3D Print nach dem Hype — Die Welt aus dem Drucker Ars Electronica / King Krule / Feuchtgebiete 137 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 137, AUGUST 2013
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Alunageorge. Pacific Rim. Fuck Buttons. Data Dealer. Washed Out. Daughn Gibson. Was Buzzwörter anrichten. Lehnen. Die Möbius Affäre. Stinkfish. Lone Ranger.
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It’s only FM4 Dem ORF fehlt Geld. Politiker und private Mitbewerber haben deshalb – wieder einmal – eine Privatisierung von Radio FM4 gefordert. Warum es keine gute Idee wäre, FM4 abzuschaffen.
(1995) gedreht, sie wird sich auch ohne FM4 weiterdrehen. Nicht zuletzt hat der Sender zuletzt – wie alle etablierten Medien – an Relevanz, Reichweite und auch an Reputation eingebüßt. Die Rolle von FM4 als Fenster zur Musikwelt ist im Zeitalter von Netzradios und Streaming-Diensten ohnehin eine andere: Online ist Einschlägiges immer und überall verfügbar, bezahlt werden muss dafür nicht zwangsläufig. Ein angenehmer Nebeneffekt: Damit ist auch die Dominanz des früher als omnipräsent empfundenen »staatlichen College-Radios« passé.
Subversiv und doch staatstragend
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an braucht sich nichts vormachen: Eine Privatisierung von FM4 käme de facto einer Abschaffung des Pop- und Jugendkultursenders gleich. Das, was den Sender aus- und einzigartig macht, wäre privatwirtschaftlich nicht finanzierbar. Jeder kommerzielle Betreiber müsste die Frequenz zwangsläufig anders bewirtschaften. Mit ziemlicher Sicherheit würde das bedeuten: ein deutlich reduzierter Wortanteil, ein 100 % durchformatiertes Musikprogramm (ohne Rücksicht auf österreichische Musik), ein klarer Fokus auf Ballungsräume und bereits Bewährtes, keine englischsprachigen Nachrichten und »Reality Checks«, keine Popkulturberichterstattung nach journalistischen Kriterien, keine internationalen Korrespondenten und jedenfalls ein »Ausmisten« von nicht vermarktbaren Sendeschienen. Für Nischenbewusstsein wäre kein Platz mehr. Dass gerade in Nischen das Besondere gedeiht und im vielleicht besten Fall auch einmal darüber hinauswächst, muss kommerziellen Radiomachern egal sein. Nun kann man sagen: Was soll’s! Die Welt hat sich vor der Gründung von FM4
Auch seine Subkultur-Erdung – lange ein Alleinstellungsmerkmal von FM4 – ist dem Sender weitgehend abhanden gekommen. Anders als oft behauptet liegt das allerdings nicht am Alter seiner prominentesten Akteure. Nichts gegen Nostalgie, aber wenn die Welt ohnehin zersplittert und fragmentiert ist (und, eine These: der Mainstream vor allem der kleinste gemeinsame Nenner der maximalen Vermarktbarkeit), dann bleibt »Underground« schlicht eine Kategorie von vorgestern – ein Kapitel aus dem Koordinatensystem der 80er Jahre eines Nick Hornby oder Henry Rollins. Fast ein wenig absurd, aber 2013 bleibt FM4 – unfreiwillig, aber sinnvoll – eher die gegenteilige, staatstragende Rolle: Als Plattform verschiedenster Szenen und vielfältiger Stile gelingt den Sender de facto der anachronistische Versuch, auseinanderdriftende Lebenswelten zusammenzuhalten. Das kann man kritisieren. Das mag vielleicht sogar konservativen Standpunkten entsprechen. Aber es ist zutiefst öffentlich-rechtlich, denn es schafft Gemeinsamkeiten, und damit Gemeinschaft und letztlich: Gesellschaft. Nicht zuletzt ist FM4 ein Standortvorteil – für Wien als internationale Stadt und für den Rest des Landes immerhin im touristisch
wichtigen Sommer, als Leitmedium für den Festivalsommer. Abseits aller Logik des Staatstragenden ist FM4 die neben der großen seriösen Schwester Ö1einzig aufrichtige Plattform für österreichisches Musikschaffen und überhaupt die einzige überregionale und unabhängige Lobby für jugendliches Engagement. Nirgendwo sonst in der österreichischen Medienlandschaft werden Jugendliche nicht ausschließlich als zu vermarktende Zielgruppe angesprochen, sondern auf Augenhöhe und als mündige Menschen und kritische Staatsbürger. Wer dafür Belege braucht, kann sich, Woche für Woche, die Sendung »Jugendzimmer« anhören, manch Mitternachts-Talkshow oder, jedes Mal aufs Neue, von der Qualität der Berichterstattung vor der und zur ÖH-Wahl überzeugen. Neben einem wichtigen Puzzlestein in einer insgesamt lebendigen und vielfältigen Kultur- und Medienlandschaft ist FM4 auch in seinem bald 20. Jahr mit ein Garant für eine offene Gesellschaft und einen gehaltvollen Diskurs. Dazu braucht es, eh klar, auch private Medienunternehmen. Aber man braucht sich nichts vormachen: Wirklich weitergebracht hat zumindest Privatradio den öffentlichen Diskurs hierzulande noch kaum einmal. Bild michael winkelmann
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Leitartikel von Thomas Weber.
Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber
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3D-DRUCK 3D-Drucker haben unseren Alltag (noch) nicht radikal verändert. Aber sie werden mittlerweile auch für schöne Dinge wie Kunst und Design genutzt. Bei der »Andy Warhol Challenge« wurden die fünf besten Entwürfe in die dritte Dimension geholt und im Warhol Museum in Pittsburgh ausgestellt. Darunter auch unsere Coverfigur des Belgiers Dominik Raskin, der Warhols berühmte Arbeit »Elvis I & II« (1963) neu in Szene setzt, die wiederum den Elvis-Film »Flaming Star« (1960) reflektiert. Es geht also auch um Copyright.
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Magazin 3D-Druck 016 —— Was sollte 3D-Druck nicht alles bringen: radikal individualisierte Produkte, Ersatzteile im Heimarbeit, die nächste industrielle Revolution. Was bleibt von diesen Versprechungen? Golden Frame: Stinkfish 022 —— Der bolivianische Künstler verziert seit 2003 die urbane Landschaft. Vor Kurzem auch den Wiener Naschmarkt. Data Dealer 024 —— Persönliche Infos sammeln und verkaufen: Mit einer fiesen »Farmville«-Satire mischt sich ein kleines Wiener Team in die Datenschutz-Debatte ein. Buzzword Bingo 026 —— Wenn man über das Internet spricht, wimmelt es sofort von furchtbar unbestimmten sprachlichen Nebelgranaten. Ein Glossar der Unschärfen. Ars Electronica 028 —— In Hitlers angestrebter Altersresidenz Linz hat man mit dem Thema »Erinnerung« bereits einige Erfahrungen gemacht. Die Ars Electronica wird dem Komplex trotzdem Neues abgewinnen. King Krule 030 —— Vor zwei Jahren musste seine Mutter den 16-jährigen Londoner Arshy Marshall noch vor der Welt beschützen. Jetzt setzt er an, selbige im Sturm zu erobern.
lunageorge 032 —— Alunageorge schreiben das A Kapitel R’n’B x Garage x House elegant und mit stark englischem Akzent weiter. Ist ok, rettet Pop aber nicht. Lehnen 033 —— Die austro-amerikanische Combo hat sich mit ihrem dritten Album Zeit gelassen. Das lohnende Ergebnis: dichte, dunkle Post-Rock-Spielereien. Feuchtgebiete 034 —— Trotz Grillzange und SpermaPizza: Die Verfilmung von »Feuchtgebiete« ist viel besser als man denkt. Charlotte Roche hat uns im Vorfeld Persönliches verraten. Fotostrecke: Poolbar 036 —— Das Festival in Feldkirchen wird heuer 20 Jahre alt. Wir feiern mit ihm Geburtstag. Departure Focus Call 038 —— Wie verwandelt man eine gute Idee in gutes Geld? Diese Frage wirft die Wiener Kreativagentur departure in ihrem aktuellen Fördercall auf. Wir haben sie erfolgreichen Kleinunternehmen gestellt.
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PACIFIC RIM In Guillermo Del Toros Sommer-Blockbuster steigen monströse Aliens aus dem Pazifik, um die Menschheit auszulöschen. Diese wirft alle Ressourcen zusammen und baut gigantische, von zwei Piloten gesteuerte Kampf-Mechs, um die Eindringlinge abzuwehren. Es geht um Gemeinschaft, Mut und Opferbereitschaft. Das Ganze ist trotzdem relativ klug und fern von Michael Bays »Transformer«-Triologie. Warum man bei der Interpretation keinen falschen Fährten folgen sollte, erklärt Martin Mühl.
048 Rubriken Leitartikel Inhalt Editorial / Porträts / Impressum Fondue Unbezahlter Anzeiger Splitter Blow-up: Film ohne Förderung? Reviews Introducing: Studio Kaiju Termine
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Kolumnen Fabula Rasa Zahlen, bitte Know-Nothing-Gesellschaft
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Bild der Ausgabe We have TV-Spot. Nicht einmal den ersten. In regelmäßigen Abstanden zwingen wir die fähigen Nerds unserer befreundeten Produktionsfirma nked, uns bei The Gap einen Zehnsekünder zu schneiden, den wir dann dreist vor befreundete Kinovorstellungen schmuggeln. Dieses Mal ist er von Gaspar Noés »Enter The Void« inspiriert. Also grell, flackernd, neonfarben und nicht für Epileptiker geeignet. Musik kommt von Johannes Laminat, unserem besten Pferd im Stall. Kann auf Youtube bestaunt werden. Enter The Gap.
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Wenn sich Matt Damon ein neues Hirn druckt — Eine Waffe aus dem 3D-Drucker – das sind Tagesnews für Blogs, Fernsehen und Abendblätter. Ein monatliches Magazin wie The Gap wird damit immer nur schwer mithalten können. Jeder Artikel läuft Gefahr, schnell vom Tagesgeschehen überholt zu werden. Rechtliche Fragen, – ist das illegal, wie werden Behörden reagieren, können die Taliban das bald haben – werden schnell von neu geschaffenen Fakten eingeholt. Für ein Magazin wie The Gap bedeutet das erst einmal Gehirn hochfahren, Expertengespräche führen, Bücher lesen und dann den richtigen Moment abwarten. Für 3D-Printing, meinten wir, gibt es den derzeit allerdings nicht, die Revolution findet bereits statt. Auf der anderen Seite gibt es den großen Sommerblockbuster zum Thema noch nicht, in dem sich Matt Damon in eine geheimnisvolle Frau verliebt, die mit verbotenen Bauplänen dealt und nicht ahnt, dass sie ins Fadenkreuz eines 3D-Organ-Syndikats gerät. Die Story würden wir auch gern bringen, dafür ist es allerdings noch einige Jahre zu früh. Jetzt im Sommer, der mehr Raum für Hintergrundstorys lässt, bringen wir es also, das Cover über 3D-Druck. Der TechnikSchwerpunkt des Heftes ist uns zufällig in den Schoß gefallen: während das Thema der kommenden Ausgabe unserer Diskussionsreihe twenty.twenty noch spontan auf Prism geändert wurde (10. September, Hub Vienna), macht sich »Data Dealer« über die Datenkrake spielerisch Gedanken, Seite 024. Das Linzer Festival Ars Electronica erinnert sich daran, Seite 028. Und wir erinnern uns, was solche strapazierten Modewörter wie Virtual Reality, Vorratsdatenspeicherung oder 3D-Druck anrichten, wenn wir uns nämlich damit ein Bild von der Welt machen, Seite 026. Trotzdem auch ein Dauerbrenner: mal raus an die frische Luft gehen. Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap
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Jakob Kattner
Elisabeth Els
Putting the Diss in Dissertation — Wie haben wir das verdient? Keine Ahnung. Jakob ist nicht nur Rapper, er war als solcher in einer Crew mit Chakuza und Stickle, bevor die nach Berlin gingen, und auch beim Dr. Dre-Schützling The Game unter Vertrag, hat mal locker zwei Magister Artium im Ärmel stecken und war gerade 14 Monate auf Forschungsreise in 15 Ländern Lateinamerikas, wo er den Dokumentarfilm »Calle Libre« über Graffiti und Street-Art unter anderem im Museum of Modern Art in Sao Paulo, an Universitäten und in Galerien präsentiert hat. Derzeit arbeitet er in einer Wiener Kreativagentur und schreibt an seinem Doktor an der Akademie der bildenden Künste. Da er seinen Job als Programmkoordinator des Reykjavik International Film Festival in Island an den Nagel gehängt hat und neben seiner Profession als HipHop-Künstler nun eine Indie-Band namens Moveo gegründet hat, schreibt er jetzt auch für The Gap. Er liest Kafka, Adorno, Aristoteles und Iceberg Slim, hört Rap, Funk, Soul und Vivaldis »Vier Jahreszeiten«. Er kennt also genau dieselbe absonderliche Mischung von Pop-, Sub- und Hochkultur, die wir hier bei The Gap so gern besser pflegen würden, von innen und außen, akademisch und praktisch. Noch viel von ihm lernen, yes we can.
Ruhige Wasser — Elisabeth Els sitzt neuerdings in der Grafik-Fraktion im Verlag. Es ist wohl keine falsche Bescheidenheit, wenn sie sagt, dass sie bei ihrem ersten Anlauf zur Ausbildung als Mediendesignerin in Zell am See »nicht genug gelernt« hat. Nun lernt sie Schlampigkeiten der Redaktion auszubessern, schlecht auflösende Bilder zu retten und aus den schlimmsten Bildvorschlägen das Beste zu machen. In dieser Ausgabe war sie bereits am Cover tätlich. Trotzdem, so richtig können wir sie noch nicht einschätzen – in der Grafikabteilung ist es immer ziemlich still, und sie gehört auch nicht zu den großen Plaudertaschen. Was wir aber doch herausfanden, klingt ziemlich vielseitig, fast widersprüchlich: Elisabeth kocht gern, radelt und träumt von einer Foto- / Rucksack-Tour durch Neuseeland. Und sie tanzt, besonders gern zu HipHop. Keine Landler. Dabei ist sie ja vom Land – im Pinzgau in einer Großfamilie aufgewachsen, mit Bergen und Gebirgssee direkt vor der Haustür. Skifahren findet sie trotzdem öd. Wie passt das alles zusammen? Wir finden es noch heraus. TEXT LUISE WOLF BILD PRIVAT
TEXT Stefan Niederwieser BILD Jürgen Grünwald
Impressum
HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Ranya Abd El Shafy, Niko Acherer, Sarah Al-Hashimi, Gregor Almassy, Matthias Balgavy, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, Liliane Blaha, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Andreea Dosa, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Yannick Gotthardt, Manfred Gram, Dominique Gromes, Julia Gschmeidler, Benedikt Guschlbauer, Andreas Hagenauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Lukas Hoffmann, Peter Hoffmann, Michael Huber, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Jakob Kattner, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Christoph Kranebitter, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Ali Mahlodji, David Mochida Krispel, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Mahdi Rahimi, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Martin Riedl, Tobias Riedl, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Peter Schernhuber, Bernhard Schmidt, Nicole Schöndorfer, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Lisa Stadler, Cornelia Stastny, Roland Steiner, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Denise Helene Sumi, Asha Taruvinga, Hanna Thiele, Horst Thiele, Franziska Tschinderle, Jonas Vogt, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Erli Grünzweil, Georg Nejeschleba, Lukas Traber, Luise Wolf termine Manuel Fronhofer, Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Kurt Prinz, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Dominik Raskin ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Elisabeth Els Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Martin Mühl PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6 / III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— erscheinungsweise 8 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
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Legendär!
Hier trifft sich die afri Szene. Graz Coffee and Kitchen, Metahofgasse 30, 8020 Graz Innsbruck Café Restaurant Bar Kunstpause, Museumstraße 15, 6020 Innsbruck Linz Café Bar Stern im City Kino, Graben 30, 4020 Linz, Café Meier, Pfarrplatz 7, 4020 Linz Salzburg Café Bazar, Europastraße 1, 5020 Salzburg Wien Die Dondrine, Kirchengasse 20, 1070 Wien, Wrenkh, Bauernmarkt, 1010 Wien
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Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at
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Heizdeckenfahrt mit Rettungsgassen-Bonus.
Sofa mit Platz für fünf Personen. Drei davon können auch noch atmen.
Dienstleistungs-Diversifikations-Hattrick! Lediglich der Firmenname wäre noch interessant zu wissen …
Also: Wenn die Viagra alle verbraucht sind, dann haust du die leere Verpackung bitte in den Papierkorb.
Leider haben’s die Anti-AIDS-Kaugummis nicht durchs Zeitloch geschafft. Immerhin: Die Präser halten bis 2016.
Der Lainzer Tiergarten ist nun mal nicht Bolivien. Dessen uneingedenk dürften schon einige am vermeintlichen Cocastrauch herumgekaut haben.
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Fabula Rasa All Hail The Captain! »mach es wie die eieruhr – arbeite immer drei minuten nur.« (beamten-weisheit) Eine Beziehung, die eiert wie ein wildgewordener Kreisel kurz vor dem Absturz von der Tischkante und beim Aufprall unweigerlich kaputt gehen wird, ist dennoch eine Beziehung, die funktionieren kann, wenn man es nur will und den Atem und die Ausdauer hat, sie weiter zu wollen. Man muss es nur schaffen, die Beziehung zum Stillstand zu bringen. Nimm Deine Eltern als Beispiel, die trotz täglicher Abgrenzungsstreitereien weiterhin im gleichen Haus zusammen wohnten und sich die Arbeit teilten, die du ihnen gemacht hast. Oder Großmutter aufgenommen haben, als sie zum Pflegefall wurde und du bereits ausgezogen warst. Oder nimm die große Koalition. Genauso schwierig ist es nun, mit der eigenen Vorgesetzten eine Beziehung zu haben, auch wenn ihr beide bisher keine nennenswerte Karriere zurückgelegt habt. Auch wenn sie sehr traditionelle Werte anlegt (Geld, Titel, Benefits, Mitarbeiterzahl) und du andere (Spaß, Zufriedenheit, Sinn, Gesellschaft) –, versteht ihr euch bei den wichtigen Dingen im Leben (Musik, Fortgehen, Filme, Sex) und was soll’s, es ist Sommer und wir sehen mal, wohin das führt.
H13 2013 NIEDEROESTERREICH PREIS
FÜR PERFORMANCE
DONNERSTAG 05 09 2013 19.00H
PETER FRITZENWALLNER DOESN‘T ANYONE EVER INTERRUPT MY MONOLOGUE? BAD ACTING/THE SPEECH IN THIS DRAMA SHOULD OVERLAP, UNTIL IT SOUNDS LIKE A PRE-LINGUISTIC VOICE OF OUR ANIMALISTIC PAST. Buchpräsentation H13 2007–2012
»wenn ich übers ficken schreibe, meine ich politik.« (erica jong) Sie sagt, meine Mentorin hat mir den Rat gegeben, die gläserne Decke zu ignorieren, weil sie mir die richtigen Networking-Kontakte mitgeben wird, um sie zu durchbrechen und weil sie für clevere Frauen eh nicht mehr existiert. Du sagst, eure Vorstellung von den alten Säcken im Management ist doch genauso ein Klischee wie die blonde Sekretärin im Marketing. Sie sagt, du hast keine Ahnung, weil es ist egal, es geht um den Erfolg. Du sagst, lass uns heute Abend zu Hause bleiben, ich kann mir das dauernde Essen gehen nicht leisten. Sie sagt, okidoki, DVD, Pizza, Sex? (Sie sagt, du hast aber eh einen guten Job, kauf halt nicht dauernd Platten.) Du sagst, aber sicher. Sie sagt, am Wochenende ist die Taufe meiner kleinen Nichte, komm doch mit, wenn du magst und was Gescheites zum Anziehen hast. Du sagst, ich kann nicht, ich helf einem Freund beim Umzug. Sie sagt, uuuh, wie männlich. »schweiss ist verrat an den kollegen.« (gewerkschafter-weisheit) Sie sagt: Du willst dich nur hochschlafen. Du fragst: Funktioniert das? Sie sagt: Mal sehen. Langsam wird dir klar, Du gehst so locker mit der Beziehung um, weil du es so gelernt hast, dass sich Beziehungen entwickeln und wachsen und man einen Schritt nach dem anderen geht. Aber sie geht so locker mit der Beziehung um, weil du für sie nur eine After-Work-Entspannungs-Einheit bist und es ihr egal ist. Powered by The Grateful Dead und Gauntlet Hairk.
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HLTE R AN Z E I GE R
Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.
White Walker-Maske
Unzerbrechlicher Regenschirm
Stormtrooper-Bademantel
Im letzten Heft haben wir euch einen Aufsatz vorgestellt, mit dem ihr eure Toilette in den Iron Throne verwandeln könnt (The Gap 136). Das Echo war überwältigend: Es rief sogar jemand bei uns an und fragte, wo man das Ding denn bekommen könnte. Jetzt haben wir etwas noch viel Besseres – die Maske »White Walker«. Damit könnt ihr nach Lust und Laune Menschen erschrecken, Nerds beeindrucken und übergewichtige Crows verschonen. Alternativ auch einfach mal drei Staffeln zu spät kommen. Brace yourself: Fasching is coming. www.compositeeffects.com
Regenschirme erfüllen ihre Kernaufgabe für gewöhnlich relativ zufriedenstellend. Zur Selbstverteidigung sind sie allerdings eher wenig geeignet. Sie lassen sich problemlos schwingen, zerbrechen aber auch an den weichsten Birnen. Die Lösung: der unzerbrechliche Regenschirm. Er ist nicht schwerer als sein normaler Cousin, aber biegsam, unauffällig und ziemlich effektiv. Rechtlich darf man ihn überall mit herumtragen, um sich vor Niederschlägen und anderem Unangenehmen zu schützen. Marry Poppins hätte ihren Spaß daran gehabt.
Ja, für den Bademantel im Stormtrooper-Stil gibt natürlich eine 9 von 10 auf der Geek-Skala. Aber weich, groß und gemütlich ist er auf jeden Fall. Entspannung kann ein Stormtrooper natürlich auch gebrauchen, ist sein Alltag doch eher frustrierend: Wenn man mal zwei Droiden findet, sind es stets die, nach denen man nicht sucht. Und auch nach jahrelangem Training trifft man mit dem Blaster keinen Hutten aus 5 Metern Entfernung. Bevor die halb-lustigen Referenzen hier aus dem Ruder laufen: Besorgt euch das Ding einfach. »Star Wars« kommt nie aus der Mode. Versprochen. www.thinkgeek.com
Am Westbahnhof gibt es 7 Tage die Woche 22 verschiedene Brötchen.
Brötchen-Listen. Von Tex Rubinowitz. Heute: Durch Alternativmedizin verursachte Krankheiten
Mo - Fr: 7:00 - 23:00 Sa: 8:00 - 23:00 So und Feiertag: 8:00 - 23:00
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Bachblütensausen Feldenkraislaufbeschwerden Karma-Überbein Dinkelfieber Astralhartleibigkeit Chakren rinnen aus Pseudopilates Hildegard-von-Bingenitis Tinnitus, der einem Soldatenlieder vorpfeift Verrückt nach Fair-Trade-Schmalz
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Amira Ben Saoud (The Gap / Club mit)
TOP 10
INDIZIEN, DASS EINE NULLAUSSAGE FOLGT
01 Im Spannungsfeld 02 Man kann 03 Einerseits 04 Seneca 05 Relativieren 06 # 07 Im Duden 08 Heuzutage 09 Immerhin 10 Wahlkampf
TOP 5
HIP-HOP / R’N’B LUSTIGKEITEN
01 I call this club Titanic. Why? Cause it’s going down. 02 If God had a iPod, I’d be on his playlist. 03 I took her for sushi, she wanted to fuck. 04 It's like tryin’ to rob me with a BB gun But my love gets it poppin’ like the Taliban. 05 Earl puts the ass in assassin.
www.thegap.at/gewinnen UE Boom
auch nicht schlecht:
Die UE Boom von Ultimate Ears ist der Outdoor Music-Player: Akku mit 15 Stunden Laufzeit, wasser- und schmutzfest und mittels Bluetooth einfach mit dem Smartphone zu verbinden. Damit klingt jede Lebenslage einfach nur fantastisch. Wir verlosen 1 UE Boom.
Der Gesichtsausdruck anderer, wenn man Cola Rot bestellt.
Xbox 360 Gold Wireless Controller Xbox erweitert die Chrome-Modellreihe der Xbox-Controller um dieses goldglänzende Teil. Absolut zwingend, so wie sein Name: Xbox 360 Special Edition Chrome Series Gold Wireless Controller! Wir verlosen einen goldenen Controller.
Black Sabbath »13« Deluxe Box Black Sabbath sind zu den Toten und alter Besetzung zurückgekehrt und begeistern Fans mit einem Album, dass Erinnerungen an ihre dunklen Jugend-Tage beschwört inklusive einer Deluxe Box: Vinyl, CD, Bildern anderen Spielereien. Wir verlosen 1 »13« Deluxe Box.
Doris Schartmüller (Rave Up Records Inhaberin)
Jim Beam Grillkoffer
TOP 10
Gegrilltes und Bourbon Whiskey gehen Hand in Hand. Wir verlosen daher einen Jim Beam-Grillkoffer mit Jim Beam Cola sowie Jim Beam Limesplash für die nächste Grillparty.
BEI MIR IM RAVE UP
TOP 5
BEI MIR PRIVAT
01 Mein Garten mit viel Gemüse und tausenden Blumen 02 Qi Gong in der Morgensonne 03 Hängemattenbaumeln in der Nacht bei Sternenhimmel 04 Selbstgemachtes Mango-Lassi 05 Tagsüber im Shop gute Musik hören, anschließend Ruhe
auch nicht schlecht: Die tägliche Handmassage durch meine schnurrenden Katzen.
»American Horror Story« Staffel 1
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01 Alela Diane – About Farewell 02 Mavis Staples – One True Vine 03 Helldorado – Bones In The Closet 04 Gravediggers – Move It! 05 Congo Natty – Jungle Revolution 06 Scott Matthew – Unlearned 07 Grant Hart – Argument 08 Kim Salmon & Spencer P. Jones – Runaways 09 Daft Punk / George Barnett – Get Lucky (Cover) 10 Talib Kweli – Prisoner Of Conscious
Horror-Serien gibt es trotz anhaltendem Boom immer noch wenige. »American Horror Story« verbindet eine Version des Haunted-House-Mythos mit dem Horror innerfamiliärer Probleme und dabei ist dabei auch noch fantastisch besetzt. Wir verlosen 2 DVD-Boxen.
Philipp Poisel DVD Philipp Poisel spielte auf seiner 2012-Tour zwei Konzerte im Zirkus Krone. Dieser Mitschnitt davon brilliert unter anderem mit Kino-Bild-Qualität. Neben dem Konzertmitschnitt gibt eine Dokumentation Einblicke in sein »Projekt Seerosenteich«. Wir verlosen 2 Exemplare der DVD.
»Spartacus – Vengeance« Die blutige und optisch opulente Serie kehrt mit neuem Hauptdarsteller zurück und schenkt sich und uns nichts. Nach dem Ausbruch sinnen die Gladiatoren auf Rache und zetteln einen Sklaven-Aufstand an. Action satt. Wir verlosen 2 Blu-ray-Boxen.
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Albert & Tina Zur Eröffnung von Albert & Tina kamen über 2.000 Leute. Man hätte vom Fleck weg eine Werbung dort drehen können. Sommer, so darfst du bleiben.
Albert & Tina findet von 18. Juli bis 5. September an jedem Donnerstag auf der Albertinabastei statt.
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d e pa r t u r e f ö r d e r t i n n o vat i v e vertriebsprojekte von Wiener k r e at i v u n t e r n e h m e n E i n r E i c h f r i s t : 1 7. 6 . b i s 3 . 1 0 . 2 0 1 3 www.departure.at bezahlte anzeige
Ja, wir hier bei The Gap waren froh, als die Albertina angefragt hat, ob wir nicht Lust hätten, die Programmierung eines DJ-Line-ups zu übernehmen, das an ein paar Abenden einen ihrer Balkons bespielen sollte. Immerhin gibt es genug Kunstveranstaltungen, auf denen lieber harmlose Wohlfühlbeats fürs Soziotop gespielt werden sollen (Stefan Obermaier). Wir machen uns nun keine Illusionen darüber, dass mit der Programmierung von The Gap die sonische Revolution im Ersten Wiener Gemeindebezirk, gleich hinter der Oper losbricht, aber einige fähige DJs bekommen so eine faire Gage und erreichen mit ihren Sets Ohren, die normalerweise keinen Zeh in die Wiener Clubkultur reinhalten würde. Und damals, vor drei Jahren, konnten wir noch nicht ahnen, dass Albert & Tina so schnell groß werden würden. Mittlerweile ist der schmucke Balkon zum ganzen Vorplatz der Albertina geworden, den so Leute wie Ken Hayakawa, Ella von The Loud Minority oder The New Tower Generation bespielen. Dass hinterher das Palmenhaus offiziell offen bleibt, macht die weitere Planung nach elf einfacher. Wir werden also dort herumstehen und über neue Labels, Filme, Rekordverkäufe bei Kunstauktionen und Webserien quatschen, tun das auch gern mit wildfremden Leuten und schauen dabei zu, wie schöne Menschen in luftiger Kleidung Bier trinken und Musik hören. Schlicht. Und eh super. Ah ja, die Ausstellungen in der Albertina haben natürlich auch geöffnet.
