Ms. Marvel — Super-MusliM das Finstere Tal / D 141 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 141, FEBRUAR 2014
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min als Role Model DATING APPS / Left Boy
Angel Haze. Das Kunstjahr 2014. Dena. Tearfdie S House Of Cards. Wild Beasts. Anchorman 2. Katy B. Supersense. Karate Andi. Zadie Smith.
Tearaway. Nymphomaniac. Katy B. American Hustle.
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Wiener Stadthalle 9 bis 18 Uhr Eintritt frei
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Leitartikel von Thomas Weber.
Generation 270+ Wir hatten einen Job zu vergeben und mussten annähernd 300 Bewerbungen bewerten. Was wir daraus gelernt haben.
icht auszudenken, hätten wir den Job auf Englisch ausgeschrieben. Natürlich: Eine Anstellung gibt es im – im weitesten Sinne – Kulturbereich nicht alle Tage. Zudem bedeutet ein Job bei The Gap und dem dahinterstehenden Medienunternehmen immer noch eine nicht zu unterschätzende Menge kulturellen Kapitals. »Gut zum Angeben in der Disco«, wie unser Art-Director gern zu sagen pflegte. Aber ganz ehrlich: Letztendlich war es ein okay bezahlter Einsteigerjob, den wir da ausgeschrieben hatten und der zum Zeitpunkt, da diese Ausgabe kursiert, bereits vergeben sein wird. Wir begrüßen hiermit den neuen Kollegen (der bei gleicher Eignung wahrscheinlich eine Kollegin sein wird), haben sorgfältig geprüft und werden die Person in der kommenden Ausgabe vorstellen.
Einen Versuch war es wert Sagen wir so: An qualifiziertem Personal mangelt es nicht. An entsprechenden Arbeitsplätzen dafür umso mehr. Namen werden wir hier der Diskretion halber
natürlich keine nennen. Doch neben zahllosen talentierten Studienabgängern interessierten sich auch zahlreiche Veteranen und Szenegrößen für den Job. Was wir daraus lernen? Nun, wir haben hiermit den empirischen Beweis dafür, dass der Arbeitsmarkt für Journalismus kaputt ist. Dass an einschlägigen FHs in den vergangenen Jahren viel zu viele Menschen ausgebildet wurden – am Arbeitsmarkt vorbei. Dass Jonas Vogt, jener überdurchschnittlich begabte Kollege, dessen bisherigen Arbeitsplatz wir nachzubesetzen hatten, mit seiner Einschätzung gar nicht so sehr daneben lag, als er meinte »Die Leute halten uns für cool, weil sie uns nicht kennen.« Dass das aber zumindest die Kollegen bei FM4 wissen. Denn ausgerechnet vom öffentlich-rechtlichen Jugendkultursender gab es keine einzige Bewerbung … Was auch klar ist: Einen Versuch war es wert. Aber einen Job ausschreiben werden wir wohl so schnell wohl nicht wieder, sorry. Bild michael winkelmann
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Natürlich, bei einigen Freelancern, ehemaligen Praktikanten, schreibenden Nebenerwerbs-DJs und Menschen aus dem Umfeld war klar, dass sie sich bewerben würden. Genau deshalb war uns, für uns selbst, ja auch an objektivierbaren Auswahlkriterien gelegen. Ein stilbewusster Schmäh und eine Liebe zur Popkultur reichen zwar für eine Praktikantenstelle, waren uns aber für eine Fixanstellung – eh klar – zu wenig. Wer weder privat noch beruflich Facebook und Twitter nutzt, hatte keine Chance. Und Organisationstalent und ein Gespür für den Umgang mit Kunden (ohne den das, was man früher Verlagsgeschäft nannte, 2014 schlicht unmöglich ist) waren Voraussetzung. Ein einziger Share der Jobausschreibung über unsere überschaubare 475 Mitglieder zählende Monopol-Facebook-Page brachte eine (unbezahlte) Reichweite von 5.600 Personen. Auch die Verbreitung über den Kulturplattform-(KuPF)- und den Kulturjobs-Newsletter haben die Qualität der Bewerbungen sicher noch einmal in die Höhe getrieben (Danke hiermit!). Es war also absehbar, dass alle, die für uns interessant sein könnten, von der Stelle auch mitbekommen würden. Mit zahlreichen Bewerbungen hatten wir gerechnet. Mit mehr als 270 dann aber eben doch nicht. Und noch weniger damit, dass fast die Hälfte der Bewerber formal deutlich besser ausgebildet ist als das bestehende Kernteam. Ernüchterndes Faktum.
Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber
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Ms. Marvel Schon als Marvel im November letzten Jahres mit der Nachricht rausging, dass die neue Ms. Marvel eine muslimische Amerikanerin sein würde, war uns klar: Das wäre eine würdige Coverstory. Nicht nur das Thema, auch der Autor war mit unserem langjährigen Weggefährten und Chef der ComicSeiten Nuri Nurbachsch schnell gefunden. Doch da fingen die Probleme an. Marvel hat es nämlich nicht nötig, besonders viel mit der Presse zu kommunizieren. Insbesondere nicht mit einem kleinen österreichischen Magazin. Wir nervten, bestürmten, fragten auf sämtlichen Kanälen nach, bis wir dann über windige Kanäle doch noch an Material kamen. Manchmal zahlt sich ein wenig Hartnäckigkeit aus.
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016 Magazin MS. MARVEL 016 —— Die neue, muslimische Ms. Marvel sorgt Monate vor Beginn ihrer Solo-Serie für Gesprächsstoff. Über Role Models und die Sache mit der Emanzipation. Golden Frame: Deborah Sengl 020 —— Deborah Sengl setzt das Erste-Weltkriegs-Drama »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus in Szene – mit 180 weißen Ratten. House Of Cards 022 —— Lange hat es nicht mehr so einen Spaß gemacht, Figuren zu hassen wie in »House Of Cards«. Warum man sich trotzdem wünscht, dass sie erfolgreich sind. Nymphomaniac 023 —— In vier Stunden bringt »Nymphomaniac« alles unter, was sich zwischen Fibunacci und BDSM ausgeht. Warum der Film trotzdem wenig nachhallt. Das Finstere Tal 024 —— Andreas Prochaska verwandelt die Alpen zum Austragungsort eines unterkühlten, rauen Westerns. Vor allem der starke Cast weiß zu überzeugen. filmnachwuchs österreich 026 —— Es brodelt, hat Film in Österreich mehr als nur ein Imageproblem bei Jugendlichen? Kunstjahr 028 —— Politik, Gender, Farbe prägen das österreichische Kunstjahr. Wir haben uns durch die Programme und Personalen gewühlt.
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Left Boy 032 —— Ferdinand Sarnitz hat endlich ein Album gemacht. Es hat länger gedauert, als er selbst gedacht hat. Warum das eine gute Sache ist, haben wir im Interview erfahren. Zadie Smith 034 —— Zadie Smith stammt aus NordwestLondon. Ihr neuer Roman ist eine Hommage an das Stadtviertel. Gute Geschichten über eine schlechte Gegend. Departure New Sales: Supersense 035 —— Florian Kaps verkauft in seinem Geschäft Supersense Geschichten. Es ist Fühlen, Riechen, Sehen und Schmecken, aber auch bewusst einkaufen. Dating Apps 036 —— Online-Dating ist so vielschichtig wie seine Nutzer. Von Selbsterkenntnis und -inszenierung über Algorithmen zur Romantik im Netz. Design: Nea Machina 038 —— Weniger Computer, mehr Experiment: Anlässlich einer Neuedition des Buches »Nea Machina« wollten wir wissen, was heimische Gestalter von mehr »Handarbeit« halten.
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Das Finstere Tal Der österreichische Heimatfilm boomt. Leider nicht finanziell – die Perfomance von »Blutgletscher« an den Kinokassen war eher enttäuschend. Aber zumindest künstlerisch. Nach Marvin Krens blutigem Alpen-Monster-Slasher von 2013 holt Andreas Prochaska jetzt ein weiteres eigentlich uramerikanisches Genre in die Berge: den Western. Jan Hestmann hat einen sehr reduzierten Film gesehen, der mit einer aufgeladenen Atmosphäre und einem überzeugenden Cast um Sam Riley und Tobias Moretti zu überzeugen weiß.
026 Rubriken Leitartikel 003 Inhalt 004 Editorial 006 Porträts / Impressum 006 Fondue 009 Unbezahlter Anzeiger 011 Splitter 012 Prosa 040 Reviews 043 Introducing: Mindy Kaling 050 Termine 058
Bild der Ausgabe Ein Jahr lang wird unser Art Director Sig Ganhoer gebrochene Schriften, Metal Logos und japanische Samurai-Namen pinseln und sich der Kalligrafie widmen. Er nennt das Bildungskarenz. Wir nennen das: geilste The Gap-Covers ever dann im Jahr 2015.
Kolumnen Fabula Rasa Zahlen, bitte Know-Nothing-Gesellschaft
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We’ll Meet Again — Meistens ergibt sich im Lauf einer Ausgabe dann doch ein Schwerpunkt. Diesmal nicht. Wir nehmen aber auch gerne gute Artikel ohne zwingenden Zusammenhang. Zuallererst die Coverstory zur neuen Ms. Marvel als eine Muslimin mit gestaltwandlerischen Superkräften und jugendlich-migrantischen Superproblemen, Seite 016. Die sind auch auf Tinder oder Ok Cupid meist nicht weit weg. Warum Dating Apps in The Gap vorkommen sollten und man das nicht den Neons und Bibers dieser Welt überlässt, haben wir länger diskutiert und hoffentlich einen sinnvollen Weg gefunden, Seite 036. Ein paar Hausnachrichten gibt es auch noch. Ginger- und Witch-House-Ressortleiter Jonas Vogt hat uns noch Storys über Left Boy (Seite 032) und House Of Cards (Seite 022) dagelassen, bevor er nach über zwei Jahren Vielschreiberei hier bei uns endlich seine eigene Redaktion übernimmt. Noisey wird sie heißen. Und er kann das. An seiner Nachfolge arbeitet gerade unser »Assassination Center« (Amira Ben Saoud), das aus 270 Bewerbungen aussuchen muss, die oft genug besser qualifiziert sind als wir. Bei Sig Ganhoer, unserem langjährigen Art-Director, ist dasselbe schon passiert. Der geht ein Jahr Dynamitfischen oder holt ein paar Kunstgeschichte- und Kalligrafie-Kurse an der Uni nach. Das entscheidet er spontan. Annemarie Sauerbier wird sich – unterstützt von Thomas Albdorf – deshalb mindestens so lange etwas einfallen lassen müssen, wenn die Redaktion für ihre Storys wieder einmal viel zu umständliche Bildideen viel zu spät äußert. Ein Kurzporträt findet sich auf Seite, huch!, gleich hier rechts nebenan. Servus!
Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap
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Nuri Nurbachsch
Annemarie Sauerbier
Bart mit Höchstnoten — Nuri leitet schon seit immer das Comic-Ressort bei The Gap. Bald braucht er eine größere Wohnung, um die cirka 11.000 Titel so unterzubringen, dass sie sich nicht überall am Boden stapeln. Bei so einer Sammlung versteht man dann auch, warum so viele seiner Reviews mit Höchstnoten von 9 oder 10 enden, weil es wohl wirklich monatlich die Crème der gezeichneten Geschichten ist. Deshalb, und weil er damals bei unserer Memes-Coverstory meinte, warum wir ihn nicht gefragt hätten, war die Frage nur, wann und nicht ob er eine Story über die neue muslimische Ms. Marvel schreiben wird. Die hätten wir lieber schon im Dezember gebracht, aber Nuri ist vielbeschäftigt. Etwa als Brand Manager bei Warner Music, als Mitorganisator bei TEDxVienna, als Blogger, Clubbetreiber von Love+Hate und Concrete, als streitbarer Mitdiskutierer bei Panels zu Tech- und Zeitgeist-Themen. Klugscheißerei ist seine Passion, sagt er. Er möchte alles wissen, alles können, liegt oft genug daneben und gibt das gerne zu. Auch wenn er dabei mit ein bisschen Misanthropie kokettiert. Er hatte Beardporn am Kinn, lange bevor das zu einem eigenen Subreddit wurde. Und dann sagt er als über 30-Jähriger, dass ein Leben ohne Musik kein Leben ist.
Große Tiere handeln — Annemarie ist früh zum Zeichnen gekommen und hat den Stift seither nicht mehr aus der Hand gelegt. Deshalb ging unsere neue Art-Direktorin auch nach der Schule zum Studium nach Hamburg und landete dann über Umwege (München bzw. den Kollegen vom INDIE-Magazin) bei uns. Annemarie hat einen 26-Stunden-Tag, so dass ihr neben unseren nervigen Anliegen auch noch Zeit für zahlreiche Nebenprobleme bleibt: Magazinesammeln, als Stylistin arbeiten, Filme und Serien am Stück konsumieren und Mixtapes zusammenstellen. Unterbrochen wurde ihre Liebe zur Musik und Gestaltung übrigens nur von einer kurzen Phase auf dem Gymnasium, wo sie Meeresbiologin werden wollte. Wegen den Walen. Gut, das hat jetzt nicht ganz geklappt. Aber mit großen Tieren, die sich prätentiös aus dem Wasser werfen und im falschen Moment abtauchen, kann sie in der Medienbranche ja auch problemlos arbeiten. TEXT Jonas Vogt
TEXT Stefan Niederwieser
Impressum
HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Ranya Abd El Shafy, Niko Acherer, Matthias Balgavy, Amira Ben Saoud, Josef Berner, Sandra Bernhofer, Liliane Blaha, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Andreea Dosa, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Miriam Frühstück, Barbara Fuchs, Daniel Garcia, Yannick Gotthardt, Manfred Gram, Dominique Gromes, Julia Gschmeidler, Andreas Hagenauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Peter Hoffmann, Michael Huber, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Jakob Kattner, Sophie Kattner, Markus Keuschnigg, Michael Kirchdorfer, Kristina Kirova, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Leonie Krachler, Christoph Kranebitter, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Artemis Linhart, Gunnar Landsgesell, Ali Mahlodji, David Mochida Krispel, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Lasse Preng, Christoph Prenner, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Martin Riedl, Tobias Riedl, Georg Russegger, Joachim Schätz, Peter Schernhuber, Bernhard Schmidt, Nicole Schöndorfer, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Lisa Stadler, Cornelia Stastny, Roland Steiner, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Wernr Sturmberger, Denise Helene Sumi, Asha Taruvinga, Hanna Thiele, Horst Thiele, Franziska Tschinderle, Erwin Uhrmann, Jonas Vogt, Luise Wolf, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Franz Lichtenegger, Dominik Oswald termine Manuel Fronhofer, Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Kurt Prinz, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Sana Amanat / Marvel Comics ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Elisabeth Els, Annemarie Sauerbier, Thomas Wieflingseder Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Martin Mühl PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6 / III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— erscheinungsweise 8 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien offenlegung Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung. Blattlinie The Gap ist unabhängig. The Gap berichtet über, kritisiert und gibt Empfehlungen zu Kunst und Kultur in allen Schattierungen. The Gap ist Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Toleranz, Demokratie und den Allgemeinen Menschenrechten verpflichtet. Unternehmensgegenstand Die Monopol Medien GmbH betreibt Print- und Online-Publikationen, und ist in Corporate Publishing und Campaigning tätig. An Monopol Medien GmbH sind beteiligt: 22 % Martin Mühl, 22 % Thomas Weber, 56 % Streubesitz.
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Tadashi Kawamata, Entwurf für die MAK-Schausammlung Asien, 2013 © Tadashi Kawamata Grafik: Perndl+Co
China – Japan – Korea neue SChauSammlung aSien KünStleriSChe geStaltung:
MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst Stubenring 5, 1010 Wien Di 10:00–22:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 Uhr Jeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei MAK.at
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Legendär! Die unglaubliche Erfolgsstory der Kult-Cola
Wir schreiben die 1920er Jahre. Karl Flach bringt von seiner USAReise eine revolutionäre Idee mit nach Deutschland: die Entwicklung eines koffeinhaltigen Erfrischungsgetränks. Er tüftelt und entwickelt das streng gehütete Rezept auf Basis der Kolanuss. Für den Hersteller von Schnaps, Likören und Limonaden beginnt eine neue Ära: 1931 wird afri cola mit seiner stilisierten Palme als Markenzeichen geboren – und erobert sofort den deutschen Markt. In den 60er Jahren herrscht weltweit eine Welle von Rebellion, Aufbruch und Auflehnung. Und auch afri erfindet sich einmal mehr neu: Einerseits erhält sie ihr neues, unverwechselbares Design der heute legendären, zeitlos schönen TaillenFlasche, entworfen von dem renommierten Industriedesigner Professor Jupp Ernst. Anderer-
seits sorgt sie durch die Markenwerbung des Werbekünstlers Charles Wilp für Aufsehen: Mit seiner Kampagne „Sexy-minisuper-flower-power-pop-op-cola – alles ist in afri cola“ trifft er genau den Nerv der Zeit. Die Nonnen hinter vereistem Glas verkörpern den Reiz des Verbotenen, verführen durch inszenierte Unschuld und werden zum Symbol für den alles umfassenden Rausch. Die Werbung von Charles Wilp setzte den Grundstein für die rebellischen Statements und außergewöhnliche, aufmerksamkeitsstarke Kommunikation. Auch in Zukunft wird afri sich immer wieder neu erfinden und damit die Szene wie auch die Gastronomie mit provokanten Aussagen aufmischen. 2014 geht der Kult weiter – Lassen Sie sich auch zukünftig von afri überraschen!
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Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at
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Also wie bei den Teletubbies. Die Klobrille ist der Fernseher umd statt den Hirnamputierten schauen euch kleine Würmer aus dem Scheißdreck entgegen. Winke winke!
Paower to the Peaople!
Gaylord und Pimmel sind Geschwister, und der Mülleimer ist Umweltminister.
Gas – Wasser – Scheiße. Weil es nicht immer nur Most ist, den der Bartl her(aus)holt.
Schicksalhaft blöd, wenn man am Weg zur inneren Sicherheit den Eso-Wegweiser dorthin einfach in der Straßenbahn liegen lässt.
