vom Original zwar nicht viel übrig, recht oldschool klingt’s trotzdem. Die 808-Drums rollen im Hip-House-Groove, leicht gebrochen und dennoch voll in die Hüfte. Auf der Rückseite nimmt sich Pearson Sound Rod Lees Überhit »Let Me See What You’re Working With« von 2008 vor. Ein rauer Slammer, der diesen neuen Ghetto-House-trifft-Electro-Bass-Sound, für den wir Night Slugs so schätzen, perfekt auf den Punkt bringt. Spannend, die Brücke zwischen Chicago und London, die da gerade von Produzenten wie Addison Groove (super auch dessen Neue: »Work It / Sexual«) oder eben Pearson Sound frequentiert wird.
badeschiff
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Donaukanallände, U1/U4 Schwedenplatz
entry: eur 10/12
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( She decks
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Lone – Echolocations (R&S)
Auf dem Highway Richtung Detroit dagegen ist der Brite Lone unterwegs. Auf seiner eigenen Spur, in seinem eigenen Tempo – da kommt derzeit sonst keiner nach. Das letztjährige Album »Emerald Fantasy Tracks« des Actress-Schülers war ohne Schmäh das beste des Jahres: nach vorne peitschende Rave-Signale reiten auf hyperventilierenden Detroit-Drums, durchzogen von melodiösen, kristallinen Synth-Linien. Musik, die frühe Carl-Craig-Tracks in die Gegenwart holt, Tanzmusik im Auge des Hurricane. Diesen Key-Sound verfeinert Lone auf seinem neuen Release noch weiter – und bringt Goldmanns Botschaft auf den Punkt: die Zeiten für unkonventionelle Dance-Music sind besser denn je.
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ecor R t n ki
Sa. 23.04.2011 22 Uhr
w w w. t b a . c c
Abt. Musik
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a. 115/ R ezens i onen
About Group Start And Complete
Imaginary Cities Temporary Resident
( D omin o)
( Grand H otel Van Cleef )
Good Ole Times
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Eine der größten Stimmen der letzten Jahre, Alexis Taylor von Hot Chip, verwandelt auch ganz klassische Songs in emotionale Tretminen.
Soul it up, Canada!
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Es scheint ein weibliches Licht am Ende des Soultunnels. Was als Glimmen beginnt, wird noch ein großes Feuer werden.
Die About Group ist keine Supergroup. Zwar spielte das Quartett um Alexis Taylor von Hot Chip lange in anderen Bands, diese waren aber nicht ansatzweise so geadelt wie die großen britischen Ineinanderdenker von Dance Music und Indie Rock. In Supergroups zerreiben sicher mehrere übergroße Egos aneinander und ergeben gerade mal so die Summe ihrer einzelnen Teile. Die About Group arbeitet allerdings ganz anders. Sie spielte bereits 2009 vier krautig-psychedelische Improvisationen auf dem Label Treader ein, die mit wüster Perkussion angeräumt waren. Hier zeigt die Band ein ganz anderes Gesicht und hilft Alexis Taylor dabei, angestaute Songs abzufeuern. In gerade einmal einem Tag wurden sie in den ehrwürdigen Abbey Road Studios (Beatles, Pink Floyd, Soundtrack zu »Herr der Ringe«, überhaupt der Urknall) aufgenommen, der Rest der Band bekam die Demos wenige Tage zuvor – sei es nun, damit die Songs besonders spontan und frisch klingen, oder, damit man etwas in Interviews erzählen konnte. Das Album ist aufgeräumt, hyper-klassisch und versprüht mit satten Gitarren, warmen Orgeln und quengelnden Gitarren fast eine Atmosphäre von Folk und Country. Keine Spur von Zukunft. Damit passt die About Group auch in die Gegenwart von Popmusikgeschichte, die ihren Blick vor allem in der Vergangenheit schweifen lässt. Die revolutionären Spielweisen von Hot Chip sind damit aber nicht etwa wieder abgeschafft, sondern haben das Klangfeld rund um die Band um geradlinigstes Songwriting erweitert. »Start And Complete« wird von der Stimme von Alexis Taylor getragen, gehalten und über seine eigenen Begrenzungen gehoben, einer der phänomenalsten Stimmen der letzten zehn Jahre, einer Stimme, die davor (und nach Culture Club) als zu hoch, dünn und effemiert gegolten hätte, die auch bei Hot Chip durch die regelmäßigen Brummer von Joe Goddard abgefangen wurde und hier durch das wertkonservative Klangambiente der About Group ganz im Vordergrund silbrig strahlt. Im Unterschied zu Antony (And The Johnsons) verzichtet Taylor auf jedes Vibrato und artifizielle Gesten. Sie führt das Ohr. Rund herum erweist sich gerade das Schnelle, skizzenhaft Hingeworfene für »Start And Complete« als Stärke. Das Album wirkt im besten Sinn unfertig, die Songs selbst sind es nicht, sind sie doch in Alexis Taylor über lange Zeit gereift.
Nicht nur zum Weltfrauentag war viel über die Frauenquote zu lesen. Auch wenn das Thema überstrapaziert ist, ist es dennoch umso erfreulicher, dass das Hamburger Label Grand Hotel Van Cleef, das Musiker wie Young Rebel Set, Kettcar, Tomte und Beat!Beat!Beat! für sich entdeckte, seit Neuestem eine weibliche Stimme (und was für eine!) zu sich rief, zumal es dort bisher frauentechnisch eher schlecht aussah. Marti Sarbit gehört jene Stimme, die neben Gitarre und Klavier den souligen Indiepop von Imaginary Cities trägt. Wie ein fliegender Teppich erzeugt der natürliche Soul-Sog des Gesangs eine Schwingung, die nicht zwanghaft versucht, das Gefühl der 60er künstlich zu generieren, wobei Marti durch eine vorherige Soul-Coverband diesem Feeling bestimmt nicht abgeneigt ist. Ihre zweite Bandhälfte Rusty Matyas traf sie durch eben diese Coverband in ihrer Heimat Winnipeg. In The Cavern, einem Club, »kleiner Bruder« des Cavern Club in Liverpool, hatte sie einen Auftritt, bei dem auch Rusty beteiligt war. Der Musiker Matyas war nämlich auch kein unbeschriebenes Blatt in der kanadischen Szene: Mit seiner Band The Waking Eyes hatte er bereits drei Alben veröffentlicht und bei den Weakerthans half er als Multi-Instrumentalist aus. Der erfrischende Sommerohrwurm »Hummingbird« ist in Kanada schwungvoll und frühlingshaft motiviert bereits auf Platz 1 der Charts geflattert. Ganz anders, aber nicht minder interessant finden sich auch ein Bossa Nova und reine AkustikgitarrenStücke. Das bezaubernde »Say You« eröffnet mit einer der universellsten Textzeilen der letzten Jahre: »I went out in the darkness / darkness turned to light / And when I found my freedom / he said that freedom wasn’t mine / I crossed the mighty ocean / to watch you from a far / I climbed the highest mountain / to see just where you are! / Say you! Say you! Why?« Ohne die klare Stimme, die furchtlos und ungeschmückt in den Klangäther schallt, ist das natürlich schwer vorstellbar. Nach erstmaligem Anhören stellt sich aber schon eine gewisse Abhängigkeit ein und man sieht sich umschlossen von der gelungenen Kombination aus Marti Sarbits Stimme, diesen Texten, die von Herz zu Herz gehen und der behutsamen instrumentalen Begleitung, die aufwertet, aber im Hintergrund bleibt.
7/10 stefan niederwieser
8/10 Juliane Fischer
► 0 6 2 / AUSGABE 115
Abt. Musik
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a. 115/ R ezens ione n
Holy Ghost Holy Ghost!
The Naked And Famous Passive Me, Aggressive You
(DFA)
( Universal)
Paraklet aus NYC
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Das Duo aus New York begleitet uns mit ihrem Debüt lässig in die Spacedisco 2.0. Das klingt sehr nach dem Charme der frühen 80er Jahre und ist dabei trotzdem frisch wie eine Jungfrau, die aus dem Kühlschrank steigt.
Fröhliche Seichtgebiete
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Mit den richtigen Referenzen stürmt ein neuseeländisches Quintett den Pophimmel. Die feinen Unterschiede sind ihnen dabei egal.
Beim ersten Hören fühlt es sich an, als ob einem der Heilige Geist persönlich wie bei der Firmung einfährt: Die Ohrfeige schallt nicht so streng wie erwartet, und doch klingelt sie lange nach. Was 2007 mit ihrer ersten Single »Hold On« für Furore sorgte, spinnen Alex Frankel und Nick Millhiser wie einen roten Faden gekonnt über das gesamte Album weiter, ohne dabei abzuschweifen. Das war bereits das Versprechen der beiden, als sie 2009 die ersten Hipster mit dem Hit »I Will Come Back« auf den alternativeren Tanzflächen freudestrahlend in Empfang genommen hatten. Holy Ghost waren davor bereits ein Bilderbuchduo: Beiden kennen sich seit dem siebten Lebensjahr aus einer Grundschule auf der Upper Westside New Yorks. Nick fand seine Hingabe im Schlagzeugspielen und Alex bekam Klavierunterricht bei dem Jazzpianisten Les Horan. Als Teenager widmeten sie sich dann dem Sound der Stunde – HipHop. Mit vier weiteren Gleichgesinnten gründeten sie die Band Automato und bespielten die Clubs der Stadt. Nachdem die üblichen Produzenten in dem Genre nicht wussten, was sie mit einem Live-Drum-Set anfangen sollten, wurden sie James Murphy und Tim Goldsworthy von DFA vorgestellt. 2004 erschien dann das nicht nur vom Guardian zu Recht umjubelte Album »Coup De Grâce«. Trotz des Erfolgs trennte sich die Band, Alex und Nick gingen ihre eigenen musikalischen Wege, nur um sich 2006 an der ersten gemeinsamen Single zu versuchen. Im Jahr 2011 erscheint »Holy Ghost!« auf DFA – ihrem musikalischen Heimathafen. Die zehn Stücke schmiegen sich äußerst homogen aneinander und versprühen eine angenehme Leichtigkeit. Alles flirrt positiv und wohlgesonnen. Ihre Synthesizer der alten Schule klingen nicht angestaubt, aber rufen stets Reminiszenzen vergangener Discotage hervor. Die Melodien wirken vertraut, aber nicht altbacken. Die Songstrukturen sind bewährt und die Themen klassisch im Nachtleben und den damit verbundenen Bedürfnissen verankert. Ein Album, das positiv altklug klingt, ohne dabei einen auf Schlaumeier zu machen, das sich gleichzeitig mit seinem eigenen Pop-Schweinehund versöhnt hat. Absolut analoger Frühlingsgefühle-Erwecker.
»Punching In A Dream« macht einen auf billig. Der Song imitiert mit einer angetrancten Synth-Melodie, die sogar Owl City in Sachen Schmierigkeit Konkurrenz macht, die zwei größtmöglichen Elektropop-Schablonen der letzten Jahre: MGMT und Empire Of The Sun. Natürlich wird das mit seinen »Uh, Uh, Uh, Uhuuhu« und »Wooho« überall funktionieren, in der Werbung, der Indie-Disco, im Stadion, auf YouTube – und kam auch prompt zu den Serien »Vampire Diaries«, »Skins« und »Gossip Girl« auf Schaltung. Gib Seife. Aber hey, mit Bretter durchschlagenden Beats in den Sonnenuntergang, wer will da schon ein Spielverderber sein? Nicht weniger eingängig, aber ein paar Steinwürfe subtiler fällt dagegen »Young Blood« aus, die Debütsingle der Band, die mit kristallin glitzernden Synth-Sprenkeln und einem Video umwirft, das weder eine Geschichte erzählt, noch ein Performance-Video sein will, sondern stattdessen energische Gesten und flüchtige Momente der Freiheit, des Glücks und des Verschwindens einfängt. Ein solches Video hat tatsächlich die Fähigkeit, einen Moment in der Zeit zu definieren, wie MGMTs »Time To Pretend« oder »1979« von den Smashing Pumpkins. Zu solchen Bildern jault das Herz. Es geht um das Debüt des neuseeländischen Quintetts The Naked And Famous. Trotz eines tief hängenden Electropop-Nebels sind ihre Referenzen klug gewählt. Das Mann-Frau-Vocals-Duo umschmeichelt sich elegant, der scharfe Duft der 80er Jahre wird mit einer Prise Shoegazing gedämpft, auf »The Sun« klingt die Band wiederum fast nach Radioheads »Idioteque« und bei »A Wolf In Geek’s Clothing« setzt es sogar Double BassGeknüppel. Huarg! Mit einer Stimme, die einige Ähnlichkeiten zu Karin Dreijer Andersson von The Knife aufweist, steht man außerdem jenseits allzu eindeutiger Nischen. NME und BBC hatten es Anfang 2011 natürlich wieder einmal gewusst, dass diese Band groß werden wird. The Naked And Famous sind allerdings kein Act für junge Feinschmecker, sondern Musik, bei dem sich ältere Herren auf Festivals ein neues Bier holen werden, weil der Bereich vor der Bühne weiträumig mit Akne zugeparkt ist. Na klar, geht doch Bob Dylan und Bright Eyes hören. Diese Party hier ist sowieso besser, Widerstand ist … nicht zwecklos, aber auch nicht nötig.
7/10 johannes piller
7/10 stefan niederwieser
AU S GA B E 1 1 5 / 0 6 3 ◄
Abt. Twitter-Reviews
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a. 115/ R ezens i onen
Die Welt auf Scheibe – erklärt in 140 Ausführlicheres auf www.thegap.at
Zeichen zum Angeben in der Disco.