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Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger
219.000.000.000 Fotos wurden laut stolzgeschwellter Facebook-Statistik Ende 2012 von über einer Milliarde Benutzern geteilt. Die meisten davon zeigen wohl Gesichter.
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ransparenz ist das gute Zauberwort in der Politik. Lange war es das böse im Alltag. Dann kam die nerdig-narzisstische Lust an der Selbstausstellung und das langsame Vergessen des Großen Bruders. Heute sind gepostete Sockeneinkäufe genauso selbstverständlich wie das »Cheese«Lachen beim Geburtstagsfoto. Man zeigt gerne, wer man ist, was man macht und wie man lebt – im Urlaub, beim Kochen, beim Partymachen und beim CookiesAusstreuen. Like! Die Warnungen vor dem »gläsernen Bürger« und dem »Terror der Intimität«, wie das einmal im alarmistischen Soziologendeutsch hieß, erscheinen in den trefflich ausgeschmückten Gesichtsbüchern wie die Erzählungen Opas vom Krieg. Intim-was? Vielleicht nicht alle, aber doch unkontrollierbar viele sind nun eingeladen, das semiöffentliche Profil des semibefreundeten Users nach Herzenslust auszuleuchten, sich einen Reim auf Konsumgewohnheiten und soziales Leben zu machen und nicht zuletzt diese Einsichten an unbekannte Dritte weiterzugeben.
Digitale FuSSabdrücke Dieser Dritte könnte nicht nur der kleine, sondern auch der lange Zeit sich schlafend stellende Große Bruder sein – wer weiß das schon? »Freund hört mit«, titelte Die Zeit vor einigen Wochen; sie meinte damit die NSA. Der große Bruder muss aber nicht die Gestalt des Staates oder die der dem amerikanischen Vorbild nacheifernden, europäischen Geheimdienste annehmen. Der Große Bruder kann auch ein Geschäftemacher sein, der einen digitalen Supermarkt mit maßgeschneiderten Produkten betreibt oder aus ausspionierten Krankheiten mit Hilfe von angebotenen Wunderpillen Profit schlagen will. Und er kann sich auch in den mobbinglüsternen neuen Firmenkollegen oder in den kontrollsüchtigen Vermieter der nächsten Wohnung verwandeln. Beide könnten die spaßigen Dokumente der vielleicht nicht einmal von einem selbst, sondern von »Freunden« geposteten Rauch- und Trinkgewohnheiten vom letzten Montag! um 4.30 Uhr!! nicht so gut finden. Die digitalen Fußabdrücke dienen auch als Da-
Desidentifikation als Ausstiegsoption?
tenbasis für neuere Forschungszweige wie das dem Data Mining verwandte Reality Mining. Dabei wird über das Tracking von Mobiltelefonen, Kreditkarteneingaben und die Auswertung des Internetverhaltens ein Profil angelegt, das nicht nur ein recht genaues Mosaikbild des Alltags geben, sondern auch profunde Voraussagen für die Zukunft machen kann.
Reality Mining Angesichts der Empörung über das Ausmaß der geheimdienstlichen Ausspähung scheint nun auch die Routine der täglichen Datenstrips von uns allen nochmals ins Gerede zu kommen. Denn letztlich hat jeder etwas zu verbergen, und sei es auch nur die Gründe dafür, dass es niemanden etwas angeht, was er zu verbergen hat. Das etwa im MIT mit der fröhlichen Wurschtigkeit des Nerdismus vorangetriebene Reality Mining klopft heute mit Prognosen an die Tür, die niemandem mehr egal sein können. Morgen, sagen die intelligent gewordenen Datensätze, wird X zu 93 % gegen 8.30 Uhr mit Y telefonieren, dann nach A zur Arbeit gehen und dort in der Nähe gegen 15.00 Uhr Nudeln der Marke T kaufen, gegen 18.00 Uhr A verlassen, um sich mit Z in der Bar C zu treffen und dann zu 17 % Wahrscheinlichkeit gemeinsam nach Hause fahren. Früher hätte man als braver Technologiefeind gesagt: Wirf’ dein Handy weg, Finger weg vom Internet oder verschlüssle wenigstens alles. Heute kann man in Städten wie New York kaum mehr ein Konzert oder ein Kino besuchen, ohne digitale Daten per Netz oder Kreditkarte zu verschicken. Und wenn man wirklich mal paranoid sein will, könnte man auch die Verschlüsselungsoption radikal in Frage stellen. Hätten nicht gerade die professionellen Überwacher selbst das größte Interesse daran, alle möglicherweise brisante Information vom Dickicht des Normalonetzes auf angeblich sichere Kanäle umzulenken?
Was also tun? Zum Beispiel in die Untiefen des Deep Net abtauchen oder einfach das Gesicht nicht mehr herzeigen. »Faceless« heißt nicht nur der schon ein wenig ältere Anti-ÜberwachungskameraFilm von Manu Luksch, sondern auch eine aktuelle Ausstellung im Freiraum im Wiener Museumsquartier. Sie liest den Entzug des sprechenden Gesichts durch gestische Abwendung (zum Beispiel in sexuellen Szenen) bzw. seine Verhüllung in Mode und Kunst als Ausdruck der Verweigerung unerwünschter Identifikation. Sei es als radikal-chice Trademark der »Anonymous«-Hacktivsten, oder in feministisch orientierten Burka-Adaptionen, in Science-Fiction-artigen Ganzkörperuniformen oder in gepixelten Gesichtern in Netzkamera-Straßenaufnahmen, zu deren gezielter Herstellung es auch praktische Anleitungen für Laien gibt. Die Maske wird hier zum Werkzeug, das dazu dient, das individuelle »Unsichtbar«Werden gesellschaftlich auffällig zu machen. Desidentifikation als Ausstiegsoption aus der Dauerentblößung. Was wäre aber, wenn, wie Hans Belting in seinem aktuellen Buch »Faces« vorschlägt, das Gesicht und die Maske gar nicht schroffe Gegensätze wären? Ist nicht der auf Porträts oder Fotos festgehaltene Ausdruck immer auch bis zu einem gewissem Grad Verstellung und nicht der Spiegel der Seele, gefriert das eingeübte Lächeln nicht oft selbst zur Maske? Und spielen wir nicht auch und gerade auf Facebook nicht uns selbst, sondern Rollen? Wenn jemand weint, muss er nicht traurig sein. Und wenn jemand wirklich zufrieden lächelt, ist es meistens nur Werbung für Zahnpasta. Bis das Reality Mining auch diese feinen Unterschiede feststellen und hochrechnen kann, wird es hoffentlich noch ein bisschen dauern.
Thomas Edlinger Journalist und Kurator
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Das Ö1 KulturPicknick Sonntag, 8. September 2013, ab 12.30 Uhr
DYNAMOWIEN
Hofgarten und Hofburg in Innsbruck Bei jedem Wetter – Eintritt frei!
Mit Attwenger, Manu Delago, Lidia Baich und Matthias Fletzberger, dem Ö1 Quiz »gehört. gewusst«, Musik aus allen Richtungen, Literatur-, Kinderprogramm u. v. m.
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Iris van Herpens Kollektion »Crystallization« schlug in der Modewelt ein wie eine Bombe. Mit 3D-Druckern sind Figuren und Formen möglich, die kein Schneider hinbekommen würde. 016
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3D-Drucker nach dem Hype — Utopien und die Praxis
DIE WELT AUS DEM DRUCKER Neue industrielle Revolution, ausgedruckte Waffen und ausgedruckte Schnitzel – Zwischen Skandalstorys, harmloser Spielerei für Geeks sowie Konsum- und Erlöserfantasien ist jede Menge Platz für Spekulation über die Zukunft des 3D-Drucks. Aber was bleibt vom Hype unterm Strich übrig?
Und für Laien? Die Preise für leistungsfähige Geräte sind allerdings noch astronomisch. Helmut Eder etwa, Betreiber eines Copyshops in der Burggasse in Wien-Neubau, hat 85.000 Euro dafür bezahlt. Damit könnte man sich das viel zitierte Ersatzteil für den Korb des Geschirrspülers zwar ausdrucken, aber funktionstüchtig ist es nicht, denn es würde zerbrechen. Gedruckt wird nämlich mit einem gipsähnlichen Pulver, das mit einer Art Superkleber überzogen wird. Objekte mit einer Größe von 28 × 38 × 20 cm sind möglich, aber belastbar sind sie nicht. Während Helmut Eder die Technik erklärt, entstehen langsam rund 20 verschiedene Entwürfe eines Henkels für eine Tasse, im Auftrag eines Caterers. Anschauungsmodelle, keine Funktionsmodelle. Richtig leistungsstarke Druckmaschinen, die zum Beispiel voll funktionsfähige Teile aus Kunststoff produzieren können, spielen in einer anderen Liga. Sie kosten gleich rund eine halbe Million. Für die Aufregung um billige Heimdrucker hat Eder insofern nur ein Lächeln übrig: »Das ist Blödsinn. Ich hab mir selber gerade so ein Gerät um 2.000 Euro zum Spaß zugelegt. Man kriegt nichts Brauchbares dabei heraus, grobe Strukturen gehen zwar halbwegs, schwierige Geometrien kannst du vergessen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es in drei bis fünf Jahren tatsächlich soweit sein könnte, dass man damit auch etwas zustande bringt.« Bei einem Hersteller, der schon 22.000 dieser Drucker verkauft hat, heißt es deshalb vorsichtshalber auf der Website: »Warning! Patience, know-how and a sense of adventure required«. Zu Deutsch: Laien sollten die Finger davon lassen.
Text Peter Stuiber Bild michel zoeter
3D-Druck, früher ein Nischenthema, machte in den letzten Monaten einen medialen Looping nach dem anderen. Zunächst war die Rede davon, wie praktisch es sein könnte, sich in Zukunft ein Kunststoff-Ersatzteil für einen Geschirrspüler auszudrucken. Dann wurden die Baupläne für die »erste funktionierende Waffe« ausführlich diskutiert (böse!), und hinterher war von ganzen ausgedruckten Häusern, Nahrungsmitteln oder Organen die Rede – in letzterem Fall folgte dann meist der obligatorische moralische Hinweis auf Frankenstein, Orwell oder irgendein anderes apokalyptisches Szenario. Die Aufregung hat einen realen Hintergrund: Innerhalb kurzer Zeit hat sich die 3D-Drucktechnik rasant weiterentwickelt, die Preise für Drucker fallen, deren Qualität steigt – Entwicklungen, die uns von CD-Brennern, Kameras oder Handys bekannt vorkommen. Am auffälligsten konnte man das in der Modebranche sehen, allen voran bei der niederländischen Designerin Iris van Herpen. Vor drei Jahren präsentierte sie mit »Crystallization« die erste 3D-Print-Kollektion, die in der Modewelt wie eine Bombe einschlug. Mit Björk oder Lady Gaga als Kundinnen braucht sie sich um ihre Pension keine Sorgen mehr zu machen. In einem Interview meinte sie: »Ich hatte früher immer etwas Dreidimensionales im Kopf und musste es in eine zweidimensionale Skizze bringen, um es präsentieren zu können. Doch das fühlt sich wie alte Schule an. Jetzt kann ich meine Idee in ein 3D-Computermodell umwandeln und dann gleich mit dem Drucker Realität werden lassen.«
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Wer es andrerseits als Erster sinnvoll und leistbar hinbekommt, eine leicht verständliches Interface mit einem leistungsfähigen Drucker zu verbinden, könnte wie Steve Jobs mit iTunes und iPod für die Mobilgeneration bald schon als neuer 3D-Guru gelten. Oder überhaupt irgendwann als Pionier des aus »Star Trek« bekannten Replikators.
Die neue industrielle Revolution Chris Anderson, ehemals Chefredakteur der Technologie-Zeitschrift Wired, hat für die 3D-Bewegung bereits die passende Bibel geschrieben. Andersons Buch »Makers. The New Industrial Revolution« ist heute das, was vor zehn Jahren für die Kreativindustrie Richard Floridas »The Rise Of The Creative Class« war: ein ebenso erhellendes wie manchmal fast schon befremdlich optimistisches Buch, das den US-amerikanischen Pioniergeist in sich trägt. »Der Schritt vom Erfinder zum Unternehmer ist so klein, dass er kaum mehr existiert. Tausende Unternehmen entstehen heute aus dem Maker-Movement und industrialisieren den DIY-Geist. Heute kann jedermann mit einer Erfindung oder einem guten Design ein File uploaden bei einem Hersteller, der das Produkt in kleinen oder auch großen Mengen produziert. Letztlich ist die größte Veränderung nicht die, wie die Dinge gemacht werden, sondern wer sie macht.« Die Revolution findet statt, hier und jetzt – das ist die Kernaussage des
Buches. Für den Amerikaner Anderson wie für Präsident Barack Obama spielen hier auch handfeste nationale Interessen eine große Rolle: Beide sehen in der neuen digitalen DIY-Welle eine Möglichkeit, verlorene Produktionskapazitäten wieder ins Land zu bekommen: »Jedes Land, wenn es stark bleiben will, braucht eine Produktionsbasis. Eine Wirtschaft, in der Dienstleistung eine große Rolle spielt, schön und gut, aber wenn man die Produktion weglässt, bist du eine Nation aus Bankern, Burger-Machern und Tour-Guides«, postuliert Anderson. Der Journalist sieht die Zeit gekommen, zu den Wurzeln des amerikanischen Traums zurückzukehren: etwas zu schaffen. »Wir können heute den Weg zurück finden, aber nicht, indem wir zu den großen alten Fabriken zurückgehen, sondern indem wir eine neue Wirtschaftsproduktion schaffen, die eher wie das Internet selbst funktioniert: von unten, weitverzweigt und sehr stark vom Unternehmergeist beseelt.« Als wesentlichen Erfolgsfaktor sieht er das Teilen der Entwürfe im Netz. Damit sind wir bei einem Thema, das in Sachen 3D-Druck noch für Diskussionen sorgen wird: dem Copyright. Ähnlich wie beim Kopieren von Musik werden Produzenten eifrig an Softwarelösungen basteln, die Missbrauch verhindern, indem z.B. ein 3D-Drucker kopiergeschützte Dateien nicht ausdrucken kann. Doch was ist, wenn man Gegenstände mittels 3D-Drucker einscannt und danach ausdruckt? Man darf gespannt sein, wie’s diesbezüglich weitergeht.
3D-Druck: Wie funktioniert’s?
Es gibt für den 3D-Druck verschiedene Kunststoff-Materialien. Das Material wird in flüssigem Zustand verarbeitet. Es schmilzt bei verschiedenen Temperaturen, weshalb die meisten Drucker für den Heimbereich nur mit einem Material arbeiten. Dieses gibt es dann aber in verschiedensten Farben. Der Extruder schmilzt das Material bei sehr hohen Temperaturen und spritzt es schichtenweise von unten nach oben auf die Grundplatte bis zum fertigen Objekt. Plexiglas schützt das noch heiße und flüssige Material vor Luftzirkulation und so vor Verformungen bei der Abkühlung. Der Druckerkasten von Hobby-Geräten schafft in der Regel Objekte von 20 bis 50 cm Länge. Die Firmware der Drucker ist nur mit einer bestimmten Software kompatibel, Mac, Windows und / oder Linux.
Glossar
CAD Computer Aided Design: Konstruktion zwei- und dreidimensionaler Objekte in der EDV. –– FDM Fused Deposition Modeling: Schmelzschichtung, Fertigungsverfahren von 3D-Druck-Objekten, ähnlich wie SDM, SFF oder FFF. –– FFF, SDM, FFF Dem FDM ähnliches Verfahren der Schmelzschichtung, z.B. Stick Deposition Moulding (SDM), bei dem das Material in Form von Stäben anstatt von Materialbändern verarbeitet wird. –– Physical Prototyping Handwerkliche Produktion eines Prototypen. –– Rapid Prototyping Produktion eines Prototypen mit CAD und 3D-Drucker. –– STL Gängigstes Dateiformat (.stl) für Dateien dreidimensional konstruierter Objekte; kommt von Stereolithografie. –– Stereolithografie Material-Verhärtungsverfahren durch Videobeamer- oder Laserstrahlung bei professionellen 3D-Druckern.
oben:
Mit professionellen 3D-Druckern können auch Knochenteile oder Zahnkronen massangefertigt werden. u n t e n : Mode, Skulptur, Kunst, Design oder Architektur können mit 3D-Druckern nicht dagewesene formen drucken.
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Statt selbst gebrannten CDs bald selbst designte Kerzenhalter Vorreiter beim Rapid Prototyping waren in den 90ern Designer wie Ron Arad, die Dinge in Kleinauflage produzieren ließen, die so nie auf den Markt gekommen wären, oft auch im Grenzbereich zwischen Kunst und Design. Eine Spritzgussform für einen Entwurf herzustellen kostet eben tausende Euro, während ein Prototyp heute schon ab einigen hundert Euro entstehen kann. Damit wurde die Schwelle zum Selbermachen deutlich gesenkt: eine große Erleichterung für Designer, aber auch für Firmen. Der österreichische Prothesenhersteller Otto Bock, ein Paradeunternehmen mit technologischen Skills und einem Gespür für Design, nutzt das schon seit vielen Jahren für Testzwecke. Doch dass Designer auch selbst zu Herstellern wurden und ihre Entwürfe nicht nur anlieferten, war bislang die Ausnahme. Mit billigen 3D-Druckern wird es, so Anderson, bald möglich sein, selbst Ausgedachtes auch gleich selbst schnell wie vom Fließband aus dem Drucker laufen zu lassen. Dafür bräuchte es in Zukunft nur noch einen Computer und eine Kreditkarte. Das mag zwar plausibel klingen, aber für die Kreditkarte braucht man immerhin Geld – und das ist genau das, was vielen Kreativen fehlt. Vielleicht können sich es ja immerhin einige nebenberufliche Hobbykreative in Zukunft eher leisten. Sehr wahrscheinlich also, dass
3D-Druck für Profis
Auch wenn die Funktions- und Preisentwicklungen gerade im Hobbybereich rasant waren – die Forschung schläft nicht. Professionelle 3D-Drucker changieren in Preisklassen von 50.000 bis 500.000 Euro. Sie arbeiten mit StereolithografieVerfahren und besitzen oft eine Z-Achse zum genauen Drucken bis in den NanoMeter-Bereich. Die US-amerikanische Firma Modern Meadow hat angeblich bereits ein schmackhaftes Schnitzel aus lebenden Zellen »gedruckt«. Tatsächlich ist Bioprinting nicht mehr nur eine Vision, sondern bereits im Einsatz, und zwar in der Medizin. Kleinere Knochenteile z.B. werden aus Phosphor und Calcium »gedruckt« und implantiert. In Massenproduktion werden nur Teile gedruckt, die anders gar nicht herstellbar wären, z.B. Flugzeugbauteile, die extrem belastbar und leicht sein sollten und deshalb eine schaumartige Struktur besitzen oder Metallzahnkronen, die auf den Mikrometer genau gefertigt sind. Anwendungen: P rototypen-Herstellung / Entwicklung, Kunst und Design, Architektur, Modellbau, Maschinenbau, Flug- und Raumfahrtindustrie, Medizin, Verpackungsindustrie, Bioprinting. Nützliche Links zu 3D-Druckern, -Konstruktionen und Material: www.creativemachines.cornell.edu www.reprap.org www.shapeking.de
wir – ähnlich der explosionsartigen Steigerung durch die digitale Fotografie – schon bald selbstdesignte Butterdosen oder Handtuchhalter als Geburtstagsgeschenke erhalten werden. Schöner wird unsere Umwelt deswegen allerdings nicht werden.
Revolution für die Transportwege Manchen Branchen werden deshalb radikale Änderungen prophezeit, allen voran der Logistikbranche. Denn wenn man in Zukunft dezentral produzieren kann, könnten viele Lieferwege wegfallen. Bei der österreichischen Post sieht man die Sache gelassen: »Wir erwarten in den kommenden Jahren keine grundlegenden Veränderungen und schon gar keine Einbrüche bei den Stückzahlen«, so ein Sprecher. Anders hört es sich schon bei der Deutschen Post DHL an. Pressesprecherin Sabine Hartmann meinte auf Anfrage: »Wir spielen einige Szenarien durch, was die neue Technologie für uns bedeuten könnte. Aber dass dadurch die Logistikbranche überflüssig sein wird, ist sicher sehr überspitzt.« Vielmehr könnten sich neue Geschäftsfelder auftun: »Wir überlegen etwa, wie die Rohstoffe zu den Druckern kommen. Außerdem könnte man sich auch als Plattform für Intellectual Properties positionieren. Aber wir marschieren noch nicht in die eine oder in die andere Richtung.« Unterdessen marschiert die Technik weiter, und österreichische Forscher und Unternehmer sind mit vorne dabei.
3D-Druck, DIY
Mit rund 500 Euro ist man schon dabei. Kleine Spielzeuge, Schmuck oder Stiftebecher sind möglich, aber komplexere, sehr belastbare Objekte und einwandfreie Kurven sind nur mit Profi-Druckern herstellbar. Für Leistungen und Funktionen gilt wie beim Computer – die Verarbeitung macht den Unterschied. Geschwindigkeit und Auflösung beweisen noch nicht, wie kompatibel das Gerät mit seinem Material ist und was die Hardware tatsächlich zuverlässig leisten kann. Spaß macht es meistens trotzdem.
Wie machen? Gratis Software: Google SketchUp, Autocut, Blender, Autodesk 123D, Design (auch 3D-Scan), netfabb. Wikis, Open Hard- und Software Sources: Thingiverse (.com), RepRap (.org), Fabathome (.org), Sweet Home 3D (.com), 3DRobotics (.com), Arduino (.cc)
Wo machen? Wer sich keinen eigenen Drucker leisten will, kann sein Objekt in Fab Labs ausdrucken oder die CAD-Datei bei Online-Services hochladen und sein Produkt nach Hause geschickt bekommen. HappyLab, Haussteinstraße 4, 1020 Wien MetaLab, Rathausstraße 6, 1010 Wien
Text Luise Wolf Bild Makerbot, Fabbster, Pirate 3D
Online unter all3d.at Shapeways unter www.shapeways.com 3D-Activation unter www.3dactivation.de 3D-Printwerk unter www.3dprintwerk.de
links:
MakerBots Replicator 2 ab rund 1.600 Euro. Der Buccaneer von Pirate3D erscheint im August und soll nur rund 265 Euro kosten. Das KickstarterProjekt sammelte statt angestrebten 100.000 fast eineinhalb Millionen Dollar.
rechts:
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Zum Beispiel die Firma Lithoz, die sich auf die Entwicklung und Herstellung von 3D-Druckern und Materialien für keramische Bauteile spezialisiert hat. In einem gemeinsamen Projekt mit der TU Wien und der Medizin-Uni Wien entwickelte man kürzlich eine neue Herzpumpe. An der TU Wien wurde außerdem jüngst ein 3D-Drucker mit Nano-Präzision vorgestellt, der ebenfalls im medizinischen Bereich eingesetzt werden soll.
Wie 3D-Druck alles verändert Mittlerweile wird 3D-Druck nicht nur zum bedeutenden Wirtschaftszweig, sondern auch zum Prestigeprojekt, etwa für die EU. Sie förderte etwa das belgische Spin-Off-Unternehmen Materialise, das heute über die größte 3D-Druckkapazität in Europa verfügt und bereits 900 Leute beschäftigt. Mit ausgefallenen Formen, die sich mit herkömmlichen Techniken nicht verwirklichen lassen, schafft man es regelmäßig in die Medien – jüngst sogar auf das Titelblatt der ersten Zeitschrift, die sich ausschließlich dem 3D-Druck verschrieben hat. In Print Shift widmet man sich auf knapp 60 Seiten realen Anwendungsmöglichkeiten von heute wie utopischen Entwürfen bis hin zum Burger aus dem Drucker. »How 3D printing is changing everything«, so der Untertitel der Publikation, die nicht nur interessante Storys zu bieten hat, sondern gleich die Ambivalenz der neuen Technologie
in sich trägt. Erst auf Bestellung wird das »persönliche Exemplar« gedruckt, man freut sich darüber, dass die Umwelt geschont wird (weil es eben keinen sonst üblichen, unnötigen Mehrdruck gibt). Wenige Tage später landet das Heft dann in der Post, gedruckt auf einem derart penetrant beschichteten Papier, dass man es nach der Lektüre als Sondermüll entsorgen muss. Ganz egal also, ob zwei- oder dreidimensional: Bei manchen Dingen wäre es jedenfalls besser, es würde sie nur digital geben.
»Makers – Makers. The New Industrial Revolution« von Chris Anderson ist bei Crown Business erschienen. »Print Shift« ist online, dort kann eine eigens angefertigte Printkopie bestellt werden: www.dezeen.com/printshift Das Festival Vienna Open bietet der Makers- und Open DesignGeneration eine Plattform. Bei einem Wettbewerb sind auch Re-Makes, ältere Projekte oder weiterentwickelte Designs erwünscht. Die Entwürfe werden unter Creative CommonsLizenzen veröffentlicht. Gewinnerprojekte werden in Kleinserie produziert und im Rahmen des Festivals in Wien und in Amsterdam präsentiert: www.viennaopen.net
Andy Warhols Abbildung einer Campbell-Tomatensuppendose ist eines der berühmtestes Werke der Pop Art. Ihre 3D-Version war Anfang diesen Jahres eines von fünf Gewinnerprojekten bei der »Andy Warhol Challenge«, neben unserer Coverfigur. Mit 3D-Druckern lassen sich also auch in der Kunst ungeahnte Formen vergleichsweise billig ausführen.
text peter stuiber Bild emanuele niri
3D-Druck: FAQ
Was ist 3D-Druck? –– Im industriellen Bereich wird die Technik seit den 80er Jahren angewandt. 3D-Drucker bauen Schicht für Schicht dreidimensionale Objekte auf, unter anderem mit gipsähnlichem Material, Harz, Kunststoff, aber auch Keramik und anderen Werkstoffen. Was kostet ein Drucker? –– Kommt darauf an, was man damit will. Industrielle Drucker kosten eine halbe Million Euro, die billigsten Heimgeräte ein paar Hundert Euro. Man kann sich also ausrechnen, dass dazwischen technische Welten liegen. Macht es schon Sinn, sich heute einen Heimdrucker zu kaufen? –– Gegenfrage: Hat es einen Sinn gemacht, sich das erste Mobiltelefon zu kaufen, das auch fotografieren konnte? Ob man sich zum Beispiel einen MakerBot Replicator um knapp 2.000 Euro leisten soll, ist eine Glaubensfrage. Doch man sollte nicht nur glauben, sondern auch wissen. Ohne Soft- und Hardware-Kenntnisse wird ein Heimdrucker dem Käufer wenig Freude bereiten. Was hat es mit der Pistole aus dem Drucker auf sich? –– Sie ist mehr als ein Mediengag. Tatsächlich kursieren im Internet die Baupläne und Erklärungsvideos zum Bau von Feuerwaffen. Dass Behörden dagegen etwas unternehmen, ist verständlich, die Angst vor Psychopathen aller Art ist bekanntlich groß. So wie Terroristen heute Mobiltelefone verwenden, werden sie wohl auch in Zukunft 3DDrucker gebrauchen. Wie erfolgreich, wird sich zeigen. Die deutsche Polizei hat jedenfalls davor gewarnt, dass die Kunststoffwaffe aus dem Drucker beim Gebrauch explodieren und den Schützen selbst ins Jenseits befördern könnte. Übrigens: Angeblich setzt das US-Militär schon jetzt 3D-Drucker zum Nachproduzieren von Ersatzteilen dort ein, wo die Nachschubsituation schwierig ist. Werden wir alle Designer? –– Streng genommen sind wir es schon, wenn auch nicht für unsere Alltagsprodukte. Den professionellen Designern wird dank bedienerfreundlicher Software von Amateurseite sicher Konkurrenz erwachsen – ähnlich wie man heute als Laie passable Layouts oder Fotos produzieren oder als talentierter Noname-Musiker einen Welthit landen kann. Mit Sicherheit eine entscheidende Rolle spielt dabei Open Source. Was spielt’s in nächster Zukunft noch nicht? –– Eine passgenaue Ersatz-Leber oder eine leckere Lasagne auszudrucken, darauf wird man wohl noch einige Zeit warten müssen. Auch wenn sowohl im Food-Bereich als auch in der High-TechMedizin weltweit experimentiert wird. Sollen wir uns freuen? Oder fürchten? –– Der Heimatdichter Peter Rosegger hat die Angst beschrieben, mit der seine steirischen Zeitgenossen einst der Eisenbahn begegneten. Diesem Beispiel sollte man nicht folgen. Skepsis ist allerdings immer angesagt. Oder, wie es Designer und Architekt Sam Jacob in einem Kommentar für das Magazin Print Shift formuliert hat: »3D-Druck mag uns eine Million neue Möglichkeiten geben, ein Objekt herzustellen, aber es ist unwahrscheinlich, dass es unsere spätkapitalistische Beziehung zu den Dingen verändert. Wenn es eine Lektion aus der Geschichte des Internets gibt, dann die, dass Technologie uns immer schneller hin zur Konsumkultur befördert, hinein in die Tiefen der digitalen Moderne.« Schön gesagt.