Zwischen den Zeilen gelesen: »Mit 10 Hubertus Märzen und 8 Jägermeister in den schirchsten Absturz des Jahrtausends.«
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Fabula Rasa All Hail The Captain! Die Kolumne von Georg Cracked. »jeder ist natürlich frei, sich bewusst für den wahnsinn zu entscheiden und zu sagen, das universum sei viereckig oder herzförmig, in wirklichkeit aber ist es gekrümmt.« (william s. burroughs) »Was sind deine Vorsätze fürs neue Jahr?« »Keine Blödheiten zu machen.« »Du kannst mich Lisa nennen, ist mir egal, wenn du so tust als wüsstest du meinen Namen nicht mehr. Ich mochte meinen ohnehin nie.« Bei der Silvesterparty habt ihr euch wieder getroffen, dann verlegen nebeneinander gesessen, und plötzlich besessen aufeinander gelegen, während das Feuerwerk draußen so richtig losging. »Ich hab Dich vermisst.« »Hast Du wirklich nicht mit einer anderen geschlafen?« »Ich bin so happy.« Ihr wart beide getrennt eingeladen worden, weil man nichts von eurer Beziehung wusste, deshalb auch nicht von eurer Trennung wusste, und als ihr euch dann wiedergesehen habt, wolltet ihr beide nicht gehen, um eurem Stolz keine Delle zu verpassen. Deshalb habt ihr beide getrunken und deutlich erkennbar Spaß gehabt, bis ihr dann wie Geröll und Geäst in einem reißenden Gebirgsbach bei Schneeschmelze vom Party-Gedränge aneinander geworfen wurdet und euch wieder verhakt habt. So viele gut gelaunte Menschen auf 72 Quadratmeter plus Balkon und so viel bedauernde Einsamkeit auf sieben Zentimeter Zwischenraum; sich beständig verringernd bis ihr erkennt, dass die Dellen in eurem Stolz perfekt ineinander passen. Und das Feuerwerk verkommt zu einem knisternden Prasseln im Hintergrund. »i’m sick and tired of your liberal views of what’s politically correct / come judgement day i’ll be tying a noose and slipping it around your neck.« (cocksparrer) Der Autobus am nächsten Morgen holt dich in die Realität zurück. Ein Paar streitet, wer von ihnen vergessen hat, die Kinder vom Onkel abzuholen, wo sie die Neujahrsnacht verbracht haben, und darüber, wessen Idee es war, eine romantische Silvesternacht zu zweit allein zu verbringen. Ein Tourist fragt: »Wie komme ich zur Neubaugasse?« und ein Mann (Beamter? Lehrer?) antwortet: »Da brauchen Sie nur zwei Stationen vor mir auszusteigen.« Und ein Kind holt »Darkness« (PS3) aus seiner Schultasche, um seinem Freund zu beweisen, dass er es wirklich zu Weihnachten bekommen hat. »Der Papa hat gesagt, ich soll es aber nicht spielen wenn mein kleiner Bruder dabei ist, weil es ja eigentlich ab 18 ist.« Eine junge Frau, iPhone im Ohr, verspiegelte Sonnenbrille, trägt eine Tasche mit der Aufschrift »Everything you think is for sale« und sie spricht zu sich selbst (oder zu jemandem in ihrem iPhone oder zu niemand Speziellem): »Das ist doch kein Winter. Höchstens ein Herbst in extended version.« Vielleicht ist es doch nur die Einsamkeit, oder die Angst vor der Kälte, denkst du und es fröstelt dich. Powered by The Strypes, Avatarium
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Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.
Rollbare Stiefel
Giant Lobster Claws
World’s Best Schneidebrett
Im Bereich Outdoor-Bekleidung gibt es Heldengeschichten wie Sand am Meer. Legendär ist zum Beispiel der Hut eines amerikanischen Zoowärters, der nach zwei Tagen unversehrt hinten aus einem Elefanten wieder rausgekommen sein soll. Grundsätzlich sollte die Kleidung wetterfest, robust, bequem und praktisch sein. Letzteres erfüllen diese rollbaren Boots problemlos. Platzsparend, leicht und in den Farben Khaki und Braun. Denn es existiert ja irgendein Gesetz, nach denen das die einzig akzeptablen Farben für OutdoorKleidung sind. www.lemsshoes.com
Heilige Walfischmutter von Perla! Wolltet ihr beim Villacher Fasching immer schon mal ausprobieren, ob dort jemand das Mr. Krabs-Kostüm erkennt? Mit diesen gigantischen Hummerklauen steht der Karriere als aufstrebendes Krustentier nichts mehr im Wege. Kneifen, stechen, den Krabbentanz tanzen – alles ist möglich und denkbar. Tired of dress up as another Sea creature? Why not Zoidberg? www.mcphee.com
Dieser Text hier mag jetzt ungewohnt unlustig (statt wie sonst halblustig) sein. Aber wurscht, denn das ist nun wirklich die beste, praktischste, tollste Erfindung auf der ganzen Welt. Unterschiedliche Gemüse für das Omelett schneiden und sie mit einem Handstreich gleich in unterschiedliche Fächer unterbringen, damit es so aufgeräumt ausschaut wie im Fernseh-Kochstudio – wie gut ist das denn? Und wo war dieses Brett nur mein ganzes Leben? Funktioniert natürlich auch bei verschiedenen Arten Wurst. www.thinkgeek.com
List of Lists of Lists Der klassische Artikel ist tot. Zum Glück gibt’s Listen. Zum Beispiel die von Tex Rubinowitz.
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die die Welt erklären« gießt Rubinowitz seine Aufzählungen wieder in Buchform, dieses Mal mit »Die sieben Plurale von Rharbarer. Listen über alles.« »Die sieben Plurale von Rharbarber. Listen über alles« von Tex Rubinowitz ist bereits im Rowohl Taschenbuch Verlag erschienen.
Nach dem Anteasern ist vor der Liste: Bitte, die
»Top 8 der Klo-Top-Ten-Songs« 01 Sitting, Waiting, Wishing – Jack Johnson 02 She Came In Through The Bathroom Window – Beatles 03 That Smell – Lynyrd Skynyrd 04 Under Pressure – David Bowie / Queen 05 Don’t Stand So Close To Me – The Police 06 Yellow River – Christie 07 Brown Sugar – Rolling Stones 08 You’re My Waterloo – The Libertines
TEXT dominik oswald BILD tex rubinowitz
Die 10 besten Platten des Jahres, die 15 schlechtesten Tracks, die 2.222 doofsten Anmachsprüche. Das ist die Art von Journalismus, die zieht. Wer hat schon Zeit und Muße, sich durch seitenweise Informationen zu wühlen, vollständige Sätze zu begreifen? Branchenprimus Buzzfeed und auch Watchmojo.com zeigen, dass es möglich ist, Infotainment aufs Einfachste zu reduzieren. Ein Mann, der die Liste zu Kunst macht, ist Tex Rubinowitz, Profession: Multitalent. Er ist Schauspieler, so sagt er im wohl besten Hollywoodfilm made in Vienna, mit den allerschönsten Menschen der 90er, den tollen Satz »Could you speak German for a change?«. Auch in unserem Blatt macht er das regelmäßig, für die Marke mit den Brötchen. Genau hier an dieser Stelle, wo von uns aus auch gern einfach die Anzeige stehen könnte. Brötchen, bitte melden. Die Liste als Sujet begleitet Tex Rubinowitz bereits seit Jahren – mehr als anderthalb Dekaden nach »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen: Listen,
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Anna Leiser (Bebop Rodeo)
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UMSTÄNDE, DIE FERNSEHEN UNERTRÄGLICH MACHEN (KLEINER AUSZUG)
01 Deutsch synchronisierte Inder in US-Sitcoms 02 Armin Assinger 03 Galileo 04 SOKO Mistelbach und CSI Bakersfield 05 ZDF Telenovelas 06 Serien mit pubertierenden Vampiren als Hauptprotagonisten 07 VOX-Dokus über überdimensionierte Transportmittel 08 Sämtliche Formate mit Superlativen im Titel 09 Little Britain in deutscher Synchronisation 10 Wahlkämpfe
TOP 5
ANSTRENGUNGEN, DIE SICH MEISTENS DOCH IRGENDWIE AUSZAHLEN 01 Städtereisen, bei denen die Aufenthaltsdauer in etwa der Reisedauer entspricht 02 Ausgehen an Donnerstagen 03 Marcel Reich-Ranicki zuhören 04 Plattentaschen schleppen oder ziehen 05 Schach
auch nicht schlecht: Musik, Menschen, Wien, Wein, und den alten Club 2 streamen
Thomas Albdorf (Monopol / MMK)
TOP 10
SKATEVIDEOPART & SONG-KOMBOS
01 GG Allin – Bite it you Scum! & Eric Koston (2002) 02 Death – Politicians In My Eyes & Ishod Wair (2013) 03 Q Lazzarus – Goodbye Horses & Marc Johnson (2007) 04 Cass McCombs – Sacred Heart & Jerry Hsu (2006) 05 Frank Black – Los Angeles & Eric Koston (2003) 06 David Bowie – Width Of A Circle & Bryan Herman (2005) 07 The Dark – The Masque & Dane Burman (2009) 08 Arcade Fire – No Cars Go & Mike Mo Capaldi (2007) 09 Le Tigre – Deceptacon & Rick McCrank (2003) 10 Nas – Get Down & Paul Rodriguez (2003)
TOP 5
ROB GORDON’S TOP 5 LISTS (HIGH FIDELITY)
01 Top 5 Songs About Death 02 Top 5 Most Memorable Break-Ups 03 Top 5 Songs to Play on a Monday Morning (incomplete) 04 Top 5 Musical Crimes Perpetrated by Stevie Wonder 05 Top 5 Side Ones, Track Ones
auch nicht schlecht: lol (Renaissance!), appreesh, tho, yolo ---
www.thegap.at/gewinnen Monuments Men Am 20. Februar startet George Clooneys neuer Film bei uns in den Kinos: In »Monuments Men« schickt er eine Truppe alliierter Kunstauskenner los, um von den Nazis gestohlene Kunstwerke sicherzustellen. Weltklasse Cast. Und dann noch Bill Murray. Wir verlosen 2 Pakete bestehend aus Plakat, Buch und Soundtrack.
GTA5 Lösungsbuch Das Spiel ist nun schon eine Zeit heraussen, aber du hast wohl noch nicht alle Geheimnisse entdeckt und alle Aufgaben gelöst. Wer Lust hat sich vor einer Rückkehr nach Los Santos mit ordentlich Wissen einzudecken kann hier 2 Exemplare des Lösungsbuchs gewinnen. Total War Rome II Segas Strategiespiel-Hit geht mit »Rome II« in die nächste Runde und begeistert mit allen Genre-typischen Zutaten. Wir verlosen 1 Paket bestehend aus PC-Game, MapUnterlage und T-Shirt.
Stefanie Sargnagel Stefanie Sargnagels »Binge Living« sammelt im Stil von Tagebuch-Einträgen beziehungsweise Facebook-Postings ausnahmlos humorvolle Betrachtungen aus dem jungen Leben zwischen Suff und Alltag. Wir verlosen 3 Exemplare.
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Character Selfies Einen viel zu abgetragenen Trend so umzustülpen, dass er plötzlich wieder Sinn ergibt, ist schon eine Kunst an sich. Und wenn dann sogar der Papst ein Selfie macht, erscheint die Wahl zum Wort des Jahres 2013 auch ziemlich einleuchtend. Als logische Konsequenz daraus erklärte das Pictoplasma-Festival in Berlin zum großen Jubiläum die Selbstbildnis-Bewegung zu einem der Schwerpunkte. Worum geht’s da? Entwickelt man eine Figur, gestaltet diese und setzt sie auch noch visuell-grafisch um, so darf man sich Character Designer schimpfen, nennen oder sich damit geadelt fühlen. Sieht man hierzulande nicht so häufig, ist aber in Japan ein eigener Studiengang. Am Pictoplasma wird sich dieser Talente angenommen
und eine große Party aus der Vorführung der Werke gemacht. Da man runde Geburtstage entsprechend zelebrieren muss, umschließen die Feierlichkeiten natürlich auch eine Character-Ahnengalerie, eine BestOf-Ausstellung, Workshops, eine Konferenz sowie einen Character Walk, der durch zahlreiche Galerien im Herzen Berlins führt. Womöglich gibt’s auch Torte. Oben findet ihr exklusiv ein paar der CharacterSelfies, die ihren Weg in die diesjährige Ausstellung finden werden. Das Pictoplasma ist ein Festival für figürliche Gestaltung in Kunst und Grafik und findet vom 30. April bis 4. Mai 2014 in Berlin Mitte statt. Flug kann man buchen.
text franz Lichtenegger bild pictoplasma
Champagner für alle. Das Berliner Pictoplasma-Festival lädt zur 10-jährigen Jubelfeier und stellt dabei Selfies in den Fokus. Bei uns gibt’s vorab die ersten Einblicke.
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Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger
200 000 000 € soll das angeblich teuerste Spiel der Welt in der Entwicklung gekostet haben. »Grand Audio Theft 5« hat Freunde und Freundinnen von mir in den Weihnachtsferien in die Knie oder besser aufs Sofa gezwungen. Über den Ernst im Spiel und das Spiel beim Ernst machen.
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as Gegenteil des Spiels ist nicht der Ernst, sagt Sigmund Freud, sondern die Wirklichkeit. Wer sich daran erinnert, wie man als Kind bei »Mensch ärgere dich nicht« im Zorn die Figuren vom Brett gefegt hat oder bei einem wichtigen Fußballmatch abschweifende Bemerkungen in die Fachrunde wirft und dafür mit einer Bierdusche bedroht wird, weiß, dass man sich Spielen mit fanatischem Eifer widmen muss, damit man sie überhaupt genießen kann. Der Philosoph Hans Georg Gadamer hat das Verhältnis von Spiel und Ernst pointiert: »Nicht der aus dem Spiel herausweisende Bezug auf den Ernst, sondern nur der Ernst beim Spiel lässt das Spiel ganz Spiel sein. Wer das Spiel nicht ernst nimmt, ist ein Spielverderber.« Die Regeln des Spiels sind das Gegenteil von spielerisch, sondern unverrückbar. Sie definieren die Grenzen des magischen Zirkels, in dem das Spiel seine eigene Wirklichkeit gegen oder parallel zur sogenannten harten Realität behauptet. Wer sie überschreitet, sabotiert die Übereinkunft der Spieler und kann nicht so einfach zurück. Er wird zum Spielverderber. Nicht nur beim streng geregelten »Mensch ärgere dich nicht«, sondern auch in der spielerischen, als sozial subversiv geltenden Gegenwelt Fasching. Das Prinzip Karneval verträgt viel, nur nicht das Tabu, sich nicht zu verkleiden und also die temporäre Umwertung der Werte im Maskenspiel nicht mitzumachen.
24 / 7-Zocken Realitätsverderber hingegen sind kaum vorstellbar. Denn die sogenannte Wirklichkeit muss Mittel und Wege ihrer eigener Distanzierung ohnehin immer schon bereitstellen, damit sie sich überhaupt als verbindliches Realitätsprinzip behaupten kann. Der graue Alltag ist ohne kleine Fluchten nicht vorstellbar: von der Zigarettenpause bis zum rituellen Freak-out im Urlaub, vom romantischen Dinner bis zur Sexorgie, vom Kino bis zum Computerspiel. Der moderne Eremit erlebt sein
Update in der Figur des Spiele-Nerds. Der Nerd navigiert zwischen Kommunikationsverweigerung und Kommunikationssucht und sucht dort den Flow, der dem Leben in der nerdigen Zwischenwelt zwischen Überforderung und Unterforderung eine Richtung gibt. Multiplayer-Killergames wie »World Of Warcraft« vernetzen die Internationale der Eskapisten. Geschätzte 15 Millionen Kriegsherren und -herrinnen weltweit sitzen oft lange Tage und Nächte vor dem Schirm und versuchen sich an den tausenden kleinen Missionen. Die Belohnung dafür, das virtuelle Geld in dieser Second World, heißt »Gold«. Dieses Gold wirkt auf die erste Welt zurück. In chinesischen Gefängnissen, berichtete der britische Guardian schon 2011, wurden Insassen dazu gezwungen, virtuelle Vermögen anzuhäufen. Das Gold wurde dann von den Wärtern um reales Geld zum Beispiel an brave Familienväter verkauft, damit diese mit ihren Kindern am Wochenende in der Welt des Kriegshandwerks reüssieren konnten.
Tödlicher Ernst Aber nicht nur die im Score vergleichbaren sensorischen Qualitäten, sondern auch trainierbare soziale Fähigkeiten des Homo ludens, die sich etwa im Erfolg von virtuellen Meetings ablesen lassen, sind gefragt. So verkeilen sich Spiel und Ernst auf der gemeinsamen Benutzeroberfläche Computer ganz neu. Dieser erschafft zudem mehr und mehr Endlos-Spielszenarien mit permanent ansteuerbaren Einstiegsluken auf seinen verschiedenen Trägern zwischen Smart-Phone, Büro und Zuhause. Dazu gehört auch das 24 / 7-Zocken an der Börse, von dem manche Psychologen behaupten, es wäre ohne das Kokain im Bankerblut nie so wie bei der Lehmann-Pleite aus dem Ruder gelaufen. Das Abenteuerspiel Wirtschaft
hat für uns alle dramatische, ernste Konsequenzen, während umgekehrt das scheinbar zweckfreie, unschuldige Spiel zur Ressource ökonomischer Verwertungsprozesse wird. Die Gamification, also die Abschöpfung spielerischer Potenziale durch Wirtschaft und staatliche Institutionen, schreitet voran und lässt die Demarkationslinie zwischen Spiel und tödlichem Ernst verschwimmen. »America’s Army« ist ein in der Erstversion 2002 auf den Markt gebrachtes Online-Ego Shooter-Game, das zunächst zu Rekrutierungszwecken eingesetzt wurde und als Freeware verbreitet wurde. Das Spiel dient nicht mehr bloß als Trainings-platz für auch militärisch nutzbare Fertigkeiten. Es rekonstruiert nicht nur Originalschauplätze der US-Armee wie diverse Kasernen, sondern simuliert auch die Karriereschritte in der Armee von der Grundausbildung über das Training für Spezialeinheiten bis zum Einsatz auf virtuellen Kriegsschauplätzen. Während heute viele Spiele bestimmte Steuerungsleistungen, wie man sie etwa im immer wichtiger werdenden Drohneneinsatz brauchen kann, per Joystick optimieren, dient das mit üppigen Entwicklungsbudgets vorangetriebene »America’s Army« von Anfang an auch als gar nicht groß verschleiertes Propaganda- und Werbungsinstrument. Die besten Spieler werden von der Armee gezielt angeschrieben und umworben. Umgekehrt ist das Gütesiegel »US Army« auch ein beliebtes Marketing-Tool für Spielehersteller, die sich damit ihrer Wirklichkeits-Credibility versichern. Es scheint also an der Zeit zu sein, Gadamers Rede vom heiligen Ernst im Spiel abzuwandeln. Man muss nun auch vom tödlichen Ernst des Spiels reden.