Joel Alme Waiting For The Blues razzia Dieser Schwede macht im Geist von Walker Brothers und Tin Pan Alley hoffnungslos gegenwartsvergessenen Pathospop. No Man Is An Island. No Man außer ▪ Joel Alme. 7/10 stefan niederwieser The Apartments Drift riley Die 80er und 90er haben ein großes Reservoir an Bands, die es sich aus heutiger Sicht noch lohnt, zu entdecken. Dazu zählt auch dieses australische Kleinod. 6/10 gerald c. stocker ▪ Arthur’s Landing Arthur’s Landing strut Ein Nachruf unter Freunden. Unaufdringlich, aber mit Gefühl wird Arthur Russels Musikerbe weitergetra▪ gen. 8/10 reiner kapeller Bodi Bill What? sinnbus Bodi Bill verfeinern auf ihrem dritten Album die musikalische Breite ihres Elektro-Song-Schaffens, verzichten aber auf den ▪ Hit. 7/10 martin mühl
Diver Diver ink Diver graben sich in Richtung Kings Of Convenience vor und werden mit ihrer selbstbetitelten Debüt-EP die »Quiet Is The New Loud«-Schublade ordentlich durchwühlen. 7/10 matthias hombauer ▪ Dum Dum Girls He Gets Me High sub pop / trost Drei neue, leider etwas fade Songs und ein SmithsCover als Follow-up zum Debütalbum. Der Dum Dum Girls-Lo-Fi-Indie-Pop war schon besser. 3/10 werner schröttner ▪ Effi Astronaut arcadia Musik, die meine Freundin zu Kaffee und Kuchen-Nachmittagen mit ihren älteren Schwestern spielen würde. Kantenfreier Pop mit Hang zur Belanglosigkeit. 4/10 michael kirchdorfer ▪ Explosions In The Sky Take Care, Take Care, Take Care bella union Baby, ich hol dir die Sonne vom Himmel. Nichts ist neu am Planeten PostRock, aber nur wenige sind so gut. Wer verstehen ▪ will, hat schon verloren. 7/10 martin mühl
The Human League Credo wall of sound Diese Legenden muss man mit »Credo« zu den Enttäuschungen des immer noch dauernden 80er Jahre ▪ Retro-Hypes zählen. 2/10 gerald c. stocker Kakkmaddafakka Hest bubbles Bubenhafter Charme mit wenig Gehalt - wie das jugendliche Betrinken am Kinderspielplatz fühlt sich der Gitarrenpop von Kakkmaddafakka an. 5/10 artemis linhart ▪ Maritime Human Hearts grand hotel van cleef Maritime bestätigen mit »Human Hearts«, dass überdurschnittlicher Indie-Rock manchmal auch ▪ reichen kann. 6/10 matthias hombauer J Mascis Several Shades Of Why sub pop / trost Der Langhaarige von Dinosaur Jr. veröffentlicht seine erste Soloplatte. Die ist akustisch, ruhig und sehr persönlich ausgefallen. Hut ab. 5/10 werner schröttner ▪
Bohren & Der Club of Gore Beileid pias Die deutschen Doom-Urgesteine haben die letzten Metal-Spurenelemente aus ihrer Musik entfernt ▪ und mit viel Jazz gewürzt. 5/10 werner reiter The Charcoal Sunset The Charcoal Sunset radiotransmissionmusic Trendzüge rattern ohne sie durch die Gegend, richtig eigenständig oder unkonventionell zu klingen, überlassen The Charcoal ▪ Sunset anderen. 5/10 sandra bernhofer Chikinki Bitten urban cow/ rough trade Elektronischer Pop mit deutlich weniger Retro-PsychedelicCharakter als frühere Alben – immer noch typisch ▪ Chikinki, aber kein Hit. 5/10 malin heinecker Christoph & Lollo Tschuldigung wohnzimmer Ihre Themenpalette ist erfreulich gereift, und mit einem Auge schielen sie mit diesem Album mittlerweile auch ein wenig in Richtung politischer ▪ Kommentar. 7/10 gerald c. stocker
Martin Eyerer Tiny Little Widgets blufin Ein Mann der Superlative: Billigste Vocals, langweiligste Knüppel-Beats, abgeschmacktester Tech-House. Wer Musik hasst, sollte sich dieses ▪ Album besorgen. 1/10 maximilian zeller Marianne Faithfull Horses and High Heels naïve Wie Leonard Cohen gelingt es der Chanteuse mit der brüchigen Stimme immer wieder mit einem neuen Longplayer zu überzeugen. 6/10 gerald c. stocker ▪ Fergus & Geronimo Unlearn hardly art / trost Tatsächlich humorvoller, leicht oldschooliger LoFi-Indie-Rundumschlag, der wahrscheinlich auch ganz ohne Sentimentalitäten begeistert. Hurra! 8/10 martin mühl ▪ From Dawn To Fall Rising the arcadia agency / hoanzl Unquietschiger Grown-up Pop-Punk aus Österreich. Endlich einmal eine Band, die weiß, wo ▪ sie mit ihrem Sound hin will. 7/10 teresa reiter
Ping Ping On The Run fabrique records »On The Run« – ein Kurzstreckenlauf, bei dem man nicht wirklich aus der Puste kommt. Songs von kurzer Lebensdauer und geringer Nachhaltigkeit. 4/10 raphaela valentini ▪ Moon Duo Mazes souterrain Musikalische Verirrungen gibt es am Erstwerk des Moon Duo nicht, dafür druckvollen, rohen Rock ohne große ▪ Überraschungen. 5/10 sandra bernhofer The Mountain Goats All Eternals Deck tomlab Der ewige Indie-Held John Darnielle entdeckt das Okkulte für sich und schenkt uns sein vielseitigstes Album, auf dem das Lachen nicht zu kurz kommt. 7/10 martin mühl ▪ Munch Munch Double Vision upset the rhythm! Lärmiger Glamrock mit nervtötenden Orgeln. 4/10 werner reiter ▪
Cold Cave Cherish the Light Years matador Begleiten Sie die New Yorker Band auf ihrem nächtlichen Spaziergang durch die New Wave Boulevards der großen 80er-Jahre-Metropolen. 6/10 gerald c. stocker ▪ Conquering Animal Sound Kammerspiel gizeh Conquering Animal Sound klingen nach gängigem Folktronica-Ambient, können an der Vorstufe zu Techno aber mit geraden Beats überraschen. 6/10 klaus buchholz ▪ The Crookes Chasing After Ghosts fierce panda Ein weiteres Quartett aus dem Norden Englands tritt die große Reise an die Spitze des Indie-Pops an. Ein weiter Weg in die richtige Richtung. 6/10 gerald c. stocker ▪ Dead Meat The King + Early Recordings flinco sound system Desinteresse als Lebensinhalt. Amerikanischer Noiserock derart trocken vorgetragen, dass er dem Sänger beinahe im Hals stecken ▪ bleibt. 5/10 reiner kapeller
Gatto Fritto Gatto Fritto international feel Gatto Fritto macht Space Disco aus der geschützten Zone heraus. Das Weltall strahlt kalt und bleibt stumm. ▪ Wie schon so oft. 6/10 stefan niederwieser Max Goldt L’Eglise des Crocodiles gagarin Musik aus einer Zeit bevor Max Goldt Deutschland als Dichter bis zur Kenntlichkeit entstellt hat. 8/10 werner reiter ▪ Highway Child Highway Child Speckige schwarze Jacken, halblanges Haar, ernste Gesichter: Alle Zeichen weisen in Richtung räudiger Blues-Rock. Und so ist es dann auch. 6/10 werner reiter ▪ Manfred Hofer Nuors zach Ein ganzes Album für den Bass. Nur für den Bass. Noch dazu als Trilogie. Liest sich öd. Klingt aber in alle Himmelsrichtungen geheimnisvoll nach. 7/10 stefan niederwieser ▪
Dustin O’Halloran Lumiere fat cat records Piano-Streicher-Elegien, passend zum Beispiel als Soundtrack für eine traurigere Version von Amelie. ▪ Schon schön. 6/10 katharina seidler Papercuts Fading Parade sub pop / trost Galaxie 500-inspirierter, verträumter Gitarren-Pop, der etwas braucht, um einen in den Bann zu ziehen. Dann lässt er aber nicht mehr los. 7/10 werner schröttner ▪ Paris Suit Yourself My Main Shitstain big dada Paris Suit Yourself klingen nach aufregend anderem Pop-Lärm und nach Live-Konzerten, die sich der eigenen Entgrenzung mit viel Spaß nähern. 8/10 klaus buchholz ▪ Planningtorock W dfa Ein-Frau-Orchester Janine Rostron spielt exzentrisch schönes Synthie-Pop▪ Theater. 8/10 werner reiter
► 0 6 4 / AUSGABE 115
Abt. Twitter-Reviews
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a. 115/ R ezens ione n
Port-Royal 2000–2010: The Golden Age Of Consumerism n5md Der elektronische Vierer aus Italien bleibt unterschätzt, auch wenn diese Tracksammlung nicht das komplette Potenzial der ▪ Band ausspielt. 8/10 martin mühl The Pains Of Being Pure At Heart Belong pias / rough trade Was als euphorisch-melancholischer Dream Pop für verzweifelte Lebensjahre begann, ist schon auf dem zweiten Album sauer und ranzig ▪ geworden. 3/10 stefan niederwieser Pixie Carnation The New World Record tapete records Mit ihrem Erstlingswerk zeigen Pixie Carnation Größe: orchestraler Folkrock, der Herz und Seele umschmeichelt, doch dem es noch am ▪ nötigen Biss fehlt. 6/10 raphaela valentini Primal Scream Screamadelica (20th Anniversary Edition) sony Erweitert um die Dixie Narco EP präsentiert Primal Scream nun ihr uneingeschränktes Meisterwerk der frühen 90er Jahre, an dem sie bis heute gemessen werden. 8/10 gerald c. stocker ▪
Tamikrest Toumastin glitterhouse Auf dem zweiten Album von Tamikrest tendiert das musikalische Wüsten-Mashup stärker in Richtung Garage. 7/10 werner reiter ▪ Telekinesis 12 Desperate Straight Lines morr music Als lange Haare noch ins Gesicht hingen, Levi’s zerrissen waren und Streifenpullis Motten löcher hatten: Diese Platte lässt sich nicht so schnell zu einem weichgespülten Alltagsindierock ▪ degradieren. 8/10 raphaela valentini This Is Head 0001 enkelt / adrian Streber, die man mag – This Is Head begeistern trotz zahmer Produktion mit modernem, leicht krautigem Artrock. 8/10 johannes busching ▪ Benny Tones Chrysalis bbe Benny Tones plätschert gern und gut mit futuristischem R’n’B. Doch erst die Annäherung an Dubstep bringt signifikante ▪ Neuerungen. 7/10 klaus buchholz
Various Artists Operation Pudel 2010 rough trade / staatsakt »Ich bin der Muschikatzenmann«. Mit der Compilation Operation Pudel verhält es sich ähnlich wie mit der Elbphilharmonie: Guter Ansatz, aber man hat viel Scheiße gebaut. 4/10 johannes busching ▪ The View Bread And Circuses 1965 records The View sind wieder zu jenen Riff-geladenen Football-Chants zurückgekehrt, die sie einst ▪ bekannt machten. 7/10 gerald c. stocker Wild Beasts Smother domino Ein weiterer Balance-Akt in Falsett-Gesang beschert streckenweise Unheimlichkeit und betört gleichzeitig auf bizarre ▪ Weise. 6/10 juliane fischer Wild Palms Until Spring one little indian Britischer Post-Punk mit Weichspülfaktor, der in guten Momenten an New Order, viel zu oft aber an U2 erinnert. Resümee: Undeniably overhyped. 5/10 michael kirchdorfer ▪
Prommer & Barck Alex And The Grizzly derwin Auf dem Weg zum elegant elektronischen Songwriting kommt diesem erfahrenen Duo die ▪ Routine in die Quere. 4/10 stefan niederwieser R.E.M. Collapse Into Now warner Album Nr. 15 – Wiederholung in der Endlosschleife? Ja, aber eine ohne seltsamen Beigeschmack. 6/10 stefan niederwieser ▪ Jacek Sienkiewicz On The Road cocoon Zwischen Electronica und Detroit Techno hat Sienkiewicz die Hosen an. Sein Sound ist vielseitig, stilvoll und hoch musikalisch. Funktioniert vorm Kamin und im Betonbunker. 7/10 maximilian zeller ▪ Social Distortion Hard Times & Nursery Rhymes epitaph/indigo Gealterte Punkrocker machen Experimente mit Weichspülrock und Coun▪ trymusik. 4/10 teresa reiter Space Ranger What About The Magnetic Fields? lovemonk / beats international Ein DiscoProduzenten-Trio, das ist selten. Damit hören sich die Überraschungen aber auch schon wieder auf. 5/10 stefan niederwieser ▪
Tracker How I Became An Alien sulatron records Lokalkolorit, hab dich lieb. Ein sympathisches Rock-Album aus den Tiroler Bergen. 6/10 johannes busching ▪ Various Artists Coming Home by DJ Hell stereo deluxe / warner Okay, es ist dein persönlicher Coming Home-Mix, lieber Helmut, aber wäre es nicht auch ohne die üblichen Verdächtigen gegan▪ gen? 5/10 maximilian zeller Various Artists Forward To The Past pokerflat Versuche, wie das Aufwärmen der Vergangenheit, gehen oft schief. Hier nicht. Alte Schule im ▪ neuen Jahrzehnt. 6/10 johannes piller Various Artists Freude am Tanzen 5zig Compilation freude am tanzen Jena kocht seine eigenen Techno-Süppchen. Zum 50. Release-Geburtstag serviert das Freude-und-Tanz-Imperium eine vollmundige Compilation exklusiver Tracks. 7/10 johannes piller ▪ Various Artists Let the Children Techno ed banger Ed Banger feiert das Frühjahr mit einem unaufdringlich guten Mix, der naturgemäß schwer nach Electro-House, aber abwechslungsreich ▪ klingt. 6/10 klaus buchholz
Rick Wilhite Analog Aquarium still music Detroit Houser Rick »The Godson« Wilhite zeigt auf seinem Debüt, warum er seit jeher zu den ganz großen Motorcity-Legenden gehört. Jetzt schon Anwärter auf den Titel »Platte des Jahres«. 9/10 maximilian zeller ▪ Wols Unframe pingipung Dubstep-Hybrid aus Russland. Vollmundige Auslese die schmeckt wie ein Cuvée mit Barrique-Ausbau. 7/10 johannes piller ▪ Wye Oak Civilian city slang Ein Duo aus Baltimore macht granularen, klein gemörserten Folk. Ihre Songs wachsen immer wieder unauffällig ins Ohr, bleiben aber auch rätselhaft. 6/10 stefan niederwieser ▪ Yuck Yuck fat possum Können Verzerrer verzaubert scheppern? »The Baseline of a Dream is empty«, behaupten Yuck mit ihrem nostalgischjugendlichen Gitarren-Noise Debüt. Stimmungsvoll. ▪ Retro. 7/10 julia melcher Zoey Van Goey Propeller Versus Wings chemikal underground Am Album steht, was drin ist: Folk-Pop, der sich nicht zwischen wildem Rotieren und windschlüpfrig fragilem Gleitflug entscheiden ▪ kann. 6/10 artemis linhart
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MAK NITE Dienstag / 19.4.2011 / 20.00 Uhr ©
LEMON SYNTHESIZER Performance / Installation
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MAK-Säulenhalle Stubenring 5, Wien 1 Di MAK NITE 10.00 – 24.00 Uhr Mi – So 10.00 – 18.00 Uhr Jeden Samstag © Eintritt frei. ©
MAK .AT
Abt. Film
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a. 115/ R ezens i onen
Abendland
(von Nikolaus Geyrhalter) Europa, geschlossene Anstalt: Zwischen bewachter Außengrenze und Frühgeborenen-Station, Oktoberfest und Polizeitraining entwerfen Dokumentarist Geyrhalter und Monteur Wolfgang Widerhofer die Bauskizze einer Wohlstandszone, die mit dem Verwalten ihrer Biomasse alle Hände voll zu tun hat. Am übergroßen Signifikanten »Abendland« gerät Geyrhalters Methode kommentarlosen Beobachtens merklich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die einzelnen Stichproben nächtlicher Massen- und Überwachungsszenarien faszinieren dennoch. 7/10 Joachim Schätz
The Fighter
(von Greg Mottola; mit Simon Pegg, Nick Frost, Jason Bateman, Kristen Wiig)
Astronautenfutter für die Nerds
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Nach dem sympathischen »Superbad« (2007) und dem lahmen »Adventureland« (2009) hebt Greg Mottola nun mit »Paul« zu außerirdischen Höhen an, um eine breitenwirksame Science-FictionKomödie abzuliefern, die überdurchschnittlich funktioniert.
(von Jonathan Lieberman; mit Aaron Eckhart, Michelle Rodriguez) Gääääähn. Knappe zwei Stunden lang liefert Regisseur Jonathan Liebesman stupides Effekte-Kino: Science-Fiction in seiner seichtesten und schlicht langweiligsten Form. Die Welt wird einmal mehr von Aliens attackiert und ein Trupp von Marines, angeführt von einem taffen Aaron Eckhart, muss dem entgegenhalten. Dem Titel wird der Film ja gerecht – es wird tatsächlich durchgehend gekämpft. Leider frei von jeglichen Höhepunkten, sodass einem die Füße einschlafen. Dafür lernen wir einmal öfter, wie ehrenhaft es doch ist, ein US-Marine zu sein. Lieber Geld sparen und nur den Trailer anschauen. Damit hat man ohnehin alles gesehen.