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LIVE @ RKH ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS
BERNHARD EDER
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© Werner Zettinig
KARTEN UND INFOS: http://radiokulturhaus.ORF.at
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Die Stadt braucht mehr Farbe, dachte sich der kolumbianische Graffiti-Künstler Stinkfish und verschönerte die Wand eines Naschmarktlokals mit einem farbenfrohen Frauenporträt. 022
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golden frame — Stinkfish Stencils in Wien
Urbane Interventionen Verlassene Hinterhöfe und bolivianische Grenzübergänge gehören zu den Schauplätzen des kolumbianischen Künstlers Stinkfish. Vor Kurzem war er auf Besuch in Wien. Stencil Art trifft auf Freehand Graffiti. Stinkfish verziert schon seit 2003 mit Stencils, Tags, Throw-Ups, Installationen und großflächigen Bildern die urbane Landschaft seiner Heimatstadt Bogota. Gemeinsam mit seiner Crew APC (Animal, Poder, Cultura – zu deutsch: Tier, Macht, Kultur) ist er an jeder Straßenecke der kolumbianischen Hauptstadt in Form von abstrahierten Kindergesichtern, Schriftzügen oder Postern zu sehen. Die ubiquitären »Pieces« stehen technisch längst auf einer Augenhöhe mit Konsorten wie Mr. Fairey und auch in Banksy’s Mockumentary »Exit Through The Gift Shop« taucht der umtriebige Halbmexikaner auf. Stinkfish arbeitet in seinem Oeuvre häufig mit vorgefundenem Material. Er entdeckt liegengelassene Fotos, überarbeitet, kontrastiert und modifiziert sie und bringt sie dann in Form von Stencils wieder innerhalb der städtischen Matrix an. Stinkfish erzählt mir, dass die Idee zu seinem Graffitikollektiv eigentlich aus einem Spaß heraus entstanden ist. Er und seine Freunde sehen sich wie unterschiedliche Tiere im Dschungel. Jeder hat seinen eigenen Stil und zeichnet sich durch seine individuellen Eigenschaften aus. »Graffiti muß etwas Illegales haben, anonym und unabhängig sein«, sagt er. Die farbigen Strahlen, Punkte und ornamenthaften Verzierungen verbinden seine Porträts homogen mit dem oft porösen Bildträger. Stinkfish platziert seine Werke an NichtOrten, an verlassenen Stellen der Stadt und haucht ihnen Leben ein.
Während seines Aufenthalts in Wien hat er auch hier etliche Häuserwände mit farbigen Porträts verschönert. Der Kolumbianer arbeitete dabei sowohl mit Schablonen (Stencils) als auch mit Freihand-Graffiti, so auch bei seinem Bild an der Seitenwand eines Naschmarktlokals. Dabei benutzte er ein vorgefundenes Foto einer Frau, dieses wurde anschließend digital bearbeitet und mit hohem Kontrast abstrahiert, um es in weiterer Folge per Beamer auf ein großes Papier bzw. auf einen Karton zu projizieren. Später werden die fertigen Stencils mit Klebeband an der Wand befestigt, die ausgeschnittenen Flächen mit schwarzer Farbe gefüllt und mit farbenprächtigen Strichen und Flächen vervollständigt. . Seine Werke leben durch ihre Ephemeralität, meint der Künstler selbst. In Bezug auf seine eingesetzte Technik sagte Stinkfish im Interview: »Mein Stil ist eine Mischung aus allem. Ich mische StencilGesichter mit Freehand Graffiti. Was mich ausmacht, ist die Mischung aus beidem.« Die multikolorierten Porträts von Stinkfish sind derzeit auch in Paris und Amsterdam zu finden. Stinkfish lebt und arbeitet in Bogota, Kolumbien. Die Ausstellung »Cash, Cans & Candy« mit Werken von Stinkfish ist noch bis zum 7. September in der Hilger Brot Kunsthalle in Wien zu sehen.
Text jakob kattner Bild felix heller
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Data Dealer — Das Farm-Spiel mit den persönlichen Daten
Kritischer Daten-Spaß 024
Text Stefan Kluger Bild Datadealer.net CC-BY-SA 3.0
In »Data Dealer« geht es um das Sammeln, Verknüpfen und Verkaufen von Daten. Das Social-Game konnte kürzlich eine Kickstarter-Kampagne für sich entscheiden. Entwickler Wolfie Christl im Interview. Wie sieht die Grund-Idee hinter »Data Dealer« aus? Unser Spiel funktioniert ähnlich wie diese berühmt-berüchtigten Bauernhof-Spiele auf Facebook, nur dass bei uns keine Äcker abgeerntet werden müssen, sondern mehr oder weniger legale Quellen für intime private Details über möglichst viele Menschen. In »Data Dealer« schlüpfst du in die Rolle eines skrupellosen Datenhändlers und sammelst Millionen von persönlichen Daten. Die bekommst du etwa von dubiosen Kontakten auf dem Daten-Schwarzmarkt oder durch das Betreiben von Gewinnspielen oder Online-Partnerbörsen. Die Königsklasse ist dann natürlich die Gründung des eigenen Smoogle und des eigenen Tracebook. Die gesammelten Daten musst du als Spieler dann wieder verkaufen, zum Beispiel an Krankenversicherungen und Personalabteilungen – oder an bestimmte Regierungsbehörden. Privatsphäre wird in »Data Dealer« mit Füßen getreten – wollt ihr die Leute durch Satire sensibilisieren? Viele Menschen haben recht wenig Ahnung, wie das Geschäft mit ihren Daten funktioniert. All die kostenlosen Internet-Dienste sind ja nicht wirklich umsonst, meistens bezahlen wir mit unseren Daten. Wir beschäftigen uns schon länger mit diesem Thema und wissen ein wenig darüber Bescheid, was für fette Potenziale in diesen gigantischen Datenmengen stecken. Und niemand weiß genau, welche dieser Informationen wo herumliegen und was damit vielleicht einmal gemacht wird. Die Zeigefinger-Schiene á la »Sei mal ein wenig vorsichtig, was du postest!« sorgt meistens nur für ein müdes Gähnen. Die logische Konsequenz: Drehen wir die Situation halt mal um und machen ein Spiel, wo die Leute selber Daten sammeln und verwerten sollen. Vielleicht lässt sich dadurch ein wenig mehr Verständnis erreichen. Wir versuchen, etwas davon zu vermitteln, wie die Ökonomie der persönlichen Daten im heutigen digitalen Zeitalter eigentlich funktioniert. Wird das funktionieren? Sind die meisten Menschen nicht einfach in erster Linie bequem? Im Laufe des Siegeszugs der sogenannten sozialen Netzwerke und anderer Internet-Geschäftsmodelle, die rein auf der ökonomischen Verwertung von persönlichen Daten beruhen, habe ich immer wieder erlebt, dass die Leute unglaublich hedonistisch und euphorisch mit all diesen neuen Kommunikationsmöglichkeiten umgehen. Dagegen spricht ja an sich auch nichts, im Gegenteil. Als altes Internet-Relikt, das seit Mitte der 1990er Jahre online ist, schätze ich die Netz-Kommunikation über alles und nutze natürlich auch die aktuellen großen
Dinger. Solange eine technokratisch-paternalistische Plattform wie Facebook derart dominant ist, kommt man ohne Einschränkungen im digitalen Sozialleben auch kaum daran vorbei. Die große Frage ist aber: Wem gehören die persönlichen Daten, die bei der Nutzung anfallen? Wer hat die Kontrolle darüber? Die Nutzer? Oder hauptsächlich einige intransparente große Unternehmen und vielleicht noch ein paar staatliche Behörden dazu? Ich glaube, hier muss sich noch einiges ändern. Und wenn wir hier ein wenig Licht ins Dunkel bringen, haben wir schon viel erreicht. Aber hauptsächlich soll unser Spiel eines machen: Spass! Warum gibt es zu diesem Thema keine anderen kritischen Spiele? Zu genau unserem Thema gibt’s echt kaum was im Spielesektor. Das liegt aber sicher auch daran, dass so etwas wie »kritische Computerspiele« insgesamt noch eher unterbewertet sind. Wir sehen »Data Dealer« auch als ein Projekt, mit dem wir austesten und weiterentwickeln wollen, wie denn so ein Mix aus einem edukativen und einem kritischen Spiel eigentlich aussehen könnte. Mittelfristig hätten wir jede Menge andere Ideen. Zum Beispiel den »LebensmittelindustrieManager« – das ist jetzt bitte ein Arbeitstitel. Oder der Pharma-Sektor wäre sicherlich auch ein interessantes Feld. Im Moment konzentrieren wir uns aber weiter voll auf »Data Dealer«. Kommt es euch gelegen, dass der NSA-Abhörskandal gerade jetzt in aller Munde ist? Unsere erste englische Version ist ein paar Tage vor dem Aufkommen dieser Sache online gegangen. Wir sagen ja seither immer: NSA, PRISM, Snowden ... das ist alles ein Riesen-Fake! Das ist alles Teil einer ausgeklügelten Marketingstrategie eines cleveren kleinen Spieleprojekts aus Wien. Klar kommt uns das einerseits entgegen. Andererseits fokussieren wir in unserem Spiel sehr stark auf kommerzielle Datensammelei und nicht so sehr auf die staatliche Überwachung. Der Hintergrund ist aber natürlich ein ernster und so richtig überraschend war das alles ja nicht. Ob in Österreich ähnliche Zustände herrschen? Na, einerseits gibt’s bei uns die Vorratsdatenspeicherung, und wenn ich mir ansehe, wie so manch österreichische Behörde etwa bei der Überwachung der Tierschützer agiert hat, kann ich mir leider vieles vorstellen. Wie schaut es mit der Finanzierung aus? Schwierige Sache. Am Beginn haben wir an »Data Dealer« zu viert und nebenbei gearbeitet. Unser Brot-Job war damals eine kleine Internet-Agentur mit Schwerpunkt auf Open Source und Web-Technologie.
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Sieht aus wie ein Browsergame à la Farmville, bringt aber spielerisch Data Mining näher.
Nach dem doch ganz guten Erfolg der Demo vergangenes Jahr im gesamten deutschen Sprachraum haben wir uns gesagt: Entweder Finanzierung oder wir müssen es sein lassen. Die Finanzierung hat dann glücklicherweise geklappt – hauptsächlich Dank departure und netidee. Seit vergangenem Herbst arbeiten wir mit einem größeren Team an der Multiplayer-Vollversion von »Data Dealer«. Die kommerziellen Internet-Projekte haben wir großteils aufgegeben. Mit der Vollversion von »Data Dealer« sind wir jetzt zu 80 Prozent fertig. Wir haben eine eigene Game Engine entwickelt, unser Spiel basiert auf HTML5 anstatt Flash und die ganze Internationalisierung ist natürlich auch nicht gerade unaufwendig. Du hast vor Kurzem in New York den »Games For Change«-Award abgeholt … Ich war hauptsächlich wegen dem »Games for Change Festival« dort. Beim Festival waren so ziemlich alle international relevanten Leute aus den Bereichen Serious Games, Educational Games und eben Games for Change – also Spiele, die auf einen sozialen oder gesellschaftlichen Impact abzielen. Dazu waren aber etwa auch die Mainstream-Spieleindustrie, große US-Stiftungen und Medien ganz gut vertreten. Ich hab unser Spiel präsentiert, viele interessante Kontakte geknüpft und schließlich doch sehr erfreut den Preis entgegengenommen. Außerdem hab ich sogar ein Fox News-Interview gegeben. Ausgerechnet die waren dort! Ihr habt nun eure Kickstarter-Kampgane erfolgreich abgeschlossen. 50.000 Dollar sind für andere Projekte eine überschaubare Summe. Was heisst das für euer Projekt und was wird dadurch konkret ermöglicht? Wir sind jetzt ein 15-köpfiges Team und wenn du von dem Betrag Kickstarter-Provision und Kosten für US-Firmengründung und Merchandise abziehst und das in Euro umrechnest, können wir damit natürlich nicht die ganz großen Sprünge machen. Aber wir können damit auf jeden Fall endlich die Vollversion fertigstellen und online bringen! Für danach gibt es jetzt unglaublich viele tolle Kontakte und Interesse an Partnerschaften. Aber es wird trotz der großen Resonanz sicher nicht einfach, da in den nächsten drei Monaten was daraus zu machen. Was heisst das für euer Projekt und was wird dadurch konkret ermöglicht? Österreich und der deutsche Sprachraum bleiben jedenfalls sicher nach wie vor unsere Homebase. Gleichzeitig sind unser Thema und
unser Ansatz natürlich keinesfalls nur im deutschen Sprachraum relevant, darum haben wir den Schritt in internationale Gewässer gemacht. Bis jetzt nicht erfolglos – nicht nur, was die Medienberichterstattung von Le Monde und Guardian bis zu New York Times betrifft. Wir haben auch unglaublich viele positive Rückmeldungen von Leuten aus aller Welt erhalten und sind in gutem Kontakt mit vielen relevanten Datenschutz-Organisationen. Außerdem haben wir ein EUKonsortium aus mehreren europäischen Unis zur Entwicklung einer Schulversion von »Data Dealer« samt didaktischem Begleitmaterial zusammengestellt. Die würde sicherlich anders aussehen, aber das könnte sich auch gegenseitig befruchten. Es wär jedenfalls toll, wenn wirs in nächster Zeit mal aus der permanenten prekären Situation der letzten 2 Jahre raus schaffen würden und unsere vielen Ideen umsetzen könnten. Mal sehen! Die Online-Demo-Version zu »Data Dealer« und weitere Informationen unter www.datadealer.com
Das Team von Data Dealer hat im Schwarmverfahren 50.000 Dollar für die Weiterentwicklung ihrer Spielidee bekommen. 025
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Der»Rasenmähermann« taucht 1992 in einer grottig aussehenden Virtual Reality ab. Im Nachfolger schafft er es sogar »Beyond Cyberspace«.
Sprachliche Netzirrtümer — Internetsprech und seine Folgen
Buzzword Bingo Wo das Internet ist, da reicht die Sprache oft nicht hin. Von Dörfern und Straßen und unsichtbaren Zimmern ist dann schnell die Rede, weil es an präziseren Begriffen fehlt. Wir klären einige der wunderbarsten Missverständnisse auf. Buzzword Bingo, Teil Eins von 2 1024.
Im Jahr 1991 stellte Tim Berners-Lee das World Wide Web-Projekt mit einem Beitrag zur Newsgroup alt.hypertext der weltweiten Öffentlichkeit zur Verfügung. Damit war der Grundstein für eine Entwicklung gelegt, die vieles auf dieser Welt ganz grundlegend verändern sollte. Nach und nach hält von da an das »Internet« mit seinen Diensten Einzug in so gut wie allen Lebensbereichen. Wirtschaft, Medien, Kultur und sogar die Politik werden erfasst von der digitalen Revolution. Klar, dass da viele nicht ganz mitkönnen. Die deutsche Kanzlerin ist nicht die einzige, die das Internet als »Neuland« empfindet. Das lässt sich auch in und an der Sprache feststellen. Hier eine kleine Auswahl aus dem noch nicht geschriebenen Wörterbuch der unausrottbaren sprachlichen Unschärfen und -irrtümer.
Content
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[ˈkɒn.tɛnt], der; -s Früher galt der Content (zu Deutsch »Inhalt«) als King – als Herrscher in einem Reich, wo ihm die Massen zujubelten und dem sich die Werbung unterzuordnen hatte. So richtig konnte er seine Macht dann aber nie entfalten. Nicht zuletzt deswegen, weil die Werbung sich zu sehr in den Vordergrund drängte und die Sicht auf den König verstellte. Seitdem werden die wildesten Verrenkungen unternommen, den König wieder auf seinen Thron zu hieven und den Untertanen irgendwie Geld dafür abzupressen. Am besten funktioniert das scheinbar noch dort, wo sich die Untertanen ihren König selbst basteln, sprich: die User bauen sich selbst ihren Content, auf Facebook, Youtube und Twitter.
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Cyberspace
[ˈsaɪ ̯bɐˌspɛɪ ̯s], der; -es Namenspatin für diesen Raum ist die Kybernetik. Bei der geht es ursprünglich um Regelung und Steuerung von Systemen. Sie bildet die gedankliche Grundlage für hochkomplexe Anwendungen wie etwa künstliche Intelligenz – also Softwarelösungen, die in der Lage sind, Probleme eigenständig zu bearbeiten – oder die Robotik. Lange Zeit wurde der Cyberspace als digitale SciFi-Metapher verwendet. Heute fristet er sein Dasein als eigentlich eh alles, was über Bildschirm und / oder Tastatur erreicht werden kann.
Datenhighway
[ˈdaːtn̩] [ˈhaɪweɪ], der; -s Eine Autobahn ist eine breite Straße, auf der Autos besonders schnell fahren können. Die US-Regierung sprach 1993 erstmals von einem »Information Highway«, auf dem Daten in Höchstgeschwindigkeit herumflitzen. Findige Marketingmanager von Internetserviceprovidern verwenden Variationen des Begriffes noch heute, um die Leistungsfähigkeit ihrer Produkte argumentativ zu untermauern. Insbesondere, wenn neue breitbandigere Technologien – wie aktuell gerade LTE im Mobilfunkbereich – eingeführt werden, wird das schiefe Bild gerne wieder ausgegraben. Schief ist es in den Augen der Netzgemeinde vor allem deshalb, weil es so tut, als könnte der Verkehr auf der Datenautobahn ebenso reguliert werden wie auf der echten Autobahn – mit Geschwindigkeitsbeschränkungen, Überholverboten und Mautstrecken. Vielleicht sogar zur Sicherheit derer, die sie befahren?
Digital Native
[ˈdɪd͡ʒɪtəɫ] [ˈneɪtɪvs], der; -s Die neue Generation hat angeblich den selbstverständlichen Umgang mit Technologie in die Wiege gelegt bekommen und versteht perfekt, sie zu nutzen. Die Alten rufen permanent nach Media Literacy (auf Deutsch: Medienkompetenz). Weil die waren nämlich dabei, wie die digital Eingeborenen gezeugt wurden. Da gab es noch mehr als bloß Nullen und Einsen. Sie erinnern sich auch noch daran, wie ihre Sprösslinge ihre ersten unsicheren Schritte im Real Life gemacht haben.
Netzgemeinde? Nein, hier wird Journalisten das neue Cyberspace-Computerspiel »eXistenZ« im gleichnamen Film vorgestellt.
Netzgemeinde
[ˈnɛʦə] [ɡəˈmaɪ ̯ndə], die; -en Heute haben weltweit schätzungsweise 2,4 Milliarden Menschen Zugang zum Internet. Ein geschätztes Drittel davon kann als Digital Natives bezeichnet werden. Hierbei handelt es sich um äußerst unterschiedliche Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, Internetdienste zu nutzen. Man nimmt aber an, dass es innerhalb dieser Masse eine gemeinschaftliche und mehr oder weniger gut organisierte Gruppe gibt: die Netzgemeinde. Ihr wird die Verantwortung dafür zugeschrieben, das im Netz beinhaltete Gute, Wahre und Schöne zu bewahren bzw. dafür zu kämpfen. Wenn es diese Gemeinde tatsächlich gibt, dann ist sie wohl höchstens ein gallisches Dorf. Leider!
Real Life
[ʀeˈaːl] [laɪf], das; plurarl: lives Wo Menschen elektronische Gerätschaften nutzen, um sich auszutauschen, kann Großes entstehen. Da verschwinden altbekannte Hürden und Distanzen lassen sich mühelos überwinden. Was bleibt, sind letztlich aber doch Beziehungen zwischen Menschen – mit allen Schwierigkeiten und Missverständnissen, die dazugehören. Trotz stetig wachsender Bandbreiten und besserer Darstellungsmöglichkeiten fehlt bei der digitalen Kommunikation etwas. Da ist man rasch versucht, sie nicht als Teil des wirklich wahren und ganz echten Lebens zu betrachten, sondern als Teil der Virtual Reality, die das Gegenstück zum Real Life bildet. Dabei baut der technologische Fortschritt die Unterschiede zwischen echtem und unechtem Leben weitgehend ab. Für alle, denen die Unterscheidung dennoch wichtig ist, gilt als Faustregel: Wenn’s schlecht riecht, muss es das Real Life sein.
Der Content von »Metropolis« ist großartig. Die herrschende und die Arbeiterklasse sind in einen biblischen Kampf verwickelt.
Virtual Reality
[ˈvɜːtʃuəl] [riˈæləti], die; -ies Neben der echten Realität gibt es noch eine zweite, die nicht in der Form existiert, in der sie zu existieren scheint, die aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung der existierenden Realität gleicht. So weit ist ja alles klar. Ursprünglich wurde der Begriff Virtual Reality für computergenerierte Simulationen verwendet, die die Interaktion mit physikalischen Gegenständen nachbildet. Das können etwa Handschuhe sein, die haptisches Feedback geben oder die längst massenmarktfähige Möglichkeit, mit natürlichen Bewegungen und Gesten durch simulierte Umgebungen zu navigieren, etwa mit Controllern von Spielkonsolen. Mit »Second Life« fand die Idee, ganze virtuelle Welten zu gestalten, einen Höhepunkt und gleichzeitig auch ihr vorläufiges Ende. »Second Life« ist eine Geisterwelt und Virtual Reality geistert als hohle Phrase durch den allgemeinen Sprachgebrauch. Ähnlich wie der Cyberspace wird er recht gerne verwendet, um zu beschreiben, wie Digital Natives sich dem Real Life entziehen.
Web 2.0
[wɛb] [t͡svaɪ ̯] [pʊŋkt] [nʊl], das; Kinder, wie die Zeit vergeht! Version 1.0 des Webs wurde 1991 veröffentlicht. Im Grunde war da schon alles angelegt, was 2003 erstmals als Web 2.0 bezeichnet wurde, nämlich die kollaborativen und interaktiven Elemente. Tim O’Reilly hat den Begriff 2005 so richtig groß gemacht. Das ist jetzt auch schon acht Jahre her. Mittlerweile mussten wir feststellen, dass die Analogie zu den Software-Neuveröffentlichungen doch nicht so ganz passt. Daher stellen wir jetzt allem einfach ein »Social« voran und lassen das mit der Versionierung wieder sein. Wäre ja noch schöner, wenn wir jetzt laufend alle Security-Patches für unser Web installieren müssten. Apropos Social: Wer sich ein wenig mit Interneterfinder Tim Berners-Lee beschäftigt, wird feststellen, dass er von Anfang an den Austausch von Informationen zwischen Menschen gedacht hat. Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen ist ein höchst soziales Anliegen.
To be continued.
Text Werner Reiter Bild Warner Home Video, Studiocanal, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung illustration erli grünzweil
»Blaue Pille oder Rote Pille?«. So musste sich Neo im Film Matrix zwischen Real Life und Virutal Life entscheiden.
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text yannick gotthardt Bild Mariano Sardón / Mariano Sigman, nicolas ferrando / lois lammerhuber
» Ich erinnere mich an die Liebe, wir erinnern uns an das Dritte Reich, die NSA erinnert sich an beides und außerdem daran, dass du heute die selbe Unterhose anhast wie gestern.«
Ars Electronica — »Total Recall – The Evolution of Memory«
Auch die NSA erinnert sich an die Liebe Sechs MB groß war das Programm von IBM für die Mondlandung. Das reicht heute nicht einmal mehr für einen Urlaubsschnappschuss. Individuelle, kollektive Erinnerungen und technologische Rahmenbedingungen sind das Thema der Ars Electronica 2013.
»Erinnerungskultur« ist ein entnazifizierter Begriff. Im brav aufarbeitenden Deutschland bedeutet dies, dass man gemeinsam mit diesem Begriff keine Sätze mehr bilden darf, in denen nicht mindestens ein KZ erwähnt wird. In Österreich bedeutet es schlicht, dass der Begriff praktisch nicht mehr benutzt wird und wenn, dann von den falschen Personen. In den Erinnerungen des Einzelnen sammelt sich das ganze Leben. Viel zu oft ist diese Erinnerung leider auf kitschige Reproduktionen reduziert. Bei der Beschäftigung mit kollektiver Erinnerung gehen staatliche Kunst, Kultur und Erinnerungsstätten mit hohen Subventionen ihrer staatlichen Erinnerungsaufgabe nach. Mit einer Verknüpfung der beiden beschäftigt sich kaum jemand und wenn es einzelne Projekte einmal tun, dann ist es gleich ein Alleinstellungsmerkmal. Die Wiener Autorin Michaela Taschek zu Beispiel schreibt zu fremden privaten Fotos vom Flohmarkt fiktive Texte, welche sich wiederum stark an kollektiven Erinnerungen einer vergangenen Epoche orientieren. Im großen Rahmen wird dieses weite Feld nun von der Ars Electronica aufgegriffen. Das diesjährige Thema ist dort die Entwicklung individueller, kollektiver und technischer Rahmenbedingungen von Erinnerungen unter dem Titel »Total Recall – The Evolution of Memory«.
In der Tiefe graben Ich erinnere mich an die Liebe, wir erinnern uns an das Dritte Reich, die NSA erinnert sich an beides und außerdem daran, dass du heute die selbe Unterhose anhast wie gestern. Das technische Element spielt in der Gleichung der Erinnerungskultur immer dominanter mit. Die Ars Electronica versucht daher, alle Ebenen der Erinnerung (besser im Englischen: Memory) zu verknüpfen und stellt Fragen wie: Wird es ein Menschenrecht auf Vergessen geben? Welche Erinnerungspolitik werden wir pflegen? Welche sind die aktuellen Projekte und Visionen, um das menschliche Kulturerbe zu speichern und für die Nachwelt zu erhalten, welche Methoden werden in Zukunft dafür zum Einsatz kommen? Kann man eine verlässliche Speicherung nicht nur für Jahrhunderte, sondern für Jahrtausende überhaupt bewerkstelligen, und warum wollen wir das eigentlich? Es wird zu diesen Themen interdisziplinäre Symposien, Expertengespräche und natürlich die Arbeiten zahlreicher Künstler zu sehen geben. Einer dieser Künstler und gerade jener, der sich explizit nicht mit dem Thema »Erinnerung« beschäftigt, ist der diesjährige »Featured Artist« HR Giger.
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Mitten in der »Wüste, die das AEC mit seiner Ars Electronica hinterlassen hat«: die Stadtwerkstatt.
Die Ars Electronica erinnert sich an die eigenen Jugendjahre 1979 fand die erste Ars Electronica statt. Im selben Jahr lief der erste Teil von »Alien« in den Kinos an und HR Giger wurde zum kontinentaleuropäischen Gott der Sci-Fi- und Technologie-Kunst. Noch über zehn Jahre später hat er nachfolgende Medienkünstler wie Monochrom inspiriert. Erinnerung ist keines der zentralen Themen Gigers. Außer des großen Namens dürfte er also auch zur Pflege der Erinnerungskultur über Medien und Technologie der frühen 80er Jahre eingeladen worden sein. Das ist schön, denn man bekommt den Eindruck, dass der Begriff auf diese Weise neu und produktiv besetzt wird. Die »Ars Electronica« beschäftigt sich in Linz vorab und hinterher, aber vor allem zwischen 5. und 9. September mit Erinnerung. Mehr Infos unter: www.aec.at
Kommentar von Franz Xaver (Stadtwerkstatt, Linz)
Der erste Schritt, im Fahrwasser der Klangwolke zu agieren, war ja genial. Dann aber kam beim Linzer Festival Kohle ins Spiel …
»Sie ham es versabelt« – ich glaube, auf Deutsch heißt das: Sie haben es versägt, dazustückeln geht nicht mehr. Der Name »Museum der Zukunft« für das Festivalzentrum wirkt ja schon, als wolle man die Utopien mit Gewalt in die Köpfe der Besucher pressen. Man merkt aber früh, dass es nur eine Marketing-Strategie ist, ähnlich dem Satz, der die Krise prägt: »Wir sind gut aufgestellt«. Dies versägte Werkstück betrifft leider nicht nur die Ars Electronica, sondern auch das ganze Image einer Stadt. Zusätzlich wird einem Kunstgenre, das wirklich einmal für Utopien gesorgt hat, der Boden unter den Füßen weggezogen. Vielleicht ist es der Nähe zur Politik geschuldet. Oder man hat vergessen sich abzugrenzen. Man hätte eine künstliche Barriere, ähnlich einer Grenzkontrolle, zu den parteipolitischen Interessen installieren sollen, dadurch hätte viel Schaden für die Stadt Linz verhindert werden können. Das Image der sauberen Stadt der Neuen Medien ist nun ein wenig angekratzt, was natürlich wieder auf die Politik zurückfällt.
Der Konstruktionsfehler Am Anfang war es ein genialer Plan: Im Schatten der Klangwolke, bei der die Massen und die Parteipolitik zufriedengestellt wurden, gab es ein kleines Festival für elektronische Kunst. Das hat anfangs auch prächtig funktioniert. Fakt ist aber, das nun dieses Werkstück versägt wurde. Diese »Versabelung« könnte man beim Bau des Ars Electronica Centrum (AEC) ansetzen. Oder vielleicht begann sie auch schon früher, Mitte der 80er Jahre, bei der Aufteilung des Festivals zwischen Brucknerhaus und ORF-Zentrum Linz. Im Brucknerhaus war das Laboratorium aufgebaut, die praktische Versuchsanstalt, die das Ganze sehr lebendig machte, und im ORF-Zentrum waren die »sauberen« Medien, z.B. Videokunst beheimatet. Diese wurden dann auch bald mit dem Kapital der Industrie unterstützt. Mit dem Neubau eines Festivalzentrums wurden dann die Fehler dieser Konstruktion deutlicher.