Thomas Edlinger Journalist und Kurator
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Ms. Marvel als Muslimin
Muslimisches Role Model im Comic-Format
Im Marvel-Universum sind muslimische Bösewichte – ob nur angedeutet oder klar ausgesprochen – schon lange im Einsatz. Auch muslimische Heldenfiguren sind nicht neu. 1984 tauchte Jetstream in »New Mutants« auf, zehn Jahre später Monet St. Croix alias M in »Generation X« oder seit 2008 Dr. Faiza Hussain, um nur einige Beispiele zu nennen. Aber die neue Ms. Marvel, Kamala Khan, unterscheidet sich von diesen in einem essentiellen Punkt: Wo die anderen oft als zweitrangige Charaktere in drittrangigen Titeln eingeführt wurden, wird diesen Februar zum ersten Mal in der Geschichte von Marvel Comics ein muslimischer Charakter eine eigene fortlaufende Serie erhalten. Was hat das nun zu bedeuten?
Ms. Marvel im Marvel-Universum Die Figur der Ms. Marvel taucht zum ersten Mal 1977 in »Ms. Marvel #1« auf – obwohl sie bereits 1968 als Carol Danvers eingeführt wurde. Diese Ms. Marvel ist blond, blauäugig, Pilotin der U.S. Air Force und hat für die U.S. Homeland Security gedient. Ob sie als feministischer Charakter gewertet werden kann, ist umstritten. Klar ist jedoch, dass Ms. Marvel nach Carol Danvers modelliert wurde. Die konservativen Werte des US-amerikanischen Mittelstands bilden ihre Basis, definieren sie aber nicht. Captain America, das verkörperte den stumpfen Patriotismus und das nationalistische Getöne der USA. Dagegen wurde der American Dream mit Ms. Marvel in weichere Formen gegossen. Mit ihr musste man nicht zum hurrarufenden Flaggenschwinger werden, um trotzdem mit den USA und ihren Idealen zu sympathisieren. Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie – dafür sollte Ms. Marvel stehen. Nicht alle sahen das so. Ihre Vorbildwirkung für junge, weibliche Leser ist zweifelhaft. Vonseiten feministischer Leser und Theroetiker erntete sie weitaus mehr Kritik als Lob. In der Regel ist sie gehorsame Befehlsempfängerin männlicher Autoritätsfiguren, seien es militäri-
sche Vorgesetzte oder andere Superhelden. Bis sie selbst 2012 in »Captain Marvel (Volume 7) #1« zum neuen Captain Marvel wird. Das hat auch wirtschaftliche Gründe: Der »echte« Captain Marvel trat erstmals 1940 auf, lag durch Streitigkeiten um die Trademark immer wieder auf Eis. Am Ende hatten sich Marvel Comics Captain Marvel gesichert und 1967 eine eigene Serie gestartet, um ihren größten Konkurrenten DC Comics daran zu hindern, diesen Titel benutzen zu können. Allerdings war die Serie nur mäßig erfolgreich, Veröffentlichungen mit Captain Marvel und Ms. Marvel dienten eher dazu, die Rechte daran weiterhin zu behalten.
Musliminnen für Ms. Marvel Nun liegt es in den Händen der Autorin G. Willow Wilson, Ms. Marvel als Kamala Khan neu zu gestalten. Wilson selbst konvertierte 2002 zum Islam. Bereits mit »Cairo« (2007) und »Air« (2008–2010) stellte sie ihr Feingefühl im Umgang mit dem Thema Islam in der US-amerikanischen Popkultur unter Beweis. Die Idee, ihr den Titel anzuvertrauen, stammt von Marvel-Redakteurin Sana Amanat. Tatsächlich steckt viel von Amanat in der neuen Ms. Marvel. Sie ist selbst pakistanischer Herkunft, in New Jersey aufgewachsen und Muslimin. Zweifelsohne ist es positiv zu bewerten, dass diese zwei muslimischen Frauen, Wilson und Amanat, die neue Serie leiten werden. In diversen Interviews beteuerten beide immer wieder ihre Absicht, die Religion der Titelfigur nicht zum zentralen Thema machen zu wollen, sondern diese als Teil ihrer Kindheit und persönlichen Kultur zu behandeln. Doch im Widerspruch dazu läuft die PR-Maschinerie beinahe ausschließlich um eben diesen Punkt heiß. Die Artikel (genau wie dieser) und Schlagzeilen sprechen von der »muslimischen Superheldin«, der »weiblichen muslimischen pakistanischen Superheldin« oder handeln davon, was die muslimische Ms. Marvel für Comics und den Islam in Comics bedeuten könnte.
Text Nureddin Nurbachsch bild sana amanat / marvel comics, teshkeel comics
Sie heißt Kamala Khan, ist 16 Jahre alt, kommt aus New Jersey, ist die Tochter pakistanischer Immigranten und Muslimin. Die neue Ms. Marvel sorgt Monate vor Beginn ihrer Solo-Serie für Gesprächsstoff. Über Role Models und die Sache mit der Emanzipation.
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»Interessiert mich nicht?«
Popkulturelle Pionierleistung? Von außen betrachtet hat der Islam in den USA häufig kein gutes Ansehen. Die politischen Spannungen zwischen der US-Regierung und muslimischen Nationen formen seit je her die öffentliche Wahrnehmung. Dabei sind US-amerikanische Muslime überdurchschnittlich gebildet, verdienen mehr, fühlen sich politisch integriert und wählten beim ersten Mal sogar mehrheitlich George W. Bush. Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 schlug die Stimmung allerdings öfters in regelrechte Kampagnen um, obwohl dort Religionsfreiheit wie in keinem anderen Land der Welt gelebt wird. An der Eröffnung eines muslimischen Gemeindezentrums in der Nähe von Ground Zero (»Park 51«) konnten sich wochenlange Diskussionen entzünden. Und dass Präsident Barack Hussein Obama selbst ein Muslim sei, war ein Gerücht, das über Monate aus rechten Kreisen auch über den Medienriesen Fox News lanciert wurde, um seine Wiederwahl zu verhindern. Andererseits könnte man meinen, dass eine sanfte Gegenwelle spürbar wird. Das Newsweek-Cover zu »Muslim Rage« war vor zwei Jahren heftig umstritten, wurde parodiert und mit Hashtags und Memes verspottet. Religionsübergreifende Initiativen formieren sich, Projekte wie Inside Islam bemühen sich, persönliche Berichte zu verbreiten und zu humanisieren, um ein besseres Verständnis zu schaffen. Und auch die Popkultur wird von dieser Welle erfasst – eben auch die seit 2009 zur Walt Disney Company gehörenden Marvel Comics. Es ist also naheliegend, die Arbeit der Autorinnen an Ms. Marvel von dieser Perspektive aus zu betrachten. Ein Vergleich wird sich voraussichtlich öfter aufzwingen: »The 99«. 2007 in Kuwait bei Teshkeel Comics zum ersten Mal veröffentlicht, basiert dieser fortlaufende Titel eindeutig auf islamischer Religion und Kultur. Der Name beruht auf dem islamischen Konzept der 99 Namen und Attribute Allahs. Ihre Abenteuer, auch wenn sie weder dogmatisch noch marktschreierisch sind, kreisen ebenfalls immer wieder um den Missbrauch des islamischen Glaubens, dessen Regeln und Gesetze. Der Vergleich hinkt aber. Kamal Khan ist alleine, sie hat keine weiteren 98 Unterstützer. Ms. Marvel basiert nicht auf dem Islam, ganz im Gegenteil. Laut Wilson wird Kamala vor die gleichen Probleme gestellt sein wie die meisten Immigrantenkinder zweiter Generation. Sie wird versuchen müssen, die verschiedenen Kulturen, in denen sie lebt – ihre pakistanische Familie, ihr muslimisches Bekenntnis, High School in New Jersey – zu vereinen. Diese Identitäten zerren an ihr, womöglich ist sie deshalb ein Metamorph, eine Gestaltwandlerin. Das ist der Plan, den die Autorinnen für Kamala haben. Die neue Ms. Marvel ist außerdem ein Fan der alten Ms. Marvel – eben jener Carol Danvers, die heute selbst Captain Marvel ist. Der New York Times gegenüber beschreibt sie G. Willow Wilson so: »Captain Marvel repräsentiert ein Ideal, nach dem sich Kamala verzehrt. Sie ist stark, schön und ist nicht damit vorbelastet, Pakistani oder anders zu sein.« Die neue Ms. Marvel ist also als popkultureller Rammbock problematisch. Sie bringt zwar einerseits eine menschliche Seite in den abstrakten Themenkomplex »Muslime in Amerika« und stellt dadurch einen Schritt in Richtung Integration dar, sie läuft andererseits aber auch Gefahr, zum Aushängeschild für Assimilation zu werden. Immerhin, vergessen wir das nicht, war und ist Carol Danvers zu einem beträchtlichen Teil erzamerikanisch. Und Kamala Khan möchte wie ihr Vorbild Danvers sein. Der Versuch der Autorinnen, Hemmungen und Barrieren abzubauen, birgt auch das Risiko,sich von bestehenden Identitäten abzuwenden. Man darf dabei natürlich skeptisch sein, wie schwer der Einfluss von Popkultur, vor allem eines bisher zweitrangigen Comic Book-Titels, auf soziokulturelle Trends wiegt. Das bisher enorme Echo auf die Ankündigung einer muslimischen Ms. Marvel zeigt aber, dass Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz von Minderheiten eben immer zu Anlässen wie diesen neu verhandelt werden.
Die schwierigste Hürde wird es sicherlich sein, die richtige Leserschaft für die neue »Ms. Marvel«-Serie zu finden. Anzunehmen, dass das weibliche und muslimische Publikum am kritischsten sein wird. Hier wird eine Figur dargestellt, wie sie in der US-amerikanischen Popkultur sehr selten vorkommt und mit der es viel verbindet. Eigene Vorstellungen werden mit Sicherheit auf die Figur projiziert. Die daraus folgende Kritik muss ernst genommen werden, denn Kamala Khan, wenn auch fiktiv, spricht in erster Linie zu ihnen, gleichgültig, was Wilson sonst bezwecken mag. Der Rest der immer noch überwiegend männlichen, weißen Comic Book-Leserschaft muss erst überzeugt werden, Ms. Marvel zu lesen. Für sie gibt es andere Identifikationsfiguren, andere Helden, deren Abenteuer sie verfolgen und sich zu eigen machen können. Es wäre nicht sonderlich polemisch zu behaupten, dass annähernd jeder andere Titel im Marvel-Universum für diese Leserschaft gemacht ist – worin sich die größte Leistung von Wilson, Amanat und Marvel Comics finden lässt. In der Popkulturform der US-amerikanischen Comic Book sind nur sehr wenige Interessen und Gruppen prominent abgebildet. Für eine Kunstform, die sich als Massenmedium versteht, ist das inakzeptabel. Vergleichsweise gelingt es der weitaus stratifizierteren japanischen Gesellschaft, Manga für praktisch jeden Geschmack und Neigung anzubieten. Bei Marvel und DC, die sich in etwa 80 Prozent des amerikanischen Marktes teilen, gibt es nur 16 Titel mit weiblicher Erstbesetzung und überhaupt nur fünf mit Minderheiten als Hauptprotagonisten inklusive Ms. Marvel. Wenn es auch nur ein kleines Zeichen ist, so hat Marvel mit der neuen »Ms. Marvel«-Serie eines gesetzt, das zum Nachahmen einlädt und unterstützt werden muss. Die Ziele der Autorinnen sind hoch gesteckt. Jetzt müssen sie nur noch beim Publikum ankommen. »Ms. Marvel #1« erscheint im Februar weltweit bei Marvel Comics. www.marvel.com
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Role Models — Kultur und die Sache mit dem Empowerment
Eine SuperMuslimin macht noch keinen Sommer Kultur ist Soft Power. Was kann also ein Comic mit einer muslimischen Superheldin überhaupt bewegen?
Niemand hat für die Akzeptanz von Franzosen in den USA so viel getan wie Jean-Luc Picard, der Captain der Next Generation Enterprise. So in etwa könnte eine herrlich unnötige Diplomarbeit in Theaterwissenschaften oder Publizistik beginnen. Denn seit die Cultural Studies es für wert befanden, sich mit Pop, Schund, Punk, TV und Massenkultur auseinanderzusetzen, sind nicht nur schon genau 50 Jahre vergangen, sondern in derselben Zeit ist auch ganz schön viel Blödsinn darüber geschrieben worden. Die Cultural Studies sahen in den ehemals dummen Arbeitern aktive Teilnehmer an Kultur, die selbst kreativ waren. Prinzipiell erfreulich, nur galt im Lauf der Zeit irgendwann auch schon jede Daily Soap als emanzipatorische Praxis und Empowerment. Nicht jeder Song über den dreckigen Alltag in einer Großstadt ist ein Aufruf, das zu ändern, nicht einmal jeder zehnte. Meistens bleiben die Menschen einfach auf ihren Ärschen sitzen. Und nicht jeder Film über Sklaverei bringt sein Publikum dazu, andere Ausbeutungssysteme zu bekämpfen. Interessant wird es allerdings dann, wenn es Leute ausnahmsweise doch einmal tun. So muss man erst einmal draufkommen, dass ein US-Präsident auch schwarz sein kann. Filme, Bücher oder Games können dafür den Boden bereiten. Dabei ist die Geschichte vom schwarzen US-Präsidenten in der Popkultur gut dokumentiert. Schon 1933 träumte Sammy Davis Jr. in »Rufus Jones For President« davon. Trotzdem dauerte es noch fast 80 Jahre, bis die Serie »24«, die so prominent wie nie zuvor einen schwarzen Präsidenten an den Schalthebeln der Macht zeigte, dann kurz darauf Recht behalten sollte. Und genau dieselbe Serie war es auch, die auf der anderen Seite für ihre islamophoben Bilder kritisiert wurde.
Islamophob
»The 99« verteidigen mit ihren Superkräften die gemässigten Prinzipien des Propheten Mohammed. Ms. Marvel ist allerdings eine ganz andere Geschichte.
Überhaupt waren die Nuller Jahre ein echter Tiefpunkt für muslimische Figuren in Ballerfilmen und -serien. Während etwa respektvolle Porträts von Schwulen oder Menschen mit allerlei Handicaps geradezu boomten, waren Araber häufig auf die Rolle des verschwörerischen Terroristen abonniert. »300« wurde für seine überzeichnete Darstellung vorderasiatischer Horden, die drauf und dran sind, den Westen zu überrollen, kritisiert und war wohl gerade deshalb so erfolgreich. Auch die Serie »Homeland« schürte trotz einer aufwühlenden ersten Staffel unterm Strich eher Vorurteile, als dass sie für interkulturellen Dialog sorgte – selbst wenn die Terroristen und ihre Motive erstaunlich empathisch dargestellt wurden. Um ausgewogenere Bilder bemühten sich da schon Filme wie »Babel«, »Three Kings« oder das erschütternde »Incendies«. Natürlich waren diese dann beim Publikum deutlich weniger gefragt.
Es gibt also zu jeder Figur, die gesellschaftliche Mauern einreißt, fast immer einen populären Gegenspieler, der sie an einer anderen Stelle wieder aufbaut. Besonders lustig ist es auch, wenn man sich selbst an jenem Ende wiederfindet, gegen das empowert werden soll. In Blockbuster-Filmen wie »Fetih 1453 – Die Eroberung von 1453« oder »Kurtlar Vadisi – Tal der Wölfe« sind es eben westliche Mächte, die degeneriert und korrupt sind, in denen die Role Models strahlende Alternativen vorleben. Menschen, die solche Pionierrollen schreiben oder spielen haben jedenfalls gute Chancen, dafür einen Oscar oder andere posthume Laudatios abzustauben. So wie Sidney Poitier, der die Rolle des selbstbewussten, fast kämpferischen Schwarzen in das US-Mainstream-Kino eingeführt hat. Oder Tom Hanks für seine Rolle im Aids-Drama »Philadelphia«. Natürlich sind nicht alle fiktive Geschichten auch gleich erfolgreich. Kultur hat eher die Funktion eines Testballons, mal schmiert er ab, mal trifft er auf überwältigendes Feedback. Kultur bringt eben auch eine menschliche Seite in abstrakte Verhältnisse, dafür sind Kunst und Mythen eben besonders geeignet. Auch wenn man anmerken muss, dass es für die gesellschaftliche Akzeptanz unterm Strich immer noch wichtiger ist, ob David Alaba oder Ivica Vastic nun im Fußball-Nationalteam ins Tor treffen, Frauenfußball zu einer anständigen Zeit im Fernsehen läuft, der schwule Thomas Hitzlsperger ein Fußballspieler war oder ein fast ausschließlich schwarzes Team für Frankreich den WM-Titel holt.
Text Stefan Niederwieser
Empowerment vs Empowerment
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Weiße, süße Laborratten spielen den Ersten Weltkrieg nach und haben ganz schön viel Spaß mit Kriegshetze, Aufwiegelei und Lügen. Deborah Sengls Präparate interpretieren das gesellschaftliche Klima vor 100 Jahren, abseits von Stacheldraht und Schützengräben. 020
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golden frame — Deborah Sengl – Die letzten Tage der Menschheit
Die Moral der Geschichte Deborah Sengl setzt das Erste-Weltkriegs-Drama »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus in Szene – mit 180 weißen Ratten. Krieg beginnt im Kopf. Der österreichische Satiriker Karl Kraus hielt dies in der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit« fest. Die Künstlerin Deborah Sengl setzte nun 44 seiner 200 Szenen in Präparaten aus 180 weißen Ratten mit Requisiten um. Entgegen einer Romantisierung des Ersten Weltkriegs als »Kostümdrama«, als »Pimperlkrieg«, so Sengl überspitzt, zeigt Kraus’ Tragödie die tragische Wahrheit. Die Figuren des Stückes sind reale Personen, Handlung und Dialoge die wahre Geschichte, zum großen Teil aus Zitaten aus Zeitungen und militärischen Befehlen. Sie wirken wie die »grellsten Erfindungen«.