Weil »Paul« neben einem Kassenschlager auch ein Film für Nerds sein will, watscheln die beiden bauchigen Helden Graeme (Simon Pegg) und Clive (Nick Frost) zu Beginn gleich mal über die Comic-Con in San Diego, jene populäre Fachmesse für Comics, Science-Fiction, Fantasy und Horror, die sozusagen als Mekka der von Regisseur Mottola anvisierten Fanboy-Kultur gilt. Diese Bemühungen um möglichst stilsichere Glaubhaftigkeit durchziehen den ganzen Film. Sie beginnen bei den T-Shirt-Motiven der Protagonisten und enden in den Untiefen von Klischee-Kisten, die US-Formate wie die Sitcom »The Big Bang Theory« schon seit Jahren überstrapazieren. Der Titel gebende Paul (Seth Rogen spricht ein freundliches, kiffendes und obszönes Alien) trifft nach einem Autounfall auf die britischen Touristen Graeme und Clive. Die beiden touren gerade quer durch die Staaten, um bekannte UFO-Hotspots aufzusuchen. Der Außerirdische entpuppt sich als lässiger neuer Freund, der vor einer Verschwörungsregierung flüchtet. Nach jahrelanger Gefangenschaft, wo er unter anderem als Ideenspender für Steven Spielberg (Stichwort: Leuchtfinger) oder »Akte X« fungiert habe, will Paul endlich zurück ins All. Nach anfänglichen Turbulenzen findet sich das bunte Ensemble bald in einem abstrusen Roadmovie wieder, während die Handlung an Rasanz und überbordenden Sci-Fi-Referenzen zunimmt. Dementsprechend fügen sich dann auch die leicht angeschrägten Nebenfiguren dem vorherrschenden Slapstick und anspielungsreichen Dialoghumor unter. Zwei Neulinge beim FBI (u.a. Bill Hader) erweisen sich als über-ambitionierte Dumpfbacken, während ihr Chef (solide: Jason Bateman) kryptisch erhärtet. Am gelungensten wirkt die Figurenzeichnung der Kreationistin Ruth (hervorragend spontan von Kristen Wiig gespielt), die ihren christlichen Glauben an Intelligent Design angesichts der Begegnung mit Paul aufgeben muss. Greg Mottola schafft es, einen wirklich turbulenten und zuweilen überraschend komischen Film zusammenzubrauen. Leider serviert er sich bis zum Ende hin viele Pointen-Plattitüden, die er angesichts des wachsenden Irrwitzes der Story nicht nötig hätte. Schon gar nicht mit den britischen Comedy-Boliden Pegg und Frost, die bis zum glorreichen Auftritt von Sigourney Weaver – auf den es sich zu warten lohnt – auch als Drehbuchautoren eine appetitliche Komödie schaffen. Um mehr als bekömmliches Astronautenfutter zu sein, bräuchte »Paul« aber letztlich mehr Schärfe.
1/10 jan hestmann
6/10 Klaus Buchholz
World Invasion – Battle Los Angeles
► 0 6 6 / AUSGABE 115
Constantin, Sony Pictures, Universal studios
10/10 David Bogner
Paul
bild
(von David O. Russell; mit Mark Wahlberg, Christian Bale, Amy Adams) Wenn ich behaupte, dass es im Popcorn-Kino des 21. Jahrhunderts abgesehen von Clint Eastwood keinen Regisseur mehr gibt, der mitreißende Geschichten erzählt, klinge ich nach verbittertem Feuilleton-Schreiber, der sich nach dem guten Hollywood der 40er und 50er zurücksehnt, das er selbst nicht erlebt hat. Stimmt aber trotzdem, auch wenn »The Fighter« eine willkommene Ausnahme ist. Die Geschichte rund um ein boxendes Geschwisterpaar, von dem der ältere ein crackabhängiger Tunichtgut (Christian Bale) und der andere einfach nur der gutmütige kleine Bruder (Mark Wahlberg) ist, fesselt von der ersten bis zur letzten Minute und beruht noch dazu auf einer wahren Begebenheit.
Abt. Film
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067
NACHHALTIGKEIT IM BRIEFKASTEN? BIORAMA IM ABO: WWW.BIORAMA.EU
Winter’s Bone
(von Debra Granik; mit Jennifer Lawrence, John Hawkes, Kevin Breznahan)
Der amerikanische Traum
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BILD filmladen
Eine junge Frau im Kampf um das Überleben ihre Familie im rauen, ländlichen Klima des Mittleren Westens der USA. Regisseurin Debra Granik platziert mit großer Eindringlichkeit einen Milieuthriller in einen wenig bekannten Flecken der Vereinigten Staaten. Nachdem der Vater der 17-jährigen Ree auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wird, ist er plötzlich verschwunden. Die Polizei geht von einer Flucht aus, und weil er als Kaution das Haus seiner mittellosen Familie verpfändet hat, ist Ree zum Handeln gezwungen. Wenn der Vater nicht bis zum Gerichtstermin auftaucht, verlieren sie, ihre zwei jüngeren Geschwister sowie die psychisch kranke Mutter das Dach über dem Kopf. Bei der Suche kann Ree aber weder auf die Unterstützung ihrer Nachbarn noch die ihrer Verwandten zählen. Gedreht in den Ozark-Bergen von Süd-Missouri, wirkt der Film in vielem ortsspezifisch und scheint eine Momentaufnahme der sogenannten »White Trash«-Schicht des Mittleren Westens der USA zu sein. Doch Debra Granik (»Down To The Bone«) lässt ihre Zuschauer dabei nicht voyeuristisch auf das Leben der Figuren starren, vielmehr begleitet sie Ree mit großer erzählerischer und visueller Klarheit, die einen nahe an die Geschichte rückt. »Winter’s Bone« beschönigt nichts und zeigt offen die Erbarmungslosigkeit seiner zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen sich Familie, Geschäft und Gewalt unauflöslich verkeilt haben. Egal ob die Protagonistin durch die Wälder streift oder einfach nur Holz hackt, die einsamen, düsteren und extrem rohen Bilder, die die Regisseurin dabei erschafft, erscheinen nicht strikt durchinszeniert und erzeugen gerade deswegen glaubwürdige Atmosphäre. Eine großartige Jennifer Lawrence brilliert in der Rolle einer starken jungen Frau, ohne sie zur Type zu stilisieren. Obwohl der starke regionale Dialekt Untertitel fast unverzichtbar macht, und die Verhältnisse der Personen zueinander sich kompliziert verwickeln, beweist »Winter’s Bone« eindringliche Intensität. Der Indie-Thriller schafft es, durch seine Geradlinigkeit und Ruhe ungemein aufzuwühlen und hat damit auch die pompöse Oscar-Konkurrenz mit der Nominierung für vier Hauptkategorien überrascht. 9/10 Lena nitsch
NEUE AUSGABE OUT NOW
VoiceOver
_ Abt. DVD
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a. 115/ R ezens i onen
2001 Maniacs 2 ( Tiberius) text Klaus Buchholz
Retro radikal
von Tim Sullivan; mit Bill Mosley, Christa Campbell, Lin Shaye auf DVD und Blu-Ray
Shane Meadows kehrt zu seiner Jugend zurück. Nach dem Coming-of-Age-Drama »This Is England« (2007) verarbeitet er mit der Miniserie »This Is England ’86« nun skurrile Anekdoten seiner Pubertät zur Zeit des Thatcherismus und schafft damit ein beklemmendes Fernseherlebnis zu sexueller Gewalt und Freundschaft. »When you’ve got such great characters, it’s a shame to just cast them aside«, dachte sich Regisseur Shane Meadows und beschloss, seine Jugend erinnerungen von der Leinwand weg auf die Fernsehschirme zu bannen. Als er 2007 mit dem Film »This Is England« für Aufregung und viel Anerkennung sorgte, lag das vor allem an seinem hervorragend gecasteten Laien-Hauptdarsteller Thomas Turgoose. Beeindruckend verkörperte dieser den 12-jährigen Shaun. Als Außenseiter wächst er 1983 in der britischen Working-Class-Provinz mit seiner Mutter auf. Sein Vater kam beim Angriffskrieg auf den Falkland-Inseln ums Leben, in der Schule wird er gemobbt. Die Zukunft ist trist und ohne Perspektiven. Bis er auf eine Gruppe von Skinheads trifft. Shaun übernimmt ihren Dresscode (Stichwort: Fred Perry), hat Spaß, hört Reggae, Ska und Punk und ist mit ihnen (plus Punks, Mods und Goths) gemeinsam anders. Doch als der gewalttätige Combo (Stephen Graham) auftaucht und Anführer sein will, wandelt sich die Coming-of-Age-Komödie zu einem eindringlichen Sozialdrama über Rassismus und die Anfänge der rechtsradikalen National Front. Letzten Herbst kehrte Shane Meadows wieder zu seinen Figuren und Erinnerungen zurück. Gemeinsam mit Autor Jack Thorne (»Skins«) und Regisseur Thomas Harper (»The Scouting Book For Boys«) schuf er die vierteilige Miniserie »This Is England ’86« (Channel 4). 1986 angesiedelt, verbreitert sich nun der Fokus. Der Soundtrack bleibt zeitgemäß beschwingt, die Kulissen grau und grantig, werden aber komödiantischer. Der schon vertraute trockene Sozialrealismus wechselt plötzlich auch mit amüsanteren Konflikten rund um Liebe, Sex, Arbeit und Fußball. Die unfreiwillige Dreiecksbeziehung zwischen den drei älteren Skins Woody (Joe Gilgun), Lol (Vicky McLure) und Milky (Andrew Shim) rückt in den Vordergrund. Wobei die letzten zwei Episoden, bei denen Meadows selbst Regie führt, den innerfamiliären Missbrauch von Lol thematisieren. Dank überraschendem Skript, intimer Kameraarbeit und spannungsgeladener Montage entwickelt sich »This Is England ’86« am Ende zu einer außerordentlich beklemmenden Gewaltstudie. Das Klassenkino von Shane Meadows empfiehlt sich erneut, nicht nur für die nächste Leinwand, sondern auch für ein nächstes TV-Drama. Die Rave-Kultur der frühen 90er, so ließ er bereits aufhorchen, hätte seine Biografie ähnlich stark geprägt. In diesem Sinne: Rave on, mate. »This Is England ’86« ist bei Ascot Elite Home Entertainment auf zwei DVDs erschienen.
► 0 6 8 / AUSGABE 115
Bass Weight – A Dubstep Documentary ( The S R K )
von Suridh Hassan auf DVD
Kann sein, dass Regisseur Tim Sullivan, offensichtlich großer Rob-Zombie-Fan, gar nicht so falsch damit liegt, dass ein Film spätestens alle paar Minuten eine Gewalttat oder nackte Haut – meist in Form von Brüsten – braucht. Im zweiten Teil seiner Splatter-Komödie um ein paar ewig gestrige Südstaatler, die sich an den Nordstaaten rächen, indem sie Passanten umbringen und essen, hält er sich zwar an seine Regel, schafft aber trotzdem keinen zwingend unterhaltsamen Film. Das liegt in erster Linie am genauso ewig gestrigen Humor. »2001 Maniacs 2« ist Low-Budget-Trash der leider wenig sehenswerten Art – und das, obwohl Setting und Marschrichtung durchaus vielsprechend sind. 4/10 martin mühl
Die Dubstep-Doku zeigt auf authentische Art und Weise, wie dieses noch relativ junge Genre entstanden ist, wer die Protagonisten waren und sind, welche Plattenshops und Clubs von Beginn an beteiligt waren und wie sich diese Gemeinschaft aus Produzenten und DJs von Südlondon aus über den Erdball verteilt hat. Ausgehend von Croydon führen die interviewten Protagonisten die Zuseher immer tiefer in die Geschichte von Dubstep ein. Alle waren Kunden im ehemaligen Big Apple-Plattenladen, einem der zentralen Treffpunkte: Ob Skream, Benga, Mary Anne Hobbs oder Kode9. Diese und viele andere erklären ihre Sicht der Entstehung, die Verbreitung dieses Genres über Europa, Brasilien und Japan und was für sie Dubstep ausmacht. Die Experimentierfreude der jungen Produzenten, die zunächst mit der Playstation die ersten Beats schmiedeten, Samples von Filmen auf Videokasetten verwendeten und wie sich Dark Garage und dunkler 2-Step zu Dubstep verwandelte. Das alles zeigt diese Dokumentation mitten aus einem urbanen Umfeld, ohne unnötiges Halbwissen und den Hauch von Ausverkauf. 6/10 johannes piller
Bedways ( Koch)
von RP Kahl; mit Miriam Mayet, Matthias Faust, Lana Cooper auf Blu-Ray und DVD
RP Kahl dreht mit »Bedways« schon ein bisschen den ultimativen Berlin-Film. Das Schlagwort: Echter Sex vor der Kamera. Das Setting: Reduziert, dreckig aber stylisch, direkt. Nina castet Marie und Hans Alexander, mit dem sie mal fast eine Beziehung gehabt hätte, für Probeaufnahmen in einer leer stehenden Berliner Wohnung. Sie weiß, dass sie einen Film drehen will, in dem echter Sex vor der Kamera eine Rolle spielt. Welche, ist unklar. Dafür ist bald klar, dass der Film wohl niemals existieren und Nina eigentlich im Mittelpunkt stehen wird. Das alles ist aufgesetzt, klischeehaft, arty und noch vieles andere, das man leider auch mit Berlin und seinen Kreativen zwischen allen Stühlen verbindet. Aber: es funktioniert auch. Das Geschehen ist so direkt an den Darstellern, dass ihre Unsicherheiten und Zweifel sichtbar und spürbar werden. Das ergibt einen Film von seltener Intensität, die dem Erleben näher ist als dem Zusehen. An »Bedways« ist vieles offensichtlich und auf nervend billige Art gewollt, ganz vieles ist undurchdacht und schlecht erzählt – in seiner Einzigartigkeit ist »Bedways« aber sehenswert. Vielleicht auch in seinen Klischees bestätigenden Rückschlüssen über die Szene, aus der der Film kommt. 6/10 martin mühl
Königreich des Verbrechens ( Atlas Film)
von David Michôd; mit Ben Mendelsohn, Guy Pearce, James Frecheville, Jacki Weaver auf DVD
Angesichts des steten Gefühls der Bedrohung oder zumindest Unsicherheit, die »Animal Kingdom« konsequent zu erzeugen schafft, erscheint die deutsche Titelübersetzung mit »Königreich des Verbrechens« nur unzureichend. Dennoch hat es dieses australische Gewalt-Drama verdient, gesichtet zu werden. Hauptsächlich wegen der Beklemmung, die hier mit unruhigem Kameraauge und atmosphärischem Sounddesign etabliert wird. Das leicht apathische Spiel von Hauptfigur J (James Frecheville) und eigentlicher Hauptfigur Janine (Jacki Weaver) hilft ebenso über flache Figurenzeichnungen, abflachende Motive und Handlungsstränge hinweg: der aus schlechten Verhältnissen kommende Teenager J gerät in die Obhut von Großmutter und Onkeln, die ihn langsam in einen kriminellen Teufelskreis hineinziehen. Als ein Familienmitglied von der Polizei erschossen und dieser Mord gerächt wird, gerät die bedrohliche Familienstruktur aus den Fugen. »Animal Kingdom« schließt mit einem gelungenen Finale, auch wenn der Weg dorthin in der Länge etwas verblasst. 6/10 klaus buchholz
Abt. Sachbuch
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a. 115/ reZeNSiONeN
Frédéric Chaubin CCCP – Cosmic Communist Constructions Photographed
01
( TAS C H E N ) Der Bildband versucht, laut Fotograf
Miriam Gebhardt Rudolf Steiner (DVA)
in erster Linie Redner
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Miriam Gebhardt nähert sich Rudolf Steiner über seine Biografie und bettet seine Thesen in allgemeine Strömungen – informativ und letztlich meinungsstark. Sein 150. Geburtstag ist knapp vorbei, das Getöse um seine Person noch nicht ganz und im Juni kommt dann noch die Ausstellung im MAK. Unter all den Veröffentlichungen zum Thema Rudolf Steiner, Anthroposophie oder Waldorf-Pädagogik nimmt die Biografie von Miriam Gebhardt eine besondere Rolle ein. Sie nähert sich Steiner nicht über seine Lehren, Veröffentlichungen oder Vorträge, sondern über seine Biografie. Und sie bettet seine Themenfelder zeitlich in seinen Lebensablauf ein, aber auch in allgemeine Strömungen. Sie bleibt dabei immer neutral, formuliert lange so, dass sowohl Anhänger als auch Gegner oder einfach Interessierte etwas mit den Informationen und Zusammenhängen anfangen können. Erst im letzten Drittel, bei Steiners späten Themen WaldorfPädagogik und anthroposophische Landwirtschaft, wird sie stellenweise deutlich und streicht die Absurdität mancher Details heraus. Denn egal, ob man inhaltlich etwas mit seinen Lehren anfangen kann oder nicht: Manche Tatsachen ihrer Entstehung müssen zumindest skeptisch machen. Dazu gehören die Nichthinterfragbarkeit seiner Erkenntnisse durch die Behauptung, diese seien durch Hellsehen zu Steiner gelangt, die Allumfasstheit – bei Steiner steht alles im Zusammenhang und geht sich bei aller Widersprüchlichkeit in einer (!) großen Theorie aus –, die Tatsache, dass ein Großteil seiner Lehren während Vorträgen entstanden und von anderen niedergeschrieben wurden, oder auch die nicht nachvollziehbare Selbstsicht, seine Thesen seien wissenschaftlich erwiesen. Inhaltlich gibt es bei Steiner viel Absurdes (seine Ablehnung der Sexualität, …), manches Ablehnenswerte (Rassentheorie, …) aber auch Vieles, dass mittlerweile Standard in unserem Denken ist. Steiner hat hier, wie andere auch – denn viele seiner Ansichten waren zu der Zeit nicht so einzigartig, wie von ihm gerne behauptet – manches vorweggenommen, das spätestens ab den 60er Jahren zum gesellschaftlichen Mainstream wurde. Dazu gehören etwa seine Betonung der Individualität, die Rolle der Frau oder der anhaltende Bio-Trend. Wenn schon Beschäftigung mit Steiner / Waldorf / Anthroposophie, dann so wie in diesem Buch von Miriam Gebhardt. 8/10 MARTIN MüHL
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Frédéric Chaubin, ein viertes Zeitalter der Sowjetarchitektur zu definieren. Auf 300 Seiten präsentiert er 90 Gebäude, die allesamt zwischen 1970 und 1990, der Schlussphase der Sowjetunion, errichtet wurden. Sie wirken wie Zeitzeugen eines bald endenden Systems, dokumentiert mittels meist menschenleerer, romantischer Bilder. Als »Hommage an die Maßlosigkeit« gedacht, zeigen sie ein Ministerium für den Autobahnbau, das an mehrere gestapelte Brücken erinnert, ein Erholungsheim am Strand, welches von den USA während seiner Bauzeit für eine Raketenabschussrampe gehalten wurde, oder auch ein Veranstaltungszentrum, das wie eine riesige fliegende Untertasse wirkt. Die Auswahl zeigt äußerst kuriose Gebäude, die spannend, ihrer Nutzung entsprechend, aneinandergereiht sind. Die Bauten stellen Bezüge zu den vorhergehenden Strömungen der UDSSR-Architektur her: dem Konstruktivismus der 1920er Jahre, dem stalinistischen Neoklassizismus, und dem auf Produktivität und den Einsatz von Fertigteilen ausgerichteten Bauen des Wiederaufbaus. Auf geschichtliche Aspekte hätte im Buch aber deutlich mehr eingegangen werden können.