Die Sache mit dem Labor Es war ein Trend der Zeit, Kunst nicht mehr in Ausstellungen zu zeigen, sondern sie fand immer mehr in Laboratorien statt. Die inhaltlichen Architekten jener Zeit haben das ja auch gesehen und einen großen Teil des AEC mit einem Labor ausgestattet. Dieses Labor hatte dann auch schon wieder so einen klingenden Namen: Futurelab. Aber leider hat da jemand nicht kapiert, worum es damals eigentlich ging. Darum nochmals an die Stadt Linz und die Leitungen solcher Museen und Festivals: Labore sind nicht dazu da, Geld zu generieren, sondern die Labore sind das Herz der Kreativität in diesem Bereich. Wenn es um Kunstkontext und Utopie gehen soll, dann können diese nicht in Abhängigkeit eines wirtschaftlichen Erfolges stehen. Kunst muss Dinge erfinden, die nicht zwangsläufig einen Nutzen haben. Argghhh … ihr Penner, ihr habt es wirklich verschlafen!
Vorgeführt von den Naturwissenschaften Nun, 20 Jahre nach diesem Fehler und einer Wüste, die das AEC mit seiner Ars Electronica hinterlassen hat, werdet ihr vorgeführt von den Naturwissenschaften, bei denen es eigentlich um einen Nutzen für die Menschen gehen soll. Diese Labore in den Naturwissenschaften haben inzwischen mehr mit dem Thema zu tun als euer gesamter »Betrieb der Zukunft«. Anton Zeilinger mit seinem Institut für Quantenphysik wurde nicht zuletzt deshalb auch zur Documenta nach Kassel eingeladen, um dort eine neue Sicht auf die Dinge der Welt zu präsentieren. Dabei wäre es so einfach gewesen. Der erste Schritt, im Fahrwasser der Klangwolke zu agieren, war ja genial. Man hätte diesen Trick auch weiter anwenden können. In einer massenkompatiblen und parteipolitisch gefälligen Institution hätte man ein paar kleine Freiräume (Labore) installieren müssen, in denen dann wirklich an interessanten Dingen gearbeitet wird. Ein anderer Weg, politische Erfordernisse zu erfüllen, wäre es, ein populäres elektronisches Musikfestival wie das Elevate oder das Sonar nach Linz zu holen. Die Realität ist anders: Im AEC werden Entwicklungen der Wirtschaft und Industrie als Innovationen vermittelt, mit den Entwicklungen im Futurelab des AEC wird wiederum die Wirtschaft und Industrie unterstützt. Ein Modell, das sicher kurzfristig Kohle einspielt, aber keine Dauerlösung ist. Denn die meiste Kohle wird dafür verwendet, die Erde hinter sich zu verbrennen. Franz Xaver ist Künstler und Beobachter der Neuen Medien, war bis 2003 in Wien tätig, dann Leitung des Medienkunstlabors in Graz und seit 2009 Mitarbeiter der Stadtwerkstatt Linz. 029
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King Krule — »6 Feet Beneath The Moon«
Extrem leer, unglaublich nah Vor zwei Jahren konnte King Krule gerade noch verhindern, zum Gesicht einer ganzen Generation zu werden. Heute singt er wunderbare Lieder von Liebe und Hass, vom Aufbäumen und Scheitern, von Hoffnung und Ratlosigkeit. Ein durch und durch britisches Debüt.
Jugendliches Gefühlsbad Zwei Jahre später sitzt Marshall in einem Hotelzimmer in Amsterdam und gibt Interviews. Die Erlaubnis seiner Mutter braucht er dafür nicht mehr. Doch eine wirklich überzeugende Erklärung für die Geschehnisse von damals hat er immer noch nicht. »Ich bin aus London, die Riots waren in London. Es war halt einfach, da eine Verbindung zu ziehen.« Das ist zweifellos wahr. Und gleichzeitig eine ziemliche Untertreibung. Es gibt schon Gründe, warum man King Krules Musik mit der »Lost Generation« der Insel assoziierte. Zunächst mal ist sie durch und durch britisch. Nicht nur, aber vor allem durch Marshalls Stimme. Er singt seine Texte nicht und spricht auch die Worte nicht wirklich aus. Genau wie Jamie T oder Mike Skinner spuckt er die Silben eher, rotzt sie auf den Asphalt, wo sie dann liegenbleiben und ein temporäres Hindernis bilden. Man kann ihnen nur ausweichen oder in sie hineintreten. Diese schnodderige, grauenhafte, wunderbare Art zu sprechen, die einen immer gleichzeitig zu einem Bier einlädt und Prügel androht, lässt sich vielleicht imitieren. Erlernen lässt sie sich nicht. Aber das ist nicht das Einzige. King Krules Musik transportiert darüber exakt die Gefühle, die Innenstadt-Intellektuelle Jugendlichen aus der Vorstadt zuschreiben. Die Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Wut; das ständige Aufbäumen, Scheitern und die daraus folgende Betäubung. »6 Feet Beneath The Moon« ist still und gleichzeitig unfassbar intensiv. Lethargisch und aufschreiend – extrem leer und unglaublich nah. Selten war der Hass so tiefgehend, die Liebe so ehrlich, die Ratlosigkeit umfassender. Archy Marshall führt den Hörer durch höchste Höhen und tiefste Tiefen – oftmals sogar alles in einem
Song. Man muss sich nur den Text von »Out Getting Ribs« anschauen. Es beginnt mit den wunderbaren Zeile »Hate runs through my blood, what matters are words in love«, um dann in den ebenso flehenden wie fatalistischen Chorus »Don’t break away, I waste away« überzugehen. Auch King Krule selbst sieht Gefühle als das zentrale Element, um sich seiner Musik zu nähern. Sie sei eben sein Ventil. Welches Gefühl eigentlich am präsentesten in seiner Musik sei? »Wut. Wobei … eigentlich auch Liebe, Hass, Freude, Ratlosigkeit. Aber vor allem Wut.« King Krules Debüt zelebriert Gefühle in einer Intensität, wie es wohl nur Teenager können. Das überrascht nicht wirklich. Manche Songs wie das fantastische »Ocean Bed« schrieb Marshall, als er 13 Jahre alt war. Auf »6 Feet Beneath The Moon« finden sich diese gleichberechtigt neben Liedern, die Anfang 2013 entstanden. Die Platte ist so zu einem Album geworden, in dem der Musiker seine bisherige Zeit als Archy Marshall, als Zoo Kid – wie er sich zwischendurch nannte – und King Krule verewigt hat. Ein Mosaik seiner Kindheit und Jugend. Eine Bestandsaufnahme der Dinge, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist. Seine Geschichte, die ihn von einem sehr musikalischen Elternhaus in London über mehrere Schulen in ein Hotelzimmer in Amsterdam führte.
Brutal, aber nicht gewalttätig Musikalisch ist es nicht ganz einfach, King Krule einzuordnen. Er selbst sieht sich als elektronischer Musiker, was von der technischen Herangehensweise wohl auch stimmt. Vielfach werden Jazz-Samples und Loops über minimalistische Beats gelegt. Und trotzdem ist die Gitarre viel zu präsent, um die Verbindungen zur Schule der Songwriter völlig zu kappen. Die Parallelen zum Darkwave-Sound der 80er sind offensichtlich, auf dem Album sogar noch viel stärker als auf den vorab veröffentlichten Liedern. Nicht zufällig führt Marshall Ian Curtis als eine Inspirationsquelle an und bezeichnet seine Musik als »lucid blue-toned«, was wirklich zu schön zum Übersetzen ist. King Krules Texte wurden gelegentlich als »gewalttätig« beschrieben. Das trifft es aber nicht ganz. Natürlich spielt er gerne damit. Und genießt wohl auch die Assoziation seines Namens mit »cruel«, obwohl er ihn eigentlich aus einem »Donkey Kong«-Videospiel übernommen hat. Aber Marshall ist keineswegs gewalttätig, sondern hat nur eine harsche, direkte und manchmal brutale Art, Dinge rüberzubringen. Es ist aber auch nicht so, als würde er dieses Missverständnis gerne aufklären. »Ich kann niemandem vorschreiben, wie er sich beim Hören zu fühlen hat. Außerdem liebe ich es, wenn Menschen meine Musik interpretieren.« Seit der mütterlicherseits erzwungenen Auszeit geht’s für Archy Marshall nur nach oben. Die Promo für sein Album läuft, in England spielte er im Sommer die großen Festivals, die BBC wählte ihn in ihre »Sound Of 2013«-Rubrik. Sie dürfte damit wohl recht behalten. Bleibt noch die Frage, ob Archy Marshall heute eher damit leben könnte, wenn die Journalisten King Krule wieder zu einem Symbol raufschreiben würden. »Ich bin nicht bereit, das Gesicht von irgendwas zu sein. Ich möchte einfach nur Musik machen.« Es bleibt ihm zu wünschen, dass es diesmal klappt.
King Krule »6 Feet Beneath The Moon« erscheint am 24.8. auf XL Recordings.
Text Jonas Vogt Bild james medina
Zwei Jahre ist es jetzt her, seit sie versucht haben, Archy Marshall seine Persönlichkeit zu nehmen. »Sie« – das waren keine feindlichen Agenten, keine skrupellosen Manager oder finstere Gestalten. Niemand wollte Marshall etwas Böses. Es waren wohlmeinende Journalisten und Blogger in New York, Berlin und London, die begeistert über ihn schrieben. Und dabei aus dem schmalen, 16-jährigen Briten etwas machten, das er nicht war und nie sein wollte. Doch eins nach dem anderen. Mittlerweile ist Archy Marshall 18 Jahre alt und besser bekannt unter dem Namen King Krule. Seine Songs geistern bereits seit drei Jahren durchs Netz, Ende August erscheint sein mit Spannung erwartetes Debüt »6 Feet Beneath The Moon«. Man darf davon ausgehen, dass es sehr, sehr erfolgreich sein wird. 2011 gab es bereits eine erste selbstbetitelte EP. Kurz vor dem Release gab Andy Marshall dem musikalischen Leitmedium Pitchfork in New York ein Interview. Zum gleichen Zeitpunkt brannten in London gerade nach einem tödlichen Polizeieinsatz die Straßen. Marshall äußerte Verständnis für die Wut der Jugendlichen – es sei besser, als wenn nichts passierte. Musikmedien stürzten sich darauf. Plötzlich hatten die London Riots und die Generation dahinter ein künstlerisches Gesicht. Ein hagerer Allerwelts-Ginger, dessen Werk die Frustration und Hoffnungslosigkeit widerspiegelte. Eine medienwirksame Mischung aus Jimi Hendrix und Benno Ohnesorg, der man ihre britische Herkunft nicht nur anhörte, sondern auch noch auf 100 Meter ansah. Das alles wurde schnell zuviel. Und es passierte etwas, das bei Minderjährigen gelegentlich vorkommt: Marshalls Mutter schritt ein. Sie nahm ihren Sohn erstmal weitgehend aus der Öffentlichkeit, die eben oft nicht nur Rampenlicht, sondern auch Schussbahn ist.
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Alunageorge »Body Music« — Blaupause für schlankere Tage zwischen Club und Song
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Text Stefan Niederwieser Bild Universal
Alunageorges Debüt ist gar nicht so besonders geworden, dürfte aber dennoch zur Blaupause für eine Reihe von großartigen und auch schlimmen Popbands aus dem UK werden. R’n’B x Garage x House – ja, ja, ganz neu ist das nicht mehr. Noch weniger aber wird es so bald wieder verschwinden. Dieses Debüt – »Body Music« – wird das noch einmal untermauern und in England wohl auf der Eins landen. Rechts und links davon tummeln sich neue, brillante Artists. Stell dich besser gleich mal darauf ein: Es ist ein Stilmix, der im Fall von Alunageorge gleich nach mehreren Seiten hin offen ist. Das Duo aus London singt eher konventionelle Songs über Beats, die im schillernden Licht einer Discokugel gemacht wurden. Und eigentlich sollte das sollte heute auch nicht mehr allzu sehr überraschen. Immerhin wurden spätestens mit David Guetta vor vier Jahren die Schwellen zwischen Club und Pop, zwischen R’n’B und House auf breiter Front eingerissen – natürlich nicht von ihm alleine, natürlich nicht zur Zufriedenheit aller oder ohne gewichtige Vorarbeiter, aber mit ihm als obersten Hampelmann. Die Zeit war offenbar reif für einen Bruch, nach Jahren voller geilem Electropop und überteuertem HipHop. Alunageorge schreiben dieses Kapitel nun eleganter und mit starkem, englischem Akzent weiter – und mit einem Album, das seine besten Singles schon hinter sich hat. Es scheint heute ja System zu haben, dass zuerst die Blogosphäre mit Remixen, einigen ungewöhnlicheren Songs, Gastauftritten und schlauen Flirts in Richtung Kunst und Mode gefüttert wird und hinterher die alten, klassischen Medien bedient werden mit einem althergebrachten Album, das sich wieder mehr an faule Hörgewohnheiten anpasst. In gerade einmal zwei Jahren vom Buzz, zum Hype, zum Schotter – ja, Erfolg ist eben doch planbar. Nummer Zwei im jährlichen BBC Sound Poll zu werden, hilft
auch. Wenn man dort die Jahre zurückblättert, erkennt man, dass die Macher der Liste sich nicht mit vagen Prognosen über die Kunst begnügen. Vielleicht braucht ein Album mal etwas länger, wie »Body Music«, aber die Weichen sind da meistens schon auf Erfolg gestellt. Electronic Beats – nicht gerade der Inbegriff eines untergrundigen FanBlogs – hat schon vor über zwei Jahren über das Duo geschrieben, exklusiver Download inklusive. Bacardi hat sich in die Berichterstattung über ein Remixprojekt mit den Friendly Fires gleich mit eingekauft. Blogseeding nennt sich das, für das coole Image. Alunageorge machen bereitwillig mit, wie auch bei unzähligen Fotoshootings. Das ist erst einmal alles nicht schlimm, sondern gehört heute zu Pop dazu. Und Pop, das beherrschen die beiden zum Glück. Alunageorge werden Pop nun nicht retten. Ihre Songs handeln von harmloser Liebe mit ein wenig Teenage Angst, ihr süßer Gesang ist nicht sonderlich nuancenreich und verglichen mit ihren Interviews wirken sogar Rihanna und Justin Bieber wie kontroversielle Figuren. Aber sie singen und bewegen sich mit derselben kühlen und schönen Eleganz, die man derzeit an so vielen Orten sehen und hören kann – bei Jessie Ware, Totally Enormous Extinct Dinosaurs, natürlich bei Disclosure, Sky Ferreira, Jacques Greene, Lorde oder Gorgon City. Und damit kommen sie definitiv auf das Mixtape dieses Sommers, dieser Gegenwart, für schlanke, zurückhaltende und gefühlsbetonte Zeiten.
»Body Music« von Alunageorge ist am 29. Juli via Island / Universal erschienen.
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Lehnen – »I See Your Shadow« — Ein hintergründiges Ja zum Leben
A Light that never goes out 033 Die (Wahl-)Wiener spicken ihr drittes Werk mit dunkel-dichter Atmosphäre aus Post-Rock-Spielereien, durch die nicht nur Drum-Soli wie Donnerschläge schneiden, sondern auch weise Worte der Zuversicht. vier Bandmitglieder nun entwachsen ist: Frontmann Joel Boyd zog seine Inspiration aus dem Post-Hardcore, der Mann an den Drums, Boyds Ex-Schulkollege Matthew Prokop, ließ sich hauptsächlich von elektronischer Musik beeinflussen. Die beiden Bandkollegen aus Wien, Bassist Stefan Sieder und Tastendrücker Martin Konvicka, hörten sich dagegen querfeldein durch Indie-Rock oder Folk.
Reise ins Nirgendwo Auf »I See Your Shadow« hat die Vierer-Combo ihre Mischung aus Post-Rock, Ambiente und Pop endgültig zu einem ganz eigenen SoundRausch aus unaufhörlich treibenden Songs verdichtet. Mit zum Teil stark verfremdeten Field Recordings wird eine Atmosphäre geschaffen, der man sich nur schwer entziehen kann und die auf eine mauloffene Reise ins Nirgendwo entführt, welche irgendwann wieder an einer genialen Phrase andockt. Dabei gehen die Texte im Sog der Musik beinahe unter, wenngleich sie hörenswert Zeitkritisches beinhalten: »We are machines running too fast« oder »We are a generation of panic attacks«, fabulieren Lehnen da. Bleibt nur zu hoffen, dass sich dieses Gefühl in vielen Ohren einnisten kann. Dass man nämlich durchaus auch global gesehen reüssieren kann, obwohl man sich aus den üblichen Netzwerken in Großstädten aus- bzw. gar nicht erst eingeklinkt hat, beweisen schließlich auch heimische Künstler wie Steaming Satellites, Klangkarussell oder Parov Stelar. »I See Your Shadow« von Lehnen erscheint am 20. September auf Cloud Contact.
Text Sandra Bernhofer Bild zuzana sieder
Wenn sich die austro-amerikanische Rock-Formation Lehnen mit ihrem dritten, im Eigenverlag auf Cloud Contact erscheinenden Album »I See Your Shadow« zurückmeldet, wird sie eineinhalb Jahre lang auf keiner Bühne mehr gestanden sein. Sich als österreichische Band einfach mehrere Jahre lang komplett aus dem Musikzirkus herauszuhalten, gerade wenn zu Medien in Berlin, Wien und Köln wenig direkte Kontakte bestehen, ist heute eher schwierig. Selbst wenn ein faszinierendes Album wie »I See Your Shadow« dabei herausschaut. Die Zeit nutzte das Quartett für die Suche dem perfekten Song, der gerade nicht der perfekte Popsong nach Schema Strophe-RefrainStrophe sein will, sondern eine eigenständige Klangwelt. Geführt hat diese Suche letztendlich doch zu einer großen, durchkonzipiert wirkenden Platte, vollgestopft mit dichter Atmosphäre. Geschichten über zerstörte Träume und Hoffnungen werden hier zwischen epochalen Soundwänden von verzerrten Frauenstimmen erzählt. Im besten Fall bewegt das, in weniger geglückten Fällen führt das zu Girl-meetsLinkin-Park-Assoziationen (»Acceptance«). Hinter der vordergründigen todessehnsüchtigen Düsternis, die sich bis in die vergilbt wirkenden Bleistiftporträts melancholischer Menschen im Booklet ausdehnt, verbirgt sich aber sehr viel Ja zum Leben, nicht ein naiv-deppertes, sondern ein hintergründiges Ja. Eine Botschaft, die sich reinwummert und umso persönlicher wird, wenn man bedenkt, dass während der Arbeiten am Album etliche Familienmitglieder der Band verstorben sind. Auf Lehnens drittem Album finden sich nur mehr Spuren der ursprünglich klar abgegrenzten musikalischen Wurzeln, der jedes der
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»Feuchtgebiete« — Das Aufreger-Buch von Charlotte Roche kommt ins Kino
Die Rückkehr der Porno-Pippi 034
text Sarah Al Hashimi, Manfred Gram Bild Peter Hartwig / Majestic
Igitt, »Feuchtgebiete«, das ist ja total 2008. Jetzt kommt der Skandalroman auf die Leinwand. Und: Es gibt schlechtere Literaturverfilmungen. Charlotte Roche gab vorab ein wenig Aufklärung. Dschungelcamp-Exhibitionismus und mehr BravoNiveau als Literatur, oder doch ein feministisches Manifest gegen die Doktrinen der Hochglanzmagazine, die eine perfekte Weiblichkeit propagieren? Vor fünf Jahren polarisierte in der deutschsprachigen Literaturwelt niemand so sehr wie Charlotte Roche mit ihrem Debütroman »Feuchtgebiete«. Beim Verlag Kiepenheuer & Witsch schrillten jedenfalls bei Sichtung des Skripts die PornografieAlarmglocken und man lehnte die Geschichte ab. Dumont hatte weniger Berührungsängste und verbuchte einen veritablen Erfolg: Schnell und lange stand »Feuchtgebiete« ganz oben auf den Bestsellerlisten. Und als sich die Rechteverwertungskette rund um das heiß diskutierte Büchlein in Gang setzte, schaute man sicher auch nicht schlecht. Roches Hygiene-Armageddon über die Scheidungswaise Helen Memel, die mit Analfissur im Krankenhaus liegt, wurde in 27 Sprachen übersetzt, die Filmrechte verkauft und mehrmals für die Bühne verwertet. Diskursauffälligkeiten dabei: Die Theaterkritiken zu »Feuchtgebiete« fielen deutlich besser aus als die Buchrezensionen. Im Gegensatz zum Roman – so der Tenor – habe das alles auf der Bühne plötzlich mehr Tiefgang.
Codename Memel-land So gesehen sind die Voraussetzungen für eine Verfilmung nicht schlecht. Literarische Mittelmäßigkeit gewinnt anscheinend durch den Medienwechsel. Seit 2010 arbeitete man unter strenger Geheimhaltung und dem Codenamen »Memel-Land« an einer filmischen Umsetzung des Stoffes. Jetzt ist alles fertig und Charlotte Roche hielt sich dabei aus dem Entstehungsprozess heraus. »Ich habe gehört, dass die
Filmleute immer so Witze über Autoren machen, die nicht loslassen können – das wollte ich nicht«, erzählt sie, gesteht aber, dass sie den Produzenten ausgesucht hat: »Es war die beste Entscheidung meines Lebens, den Film Peter Rommel zu überlassen.« Der hat nämlich Regisseur David Wnendt ins Boot geholt, der 2012 mit seinem Debütfilm »Kriegerin« erfolgreich durchstartete – ein Film über eine mit Nazisymbolen zutätowierte Rechtsradikale, die mit ihrer Skinhead-Partie die Straßen unsicher macht. Bis sie eines Tages in einem Jungen nicht mehr nur den Ausländer sieht. »Nachdem ich diesen Film gesehen habe, bin ich völlig ausgeflippt – aber positiv«, so die Autorin, denn er zeigt vor allem eine »richtig krasse, spezielle, besondere und gestörte weibliche Hauptfigur.« Der Emotionsmix aus Scham, Ekel, Mitgefühl und Erregung kommt jedenfalls mit der der 27-jährigen Hauptdarstellerin Carla Juri, die heuer bei der Berlinale den European Shooting Star Award erhielt, recht passabel rüber. Und auch auf der Leinwand sind immer noch genügend pikante Szenen übrig geblieben. Blutgetränkte, selbstgebastelte Tampons werden getauscht oder mit Grillzangen aus der Vagina entfernt, mit Sperma bespritzte Pizzen genüsslich verzehrt oder man watet knietief durch den Dreck öffentlicher Toiletten, bevor mit der Muschi versiffte Klobrillen sauber gewischt werden. Ob man dann im Kino auch, so wie bei Roches Lesetouren, mitunter neben perversen Männern, die sich fröhlich einen runterholen, zu sitzen kommt, wird sich zeigen. Dementsprechend ist Roches Fazit zu ihrer ersten Romanverfilmung abseits euphorisierter Promosätze mit Vorbehalt zu genießen: »Eine schöne Droge ohne schlechte Nebenwirkungen.« »Feuchtgebiete« startet am 23. August in den österreichischen Kinos.
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CSS(BR)·MÚM(IS) SKREAM FEAT. SGT. POKES (UK) MMOTHS (IE) · CHARLI XCX (UK) SOHN (UK) · GIRLS IN HAWAII (BE) ELECTRIC SOFT PARADE (UK) AU REVOIR SIMONE (US) · SLUT (DE) KARI AMIRIAN (PL) · KATE BOY (SE) GHOST CAPSULES (AT) · BRNS (BE) LEURE (AU) · KRYSTAL KLEAR (UK) I-WOLF & THE CHAINREACTIONS (AT) JAPANTHER (US) · FUCKHEAD (AT) ANIKA (DE) · NOWHERE TRAIN (AT) KINGSFOIL (US) · COUSINS (CA) COMPUPHONIC (BE) · THE GF’S (CZ) ... AND MANY MORE TICKETS: WWW.WAVESVIENNA.COM FESTIVAL PASS: € 51 TWINCITY FESTIVAL PASS: € 56 (WIEN + BRATISLAVA + SHUTTLEBUS) EARLY BIRD PRO PASS: € 100 (FESTIVAL + CONFERENCE) LIKE US: WWW.FACEBOOK.COM/WAVESVIENNA
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diese seite ist teil einer entgeltlichen kooperation
Bild matthias rhomberg / rhomberg.cc 01 shirt »Dada« Design: Karoline Mühlberger und Silvia Keckeis (Kaleido) Model: Klara 02 shirt »Paddeln« Design: Lini Taschner Model: Mück 03 shirt »Split« Design: Daniela PreiSSegger, Models: Stephanie und Klara 04 shirt »Baumringe, Turn« Design: David Gobber, Daniela PreiSSegger, Models: Mück und Sabine 05 shirt »Experience, die Eule« die Eule, Design: Jill Goritschnig, Isabel Seda, Models: Klara und Stephanie
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05 Modisches Poolbar-Festival In Feldkirch wird für die Kultur gebaut. Da an einem neuen, schicken Montforthaus (Stadthalle), dort am Alten Hallenbad, der Heimat des Poolbar-Festivals, dem eine moderne Lüftungsanlage gegönnt wird. Vor diesem Hintergrund wird die neue Poolbar-Kollektion präsentiert: T-Shirts, Hoodies, Kleider. Auch die Rikscha ist nicht nur Kulisse: heuer kann man sich auf Fahrradrikschas zum Poolbar-Festival (und v.a. von dort nach Hause) führen lassen (Reservieren unter rikscha@poolbar.at oder per Telefon: 06502507059). Und beim Festival, das seit 3.Juli Kulturelles von Nischen bis Pop bietet, kommen noch Austra, Tocotronic, Goldie, Bad Religion, James, Dry The River, Catastrophe & Cure, Monster Magnet, Funeral for A Friend, Shout Out Louds, XXYYXX, Garish, Casper u.v.a. auf die Bühne. Poolbar-Festival: 3.Juli–15.August, Feldkirch (Altes Hallenbad) www.poolbar.at 037
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Diese Seite ist Teil einer entgeltlichen Kooperation mit departure Text Luise Wolf Bild Lomography international society
departure New Sales — Innovative Vertriebs- und Marketingstrategien
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Birth Of A Salesman
Dass der Krämer und der Künstler zwei ganz unterschiedliche Naturen seien, ist ein alter und zeitloser Gedanke. Dabei ist ein Brückenschlag heute notwendiger denn je. Und viele probieren ihn auch. Departure unterstützt das mit einem Fördercall.
departure focus Call »New Sales«: Gute Ideen, bessere Produkte, neue Märkte Das Produkt ist gut, doch die Welt hat noch nie davon gehört? Wie erreichen Kreative ihre Zielgruppe? Welche Unterschiede macht es, wenn meine Zielgruppe Endnutzer oder Geschäftskunden sind? Kann ich mit einem »Freemium«Vertriebsmodell vielleicht beide erreichen? departure – die Kreativagentur der Stadt Wien fördert in ihrem focus Call »New Sales« aussichtsreiche Projekte, für die insgesamt ein Förderbudget von einer Million Euro zur Verfügung stehen. Einreichen noch bis 3. Oktober 2013! Alle Infos zum focus Call »New Sales« unter www.departure.at
Gute Idee – aber wie unter die Leute bringen? Daran scheitern erst einmal viel zu viele Kreative. Die richtigen Fans finden, die richtigen Partner, rechtzeitig an Marketing und Vertrieb denken wird meistens dann zum Problem, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Das soll nun noch längst nicht heißen, dass eine lausige Idee damit noch erfolgreich werden kann, aber diese Maßnahmen greifen ineinander. »New Sales« heißt der diesjährige Fördercall von departure und widmet sich eben diesem Problem. Im Zuge einer Kooperation mit der Wiener Kreativagentur departure haben wir zahlreiche Interviews mit Kreativen verschiedenster Branchen geführt. Einige ihrer besten Erfahrungen und Lehren stellen wir hier im Überblick vor.
Best practice Der Designer Benedikt Kirsch entwickelte sein Spielzeugmöbel Tukluk vor drei Jahren mit Hilfe einer departure-Förderung und bemüht sich heuer darum, neben Shops in europäischen Großstädten auch in Japan und den USA Vertriebspartner zu finden. »Mit einer guten Erfindung ganz schnell reich zu werden« erschien dem Designer noch als Student »verlockend und plausibel«. Er musste aber eher ganz schnell einsehen, dass das eine blöde Illusion war, wie er sagt. Seit nunmehr drei Jahren ist er mehr als Krämer statt als Künstler auf Messen, in Kindergärten und Geschäften unterwegs, wo er seine »Erfindung« präsentiert. Anfassen, befühlen, ausprobieren, bevor man kauft – das funktioniert für ihn noch überwiegend über recht klassische Wege wie Messen oder bei Vertriebspartnern. Auszeichnungen, Preise und Förderungen können eine Starthilfe sein. Im Modedesign sind Showrooms immer noch unentbehrlich – auch wenn das Online-Modell für den digitalen Laufsteg immer beliebter wird. Pop-up-Stores werden als temporäre Testmärkte benutzt, der eigene Onlineshop und große Plattformen im Netz zum dauerhaften Absatzmarkt.