Hauptspielort ist nicht etwa die Front, wo das Grauen für sich spricht, sondern sind die Schreibstuben und Magistrate, Kurorte und Heurigenlokale. Dort zeigt sich die Doppelmoral, die Verlogenheit und Dummheit der Menschen, die feiern und verdrängen; die der Hetzer, der Journalisten, der »Herrn der Hyänen« – Händler und Militärs, die vom Krieg profitieren. Die bloße Dokumentation taugt zur Satire, denn die Realität ist schwärzer als jede Vorstellung. Vom Beginn des Kriegs wegen einer »Bagatelle« – der Ermordung Franz-Ferdinands in Sarajevo – über Hurra-Propaganda bis zur Kriegsbegeisterung der Kinder wird eine ideologische Maschinerie in Gang gesetzt bis zum bitteren Ende. Mit den Worten Gottes alias Kaiser Wilhelm II.: »Das habe ich nicht gewollt« artet das Drama in ein surrealistisches Untergangsszenario aus. Gerade die Stille in Deborah Sengls Szenenbildern kann die Unheimlichkeit der Geschichte zur Wirkung bringen. Als samtig weiße Ratten sind alle Figuren gleich – fehlbar, lenkbar, unschuldig, obgleich schuldig. Nur der moralische »Nörgler«, das Alter Ego von Karl Kraus, ist in der Figur einer schwarzen Ratte dargestellt. Was für Kraus die Satire ist, ist für Sengl die tierische Metapher. Ratten sind Seuchentiere, tragen aber als Laborratten zum Wohle der Menschheit bei. Sie profitieren vom Menschen, sind quasi seine »Mitläufer« und in Fabeln verkörpern sie die Hinterhältigen und Feigen. Tatsächlich sind sie uns nicht unähnlich: hartnäckig, intelligent und flexibel in Lebensweise und Gruppendynamik würden sie eine Katastrophe überleben. Der Erste Weltkrieg, die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts, lässt sich nicht mit platten Stichworten wie »Antisemitismus« oder »Kolonialismus« begreifen. Für die kaum existierende Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg ist das eine Herausforderung. Karl Kraus’ Realsatire und Deborah Sengls stummes Rattentheater dagegen verarbeiten Szenen des Krieges zu beeindruckenden, stummen Bildern. Wer die Moral der Geschichte selbst auf sich wirken lassen möchte, kann dies vom 31. Jänner bis 25. Mai im Großen Saal des Essl Museums in Klosterneuburg. Vernissage ist am 30. Jänner um 19.30 Uhr.
Text Luise Wolf Bild Mischa Nawrata / deborah sengl
Surrealistisches Untergangsszenario
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»House Of Cards« Staffel 2 — Blutiges Marionettentheater und Rooting for the Empire
Lang lebe das Arschloch
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Text Jonas Vogt Bild Netflix
Lange hat es nicht mehr so Spaß gemacht, TV-Figuren zu hassen wie die Underwoods in »House Of Cards«. Warum man sich aber trotzdem insgeheim wünscht, dass sie erfolgreich sind. Die von Netflix produzierte Serie »House Of Cards« ist oftmals mit den Shakespeare’schen Königsdramen verglichen worden. Und wie in jedem anständigen Drama ist der Konflikt bereits in der grandiosen Eröffnungsszene angelegt. Hauptfigur Francis »Frank« Underwood (Kevin Spacey) steht neben dem Nachbarshund, der von einem Auto erwischt wurde. Währenddessen dessen junge Besitzerin ins Haus rennt, um den Tierarzt zu holen, durchbricht Underwood die vierte Wand, schaut den Zuschauer an und dreht dem winselnden Hund mit einem hingeworfenen »I have no patience for useless things« den Hals um. Underwood ist Politiker. Als sogenannter »Majority Whip« ist es sein Job, die demokratischen Abgeordneten im Kongress auf Linie zu bringen. Als ein neuer US-Präsident gewählt wird, bekommt Underwood nicht das versprochene Amt des Außenministers und beginnt einen gnadenlosen Rachefeldzug, der keinen Stein auf dem anderen lässt und als Endziel die Präsidentschaft hat. Franks Frau Claire verfolgt ihre eigenen Ziele, die nicht immer mit denen ihres Mannes übereinstimmen. So arbeiten die Eheleute mal mit-, mal neben- und manchmal auch gegeneinander. Das souveräne Spiel mit den verschiedenen Machtfaktoren, Puppenspielern und Marionetten hat »House Of Cards« bereits einen Emmy für die beste Serie und einen Golden Globe für Hauptdarstellerin Robin Wright eingebracht. Es hilft beim Zuschauen ziemlich, sich ein wenig mit den Besonderheiten der US-Politik auszukennen. Das System der wechselnden Mehrheiten, des ausprägten Lobbyismus und des schwachen Fraktionszwangs ist die ideale Bühne für ein postdemokratisches Szenario, in dem Politik in schwindligen Deals in Hinterzimmern ausgemacht wird.
Rooting For The Empire Frank Underwood ist auf den Gängen des Kongresses ein großer Fisch, der ständig kleinere frisst. Ein manipulatives, skrupelloses, gnadenloses Arschloch mit seltenen Momenten der Menschlichkeit. Lange hat es schon nicht mehr so viel Spaß gemacht, jemanden so zu hassen und gleichzeitig mit ihm mitzufiebern. Denn ja, es gibt sie, die furchtbaren aber charismatischen Charaktere, die während der gesamten Handlung verabscheuenswürdige Verbrechen aus unredlichen Motiven begehen, denen man aber gleichzeitig insgeheim den Erfolg wünscht. Die Amerikaner kennen dafür sogar einen Begriff: »Rooting for the Empire«. Es sind keine klassischen Anti-Helden, denn AntiHelden gehen über Leichen, um aber letztlich für eine gute Sache einzutreten. Figuren wie Underwood oder Walther White treten nur für sich selbst ein. Und sind trotzdem leider eben ziemlich cool. Auch in »Game Of Thrones« sind die edlen, anständigen Starks die Sympathieträger. Man wartet trotzdem meist nur auf die Szenen mit den Lanisters. Nicht immer betrifft das »Rooting for the Empire« die Hauptfigur. Zum Beispiel bei der Filmreihe, von der das Phänomen seinen Namen hat. Darth Vader war ein Bösewicht, den man ungestraft verehren konnte. Ein charismatischer, böser, würdiger Gegenspieler zu Skywalker und Solo, dessen Ende logisch und angemessen war. Man gönnt den coolen, charismatischen, abstoßenden Schurken letztlich oft nicht den Sieg. Aber man wünscht sich doch zumindest, sie in Würde scheitern zu sehen. Auch dafür gibt es einen schönen englischen Begriff: Sympathy for the Devil. Die zweite Staffel von »House Of Cards« ist ab dem 14. Februar auf Netflix abrufbar.
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Lars von Triers »Nymphomaniac 1+2« — Supernackte Distanz
3+5 = Sex
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In vier Stunden bringt »Nymphomaniac 1+2« alles unter, was sich zwischen Fibunacci und BDSM ausgeht. Das ist viel. Befriedigung fühlt sich trotzdem anders an.
Gefühlsfrei und das ist gut so Eine Nymphomanin, die vor einer asexuellen Priesterfigur eine reuefreie Beichte ablegt also. Ein diametraler Gegensatz wie aus dem Bilderbuch: aufgeladen, übertrieben, von Trier. Nährboden für die vielen Parabeln und Vergleiche – vom Fliegenfischen zu Fibonacci, von den Ikonen der Ostkirche zur Hure Babylon –, die Seligman anstellt, um Joes Abenteuer zu abstrahieren. Eine aufgesetzte Intellektualität, die im Zwiegespräch der beiden Antagonisten nie glaubwürdig wirkt, in ihrer Disfunktionalität aber eine Distanz schafft, die keinen Platz für Psychologisierung zulässt. Und darin liegt auch der Reiz von »Nymphomaniac«: Der Film fokussiert auf das, was Menschen tun und nicht, wie sie darüber denken und fühlen. Denn selbst die vermeintliche Reflexion, die Joe in ihrer Erzählung anklingen lässt, ist nur der Vorwand, um eine leidvolle Geschichte lustvoll zu erzähle und umgekehrt. Was man an Körperlichkeit sieht, ist selten besonders
abgründig oder pornografisch. Die einzige wirkliche Provokation liegt in der Reizüberflutung, die den Zuschauer mit der Protagonistin in Ermattung und Taubheit vereint und so ein wirkliches Identifikationsmoment stiftet. Fraglich bleibt, wie explizit die ungekürzte Fassung der Filme noch wird. Die großen Augenblicke des gekürzten Zweiteilers haben jedoch nur am Rande mit Sex zu tun. Als Joes kleiner Sohn sich aus dem Kinderbettchen befreit und auf den Balkon klettert, tut das Hinsehen mehr weh, als wenn seiner abwesenden Mutter 40 Peitschenhiebe verpasst werden
The Secret Ingredient Of Good Sex Is Love So belehrt B. (Sophie Kennedy Clark) ihre Jugendfreundin Joe, die das nicht wahrhaben will, bis sie Jerôme (Shia LaBeouf) kennenlernt: zumindest ist die Liebesgeschichte zwischen Joe und Jerôme die schönste Zutat des facettenreichen »Nymphomaniac«; mit ihren Höhen und Tiefen so wunderschön inszeniert, dass sie wie ein kleiner Film im Film wirkt. Dennoch ist es ein anderer Moment aus dem Film, der sein Seherlebnis am besten beschreibt: Als einer von Joes Liebhabern seine Frau (Uma Thurman in Höchstform) für die junge Geliebte verlassen will und diese samt der drei Söhne in Joes Wohnung auftaucht und völlig zusammenbricht, fragt Seligman seine Erzählerin, was diese Szene, diese Zerstörung einer Familie, für eine Auswirkung auf sie hatte. Joe antwortet: »Keine.« So verhält es sich auch mit »Nymphomaniac«: Ein Film aus zu vielen, wenn auch oft starken Komponenten, getragen von einem unglaublich großartigen Cast, der aber in seiner Gesamtwirkung wenig nachhallt. zu sehen, »Nymphomaniac 2« startet am 2. April. Die ungekürzte Fassung des ersten Teiles wird bei der Berlinale gezeigt. In den österreichischen Kinos ist »Nymphomaniac 1« ab 21. Februar zu sehen, »Nymphomaniac 2« startet am 2. April. Die ungekürzte Fassung des ersten Teiles wird bei der Berlinale gezeigt.
Text Amira Ben Saoud Bild filmladen
Die Kamera gleitet langsam durch theaterkulissenhafte Gassen, Schnee fällt. Kurz könnte der Verdacht entstehen, dass es sich hier um eine besonders düstere Verfilmung von »A Christmas Carol« mit Rammstein-Soundtrack handelt. Doch die Rolle der Geister, die Dickens rief, um Ebenezer Scrooge in seine skrupellose Vergangenheit zu führen, wird in »Nymphomaniac« von Seligman (Stellan Skarsgård) übernommen. Joe (Charlotte Gainsbourg), so etwas wie der Scrooge unter den Sexsüchtigen – in der Einstiegsszene physisch und psychisch am Boden liegend – wird von Seligman in dessen spartanisch eingerichtetes Heim gebracht und erzählt dort, inspiriert von den wenigen Gegenständen, die sich in dieser »Mönchszelle« befinden, ihre Lebensgeschichte. Eine Rahmenhandlung, so konstruiert wie das »Decamerone«, an dem Seligman ausschließlich literarischen Genuss findet. Er ist, wie wir später erfahren, Jungfrau.
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»Das finstere Tal« von Andreas Prochaska — Austrokino findet Alpenwestern
»Heimatfilm heißt ja nicht gleich glückliche Kühe und jodelnde Mägde« Text Jan Hestmann Bild allegro film / thomas w. kienast
Die hiesige Bergwelt ist genretauglich. Nachdem im letzten Jahr Mutanten einen Gletscher unsicher gemacht haben, verwandelt Andreas Prochaska in »Das finstere Tal« nun die Alpen zum Austragungsort eines unterkühlten Westerns. »Es gibt Sachen, über die darf man nicht reden. Sachen, die früher passiert sind.« Schwer wiegen die Worte der jungen weiblichen Stimme aus dem Off, die uns in eine graue Winterlandschaft führt. In »Das finstere Tal«, dem neuen Film von Andreas Prochaska, verschlägt es uns mitten in die Alpen. Dass hier ein scharfer Wind weht, wird bald klar. Das raue Klima erinnert an Prochaskas »In drei Tagen bist du tot 2«. Doch diesmal ist es kein Gegenwartshorrorfilm, sondern ein Western, der sich zwischen den Gipfeln abspielt. Wir folgen der Spur eines Fremden (Sam Riley), der auf eine von der Zivilisation abgeschirmte Dorfgemeinde in den Bergen stößt. Die Gastfreundschaft der feindseligen Bewohner, angeführt vom patriarchalischen Brenner-Bauern und seinen Söhnen, kann er sich nur mit einem Sack Gold erkaufen. Greider, so nennt er sich, wolle über den Winter bleiben, um zu fotografieren. Vom ältesten der Brenner-Söhne, Hans (Tobias Moretti), wird er bei der Gaderin (Carmen Gratl) und deren Tochter Luzi (Paula Beer) einquartiert. Doch sobald der Winter einbricht, kommt es zu fatalen Vorfällen im Dorf.
Genre-Hopper Prochaska Der österreichische Filmemacher Andreas Prochaska übt sich gerne in den verschiedensten Genres. Größere Bekanntheit erlangte er, als er 2006 mit »In drei Tagen bist du tot« den ersten österreichischen Teenie-Horrorfilm in die Kinos brachte. Kurz darauf folgte das noch wesentlich blutigere Sequel, daraufhin die Kidnapping-Komödie »Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott«. Nun hat er Thomas Willmanns Bestsellerroman »Das finstere Tal« verfilmt und damit das Genre des österreichischen Westernfilms begründet. Was sich durch all diese Filme wie ein roter Faden zieht, ist der starke Lokalbezug, der Prochaska auch in seinem neuesten Werk ein Anliegen war. »Es ist natürlich auch ein Heimatfilm«, betont er, »du hast eine Umgebung, die den Rocky Mountains um nichts nachsteht und kannst gleichzeitig lokal authentisch bleiben.« Willmann nennt den Heimatromanautor Ludwig Ganghofer sowie Sergio Leone als die beiden Schutzheiligen seines Buches. »Das kommt meinen Bedürfnissen, Genre mit starkem lokalauthentischen Bezug zu kreuzen, total entgegen.« Das bedeute aber nicht, ein verkitschtes Heile-Welt-Bild zeichnen zu müssen. »Hei-
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matfilm heißt ja nicht gleich glückliche Kühe und jodelnde Mägde.« Die Natur sei aber ein entscheidender Faktor für die Erzählung. Bemerkenswert ist die Besetzung des Films. Allen voran der britische Darsteller Sam Riley, bekannt aus »On The Road« oder dem JoyDivision-Biopic »Control«, der dazu beiträgt, Western-Atmosphäre in den Alpen aufkommen zu lassen. Aber auch ein starkes heimisches Ensemble, von jungen Talenten wie Thomas Schubert (»Atmen«) und Paula Beer bis hin zu Routinier und Publikumsliebling Tobias Moretti. Sogenanntes Starkino zu machen, lag Prochaska allerdings noch nie im Sinn. »Ich hab ja lange überlegt, ob ich den Moretti überhaupt besetzen soll, weil ich Bedenken hatte, dass es dann ein Moretti-Film wird.« Gespräche mit ihm sowie Probeaufnahmen haben aber gezeigt, dass kein Weg daran vorbei führe, »er war einfach die perfekte Besetzung dafür.«.
Antithese zur Waldheimat Sämtliche Außenaufnahmen wurden im Winter und Frühjahr in Südtirol gedreht. Dabei habe man großes Glück mit dem Wetter gehabt. »Durch den starken Wind ist der Schnee immer verblasen worden und dadurch hatten wir diesen rauen Look«, schildert Prochaska, »wir sind nie in die Gefahr gekommen, Peter Roseggers WaldheimatStille-Nacht-Look zu haben.« Der große Schnee sei erst nach Drehschluss gekommen. Auch im Frühjahr, als es schon rundum grünte, habe sich die Location als Glücksgriff herausgestellt: »Du bist um diese eine Kurve gefahren, die entscheidende Kurve, und dort war noch alles grau.« Neben der Flora ist auch der Soundtrack in »Das finstere Tal« wichtiger Bestandteil der Atmosphäre. Hier hat Prochaska auf österreichische Hoffnungsträger der alternativen Musikszene gesetzt. Eröffnet wird der Film von Clara Luzia, die auch schon für »Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott« zwei Songs beigesteuert hat. »Sie ist eine wirklich super Musikerin«, begründet Prochaska den spontanen Einfall, sie den Song »Sinnerman« für den Film covern zu lassen. »Ich hab sie gefragt und sie hatte Lust.« Weiters wird eine entscheidende
Szene von den Steaming Satellites unterlegt. Das sei eine Idee seines Sohns gewesen, so Prochaska, »und man unterstützt damit auch gleich die heimische Musikszene.« Was den Genrefilm betrifft, steckt Österreich noch in Kinderschuhen. Andreas Prochaska hat mit seinen »In drei Tagen bist du tot«Filmen erste Schritte gemacht und wagt mit »Das finstere Tal« einen weiteren. Aber auch abseits seiner Ambitionen regt es sich. So hat etwa Marvin Kren nach seinem Debüt-Zombiedrama »Rammbock« (2010) im vergangenen Jahr mit dem ersten österreichischen Alpen-CreatureFeature »Blutgletscher« verblüfft. Der hat innerhalb einschlägiger Communities wie auch auf heimischen und internationalen FantasyFilmfestivals große Euphorie erzeugen können, an den heimischen Kinokassen aber vergleichbar schlecht abgeschnitten.
Bedürfnis nach Heimat Dass das österreichische Publikum Genrefilme ablehne, glaubt Prochaska allerdings nicht. »Sonst hätte ich ja kein Sequel gemacht«, womit er »In drei Tagen bist du tot 2« anspricht, der, wie auch dessen Vorgänger, durchaus hohe Einspielergebnisse verzeichnen konnte. Er glaube daran, dass es ein starkes Bedürfnis nach Geschichten mit lokalem Bezug gebe, die auch eine gewisse Form an Entertainment mitbringen. »Zumindest ist das ein Weg, den ich immer versucht habe zu gehen«, und meint damit das Unterhaltungskino, »das muss ja nicht zwangsläufig blöd oder leer sein.« Prochaska bleibt nicht lange an einem Genre haften. Im Horror hatte er sein Gastspiel und das sei es dann auch wieder für ihn gewesen. Die Brutalitäten in Teil zwei seien ihm selbst fast schon zu viel gewesen. »Was mich nie interessiert hat, war diese Blut- und BeuschelCompetition, also möglichst noch grauslicher«, stellt Prochaska klar. »Zehnmal spannender ist es doch, wenn man weniger zeigt.« Und so ist auch sein Western »Das finstere Tal« geraten. Eines zeigt Prochaska mit seinem neuen Film wieder deutlich, nämlich dass er ein Experte des Spannungsaufbaus ist. »Das finstere Tal« ist ein düsterer, rauer Film geworden, der sehr reduziert und mit wenigen Effekten eine aufgeladene Atmosphäre zu erzeugen weiß. Ob er auch dieses für sich entdeckte Genre nach diesem Ausflug gleich wieder abhakt, ist aber noch nicht sicher. »Ich hab mal drüber nachgedacht, einen Endzeitwestern zu machen«, verrät er, »dieser Gedanke spukt immer noch in meinem Kopf rum.« »Das finstere Tal« startet am 14. Februar in den österreichischen Kinos. 025
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Clara Stern »Das österreichische Kino gilt seit den 1990er Jahren als »Feel-BadCinema« — Clara Stern studiert an der Filmakademie Wien. Mit ihrem Film »Die Inseln, die wir sind« lief sie auf mehreren Festivals.