8/10 ALBERT FRISINGHELLI
Florian Klenk Früher war hier das Ende der Welt
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( Z S o L N Ay ) Seine Recherchen brachten ihn ins uk-
rainische Transkarpatien, ins Kärntner Mölltal oder in das österreichisch-tschechische Grenzgebiet: In Florian Klenks Reportagen geht es um die neuen Grenzen Europas, um Frauenhandel und das Elend von Asylwebern. Die Geschichten des stellvertretenden Chefredakteurs der Wiener Stadtzeitung Falter sind Beispiele eines Journalismus, der einen Augenblick länger hinsieht, eine Frage mehr stellt, seinen Protagonisten tatsächlich zuhört. Auch bleibt nicht verborgen, dass der Autor ausgebildeter Jurist ist: Klenk fragt in all seinen lesenswerten Stücken nach der Verantwortung des Rechtsstaats und Europas.
9/10 JUTTA SoMMERBAUER
Kevin Reagan / Steven Heller Alex Steinweiss – The inventor of The Modern Album Cover
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( TAS C H E N ) Vor Alex Steinweiss bestanden Plattenhüllen aus unbedrucktem Karton. Nur RCA Victor hatte mit Bildern bereits existierender Gemälde für die Illustration der Musik experimentiert (so wie das etwa die Deutsche Grammophon heute noch gerne tut). Aber eigens gestaltete Hüllen und Cover, bei der Schrift und Illustrationen eine Einheit bildeten, waren bis dahin unbekannt. Steinweiss führte die Moderne, den reduzierten Stil von Bauhaus, Konstruktivismus und De Stijl in die Musik ein. 1940 entwarf er die erste Hülle für eine 78er-SchellackPlatte. Und schon kurz darauf erreichte die Aufnahme der »Eroica« von Beethoven im Vergleich zum blinden Schuber fast 900 Prozent mehr Verkäufe. Steinweiss illustrierte vorwiegend Klassik, aber auch Jazz und Pop. Viele seiner Motive sind recht simpel assoziiert, dafür aber schnell und funktional. Ende der 1950er war dieser grafische Stil dann in der Krise, Fotografien gefragt; erst in den 1980er Jahren wurde Steinweiss wiederentdeckt. Dieser über 400-seitige Bildband ermöglicht nun vor allem Ansichten zurück in die Frühgeschichte von Grafikdesign und auch der Musikindustrie – für mehr als das ist der Textanteil deutlich zu gering. 7/10 STEFAN NIEDERWIESER
AU S GA B E 1 1 5 / 0 6 9 ◄
Abt. Buch Xaver Bayer Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen
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a. 115/ reZeNSiONeN
01
( J U N G UND JUNG) Der österreichische Autor lässt
seinen Ich-Erzähler in Brüssel am Flughafen sitzen, warten und erzählen. Es sind zwei verschiedene Vorgänge, die dabei zusammenspielen: meist speisen sich die Gedanken aus dem, was er sieht und er hört, doch gelegentlich kommt der losgelöste Gedanke aus dem Kopf hinzu, und dann wird es besonders spannend, rauschen diese Gedanken doch wie verglühende Kometen in den geordneten Text hinein. Bei xaver Bayer funktioniert dies, da er ein sehr reizempfänglicher Autor zu sein scheint, der regelrecht seismographisch auf seine Umwelt und auch auf sich reagieren kann. Das daraus entstehende Mosaik besticht durch eine eigenartige Schönheit: Der Autor sieht, der Autor hört und denkt, aber dennoch bleibt er in seiner Isolation zurück. In der Einzelhaft entwirft er seine Welt und schreibt sie nieder. Dazu benötigt er die passende Form. Bayer hat sich für das einzig Richtige entschieden: Eine durchgehende Erzählung ohne Punkt und ohne Absatz. Ein Werk aus einem Guss sozusagen, das von der ersten bis zur letzten Silbe durchfließt, ohne Kompromisse, aber mit viel Gefühl. Ein Kunstwerk.
9/10 MARTIN G. WANKo
Johannes Weinberger Schwarz und voller Vögel ( LU F TS C H AC H T )
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Unsichtbare Psychorealitäten introspektion in der Psychiatrie. in seinem neuen Roman geht Johannes Weinberger dorthin, wo es weh tut. in die psychotische, von Traumata gebeutelte innenwelt von Johannes Weinberger.
Absolventen des altehrwürdigen Trinity-College in Dublin sind nicht nur für die Hochliteratur bekannt. Ken Bruen ist ein hartgesottener Krimi-Autor, der neben einem Abschluss in MetaPhysik auch einiges an Lebenserfahrung aufzuweisen hat: Er unterrichtete Englisch im Fernen osten, war kurzzeitig mit einer griechische Millionärstochter verheiratet und saß ein halbes Jahr im Gefängnis von Rio de Janeiro. Nachdem seine Krimi-Reihe um den trinkfesten irischen Ermittler Jack Taylor zweifach mit dem Seamus-Award ausgezeichnet wurde, ist jetzt mit »London Boulevard« ein früheres Werk in deutscher übersetzung erschienen – eine geschmeidige Angelegenheit für Fans der ungeschönten Gangart. Gerade erst aus dem Knast heraus, bekommt Mitch bei einer ehemaligen Theaterdiva den Job als Hilfskraft angeboten, nebenbei hat er jedoch eine Geschichte als Geldeintreiber laufen und beides ist auf die Dauer kaum zu vereinbaren. Gut oder böse, wie wird sich Mitch entscheiden? Der Plot sitzt, es wird nichts psychologisiert, die alte Schule des Krimischreibens: Sehr spannend, gut abgelegen und fernab aller Tabus.
Psychiatrie-Romane – neben dem gänzlich anders gearteten »Irre« von Rainald Goetz ist Weinbergers Leidoffenbarung die eindruckvollste Klinikprosa – werfen bei der Leserschaft immer die Frage nach der autobiografischen Grundierung auf; zumeist begegnen Verlag und Autor dieser mit einer kompletten Negierung, alles sei nämlich ganz, ganz fiktional. Hier ist es (wohltuend) anders: Der in all seinem phänomenologischen Surrealismus höchst klarsichtige Erkenntnisliterat und Satzperlengenerator Weinberger analysiert den unter Ängsten, Derealisierungen und Dissoziationen sowie Wahnvorstellungen leidenden Psychiatrie- und Psychotherapiepatienten Weinberger. Doch nicht nur, auch Mitpatienten und Fachpersonal, Mutter und Vater, Exfreundin und Sohn werden schonungslosen Bezichtigungen, Empfindungen und Alpträumen unterworfen, tragen sie doch ihre unbewusste Mitschuld am Schmerz des Wahrnehmungsgestörten. In der Plastik- und Chemiewelt einer Borderline-Station wird – vom Autor herrlich grotesk referiert – in Morgenrunden und Maltherapien aneinander vorbeikommuniziert: »Ich habe gut geschlafen, sage ich, weil ich tot bin. Gratuliere, sagen die Schwester und der Pfleger im Chor.« Dennoch ist diese Schutzwabe allemal anheimelnder als das feindliche Draußen, wo man seine daueralkoholisierte Mutterhexe vögeln und töten, seinen kindheitsabsenten Vater zumindest erinnern, seine ihm Verantwortungslosigkeit vorwerfende Freundin vergessen und seinen Sohn am Luftabschnüren hindern müsste. Dort hat die Wahrheit bloß ein Auge, die Freiheit kein Gesicht, dort ist die Freiheit eine Sau, herrschen Scham, Schuld und Selbstbestrafung. Wie aber findet man nach allzu früher Entlassung aus diesem Sinn suchenden Irrsinn heraus? Den Weg zur Lastbefreiung des Patienten begleiten die surrealen Niederschriften des Schriftstellers, von Weinberger unnachahmlich absurd-komisch gedrechselte Dialoge mit dem Therapeuten, unsichtbare Psychorealitäten, Auto- und imaginierte Aggressionen, die unnachgiebige Liebe des Kindes – und eine neue sexuelle Beziehung. Wenn da nicht der hyperagitierte Gehzwang wäre … In trauma- und traumhafter Kunstsprache, die Weinberger in seiner eigenen Liga sukzessive zur höchstmöglichen Vollendung feilt, führt ein malträtiertes Emotions-Tier durch sein Egozentrum, welches ihm die ganze Welt ist – und, bei mangelnder (Selbst-)Liebe, auch die unsere sein könnte.
7/10 MARTIN G. WANKo
10/10 RoLAND STEINER
Ken Bruen London Boulevard
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( S U H R K AMP)
Lena Gorelik Lieber Mischa
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( G R A F ) Mischa, der Sohn der deutschen Schriftstellerin Lena Gorelik, ist Jude. Wie seine Eltern. Um ihn auf sein herausforderndes Leben vorzubereiten, hat sie für den Nachwuchs ein Buch geschrieben. Einen Survival-Kit für das Jüdisch-Sein in Deutschland. »Lieber Mischa« ist ein Sammlung an Kurztexten (mit Goreliks Kommentaren am Seitenrand), Namenslisten, Ratschlägen und Dialogen, die hinter ihrer Gelassenheit die Frage aufwerfen, was das Judentum in Deutschland heute ausmacht. Nicht immer ist es wichtig, Jude zu sein, aber manchmal wird es eben wichtig gemacht, und manchmal ist es einfach schön, findet Gorelik. Lockere, jüdische Lifestyle-Literatur. 8/10 JUTTA SoMMERBAUER
Stefan Kiesbye Hemmersmoor
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( T R o P E N) Was wurde über die Sümpfe und das Moor
nicht schon alles geschrieben? Allein die englischen Krimischreiber ließen seit Sir Arthur Connan Doyle wohl keine Pfütze im Moor aus, der nicht eine Grusel-
► 0 7 0 / AUSGABE 115
MEHR REVIEWS www.thegaP.at GRoSSES ARCHIV
Abt. Buch
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a. 115/ reZeNSiONeN
geschichte entstieg. Alles schien trockengelegt, bis Stefan Kiesbye kam und etwas Sonderbares mit dem Schrecken anstellt. Er beschreibt Hemmersmoor, ein kleines Nest in den unzugänglichen Sümpfen nahe der Nordsee gelegen, abgeschnitten von allem Größeren, Hamburg und Bremen glitzern hier wie ferne Sterne. In diesem Nest lässt er es spuken, das aber richtig: Er berichtet über reales Grauen, über im Moor zurückgelassene Kinder, verwirrte Erwachsene, obskure Schlossherren. Das Beängstigende und auch Faszinierende an den Geschichten liegt in ihrer Machart. Der ganze Wahnsinn, der in diesem Dorf passiert, wird ohne Moralkeule verabreicht. Ein Leben zwischen Bedürfnissen und Irrläufen. In einer erfrischenden Trockenheit, als ob er der Berichterstatter der schicksalhaften Stunden wäre, in denen so vieles passiert, schreibt der deutsche Autor die Geschichten rückblickend nieder. Schwarzweiß flackern die Lichter, in denen es im kleinen ort Hemmersmoor noch keine Fernseher gab, aber so vieles passierte – was nicht passieren hätte dürfen. Der Blick zurück sollte nicht andauern, die Vergangenheit, die einen einholt, kann mörderisch sein. 9/10 MARTIN G. WANKo
Elmore Leonard Road Dogs
05
(EICHBoRN) Stephen King meint, dass man den Ro-
man nicht weglegen könne, ohne ihn fertigzulesen, weil Elmore von der ersten Seite weg die Schrauben anziehe. Recht hat er: Hier krachen Knochen und wird geschossen, alles stets mit Stil, Witz und einem steten Hang zur inhaltlichen offensive. Der Bankräuber Foley wird vorzeitig entlassen, kurz darauf sein Kumpel Cundo. Im Gefängnis waren sie so etwas wie Road Dogs, dicke Freunde. Kaum in Freiheit, zerbricht die Freundschaft am ähnlich gestrickten Frauengeschmack. Dicker Lippenstift, High Heels, ein frustrierter FBI-Agent und eben zwei Ganoven ohne Gnade. Peng! Elmore Leonard lässt hier die Puppen tanzen, der Leser spürt die 42 Romane und unzähligen Drehbuchvorlagen, die der Autor schon im Kasten hat. Hier wird nichts ausgelassen, mal zum Todlachen, mal nagt man alle zehn Fingernägel gleichzeitig ab. Gut so!