DNA im Web 2.0 Was macht eine Idee aus, wie unterscheidet sie sich von anderen Ideen, die es bereits gibt und weshalb ist sie für eine Zielgruppe interessant? »Es geht nicht nur ums einmalige Behaupten seiner Essenz, sondern auch darum, diese weiterzuentwickeln«, weiß die Designerin Eva Blut. Die eigene DNA ist zentral – ob im direkten Vertrieb, für klassische Werbung oder Aktionen unterhalb der gewohnten Aufmerksamkeitsschwelle. Mit diesen »unauffälligeren« Marketing-Strategien, z.B. über Social Media oder durch Fan-Aktionen, soll eine direktere Gesprächsbasis zur Zielgruppe aufgebaut werden. Web 2.0 macht es dabei möglich und umso wichtiger, von Anfang an ans Marketing zu denken. »Das Vertrauen in Infos über Facebook oder Foren ist einfach größer. Bei einer bezahlten Anzeige weiß man, es ist einfach nur Werbung. Im Internet kommen aber User zu Wort, die ihre Erfahrungen
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Die Fotowall der Lomographic Society – bereits zwei Mal von departure gefördert – gehört zur DNA der Wiener Firma. Sie taucht an verschiedensten Orten rund um den Globus auf und macht den DIY-Gedanken eindringlich sichtbar.
weitergeben.« Matthias Fiegl, Geschäftsführer und Mitgründer der Lomography Society, hat mit seinen beiden Geschäftspartnern – damals alle drei noch Studenten – und einer kleinen Fan-Community mit großem Spaß an billigen Ost-Kameras ein weltweit erfolgreiches Unternehmen aufgebaut. Es zählt heute über eine Million Mitglieder – liebevoll Lomographen genannt – und hat 2012 weltweit 500.000 Kameras verkauft. Lomo hat eine eigene und sehr eigenständige DNA: das Lomo-Manifest hat die Philosophie begründet, eine Lomo-Wall war gleichzeitig visuell sehr einprägsam und eine Aktion für die Community, Foto-Wettbewerbe und Ausstellungen kamen hinzu. Interaktivität spielt eine große Rolle und neue Marketing-Tools schnell für sich brauchbar machen: seit 1996 hat Lomo seine eigene Homepage sowie einen Webshop.
Im ständigen Dialog Die schnelle Adaption neuer Marketing-Tools und die Beobachtung der Branche sowie der eigenen Zielgruppe sind gute Voraussetzungen, um auf Veränderungen in der Branche zu reagieren. Mit »Beobachtung« sind aber lange nicht mehr nervige E-Mail-Umfragen gemeint. Millionen von Feeds, Posts und Klicks im Web geben Auskunft darüber, was die eigene Zielgruppe gerade tut und interessiert. Für Matthias Fiegl heißt Marktforschung: »Auf die Wünsche und Ideen unserer Community hören und sich davon inspirieren lassen.« Umso mehr Interaktivität die Idee oder das Produkt selbst bietet, desto wichtiger ist es auch, direkt zu den Kunden und Usern zu kommunizieren und sie mit einzubeziehen. Während Produktdesigner zwar auf Facebook präsent sind – z.B. Fotos der neuen Kollektion oder der letzten Messe posten –, bietet sich in anderen Branchen die Chance, aus Klicks und Likes tatsächlich durch Kooperationen Bares zu machen. So beispielsweise bei dem Wiener Start-up Whatchado, dessen User nicht selbst Kunden sind, aber in der Masse solche anziehen und damit authentische Kommunikation zum Erfolgsrezept des Unternehmens werde lässt. Auch im Musikbusiness ist es heute unerlässlich, wenigstens eine regionale Fan-Base und ein paar Tausend Likes mitzubringen, wenn man an die Türe eines Labels klopft. Das alte Modell ist überholt, in dem Leute mit Geld die Kunst oder das Handwerk von anderen vorfinanziert haben.
» Die Katze im Sack kauft keiner mehr.« (Thomas Spitzer, Siluh Records)
Keine Katze im Sack Schnelles Feedback im Web ermöglicht es, potenzielle Käufer, User oder Fans sowie zukünftige Kooperationspartner bereits bei der Entwicklung des Produkts mit einzubeziehen. Crowdfunding ist nicht nur ein – zugegeben nicht einfaches – Mittel, selbständig an Budget für hohe Produktionskosten zu gelangen, sondern funktioniert auch als temporärer Testmarkt, Aufmerksamkeitsmaschine und um neue Zielgruppen anzusprechen. Der Hype um Crowdfunding, FreemiumAngebote und die zunehmende Beliebtheit von Streaming Services zeigen auch, dass sich Käufer – in Anbetracht der Vielzahl an Produkten und Services – gut informieren und eventuell sogar mitentscheiden möchten. »Die Katze im Sack kauft keiner mehr«, meint Thomas Spitzer von Siluh Records. Große Verlage und Labels müssen sich umstellen. Junge Kreative – ob Start-ups, Designer oder Musiker – sehen häufig in den vielfältigen Möglichkeiten des Direktvertriebs und Marketings im sozialen Netz eine große Chance, sich selbst und also die DNA ihrer Idee direkt und aufrichtig an Kunden oder Fans zu bringen. Die Modedesignerin Eva Blut will ihre Käufer zukünftig auch über Apps und Reiseplattformen erreichen. Und ein Unternehmen, das analoge Kameras verkauft, bringt eine Foto-App heraus. Auch über scheinbare Umwege trifft man auf seine Zielgruppe, denn die ist mindestens so flexibel und gut informiert, wie die Branche selbst. Vollversionen der Interviews mit Eva Blut, Lomo, Whatchado, Sofa Surfers, Siluh Records, Das Möbel, Tukluk und Broken Rules unter: www.thegap.at/creatives — Einen Highlight-Zusammenschnitt gibt es unter: www.thegap.at/departureNEWSALES 039
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Kolumne Blow-up: Film in Österreich von Gunnar Landsgesell
Before Midnight
My Dog Killer
Sturmfrei
Das Geld beim Fenster hinauswerfen Film ohne Förderung – geht das?
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ls Ende letzten Jahres der Standard eine knappe APA-Meldung über eine eklatante Mittelerhöhung der deutschen Filmförderungsanstalt FFA online stellte, fand sich darunter ein einsames Posting: »Zum Glück nicht in Österreich. Das wäre wirklich beim Fenster hinausgeworfenes Geld.« Abgesehen von der tragikomischen Note dieses Leserkommentars, in dem kulturelle Agonie wie eine Pose zur Schau gestellt wird, stellt sich die Frage, wie sehr der oder die Autorin mit österreichischen Filmen tatsächlich vertraut ist. Geht man vom traditionell sehr niedrigen Marktanteil aus, den das österreichische Publikum in den heimischen Kinos produziert, dürfte die allergrößte Mehrheit im Land keinen Tau davon haben, wofür auch hierzulande das Geld aus dem Fenster geschmissen wird.
Film vs Freihandelszone Das macht einerseits nichts, schließlich definiert sich Kultur nicht per se aus dem Gedanken totaler Partizipation, auch wenn die Resignationshaltung in Oscar-Momenten ins Gegenteil umschlägt. Andererseits, und dabei sind wir wieder beim Thema dieser Kolumne, haben Förderpolitik und daraus hervorgehende ästhetische Werte nicht nichts miteinander zu tun. In den vergangenen Monaten war viel davon die Rede, dass die USA in den Verhandlungen mit der EU über die geplante Freihandelszone den europäischen Film zu Fall bringen könnten, weil damit Förderungen nicht mehr erlaubt wären. Das wurde erst kürzlich abgewendet, vorerst zumindest soll der audiovisuelle Kulturbereich aus dem schrankenlosen Kapitalismus ausgenommen bleiben. Vielleicht hätte eine APA-Meldung wie diese die kulturvereinsamten Poster wieder
zu einem befreiten Aufatmen veranlasst. Tatsächlich hätte das weitgehende Förderverbot aber das glücklicherweise immer noch weite, heterogene Filmschaffen in Europa auf eine überschaubare Kollektion von Publikumsanwärtern eingedampft. Hochspannende Arbeiten wie »My Dog Killer« der Slowakin Mira Fornay, der vom Filmfestival in Rotterdam ausgehend nun durch Europa wandert, oder »Winterdieb« der Französin Ursula Maier, der bereits in Österreich zu sehen war, und selbst Richard Linklaters in Griechenland angesiedelter »Before Midnight«, der ohne europäische Finanzierung nie zustande gekommen wäre, würden unsere Realität nicht länger bereichern.
»Mundl« VS »HAlloween« Filmförderung in Österreich ist eigentlich ziemlich breit aufgestellt. Da hatte selbst ein »Mundl«-Aufguss Platz (und das gleich zweimal) und auch ein »Weißes Rössl«-Remake. Produktionen, für deren Realisierung man Fördergelder nicht unbedingt als nötig vermuten würde. Tatsächlich entstehen in Österreich auch Filme abseits der Förderung. Einige geben ein Gefühl dafür, wie die Filmlandschaft »danach« strukturiert wäre. »Tag der Teufel« ist einer jener Titel, die ein Grüppchen umtriebiger Trash-Freunde im Jahresrhythmus produziert. Da werden Horrorfilme wie »Tanz der Teufel« und »Halloween« oder der italienische Giallo in einen Kontext aus österreichischem Kolorit und Amateurbegeisterung versetzt. Mit erstaunlicher Fangemeinde, die Filme rangieren jeweils jenseits der 10.000 Besucher-Marke. Den Ansprüchen seiner subsubkulturellen Spielart genügt das sicherlich. Ein anderer Versuch war die Teenie-Komödie »Sturmfrei«. Der verdiente Kameramann Hans Selikovsky machte mit seinem Sohn auf »La Boum – Die Fete« und besiedelte einen Wiener ReihenhausSwimmingpool mit harmlosen Statisten.
Ob darin nun die Alternative liegt? Die Filmförderung vergibt aber auch an Produzenten, die mit einem Film besonders erfolgreich waren, sowas Ähnliches wie Prämien (die sogenannten Referenzmittel). Damit kann der Produzent zur Not seinen nächsten Film sogar ganz unabhängig realisieren, ohne neuerlich bei Förderstellen einzureichen. Mit dem »Mundl«-Geld entstand auf diese Weise die Horrorkomödie »Friday Horror Night«, die sich um ein paar Doku-Soap-Helden aus dem Privatfernsehen gruppierte. Der Film fand selbst bei Freunden des gepflegten Trash kaum Zuspruch. Neben solchen Low- oder NoBudget-Produktionen, die oftmals nur sich selbst zu genügen scheinen, entstehen aber tatsächlich auch einige Filme, bei denen die Förderungen bewusst ausgespart wurden, weil sie zu behäbig wären: Sundance-Teilnehmer und RotterdamGewinner »Soldate Jeannette« von Daniel Hoesl ist so ein Fall, oder auch das abenteuerliche Revolutionsbild »Libya Hurra« von Fritz Ofner. Der Dokumentarfilmer zweigte quasi spontan von einem Festival kommend nach Libyen ab, um dort einen historischen Moment festzuhalten. Für solche Projekte wäre eine Adaption der Förderbedingungen tatsächlich eine feine Sache.
Gunnar Landsgesell landsgesell@thegap.at
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AB HIER: REZENSIONEN
Washed Out Paracosm (Domino)
Final Fantasy Der Titel ist Programm. Ernest Greene entführt mit seinem zweiten Longplayer in farbenprächtige Hirngespinste, die kein Kind sich reizender hätte ausmalen können. Angeblich nennt man das als Erwachsener dann Chillwave. Wie hinter dem albernen Namen, den man sich früher auch schon nur leise zuflüsterte, etwas so erstaunlich Anmutiges wie Washed Out stecken kann, ist vollkommen widersprüchlich, semantisch betrachtet. Der Albumtitel »Paracosm« hingegen scheint da um einiges passender. Er beschreibt eine fantastische Parallelwelt, detailreich wie eine bunte Landkarte, mit Tieren, Menschen und allem dazwischen – eben allem, was eine kindliche Vorstellungskraft so herzugeben vermag. So wie das Wunderland von Alice oder Tolkiens Mittelerde. Hach, man dürfte ruhig ein ganzes Paracosm-Genre erfinden! Aber Schluss mit Wortklauberei. Washed Out lebt von Emotionen, von den ganz großen. Von entfesselnder Sehnsucht, grenzenloser Neugier, bahnbrechender Euphorie und natürlich – auch wenn das wieder ein Unwort ist – einer gewissen Nostalgie. Dass diese Gefühle in erster Linie von penibel kalkulierten Laptop-Sounds und effektvoll verzerrten Vocals transportiert werden, tut eigentlich nichts zur Sache. Denn ob die Musik nun synthetisch ist oder nicht, die sich anstauende Spannung beim zaghaften Opener »Entrance«, die sich im nachfolgenden »It All Feels Right« sofort in ein innerliches Blumenpflücken auflöst, ist echt. Es fühlt sich richtig an und man findet sich verliebt lächelnd im eigenen üppigen Paracosm wieder. Hier will man bleiben. Am liebsten für immer. Bitte. »Don’t Give Up« klingt nach freiem Himmel mit Fackeln und Lampions und schönen, tanzenden Menschen. Das Album zeichnet solche übertriebenen, fast unerträglichen Fluchtpunkte weich, brilliert im Spiel mit Licht und Schatten. Nach der Freiluftparty kommt die unerträglich schmerzliche Melancholie am Morgen (»Weightless«), Tränen, neuer Mut (»All I Know«) und vielleicht auch ein bisschen sterben (»All Over Now«). Fluffige Synths werden zu gefälligen Harmonien aufgetürmt, eine Spieldose macht das ganze Arsenal kindlicher Erinnerungen auf. Also weiter Eskapismus? Nun, das Album verfeinert dabei seine Songs, probiert sich an Tempi aus, an brüchigen Strukturen, Mellotron-Himmeln und Steel Guitar-Soli. Wenn der ermüdete Gesang nicht wäre, könnten einige Songs auch von den Flaming Lips sein. Und irgendwann schleicht sich die heimtückische Realität ja ohnehin wieder an. Wenn das Album nämlich schließlich doch endet. Großartig. 08/10 Nicole Schöndorfer
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Jay-Z Magna Carta … Holy Grail (Def Jam)
Weniger als die Summe seiner Teile Jay-Z hat es längst nicht mehr nötig, gute Alben zu machen. Warum haben wir dann bloß erwartet, dass er es tut? Ein Sammelsurium von abgelutschten HipHopPlattitüden und wiederverwerteten Lyrics, die nicht wie clevere Zitate, sondern Reste absoluter Ideenlosigkeit wirken. Beats, sauber bis überproduziert, manchmal interessant. Dazu eine Vielzahl illustrer Gäste von Beyoncé über Justin Timberlake bis zur ewig jugendlichen Allzweckwaffe Pharrell Williams, die dennoch ihr Ziel verfehlt. Ja, »Magna Carta« als 16 Tracks starkes Album ist tatsächlich weniger als die Summe seiner musikalischen Einzelteile. Überraschende Rhymes und ein abwechslungsreicher Flow – das, was HipHop eben so ausmacht – schimmern gerade noch auf »Heaven« durch, einem der wenigen tiefer gehenden Tracks auf MCHG, auf dem die Vocals mit der restlichen Instrumentierung ein sinnvolles Ganzes bilden. Über spannendere Beats wie auf »F.U.T.W«, »Somewhereinamerica«, aber auch »Picasso Baby« wird entweder Bedeutungsloses oder schlicht zu wenig gerappt; so als wäre einem das Benzin auf einer sinnlosen Spritztour über den Dorfhauptplatz ausgegangen. Zu »BBC« kann man höchstens die Gliedmaßen ausschütteln, die einem bei Tracks wie »Oceans« oder dem Tiefpunkt »La Familia« eingeschlafen sind. Dass man so viel von MCHG erwartet hatte, liegt zu einem guten Teil an einer ausgefuchsten Marketing-Strategie, die die Suche nach dem heiligen Gral als Schnitzeljagd inszenierte, bei der die Fans im Vorfeld fast täglich mit kleinen Fundstücken belohnt wurden. Artwork, Songliste, Texte wurden nach und nach enthüllt; der vielversprechende Teaser von Samsung, der Jay-Z bei der Arbeit am Album zeigt, schraubte die Erwartungen noch einmal in die Höhe, die das Album nicht hielt. Sieht man MCHG aber nicht als Ziel einer Marketingreise, sondern nur als Baustein davon, muss man dem Album und vor allem der dahinterstehenden Werbemaschinerie, auch ein Handwerk, trotz seiner musikalischen Schwäche Respekt zollen. Wenn man aber guten HipHop, oder guten Pop will, wird es MCHG nicht tun: Mittelmaß, Baby! 05/10 Amira Ben Saoud
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Daughn Gibson Me Moan (Sub Pop)
Testo Der Mann aus Philadelphia tauscht Gaspedal mit Mikrofon und lässt sein mit Kleinstadt-Tragödien voll beladenes Song-Vehikel durch die Tunnel der Altvorderen rauschen. »What a man!« kommt einem beim Anblick der Pressefotos von Daughn Gibson in den Sinn. Das karierte Flanellhemd umspannt die stark behaarte Ex-Truckerbrust. Testosteron olé sozusagen. Und: Daughn Gibson klingt (zum Glück) genauso, wie er aussieht – was für ihn wohl Segen und Fluch zugleich bedeutet. Soll heißen: Einerseits erreicht der Wiedererkennungswert seines Brustbaritons Maximalwerte. Werden seine Songs im Club des Vertrauens gespielt, erahnt man auch jenseits der Drei-Promille-Grenze, was und wer da kommt. Andererseits bedeutet dies jedoch auch, dass sich Gibson wohl kaum in anderen Gefilden als dem narrativen Songwriting begeben wird können. Gibson ist sich dessen bewusst und macht aus diesen Umständen, das, was man nun mal aus seinen Gaben machen sollte – das Beste. Auf »Me Moan«, verschränkt der Country-Barde nun wieder, ähnlich wie auf seinem Vorgänger »All Hell«, traditionelles amerikanisches Geschichtenerzählertum mit heruntergedrilltem Dubstep à la Burial. Bei den Handlungssträngen beschränkt sich der hemdsärmelige ExTrucker auf Vorfälle, die seinem direkten Umfeld entsprungen zu sein scheinen (»I wish we had a kid / Who never wanted to die«), gepaart mit einer ordentlichen Portion balladeskem Schwulst (»You can always find my love bleeding«). Die Charaktere selbst wirken zeitweise etwas skizzenhaft und nicht wirklich greifbar. Die Songs schaffen es nicht mehr, einer inneren Logik zu folgen – sie wirken eher unwillkürlich aneinandergewürfelt. Für seinen Zweitling setzt Gibson nun etwas weniger auf Samples und hat sich einen Pool an Instrumentalisten geholt – allesamt aus dem erweiterten Umfeld von Baroness. Nicht immer erwischt Gibson hier die richtige Mischung. Das zentrale »Franco« beispielsweise versprüht klanglich teilweise einen derartig impertinenten Bed-Of-Roses-Charme, dass sich selbst hartgesottene Boygroup-Ära-Opfer peinlich berührt fühlen würden. Insgesamt traut sich der 31-Jährige auf »Me Moan« mehr zu und wirkt mutiger. Im Vergleich zu seinem Debüt ist jedoch ein merklicher Anteil der Dichte verlorengegangen. 07/10 Christoph Kranebitter
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Lescop Lescop (Le Pop Musik / Groove Attack)
Irrfahrten durch postindustrielle Gefühle Das Immerweiter hat Pop gerade abgeschafft. Also haut dieser Franzose eben Neon-Songs mit unglaublicher Präzision raus, die erst gar nicht versuchen, aus dem Schatten von Joy Division zu treten. Nach den allerersten Takten von »La Foret« könnten noch New Rave-Bässe einsetzen – die stark komprimierten Drums hat man sich von den französischen Brüdern von Ed Banger und Kitsuné geliehen. Die Single von Lescop wurde auch ausgefuchst in DJKreiseln lanciert. Aber sonst halten sich die Neuerungen in Grenzen, vermutlich wurden sie sogar absichtlich abgeschafft. Man scheint sich gedacht zu haben, vielleicht hat man sogar gefühlt, dass ein starkes Image besser sei, das zwar ein paar Jahrzehnte alt ist und auf einbetonierten Bildern und Sounds von frühestem Indiepop aufbaut, als ein Image, das austauschbar ist. »Los Angeles« schreit so sehr Cure, Indochine und Joy Division, dass die Band dafür vor 20 Jahren mit nassen Fetzen durch einen mit flackerndem Neonlicht dürftig ausgeleuchteten Gang getrieben worden wäre. Im eindringlichen Video zu »La Foret« fehlen eigentlich nur die nassen Fetzen. Es besteht fast nur aus Haut und Schatten und lässt dank Untertiteln keine Zweifel darüber, dass Lescop ein begnadeter Texter ist. Man erwartet sich ja ohnehin nichts Neues mehr, die Newcomer klingen wie jene alten Männer, die mit ihren Alben die Charts dominieren, weil ihre Fans die letzten Kasperln sind, die noch Musik kaufen. Und Lescop bekommt all das ja tadellos hin. Das finstere, entschlossene, fast panische Gesicht, die eisigen Synths, die drahtigen Bässe, die hypnotischen Trommeln, die distanzierte Arroganz und die nächtlichen Irrfahrten durch postindustrielle Gefühle. Noch dazu ist Lescops Debüt außergewöhnlich kristallin produziert, da ist wie an einem durch die Zumutungen der Gegenwart ausgezehrten Körper kein einziges Gramm Fett zu viel. Also tut man so, als hätte das Relevanz, Relevanz über den Umstand hinaus, dass Lescop ziemlich gute Songs schreibt, aber sich mit einer eigenen Ästhetik erst einmal bis zum Nachfolger Zeit lässt. Challenge accepted. 07/10 Stefan Niederwieser
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Raf 3.0 Hoch 2 (Indipendenza)
Roboter – Mensch Der aus Wien stammende Rapper und Produzent hat eine Reise durch die Soundwelten 3.0 unternommen. Generation 2.0 war gestern. Mittlerweile findet man sich in einer Ära des Fortschritts wieder, in der Raf 3.0, ehemals Raf Camora, mit seinem dritten Studioalbum viele musikalische Grenzen durchbrochen hat. Denn der unkonventionelle Sound, den man auf »Hoch 2« zu hören bekommt, kombiniert Grunge-Gitarrenriffs mit HipHop-Drums und Reggae-Samples. Mit dieser Mixtur würde Raf laut eigener Aussage am liebsten eine neue Musikrichtung erschaffen. Dafür wurde mit vielen Stimmeffekten experimentiert und die gewonnenen Erkenntnisse aus Reggae-Zeiten und Musikwissenschaftsstudium eingestreut. Aber Raf ist auch Geschäftsmann. Nicht ohne Grund chartete er bereits einmal mit einem Tonträger in Deutschland von 0 auf 1. Das Album entstand unter dem Leitsatz »Reduziert auf das Maximum« und wurde auf einem eigens gegründeten Plattenlabel namens Indipendenza realisiert. Die meisten hybridartigen Produktionen, bei denen Nirvana oder Freundeskreis als Inspirationsquellen genannt werden, stammen von Produzenten KD-Supier sowie Raf selbst. Abgesehen von den multiinstrumentalen Beats stechen noch manch Reimkreationen hervor. Die Erde wird mit einem Muffin verglichen und ein verliebter Roboter singt über Jumbojetflügel im Bauch. Niedlich. Aber ja, nicht jeder Wiener muss so klingen wie Falco, da hat der österreichische Rapper vollkommen recht. Die Features reichen von Tua über Chakuza und Prinz Pi, mit dem auch der Song »Schwarze Sonne« entstanden ist. Darin geht es eigentlich um die Vergänglichkeit der Menschheit, dieses dunkle Zeichen steht nur auch für ein Erkennungssymbol der rechtsextremen Szene – aus der Kategorie blöder Zufall. Insgesamt zeigt der Musiker jedoch eine Vielfalt an Storytelling und zieht dabei menschliche Problematiken denen eines Roboters vor. Diese bewusst fabrizierte Verflechtung aus möglichst vielen Musikrichtungen und Thematiken ist zwar innovativ, kann aber auch an der Überambitionierung scheitern. Um wirklich alles erfassen zu können, was Raf mit seinem teilweise überladenen Sound ausdrücken will, muss man wohl wirklich eine 3.0 Version von Zuhörer sein. 07/10 Julia Gschmeidler
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Fuck Buttons Slow Focus (ATP)
Wundertüte, bunt gemischt Das englische Duo Fuck Buttons ist auf seinem dritten Album innerhalb der Grenzen des selbstauferlegten Minimalismus so experimentierfreudig wie nie zuvor. Eine Druckwelle der Beliebigkeit. Die Musik der Fuck Buttons hat immer schon davon gelebt, dass in ihr nicht allzu viel passiert. Andrew Hung und Benjamin John Powers haben ihr Projekt stets als eine große und lange Wiederholung gestaltet: Ein Pulsieren, das wie in Zeitlupe zu beobachtende Anschwellen eines Muskels, eine konstante Vorwärtsbewegung. So generiert das englische Duo an Synthesizern, Drum- Machines, Billig-Casios und Kinderspielzeug Intensität; Fuck Buttons sind eine Fahrt mit einem sehr langsamen Zug an die Wand – aussteigen kann man nicht. Auf ihrem dritten Album geben sich Fuck Buttons verspielt und vielseitig wie nie zuvor. Hier wird in der Geschichte der monotonen, minimalistischen Musik geforscht, die unterschiedlichen Darreichungsformen des Dröhnens abgeklopft und in den zähflüssigen Strom, der sich da »Fuck Buttons« nennt, eingepasst. Da gibt es kosmisch-elektronisches Zwitschern zu erleben, das aus der Kraut-Schule Berlins von Acts wie Tangerine Dreams abgehört scheint, und John-Carpenter-hafte Horror-Szenarien. Nachdem Fuck Buttons 2012 mit zwei Stücken bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele in London dabei gewesen sind, wird nun auf »Slow Focus« auch wieder im Dienste des sportlich-triumphalen Gefühlsbombasts das Arpeggio geritten. Anderswo wird das ewig sich dehnende, noisige Brummen und Zittern der großen Gruppe Earth beschworen. Hinsichtlich des Rhythmus sind Fuck Buttons diesmal abenteuerlustiger als bisher: In manch verstolpertem Beat mag man den Einfluss zeitgenössischer Tanzmusik heraushören – wenn auch in der durch die Mangel gedrehten, verbogenen und quietschende Variante, wie sie die den Fuck Buttons ganz ähnlich gelagerte Gruppe Black Dice beispielsweise betreibt. Man merkt schon: Diese Platte ist ein veritables Name- bzw- Style-Dropping. Ein großes Vorführen unterschiedlicher Einflüsse, die Präsentation der Bilder einer Ausstellung. Ein ein wenig orientierungsloses Herumprobieren, das dabei zweifellos höllisch knallt, eiert und komisch groovt. 06/10 Philipp L’heritier
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Swim Deep Where The Heaven Are We (RCA / Sony)
Wir sind jung und es ist Sommer Swim Deep aus Birmingham bringen den Gitarren-Sound der späten 80er und frühen 90er Jahre als sonnendurchfluteten Ohrwurm-Pop zurück. Es tut sich was in Birmingham – das möchte uns die britische Musikpresse glauben machen. Mit Peace, die den neo-psychedelischen Indie-Sound von vor 20 Jahren (Stichwort: Baggy) einer Wiederverwertung zugeführt haben, und einer Handvoll Bands in deren Gefolge steht »B-Town« in Sachen Gitarrenmusik aktuell jedenfalls hoch im Kurs. Dass sich schon bei den zuvor Genannten die Vorschusslorbeeren als leicht vertrocknet erwiesen haben – und Vergleiche mit frischeren Acts wie den Foals oder Vampire Weekend als voreilig optimistisch –, lässt einen zweifeln. Und dennoch, es könnte was übrigbleiben vom Hype: Swim Deep. Weniger rockig orientiert als Peace, aber im Prinzip auch in den Referenzbecken der späten 80er und frühen 90er fischend, verstehen Austin Williams, Tom Higgins, Cavan McCarthy und Zachary Robinson ihre Musik selbst als »sun kissed noise«. Was vor allem bedeutet, dass mit viel Hall, flirrenden Gitarren und wohlig-warmen Synth-Flächen gearbeitet wird. Und mit ansteckend-lascher Leichtigkeit. Der zitierte »noise« bleibt dabei so dezent, dass er den astreinen Popsongs dieser Band wenig anhaben kann. Größen wie The Smiths, The Cure oder die frühen Stone Roses kommen einem da stellenweise in den Sinn, genauso wie neuere Bands, The Naked and Famous etwa oder Is Tropical – jedenfalls kein schmales Spektrum. Dazu Lyrics, die von großen Träumen handeln oder von der Träumerei an sich: »Don’t just dream in your sleep, it’s just lazy.« Etwas erleben, Spaß haben, die coolste Freundin abbekommen; einfach mehr wollen, ohne die eigene Slacker-Komfortzone (Skateboard, Ray-Ban, Nirvana-Shirt und übergroße Jeansjacke inklusive) verlassen zu müssen. Ein wenig Melancholie darf zart durchschimmern, aber eigentlich wirkt hier alles recht unbeschwert – schließlich ist Sommer und man ist ja noch im richtigen Alter, um seine Jugend bestmöglich zu verschwenden. Mit diesem Album als ansprechendem Soundtrack dazu. 07/10 Manuel Fronhofer
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A Thousand Fuegos A Thousand Fuegos (Fettkakao) — Wir schreiben 2008. Matthias Peyker veröffentlicht ein großes Lo-Fi-Folk-Album exklusiv auf Vinyl. Pate stehen Her Space Holiday und frühe Animal Collective. Nun gibt’s das Album erstmals digital.