Film-Nachwuchs Österreich — Junge Filmemacher im Interview
Big In Austria
Text peter schernhuber Bild clara stern, florian pochlatko, labanda film, dirk mathesius
In der heimischen Film-Szene brodelt es: Es gäbe ein Image-Problem bei Jugendlichen. Wir haben uns bei jungen Filmemachern umgehört.
Die heimische Filmbranche, so legt die aktuelle Studie des Filmfonds Wien nahe, kennt das Publikum zwischen 14 und 29 zu wenig. Nimmst auch du das so wahr? Ich glaube, das Problem beginnt schon früher. Wenn es kaum österreichische Kinderfilme gibt, wenn also Kinder keine österreichischen Filme sehen, warum sollten sie sie sich später anschauen? Ist es wünschenswert, dass nach der Fülle an Kabarett-Filmen nun ernstere Themen behandelt werden? Ernstere Themen werden nicht erst jetzt filmisch behandelt, das österreichische Kino gilt seit den 90ern als »Feel-Bad-Cinema«. Das ist auch gut so. Kino und Film ermöglichen es, schwierige Themen ausführlich zu erläutern. Die Zuschauer können mit Situationen und Problemstellungen konfrontiert werden, ohne sie zu belehren. Ob man mit ernsten Themen ein jüngeres Publikum anlockt, ist eine ganz andere Frage. Es gibt einen Bedarf an hochqualitativen, österreichischen Komödien, die keine Lustspiele und keine Kabarettfilme sind, sondern die intelligent unterhalten.
Es war der Filmfonds Wien, der eine Studie zum Verhältnis junger Wienerinnen und Wiener zum österrreichischen Kino in Auftrag gegeben hat. Anfang Dezember war da zu lesen: »14- bis 29-jährige Wienerinnen und Wiener sehen österreichischen Film grundsätzlich mit Interesse, fühlen sich aber nur selten persönlich angesprochen. Sie werden zu wenig in jenen medialen Räumen abgeholt, in denen sie sich aufhalten – vor allem im Web 2.0.«. In den Medien war daraufhin von einem »Imageproblem des österreichischen Films« zu lesen. Dabei ist der Auftraggeber der Studie, der Filmfonds Wien, kein neutraler Beobachter. Desen Leiterin, Gerlinde Seitner, schwärmt gerne für eskapistisches Feel-Good-Kino. The Gap-Autor Christoph Prenner zitierte sie folgendermaßen: »Es müssen für das Publikum Filme gemacht werden, die es sehen will.« Wir haben die Studie zum Anlass genommen, uns unter heimischen jungen Filmschaffenden umzuhören. Sie sehen einige Probleme ähnlich, kritisieren neben der Ausbildung aber mitunter auch die Studie selbst.
»Gute Filme entstehen nur, wenn man bereit ist, ein echtes Risiko einzugehen« — Der Kurzspielfilm »Erdbeerland« machte Florian Pochlatko bekannt. Auszeichnungen gab es u.a. bei der Diagonale in Graz sowie dem VIS Vienna Independent Shorts Festival in Wien und einer Nominierung für den Österreichischen Filmpreis.
Alle vollständigen Interviews stehen unter www.thegap.at / biginaustria
Gerade junge Leute fühlen sich von den Inhalten des heimischen Kinos selten angesprochen. Nur ein Image-Problem?
Florian Pochlatko
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Ich glaube, dass das Imageproblem nicht nur die Filmszene betrifft, sondern eigentlich ganz viele Kulturschaffende in Österreich. An den Unis oder in der »freien Wildbahn« wird einem immer gesagt, wie ein Film zu sein hat, wen er ansprechen muss und was die Zielgruppe ja eigentlich interessiert. Raus kommt dann geshapte Einheitsware, die überall auf der Welt gleich aussieht. Aber ich versteh’ schon, dass es wahrscheinlich nicht so einfach ist, Fördergeber und Investoren davon zu überzeugen, unkonventionelle neue Wege zu beschreiten, da es ja im Filmbereich meistens um größere Geldbeträge bis hin zu Existenzen geht, die auf dem Spiel stehen. Das scheint das Dilemma. Gute Filme entstehen aber nur, wenn man bereit ist, ein echtes Risiko einzugehen. Das bedeutet dann, dass es immer auch dein letzter Film sein könnte, wenn der Plan nicht aufgeht. Das macht die Leute vorsichtig und das merkt man den Filmen auch an. Vor allem im Web agiert man zu altmodisch und unspezifisch, meinen die Studienautoren. Eine Sache von Marketing und Verleih oder geht dich das auch selbst als Filmemacher an? Also in dem Stadium, in dem ich mich befinde, mache ich schon ganz viel selbst, was die Verbreitung der Filme angeht. Dass es einen ziemlichen Aufholbedarf bei den Vermarktungsstrategien der Verleiher gibt, finde ich schon.
Mit meinem Film »Talea« habe ich die Erfahrung gemacht, dass in Österreich in den Schulen sehr wenig Film unterrichtet wird. Für den Kunstunterricht geht man ins Museum, nicht ins Kino. Das habe ich in anderen Ländern, zuletzt z.B. Frankreich, anders erlebt. Dort ist Film unumstritten eine künstlerische Ausdrucksform und wird den jungen Menschen auch als solche vermittelt. Wenn man also so erzogen wird, dass Film immer unterhaltsam und zielgruppenorientiert sein soll, kann man den künstlerischen, österreichischen Film auch nicht für das schätzen, was er ist, nämlich Kunst. Wir brauchen eine Vielfalt, kein kommerziell orientiertes Rezept für Drehbücher oder Genres.
Richard Wilhelmer »Der Konsens der Masse ist das Mittelmaß« — Mit der Low-BudgetProduktion »Adams Ende« – Robert Stadlober in der Titelrolle – gelang Richard Wilhelmer 2011 ein von der Kritik überaus geschätztes Regiedebüt. Wilhelmer studierte u.a. am renommierten California Institute of the Arts. Er lebt in Wien und Berlin.
Katharina Mueckstein »Jugendliche sind unterrepräsentiert« — Auf Festivals feierte die junge Regisseurin Katharina Mückstein mit ihrer Coming-of-Age-Geschichte »Talea« international Erfolge. Zum Publikumsrenner wurde einer der besten heimischen Filme des Jahres (nominiert für Drehbuch und Regie beim Österreichischen Filmpreis) dennoch nicht. Die heimische Filmbranche, so legt die aktuelle Studie des Filmfonds Wien nahe, kennt das Publikum zwischen 14 und 29 zu wenig. Nimmst auch du das so wahr? Ich kann mir schon vorstellen, dass das stimmt, denn die Filmszene ist – insbesondere in den Bereichen Regie, Produktion und Kamera – im Durchschnitt alt und männlich dominiert. Es gibt also nur wenige junge Leute, die beim Filme-Machen zum Zug kommen und sich selbst mit dem jungen Publikum identifizieren. Jugendliche haben ja auch gesamtgesellschaftlich keine starke Lobby und werden nur als Konsumenten ernst genommen. An der Herangehensweise dieser Studie sieht man, dass das in der Filmbranche nicht anders ist. Menschen – egal welchen Alters – fühlen sich ja von Filmen dann angesprochen, wenn die Filmemacher ein aufrichtiges Interesse an der Kommunikation mit ihnen haben. Ich halte nichts davon, Menschen in Zielgruppen zu betrachten – das überlasse ich den Werbern – und, ich glaube auch nicht, dass die 14- bis 29-Jährigen eine gesonderte Behandlung brauchen. Aber: mit Sicherheit sind Jugendliche als Protagonisten im österreichischen Film unterrepräsentiert. In der Studie steht übrigens auch, dass Kino für junge Leute zu teuer ist und das sehe ich auch so. Junge Leute fühlen sich von den Inhalten des heimischen Kinos selten angesprochen. Hat Österreich auch die falschen Drehbücher?
Hat Österreich die falschen Drehbücher? Ich habe erst kürzlich von der Produzentin der diesjährigen deutschen Erfolgskomödie »Fack Ju Göthe« gelesen, wie sie und der Regisseur sich bei den »Kids« monatelang umgehört haben, was sie gerne im Kino, auf ihren Smartphones oder sonst wo sehen würden. Herausgekommen ist eine erstaunlich pädagogische Komödie im DeutschrapSlang, die dann tatsächlich jeder sehen wollte. Ob solche Konzepte den Zugang junger Leute zum Kino langfristig wirklich verbessern, bezweifle ich. Wird in der Ausbildung und Förderung zu wenig Wert auf neue Medienformate gelegt? Ich habe an der Universität der Künste Berlin einige Jahre im Studiengang »Kunst und Medien« studiert und immer noch keine Ahnung. Wie sinnvoll ist es, das Image-Problem am Spannungsfeld Digitalisierung vs. Analog, Web vs. Kino dingfest machen zu wollen? Nostalgie ist eine sehr positive Eigenschaft des Menschen, die auch viel mit Empathie zu tun hat. Die organische Anmutung analoger Apparaturen wirkt uns. Gleichwohl bin ich mir nicht sicher, ob mein frisch geborener Sohn sich nicht irgendwann kopfschüttelnd darüber wundern wird, warum ich dieser umständlichen, veralteten Technik so lange nachgehangen bin.
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Text Kristina Kirova BildER Luca Faccio, Lukas Birk, Tadashi Kawamata, arthur Evans (Courtesy: Neue Visionen Filmverleih GmbH), Dan Graham, vbk wien, stanley kubrick
Luca Faccio, War Memorial of Korea, Seoul, South Korea, 2013 K端nstlerhaus Wien bis 23.02.
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Kunstausblick 2014 — Ausstellungen, Retrospektiven, Schauen und Festivals
Art-hoy voraus
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Das kommende Kunstjahr glänzt in Österreich immerhin silbern. Ergo beglückt es zwar nicht mit fulminanten, aber doch bemerkenswerten Highlights. 2014 birgt im Vergleich zum Vorjahr für Österreich nur bedingt brisante Kunstschauen. Lucian Freuds Lebenswerk im KHM oder Dan Flavins Leuchtstoffröhren-Mekka im Mumok wirken da noch etwas nach, nichtsdestotrotz muss man aber jetzt nicht gleich nach New York auswandern. Immerhin tröstlich ist die Tatsache, dass im Vergleich zur Landesgröße die Dichte an Ausstellungen, Retrospektiven, Schauen und Festivals hierzulande besonders hoch ist. Dabei zeichnen sich vor allem drei Themenschwerpunkte im Kunstkalender ab: politisches Betonwerk, Gender Issues und reichlich Farbe. Ersteres dreht sich neben der großen Geopolitik häufig auch um recht alltägliche Dinge. Die Mischung aus Hightech und sozialer Vernetztheit ist längst normal geworden, notwendig eigentlich. Die Beziehung zwischen Mensch und Technologie nimmt etwa Hershman Leeson näher unter die Lupe, während der Österreicher Josef Dabernig eher mit bildlichen Metaphern über die scheinbare Einbetonierung sinniert. Heutzutage hat man persönlichen Menschenkontakt gar nicht nötig, wir können Essen online bestellen, hängen in Gruppenchats rum, Pusheen-haftes Getier verdrängt den traditionellen Smiley und wir drehen durch, wenn wir unser Smartphone nicht in der Hosentasche finden (weil wir es ja schon die ganze Zeit in der Hand halten). Gegen Trübsal und Erfolgsdruck kontert eine Ausstellung in der Kunsthalle. Sie gibt Tipps über »neue Wege nichts zu tun« – worin ein Facebook-Junkie sich laufend Know-how antrainiert. Noële Ody antwortet auf diese große Blase eher mit einer Kuriositätensammlung namens »Embrace the Shit«, die sich aus vermeintlich sinnlosen Readymades à la Marcel Duchamps Pissoir zusammensetzt, die eigentlich voll funktionstüchtige Gegenstände darstellen. Bei aller Kakofonie bleibt einem auch nichts anderes übrig, als den Shit zu umarmen und das Beste daraus zu machen.
Under Pressure Mehr politischen Shit aus dem künstlerischen Elfenbeinturm zeigen einige Ausstellungen, die mit dem Fernglas in die düstere Ferne spähen, wo Kämpfe toben und menschenrechtlich Einiges schief läuft. »Under Pressure« zeigt im Museum der Moderne am Salzburger Mönchsberg neben Oliver Resslers »Ziviler Ungehorsam« auch Lukas Birks Installation »Kafkanistan«, in denen der Vorarlberger das Verhalten von Touristen in Afghanistan und Pakistan dokumentiert. Schaut man weiter nach Nordkorea, paart sich die eigene Unwissenheit mit fremdartigen Drohungen. Der in Wien lebende Fotokünstler Luca Faccio gibt dazu überraschende Einblicke. Er bereiste die Halbinsel mehrere Male und porträtiert die Gegensätze zwischen Nord- und Südkorea anhand von Hinter-den-Kulissen-Schnappschüssen. Und während am russischen Kunstmarkt mit lockerem Geld um sich geworfen wird, schaut man hierzulande lieber 100 Jahre zurück. »El Lissitzky – Ily und Emilia Kabakov« untersucht in Graz Gratwanderungen zwischen Utopie und Realität in Russland zur Zeit des Kommunismus.
Lukas Birk, Tourist in the Darulaman Palace, C-Print, 74 × 49 cm Museum der Moderne Mönchsberg: Under Pressure, bis 30.3.
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Roger Hiorns, Seizure, 2008 / Kunsthalle Wien 03.10.–11.01.2015 Stanley Kubrick, Showgirl, 1947 / Bank Austria Kunstforum 08.05.–13.07.
Blow Up (Michelangelo Antonioni), 1966 / Albertina: 10.5.–24.08. Dan Graham, Public Space / Two Audiences, 1976 / Mumok ab 19.02.
Nackte Haut und Bart-Transplantationen
Ostereier, Minimalisten und Rainer
Sex ist nichts Neues. Nicht im Fernsehen, nicht in den Zeitungen, nicht in der Kunst. Meistens in Form nackter junger Mädchen. »I Am The Only Female Fool« in der Kunsthalle Wien gibt feministischen Themen allerdings größeren Spielraum als etwa eine Abrissbirne. Die Retrospektive zu Isa Genzken, einer der einflussreichsten deutschen Gegenwartskünstlerinnen, versteht sich als Ergänzung zu ihrer großen Schau im New Yorker Moma. Rollenbilder und Sexualität sind ein Teil ihres komplexen Oevres. Gesellschaftliche Normen mit viel nackter Brust und Masturbation zeigt das Kunsthaus Bregenz. In der Einzelausstellung zu Maria Eichhorn findet sich etwa ihre »Aktiengesellschaft« aka der 100-mal-500-Euro-Schein-Stapel als auch Beispiele aus ihrem »Filmlexikon sexueller Praktiken«. Am Salzburger Mönchsberg widmet sich hingegen die Ausstellung »Traces« der radikalen Suche nach Herkunft und Identität von Ana Mendieta durch ihre skulpturale Body-Art-Werke »Earth-Body«, in denen sie mit einem Baum zusammenwächst oder den Facial-Hair-Transplant-Fotografien, die sie mit Bartwuchs zeigen. Auf blaue Farben fokussieren interessanterweise zwei unabhängige Schauen – was aus künstlerischer Sicht erst einmal recht introvertiert zu sein scheint. Edgar Knoops beeindruckendes Farb- und Lichtspiel zeigt in Klagenfurt mit seinen Hologrammen, seinen Leuchtstoffobjekten und lichtkinetischen Reliefs einen physikalischen Zugang zu Farbe. Auch die Kunsthalle Wien macht blau: In »Blue Times« beleuchtet man den Wandel von Blau in Lauf der Zeit – vom Heiligen Symbol hin zur Farbe der EU als Symbol der Freiheit – denkt man an die Farbverteilung unserer Bundesparteien, kann das überraschend wirken.
Abseits dieser Themenblöcke darf man getrost noch vier Ausstellungen empfehlen: Im Kunsthistorischen steht der Februar synonym für Fabergé. Der wohl bekannteste russische Juwelier und seine kunstvollen Eier finden im Rahmen der russisch-österreichischen Kultursaisonen statt und zeigen bunte, sinnlose, teure, goldene Ei-Variationen. Parallel dazu sprengt das Mumok jedermanns Fassungsvermögen mit Werken der wuchtigen Herbert Foundation. Darin finden sich eine breite Palette an Größen der Minimal Art und Konzeptkunstszene wie Gerhard Richter, Carl Andre, Marcel Broodthaers und Donald Judd. Unter dem Titel »Museum zu verkaufen wegen Konkurs« bleibt also abzuwarten, ob die Ausstellung hält, was sie verspricht – die noch laufende kapitalkritische Schau »and materials and money and crisis« lässt trotz des zeitaktuellen Themas leidigerweise sehr zu wünschen übrig. Das Wiener Ostlicht steht mit »Araki Teller Teller Araki« ganz im Stern zweier großer Fotografen: Neben seinem Interesse an Sexualität fotografiert der deutsche Starfotograf Jürgen Teller alle Promis dieser Erde, während die Bondage-Fotografien des gebürtigen Japaners Nobuyoshi Araki schon sprichwörtlich fesseln. Im Herbst tauschen dann die Übermalungen des wohl bedeutendsten österreichischen Künstlers der Gegenwart das Arnulf Rainer Museum in Baden gegen die Albertina und räumen damit dem Zeitgenossen, der sein eigenes Museum betreibt, rechtens viel Aufmerksamkeit ein. Wem das zu wenig Programm und zu viel Kunstgeschirr für 365 Tage ist, kann beispielsweise zum 100-jährigen Gedenken an den Ersten Weltkrieg im Archäologiemuseum Graz mit »Knochen-Code. Körper erzählen den Krieg« die Spuren von Gewalt anhand von menschlichen Skeletten betrachten. Zeitgleich eröffnet das MAK zu seinem 150. Geburtstag die neu gestaltete Schausammlung. Und dann gibt es ja noch die Kulturtanken namens Steirischer Herbst, Ars Electronica und Wiener Festwochen.