9/10 MARTIN G. WANKo
Anna Kim invasionen des Privaten
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(DRoSCHL) Die in Südkorea geborene und in Deutschland aufgewachsene Anna Kim beschreibt in ihrer dritten Veröffentlichung die Geschichte Grönlands. In Tagebuchform erzählt Kim von ihren Begegnungen mit den Einheimischen, die Kolonial-
geschichte der Grönländer wird bei Kim zum Spiegel für Migrantenschicksale rund um den Globus. In Grönland wurde die Kultur der Inuit, einem Volk von Jägern und Fischern, sukzessive durch ihre Eroberer unterdrückt. Kim spricht hier unter anderem von einem Assimilationsprozess im Laufe der letzten Jahrzehnte, der einer regelrechten Tilgung der Inuit-Kultur entspreche. Das Grönländische wurde in den Familien und den Institutionen auf der Insel zunehmend durch das Dänische verdrängt. Kim gibt in ihrem Buch nicht nur Einblicke in die karge Schönheit dieser Insel, sondern liefert dem Leser interessante Informationen über das alltägliche Leben auf der größten Insel der Welt. Das Inuit-Schicksal spiegelt dabei gleichzeitig auch das Fremde in ihr selbst wider und bedeutet eine Reise ins eigene Ich. 6/10 LISA DREIER
Alfred Komarek Zwölf mal Polt
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(HAyMo N ) Mit Simon Polt schuf Alfred Komarek
seit 1998 in fünf Krimis eine charakterstarke und trinkfeste Person, die die Grundsätze eines vielleicht nicht so typischen Dorfpolizisten vertritt. Polt ist Kult geworden und wird hier in unterschiedlichen Situationen in Form von zwölf kurzen, ruhigen Kriminalgeschichten verfeinert. Gleich am ersten Tag der Dienstzeit am Gendarmerie-Posten wird seine Charakterstärke einer schweren Prüfung unterzogen, die ihm Respekt verschafft und nachträglich die Polt-Geschichten noch interessanter macht. Erzählt werden Episoden, von »Wie alles begann« bis »Was danach geschah«, von Löss und Baumpressen, Katzenmördern und Schmugglern an der Weinviertler Grenze. Und alle sind sie natürlich wieder dabei, die altbekannten Charaktere aus den Romanen: der Winzer Höllerbauer, die Gemischtwarenhändlerin Aloisia Habesam und natürlich Kater Czernohorsky. 7/10 JULIANE FISCHER
Andreas Pittler Tinnef
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(ECHoM E D I A ) In Fünfhaus hängt ein junger Generalstabsoffizier vom Kronleuchter. Der zuständige Polizist, David Bronstein, mag nicht so recht an einen Selbstmord glauben. Als er wenig später die Tochter eines Finanzbarons aus einer misslichen Lage befreit, nutzt dieser seine Verbindungen, um Bronstein einen Posten in der Mordkommission zuzuschanzen. Dessen Ermittlungen bringen schon bald pikante Details ans Licht, die nicht allen Beteiligten genehm sind, denn Homosexualität spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle, eine politische noch dazu. Andreas Pittler setzt seinen Kommissar
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Bronstein im vierten Teil der Krimiserie hinein in das historische Szenario von 1913, wo sich der Skandal zutrug, der 1955 von Franz Antel unter dem Titel »Spionage« mit oskar Werner und Ewald Balser verfilmt wurde. So wie sich damals der SpionageThriller von vielen operettenhaften Kaiserfilmen abhob, hebt sich auch jetzt Pittlers Krimi wohltuend von anderen ab. Wie schon in den drei vorangegangenen Teilen erschafft der Historiker ein authentisches Umfeld, was den besonderen Reiz ausmacht und einiges an Wissensanhäufung ganz unbewusst mit sich bringt. Was mit Becketts erstem Satz aus »Malone stirbt« beginnt, endet mit dem letzten von »Warten auf Godot« und mit der Entwirrung eines bis zur letzten Seite spannenden Plots. 8/10 JULIANE FISCHER
Hans Platzgumer Der Elefantenfuß
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( L I M B U S ) Der Innsbrucker Musiker (u.a. HP Zinker), Komponist und Autor beschreibt in seinem Roman über vier Erzählstränge die Vorgänge rund um die vor allem im Westen vergessene GAU-Stadt Tschernobyl im Juni 2011: Der herrschsüchtige Genfer Dozent Philippe und seine ihm hörige Freundin Soraja suchen Gott in einer devastierten Wohnung und im Reaktor, der Salzburger Biologie-Doktorand Henry degenerierte Wolfshunde, der ehemalige Kraftwerkstechniker und nunmehrige Tankstellenbetreiber Igor den Sinn in den Sternen, der GAU-überlebende Alexander sein Heil in der Selbstöffnung seines Schädels, während sich drei ukrainische Soldaten ein Wodka-Wochenende im verstrahlten Wald gönnen. Gemeinsam sind sie einige jener wenigen Menschen, die diese Unheilszone bevölkern, magisch angezogen just vom Todesnimbus, der sie im Laufe des auktorial in einem sprachlich klaren Duktus erzählten Romans zusammenführt, an einem neuerlichem GAU hindert und wieder trennt. Auch wenn der Lesefluss durch zwei auf derselben Seite fortlaufende Erzählstränge unnötig verkompliziert wird: Platzgumers Roman ist ein immens wichtiges, dabei auch über psychologisch gut gezeichnete Figuren und technische Philosophien spannend verwobenes Stück Bewusstseinsliteratur. 8/10 RoLAND STEINER
Sacha Sperling ich dich auch nicht
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( P I P E R ) Et voilà, der Romanbastard von Bret Easton
Ellis und Frédéric Beigbeder: Der 14-jährige Sacha wohnt mit seiner Mutter, einer renommierten Filmkünstlerin, in einem Pariser Nobelbezirk und besucht eine oberschichtschule. Seine Eltern hatten sich mit 17 kennengelernt, doch mit dem Slogan der freien Liebe im Becken zeugte sein Vater erst zwei Halbgeschwister, dann Sacha, den er zuweilen besucht und vom Judentum überzeugen will. In der Schule gehört der Junge zu den Coolen, die in der Markenwelt gelangweilt Spirituosen kippen, kiffen, koksen und kopulieren, um sich zu beweisen, dass sie leben. Die totale Indifferenz ändert sich erst mit der sexuellen Beziehung zum wagemutigeren, d.h. noch mehr Drogen einwerfenden Augustin. ohne Sehnsüchte und Ziele irrlichtern sie von Party zu Landhausferien und Mauritius-Urlauben, nehmen den Suizidversuch eines von Augustin verlassenen Mädchens gleichgültig hin und versinken endgültig im Sumpf aus überdruss und Ennui. Als Sacha von der Schule geschmissen und von Augustin verlassen wird, muss zum wiederholten Mal ein Psychiater den altklugen Jungen retten. Und wie zufällig wurde dieser französische Bestseller von einem 14-jährigen Filmkünstler-Sohn namens Sacha verfasst, der mit diesem Aufguss von Easton Ellis’ »Less Than Zero« der naseweisen Präpotenzija den Schockgefallen machte, sich über »die 68er« zu echauffieren, die bekanntlich Sex und Drogen erfanden.
4/10 RoLAND STEINER
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Abt. Comic Martina Lenzin rpm
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a. 115/ reZeNSiONeN
01
( R E P R o DUKT) »Rpm« von Martina Lenzin gibt uns episodenhafte Einblicke in die Welt des DIyPostpunk der 80er, inklusive Reflexionen über die Bedeutung der unabhängigen Musikproduktion von damals und heute. Das Fanzine Count01 erregt die Aufmerksamkeit der jungen Postpunk-Gruppe The Does, die ein enthusiastisches Mail an den Herausgeber Tin schreiben. Tin – selbst noch grün hinter den ohren, was Musikproduktion betrifft – sieht sich sofort in der lang ersehnten Rolle des Labelgründers und beginnt, die Indie-Karriere der Band zu planen. Aufnahmestudio, LP-Pressung, Coverdesign, Plattenladen – überall muss Tin improvisieren und meistens auch Kumpels anhauen, findet aber mit seinem Independent-Enthusiasmus bereitwillige Helfer. Alle diese Institutionen scheinen zwei Türen zu haben: eine für Mainstream und eine für DIy-Punk. Zwei Welten, die sich parallel zueinander entwickeln, sich abgrenzen, aber dann doch wieder enger verbunden sind als es den Anschein hat. In einer weiteren Erzählebene – einem Interviewszenario – lässt Lenzin die Akteure von damals noch einmal zum Musikbusiness Stellung beziehen: Der Mainstream braucht die alternativen Schienen, um auf neue Ideen zu kommen, und die Unabhängigen müssen auf Mainstream-Mechanismen zurückgreifen, sollten sie irgendwann einmal mit ihrer Musik Geld verdienen wollen. Nebenbei werden die technischen Möglichkeiten der Musikproduktion revolutioniert: Home-Recording wird schon in den 80ern machbar, dann werden auch millionenschwere HipHop- und Elektronik-Alben in Kellern produziert. Und wie sieht’s mit der Mp3-Evolution aus, dem direkten online-Verkauf von Alben ohne Label und ohne Vertrieb? »Rpm« kreist um alle diese Themen – Runde um Runde – und man glaubt fast, dass dieser Plattenteller von der zurückhaltenden überzeugung angetrieben wird, dass es nach wie vor Sinn macht, nach politischen Positionen in der Musikproduktion zu suchen. 7/10 ALExANDER KESSELRING
Joe Ollmann Mid-Life
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( D R AW N & QUARTERLy) Gibt es eigentlich eine
treffende deutsche übersetzung von Midlife Crisis? Müssen das eigentlich alle durchmachen, oder schaffen es einige, ihre paar Gehirnschrauben festzuziehen? Allen, die da durch müssen, kann nur gewünscht werden, dass sie unbeschadet am anderen Ende rauskommen, um ihren zweiten Frühling zu erleben. Und auch, dass sie auf so köstlich unterhaltsame Art und Weise darüber berichten können, wie Joe ollmann es kann. »Mid-Life« ist randvoll mit sarkastischen Kommentaren, Selbstironie und einer leicht verbitterten Weltanschauung. ollmanns semi-fiktives »Mid-Life« beginnt mit einem 40-jährigen Mann und seinem Baby, kulminiert in unterschwelliger Panik voll Lächerlichkeiten und endet mit lauwarmen Resolutionen. Wie eine echte Midlife Crisis eben.
7/10 NURI NURBACHSCH
Jim Woodring Weathercraft
03
( FA N TAGRAPHICS) Außer Rick Veitch hat es nur ein einziger amerikanischer Comic-Künstler geschafft, seine Traumwelt in ein Kultobjekt zu verwandeln: Jim Woodring. Aber anders als Veitchs »Rare Bit Fiends« sind Woodrings Arbeiten kein Traumjournal. Es sind die Halluzinationen, die er als junges Kind und gelegentlich auch in späteren Jahren hatte, durch den Filter eines spirituellen Träumers gesehen. Während Woodrings Comic-output sich zugunsten seiner Malerei verkleinert, wächst jedoch die Anerkennung für sein Werk. So sehr, dass, wenn etwas Neues erscheint, binnen kürzester
► 0 7 2 / AUSGABE 115
Carla Speed McNeil Finder: Voice ( DA R K H o R S E )
Superlativ
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Es gibt nur wenige Comic-Künstler, die mit Carla Speed McNeil mithalten können. Nur sehr wenige. Die Wiederkehr ihrer »Finder«-Serie ist Anlass für ekstatische Ausgelassenheit. Eine Beschreibung der Handlung von »Finder: Voice« ist völlig zwecklos und undienlich. Die »Finder«-Serie ist nämlich viel größer als dieses neueste Kapitel. Um das verständlich zu machen, muss hier etwas weiter ausgeholt werden: Zuallererst ist Carla Speed McNeil die wichtigste und beeindruckendste Comic-Künstlerin unserer Zeit, sowohl als Zeichnerin als auch als Autorin. Diese Behauptung vertrete ich mit größter Überzeugung, und den größten Beweis, den es dafür braucht, hat sie mit »Finder« selbst geliefert. Die Welt von »Finder« ist vollständig. Vollständig im Tolkien’schen Sinn, allerdings ohne den ganzen Beschreibungs- und Erklärungswahn, der für Mittelerde notwendig ist. Geografie, Politik, Kultur, Sprache. Nichts davon fehlt, nichts davon muss an den Haaren herbeigezogen werden, um einem Moment Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Erzählung findet in einer organischen Umgebung mit Geschichte statt. Und nicht nur darin ist »Finder« vollständig. Carla Speed McNeils Charaktere sind wie Abbilder lebender Menschen. Jede einzelne Figur verfügt über eine Historie, ein Wesen, Wünsche, Sehnsüchte, Regungen, Gedanken. In all diesen Details ist »Finder« das atemberaubendste, mitreißendste fiktive Universum, das je in Comics zu sehen war. Ihre wahre Kunst liegt aber darin, dass man für »Finder« keine zusätzlichen Erklärungen, keine Enzyklopädien braucht. Auch muss man kein Freund von Science Fiction sein, »Finder« ist so selbstverständlich in seiner Komplexität, dass die Lektüre dieser Comics wie ein Gespräch mit einem guten Bekannten, ja, vielleicht sogar einem guten Freund ist. In den einfachsten Strichen schafft McNeil es mit ihrem Stil, der expressionistisch wie realistisch, cartoonhaft wie minimalistisch ist, zwischenmenschlichen Austausch und intimes Gefühl mit berauschender Tiefe darzustellen. Plötzlich sind es keine Striche auf Papier, auch keine Symbole für Menschen, auf einmal sind da echte Personen. Man wirft einen Blick in ihr Leben und ihre Welt, begleitet sie einige Zeit. Die Dialoge und die Ereignisse sind echt – besser kann man sie gar nicht beschreiben. 1996 begann Carla Speed McNeil, »Finder« im Eigenverlag (Lightspeed Press) zu veröffentlichen. 15 Jahre und zwei Eisner-Awards später ist es zwar etwas ruhiger um die Serie geworden, doch die neue Zusammenarbeit mit Dark Horse bringt hoffentlich viele Leser mit »Finder« in Berührung. Der bekannte Kritiker Douglas Wolk wird auf der Rückseite des Einbands von »Finder: Voice« wie folgt zitiert: »McNeil is a cartoonist’s cartoonist, the kind of artist other comic professionals talk about with a little bit of awe« – dem ist nichts mehr hinzuzufügen. 10/10 NURI NURBACHSCH
Zeit und ohne großen Aufwand scheinbar alle Welt Bescheid weiß. So geschehen bei »Weathercraft«, einem weiteren surrealen Trip in Woodrings fiktives Universum, Unifactor. Ungewöhnlich leichtherzig wirkt »Weathercraft«, wo sogar der Kampf des tölpelhaften Manhog gegen den diabolischen Whim, der zu einer Realität verzerrenden Gottheit mutiert ist, sich weder bedrohlich noch bedrückend anfühlt. Ausufernde Symbolik, dichte Metaphern – für Woodring-Comics bedarf es oft eines eigenen Lexikons. »Weathercraft« mag nicht besonders hervortreten, steht den anderen Comics von Woodring aber auch nicht sonderlich nach. Solides Mittelfeld für den Vedanta-Anhänger Woodring. 6/10 NURI NURBACHSCH
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Abt. Games
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a. 115/ reZeNSiONeN
Dragon Age 2 (BIoWA R E / E A ) ; P S 3 G E T EST E T, x B ox 3 6 0 , P C ; D R AG o N AG E . B I oWA R E . C o M
Veränderung ist Leben
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Bioware lässt bei »Dragon Age 2« Action ins Rollenspiel. Ein aktueller Trend, dem einiges abzugewinnen ist. Für einen Meilenstein reicht es dennoch nicht.