About Group Between the Walls (Domino) — Wie klingt MathSoul? Wie ein Rendezvous zwischen Hot Chip und Frank Ocean. Wie LSD vor dem ersten Kuss. Wie Herzklopfen beim zweiten Date. 07/10 Franziska Tschinderle
07/10 Werner Schröttner
Dead In The Dirt The Blind Hole (Southern Lord) — Die Band beschreibt sich selbst als Vegan-StraightEdge-Atheist-Grindcore. Und das trifft es eigentlich perfekt: Geknüppel und Gebrüll mit Polit-Message. Ernsthaft zu empfehlen.
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Joey Bada$$ Summer Knights (Pro Era) — Was tun, wenn man mit 17 Jahren als eine der größten Hoffnungen für Best Coast Rap gilt und von Jay-Z drei Millionen angeboten kommt? Erst einmal ein Mixtape, das die Erwartungen unterläuft.
Burkina Electric Paspanga (Cantaloupe Music) — Wenn der Klang der Sahel Zone und elektronische Sounds aufeinander treffen, entsteht ein buntes musikalisches Feuerwerk. 05/10 Konrad Kippe
Adrian Corker Raise (Village Green / Indigo) — Atmosphärische, streckenweise etwas geschmäcklerischwichtigtuerische ListeningNebelsuppe von angenehm verträumter Richtungslosigkeit. 05/10 Thomas Wieser
06/10 Stefan Niederwieser
Marcel Fengler Fokus (Ostgut Ton) — Fengler tritt aus dem Schatten des Berghain-Betonblocks hervor und schafft mit »Fokus« ein vielseitiges und stimmungsgeladenes Album. 06/10 Kevin Reiterer
Genetikk D.N.A. (Selfmade Records / Groove Attack) — Sefyu-inspirierte Reimästhetik mit progressivem Beatmaterial. Zwei maskierte Saarländer erobern den deutschsprachigen HipHop-Zirkus.
Julia Holter Loud City Song (Domino Records) — Nach Konzept-Tragödie und Eskapismus-Ekstase folgt nun der dritte Akt des Holter’schen Popgewitters. Es bleibt weiterhin tragisch und ekstatisch, wird aber viel größer.
Ikonika Aerotropolis (Hyperdub) — Mit großem Ernst und aktuellen Produktionskniffen präsentierte Fingerübung in filmscorelastiger 80er Synthmucke.
07/10 Jakob Kattner
08/10 Nicole Schöndorfer
Maur Due & Lichter This Night Was Meant To Stay (Las Vegas Records) — Schwieriges zweites Album hin oder her, trotz einiger Abzüge ein spannendes und stimmiges Werk.
Men Among Animals Buried Handsome (Tapete) — Ästhetisierung von Melancholie, sagt der Waschzettel zum Album. Selten klangen 40 Minuten so abwechslungsreich, sagen die Gehörwindungen.
Nadine Shah Love Your Dum And Mad (Apollo / AL!VE) — Eine P. J. Harvey-Jüngerin mit norwegisch-pakistanischen Wurzeln gibt der Popmusik ein Stück Jazz zurück. Und die Traurigkeit.
07/10 Kevin Reiterer
08/10 Sandra Bernhofer
06/10 Sandra Bernhofer
Samaris Samaris (One Little Indian / Rough Trade) — Ein Album, das Island-Klischees wachruft, dabei aber Neues schafft, das mit den alten Helden der Insel nicht viel zu tun hat.
Sleep Sleep CVRS (Noise Appeal Records) — Auf ihrem Online-EP Release »CVRS« stellen Sleep Sleep Michael Jackson nachbarschaftlich neben Mile Me Deaf und zeigen so, wie klug, interessant und freudebereitend Cover-Projekte sein können.
Snow Ghosts A Small Murmuration (Houndstooth) — Düsteres Pop-Album mit Anleihen von Wave, Trip Hop und Folk, das zwar mit jedem Durchlauf schlüssiger wird, aber seinen Spannungsbogen nicht über die volle Länge halten kann.
05/10 Thomas Wieser
08/10 Werner Schröttner
Jackson And His Computerband Glow (Warp) — Jackson an Erde --- Verwandlung in SynthLord abgeschlossen --Schwarzlicht und Discokugel an --- sonische Warnfeuer schlagen umgehend ein.
Lanterns On The Lake Until The Colours Run (Bella Union / Pias) — Als würden Daughter Postrock machen. Oder Paramore den Existenzialismus entdecken. 06/10 Stefan Niederwieser
06/10 Stefan Niederwieser
Pet Shop Boys Electric (x2 Recordings) — Sie eilten von Welterfolg zu Welterfolg und haben in den letzten Jahren auch die Filmmusik für sich entdeckt, was sich auf ihre Popsongs nicht nur positiv auswirkt. 06/10 Gerald C. Stocker
Rone Tohu Bonus (InFiné) — Rone macht cinematografische TechnoElectronica, die nun mit einem aufgeräumteren Minialbum noch einmal in diverse Timelines gedrückt werden soll. 05/10 Konrad Kippe
08/10 Sandra Bernhofer
06/10 Jonas Vogt
07/10 Peter Schernhuber
01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk
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Die Werkstürmer (von Andreas Schmied; mit Michael Ostrowski, Hilde Dalik, Manuel Rubey) — Im gerade noch von Schwerindustrie geprägten steirischen Hinterland wird gestreikt. Es droht die Abwanderung der Arbeitsplätze und des korrupten Arbeitgebers. Deshalb muss der Sturm auf die Maschinen geprobt werden. An der Spitze dieser gemütlichen Solidaritätsbekundungen steht Michael Ostrowski. Hilde Dalik nervt als seine verflossene Liebe, während sie eine aufgedrehte Gewerkschafterin sein soll. Manuel Rubey gibt den bösen Turbokapitalisten und gewohnten Lausbuben. »Die Werkstürmer« möchte eine Klassenkampfkomödie sein. Auf die bewährte britische Art wäre gut, eine Storyline im Geiste von Ken Loach vielleicht. Soweit sehen offenbar die Absichten von Regisseur Andreas Schmied aus. Das örtliche Wirtshaus muss sogar als Pub herhalten, es wird Fußball gespielt und aus dem Hintergrund verordnen Country-Gitarren ländliche Behaglichkeit. Die Arbeiter sind tolpatschige Antihelden mit gutem Herzen. Ostrowski wird es schon richten, verspricht die Hoffnung zunächst. Doch die Figuren sind flach und klischeehaft, höchstens charmant. Weder die Handlung, noch die Dialoge zünden richtig. Leider bleibt »Die Werkstürmer« nur ein nett gemeinter Versuch, der so gern so eigentümlich sein würde. 05/10 Klaus Buchholz
Where I Belong (von Fritz Urschitz; mit Natalie Press, Johannes Krisch, Matthias Habich) — Die von Regisseur Urschitz gewählte Konfliktlinie wäre vielversprechend: In den späten 50er Jahren haben es Emigranten aus Österreich nicht leicht, wenn sie Halt in der neuen Heimat zu finden versuchen, während das frühere Leben in der alten Heimat zurück erkämpft werden muss. Was hier über weite Strecken wie ein durchwachsener, aber brauchbarer Fernsehfilm aussieht, fühlt sich über weite Strecken der Handlung auch so an. »Where I Belong« thematisiert die Heimatsuche zwischen einem vertriebenen Vater (Habich) und dessen Tochter (Press). Plötzlich taucht des Vaters alter Freund Anton (Krisch) auf. Sie verliebt sich prompt, die Erzählung bleibt langweilig. Der unaufrichtige Liebhaber ist absehbar, die abgespulten Liebesmotive berühren wenig, die Schicksalsentscheidungen sind nicht als solche spürbar. »This is my home« ist am Ende freilich die Conclusio, exemplarisch gedacht für diese zweite Generation. Bis zu diesem Satz zieht jedoch ein langes, lasches Drama an der Leinwand vorbei. 03/10 Klaus Buchholz Lone Ranger (von Gore Verbinsky; mit Armie Hammer, Tom Wilkinson, William Fichtner) — Es ist Sommer! Die Piraten der Karibik sind ausgelutscht wie Speiseeis. Also muss Johnny Depp diesmal halt der alberne Indianer sein. Cowboys gibt es auch, sie schießen scharf, sind gut (Armie Hammer) und ganz böse (William Fichtner). Blöd ist das alles sowieso, kommt von Gore Verbinski und Jerry Bruckheimer. Wenig überraschend stinkt es hunderte Meilen quer durch die Wüste nach Sequel-Franchise-Merchandising, sonst nach nix. Es reichen also ein paar Stichworte: Explosionen, Native Americans, Ausbeutung, Gier, Huren, Kinder, Rummelplatz, Gerechtigkeit. Peng!
Film
Pacific Rim (von Guillermo Del Toro; mit Charlie Hunnam, Idris Elba, Rinku Kikuchi)
Das Gewicht, ein Film zu sein Guillermo Del Toro betoniert mit »Pacific Rim« einen Blockbuster in den Kino-Sommer, der sein Gewicht angenehm ernst nimmt. Dass der einflussreiche Games-Entwickler Hideo Kojima (»Metal Gear Solid«) sich auf Twitter als »Pacific Rim«-Fan outete, legt auch folgende Überlegung nahe: Während es bei Games üblich ist, zwischen Narration und Gameplay zu unterscheiden und die Frage zu stellen, was im Zentrum des Spiels steht, ist es bei Filmen unüblicher, etwas anderes als die Narration in den Vordergrund zu rücken. »Pacific Rim« aber ist einer der Filme, dessen Filmsein wichtiger ist als seine Erzählung und sein Setting. Kino als Kulturtechnik, Schauwerte und Kinetic in absoluter Höchstform – und: Konzentration. Nichts an diesem Film will mehr sein, nichts lenkt davon ab. Dabei gibt es gefühlt und bereits gelesen hunderte Ansätze, die sich formulieren ließen: Der Film bedient sich sowohl asiatischer als auch amerikanischer BlockbusterTraditionen. Der Film verzichtet letztlich auf eine Romanze, es gibt nicht mal einen Kuss. Der Film behandelt Frauen- und Männerfiguren erstaunlich gleich – es gibt nur fast keine Frauen. Ron Perlman ist nicht nur ein gern gesehener Del Toro-Schauspieler, sondern einer von mehreren Seriendarstellern (Charlie Hunnam, »Sons Of Anarchy«; Diego Klattenhoff, »Homeland«), die hier statt Stars eingesetzt werden. »Pacific Rim« ist kein Post-9 / 11-Film und, gemessen am Setting, spielt das Militär eine erstaunlich kleine Rolle. Am Ende braucht die Menschheit analoge Technologie (und Kernkraft). Manches ist zu komplex, als dass das Hirn eines Menschen genügen würde. Nichts davon nimmt der Film ernst und auch als Kino-Geher ist man gut beraten, keinen falschen Fährten zu folgen. Worum sich die Story dreht: Riesige Monster treten durch ein Portal und aus dem Meer und zerstören immer wieder Städte und ganze Landstriche. Die Menschen bauen ebenso riesige Kampfmaschinen, um den Ungeheuern etwas entgegenzusetzen. Ein Teil der Begeisterung für den Film rührt wohl auch daher, was der Film alles nicht ist – also zum Beispiel einer der wirklich üblen Event-Movies der letzten Monate. Dabei gibt es im Mittelteil schon einiges an kritikwürdigen Szenen und Dialogen. Umso wichtiger ist es, dass »Pacific Rim« vieles mit dem dazugehörenden Gewicht ausstattet. Die Größe der Ungeheuer und Maschinen ist ebenso wenig egal wie deren Zerstörungsgewalt. Kollege Jonas Vogt nennt das ganz richtig: »engineer porn meets destruction porn«. 08/10 Martin Mühl
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Die Möbius Affäre (von Éric Rochant; mit Cécile De France, Jean Dujadrin, Tim Roth)
Das Intime ist politisch Agent, Oligarch und Finanztraderin – Nicht die Femme, sondern das gesamte Handlungsgefüge ist in Éric Rochants Spionage-Autorenfilm fatal. Die geopolitischen Voraussetzungen für einen Spionage-Thriller schienen bis 1989 einfacher. Die Macht war zwischen Moskau und Washington verteilt. Seit dem Ende des »kurzen 20. Jahrhunderts« (Eric Hobsbawm) ist die Welt komplexer geworden: Einfache OstWest-Schachspiele funktionieren nicht mehr. Zwischen Staatsräson, abstrakten Kapital-Interessen und vor dem Hintergrund des individuellen Seelenheils inszeniert Éric Rochant einen packenden Thriller, der sich immer mehr zur aufregenden Geschichte einer fatalen Liaison zuspitzt. Klug stellt Rochant nicht abstrakten Machtverhältnissen privates Liebesglück entgegen. Die Liebesbeziehung passiert auf ideologischem Terrain. Unruhig zieht Pierre Novions bildgewaltige Kamera über eine felsige Küste. Das Ziel: Ein Büro im Zentrum Monacos. Bildschirme mit Börsenkursen. Yachten, die vor dem Fenster im Meer ankern. An der malerischen Côte d'Azur macht Éric Rochant den Finanzkapitalismus sichtbar. Von hier aus spinnt er sein dichtes dramaturgisches Netz. Wie beim Entlangfahren des titelgebenden Möbius-Bandes ist jedoch schon bald unklar, wie die Linien verlaufen. Als charismatischer Agent Grégory Lioubov alias Moïse und als betörende Finanzexpertin Alice Redmond finden Oscar-Preisträger Jean Dujadrin und Cécile de France zueinander. Dazwischen steht nicht nur der russische Oligarch Ivan Rostovski (Tim Roth). Waffen braucht Rochant für seinen Spionage-Film keine. Die Charaktere sind wohlbesetzt. In einem dichten Rollenspiel legt er ihnen stereotype Etiketten an: Übergewichtige CIA-Agenten beim Barbecue, der trinkende russische Agent im braunen Cordanzug, die elegante und toughe französisch-amerikanische Finanzmaklerin, der russisch-jüdische Investor. »Die Möbius Affäre« korrespondiert mit kollektiven Bildern des Spionage-Genres. Der Film kokettiert mit den weit verbreiteten Stereotypen eines personifizierbaren Finanzkapitalismus. In einer luxuriösen Bar treffen Moïse, Alice und Rostovski aufeinander. In den raren unbeobachteten Augenblicken verweilen Moïses und Alices flirtende Blicke beieinander. Desire ist die Bar benannt. Als Agent trinkt man Champagner. Dennoch ist es eine Allerwelts-Kneipe, in der sich die vermeintliche Finanzexpertin und der Agent näher kommen. Apocalypse der Name dieser Bar. Die glamourösen, mondänen Oberflächen der Charaktere sind ebenso catchy wie porös und trügerisch. Mit feinen visuellen Details adressiert Rochant Erwartungshaltungen; diese nicht einzulösen verleiht durchgehend Spannung. Im Liebesspiel mit Moïses schließt Alice die Augen vor der Welt – auch vor den vorm Hotelfenster wartenden Gestalten. Flüchten möchte sie in den Iran. Dass sich die Beiden nicht im Regime der Mullahs sondern gerade in Kanada wiedersehen ist eine der intelligenten Spielarten des Films mit tagespolitischen Bezügen. »Wir hätten uns nicht wiedersehen sollen«, sagt Alice einmal zu Moïses. Der Entscheidung, dass Éric Rochant diesem Wunsch nicht nachkommt, ist ein nicht nur visuell kluger Film zu verdanken. 08/10 Peter Schernhuber
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Introducing Studio Kaiju mit viel liebe haben sich studio kaiju das kino angeeignet und erzählen ihre ganz eigenen monströsen geschichten — Guillermo del Toro zeigt diesen Sommer, wie unterhaltsam es ist, wenn sich gigantische Monster gegenseitig verhauen. »Pacific Rim« ist ein eindringliches Spektakel, eine aufpolierte Hommage an die japanische Kaiju-Filmkultur. »Pacific Rim« ist aber auch Fortschrittsfetisch und ein nach Testosteron miefender Militär-Blockbuster, ein Rüstungsrausch mit Cartoon-Figuren. Humoristische Brüche oder doppelte Böden sucht man eher vergeblich. Kaiju Big Battel ist all das nicht und hat auch mit »Pacific Rim« erstmal wenig zu tun. Trotzdem funktioniert es als erfrischender Gegenentwurf zu del Toro bestens. Kaiju Big Battel ist die großartigere Liebeserklärung an das japanische Monsterfilmkino – mindestens einen Sommer lang. Studio Kaiju wurde Anfang der 2000er Jahre im US-amerikanischen Boston geboren. In den Köpfen cinephiler Medienaktivisten und Performance-Künstlern entstand die Idee für Kaiju Big Battel. »Producer of consistently sold-out events, Studio Kaiju is best known for its live tournament-style performances, which are a character driven, tongue-in-cheek hybrid of American pro-wrestling, Japanese monstermovies, and lowbrow pop-culture«, erklärt das Kollektiv. Das bedeutet Prügeleien in übergroßen Monsterkostümen, Ringkämpfe zwischen Großstädten aus Pappkarton. Die krachenden Raufereien sind in spektakuläre Live-Inszenierungen vor Publikum eingebettet. Dazu gibt es eine komödiantische Moderation, die das intergalaktische Narrativ rund um die Monsterhorde reflektiert. Story und Monster werden vom Studio konzipiert und entwickelt. Athletische Performer (nicht Wrestler) bringen die lebende Hommage auf die Bühne und sprengen den Kinoreferenzrahmen liebevoll auf. Der PerformanceCharakter, die Punk-Attitüde, die Verneigung vorm Monsterfilm und die knallbunten Medienumbrüche werden wiederum filmisch inszeniert. Kaiju Big Battel ist eine Einladung zu gelebter DIY-Filmkultur.
TEXT Klaus Buchholz BILD Kaiju Big Battel
Blackmail Boys (Indigo) von Bernard & Richard Shumanski; mit Joe Swanberg, Nathan Adloff, Taylor Reed auf DVD
Hit & Miss (Sky / Ascot Elite) von Paul Abbott, Sean Conway; mit Chloe Sevigny, Jonas Armstrong, Peter Wight auf DVD
Real Humans – Echte Menschen (Entertainment One) Von Lars Lundström; mit Lisette Pagler, Andreas Wilson, Pia Halvorsen
Der Tatortreiniger 1 & 2 (Studio Hamburg) von Arne Feldhusen; mit Bjarne Mädel
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Aaron und Sam führen eine Fernbeziehung, die auch dadurch erschwert wird, dass Sam sich prostituiert, um sein Studium zu finanzieren. Als sich herausstellt, dass einer der Freier ein christlich-fundamentalisitscher, Autor ist, beschließen sie, ihn mit einem Sexvideo zu erpressen. Der Autor wird von Mumblecore-Ikone Joe Swanberg gespielt. Mumblecore bleibt das Stichwort: Low Budget, unruhige Handkameras, Laiendarsteller, Indie-Soundtrack, intermediale Bezüge (Sex vor der Webcam) und selbstreferenzielles Filmen. Die vielen pornographischen Sequenzen bringen die dünne Story gute 60 Minuten lang voran, nicht umgekehrt. Das macht »Blackmail Boys« mehr zu einem bemerkenswerten und verspielten Sexfilm als einem aufregenden Liebesdrama. Am Ende dreht sich der Film in einen Appell für die gleichgeschlechtliche Ehe und gleiche Rechte für alle Liebenden. Das ist zwar nett, überzeugt inszenatorisch aber wenig. 05/10 Klaus Buchholz »Shameless«-Erfinder Paul Abbott hat gemeinsam mit Sean Conway (»Alex And Her Arse Truck«) diese sechsteilige Serie geschrieben: Mia ist eine Auftragsmörderin inmitten einer Geschlechtsumwandlung: Schon Brüste, noch Penis. Als eine ihrer ehemaligen Liebesbeziehungen stirbt, bittet diese sie, sich um ihre Kinder zu kümmern, darunter Mias Sohn Ryan. Gemeinsam mit drei Geschwistern lebt Ryan unter leicht ärmlichen Verhältnissen auf dem Land außerhalb Manchesters. Wenig überraschend sind einige innerfamiliäre Probleme vorprogrammiert, der Vermieter John, Mias Love-Interest Ben oder auch ihr Auftraggeber Eddie machen die Sache nicht einfacher. Trotz dieses Sujets wurde »Hit & Miss« für den Hauptabend gedreht und somit ist vieles an der Serie weniger hart, als es sein könnte. Dafür begeistert die Serie mit einer Atmosphäre, die ihre Figuren sehr ernst nimmt und nie nur auf Effekte aus ist. Und Festspiele für die Idealbesetzung Chloe Sevigny und ihre Fans sind das sowieso. 08/10 Martin Mühl »Echte Menschen« ist eine schwedische TV-Serie, die sich bemüht und ernsthaft mit dem Thema humanoide Roboter auseinandersetzt. In einem parallelen Jetzt gehören Hubots (Human Robots) zum Alltag: Die helfen älteren Menschen oder arbeiten im Haushalt und auf dem Bau. Sexuelle Beziehungen sind schnell Thema und natürlich auch kriminelle Machenschaften wie das Hacken, das den Hubots eine Art freien Willen gibt. Menschen schließen sich zum Verein »Echte Menschen« zusammen und sind gegen jeglichen Einsatz der Roboter. Eine Gruppe Roboter hingegen hat sich befreit – was unter anderem zu Toten führt. »Real Humans« dekliniert dabei alle möglichen Themen durch, vergisst aber leider darauf, einen Handlungsbogen aufzubauen oder eine darüber hinaus interessante oder gar spannende Geschichte zu erzählen. Dadurch versagt »Real Humans« als Unterhaltungsprodukt – auch wenn das Sujet interessant ist und die Herangehensweise mehr als solide. 05/10 Martin Mühl Bjarne Mädel ist vor allem in seiner Rolle als Ernie aus »Stromberg« ein Begriff. In »Der Tatortreiniger« spielt Mädel tollpatschig wie eh und je. Als Reinigungskraft entfernt er die letzten Spuren der Verstorbenen. Am Tatort eingetroffen dauert es nie lange, bis Angehörige, Freunde oder Bekannte der Verstorbenen den Hergang eines gewöhnlichen Arbeitstages gehörig durcheinander bringen. Die daraus entstehende Situationskomik ist umgeben von einer kammerspielartigen Atmosphäre, die sich in ausgefeilten Dialogen dem Zuseher offenbart. Dabei spielt auch die Themen- und Charakterwahl eine entscheidende Rolle. Bei seinen Putzvisiten trifft »Schotty« auf Axtmörder, frustrierte Schriftsteller, den Geist eines Therapeuten oder verkorkste Nazis. Quasi im Vorbeiwischen werden Gesellschaftsthemen intelligent und mit nachdrücklichem Witz in 30 Minuten zu Ende gedacht. Spätestens dann zeigt sich Mädels Schrulligkeit im Vergleich mit den Komplexen seiner Begleiter als harmlos und sein Analyse-Sinn als zumindest bauernschlau. 08/10 Reiner Kapeller Auf www.thegap.at außerdem Reviews von »Dexter Staffel 6« (Paramount), »Die fantastische Welt von Oz« (Disney), »Gangster Squad« (Warner Bros), »Hitchcock« (20th Cent Fox), »The Last Stand« (Splendid Film), , »Misfits – Staffel 3« (Polyband), »Stirb Langsam 5 – Ein guter Tag zum Sterben«, …
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Max Dax, Anne Waak (Hg.) Spex – Das Buch (Metrolit)
Harald Welzer Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. 01 (Fischer) — Wie kann es sein, dass so viele Selbstverständlichkeiten der eigenen Kindheit und Jugend dermaßen entwertet wurden. Etwa die Begeisterung für die Zukunft: Für die lange Gegenwart konstatiert der Zukunftsforscher den Verlust an Zuversicht. Kein Wunder, und hier greift Welzer sprachlich ins Volle, haben wir uns doch längst angewöhnt, das eigene Denken abzugeben. Heftig kritisiert er den umgreifenden Konsumismus, den damit einhergehenden Ressourcenverbrauch, das OberflächenLeben der westlichen Kultur, die ruinöse Geschichtslosigkeit. Klingt alles ziemlich heftig, bei Welzer liest es sich aber nicht bissig und auch nicht langweiligapokalyptisch. Aber ohne Veränderung des Einzelnen wird sich nichts ändern, so Welzers Kernaussage. Und die größte und nachhaltigste Veränderung wäre die Wiederinbetriebnahme des eigenen Ichs, der eigenen Wünsche, das Insistieren auf Eigensinn und Eigenverantwortung. Wer das letzte Quentchen Aufforderung dazu braucht, ist mit Welzers Lektüre sehr gut bedient. 08/10 Hans-Christian Heintschel
Sich behaupten »33 ⅓ Jahre Pop« in 73 Texten von 51 Autoren und einem lesenswerten Vorwort. Die Spex-Nachlese trifft ihr Sujet punktgenau, lässt Fans schwelgen und Kritiker hassen. Der erste Absatz des Vorwortes von Max Dax endet mit dem oft gelesenen Clara Drechlser-Zitat »Es gab nur zwei Lager: Wir selbst und die Doofen.« An dieser Einstellung, die auch Diederichsen in »Sexbeat« 1985 und 2003 so perfekt auf den Punkt bringt, liegt vieles, für das Spex geliebt und gehasst wird. Unumstritten hat das Magazin, gegründet 1980 aus einem Versuch der Selbstermächtigung und der Verschränkung von Musik (meint hier immer auch Kunst, etc.) und Leben (RAF, Gründung der Grünen, Punk), etwas Neues geschaffen. Eine Sprache und einen Blick entwickelt, die bis heute nicht nur den Feuilleton prägen, sondern viel davon, wie im deutschsprachigen Raum über Pop gedacht, gesprochen und geschrieben wird. Inklusive einem nicht immer geschickten und nötigen Hang zu Akademisierung und Intellektualisierung. In diesem und der nach außen getragenen Position der Selbstermächtigung liegt auch der bis heute mitunter heftig geäußerte Kritikpunkt, dass es sich dabei in erster Linie um sich selbst zu wichtig nehmendes Halbwissen dreht. Ein Vorwurf, der trifft, aber vernachlässigt, dass sowohl die Macher des Blattes als auch die Leser sich dieses Umstandes sehr wohl bewusst sind. Und das dies im Universum von Pop (ein wichtiger, viel diskutierter Begriff in der Geschichte der Spex) ein essentieller Bestandteil ist. Pop kann sich selbst gar nicht wichtig genug nehmen. Und die Berichterstattung darüber auch nur bedingt: Eine Behauptung hat den gleichen Stellenwert wie ein Argument oder gar der Versuch eines Beweises. Sowohl das Vorwort als auch die Texte selbst bieten dann einen Streifzug durch alle Phasen der Spex – mit Hinweisen auf die hier immer wichtigen Chefredakteure und die Eigentums- und Marktverhältnisse. Die Texte schreiben aus ihrer jeweiligen Zeit über Joy Division, Simple Minds, Madonna (1983), Beastie Boys, Techno, viele andere Bereiche von Kunst, Musik, Popkultur und letztlich Spex selbst. »Spex – Das Buch« trifft den Kern des Magazins im Laufe der Zeit und ist damit alles, was eine solche Nachlese sein kann. Es erinnert Leser und Fans daran, warum sie das Magazin begleitet haben oder begleiten. Und Kritiker daran, warum sie es immer für so unglaublich falsch hielten. Alles andere wäre ein Aufweichung und Abweichung und damit nicht angebracht. 10/10 Martin Mühl
T. Brandstetter, T. Hübel, A. Tantner (Hg.) Vor Google 02 (transcript) — Vor dem Suchen kommt die Ordnung. Googles geheimnisumwitterter Algorithmus »PageRank« steht für eine besonders effiziente Form der Ordnung. Wir sprechen dabei von Suchen, aber eigentlich ist es Finden. Und was war vor Google? Auch hier war das ideale Suchen ein Finden. Vielfältige Anläufe wurden unternommen, um durch eine vorausschauende Ordnung den Prozess des Suchens erfolgreicher zu gestalten. In spezifischen Beiträgen widmen sich die Autoren dieses Sammelbandes »Eine Mediengeschichte der Suchmaschine im analogen Zeitalter«, wie es der Untertitel beschreibt. Es geht um die Bemühungen von einzelnen historischen Persönlichkeiten und Institutionen, Wissen und Information verfügbar und nutzbar zu machen. Somit kennzeichnet die Auswahl an Beiträgen eine gewisse begriffliche Freizügigkeit, die wenig Antworten darauf gibt, was nun an maschineller Suche vor Google war – liefert dafür aber ein paar gute Geschichten, in denen sich dann herausstellt, dass kaum jemand etwas von dem Wissen wissen will. 08/10 Richard Schwarz Frank Patalong Der viktorianische Vibrator 03 (Bastei Lübbe) — Ein Buch mit einem geilen Titel, das eine Chronologie der technischen Kuriositäten bietet. Auf diese Weise wird von den Stromspielchen unserer Ahnen berichtet, wie Telefon und Musik in Verbindung standen und wohin die Wege der Mobilität führten. Für alle, die der Titel lockt: In der Mitte des Buches gibt es ein paar Seiten über diesen Vibrator. Früher hätte man diese Geschichten vielleicht als Futter für Stammtisch-Lacher verwendet – heute füttert man damit eher TechPornBlogs. All die Anekdoten vermitteln zusammen eine Ahnung davon, wie sich der Fortschritt seine Wege bahnte. Sei es der ziellose Spaß an der Freude, der zu Erkenntnissen führte – etwa zu der, dass Strom nützlich ist und nicht nur Leichen witzige Grimassen schneiden lässt. Oder seien es bestimmte kulturelle Konstellationen, die einer Technik den Vorzug geben, die im Rückblick betrachtet, nicht ideal erscheint. Leider bringt dabei der Bud Spencer / Terence Hill-Jargon des Buches eine gewisse Überheblichkeit in der Einschätzung unserer Ahnen mit sich. 04/10 Richard Schwarz
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Dina Nayeri Ein Teelöffel Land und Meer (Mare)
Peter Dexter Paperboy 01 (Liebeskind) — In »Paperboy« ist Moat County, ein Kaff in Florida, der literarische Schauplatz und alles riecht hier schon buchstäblich nach Verbrechen. Wir schreiben das Jahr 1965, und Brutalitäten stehen auf der Tagesordnung. Einer, der hier sehr gerne zuschlägt ist der Sheriff persönlich. Genau dieser fällt nun einem Gewaltverbrechen zum Opfer und in einem schlampig geführten Prozess wurde ein Kerl, Hillary van Wetter, aus sozial äußerst instabilen Verhältnissen als Täter verurteilt. Eine Frau, Charlotte Bless, mit dem absurden Hang zu Gewaltverbrechern, sammelte zwei Jahre Unterlagen, um den Täter aus dem Knast zu befreien. Ward James und Yardley Acheman, zwei aufstrebende Reporter der Miami Times, finden Gefallen an der Story und tatsächlich bekommen sie den Kerl frei und werden mit dem begehrten Pulitzerpreis belohnt. Aber, haben sie sich jetzt so sehr auf die Story konzentriert, dass sie an der Wahrheit vorbeigeschrieben haben? Pete Dexter hat einen atemberaubenden Krimi hingelegt. Er lässt die Geschichte aus den Augen von Jack James erzählen, einem Zeitungsjungen, der den beiden Reportern Hilfsdienste leistet. Stilistisch findet er sich hier zwischen Truman Capotes Klassiker »Kaltblütig« und einem durchschnittlichen Entwicklungsroman wieder: Knallhartes reportermäßiges Storytelling trifft hier auf Pubertät, Sehnsüchte sowie kleine und größere Grausamkeiten. Fein säuberlich führt er den Leser hinters Licht und jeder der Protagonisten bekommt sein Fett ab. Fazit: Der Mensch möchte gut sein, schafft es aber nicht einmal, halbwegs normal auf zwei Beinen zu stehen. Dexter beobachtet sie beim ewigen Umfallen und das schmerzt – vor allem den Leser.