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Art Digest 2014
Tadashi Kawamata, Collective Folie, Parc la Villette, Paris, Frankreich, 2013 MAK: neue Schausammlung, ab 18.02. kunsthalle krems
lentos kunstmuseum
landesmuseum niederösterreich
ars electronica center linz
stift admont museum der moderne mönchsberg red bull hangar-7
kunsthaus graz grazer kunstverein
swarovski kristallwelten museum moderner kunst kärnten kunsthaus bregenz
museum gugging
sammlung essl
strabag kunstforum kunst haus wien Thyssen-Bornemisza Art Contemporary Augarten mak wien kunstraum niederösterreich sammlung verbund bank austria kunstforum museum of young art musa museum artothek westlicht schauplatz für fotografie kunsthistorisches museum
Künstlerhaus Wien Luca Faccio – Common Ground bis 23.02. 21er Haus Wien Noële Ody – Embrace the Shit bis 23.02. Museum der Moderne Mönchsberg Under Pressure bis 30.03. Galerie Rhomberg Innsbruck Andy Warhol POPism 27.01.–14.03. Eigensinnig Robert Rutoed – Right Time Right Place 28.01.–15.03. Kunsthaus Graz El Lissitzky – Ily und Emilia Kabakov. Utopie und Realität 07.02.–11.05. Kunsthistorisches Museum Wien Fabergé – Der Juwelier des Zaren ab 18.02. Museum der Moderne in Klagenfurt Edgar Knoop Retrospektive 13.03.–25.05. Mumok Herbert Foundation ab 19.02. Essl Museum Made in Austria 27.02.–24.08. Kunsthaus Wien Andreas H. Bitesnich 27.02.–09.06. Museum der Moderne in Salzburg Ana Mendieta ab 29.03. Ostlicht Wien Araki Teller Teller Araki 04.04.–24.05. Bank Austria Kunstforum Eyes Wide Open – Stanley Kubrick als Fotograf 08.05.–13.07. Wiener Festwochen 09.05.–15.06. Kunsthaus Bregenz Maria Eichhorn ab 10.05. Archäologiemuseum Graz Knochen-Code. Körper erzählen den Krieg 15.05.–31.10. MAK: neue Schausammlung ab Mitte Mai Kunsthalle Wien Isa Genzken – I Am The Only Female Fool 28.05.–07.09. Mumok Josef Dabernig – Rock the Void 05.06.–14.09. Mumok Flaka Haliti ab 05.06. Albertina Blow-Up 10.05.–24.08. Kunsthalle Wien Neue Wege nichts zu tun ab 27.06. Albertina Arnulf Rainer ab 03.09. Ars Electronica 05.09.–08.09. Steirischer Herbst 26.09.–19.10. Secession Utopian Pulse – Flares in the Darkroom ab Mitte September Kunsthalle Wien Blue Times 03.10.–11.01. Lentos Kunstmuseum Linz Oliver Ressler 03.10.–11.01. Kunsthaus Bregenz Hannah Weinberger 18.10.–11.01. Museum der Moderne Salzburg Hershman Leeson ab 15.11. Wiener Schottenstift Dialog im Dunkeln (laufend)
mumok kunsthalle wien albertina künstlerhaus wien secession 21er haus hilger next
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Left Boy »Permanent Midnight« — Einen Gang runter, um bei sich selbst anzukommen
Kontrolliertes Lernen 033 Left Boy plant jeden Schritt seiner Karriere seit Beginn ziemlich genau. Sein Wunsch-Album »Permanent Midnight« hat trotzdem länger gebraucht als erhofft. Doch das ist eigentlich eine ziemlich gute Sache.
Dress for the job you want Überhaupt die Interviews. Früh beschwerten sich die österreichischen Musikjournalisten über Left Boys Angewohnheit, Interviews abnehmen zu lassen und dabei sehr viel rauszustreichen. Das sind Dinge, die man US-Stars durchgehen lässt, aber keinem Wiener Rapper ohne nennenswerten Release. Doch wenn man sich länger mit Sarnitz unterhält, beginnt man den Masterplan dahinter zu sehen. Left Boy ist an seine Karriere und an seine Presse-Arbeit immer genauso herangegangen wie an seine Konzerte: Dress for the job you want, not for the job you have. Bei Left Boy ging es eben von Anfang an um mehr als die Musik. »Musik, Konzerte, Videos, Merch, Packaging vom Album. Es muss alles meinen Qualitätsvorstellungen entsprechen, nichts davon darf man vernachlässigen.« Der Aspekt Live-Show war es auch, bei dem die Lokomotive Left Boy das erste Mal innerlich stockte. Und zwar eine Woche vor seinem ersten Konzert im Wiener Wuk, als Sarnitz beinah an seinen eigenen Erwartungen zerbrach und kurz vorm Nervenzusammenbruch stand. »Ich dachte, das pack ich nicht, das kann ich nicht. Ich war angespannt wie noch nie. Letztlich war das eine unglaublich wichtige Erfahrung für mich. Ich habe lange gebraucht, mich da von dem Perfektionsdrang zu lösen.«
Lernen, die MPC wegzulassen Da ist es wieder, das Lernen. Man merkt schnell, dass die letzten Jahre für Sarnitz ein Reifeprozess waren. So etwas ist manchmal schmerzhaft, aber fruchtbar. Left Boy ist zum Beispiel ein besserer Produzent als vor zwei, drei Jahren. Weil er sich von manchem löste. Anfangs stapelten sich auf seinem Schreibtisch die MPCs und andere Outboard Gear-Geschichten. Weil es irgendwie dazu gehört und alle
HipHop-Produzenten das benutzen. »Also dachte ich, ich sollte mir das auch zulegen. Ich hab aber die Geduld dafür nicht. Ich kann meine Ideen am schnellsten am Computer umsetzen.« Letztlich ist Left Boy auch kein HipHopper und nimmt das sympathischerweise auch nicht für sich in Anspruch. »Ich versuch mich da gar nicht einzugrenzen, und auf dem Album sind auch viele Einflüsse aus Pop und Punk. Drum’n Bass, Electro, etc.« In unserem Interview damals vor zwei Jahren äußerte Left Boy noch die Befürchtung, Labels könnten mit der Vielseitigkeit hadern und eine Stromlinie einfordern. Ob sie es versucht haben, bleibt unklar. Zumindest hatten sie aber keinen Erfolg damit. »Permanent Midnight« ist tatsächlich ein ziemlich buntes Sammelsurium geworden, das vor allem durch Left Boys leicht nasalen Style und dem unbedingten Willen zur Party zusammengehalten wird. Allerdings hat das Album schon eine gewisse innere Ordnung: Anfangs eher basslastig, nach hinten raus (wo man auch die bekannten »Get It Right« und »Security Check« findet) dann poppig. »Die Tracklist ist relativ chronologisch aufgebaut und erzählt die Geschichte des Albums selbst. Anfangs ist es eher düster und geht dann später ins Helle hinein.« Deshalb finden sich auch – ziemlich ungewöhnlich für ein Album – die Singles eher am Ende. »Die Labels waren da ein bisschen vorsichtig, mir war die Anordnung der Tracks aber ziemlich wichtig.« Was auffällt: Left Boy greift – anders als früher – weniger auf die großen, bekannten Samples zurück. In »Security Check« hört man Lauren Wolfs »No Stress«, sonst sehr viel Abseitiges, viel 70er, viel 80er. Der Verdacht, dass das primär eine Frage der Rechte sein könnte, kommt da natürlich sofort auf, wird aber abgestritten. Naja.
Kontroll-Freak am Sprungturm Am Ende der halben Stunde kommt das Gespräch noch auf Wien und die Bedeutung der Stadt für Left Boy. »Selbstverständlich spielt Wien eine große Rolle in meinem Leben, hier hat alles angefangen. Aber mein Ziel war es nie, in Österreich erfolgreich zu sein. Ich hab’s immer international angelegt.« Anfangs gab Left Boy sogar seine Interviews nur auf Englisch. Left Boy ist ein Kontroll-Freak, der lange gebraucht hat, um Dinge auch aus der Hand geben zu können. Das geht soweit, dass »Permanent Midnight« auf seinem eigenen Label Made Jour erscheint. Bei der Frage, wie viel Plan denn hinter seiner Karriere steckt, zögert Sarnitz das erste Mal. »Ich versuche keine eiligen Entscheidungen zu treffen, sondern mit meinen Managern und Verbündeten die klügste Entscheidung zu treffen.« Eine diplomatische, durchdachte Antwort, in der vieles von dem steckt, was den Artist Left Boy ausmacht. Wenn man Glück hat, steht am Ende eines Lernprozesses der Erfolg. »Permanent Midnight« ist quasi Left Boys Prüfung am Ende des Semesters. Und er hat damals die Entscheidung getroffen, lieber nochmal eine Extrarunde zu drehen und den zweiten Prüfungstermin abzuwarten. »Mein Ziel war immer, das beste Album zu machen. Und zum jetzigen Zeitpunkt ist es das Beste, wozu ich in der Lage bin.« Wir hatten damals wohl unrecht. Man muss sich nicht entscheiden, ob man vom Fünf- oder Zehn-Meter-Brett springt. Man kann auch erstmal einen Schritt zurück machen und das Springen lernen. »Permanent Midnight« von Left Boy erscheint am 14. Februar.
Text Jonas Vogt Bild laura karasinski
Vor knapp zwei Jahren trafen wir einen jungen Mann zum Interview, der sich zu dem Zeitpunkt entscheiden musste, »ob er vom Fünf- oder Zehn-Meter-Brett springen will.« Der junge Mann hatte zu dem Zeitpunkt einige Gratis-Tracks, ein ausverkauftes DebütKonzert im Wiener Wuk, eine Menge Internet-Buzz und eine glorreiche Zukunft in petto. Die Veröffentlichung seines Albums im Jahr 2012 schätzte er als realistisch ein. Im Dezember 2013 sitzen wir Ferdinand Sarnitz aka Left Boy wieder gegenüber. Erschienen ist das Album immer noch nicht. Aber bald. Was ist passiert? »Wenn ich ehrlich bin, hab ich keine Ahnung gehabt, wie aufwendig das ist. Wieviel Zeit ich brauche, bis ich damit glücklich bin.« Vier Jahre hat sich Left Boy insgesamt Zeit gelassen für sein Debüt »Permanent Midnight«. Neue Tracks dazu, alte raus. Nicht, weil sie schlecht waren, sondern weil sie nicht mehr ins Konzept gepasst haben. In den vier Jahren ist er viel herumgekommen, hat in L.A. gelebt, in Wien und in New York. »Amerika war sehr wichtig. Erst die Distanz zu meiner Familie und meinen Freunden hat mir die Möglichkeit gegeben, mich total auf die Musik zu konzentrieren.« Sarnitz verneint die Frage, ob New York eine Flucht war, um den nervigen Fragen nach seinem Vater André Heller zu entgehen; den hämischen, sehr österreichischen Kommentaren; dem ständigen Verdacht, er sei einfach nur ein gelangweiltes Rich Kid, das sich jetzt eine Karriere kaufe. »Die Familie war für mich früher eigentlich nie Stigma, nicht einmal ein Thema«, erinnert sich Sarnitz. »Erst als ich erfolgreich wurde und angefangen habe, in Österreich Interviews zu geben, war das auf einmal total präsent.«
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Zadie Smith – London NW—Roman über das Leben im Nordwesten Londons
Gute Geschichten, schlechte Gegend
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Text teresa Reiter illustration Annemarie Sauerbier
Zadie Smith stammt aus Nordwest-London oder kurz NW. Ihr neuer Roman »London NW« ist eine Hommage an das Stadtviertel. Gute Geschichten über eine schlechte Gegend. Die meisten Geschäfte haben die Rollläden geschlossen. Gitter, verfallene Zäune und halbherzige Graffitis zieren beide Seiten der High Street in Willesden, Nordwest London. Genau hier spielt Zadie Smiths neuer Roman. Geht man in die eine Richtung, gelangt man in eine beinahe hübsche Wohngegend. Hier leben die besseren Leute, die sich Notting Hill nicht leisten können. Geht man in die andere Richtung und biegt in die Church Road ein, so kann man offenen Drogenhandel und gelegentlich Gewaltverbrechen beobachten. Von hier sein bedeutet von nirgendwo sein. Der Roman tut dabei erst so, als wäre er eines von diesen Büchern, in denen besonders originelle Charaktere durch eine Banalität miteinander verbunden sind, doch dann ist es umgekehrt. Es sind die Figuren, die gewöhnlich sind. Da ist Nathan, der Junkie, der nach der Schule irgendwie abgerutscht ist und Felix, der nette Junge von nebenan, der das Dealerleben hinter sich lassen will und nun Mechaniker ist. Und dann ist da auch noch Leah, für die Willesden die Heimat ist, aus der sie nicht wegziehen will, egal ob Kriminalität und Hoffnungslosigkeit sich vor ihrer Haustüre bauschen. Die Junkies hier tricksen sie aus, wo es nur geht, und dennoch meint man sie denken zu hören: »Wir stecken da zusammen drin. Ihr und ich, die wir alle von hier sind.«
Was man wollen soll Ihre beste Freundin Keisha, die sich nun Natalie nennt, sieht die Dinge anders. Sie ist Anwältin geworden, hat es geschafft, aus Willesden herauszukommen. Der soziale Aufstieg hat sie empfindlich gemacht, wenn es um ihre windige Herkunft geht und wenn sie zurückblickt,
hat sie nur Unverständnis übrig, für Menschen, die es ihr nicht gleich tun wollen. Die Freundinnen driften auseinander, in zwei Welten, die sich eigentlich nichts mehr zu sagen haben. Leahs Zuhause ist nun ein London, in dem es die täglichen Messerstechereien nicht einmal mehr in die Schlagzeilen schaffen und immer sind Täter und das Opfer namenlose junge Männer, die gerade auf dem Weg irgendwohin waren, als ihr Leben dadurch unterbrochen wird, dass der eine dem anderen ein Messer zwischen die Rippen jagt. Muss man wollen, dass sich das verändert? Leah will helfen. Natalie will nur weg von alledem. Was man wollen soll, ist die zentrale Frage in »London NW«.
Kennen wir uns? Zadie Smith schreibt über die Leben, bei denen keiner Regie führt. Sie haben keine Ordnung, keinen guten Anfang und nicht immer ein sinnvolles Ende. Mit verschiedenen Erzählformen verstärkt sie die Unterschiede zwischen den Figuren. Leahs Leben ist ein einziger Gedankenstrom, der mühsam zu bewältigen und nicht wenig verwirrend ist. Natalies Leben ist eine Liste, chronologisch, nummeriert und organisiert. Von ein paar anderen Leuten in der Geschichte weiß man nur, weil ständig über sie geredet wird. Und obwohl den ganzen Roman über eigentlich nichts passiert, lässt das Buch einen leicht wehmütig zurück. Als hätte man die Menschen gekannt, von denen man gelesen hat und als wären sie nun fort. Dabei müsste man wahrscheinlich nur bis zur nächsten Straßenecke gehen, um sie alle wiederzutreffen. »London NW« von Zadie Smith ist soeben via Kiepenheuer & Witsch erschienen.
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DIESE SEITE IST TEIL EINER ENTGELTLICHEN KOOPERATION MIT DEPARTURE.
departure focus New Sales
Die richtige Zielgruppe finden, den richtigen Vertrieb und das richtige Verkaufskonzept –und all das von der ersten Sekunde eines Projekts an mitdenken, damit guten Kreativideen nicht auf den letzten Metern die Luft ausgeht. Der Call »focus New Sales« fördert Kreative, die genau dafür überzeugende Konzepte bieten. departure hat soeben die neuartigen Sales-Vorhaben von acht Wiener Kreativunternehmen mit einer Million Euro gefördert. Nähere Informationen unter departure.at
departure – focus New Sales — Supersense – Analoge Delikatessen für alle Sinne
Shopping x Erlebnis Supersense ist im weitesten Sinne ein Bobo-Feinkostladen, ist aber auch Treffpunkt, Werkstatt, ist Fühlen, Riechen, Sehen und Schmecken, ist bewusst einkaufen. Florian Kaps verkauft Geschichten. Das hat auch departure, die Kreativagentur der Stadt Wien, überzeugt, das einzigartige Konzept des Shops zu fördern.
Analog ist besser Drei Gehminuten südlich des Pratersterns findet man Supersense in dem nach venezianischem Vorbild erbauten Dogenhof. Ob visuell, auditiv, akustisch, olfaktorisch, taktil, haptisch oder gustatorisch, Supersene bietet ausgefallene Spezialitäten für jeden Aspekt der Sinneswahrnehmung. Bei Supersense wird man von Umami-Salz über Geruchstagebücher und Wunderbeeren (kehren den Geschmackssinn um) auch Digitales analogisieren und in Vinylform konvertieren oder seine Smartphone-Fotos auf Polaroid pressen lassen können, alles vor Ort und von heimischen Experten. Einkaufen zum Anfassen und Erleben. Während uns Kaps im Geiste durch die einzelnen Sinnesstationen führt, erklärt er das Konzept von Supersense: »Leute wollen erleben, wollen sehen, wie Produkte hergestellt werden. Ob dies Fotodruck, Instrumentenherstellung, Kalligraphie oder Schallplattenprägung ist, Supersense bedeutet Handwerk. Hier wird vor Ort produziert werden und das können und wollen Kunden sehen. Kunde, das stamme nämlich von Vertrauter, wie er uns erklärt. Kaps ist überzeugt von der Idee der Kundenbeziehung als Antithese zur unpersönlichen, digitalen Moderne. »Produkte wandern von einer Hand zur anderen im Austausch.
Das ist es (Handel), was es immer war. Digitales ist Trend, nicht Retro.« Online wird man die Produkte trotzdem erstehen können, jedoch nur zu Ladenöffnungszeiten.