073
Als 1998 »Baldur’s Gate« erschien, veränderte sich die Welt. Genauer gesagt die Welt der (PC-) Rollenspiele. Bioware, ein bis dahin weitgehend unbekannter kanadischer Entwickler, hauchte der Königsdisziplin neues Leben ein. Und nach zahlreichen Hits (»KOTOR«, »Jade Empire«, »Mass Effect«) erschien 2009 mit »Dragon Age: Origins« der geistige Nachfolger: Epische, von Blut triefende Geschichten, in denen die Welt um Rettung flehte. Nicht so in »Dragon Age 2«, hier stehen vor allem Einzelschicksale im Zentrum. Eine mutige Entscheidung, genau wie der Verzicht auf die klassische Heldenreise; bis auf die Flucht im Prolog spielt die gesamte Handlung in und um die Stadt Kirkwall. Das führt zu einem intensivierten Gameplay, da die bislang beste Bioware-Metropole immer mehr ans Herz wächst – und sich in der zehn Jahre umfassenden Rahmenhandlung laufend verändert. Abgesehen davon ist die begrenzte Spielwelt sicherlich auch ein Zugeständnis an die kurze Entwicklungszeit. Hawke heißt der neue Held. Einer, der endlich auch spricht. Das tut der Atmosphäre gut. Ebenso, dass nun in Dialogen das Antlitz der Personen im Mittelpunkt steht. Überhaupt sind viele Aspekte im Nachfolger zugänglicher – so auch Menüstruktur und Kampfsystem. Letzteres ist nun flüssig und direkt: jeder Knopfdruck – eine Aktion. Nahkämpfer dreschen auf Feinde ein, bis sie und der Boden blutgetränkt sind, während Fernkämpfer mit Bogen und Zaubersprüchen aufs Geschehen einwirken. Das fühlt sich stellenweise wie ein Hack’n’Slay an; also richtig gute Action. Im Laufe des Abenteuers steigt jedoch der taktische Anspruch, Strategen werden ausreichend gefordert. Dabei ist ist der vermeintlich neue Weg auch eine Einladung an Gelegenheitsspieler. So richtig überraschend ist das aber nicht: Auch bei »Mass Effect 2« blieb bekanntlich nur noch wenig Rollenspiel übrig – und der Titel übertraf seinen Vorgänger dennoch. Und was ist entgegenzuhalten, wenn das Gameplay zugänglicher und spaßiger ist? Sonst: Auch bei »Dragon Age 2« darf wieder geflirtet werden. Bei all den reizvollen Romanzen innerhalb der Party kann ein Begehren aber nicht gestillt werden: die Wanderslust. Rollenspieler schmerzt so etwas besonders. 8/10 STEFAN KLUGER
AU S GA B E 1 1 5 / 0 7 3 ◄
Abt. Games
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a. 115/ reZeNSiONeN
Bulletstorm
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( E A / E PIC GAMES, PEoPLE CAN FLy); P C G E T ESTET, PL AySTATIoN 3, xBox 360; W W W. B ULLETSToRM.CoM
In Zeiten, wo unzählige Ego-Shooter in die gleiche Kerbe schlagen und sich oftmals viel zu ernst nehmen, erscheint »Bulletstorm« wie eine offenbarung: abgedrehte Gegner und Waffen, derber Humor und ein Skill-System, das zu übertriebener Brutalität motiviert. Als Belohnung winken Punkte, die in Waffen-Upgrades und Munition investiert werden. Dafür müssen Gegner auf möglichst skurrile Art und Weise in ihre Einzelteile zerlegt werden: die sogenannten Killshots, die im Spiel genau beschrieben werden. Das ist so herrlich übertrieben – eine Freude! Und schlechtes Gewissen kein Thema. Zu schade aber, dass die Entwickler bei der Story weniger kreativ waren. Die KI der Feinde darf getrost als unterdurchschnittlich bezeichnet werden. Demgegenüber stehen die packende Inszenierung und hervorragend designte Bosskämpfe. Bringt das mittlerweile öde Genre um einiges weiter als alle Fortsetzungen von »Call of Duty: Modern Warfare« zusammen. In diesem Sinne: Kill with skill! 8/10 STEFAN KLUGER
Fight Night Champion
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( E L ECT RoNIC ARTS); xBox 360 G E T ESTET, PS3; WWW.EA.CoM/FIGHT-NIGHT
Grafik, Sound, Umfang, Steuerung: hier stimmt einfach alles. Der Anspruch einer physisch glaubwürdigen Boxsimulation wird trotzdem nicht vollständig erfüllt. 8/10 STEFAN KLUGER
Homefront
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( K Ao S / THQ); xBox 360 GETESTET, P S 3 , P C; WWW.HoMEFRoNT-GAME.CoM
Games sind Produkte einer Kulturtechnik und dürfen sich grundsätzlich inhaltlich beinahe alles erlauben. Auch Story-Settings in Shootern, die dann unsympathisch bierernst vermarktet werden. »Homefront« spielt im Jahr 2027, nachdem die USA von einem Groß-Koreanischen Reich angegriffen wurden. Die Vereinigten Staaten sind auf eigenem Territorium besetzt und müssen sich zur Wehr setzen. Das Setting ist düster, wird trocken erzählt und der Spieler eher einfallslos emotionalisiert, indem
etwa Kinder zusehen müssen, wie die Eltern von den Besatzern erschossen werden. Die Single-Player-Kampagne profitiert aber trotzdem vom Setting – sie ist zwar kurz, erlaubt sich dann aber durchaus differenzierende Details. Etwa eine Mitkämpferin, die gegen die blutrünstigen Aussagen eines Kameraden zumindest anredet oder eine Mission, in der Landsleute bekämpft werden müssen, die ob der Besatzung alle Regeln des Zusammenlebens über Bord geworfen haben. Technisch bietet die Action leider gerade mal bekannten Shooter-Standard und hätte etwa in Sachen Scripting noch Feinschliff vertragen. Der extern entwickelte Multiplayer überzeugt hier mehr. 6/10 MARTIN MüHL
Killzone 3
04
(GUERILL A / SoN y ) ; P S 3 ; 3 D, M oV E ; WWW.KILLZoNE . C o M
»Killzone 3« ist nicht nur wichtig, weil es der neueste Teil von Sonys hauseigener Shooter-Reihe ist. Der Titel soll auch die Bewegungssteuerung Move und 3D breiterer Nutzung zuführen. Ersteres gelingt nach ein wenig Eingewöhnung. 3D hingegen sieht zwar auch im Fall von »Killzone 3« überzeugend aus – macht das Spiel aber, wie in Shootern immer wieder, sicher nicht besser spielbar. Gameplaytechnisch bietet der Prestige-Shooter die gewohnte Action, ziemlich gelungen ist der neue Variantenreichtum bei den Settings. »Killzone 3« folgt dem Bigger-Better-More-Prinzip und wird vor allem Fans der Serie gefallen. 8/10 MARTIN MüHL
Motorstorm Apocalypse (SoNy); PS3; 3D ; WWW.MoToRSTo R M . C o M
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»Motorstorm Apocalypse« spielt in einem von einem Erdbeben zerstörten, urbanen Gebiet. Die Parallelen zur aktuellen Situation in Japan sind vorhanden, in dieser Hinsicht gerade von Sony aber ganz sicher nicht beabsichtigt. Als Spiel löst der Titel dafür alle Versprechen ein: Es regiert das Chaos, auf Streckenverläufe ist kein Verlass und Rennspiele wie dieses machen in 3D so richtig Freude. Der Wille zur Zerstörung wird hier noch mal deutlich kompromissloser ausgelebt als etwa bei »Split/ Second« – dafür muss man als Spieler damit leben,
dass man dieses Chaos nie ganz beherrschen wird. Selbst erfahrene Spieler erleben immer wieder überraschungen. Dadurch wird das Spiel schwer und es kommt schon mal zu Frust-Momenten. Genau das macht aber den Reiz von »Motorstorm« mitunter aus. 8/10 MARTIN MüHL
The Next Big Thing
06
( P E N D U Lo ST U D I o S / C R I M S o N C oW ) ; P C ; W W W. P E N D U Lo ST U D I o S . C o M
Die Pendulo Studios bleiben nach der »Runaway«Trilogie ihrem Stil treu. Auch in »The Next Big Thing« schmeicheln feine handgezeichnete Figuren und Hintergründe dem Auge. Erzählerisch betreten die Entwickler allerdings Neuland – und bieten ein erfrischend unverbrauchtes Alternativ-Szenario: USA, 1950er Jahre, Monster und Menschen leben Tür an Tür. Ganz recht, echte Monster. Und die fristen nicht zwingend ein ärmliches Dasein. Manche von ihnen sind richtige Stars, denn die Filmbranche besetzt Horrorfilme neuerdings mit echten Ungeheuern. Protagonisten des klassischen Point‘n‘Click-Adventures sind zwei Zeitungsjournalisten, der selbstverliebte Frauenschwarm Dan Murray sowie die ambitionierte und exzentrische Liz Allaire. Schon bald kommen die beiden einer Verschwörung auf die Spur. Nur gemeinsam können sie ihre nächste große Story ergattern. Dumm nur, dass sie sich gegenseitig ordentlich auf die Nerven gehen. Während Dan bloß an Frauen und Sport interessiert ist und gerne mit einflussreichen Persönlichkeiten an der Bar abhängt, gehen bei Liz Intelligenz und kognitive Fehlleistung Hand in Hand. Hier ist eben nichts normal. Auch nicht der Humor, und von dem gibt es reichlich. Die Rätsel mögen nicht sonderlich komplex und fordernd, die Spielzeit nicht lang sein. »The Next Big Thing« ist dafür originell und lustig. So lustig, dass es manchmal weh tut. 9/10 STEFAN KLUGER
Pixeljunk Shooter 2
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( Q - GA M ES / S o N y ) ; P S 3 ; P I x E L J U N K . J P
»Pixeljunk Shooter 2« setzt nicht nur die Story des Vorgängers fort, sondern auch den Schwierigkeitsgrad. Also unbedingt Teil 1 zuerst spielen! 8/10 NIKo ACHERER
Sega Dreamcast Collection
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(SEGA); xBox 360 (GETESTET), PC; WWW.SEGA.CoM/GAMES/DREAMCAST-CoLLECTIoN
Sega Dreamcast-Spieleklassiker für moderne Plattformen. »Sonic Adventure« und »Crazy Taxi« machen immer noch Spaß, »Sega Bass Fishing« und das Tanzspiel »Space Channel 5 Part 2« auch heute nicht wirklich. 5/10 LISA DITTLBACHER
Top Spin 4 01
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( 2 K ) ; x B ox G E T EST E T, P S 3 ; 3 D, M oV E ;
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Die ersten beiden »Top Spin«-Games waren Weltklasse, mit dem dritten wollten die Entwickler der Bezeichnung Tennis-Simulation gerecht werden, vergaßen aber ein wenig auf den Spielspaß. Teil Vier nun wurde von einem neuen Team – den »Mafia II«-Machern von 2K Czech – entwickelt und trifft genau. Das Spiel ist eindeutig simulationslastig und so manche Action-Einlage des Mitbewerbs wird man hier nicht zu sehen bekommen. Entscheidend ist dabei nach wie vor das Schlagtiming, an das man sich erst einmal gewöhnen muss, im Zusammenspiel mit der Spielerposition. »Top Spin 4« macht aber auch so richtig Freude und Spaß. PS3-Spieler kommen darüber hinaus in den Genuss der MoveSteuerung und 3D ist auch mit im Paket und kommt bei einem Tennis-Spiel wenig überraschend gut an. Der Titel übertrifft damit so manch hohe Erwartung und die derzeit wohl beste Wahl für Tennis-Freunde. 8/10 MARTIN MüHL
► 0 74 / AUSGABE 115
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poolbar style & architektur Wettbewerbe: Votings jetzt! Die Ausschreibungen der Wettbewerbe in den Bereichen Architektur und Mode sind abgeschlossen - jetzt geht´s darum, wer die Publikumspreise erhält. Die Galerien zu beiden Wettbewerben samt Votingmöglichkeit sind jetzt online. poolbar in Wien: 19.5. - 22.5. poolbar in Feldkirch: 1.7. - 15.8. Wer´s genau wissen will: www.poolbar.at
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James Blake hat die Kremser Minoritenkirche ratzeputz ausverkauft. am 28.4. ist das post-Dubstep-wunderkind live zu sehen.