Ein Teelöffel Land und Meer Ein geschwätziger Debütroman über den postrevolutionären Gottesstaat und die lange Tradition der Lüge. Der 1981. Zwei Jahre nach der islamischen Revolution, der Iran hat Kratzer und blutunterlaufene Flecken bekommen. Natürlich weiß man von Menschenrechtsverletzungen und absurden Verboten, aber wie viele dieser heiklen Themen fanden bis dato Ansprache in der erzählenden Literatur? Dina Nayeri wurde in das Land geboren, das nach dem Sturz des Schahs zu einem islamischen Gottesstaates wurde, der die persischen Frauen in Fesseln legt. Die Autorin hat davon nicht viel mitbekommen, flüchtete sich doch schon als Zehnjährige mit ihrer Familie in die USA. Gerade deshalb schwirrte in ihrem Kopf dieses ewige »Was-wäre-wenn« herum. Sie begann sich zu fragen, wie ihr Leben im Iran ausgesehen hätte. Die Antwort sucht sie ganz typisch für Persien in einer Geschichte, oder eher einem Teppich aus vielen Geschichten. Poetisch wie der Titel klingen auch die 517 weiteren Seiten über das Mädchen Saba, deren Erinnerungen an Mutter und Zwillingsschwester Mahtab mit dem todesnahen Schock im Kaspischen Meer versunken sind. Auch an die Auseinandersetzungen zwischen der Pro-Haar-Regierung und der Pro-Kopftuch-Regierung erinnert sie sich nur noch schemenhaft. Das Leben des Mädchens ist geprägt von emanzipierter geheimchristlicher Erziehung und der ultrakonservativen Brutalität des postrevolutionären Iran. Je älter sie wird, desto mehr schnürt ihr das Leben in dem Gottesstaat die Kehle zu. Ihr Traum ist es, aus dem strengen skrupellosen und scheinbar willkürlich gewalttätigen Regime zu fliehen. Aus Angst, sich den strengen Sitten zu widersetzen, verlagerte sie ihren Mut auf den Zwilling und projiziert ihre Hoffnungen auf ein klischeehaft erträumtes Amerika. Mahtabs Leben stellt sie sich westlichen TV-Serien ähnlich in einzelnen Folgen vor. Und so geht es auf jeder Ebene des Buches um den Lügengehalt: Der findet sich in der langen Tradition alter persischer Geschichten, im Journalismus oder in den verlogenen Highschool-Soaps. Dina Nayeri verflicht die Fäden aller gesponnenen Geschichten zu einem kostbaren Teppich. Der Kulturkontrast zu Amerika wird zwar dabei sehr ausgereizt und umschreibt vielleicht doch das falsche Bild, das ein ferner Iraner Dorfbewohner vom American Dream damals hatte. Zudem betont die Autorin im Anhang: »Diese Geschichte ist mein Traum vom Iran, den ich aus der Ferne erschaffen habe, so wie Saba sich ein Amerika für ihre Schwester erträumt.« Persische Ausdrücke werden wie Zauberstaub über alte Traditionen und Sitten gestreut. Gekonnt werden asynchron verschiedenen Perspektiven gezeigt und dem Leser suggeriert, dass er als stiller Beobachter vor Ort ist. 07/10 Juliane Fischer
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Christos Ikonomou Warte nur, es passiert schon was 02 (C. H. Beck) — Alle Storys in »Warte nur, es passiert schon was« spielen im Hafenareal von Piräus, dem wichtigsten Industriehafen Griechenlands. Einer Frau wird von ihrem Freund das Sparschwein geklaut; ein alleine gelassener Mann findet nichts Essbares für seinen Jungen; ein Demonstrant wird wie panisch von seinem Bruder gesucht, ein Ehepaar wird enteignet. Dazu flechtet der Autor sehr geschickt die politische Lage ein und wie die Menschen darauf reagieren. So absurd es klingen mag, aber nach Bulgarien auszuwandern ist zum Beispiel eine realistische Möglichkeit, um dem großen Dilemma zu entkommen. Der Autor lässt seine Protagonisten jedoch nicht zu Bestien verkommen, sondern er schüttet bei den Geschichten sein Herz aus. Ist die Hoffnung auch noch so klein, sie wird wahrgenommen und der Himmel ist nach wie vor voller Hoffnung. Ikonomou kümmert sich um das Individuum und gibt ihm die Würde zurück. Das vollbringt er auch mit seinem Schreibstil. Seine feine Feder lässt ungekünstelte Atmosphären entstehen, jenseits von jeglichen Klischees, so öffnet er einen anderen Blickwinkel auf Griechenland, weit weg von der Nachrichtenberichterstattung und dennoch sehr nah am Geschehen. Dass der Autor dafür 2011 mit dem griechischen Literaturstaatspreis ausgezeichnet wurde, ist erfreulich – bleibt zu hoffen, dass bei den ganzen Turbulenzen das Preisgeld auch ausbezahlt wurde. 07/10 Martin G. Wanko
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Thomas Meyer Wem würden Sie nie im Leben eine Postkarte schicken? 03 (Salis) — Die Postkarte hat den Höhepunkt ihres Produktlebenszyklus schon hinter sich. Man liest auf ihr von sonniger Urlaubslaune und über sie in 052
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Rez Zeitungen skurrile Geschichten von der Ankunft nach verschollenen Jahren. In der Kürze liegt die Würze könnte man glauben und dass dieses Format so manchem ein besonders kreatives Schreiben entlocken würde, doch gerade die Postkarte verkam zum Medium der Floskelhaftigkeit. Beziehungsweise: Sie wurde ja sowieso überrollt von der Online-Nachricht. Beim Schweizer Salis Verlag kam unlängst zwischen den Büchern ein Päckchen bunter Postkarten ins Verlagsprogramm. Geschaffen vom Schriftsteller Thomas Meyer, bündelt es 48 Fragen an das Selbst. In höflicher Anredeform steht dann auf grellgrünem Untergrund »Wer würde sich über Ihren Tod freuen?« oder »Wozu fehlt Ihnen schlicht der Mut?« (Auf Pink geschrieben), »Welchem Alter entsprechend verhalten Sie sich?« und »Sind sie ein guter Mensch? Seit wann?«. Schon seit 2007 stellte Mayer in Zürich auf Aufklebern Fragen dieser Art. Erst zwei Jahre später outet er sich als Grübler hinter der Aktion für ein kluges Zürich. Das große Echo lässt den Werbtexter in Thomas Meyer hervorblitzen und sagt: Mache etwas Intelligentes und Auffälliges und du benötigst kein Riesenbudget, um in der ganzen Stadt Aufmerksamkeit zu erregen. Eines Tages habe er begonnen, die Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten, aufzuschreiben. Ohne Absicht, aus reinem Interesse. Bei 200 fragte er sich nach dem Zweck und so wurden Sticker für die Heimatstadt daraus. Schreiben wir also wieder mehr Postkarten mit Nachdenklichkeit und Neugierde. Mögen die Weltenbürger reflektierter werden, freilich ohne sich dabei nur mit sich selbst zu beschäftigen. 07/10 Juliane Fischer
Isabella Straub Südbalkon 04 (Blumenbar) — Städteromane, knisterndes Leben, von denen kann es nie genug geben, gerade in Österreich fehlen sie sehr oft. Gut so, dass die junge Wienerin Isabella Straub hier eine Ausnahme darstellt: Im Prinzip schreibt sie mit »Südbalkon« einen ganz frechen Roman über die fast schon erwachsene Ruth Amsel, die sich notgedrungen auf eine Selbstfindung begibt, denn sie ist arbeitslos und hat keine Lust mehr, von Stiftung zu Stiftung geschubst zu werden. Schön, dass dieser Roman von einer Frau geschrieben wurde, so ist der grundsätzliche Blick
Buch auch einmal anders. Für den Roman wichtig, dass er ohne Tabus auskommt und jetzt einmal die Arbeitslosigkeit nicht als das größte Dilemma auf Gottes Erden darstellt. Nach dem flotten Beginn fordert das Anfangstempo Tribut und so wirkt die Story nach dem ersten Drittel etwas zerredet, da fehlt es am natürlichen Weitergang des Plots: die neue Liebe zum Beispiel, oder die Möglichkeit auf einen neuen Job, das alles kommt etwas zu spät. Da hätte man dramaturgisch mehr rausholen können. Ansonsten muss man sagen, dass Isabella Straub nur so vor Gedankenreichtum sprudelt und aus einem eher depressiven Stoff durchaus erfrischende Literatur machen kann. 06/10 Martin G. Wanko David Vann Dreck 05 (Suhrkamp) — David Vann hat mit »Dreck« einen der härtesten aber zugleich auch eindringlichsten und wahrscheinlich wichtigsten Romane der letzten Zeit geschrieben. Irgendwo in Kalifornien, ein Nest, eine übergroße Wahlnussplantage, eine abgewrackte Villa, die große Vergangenheit der Familie ist nicht einmal mehr ansatzweise spürbar. Der junge Galen ist 22, sehr unselbständig, sehr sonderbar und so nebenbei spirituell veranlagt. Er lebt mit seiner Mutter in der klapprigen Villa, genau genommen von einem Fonds, der der Aufrechterhaltung des Hauses dienen soll. Die beiden werden von der Tante und der aufreizenden Cousine besucht und langsam wird klar, dass die Besucher eine Rechnung mit ihnen offen haben. Ein Ausflug zum familieneigenen Ferienhäuschen lässt die Situation entgleiten. Mord und Totschlag gleich von der ersten Seite weg. Kälte, Inzest, Habgier, Missgunst, Betrug, Gewalt – aus diesen Ingredienzien formt der US-Autor David Vann eine Geschichte, eine magische Geschichte über eine Familie, die in den letzten Zügen liegt. Ein großer Vorteil dieses Romans ist, dass der Autor nicht erklärend auf den Leser einwirkt, sondern die Dinge so beschreibt, wie sie nun mal sind. Er lässt der Geschichte in aller Brutalität, aber auch in aller Sensibilität freien Lauf. Die Sprache ist den Situationen angepasst, mitunter auch ein Härtefall, das kann man jetzt mögen oder nicht, aber 2013 muss es einfach möglich sein, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. »Dreck« ist hiermit eine dringliche Leseaufforderung. 08/10 Martin G. Wanko
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Rez Lisa Hanawalt My Dirty Dumb Eyes 01 (Drawn & Quarterly) — Wer kann sich noch daran erinnern, wie wir als Kinder eine Spielzeugfigur in einen Schuh setzten und daraus das amüsanteste Fahrzeug aller Zeiten erschaffen hatten? Oder wie wir uns nur schwer vorstellen konnten, wie auch nur irgendetwas spaßiger sein kann als sprechende Hunde? Lisa Hanawalt hat diesen kindlichen Humor nicht verloren. Stattdessen hat sie ihn mit trockenem Sarkasmus und New Yorker Attitüde gepaart. Presto! Großartige Unterhaltung ist garantiert! Von leicht dadaistisch anmutenden Kinofilmrezensionen über fragliche Lebensberatung und unverblümten autobiografischen Momenten bis hin zu avantgardistischen Hutkreationen für diverse Tiergattungen und träumerischen Metaphern. Hanawalt ist das kleine Kind, das in einem fort brabbelt, weil es seine Ideen nicht im Zaum halten kann und gleichzeitig auch die Erwachsene, die daneben steht und augenrollend, wenn auch wohlwollend, mit dem Kopf nickt. »My Dirty Dumb Eyes« destilliert diese Sicht aufs Leben. 07/10 Nuri Nurbachsch
Dash Shaw New School (Fantagraphics)
Kreuz der Jugend Dash Shaw spannt die Leinwand seiner Visionen über die Staffelei der Pubertät und malt mit den Farben des Erwachsenwerdens ein Entwicklungscomic besonderer Art.
Stan Lee, John Buscema, Bob Camp, Michael Fleisher Conan, der Barbar Nr. 21 02 (Condor) — Haus am Land. Dachboden. Conan der Barbar Nr. 21 geborgen. Ein Relikt aus den 80er Jahren, das mir aufgrund einer Geschichte nie ganz aus dem Kopf gegangen ist. »Im Reich des Todes« ist eine absurde Ansammlung von Figuren, die sich im Grenzbereich zwischen Leben und Tod bewegen. Conan wird durch ein dämonisches Mal zum Todbringer: »Was immer du ab jetzt berührst muss sterben«. Dieser Satz ist mir immer in Erinnerung geblieben und das Bild, in dem Conans Gaul tot zusammenbricht. Irgendwie bedrückend. Hinzu kommen Conans alter Freund – ein Unsterblicher, der nicht mehr leben will – und einer seiner Erzfeinde – ein untoter Dämon, der sich von Lebensenergie ernährt. Was haben sich die drei zu sagen? Nicht viel. Die plump formulierten, manchmal jenseits der Grammatik operierenden sprachlichen Sinneinheiten brechen fast auseinander, können gerade noch die Geschichte zusammenhalten. Und doch schafft die extreme Einfachheit und Sprunghaftigkeit dieser Sprache etwas wie Tiefe. Wo sind die Hermeneutiker und Psychoanalytiker, die sich all dem Ungesagten, Unterbewussten und Unaufgelösten in diesen schnell geschriebenen und gezeichneten Comics einmal annehmen würden?
Neuen Arbeiten von Dash Shaw geht eine seismische Welle an großen Erwartungen und aufgeregten Prognosen voraus. Vorausgesetzt, man erfährt davon im Vorfeld. »New School« war kein großes Geheimnis, trotzdem schlich es sich an und übermannte die Leserschaft mit Leichtigkeit. Denn, wundervollerweise, brennt Shaw mit einem kreativen Inferno, das allem Stand zu halten scheint. Für »New School« berührt er das Leben zweier Brüder. Der jüngere Danny blickt zu Luke auf, eifert ihm in allem nach. So sehr, dass er dabei gelegentlich Grenzen überschreitet. Luke, rastlos und orientierungslos, wird ins entfernte Land X geschickt, wo er als Sprachlehrer den Jugendlichen helfen soll. Er soll Erfahrungen machen, die ihn zum Erwachsenen reifen lassen. Nach einigen Jahren Distanz reist Danny Luke nach. Ein völlig andersartiger Bruder erwartet ihn dort und auch Dannys Charakter beginnt drastische Änderungen zu erfahren. In starken, expressionistischen Strichen und bedeutungsschwangeren Bildern fängt Shaw mehr als nur die Beziehung zwischen zwei Brüdern und ihrer Entwicklung von Kindern zu jungen Männern ein. Aus »New School« explodiert alles hinaus in die Augen der Leser. Den unbeholfenen Danny – er bietet die zentrale Perspektive der Handlung –, versieht er mit lyrischer, theatralischer Ausdrucksweise, identifiziert diese als die linguistische Logik des Kindes. Die Seiten von »New School« tränkt Shaw zunehmend in Farbwände, nicht selten die ganze Seite in einer Nuance verschlingend, zunehmend je mehr Danny seine Kindheit hinter sich lässt. Auch der Rebellion der Jugend räumt Shaw nicht nur Platz ein, sondern errichtet eine Skulptur, die nur dafür gedacht ist, vernichtet zu werden. Eine für Luke und Danny undurchschaubare, dominierende Autoritätsfigur in Form von Otis, dem Regenten im Land X. Dort steht zudem der neu erbaute, megalomanische Freizeitpark Clock World, in dem die ganze Geschichte der Welt verkörpert ist. In diesem fremden Land, mit einer fremden Sprache empfinden sich Luke und Danny als Fremdkörper und kämpfen, mit diesem Gefühl zurecht zu kommen. Shaw macht »New School« weder in Stil noch im Inhalt subtil. Stattdessen bildet er die Intensität eines prägenden Lebensabschnitts mit der Energie einer Herde wilder Pferde nach. Es ist fantastisch, in den übergroßen Seiten verloren zu gehen, zwischen fantastischem Abenteuer und emotionaler Tiefe gefesselt. Perfekte Comics gibt es nicht, aber in der kleinen Gruppe an Künstlern, die außerhalb der Normen an den Türen der Perfektion kratzen, ist Dash Shaw mit Sicherheit zu finden.
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Asumiko Nakamura Utsubora: The Story Of A Novelist 03 (Vertical) — Wenn dem Autor das Schreiben zur Berufung wird, gibt es nichts Wichtigeres als das Geschriebene. Folglich ist die Unfähigkeit zu Schreiben dem Schreibenden weitaus mehr zuwider als der Tod. In diesem Zustand ist die Verlockung groß, jeglichen Strohhalm als Rettung zu sehen. Der introvertierte Shun Mizorogi ist ein schillernder Stern der japanischen Literatur. Sein Verlag hegt ihn, unter seinen Kollegen löst er Bewunderung und Neid aus. Nach einer kreativen Trockenperiode findet er mit der Serialisierung seines neuen Romans wieder zu alter Größe. Aber der scheinbare Selbstmord einer mysteriösen jungen Frau bringt Unruhe und Verwirrung in Mizorogis Leben. Geheimnisse treten ans Tageslicht und ein Netz an Lügen wird enthüllt. »Utsubora« ist das erste ins Englische übersetzte Werk von Asumiko Nakamura. Ihr fragiler, von Aubrey Beardsley beseelter Stil umhüllt zärtlich die geschickt besetzte Intrige aus Verführung, Versuchung und Verlangen. Für anspruchsvolle Manga-Genießer ist »Utsubora: The Story Of A Novelist« unverzichtbar.
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Wind und Wetter »Storm« ist ein Puzzle-Plattformer, bei dem es gilt, die Physik des Wetters zu nutzen, um Obst zu neuen Beeten zu befördern. Schön, aber gar nicht so leicht. »Storm« ist zwar ein Plattformer, aber weit entfernt von handelsüblichen Jump’n’Runs. Die zu bewegende Figur, eine Birne beispielsweise, wird nicht direkt gesteuert, stattdessen sind Wetter-Effekte wie Wind, Regen oder auch Blitze so zu platzieren und zu timen, dass das Teil durch eine schön anzusehende Gartenlandschaft zu einem neuen Beet-Platz bewegt wird. Wasser wird etwa genützt, um Gruben zu überwinden, Wind pustet das Obst naheliegend in eine Richtung. Überraschend knackig ist dabei der Schwierigkeitsgrad, wobei das Problem eher nicht in Geschicklichkeit und Timing liegt, sondern schlicht darin, das Level zu verstehen und dahinterzukommen, wie es funktioniert. »Storm« ist hier erstaunlich anspruchsvoll – auch deswegen, weil es oft nur genau einen Weg gibt. Dabei ist das Spiel an sich durch seine Ruhe und die saftig-grüne Pflanzenwelt reich an Atmosphäre und angenehm entspannt. Eine Stimmung, die der doch regelmäßig aufkommende Frust ob der schwierigen Rätsel mitunter aber schnell wieder zerstört. »Storm« ist jedenfalls angenehm anders und ein rätselhaftes Vergnügen für Geduldige. Allerdings ist die Motivation, das Spiel nochmal zu spielen, nicht sehr groß. Durchwachsen. 05/10 Martin Mühl
Storm (Indiepubgames / Namco Bandai); Xbox Live Arcade; www.stormthegame.com 055
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Rez The Night Of The Rabbit 01 (Daedalic); PC; www.daedalic.de — Es ist eine wiedererstarkte Nische, die Daedalic da bedient. Seit Jahren liefert das Entwicklerstudio kontinuierlich immer neue Rätselabenteuer für Freunde des entspannten Point-and-Click. Und immer wieder haben sie den spaßversprechenden Punkt zwischen Frust, Langeweile und Beschäftigungstherapie ganz gut erwischt und vereinzelte Schwächen durch amüsante Geschichten kompensiert. Diesmal sind es vor allem die schönen Bilder, die positiv ins Auge springen. Aber schon der Erstkontakt mit dem Helden der Geschichte ist frei von jedem Funkenflug: Jerry, ein Junge mit einer Erwachsenenstimme, will immer schon Zauberer werden und jetzt bleibt ihm gerade einmal der letzte Sommerferientag, um dabei vielleicht doch noch Erfolg zu haben. Erfreulich also, dass ein gut gekleideter Hase vorbeischaut, um ihn in fremde Welten zu entführen und ihm die Kunst der Zauberei näherzubringen. Im Gegensatz zu »Edna bricht aus«, »Deponia« und »Harvey’s neue Augen« fehlt Jerrys Abenteuer der boshafte Humor. Jede Pointe wirkt kindisch und überbemüht und die meisten Dialoge verlaufen ohnedies ganz trocken und uninspiriert. Dazu kommt, dass die Rätsel immer wieder Logikfehler aufweisen und verwendbare Gegenstände in den bunten Hintergrund so passend hineingezeichnet wurden, dass Bildschirme oft systematisch abgesucht werden müssen. Ein bisschen Charme und Zauber liegt durchaus auch in diesem Titel, aber über weite Strecken passiert erstaunlich wenig und so schwindet die Motivation von Bildschirm zu Bildschirm. 05/10 Harald Koberg Journey Collector’s Edition 02 (thatgamecompany); PS3; thatgamecompany. com / games / journey — Wollte man »Journey« kategorisieren, dann wäre das Spiel mit seinen gelegentlichen Sprung- und Flugeinlagen wohl am ehesten dem Jump ’n’ Run-Genre zuzuordnen. Der Vergleich greift jedoch zu kurz, »Journey« verzichtet komplett auf unfaire Sprungeinlagen und Gegner. In der Wüstenlandschaft gibt es weder Lebensanzeige noch einen High-Score, selbst der Tod ist unbekannt. Dadurch wird jegliches Aufkommen von Hektik vorweggenommen. »Journey« kann sich – sofern es der Spieler zulässt – in seiner gemächlichen Präsentation komplett auf die Bindung des Spielers konzentrieren. Mit fortschreitender Dauer erlernt der Spieler das Fliegen und findet Leben in einer verlassen geglaubten Welt. Indem er Flugdrachen folgt, wird nicht nur die Geschichte spielerisch weitergetragen, zugleich findet auch eine starke Identifizierung mit der Spielwelt statt. In einer malerischen Szene surft der Spieler begleitet von
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Flugdrachen über kilometerlange Dünen. In dieser perfekten Inszenierung glaubt man sich plötzlich als Teil einer Delphin-Gruppe wiederzufinden, die dem Sonnenuntergang entgegen durch das Meer rauscht. Das wirklich Verrückte daran ist, dass so selbst im Einzelspielermodus ein bewegendes Gemeinschaftsgefühl entsteht. Alleine dafür lohnt es sich, diese ungewöhnliche Erfahrung zu machen. Auf der gerade erschienenen Collector’s Edition finden sich noch die ebenfalls empfehlenswerten Vorgänger »Flower« und »flOw«. 09/10 Reiner Kapeller
Moto GP 13 05 (Namco Bandai) PC, PS3 (getestet), Xbox360, www. motogpvideogame.com — Ein mittelmäßiger Versuch einer Simulation: Fahrgefühl und Anspruch lassen Potenzial erkennen, Grafik und Aufmachung machen vieles zunichte. 05/10 Harald Koberg
Ride To Hell: Retribution 03 (Deep Silver); Xbox 360 getestet, PS3, PC; ridetohell.deepsilver.com — Angesichts des Ergebnisses möchte man lieber vergessen, dass »Ride To Hell« vor beinahe einem halben Jahrzehnt eines der wohl größten in Österreich erdachten Spiele war. Das Studio existiert nicht mehr, die Rechte hat seit vielen Jahren Deep Silver und diese haben das Spiel nun offensichtlich von irgendwem fertigbauen lassen. Wobei »fertig« Definitions-Sache ist. »Ride To Hell« wollte ein großes Open-World-Spiel sein, das in der Welt amerikanischer Biker-Outlaws nach dem Vietnam-Krieg spielt. Ein Soldat kehrt heim, muss miterleben, wie sein Bruder getötet wird und sinnt nun auf Rache. Das Ergebnis ist aber leider in jeder Hinsicht enttäuschend: Keines des Gameplay-Elemente (Fahren, Prügeln, Schießen) macht Spaß und die technische Umsetzung ist einfach nur mies: die Grafik ist veraltet, die Kollisionsabfrage höchstgradig fehlerhaft und Design und Physik spärlich vorhanden. Spielspaß sieht anders aus, sympathischer Trash aber leider auch. 02/10 Martin Mühl
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Die Sims 3 – Inselparadies 04 (EA); PC gestestet, Mac; ea.com / de / die-sims-3-inselparadies — Die neueste Erweiterung für »Sims 3« führt auf die schönsten Tropeninseln der Welt. Dort machen die Sims Urlaub oder errichten ihr eigenes 5-Sterne-Hotel. Wasserratten tauchen zudem nach versunkenen Schätzen. Ob »Die Sims 3 - Inselparadies« nicht besser ein eigenständiges Spiel sein sollte, bleibt dahingestellt. Klar ist, dass sämtliche vorherigen Erweiterungen hier keine Rolle spielen und deshalb nicht integriert wurden. Dennoch ist das Inselparadies für Fans empfehlenswert, bietet es doch einige neue Beschäftigungen wie Bootfahren und Tauchen und zudem einige neue Objekte. Passend zur Jahreszeit versprühen die traumhaft schönen Ressorts massenhaft Urlaubsfreude. Dass spielerisch unterm Strich recht wenig geboten wird, ist schade. Anderseits funktioniert die Sims-Formel immer noch und Abnehmer gibt es wie Sand am Meer. 06/10 Stefan Kluger
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Mickey Epic: Die Macht der 2 06 (Disney Interactive) PS Vita, www.disney.de / mickey — Zu diesem Titel scheiden sich die Geister. Trotz Charme und Macken ist klar: Auf der PS Vita sollte nur mangels Alternativen gespielt werden. 05/10 Remember Me 07 (Capcom) 360, PC, PS3, www.remembermegame.com — Wer mit dem Trend geht, Spiele in erster Linie am Ausmaß der mitgelieferten Freiheit zu messen, der lasse die Finger von »Remember Me«. Für alle anderen verbirgt sich hinter der etwas bockigen Steuerung und den schlauchigen Levels ein hervorragender Titel, der in eindrucksvollen Bildern eine Geschichte erzählt, die es schwer macht, den Controller wegzulegen. Zukunftsvisionen, in denen Erinnerungen als Waren gehandelt werden, sind nichts Neues. Auch die Heldin ohne Gedächtnis ist nicht restlos innovativ. Dass sich die Unsicherheit der Heldin von Beginn weg auf die Spieler überträgt, ist jedoch gleich eine große Leistung. Und bis zum Schluss bleibt spannend, wer hier welche Rolle spielt. Während erzählerisch fulminante Titel wie »Bioshock Infinite« spielmechanisch höchst unkreativ waren, verzückt »Remember Me« gleich mit zwei hübschen Ideen. Zum einen wäre da das Remixen fremder Erinnerungen, das sich Nilin einige Male zunutze macht. Als Spieler müssen wir hier Elemente von Erinnerungssequenzen verändern, um ihren Ausgang zu beeinflussen und so Ansichten der Zielpersonen zu unseren Gunsten zu drehen. Eine spannende Abwechslung, die die Story trägt und auch für etwaige Nachfolge-Titel viel Potenzial liefert. Zum anderen sorgt das Kampfsystem für zusätzliche Reize, da es erlaubt, Kombinationen selbst anzupassen, um gewünschte Effekte zu erzielen. So kann ich selbst entscheiden, ob ich den Schwerpunkt auf Schaden, Heilung oder verkürzte Wartezeiten für Spezialangriffe legen möchte. Und gegebenenfalls kann man hier auch während eines Kampfes noch nachbessern. Verbesserungspotenzial lässt sich zwar mit freiem Auge erkennen, aber »Remember Me« hat viel Ungewöhnliches zu bieten, das sich Spielaffine nicht entgehen lassen sollten. 08/10 Harald Koberg
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MOVIE @ KLANGTHEATER Der Stummfilm "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" mit Live-Filmmusik von Elektronik-Musiker Franz Reisecker.