Storytelling Kaps will eine Bühne für Handwerk schaffen, Supersense soll jedoch keineswegs ein Kunstprojekt werden und er ist überzeugt vom kommerziellen Potenzial. Sein Geheimnis ist das Geschichtenerzählen, welches in Marketing-Kreisen längst nichts Geheimes mehr ist, sondern täglich Brot. Geschichten vermitteln Faszination und genau jene will Kaps anziehen: Genussmenschen, die sich Zeit nehmen, um zu erfahren und zu erleben. Klingt irgendwie nach Bobo und ist somit im Grätzel Karmelitermarkt / Prater bestens aufgehoben. Preislich teilen sich die Produkte in drei Segmente, vom alltäglichen Mitbringsel zu ausgesuchter Ware (z.B. Polaroid-Kameras) und Spezialanfertigungen (Instrumente) soll jeder etwas finden können. Zweifel über Klientel hat der ausgebildete Biologe überhaupt keine, mit seiner Firma Impossible hat er Polaroid vor dem Verschwinden in der Versenkung bewahrt und mit Filialen in New York, London und Tokyo bewiesen, dass er das richtige Gespür hat. Ob er Vorreiter ist? Nein, er ist vielleicht »ein Wahnsinniger«, aber das Bedürfnis nach Analogem bestehe schon lange und mit der richtigen Präsentation könne man alles verkaufen und den Kunden glücklich machen. Und darum gehts doch: ums Glücklichmachen. Supersense erhielt im Jänner von departure eine Förderzusage im Rahmen des Calls »focus New Sales« für die Planung und den Aufbau einer neuartigen Verkaufsplattform und eröffnet im Frühjahr 2014. www.supersense.com
Text Stefan Schallert Bild supersense
lorian Kaps könnte die Lettern »A-N-A-L-O-G« auf die Stirn tätowiert haben, es würde dem Stellenwert, den sie für ihn haben, immer noch nicht gerecht werden. Mit Supersense setzt er dem Begriff nun ein Denkmal. Analog, das ist wahrnehmen, erleben, spüren. Analog ist echt, ist real, ist sinnlich. »Der Mensch ist am Ende des Tages analog«, erklärt uns der Unternehmer Kaps, umgeben von Schutt und Baumaterial im Dogenhof im zweiten Bezirk, wo bald sein »Delikatessengeschäft der Sinne« eröffnet wird.
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We Found Love In A Hopeless Place
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Dating Apps — Plattformen für Liebe und Triebe
Online »nur zum Schauen«, für einen One-Night-Stand oder die große Liebe: Internet-Dating ist so vielschichtig wie seine Nutzer. Von Selbsterkenntnis und -inszenierung über Algorithmen zur Romantik im Netz.
To the left, to the left ...
Oberflächlichkeit, kompakte Selbstinszenierung Was zuerst recht oberflächlich daherkommt, erweist sich bei näherem Hinsehen als sehr gutes, weil reduziertes Set für die Partnersuche: Leute aus der Gegend, Alter, Interessensüberschneidungen, Freunde und vor allem gegenseitige Attraktion sind zwar wenige, aber sicherlich relevante Pfeiler einer zwischenmenschlichen Beziehung. Ob ein verpatztes Date, ein One-Night-Stand oder doch die große Liebe, liegt nicht mehr im Aufgabenbereich der App, sondern in dem der Spieler. Denn Tinder ist natürlich ein Spiel. Der ideale Zeitvertreib im Bus, oder wenn’s am Klo mal länger dauert. Es kombiniert gebieterisches »Du bist mir nicht gut genug«-Gehabe mit der Aufgabe, sich selbst auf die Essenz herunterzubrechen: ein paar gute, effektive Fotos und eine kurze Beschreibung müssen reichen. Selbstinszenierung kompakt.
Tinder ist wie »Tatort« Online-Dating zwingt die User zumindest minimal zu reflektieren, was sie über sich selbst denken und was sie von anderen wollen. Ideal für Menschen, die wenig Berührungsängste mit dem Internet haben und es nicht wie früher als letzten verzweifelten Schritt, sondern eine gleichwertige Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen, sehen. Schnuppern, Zeitvertreib, Cruisen oder nur ein Hobby – Die Verwendungsmöglichkeiten sind so unterschiedlich wie die Nutzer. So gibt es dort auch Menschen, die sich von Fotos mit Objekten weitaus mehr angesprochen fühlen, als vom klassischen Bikini-Selfie: »Man schaut auch jeden ›Tatort‹, obwohl die meisten schlecht sind. Aber irgendwann ist einer dann doch gut und stell dir vor das passiert auf Tinder. Im Nachhinein kann man dann behaupten, man sei ja gar nicht oberflächlich, weil man nicht mal wusste, wie er/sie/was auch immer aussieht. Dann fühlt man sich gleich viel besser, denn man ist ja konsumkritisch, wählt alternativ und legt Wert auf den Charakter«, so ein bekennender User. So ähnlich wie Tinder funktionieren auch Grindr und Blendr (für homo- und bisexuelle Männer), außer, dass der Liebespfeil eher ins Hosi- als ins Herzilein zielt. Ein Merksatz drängt sich bei Grindr und Blendr auf: »Ohne ›e‹ im Namen, geht es um den Samen.« Hat natürlich auch seine Berechtigung.
Die Kontaktanzeigen der digitalen Welt All diese Services sind nichts grundsätzlich Neues. Sie sind die Kontaktanzeigen der digitalen Welt, nun eben viel schneller, unkomplizierter und – besonders wichtig – mobil. Sowohl Interessensvergleich wie auch Date-Roulette oder »Hot or Not« wurden für Smartphones zwar nicht neu erfunden, sind dort aber einfach zu handhaben und ständig abrufbar. Kaum ein Sektor boomt derzeit so und erfreut sich rasant steigender Userzahlen. Dass Online-Dating längst kein peinliches Nischenphänomen mehr ist, zeigen zahlreiche TV-Werbungen für die verschiedenen Kuppler. Die teuren Fernseheinschaltungen können sie sich nicht zuletzt deshalb leisten, weil sie dank bezahlter Zusatzfunktionen, die die Services erst richtig attraktiv und zielsicher machen, gutes Geld verdienen. Tinder ist insofern eine Ausnahme, als es dort im Unterschied zu anderen Plattformen weder Werbung noch bezahlbare Zusatzfunktionen gibt. Es gehört so wie Ok Cupid, Match.com, Meetic, Vimeo oder About.com zum Internetriesen IAC und muss offenbar erst einmal kein Geld verdienen. Userbindung wird sich auch auszahlen.
Irreplaceable Mingles? Dating Apps unterstützen mit ihrem schier unendlich wirkenden Quell potenzieller Partner auch das Mingle-Mindset. Trendforscher (wer sonst?) haben sich nämlich mal wieder eine Bezeichnung für Menschen, die sich nicht fixieren wollen, schnell bereit sind, den Partner zu wechseln oder gleich mehrspurig zu fahren, ausgedacht: Mingles, eben. Die Neuschöpfung ist eine Mischung der beiden Worte mixed und singles und spielt auch mit der Bedeutung vom englischen to mingle – »sich unter Leute mischen«. Außerdem reimt sich Mingle auf Schlingel. Menschen legen sich nicht mehr fest, aus Sorge etwas Besseres zu verpassen, wollen andere und sich nicht in Beziehungen einengen lassen. Und manchmal passiert es dann eben doch wie in einem Rhianna-Song: »We Found Love in a Hopeless Place«.
Dich kauf ich mir Auch wenn Online-Dating mittlerweile nicht mehr das Stigma des allerletzten Auswegs anhaftet, stehen der Sache immer noch viele Leute kritisch gegenüber: Zu unpersönlich, zu oberflächlich, zu mühsam und vor allem: nicht das »echte« Leben. So wie Facebook halt. Wir verbringen nun mal immer mehr Zeit im Internet. Warum also nicht dort, wo man ohnehin ist, jemanden kennenlernen. Das größere Problem ist die Angst, dass Menschen durch Online-Dating zu Konsumgütern verkommen. Dass die Nachricht an eine attraktive Person ein emotionsloser Vorgang gleich dem Kauf einer attraktiven Hose wird. Das sind berechtigte Zweifel, und noch ist nicht abschätzbar, wie Dating Apps das Beziehungsverhalten der Zukunft prägen werden. Doch eröffnet das Dating im Netz auch neue Möglichkeiten: Eine Bekannte, nennen wir sie Sophie, schickte einmal einem Chatpartner ein Foto von sich beim Handstand, weil er ein Lied gut fand, in dem das Wort »Handstand« vorkam. In einem persönlichen Gespräch hätte sie jedenfalls nicht angefangen zu turnen. »Ich finde, das Internet kann sehr romantisch sein«, sagt sie. Einen guten Überblick über Dating-Sites bietet der Wikipedia-Artikel »Comparison of online dating websites«.
Text amira ben saoud Bild thomas wieflingseder
Wenn man in kleinen italienischen Orten nach dem Weg fragt, wird man angeblich immer nach rechts geschickt. Dass die Worte rechts und richtig sprachgeschichtlich zusammenhängen, sieht man zum Beispiel am englischen Adjektiv right, das beide Bedeutungen trägt. Links ist die schlechte Seite. Das lässt sich auch an Beyoncé-Lyrics verdeutlichen: In »Irreplaceable« schafft Queen B ihrem Lover an, sein Hab und Gut in die box to the left zu räumen, bevor sie ihn rausschmeißt. Tinder, eine Dating App, funktioniert auch nach diesem bewährten System. Die Fotos von den Richtigen kommen wie erwartet nach rechts, wer nicht gefällt, wird nach links geswipt und taucht auch nie wieder auf. Mancherorts hat sich dafür bereits die Bezeichnung »jmd. righten / leften« etabliert. Die gelinkte Person wird das nie direkt erfahren. Tinder fokussiert auf das Positive, chatten geht nur, wenn es beide wollen. Man kann also keinen Kontakt zu Leuten aufnehmen, die nicht an einem interessiert sind, und umgekehrt. Damit es nicht nur ums Äußere geht, werden – wegen der verpflichtenden FacebookVerknüpfung – außerdem gemeinsame Interessen und Freunde angezeigt. Dazu stellt man noch Altersvorlieben, Geschlecht und – über die freiwillige mobile Ortung – die gewünschte Distanz ein und fertig.
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»Nea Machina« der Brüder Poschauko — Grafik, Haptik und Rolle des Rechners
Grafiker in Freilandhaltung 038
Text Peter Stuiber Bild Verlag Hermann Schmidt Mainz
Weniger Computer, mehr Experiment: Mit dem Projekt »Nea Machina« haben die Grafiker Thomas und Martin Poschauko Aufmerksamkeit erregt. Anlässlich einer Neuedition ihres Buches wollten wir wissen, was heimische Gestalter von mehr »Handarbeit« halten. Au bei Bad Aibling galt bis vor einigen Jahren nicht gerade als ein Zentrum der internationalen Kreativszene. Doch ausgerechnet in dem kleinen Nest in Oberbayern sitzen Thomas und Martin Poschauko, umtriebige Zwillinge, deren Lust am Andersdenken und -machen weite Wellen geschlagen hat. Die beiden Kommunikationsdesigner schlossen vor einigen Jahren ihr Studium mit dem Diplomprojekt »Nea Machina« ab. Sie hatten sich die Aufgabe gestellt, innerhalb von vier Monaten so viele verschiedene formale Varianten wie möglich zu erschaffen – und zwar mit minimalem »Ausgangsmaterial«: einem Porträt und dem Titel »Nea Machina«. Es entstanden über 1.000 Entwürfe, die unzählige Spielarten von Grafikdesign lustvoll durchexerzierten und anschließend in einem Buch publiziert wurden. Nun ist im Verlag Hermann Schmidt die »Next Edition« dieses Kreativergusses erschienen, und es ist kein Zufall, dass auf der Rückseite Stefan Sagmeister mit einer Lobeshymne auf die Bayern zitiert wird (»Nea Machina ist ein wunderbares Ding. Nach meiner ersten Begegnung mit der Arbeit von Thomas und Martin Poschauko überkam mich eine unglaubliche Lust, ins Studio zu gehen und zu arbeiten.«) Denn Sagmeister war es, der vor mehr als 20 Jahren mit seinen Einritzungen in die eigene Haut gegen allzu oberflächlichen und blutleeren »Stil« im Grafikdesign polemisierte. Legendär seine Message: »Style = Fart« (Furz). Und nun also die Poschaukos. Ihr Buch ist viel zu überbordend, als dass man es in ein paar Sätzen zusammenfassen könnte, man muss
es tatsächlich gesehen haben. Wenn es eine Grundthese gibt, dann diese: Im heutigen Grafikdesign wird zu viel gedacht und zu wenig gemacht. Kreative verbringen zehn Stunden vor dem Computer, benutzen alle dieselben Programme, kommen dadurch oft zu absehbaren Ergebnissen. Die Brüder verstehen sich jedoch nicht als Maschinenstürmer: Man solle selbstverständlich alle Möglichkeiten des Computers nützen, aber sich nicht von seiner Ästhetik dominieren lassen. In ihrer Arbeit perfektionieren die Poschaukos die Kombination aus Digitalem und Analogem. Sie basteln, fotografieren das Ergebnis, scannen es ein, bearbeiten es am Computer, drucken das Ergebnis aus und gehen nochmal mit der Hand drüber. Wenn sie eine kreative Blockade haben, verlassen sie den Computer und beginnen zu werken. »Inspirierte Ausflüge aus der Arbeitswelt« nennen sie das, bei denen sie bewusst Zufälliges, Fehlerhaftes, Dilettantisches zulassen, ja dieses sogar provozieren. Jeder übernimmt einen Part: Während der eine »denkt«, probiert der andere handwerklich eine weitere Variante aus, oft mithilfe der »sinnlosen Bibliothek«, einer wilden Materialsammlung, zusammengesammelt auf Flohmärkten. Da werden Nagelbilder gehämmert oder Harfen gebastelt, Plastikplanen beim Nachbarbauern fotografiert und dann digital in Eisberge verwandelt. Man solle sich ruhig »blöd vorkommen« beim Arbeiten, so die Poschaukos, Hauptsache, »man macht«. Als Grafiker und Künstler in »Freilandhaltung« sehen sie sich selbst. Dass ihre Tools für mehr Kreativität den Nerv der Zeit getroffen haben, beweist ihr Erfolg. Das Duo wird mit Vortragsund Workshop-Einladungen überhäuft. Selbstverständlich sind die
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beiden nicht die einzigen, die das Handwerkliche wieder zu schätzen gelernt haben: Unzählige exzellente Grafikarbeiten der vergangenen Jahre leben davon.
Den Rechner auch mal ruhen lassen Bei vielen heimischen Büros ist das Handwerkliche und das Arbeiten mit »lebensechten« Materialien auch Teil des Arbeitsalltags. »Ich habe mein Studium noch komplett ohne Mac bestritten und auch bei meinen ersten beiden Jobs ohne Computer gearbeitet«, so der Grafiker Josef Perndl von Perndl + Co. »Das könnte der Grund sein, warum bis heute Handwerkliches eher selbstverständlich immer wieder einfließt. Andererseits verhindert diese Selbstverständlichkeit einen allzu romantisierenden Blick auf das Thema.« Ähnlich äußert sich Erwin Bauer, der ebenfalls ein führendes heimisches Grafikbüro betreibt: »Ich bringe (visuelle) Gedanken zu Papier – das ist unverzichtbar, oft wird eine Skizze auch direkt weiterverarbeitet und fließt in den Entwurf ein. In der Ausarbeitung bringt das Handwerkliche eine lebendige, persönliche Qualität ein, von der Handschrift oder Kalligrafie über Illustration bis zur analogen Fotografie.« Und die jüngere Generation? Christof Nardin, einer der interessantesten Newcomer der vergangenen Jahre, kommentiert den Ansatz der Poschaukos so: »Ich verbinde das Wort ›Handwerk‹ mit technischem Wissen, der Fertigkeit mit Material umgehen zu können, präzisem Arbeiten. Für mich ist das nicht Computer oder Säge, sondern Computer und Säge.« Die Gefahr, wonach die Arbeit mit den gleichen Grafikprogrammen ähnliche Resultate generieren könnte, sieht er nicht: »Die Hebel, Schalter und Rädchen in den Grafikprogrammen ermöglichen es, zu sehr unterschiedlichen Lösungen zu kommen. Die Frage vor jeder neuen Aufgabe sollte eher lauten: Wie viel Analog und wie viel Digital benötigen wir, um die Aussage zu treffen, die wir treffen wollen?« Erwin Bauer ist ebenfalls kein Computerskeptiker: »Sich Werkzeuge digital selbst zu bauen und passende neue Tools – wie etwa beim Processing – zu programmieren, ist eine Methode, der Abhängigkeit von standardisierten Tools zu entgehen. Allerdings zeigt sich auch, dass Gestalterinnen und Gestalter, die Tools bewusst einsetzen, immer wieder vollkommen überraschende Ergebnisse mit Standardtools generieren.«
Das Auratische von Grafiken Das regelmäßige Wechseln vom Digitalen ins Analoge und zurück praktizieren die Gestalter jeder auf seine Weise, auch im stressigen Arbeitsalltag. Dass Digitales effizienter sei, könne er nicht bestätigen, so Josef Perndl: »Oft kommt man mit handwerklichen Techniken sogar schneller zu einer guten Lösung, und nach meiner Erfahrung freuen sich auch viele Auftraggeber über handwerklich Gestaltetes.« Christof Nardin spricht sich zwar definitiv für Auszeiten vom Computer aus, »aber ob ich die mit Basteln, Yoga, Kochen oder in einem Lesekreis verbringe, ist sicherlich eine sehr persönliche Sache«. Für Erwin Bauer ist der reflexive Umgang mit den Mitteln das Entscheidende. »Gestaltung am Computer birgt die Gefahr, dass eine rasch gesetzte Textzeile bereits fertig gestaltet wirkt – ohne dass die ästhetische Qualität überprüft wurde. Allerdings lässt sich auch nur am Computer großartige Gestaltung machen. Das spür- und sichtbare Ungenaue, das Persönliche im Duktus, Strich, oder Modellieren ist wiederum analog einfacher und intuitiver zu erzeugen, gute Gestaltung braucht diese individuelle Abweichung.« Das beweist auch eine Anekdote aus dem Büro Perndl + Co.: Büropartnerin Regula Widmer hatte für einen Auftraggeber zu einem gesellschaftspolitischen Thema alle Diagramme und Infografiken mit Bleistift gezeichnet, um ihnen das distanziert Kühle zu nehmen. Der Kunde war von den Layouts beeindruckt und wollte wissen, mit welcher Software es denn gemacht worden war. Egal ob man die Herkunft sieht oder nicht: Handwerkliches spielt zurzeit in der Grafik eine wichtige Rolle. Ein kurzfristiger Hype oder eine bleibende Konstante? »Ich glaube, dass diese Sehnsucht Teil eines umfassenden Retro-Trends ist, der möglicherweise im Gefolge der Krise viele Gesellschaftsbereiche umfasst«, so Josef Perndl. »Insofern lässt das wieder nach, wenn wir uns alle beruhigt haben und wieder optimistischer nach vorne schauen. Langfristig würde ich mir wünschen, dass die Rechnertechnologie sich so verändert, dass die Diskrepanz zum Handwerk, zum Haptischen, Körperlichen geringer wird.« Das Buch »Nea Machina. Die Kreativmaschine« ist im Verlag Hermann Schmidt Mainz erschienen. Weitere Infos zum Projekt unter www.neamachina.com 039
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Lyrik / Prosa Literaturpreis »Ohrenschmaus«
der literaturpreis »ohrenschmaus« prämiert texte von menschen mit lernbehinderung. hier eine kleine zusammenstellung der besten einsendungen des wettbewerbs.