DONAUFESTIVAL
Wohl selten waren beim Donaufestival die Karten so schnell weg wie für den Abend mit James Blake. Der hübsche Post-Dubstep-Bube ist mit seinem Debütalbum omnipräsent in einer an Hypes reichen, aber an Konsens armen Musikzeit. Für sein Konzert in der Minoritenkirche werden sich wohl selbst Promis hinten anstellen müssen. Post-Dubstep, Migrations-Elektronik, Kindertotenlieder-Metal, eine Vinyl-Rally, Performances, Installationen – das Donaufestival wird auch im siebten Jahr wieder zum Anziehungspunkt für Querköpfe aus ganz Europa. Jonathan Meese, Elke Krystufek, John Cale, Laurie Anderson, owen Palett, Lydia Lunch, Diplo … das Programm ist reich an höchst renommierten Acts, abseits und diesseits der internationalen Popmusik-Avantgarde. 28. aPril – 07. mai diverse Locations, Krems
FreischwimmerFestival 2011
Rückzug ins Öffentliche
Mit Verena Billinger & Sebastian Schulz, Chuck Morris, Alex Deutinger und Marta Navaridas, Institut für Hybridforschung, Laura Kalauz & Martin Schick, Lovefuckers, mariamagdalena und Gäste und Barbara Ungepflegt
Tickets und Information • Tel.: +43 (0) 1 587 05 04
Koproduktionshaus Wien GmbH, Karlsplatz 5, 1010 Wien
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Ginga Live
POPFEST
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»Eine Idee des Popfests ist es, heimische Bands aus dem Ghetto des Vorband-Slots herauszuholen«, erklärt Popfest-Chefkurator Robert Rotifer. Diese Idee zieht sich auch im zweiten Jahr als roter Faden durch das Programm. Davon abgesehen, dass sich das viertägige Fest auch heuer wieder terminlich mit dem einige Kilometer weiter westlich gelegenen Donaufestival überschneidet, darf man sich über gestiegene Unterstützung durch die Stadt Wien freuen und bereits im vorhinein Pluspunkte austeilen. Acts wie Ginga, Gustav oder Skero sind bereits bestätigt. Pop Made in Vienna muss sich sehen lassen! 05. – 08. mai Karlsplatz, Wien
TBA Love Club ft. Mirrors
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Kraftwerk, Hot Chip und Hurts sind nur einige der Referenzen, die von den Mirrors aus Brighton angegeben werden. Ihre Verarbeitung dieser Einflüsse nennen sie »Electronic Soul«. Bei einer neuen Runde des TBA Love Club präsentieren sie ihr Debütalbum »Lights Ands Offerings«, produziert von The Rapture-Mann J. Kreinik. Nicht schlecht für eine weitere viel versprechende Band aus Brighton. Vielleicht liegt das an der Meeresluft. 23. April Badeschiff, Wien
Eastern Conference
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Die Eastern Conference ist mittlerweile Institution. Jeden Sommer wird im Freien gefeiert und die Fluc Wanne mit hunderten Feieranten angefüllt. Zu Ostern lädt man zur 2-Jahresfeier der renommierten Partyreihe. Drei frische DJ-Paarungen haben sich zusammengefunden, um die Wände der Fluc Wanne mit Bässen auszukleiden und frische Ostereier mit State-of-theArt-Techno anzupecken. Die DJs heißen Anna Leiser, Dr. Blake, Laminat, Mischa, Moogle und Slick. Alle sind sie mit feinsten Tracks und ebensolchen Skills vorbelastet. Visuals kommen von Bildwerk. 22. April Fluc Wanne, Wien
Architecture In Helsinki
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Vielleicht wissen es noch nicht alle: Architecture In Helsinki haben mit der finnischen Hauptstadt so viel gemein wie Dietmar Constantini mit modernem Fußball. Vielmehr stammt die fünfköpfige Band aus Melbourne, macht großartig avantgardistischen Indie-Pop im Kollektiv. Dringend empfohlen sei an dieser Stelle ihr Überdrüber-Hit »Heart It Races« auf ihrem 2007 erschienenen Album »Places Like This«, der sich auch vier Jahre später noch als Ohrwurm durch die Gehörgänge frisst. Darüber hinaus beweist die Band bei jedem liebevoll gestalteten Cover ihrer CDs vor allem eines: Musik liegt auch im Auge des Betrachters. 21. April WUK, Wien
Lisa Germano
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Sie hat schon mit vielen der ganz Großen in der Popmusik zusammengearbeitet: David Bowie, Iggy Pop, Sheryl Crow, den Simple Minds oder OP8. Mit Lisa Germano kommt eine behutsame Songwriterin in das einzigartige Ambiente des ORF-Radiokulturhaus. 26. April Radiokulturhaus, Wien
Chikinki
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Electro-Pop aus Bristol mit Ach und Krach. Diese fünf Quälgeister mit übermäßig aufgedrehten Keyboards erinnern entfernt an quicklebendige Kasperln, die aber immerhin anständige Musik zustande bringen. In Berlin haben sie mal mit Tiefschwarz herumgewerkt. Vielleicht daher der Titel des brandneuen Albums »Bitten«? Die passende Band für eine Kindergeburtstagsparty! 19. Mai PPC20, Graz 20. Mai Weekender Club, Innsbruck 21. Mai Rockhouse, Salzburg 25. Juni Donauinselfest FM4-Stage, Wien 04. August Szene Openair, Lustenau
Arcade Fire
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Ein Song dieser grandiosen Pop-Melancholiker aus dem kanadischen Montreal lautet »We Used To Wait«. Man kann davon ausgehen, dass bei Terminbekanntgabe jedem Arcade Fire-Fan sofort jene vier Worte ins Hirn geschossen sind. Jedenfalls ist es natürlich höchst an der Zeit, dass die Band rund um Win Butler endlich wieder nach Österreich gebucht wurde. Im Gepäck: das gefeierte Album »The Suburbs«. 22. Juni Wiesen
Seewiesenfest Warm-up-Party
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Was soll man zum Seewiesenfest noch sagen? Jedes Jahr gelingt es dem Team rund um den Verein Frikulum ein nettes (»nett« hier nicht im Sinne von die Schwester von Scheiße!), kleines Fest auf die Beine zu stellen. Das Festgelände befindet sich in der Nähe eines Flusses mitten in der Natur irgendwo im oberösterreichischen Ennstal, ein Umstand, der dazu beiträgt, sich auf den Sommer einzustellen. Als Einstieg sozusagen lädt die Frikulum-Crew bereits im April ein, wenngleich dieses Ereignis in den engen Katakomben des B72 stattfindet. Also auch irgendwie Natur. 09. April B72, Wien
Snowbombing
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Wenn Dizzee Rascal eine Veranstaltung als »Ibiza in the snow« bezeichnet, handelt es sich hierbei ziemlich sicher um das Snowbombing im Tiroler Zillertal. Auch wenn man als Sommerliebhaber eine Snowboard-Party im April nur bedingt nachvollziehen kann, spricht das Line-up definitiv für einen Besuch in den Bergen. Acts wie The Prodigy, Fatboy Slim, 2manyDJs, aber auch gehypte Newcomer wie Jamie Woon oder Summer Camp werden Liebhaber elektronischer Musik in die Party-Talstation locken. 04. – 09. April Festivalgelände, Mayrhofen
jeunesse jazz+ experimental 08.04.
Termine Kultur
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27.04.
08.04. Trio Amos
Fr | 20:00 : neue.musik : Porgy & Bess | Riemergasse 11 | 1010 Wien Sylvie Lacroix Flöte Michael Moser Violoncello Krassimir Sterev Akkordeon Bernhard Langs »Differenz/Wiederholung 3«, Uraufführungen von Sivan Cohen-Elias und Uday Krishnakumar und neue Werke von Jean-Baptiste Marchand und Reinhard Fuchs.
Wolfgang Reisinger 27.04. »Electric Miles« Mi | 20:00 : jazz : Porgy & Bess | Riemergasse 11 | 1010 Wien
Andy Middleton Saxophon | Pjotr Vojtasik Trompete Raphael Preuschl E-Bass | Clemens Wenger Keyboard, Computer | John Schröder Gitarre, E-Piano, Orgel Ingrid Oberkanins Perkussion | Wolfgang Reisinger Schlagzeug, Elektronik, Arrangement Auf den Spuren von Miles Davis: In »Electric Miles« bezieht sich Wolfgang Reisinger auf die musikalische Entwicklung, die Davis mit seinen Alben von »Bitches Brew« bis »Pangaea« gesetzt hat.
wenn sie erst einmal ausgestopft sind, sind Haie auf dem Flur eines Fluchtwegs recht niedliche Zeitgenossen.
Klaus Pichler: Skeletons in the Closet
Klaus Pichler wagt einen fotografischen Blick hinter die Kulissen eines naturkundlichen Museumsbetriebs. In seiner Fotoausstellung werden die verborgenen Räume des Museums und deren Inhalte erkundet. Er zeigt Museen als Stätten der Wissensspeicherung und -produktion. eröFFnung: Donnerstag, 14. aPril, 19 uhr; ausstellung: 15. aPril – 11. juni Anika Handelt Galerie, Wien; www.anikahandelt.com
NICE PRICE! <26 Jahre 10,– EUR Vollpreis 17,– EUR
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jazz
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neue musik kinderkonzerte
(01) 505 63 56
www.jeunesse.at
What’s Up Vienna! What’s Up Montreal!
Zwei Städte und deren kreativer Austausch in Sachen Film und Musik stehen im Zentrum dieses Festivals. Zur Eröffnung präsentieren die Filmemacher Daïchi Saïto und Karl Lemieux aus Montreal erstmalig ihre experimentellen Film-Arbeiten in österreich. Auch verstörende Live-Performances stehen auf dem Festival-Programm. eröFFnung: 08. mai, 20.30 uhr; ausstellung: 08. – 10. mai Filmmuseum/ Echoraum, Wien; www.whatsupviennawhatsupmontreal.net
Thomas Zipp
Der deutsche Künstler Thomas Zipp verwandelt den Kunstraum Innsbruck in einen ort der Ekstase und Bewusstseinserweiterung. Ein Ambiente aus Skulpturen, Zeichnungen, Bildern, Hammondorgeln und objekten wird hier in einer Art Kapelle mit Bänken und Beichtstühlen arrangiert und mittels Musik und Performance zum Leben erweckt. eröFFnung: 02. aPril, 19.00 uhr; ausstellung: 03. aPril – 28. mai Kunstraum Innsbruck; www.kunstraum-innsbruck.at
Kilo
feat. Laokoongruppe & Benedikt Leitner DJ-Line designed by John Megill
28.04.
Donnerstag | 20:00 Einlass | 21:00 Beginn Badeschiff Wien | Eintritt Euro 5,–
Alternate Reality Games: Ansichten eines Puppet Masters
Der Vortrag bei den Nerds von Subotron lüftet den Schleier hinter Alternate Reality Games. Ein Spielexperte und ein Puppet Master sprechen über die Erfahrungen mit dieser Art von virtuellen Spielen, die dem Spieler neue Identitäten ohne Verkleidung ermöglichen. vortrag: 15. aPril Quartier 21, Raum D, Wien; www.subotron.com
»Der Prozess« im TAG
Gernot Plass holt Kafkas bekannten Roman »Der Prozess« ins Hier und Jetzt. Frei nach der Erzählung wird die Geschichte eines einfachen Angestellten, der eines Morgens aus unerklärlichen Gründen verhaftet wird und in einem Labyrinth der Institutionen und Paragraphen erstickt, auf die Bühne des TAG gebracht. Premiere: 27. aPril, 20 uhr Theater an der Gumpendorfer Straße, Wien; www.dastag.at
www.jeunesse.at | (01) 505 63 56
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Termine Galerien
REDAktion Stefan Tasch
HIGHLIGHTS APRIL / MAI DI. 12.4. 20:00 | LITERATURSALO
N
JANNE TELLER (DK): NICHTS. WAS IM LEBEN WICHTIG IST DO. 14.4. 20:00 | TANZTAGE 2011
CARTE BLANCHE COMPANY (NOR): LOVE / KILLER PIG
»In dieser großen Zeit«, 2011, Video, 10 min, Loop
»Hai«, 2006, Klebeband, Karton, Plastikflaschen, Gips, Nylonschnur, 44 × 35 × 18 cm
Julien Bismuth
Wendelin Pressl
Arbeiten des 1973 in Paris geborenen Künstlers Julien Bismuth werden derzeit sowohl in der »Gesellschaft für aktuelle Kunst Bremen« (GAK) als auch in Wien gezeigt. Die multimedialen Installationen, die Collagen und Videos ebenso beinhalten wie Fotografien und Audiostücke, thematisieren Unzulänglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks genauso wie literarische Texte. In der hier abgebildeten Arbeit »In dieser großen Zeit« lässt Bismuth in einem Video-Loop einen Bauchredner Textauszüge aus dem gleichnamigen Aufsatz von Karl Kraus aus dem Jahr 1914 sprechen. Die Sprachlosigkeit des Schreibens, die Kraus angesichts der tendenziösen Kriegsberichterstattung empfand, und sein Ärger über die Presse waren damals ausschlaggebend für die Veröffentlichung des Texts in »Die Fackel«. In diesem Sinne: »Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!«
Mit Eröffnung der Galerientage in Graz werden Arbeiten des 1971 in der Steiermark geborenen Künstlers Wendelin Pressl in der Galerie Eugen Lendl präsentiert. Feldforschung und kartografische Zeichentheorie bilden dabei den Schwerpunkt und werden in Form von Fotografien, Malereien, Zeichnungen, Collagen und Objekten in einem größeren Zusammenhang untersucht. Im Rahmen des Budapest-Stipendiums der Stadt Wien entwickelte Pressl auch die hier abgebildete Arbeit »Hai«, die er in der Donau aussetzte und für längere Zeit bedrohliche Kreise ziehen ließ. Die Anspielung auf die damals in Budapest umherjagenden Immobilienhaie ist dabei nur eine Facette und behandelt darüber hinaus auch Fragen über die Konstruktionsmethoden von Fake, Illusion und Realität.
GALERIE EMANUEL LAYR An der Hülben 2, 1010 Wien Bis 07. Mai
GALERIE EUGEN LENDL Bürgergasse 4/1, 8010 Graz 08. April bis 21. Mai
FR. 15.4. 20:00 | TANZTAGE 2011
ICELAND DANCE COMPANY (IS): STATION GRAY – LAST STOP / GROSSSTADTSAFARI DI. 19.4. 20:00 | INDIE-ROCK
THIS IS HEAD
MI. 20.4. 20:00 | TANZTAGE 2011
SHOBANA JEYASINGH DANCE COMPANY (GB): BRUISE BLOOD / FAULTLINE DO. 21.4. 20:00 | INDIE / ALTERNATIV
E
GINGA / I AM CEREALS / SEN LOTUS: INDIE-NATIVE # 7 FR. 29.4. 20:00 | METAL
WIEN CHARIM GALERIE Dorotheergasse 12/1, 1010 Wien 07. April bis 07. Mai Lisl Ponger
NIEDERÖSTERREICH GALERIE AM LIEGLWEG Lieglweg 23, 3040 Neulengbach Bis 08. Mai Christian Muthspiel
DANA CHARKASI Fleischmarkt 11, Griechenbeisl-Haus, 1010 Wien Bis 04. Mai Karl Karner. Alan Grünspan
OBERÖSTERREICH GALERIE 422 MARGUND LÖSSL An der Traunbrücke 9-11, 4810 Gmunden Bis 29. Mai Hans Kupelwieser / Rudi Stanzel SALZBURG GALERIE THADDAEUS ROPAC Mirabellplatz 2, 5020 Salzburg 14. April bis 18. Juni Terence Koh
GALERIE CHOBOT Domgasse 6, 1010 Wien Bis 21. April Wander Bertoni GALERIE ANDREAS HUBER Schleifmühlgasse 6-8, 1040 Wien Bis 07. Mai Daniel Lergon. 3000K GALERIE MEZZANIN Getreidemarkt 14/Eschenbachgasse, 1010 Wien Bis 30. April Marzena Nowak GALERIE NÄCHST ST. STEPHAN ROSEMARIE SCHWARZWÄLDER Grünangergasse 1 / 2, 1010 Wien Bis 30. April Adrian Schiess GABRIELE SENN GALERIE Schleifmühlgasse 1A, 1040 Wien Bis 30. April Barbara Mungenast GALERIE HUBERT WINTER Breite Gasse 17, 1070 Wien Bis 07. Mai Mary Ellen Carroll
TIROL GALERIE ELISABETH & KLAUS THOMAN Maria-Theresien-Strasse 34, 6020 Innsbruck Bis 14. Mai Christoph Hinterhuber VORARLBERG GALERIE FEURSTEIN Johannitergasse 6, 6800 Feldkirch Bis 28. Mai Elisabeth Vary STEIERMARK GALERIENTAGE Aktuelle Kunst in Graz www.galerientage-graz.at 08. April bis 10. April KÄRNTEN WHITE 8 / VILLACH Widmanngasse 8, 9500 Villach 15. April bis 10. Juni Maximilian Haidacher
CHILDREN OF BODOM / ENSIFERUM / MACHINAE SUPREMACY SA. 30.4. 20:00 | HIPHOP
PRINZ PI / GERARD MC MI. 4.5. 20:00 | COMEDY
REBECCA CARRINGTON & COLIN BROWN (UK): MIT SCHIRM, CHARME & CELLONE FR. 6.5. 20:00 | COMEDY
THEATRE DU PAIN (D): URLAUB VOM TRAUMA MI. 11.5. 20:00 | GITARRENKONZE
RT
ANDY MCKEE / DAVID LINDORFER FR. 13.5. 20:00 | FOLK-PUNK
ATTWENGER: CD-PRÄSENTATION
Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstr. 43, A-4020 Linz Info + Tickets: Fon: 0732 / 78 18 00 www.posthof.at
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Termine Festivals
4 Fragen an
Marlies Wirth MAK Nite-Kuratorin
Bunt leuchtende Oberflächen, hell blinkende LEDs und Controller aus der Zukunft – so sehen die aktuellen Dynamiken in interkulturellen wie auch interaktiven Kunst- und Medienlandschaften aus.