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Film Productions
© Agentur für Primrose
KARTEN UND INFOS: http://radiokulturhaus.ORF.at
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TEXT Andreea Dosa BILD Ferdinand Neumüller, IMA - Institut für Medienarchäologie, milo bauer, STL Post Dispatch, gregor titze, Reinhard Haider, Ulrich Ghezzi
Eine Auswahl von rund 150 Werken, die vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichen, ist unter »Fokus Sammlung 04. Tiere« im Museum Moderner Kunst Kärnten in Klagenfurt zu sehen. Das Tier wird als Freund oder Feind des Menschen, als Jäger oder Beute, als Objekt wissenschaftlicher Erforschung oder aber als Attribut, Symbol, Metapher sowie Vermittler einer Botschaft dargestellt, die sich auf menschliche Eigenschaften, Befindlichkeiten, Ängste oder Sehnsüchte bezieht. Veganer haben die Ausstellung schon weinend verlassen. 20. Juni bis 20. Oktober Klagenfurt, Museum Moderner Kunst Kärnten
Fokus Sammlung 04: Tiere
TERMINE KULTUR
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KULTUR
Max Brand: Unstillbare Sehnsucht Das Institut für Medienarchäologie, in Zusammenarbeit mit dem Max Brand Archiv, widmet seinen medienarchäologischen Schwerpunkt dem unter den Nazis vertriebenen Komponisten Max Brand und dessen Vermächtnis: dem Max Brand Synthesizer (Moogtonium). Die Ausstellung »Unstillbare Sehnsucht« zeigt Schaltpläne, Briefwechsel, Partituren, Fotomaterialien und Tonbänder, und vermittelt so einen intimen Einblick in das Leben und Wirken von Max Brand, wie auch aus den Pioniertagen elektronischer Musik. 2. Juli 2013 bis 17. Jänner 2014 Hainburg an der Donau, Institut für Medienarchäologie
Arena Sommerkino
TEXT Andreea Dosa BILD Ferdinand Neumüller, IMA - Institut für Medienarchäologie, milo bauer, STL Post Dispatch, gregor titze, Reinhard Haider, Ulrich Ghezzi
Unter freiem Himmel zeigt das Arena Sommerkino einen Mix aus populären und ungewöhnlichen Filmen. Auf der Liste stehen u.a. die Oscar-prämierte, großartige Musikdoku »Searching for Sugarman«, »The Punk Syndrome« und »Schlagerstar«. Für dass leibliche Wohl ist ebenfalls gesorgt, im Falle von Schlechtwetter bietet die überdachte Open-Air-Bühne Schutz vor unliebsamen Witterungseinflüssen. 5. bis 28. August, 21.30 Uhr Wien, Arena
Wonderland: 24 Hour City Die Plattform Wonderland fokussiert auf den Austausch von aktuellen Tendenzen in Architektur und Urbanismus sowie die Vernetzung junger Architekturschaffender im Rahmen einer interaktiven Ausstellung. Die Alte Halle des Architekturzentrums Wien wird zu einem temporären Wonderland-Hauptquartier, einem urbanen Forschungslabor, das sich der sozialen Relevanz von Architektur und Urbanismus widmet. Leitthema zum Paradies: »Connecting, sharing, creating space!« Eröffnung: 7. August, 19.00 Uhr, Dauer: 8. bis 25. August Wien, Architekturzentrum – Alte Halle
Simon Denny: Kim Dotcom Simon Denny widmet sich der Megaupload-Affäre um Kim Dotcom. Seine Plattform Megaupload wurde 2012 geschlossen und Firmengründer Kim Dotcom kurzzeitig inhaftiert. Die Liste der Beschlagnahmungen bei der Razzia führt in der Ausstellung zusammen mit einer Ansammlung von Kopien, Plagiaten und Imitaten der »echten« rechtswidrig erworbenen Gegenstände, und nicht zuletzt der Frage: Wer besitzt eigentlich was im Zeitalter des globalen Datenverkehrs? 5. Juli bis 13. Oktober Wien, Mumok Stiftung Ludwig
Olafur Eliasson Olafur Eliasson wurde zum zehnten Geburtstag des Lentos eingeladen, in Linz auszustellen. Er greift Naturprozesse auf und arbeitet gerne mit Licht oder Wasser. In Wien ist er mit »Yellow Fog« zu Gast. In Linz ist es zwar nur ein Raum, den der Künstler bespielt, dafür beeindruckt die Lichtinstallation »Sua fogueira cósmica« (Dein kosmisches Lagerfeuer) durch ihre Größe. 28. Juni bis 22. September Linz, Lentos Kunstmuseum
Flowers & Mushrooms Die Sommerausstellung »Flowers & Mushrooms« im Museum der Moderne Mönchsberg beleuchtet die Klischees und die Vielzahl an Bedeutungsebenen von Blumen und Pilzen als Symbolträger in der Kunst. Die Bildtradition von Blume und Pilz geht weit über ein rein dekoratives Motiv hinaus: Sie steht als natürliches Sinnbild für Vanitas und Erotik, Lebenszyklus und Politik, Überschwang und Kitsch. Es werden Arbeiten gezeigt von Andy Warhol, Robert Mapplethorpe, David LaChapelle u.v.m. 27. Juli bis 27. Oktober Salzburg, Museum der Moderne Mönchsberg 059
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T ermine
G a lerien
Anthony Cragg, »It is, it isn’t«. 2010. Holz. 242 × 120 × 110 cm.
Roa, »Ursus«. 2013. Installation mit Acryl auf Holz, Schädeln und Objects trouvés. 85 × 71 × 10 cm.
Aîtres
Pan-Roa’s Box
Den »inneren Einrichtungen« macht sich die Sommeraus- Innerhalb der letzten Jahre hat der aus Gent stammende stellung der Galerie Mario Mauroner in der Residenz Salz- Street Artist ROA die Welt sämtlichen Himmelsrichtungen burg auf die Spur und präsentiert Arbeiten von rund 20 lo- folgend bereist. Nun kehrt er zu seiner zweiten Solo-Show kalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Was bei Inoperable ein – und mit ihm seine wilden Kreaturen, die ist es, das unser Innerstes ausmacht? Ist unsere Anatomie nun zwei Wände in Wien bevölkern (am Donaukanal und eine bloße Hülle für das geistige Wesen? Über das innen neben dem Haus des Meeres). Es sind Tiere, von denen er und außen spekulieren Skulpturen wie Tony Craggs »It is, wie besessen scheint: Füchse, Ratten, Hasen, Marder – ROA isn’t it«, ein konstruktivistisch-futuristisches Formengut, stimmt die Spezies seiner Wallpaintings und Graffitis stets Jaume Plensas ephemere Stahl-Silhouetten oder Bertram auf die lokalen Gegebenheiten ab. Trotz der Herrschaft Hasenauers filigrane Zeichnungen unergründlicher Persön- des Menschen überlebt die Fauna im harten und zugleich lichkeiten. Ebenfalls vertreten sind Arbeiten von Eva Schle- schönen Kreislauf der Natur, den ROA in seinen wildromangel, die zeitgleich »No Man’s Heaven«, die Eröffnungsaus- tischen Arbeiten zur Schau stellt. Mit im Gepäck hat der stellung der diesjährigen Salzburger Festspiele, gestaltet. Street Artist diesmal auch ein kleines Kuriositätenkabinett bis 10. September Mario Mauroner Contemporary Art, bestehend aus gefundenen Objekten, Tierpräparaten und Residenz Salzburg -schädeln. bis 31. August, Inoperable, Wien
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TEXT Margit Emesz BILD Tony Cragg, INOPERAbLE Gallery
Salzburg
30 Years (Part I + II) Galerie Ropac, Villa Kast / Halle bis 28. August Robert Mapplethorpe Galerie Ropac, Villa Kast / Halle Eröffnung: 31. August; bis 26.Oktober Secondary Structures Galerie Ruzicska, Salzburg bis 31. August Thomas Kilpper. How to get rid of ’em Galerie Eboran bis 30. August Christoph Draeger. Das Christoph Projekt Kunstraum Pro Arte, Hallein Eröffnung 7. August; bis 7. September
Steiermark
Wohin damit? Beziehungen in der Galerie herstellen. Galerie Blaues Atelier, Graz bis 21. August Markus Wlifing. Dog Counts Galerie artepari, Graz bis 30. August
Kärnten
Sampling II. Konzert der Skulpturen Stift Ossiach bis 30. September Michael Kos. Verfertigung Grünspan – Plattform für Kunst und Kultur im Drautal Eröffnung: 27. Juli; bis 21. September
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Vorarlberg
Alchemie Hospiz Galerie Bregenz bis 31. August
Wien
Clemes Wolf Galerie Steineck Eröffnung: 30. September; bis 10. Oktober Heinz Frank. Ein randloses Loch fliegt von Baum zu Baum und von Loch zu Loch, ohne zu fliegen Galerie Charim bis 7. September Ferien in der Krise / Des vacances pendant la crise f.e.a / Forum experimenteller Architektur, MQ Wien bis 15. September World Press Photo 13 Westlicht Eröffnung: 6. September; bis 13. Oktober
Niederösterreich
Ich bin gerne Bauer und möchte es auch bleiben. Antje Schiffers / Thomas Sprenger Museumorth, Orth an der Donau bis 1. November Leere Linien. Grenzwelten Kulturbrücke Fratres Fratres, Waldkirchen / Thaya bis 21. August Let’s Sink Lunz am See (Kunst im öffentlichen Raum) bis 27. Juli
Kunsthalle Wien
Museumsquartier stART camp VIE 23/8 2013 9 – 18 Uhr #scvie Österreichpremiere: Am 23. August findet das erste stARTcamp Wien in der Kunsthalle Wien Museumsquartier statt. Bei der von der Kunsthalle Wien und stARTconference e.V. organisierten „Unkonferenz“ geht es um Themen wie Storytelling, Gamification oder Contentmarketing sowie die wichtigen Fragen nach der richtigen Strategie oder dem Return on Investment von Social Media im Kunst- und Kulturbereich. Alle Infos und Onlinetickets unter: www.kunsthallewien.at www.startconference.org Kunsthalle Wien Museumsplatz 1 1070 Wien, Austria www.kunsthallewien.at www.facebook.com/ KunsthalleWien www.twitter.com/KunsthalleWien
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TERMINE
FESTIVALS
3 Fragen an Günther Friesinger (Paraflows) Welche Konzepte der Open Culture – die sich nicht ausschließlich auf die digitale Kultur reduzieren lässt – werden beim Paraflows thematisiert? Zentral ist der freie Zugang zu Saatgut. Seit der Sesshaftigkeit haben Menschen Pflanzen und Saatgut kultiviert und das ist etwas, das eigentlich allen gehören sollte. Nicht, dass ein großer Konzern den Markt kontrolliert. Weiterhin werden offenes Wissen und offene Gesellschaft, wie Liquid Democracy, thematisiert. Wie können wir Kultur öffnen und warum müssen wir sie öffnen? Digitale Kultur ist noch eine Kultur der Eliten. Nur Insider wissen, wie man sich in digitaler Kultur am effektivsten bewegt, wie man ihre Spielregeln anwendet und dieser Zugang muss geöffnet werden, damit er Anwendung findet und niederschwelliger wird. Alles, das verdient, dass wir uns dem ermächtigen, kann unsere Gesellschaft bereichern. Im Weissen Haus haben wir dazu ein »Hands-onProjekt«, einen Garten, angelegt, in dem Menschen miteinander reden und sich austauschen können. Sie verstehen Open Culture als »kapitalistische Verjüngungskur«? Ich glaube, dass freies Wissen, Zugang zu Informationen und Ideen anderer die Motoren unserer Gesellschaft sind. Nehmen wir das Beispiel des Musik-Sharing; seine Plattformen wurden anfangs von der Industrie bekämpft bis sie endlich erkannte, dass diese Musiknutzer bereit wären, für Dateien Geld zu bezahlen. Aber das wäre nicht passiert, wenn die User letztendlich nicht revoltiert und gesagt hätten: das ist unsere Lebensnor malität! Paraflows 8 – Festival für digitale Kunst und Kulturen, 12. September bis 13. Oktober Das Weisse Haus, Wien, der Eintritt ist frei; www.paraflows.at TEXT Luise Wolf
Shake your head, but keep using it. Das Musikfilm-Festival in Salzburg will die großen Geschichten hinter der Musik zeigen. Musikerinnen wie Anbuley spielen hinterher Elektrogstanzln.
Musikfilm-Festival Salzburg Hybrid, Schnittstelle, Musikfestival – so bezeichnet sich das My Sound of Music Festival in Salzburg. Dass es bei solchen Zuschreibungen recht vielseitig zugeht, kann man sich denken. Das Festival wartet mit Screenings, Konzerten, Workshops und einer Dixieland-Parade auf. No Head On My Shoulders, What’s Inside A Girl und Anbuley werden zu sehen und zu hören sein. Im Mittelpunkt stehen allerdings Filme über Musik, die Geschichten dahinter, die man hinterher nicht mehr vergisst. 12. bis 15. September Salzburg, diverse Locations
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TERMINE
FESTIVALS Künstlerische Freiheit, Revolutionen, Panzer – Allerbeste Zutaten für ein aufregendes Festival.
5.040 ... so oft müssen laut dem Central Council for Church Bell Ringers sieben funktionierende Glocken wechselläuten, um als Geläut (Peal) durchzugehen, wonach sich das gemütliche Peal Festival benannt hat, das dieses Jahr in Leutschach vom 6. bis 8. September stattfindet, mit Livebands, DJs, Zeltplatz und hoffentlich Sonne.
Free Space Festival Freiheit, Freude, Eierkuchen. Um die Freiheit in der Kunst zu feiern, wird im Oktober wieder das Free Space Festival stattfinden, um Künstlern und Künstlerinnen einen offenen Raum für ihre Kreativität zur Verfügung zu stellen. Frei von institutionalisierten Zwängen soll neben Performances und Poetry-Slams eine Diskussionsplattform entstehen. 3. bis 6. Oktober Wien, diverse Locations
TEXT Lukas Traber BILD mysoundofmusic.at, Andreas Fuchs, Marika Schmiedt
Roma in EU-rope steht über dem Bild. Diskriminierung und Vorurteile prägen das Bild der weltweit verstreuten Volksgruppe.
/slash Filmfestival
Das /slash Filmfestival mag nicht gerade riesig sein, aber immerhin ist es das größte Genrefilmfestival Österreichs. In seiner vierten Runde wird heuer unter anderem »Gremlins«-Regisseur Joe Dante das Festival für fantastischen Film mit einem Besuch beehren. Eine Empfehlung für Fans von Monstern, Zombies und andere skurrile Gestalten. 19. bis 29. September Wien, Filmcasino
O-Töne
Wienwoche 2013 Was bedeutet Demokratie eigentlich aus heutiger Sicht? Diese Frage stellt die Wienwoche 2013 in ihrer zweiten Auflage. Dazu werden 16 künstlerische, aktivistische und diskursive Projekte über ganz Wien verteilt, die der Kultur eine Stimme verleihen und sich dabei in politische, gesellschaftliche und kulturelle Auseinandersetzungen einmischen. Träger des Projekts ist der im Vorjahr gegründete Verein zur Förderung der Stadtbenutzung. Im Rahmen der Wienwoche werden durch experimentelle und gemeinschaftliche Arbeitsweisen kritische Projekte entwickelt, die versuchen werden, in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern, in denen kultureller Aufholbedarf besteht, Wirkung zu zeigen. 12. bis 29. September Wien, diverse Locations
Nachdem es 2004 als Lesungsreihe für junge österreichische Literatur begonnen hat, wurde aus OTöne schnell ein renommiertes Festival, das seither jährlich mit mehreren Buchpreisträgern aufwarten konnte. Literaturfreunde dürfen sich auf Gäste wie Michael Köhlmeier, Barbara Aschenwald und Thomas Glavinic freuen. 11. Juli bis 29. August Wien, Museumsquartier
Alpinale
Kurzfilme können einen in ihrer knappen Laufzeit genauso fesseln und emotional aufwühlen wie ein Spielfilm. In Vorarlberg werden in dem beschaulichen Örtchen Nenzing jährlich aus zahlreichen Einsendungen die besten Kurzfilme von einer internationalen Jury und dem Publikum ausgewählt und mit dem goldenen Einhorn prämiert. 6. bis 9. August Nenzing, Ramschwagplatz / Ramschwagsaal 063
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MUSIK
Live sind Modeselektor und Apparat jeweils für sich ein Juwel. Gemeinsam sind sie mehr als die Summe ihrer Teile. Macht also, einen Diamanten?
Moderat Vor zwölf Jahren sind die Musikgrößen Modeselektor und Apparat erstmals zu Moderat verschmolzen. Bei ihrem ersten erfolgreichen Versuch, für eine EP Bassmusik mit verheißungsvollem Elektropop zu vereinen, verausgabten sie sich so sehr, dass sie gleich darauf eine sechsjährige Pause voneinander brauchten. Glücklicherweise vereinten sich die drei Berliner 2009 für ihr selbstbetiteltes Debütalbum. Heuer wird im August ihr heiß erwartetes, zweites Studioalbum »Moderat II« erscheinen. 11. September Wien, Arena
Julia Holter klingt neuerdings ein bisschen wie Enya. Erstaunlicherweise ist das gar keine schlechte Nachricht.
Ihr Debütalbum »Tragedy« gewann 2011 die Herzen der Kritiker. Mit intelligenter Popmusik, die nicht vor musikalisch verstörenden Elementen wie Alltagsgeräuschen und Gesprächsfetzen zurückschreckt, schaffte sie es, akustisch verträumte Stimmungen zu erschaffen. Bereits 2012 folgte ihr zweites Album, in dem sie sich gewagt an Stoffen der griechischen Mythologie bediente. Komplex und doch einlullend wird die Amerikanerin mit der schönen Stimme dieses Jahr das WUK in Wien mit einem Besuch beehren. 5. August Wien, WUK
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TEXT Lukas Traber
Julia Holter
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TEXT Lukas Traber
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MUSIK
Woods
Flex Sommerfest Das Flex feiert den Sommer, unter freiem Himmel und be freiem Eintritt. Zum einen wäre da die Band Woods, die mit rockigen Gitarrenriffs und entspannenden Popsongs überzeugen. Der Nino aus Wien wird die grauen Zellen mit philosophischen Songs anregen und A Thousand Fuegos mit elektronischem Songwriting den Abend ausklingen lassen. 3. August Wien, Flex
Xxyyxx Gerade mal 17 Jahre alt ist das US-amerikanische Wunderkind Marcel Everett. Musikalisch bedient er sich an HipHop, Dubstep und Soul und webt diese gekonnt zu einem berauschenden Soundteppich. Wie es zum Namen seines Projekts kam, verrät Everett nicht, aber klare Antworten hätten auf so ein geheimnisvolles Phänomen wie Xxyyxx wahrscheinlich nur ernüchternde Wirkung und wer braucht das schon? 15. August Wien, Pratersauna Inga Copeland
Radio Orange Geburtstagsfest Radio Orange feiert seinen 15. Geburtstag. Dabei wird ein internationales Musikprogramm an mehreren Locations bei freiem Eintritt die neue O94 Musikschiene präsentieren. Zusätzlich wird On Air ein 24-StundenJubiläums-Spezial mit Gästen und Musikauftritten aus den Studios und live vor Ort übertragen. Außerdem sind eine Ausstellung zur Radiogeschichte und andere Kurzweiligkeiten geplant. 7. September Wien, Werk, Grelle Forelle, Radio Orange Studios am Gaußplatz
James Blake
Frequency 2013 Wer schon mal das Frequency Festival besucht hat weiß, was ihn erwartet. Internationale Headliner-Acts in anarchischer Camping-Atmosphäre. Das wird auch dieses Jahr nicht anders sein. Bei Auftritten von Bands wie System Of A Down, Tenacious D, Nick Cave & The Bad Seeds und den Toten Hosen ist jedenfalls mit uneingeschränktem Alkoholkonsum und bis zur Ekstase ausgelassener Stimmung zu rechnen. 15. bis 17. August St. Pölten, Green Park
My Bloody Valentine Schon in den frühen 80ern prägten die Dubliner von My Bloody Valentine zusammen mit Bands wie Lush, Slowdive und Curve das sogenannte Shoegazing-Genre. Im Februar dieses Jahres haben sie ihr drittes Album »M B V« veröffentlicht und heimsten damit international äußerst positive Kritik ein. Dieses wird nun auch einem österreichischen Publikum in der Arena Wien präsentiert. 6. August Wien, Arena
Cro Ob Cros Tracks bei so vielen Feelgood-Vibes noch viel mit Rap bzw. HipHop zu tun haben, ist fraglich. Er selbst bezeichnet seine Musik als Raop, also eine Rap-Pop-Mixtur. Die zig Millionen Youtube-Clicks scheinen, zumindest was kommerziellen Erfolg anbelangt, für ihn zu sprechen. 31. August Wien, Donauinsel
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Fest im Dialekt – Ois Offn 2013 Für Freunde anspruchsvoller Musik mit reichlich Lokalkolorit findet heuer das Fest im Dialekt – Ois Offn statt. Man darf sich auf Performances von Denk, 5/8erl in Ehr’n und Stubnblues freuen und dem Wiener Dialekt von der Arena Freiluftbühne lauschen. 29. August Wien, Arena
Beach Fossils Anfangs ein Solo-Projekt, sind die Beach Fossils mittlerweile eine NewYorker Neo-Dreampop-Band. Mit Tracks aus ihrem aktuelles Album »Clash The Truth« werden sie im September in Wien zu Gast sein. Freunde von Deerhunter oder Wild Nothing dürften auf ihre Kosten kommen. 14. September Wien, Chelsea
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Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.
Pango Unchained
I
illustration Jakob Kirchmayr
ch wurde gebeten, mein Tagebuch zu öffnen. Das verstehe ich, verfüge ich doch tatsächlich über ein ebenso spannendes wie ereignisreiches Leben, das lediglich durch die Prächtigkeit meiner Gedanken unterbrochen wird. Dennoch war die Anfrage diesbezüglich ein wenig merkwürdig. Eine mir völlig unbekannte Nachmieterin in einer Wohnung, aus der ich vor weit über sechs Jahren ausgezogen bin, war so frei, mich dies zu fragen. Sie habe meinen Namen von ihrem jetzigen, also meinen ehemaligen Vermieter bekommen. Man wisse vom Nachbarn, dass es mit mir als Mieter einmal ein Abflussproblem gab. Allerdings kann sich niemand mehr genau erinnern, was der Grund war, weil die Firma, die das behob, mittlerweile nicht mehr existiert. Ich schrieb zurück: »Gerne, aber woher meinen Sie zu wissen, ich führe Tagebuch?« Prompt erhielt ich auch Antwort: »Google und Facebook.« Jetzt wäre eigentlich Zeit für einen kleinen Paranoia-Schub, aber ich schrieb bloß: »Helfe gerne und schaue mal nach. Ich hoffe aber für Sie, dass Ihnen bewusst ist, dass nicht alles, was man im Internet über eine Person findet, immer auch der Wahrheit entspricht. Insbesondere Tagebucheinträge.« Folgendes habe ich dann gefunden und ihr geschickt:
12.04. — Probleme bei der Arbeit. Der Oberbilleteur ist völlig spaßbefreit. Ein König der Nullen. Er regte sich bei der Personalchefin auf, dass ich ungenau wäre und ihn mobbe, wo es nur geht. Nur weil ich unkonventionell und kreativ Stecknadeln beim Befestigen der Filmplakate nicht nur an den Ecken, sondern auch in die Augen der Schauspieler reingedrückt
habe, zuckt der trostlose Bauernlümmel völlig aus. Mir war zwar bewusst, dass die Plakate wohl kaputt gehen und ordentlich einreißen, wenn man sie rasant abnimmt, Absicht sollte man mir aber besser nicht unterstellen. Er soll besser aufpassen, wenn er Plakate wechselt. Die Chefin lachte ihn jedenfalls aus und klopfte mir ein bisschen auf die Finger. Nulli ist jetzt noch wütender. Ich bin auch wütend: Wenn ich Wäsche wasche, drückt die Waschmaschine beim Schleudern Abwasser in die Duschtasse. Es ist alles verdreckt und stinkt. 14.04. — Jetzt drückt es auch schon Wasser in die Duschtasse, wenn ich Geschirr in der Küche abwasche und das Wasser runterlasse. Und noch viel unangenehmer: Der ganze Gack rinnt nur zäh über Stunden ab. Werde wohl einen Installateur brauchen. Oder einfach nicht mehr abwaschen. 16.04. — Ha, brauch keinen Installateur. Habe im Werbefernsehen den »Pango« gesehen und gleich bestellt. Das ist so eine Art Luftdruckpistole für den Abfluss. Man muss durch Pumpen im Gerät Druck aufbauen, am Abfluss ansetzen und dann abdrücken. 19.04. — Der Pango ist da. Schoss gleich sieben Mal auf den Abfluss damit. Jetzt rinnt alles wieder ordentlich. Scheint was dran zu sein an den Dingern im Verkaufskanal. Werden wohl demnächst einen deutschen V-Hobel zum Schneiden von Gemüse kaufen. 21.04. — Habe mir einen V-Hobel bestellt. Ab jetzt gibt es mehr rohes Gemüse am Speisezettel. 22.04. — Der Nachbar unter mir ist aus dem Urlaub zurück. Bei ihm im Badezimmer tropft es von der Decke. »Kann es sein, dass Sie einen Rohrbruch haben?« fragte er sehr freundlich. »Ja, kann eigentlich sein«, antwortete ich. Aus Angst vor weiteren Problemen mit den Leitungen und dem Abfluss traue ich mich zurzeit nicht aufs Klo. Ich pisse und gacke auswärts. 23.04. — Mir wurde heute ein Herzenswunsch erfüllt. Eine Freundin hat mich in die Redaktion der Frauenzeitschrift Woman eingeschleust. Besser gesagt, auf die Damentoilette dort. Ich wollte schon seit Jahren an diesem Ort einmal mein Geschäft verrichten. Sie: »Pass aber auf,
dass du dir nichts einfängst!« Ich: »Bulimie ist doch eh nicht ansteckend, oder?« Habe aus der Ferne auch Uschi Fellner und Adi Weiss gesehen. Es war magisch. 24.04. — Der Installateur ist da. Er fand es nicht besonders lustig, als ich ihn mit den Worten: »Sie haben wohl gehört, dass hier was tropft!«, begrüßte. »Hier sind ja alle Rohre falsch und stümperhaft verlegt«, erklärte er mir widerwillig und das ist prinzipiell einmal gut für mich, weil Vermietersache. Dann zeigte ich ihm, was ich mit dem Pongo gemacht habe. Das war weniger gut für mich, da durch Selbstverschulden so das Siffon in der Dusche ausgehebelt wurde. Das ganze Wasser kann so nur durch den Plafond abrinnen. Er will in zwei Tagen wiederkommen, aber der Spaß wird sehr teuer, weil die Haushaltsversicherung sicher nicht zahlen wird. 25.04. — Also Nulli ist vielleicht eine vom Stumpfsinn gebeutelte Lurchsau. Ich glaub, das raue Alpinklima, dem er in seiner Kindheit ausgesetzt war, hat diesem Pleampl arg zugesetzt. Er hat mich verpetzt, weil ich mit einer ziemlichen Alkfahne bei der Arbeit erschien. Davor erklärte er mir noch, dass er das gut verstehe, weil auch er sei ein »Grenzgänger«, der gerne »Dinge auslotet« und manchmal auch »darüber hinausgeht«. Was für ein Vollzeitklopfer. 26.04. — Der Installateur war wieder da. Ich bin gerettet, weil der Hauptstrang im Haus auch verstopft ist. Ein Versicherungsfall für die Hausverwaltung, die meine Rohre zudem neu verlegen muss. 27.04. — Bin beim Abwaschen aus der Übung. Habe mir fast mit dem V-Hobel den kleinen Finger weggeschnitten. Blutete wie beim Sauabstechen. Aber das Spülwasser rinnt astrein ab.
Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly
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Der neue
OPEL ADAM
Mehr Stereo, weniger Stereotyp. Mit dem IntelliLink Infotainment-System hast du nicht nur dein Navigationsgerät immer dabei, sondern auch deine ganz persönliche Lieblingsplaylist. Ob vom Smartphone, MP3-Player, iPod oder Tablet-PC – du bestimmst, was gespielt wird.
opel.at Verbrauch gesamt in l / 100 km: 5,0 – 5,5; CO2-Emission in g / km: 118 –130
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