Playface Intercult
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Eine Ausstellung, die spielerisch an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine agiert und deren Evolutionen befragt. »PlayFace InterCult« ist Teil des Jubiläumsprogramms zum zehnjährigen Bestehen des Museumsquartier Wien und präsentiert Projekte des »Interface Culture Lab« der Kunstuniversität Linz und junge Medienkunst aus der Türkei. Georg Russegger, Kurator, Künstler sowie Medien- und Kommunikationswissenschaftler, erklärt dazu: »Die Ausstellung konzentriert sich auf neue künstlerische Praktiken und spielerische Interaktionsfelder an der Schnittstelle von Kunst, Technologie und Design.« Neben ihm sind noch Martin Kaltenbrunner und Ekmel Ertan für die Auswahl der teilnehmenden Künstler zuständig. Alle Exponate sind interaktiv gestaltet und somit von den Besuchern direkt erfahrbar, das Rahmenprogramm mit Workshops und Lectures rundet die Ausstellung ab. Ein wichtiger wie auch richtiger Schritt, um die neuen Formen der digitalen Medien begreifbar(er) zu machen.
21. 1 April – 8. Mai Freiraum Quartier21 International, Wien www.mak.at/maknite popfest2011_ins_gap_420x19_b_ 29.03.11 21:46 Seite
5–8 Mai Karlsplatz
bild GML RECORDING MACHINE © vw Muharrem Yıldırım & Aytaç Kanacı
Kann man sich als Artist für die MAK Nite auch bewerben? Ja, das kann man tatsächlich (unter maknite@mak.at). Wenn Projektideen für die MAK Nite interessant sind, führe ich Gespräche mit den Künstlern und lade sie ein, einen Abend zu gestalten. Warum findet die MAK Nite nicht immer jeden Dienstag statt? Der Begriff MAK Nite wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen, ursprünglich nur als verlängerte Öffnungszeit des Museums abends an einem Wochentag (was später nahezu jede Institution aufgegriffen hat). Mit der Ausweitung der Öffnungszeiten bis Mitternacht kam auch die Idee, diesen Abend speziell zu bespielen. An Dienstagabenden werden im MAK aber auch die Ausstellungen eröffnet, daher finden die Events im Rahmen der MAK Nite nur an ausgewählten Dienstagen statt. Wonach richtet es sich, ob der alte Flakturm im Arenbergpark bespielt wird oder nicht? Das MAK-Gegenwartskunstdepot Gefechtsturm Arenbergpark ist ein spezieller und auch herausfordernder Ort. Die Projekte, die dort verwirklicht werden, stehen immer auch in Verbindung mit dem Ort, der Sammlung, der Geschichte und/oder der Architektur des Flakturms. Aus budgetären Gründen kann der Gefechtsturm für Besucher leider nur viermal im Jahr, zweimal im Frühling, zweimal im Herbst, bespielt werden. Es scheint, als wäre die MAK Nite früher partylastiger gewesen und hätte sich in letzter Zeit in Richtung Performance entwickelt … Die Konzeption der MAK Nite bietet sich für performative Kunstformen an, es werden aber auch Projekte aus Mode, Design, Film/ Video, Installation und Sound/Musik umgesetzt. Die MAK Nite ist und war ein Experimentierfeld für zeitgenössische, vor allem junge Kunstschaffende. Partyatmosphäre gibt es aber immer wieder – das hängt vom jeweiligen Projekt und Publikum ab!
NUMBER
So viel Euro kostet ein Ticket für das Springfestival mit allen Konzerten und allen Sessions – die natürlich hochkarätigst besetzt sind. Damit ist das Springfestival das möglicherweise teuerste Popfestival österreichs geworden (vielleicht noch mit Ausnahme der Conventions der Rosenkreuzer und der Rotarier). Wir gratulieren. Shoppingparadies für Kunstsammler? Mit dem Einkaufswagen geht’s zur Viennafair.
VIENNAFAIR
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Bereits zum siebten Mal findet heuer die internationale Kunstmesse Viennafair statt. Angefangen bei dem subtil veränderten Logo über eine grundlegende Neugestaltung der Messearchitektur bis hin zu einer Erweiterung der Aussteller mit einem Schwerpunkt auf Künstler und Galerien aus dem zentral- und südosteuropäischen Raum ist bis auf den Standort fast alles neu. In Kooperation mit dem Architekten Johannes Posch wurde ein flexibles Standsystem entwickelt, das die Urbanität in den Vordergrund rücken lässt und sich von den internationalen Kojenmessen grundlegend unterscheidet. Die Viennafair versteht sich außerdem als Sprungbrett für heimische als auch internationale Galerien, bei dem neue Marktchancen durch Informations- und Verkaufspartnerschaften zunehmend etabliert werden. Vorträge, Hintergrundgespräche und Aktivitäten außerhalb der Messeöffnungszeiten machen die Viennafair zu einem wichtigen Ereignis für zeitgenössische Kunst aus dem Zentrum Europas. 12. – 15. mai Messe Wien
Erstes Wiener 3D-Film Festival
Der Schwerpunkt liegt dabei auf Produktionen zwischen den 1950er und 1980er Jahren. Präsentiert werden bis dato in 3D ungezeigte Filmklassiker von Alfred Hitchcock, Jack Arnold, Andy Warhol uvm. 06. – 12. mai Votivkino, Wien
BILD REED ExHIBITIoNS MESSE WIEN, URBAN CoW
Viertelfestival NÖ Industrieviertel
Unter dem Motto »Industrie – Utopie« wird dieses Jahr im Industrieviertel von Niederösterreich ein facettenreiches Programm aus insgesamt 71 Kunst- und Kulturprojekten realisiert. Museum im Theater, utopische Klangwelten und das Abenteuer Industrie locken zum Vorbeischauen und Mitmachen. 07. mai – 07. august diverse Locations, NÖ
chikinkis haben sich wohl nicht lange bitten lassen, um unterhalb der Nordkette ihr neues album in diesem ambiente präsentieren zu dürfen.
SOUNDCITY FESTIVAL
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In die siebte Runde geht auch das Soundcity Festival in Innsbruck. Eine Nacht lang wird die olympiastadt Innsbruck zur Partymeile für Tanzfreudige und Musikbegeisterte. Mit einem Ticket kommen die Besucher in vierzehn Clubs, die ein stimmiges wie auch zeitgemäßes Line-up vorweisen: Neben den Briten Chikinki, dem Duo Synchron aus Hamburg und einem Block Party-DJ-Set werden der heimische obercrooner Louie Austen und andere nationale Größen die Stadt in den Alpen mit Festivalfeeling versorgen. Vom Franziskanerplatz aus, wo sich die Festivalzentrale mit dem zentralen Ticketverkauf befindet, geht es dann über Stadtsaal und Weekender bis ins Project und Treibhaus – um ein paar der bekanntesten Locations zu erwähnen. Bleibt nur die Frage offen, ob 2012 die Bässe auch von der Nordkette ins Tal schallen werden. 20. mai diverse Locations, Innsbruck
karlsplatz.org
und
www.popfest.at präsentieren
Young Lions Festival Day
Am 14. Mai werden die Gewinner bei den young Lions, dem Wettbewerb für junge Werber, bekannt gegeben, Preise verliehen, Tränen getrocknet und gleichzeitig mit einer Party die Ausstellung der Einreichungen eröffnet. Der Gewinner fährt zur Verleihung der Goldenen Löwen nach Cannes. 14. mai Die Graphische, Wie
E_May
Zehn Uraufführungen an erstmals drei Abenden – in seinem vierten Jahr ist das E_May noch einmal gewachsen und präsentiert Werke österreichischer Komponistinnen. Begleitet wird das Minifestival von einer Podiumsdiskussion im Mica. 19. – 21. mai Kosmostheater, Wien
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► KOLU M NE / k now- not h i ng -g es e l l sc h a ft ► Von Illbilly The K.I.T.T.
ch bin nicht sonderlich sportbegeistert. Aber einige grundlegende Dinge weiß ich schon. Zum Beispiel, dass ein Halbmarathonläufer gleichzeitig mit allen anderen Teilnehmern am Start wegrennt und nicht bei der Hälfte der Distanz einfach zum Rennen aufhört. Er steigt auch nicht erst bei der Streckenhälfte ins Rennen ein, um von dort aus dann ins Ziel zu wetzen. Start und Ziel sind üblicherweise für Marathon- und Halbmarathonteilnehmer gleich. Das hat sich international so eingebürgert. Wobei, irgendwo auf dieser Welt gibt es sicher eine total verrückte Ausnahme, aber ich weiß das nicht, weil ich ja nicht sonderlich sportbegeistert bin und zudem gerade eine gewisse Fäulnis in mir verspüre, etwas richtig brauchbar Skurriles in diese Richtung zu recherchieren. In dieser Hinsicht leichter ist es, wenn man etwas Hausgemachtes präsentiert. Ich hab nämlich ausgerechnet, wie viel ein schöner, wogender Busen während eines Marathons so zusammenbebt. Allerdings ist das Ergebnis mit Vorsicht zu genießen, da das Zahlenmaterial, das ich dafür verwendete, Großteils auf eigenen, empirischen Erfahrungswerten beruht. Ich ging davon aus, dass eine schöne Damenbrust (ca. 20 bis 30 dag, Körbchengröße B oder C) pro Laufschritt rund 2,2 cm rauf und dann wieder runter wippt. Macht 4,4 cm, die sich der Busen pro Schritt bewegt. Das mal zwei, ergibt 8,8 cm, gerundet also 9. Gute, durchtrainierte Läuferinnen, das konnte ich auf einschlägigen Seiten in Erfahrung bringen, schaffen in einer Laufminute 90 Schritte. Ist man in zwei Stunden und 30 Minuten (Spitzenzeit) mit den 42 kommadingsbums Kilometer fertig, waren das 13.500 Schritte, das noch mit neun multiplizieren, ergibt 121.500 cm oder 1,2 km Tittendistanz extra. Wobei, ich bin mir echt nicht sicher, ob bei durchtrainierten, weiblichen Hochleistungskörpern die Brüste beim Laufen tatsächlich mitschwingen. Die Damen sind ja derart muskulös und haben Brustgewebe, das es mit meinem lächerlichen Bizeps aufnehmen kann. Respekt vor diesen Ausdauerladys. Sie sind ziemlich hart was man so hört – üblicherweise kriegen sie, wenn sie im vollen Trainingssaft stehen, nicht einmal mehr eine ordentliche Menstruation zusammen. Insofern würde ich zur Berechnung eine gute Hobbyläuferin (85 Schritte pro Minute, 3 Stunden und 20 Minuten Laufzeit) hernehmen. Das aber nur am Rande. Ebenso am Rande sei erwähnt, dass mich Zahlen immer schon anmachten. Früher, als ich noch in mathematischer Topform war, habe ich sogar Brüste und Popschis von meinen Angebeteten im Gedanken vermessen und als Kegelschnitte zu beschreiben versucht, einzig und allein zum Zwecke der Volumenberechnung. Wenn ich überm Zahlenmaterial brütete und die Parabeln, Ellipsen und den
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ganzen Ramsch kräftig um die X- und Y-Achse rotieren ließ, wurde ich immer geil en masse. Das mag ein dunkles Geheimnis von mir sein, peinlich ist es mir aber nicht. So wie die anderen dunklen Geheimnisse, die ich unlängst aus Versehen und zuviel Rotwein einer sehr charmanten, aber leider etwas tratschsüchtigen Person anvertraut habe. Deswegen sehe ich mich auch ein wenig gezwungen, an dieser Stelle die Flucht nach vorne anzutreten und schnell mal vier weitere Dinge aufzuzählen, die ich bis dato schön verschwiegen habe. 1. Ich kann nicht Excel. Allein der Gedanke daran bringt mich ins Schwitzen. Ich nenn die Bäche, die da aus meinen Poren rausstürzen deswegen auch Excel-Schweiß. Alle – nicht nur die unterm Arm. 2. Mein Spanisch und Französisch sind schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr auf Maturaniveau, ich gebe beide aber unter Fremdsprachenkenntnisse immer an. In untertitelten französischen oder spanischen Filmen packt mich dann meistens immer so ein Gefühl von schlechtem Gewissen. Ganz genau kann ich es leider nicht einordnen. So fühlt es sich wohl auch an, wenn man vorm Oralverkehr eine eh schon fast ganz ausgeheilte Pilzerkrankung verheimlicht. 3. Den Kelch der niedrigen Zote oder des noch so blöden Kalauers vorübergehen zu lassen ist für mich ein großes, schweres Ding. Auch im Nachhinein. Deswegen: Mein Französisch ist ausgezeichnet, ich bin nämlich Leiter des Instituts für Labialdolmetsch. Und zu meinem Spanisch möchte ich folgendes unbeschönigt zu Protokoll geben. Nach etlichen Abfuhren in Sachen Tuttelfick bin ich zur wahren Körbchengröße gereift. Wie sonst könnte ich die Marathondistanz wippender Brüste berechnen? 4. Ich wurde einmal auf einer Männertoilette ausgeraubt. Obacht vor untersetzten Tschetschenenzwergen, die sich mit Sätzen wie »Schnell ficki, ficki, schnell!?« am Häusl an einen ranpirschen, ein freundliches »Nein, danke« nicht respektieren wollen und erst nach einem zackigeren »Ich fick dich gleich so, dass du den Rest deines Lebens beim Scheißen an mich denkst« lächelnd von einem ablassen. Die Kerle haben es auf Geldbörsen abgesehen. Für dieses Geständnis hab ich übrigens ziemliche Häme kassiert und einiges gelernt. Fällt ein Satz wie: »Wann hast du bemerkt, dass dein Geld fehlt – bevor oder nachdem er mit dem Blasen fertig war?«, sollte man nichts darauf antworten und dezent versuchen, das Thema zu wechseln. Vielleicht ein bisschen über den Frühling plauschen, der ja herandräut und unaufhaltsam sein blaues Band durch die Lüfte flattern lässt. Oder über Sport. Marathon zum Beispiel. ¶ www.facebook.com/illbilly
ILLUSTRATION JAKOB KIRCHMAYR
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Bitte genieße Jack Daniel’s verantwortungsbewusst. www.verantwortungsvoll.at