»ich tanz zum lied von der shakira waka waka«
ich denke
Wolkenblasen
Von Julian Messner (Siegertext)
Von Alfred Lanner (Siegertext)
Kochen mit 3 Haubenkoch Peter G. — Blunzn, Stosuppn Von Peter Gstöttmaier
ich denke mir so wie ich bin so und nicht anders soll ich sein und so hätte ich mich auch selbst gemacht ich habe augen nase mund und ein schönes gesicht habe eine brille zum sehen und hände zum streicheln und beine zum gehen habe ohren zum hören einen hals zum recken und hüften zum kreisen mein körper ist ganz aufrecht habe zähne zum beißen eine zunge zum schlecken und schmecken und rote lippen zum küssen ein herz um zu lieben eine lunge zum atmen einen kopf zum denken und zum entscheiden das alles brauche ich nur EINS hätte ich anders gemacht ich hätte mir ganz bestimmt nicht das down syndrom verpasst ich will nicht behindert sein
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Ich schob bei einem dunklen garstigen Wetter ein Wolkenblasgerät den weiten Hügel hinauf. Mein guter Feund half mir ein wenig, dann schob er mich an und wir waren droben! Wir zogen es mit einer Schnur hinauf! Ich setzte mich hinein und er zeigte mir noch, wie man eine dunkle Wolke wegbläst! Ein Hebel vorwärts, einen zurück, den Knopf drücken! Es schaut aus wie eine riesengroße Trompete in der Mitte! Man muss sie nur steuern, suchen und aktivieren! Jetzt ging mein Freund ins Büro zurück, und ich war allein. Ganz allein! Als ich viele Wolken wegblies, war es wieder wunderbar hell und klar! Viele Stunden vergingen. Als ich ins Büro zurückging war mein Freund sehr aufgeregt, er konnte nicht darüber sprechen. Als ich ihn beruhigte, ging plötzlich die Tür auf und zwei schwarz gekleidete Männer nahmen ihn in einem dunklen Oldtimer mit! Ich war entsetzt! Ich rannte auf den Hügel, setzte mich in die Maschine, und versuchte dunkle Wolken anzulocken! Man sah, wie sie schnell vergingen, die schönen blauen Wolken. Es wurde dunkel, es regnete als die Männer mit meinem Freund unter dem Hügel plötzlich vorbeifuhren, ließ ich es ein paar mal so stark blitzen, dass die Männer entschieden, wieder umzukehren! Bald waren sie im Büro und ich hatte wieder meinen Freund! Er wäre sonst erschossen worden wegen Schulden! Ich habe ihn gerettet. Die Männer hauten ab. Aber was wäre, wenn man immer alleine wäre? Man finge zu weinen an vor lauter Einsamkeit!
Blunzn Hoaßs Wossa mocha ollas zomschneidn Haxenfleisch, Goda Niandl konnst a nehma Beuschl und ollas konnst einischneiden Bluat dazua schüttn Solzn, pfeffan Majoran Umrührn KOSTEN Darm obindn Trichter nehma Einfülln Blunzn ins Wossa einitoan Siadn lossn Blunzn onstecha Schaun ob Bluat ausarinnt Ist fertig Ofa net vüll nochlegen Sunst zreißt Blunzn Blunzn schmeckt guat Stosuppn Wossa siadn Solz einihaun Rahm einihaun Kümmel einihaun Löffi Mehl einihaun Sprudla umrühn Fertig
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Warum erwachsen werden viel verändert Von Christian Aigner
Die Weihnachtsfeier
UM ZU MEINEM ICH ZU KOMMEN BIN ICH SCHÖNE HARTE WEGE GEGANGEN. ZUERST WAR DIE VERZWEIFELTE ZEIT MIT VIELEN ÄNGSTEN UND TRÄNEN, SOGAR ÄRZTE MUSSTEN HELFEN. ABER ALLE HABEN MIR GEHOLFEN, VOR ALLEM MEINE MUTTER UND DIE FREUNDE VON MIR. SO GUT, DAS ICH NACHHER STÄRKER WAR ALS VORHER.
Von Jessica Rosenfeld ICH FREUE MICH SCHON AUF MEINEN AUFTRITT UM 9 UHR HAB ICH PROBE UM HALB 10 AB JETZT WIERD NICHT MEHR GESPROCHEN UM 10 UHR DER KOPF IST LEER UM 11 UHR JETZT IST MEIN AUFTRITT ICH TANZ ZUM LIED VON DER SHAKIRA WAKA WAKA ICH BIN VOLLER ZUVEHRSICHT DAS ICH MEINEN AUFTRITT SCHAFE BEVOR MEIN AUFTRITT BEGINT ZÄHLE ICH IMMER DIE SEKUNDEN RUNTER NOCH 10
DANN WUSSTE ICH, DASS NICHT-REDEN NICHT WICHTIG IST, WEIL ES JA NICHT SAGT, DASS ICH NICHTS WEISS, SONDERN DASS ICH ES ANDERS AUSDRÜCKE ALS »REDHÄUSER«. ALSO BIN ICH ZUM GRUPPENSPRECHER IN MEINER ARBEIT GEWORDEN. UND DAS MACH ICH GUT, SAGEN MIR MEINE KOLLEGEN. AUCH IN DER ARBEIT AUF UNSEREM PFERDEHOF HAB ICH MEINEN PLATZ EINGENOMMEN OHNE ZU VERWEIGERN. GAR NICHT ERFREUT BIN ICH, DASS ICH KEINE HILFE ERFAHRE WEGEN MEINEN MOTORROLLER. ICH KANN FAHREN DARF ABER NICHT !!! DAS IST DOCH BLÖD!!!!!!!!
NOCH 9 NOCH 8 NOCH 7
Ad Ohrenschmaus Seit 2007 gibt es den Literatur-Förderpreis »Ohrenschmaus«, der literarische Werke von Menschen mit Lernbehinderung prämiert und ihnen einen Zugang zur Literatur ermöglicht. Die Texte – rund 150 Autoren machten mit – geben einen tiefen Einblick in die Lebenswelt und das Denken intellektuell behinderter Menschen. Das berührt und ist von einer unmittelbaren Wucht, die mitnimmt. Die besten Texte wurden von einer Jury unter der Schirmherrschaft von Felix Mitterer prämiert. Mehr Lyrik findet man unter: www.ohrenschmaus.net
SO FREUT MICH MEIN LEBEN UND MIR FEHLT EIGENDLICH NUR EINE GUTE PARTNERIN, ABER AUCH SIE MÜSSTE ES SCHON GEBEN UND VIELLEICHT SCHREIB ICH NÄCHTES JAHR SCHON ZU ZWEIT ☺
NOCH 6 NOCH 5
Mein Herzenswunsch Von Manuela Gruber
NOCH 4 NOCH 3 NOCH 2 NOCH 1 NOCH 0 MEIN AUTFIT IST GUT AUSGESUCHT MEIN AUFTRITT KANN BEGINEN ICH WERDE ALLES RICHTIG MACHEN SO EINEN HÜFTSCHWUNG WIE DIE SHAKIRA KANN ICH DOCH SCHON LENGST FÜR EINEN KURTZEN MOMENT WIE DIE SHAKIRA ZU SEIN FREUT MICH JETZT SCHON ICH WEIS NUR EINS DIESER AUFTRITT WIERD NICHT LEICHT SEIN FÜR MICH.
NEUE LEUTE SIND SUPER WEIL SIE SCHWUNG REIN BRINGEN IN DIE WOHNGEMEINSCHAFT SCHWUNG IST MEIN HERZENSWUNSCH SCHWUNG IN MIR WIE EINE FRÜHLINGSSCHAUKEL SCHWUNG IST MEIN WUNSCH UND MEIN LEBEN Besondere Freundschaften (beim Catchen) Von Katrin Pilgerstorfer Lexus kämpft gut ist recht freundlich schickt seine Frau einkaufen Umarmung Michael gewinnt manchmal lacht oft gerne macht Fratzen zu mir Sehnsucht Schiedsrichter erklärt viel regelt den Kampf streng gefällt mir gut Höflichkeit.
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AB HIER: REZENS ONEN
141 Karate Andi Pilsator Platin (Macheete)
Wie ein verlebter Stieber Twin Kreuzberger Nächte sind lang. Zwischen Sauftour und Gejohle hat Karate Andi dort gleich mehrmals Rapbattles gewonnen. Nun veredelt einer der großen deutschen Produzenten seine Reime und Bühnen-Talent Eigentlich bezeichnet sich Karate Andi viel lieber als Schriftsteller. Der literarische Stil von Henry Miller und Charles Bukowski ist es, der dabei sein Debütalbum ganz gut charakterisiert. Genau dieselbe Überspitzung, die dennoch authentisch klingt, macht das Album so brisant und stark. Keine althergebrachten Punchlines, vielmehr spielt er mit den eigenen Abstürzen und kleinen Höhepunkten. Karate Andi steht für ein Sinnbild der Jugend, für unreife Persönlichkeiten, die das letzte Geld für billiges Bier ausgeben, sich mit der BVG-Beamtin wegen Schwarzfahren anlegen und trotzdem als Kneipenlegende gelten. Dafür reichen ein paar Drogen schon lange nicht mehr aus, sie werden besonders zelebriert. Das allerdings auf so eine abgeklärte und übertriebene Art, dass beim Hören das Schmunzeln alle Bedenken verdrängt. In Berlin Neukölln dürfte das Leben aber auch wirklich nicht einfach sein: Pfandflaschen sammeln und Abstürze im Berghain sind Alltag. »Selbst Kamp beschimpft mich als Versager ohne Zukunft«, rappt er und schickt damit Grüße nach Wien. Die Atmosphäre wird dabei so mokant und mit Wurschtigkeits-Attitüde dargestellt, dass man dem Rapper seine waghalsigen Erlebnisse glauben mag. Immerhin ist selbst der Pressetext zerknittert und mit Kaffeeflecken übersät. Trotz seiner Egozentrik schafft er es so, durch Selbstironie am Boden zu bleiben. Auf seinem Debütalbum überwindet ein hyperaktiver und gleichzeitig lethargischer Andi die Sphäre der Zweckreime und kommt auch ohne einfache So-wie-Vergleiche auf Doppelreimketten mit Seltenheitswert. Karate Andi, der Boss vom Hinterhof, tanzt dabei auf Brettern, die ihm 7inch produziert hat. Der sitzt eigentlich für US-Größen wie Tyga, Lil Wayne oder The Game an den Reglern. Die Skills des Produzenten sind für die Wucht dieses Albums ganz entscheidend, das sich zwischen Trap, Synthies und jeder Menge Bass einpendelt. Ob sich Erfolg bei so einem Lotterleben ausgeht? Andi hat dem Alkohol nach einer Nacht zwischen Dom Pérignon und Tetra-Pak-Wein abgeschworen – schwört er zumindest beim Namen der HipHop-Legende Big Daddy Kane. 09/10 Julia Gschmeidler 043
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Marissa Nadler July (Sacred Bones)
m u si k
Dena Flash (Normal Surround / !K7)
Im Hochsommer erfrieren
Berlin Hustlin’
Diese Stimme: Nach dem siebten Album immer noch so königlich und zerbrechlich wie Porzellan. Feist und Lana del Rey erfrieren im Hochsommer.
Dena macht keine halben Sachen. Cash, Diamond Rings, Swimming-Pools. Mit »Flash« erscheint nun das erste Album der Wahlberlinerin mit bulgarischen Wurzeln.
Diese Stimme. Beflügelnd im Falsett, bedrückend in ihrer Schwere. Wie ein schmelzender Gletscher. Wie ein würdiger letzter Gang. Der Moment, wenn man beim Skifahren mit der Gondel durch die Nebeldecke stößt und die Sonne sieht. Nein echt, bei dieser Songwriterin gerät man ins Schwärmen. So auch die inzwischen sehr abgelutschte Angewohnheit des Feuilletons, Nadler mit einer der Sirenen aus Homers »Odyssee« zu vergleichen. Das ändert aber nichts an ihrer mysteriösen Aura. So ähnlich wie es in ihrem Video zum Song »Wedding« inszeniert wurde: Eine grazile Ausdruckstänzerin wird von einem unscheinbaren und reglosen Mädchen im schwarzen Rüschenkleid beobachtet. Sie wirkt zu schüchtern um zuzugeben, dass das ihre Musik ist, die so wunderbar von den Wänden widerhallt. Mit ihrem inzwischen achten Album scheint die 30-jährige US-Amerikanerin auf dem New Yorker Label Sacred Bones Records zwischen David Lynch und Zola Jesus ihr ideales Umfeld gefunden zu haben. Ihr zarter Folk kommt minimalistisch daher – nur selten wird das Gitarren-Picking von einem Beat oder Arrangement durchkreuzt. Er braucht nicht mehr als das. Referenzen für diese Platte gibt es genug: »Metals« von Feist, Cat Power vor dem Entzug und ganz viel Lana Del Rey natürlich: Immer wieder hört man die Vergänglichkeit eines »Video Games«, den Romantizismus und stellt sich dazu die passenden Rehäuglein vor – zu Boden geneigt, weil verlegen von der eigenen Genialität. Und trotzdem ist es alles andere als ein modernes Pop-Album. Es ist das behutsame Einfangen einer großen Stimme, aus deren Geschichten man sich unbedingt ein Bild ihrer ganzen Person spinnen möchte. Und dann erfährt man, dass Nadler mit der richtig finsteren Black-Metal Band Xasthur musiziert hat. Dass sie eigentlich Malerin ist, Neil Young covert und ein Album namens »July« im Februar releast. Nadlers Folk ist undurchsichtig wie Milchglas. Man muss sich erst benebeln lassen, bis man irgendwo am Ozean den Kopf verliert.
Pinker Oversize-Pulli samt Basecap und ProllGoldkette, Old-School-Fahrräder, Zeitlupen-Zoom – das Video zu »Cash, Diamond Rings, Swimming Pools« soll angeblich die Ironie der Songthematik unterstreichen und wirkt dabei auf den ersten Blick ein bisschen thriftshoppig. Tatsächlich fand Dena aber zuerst statt und kann auch viel mehr. Ein schwerer Akzent, eine eingängige Hook und eine Prise M.I.A. machen deutlich, warum die Klicks auf Youtube seit Hochladedatum im Sommer 2012 inzwischen an der Millionenmarke kratzen. Ganz abgesehen von ihrer übelst lässigen Fresse, die richtig badass rüberkommt. Berliner Schnauze auf Englisch. Denitza Torodrova, so ihr bürgerlicher Name, mag jetzt zwar Internet-Phänomen und Newcomer sein, aber don’t be fooled by the rocks that she’s got: Im Herzen ist sie immer noch das Mädel, das in Bulgarien aufwuchs und jetzt in Kreuzberg lebt. Ihre Inspiration zieht sie aus HipHop und R’n’B-Mucke der 90er, gibt Destiny’s Child als Lieblingsband an und beschreibt ihren eigenen Output als schlichtweg »fett«. Unschön anzusehen ist sie übrigens auch nicht gerade, nebenher arbeitet sie als Model und posiert da für namhafte Firmen. Sollte es mit der Musik also nichts werden, hat sie immer noch die Möglichkeit, von Plakatwänden zu lächeln. Es gibt wahrscheinlich Schlimmeres. Auf Albumlänge wird schnell klar, dass die omnipräsenten M.I.A.-Vergleiche ihr nicht wirklich gerecht werden und mit den Vorab-Songs auch nicht gleich das ganze Hit-Pulver verschossen wurde. Hier ist ganz schön was los, und davon nicht zu wenig. Die besagten 90er-Einflüsse sind auf jeden Fall vorhanden, in Kombination mit abwechselnd gesungenen und gerappten Parts, den zugegebenermaßen recht unterhaltsamen Lyrics und dem bereits erwähnten Akzent macht das Album riesengroßen Spaß. Zwischen den ausgeklügelten Beats und markanten Synths finden sich One-Liner, für die Kesha töten würde. Dena selbst hört man förmlich an, wie geil sie das alles findet. Ziemlich ansteckend. 07/10 Franz Lichtenegger
08/10 Franziska Tschinderle
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Wild Beasts Present Tense (Domino)
James Vincent McMorrow Post Tropical (Believe)
Les Fauves
Kaminromantik im Tropenparadies
Wild Beasts verweigern sich mit ihren bunten Synth-Bomben dem klassischen Britpop und klingen dabei trotz F-Wort kultivierter denn je.
McMorrow sattelt von Folk auf schwelgerischen Laptop-R’n’B um und gibt dem Falsett die Sporen. Bon Iver in seiner nasalsten Phase könnte neidisch werden.
»Don't confuse me with someone who gives a fuck. In your mother tongue what's the verb to suck?« Huch. Falsett-Barde Hayden Thorpe muss sich schon im ersten Track »Wanderlust« irrsinnig ärgern. Über britische Musikerkollegen, die ihre Aussprache amerikanisieren nämlich. Alex Turner von den Arctic Monkeys tut dies neuerdings. Hatte dieser früher noch einen unverkennbaren Sheffield-Akzent, macht er mittlerweile einen auf Yankee. Warum sich die Wild Beasts daran persönlich so derart stören, ist aber eigentlich total unwichtig, solange sie sich mittels wuchtiger synthgetragener Popmusik abreagieren. Das tun sie auch. Und zwar auf großartige und zeitgemäße Weise. Thorpes verträumte Kopfstimme wechselt sich weiterhin mit Tom Flemings schwermütigem Ian CurtisBariton ab, der gemeinsam mit den dominanten post-punkigen Drums dafür sorgt, dass es nicht allzu glamourös zugeht auf »Present Tense«. Ein bisschen künstlerischer Negativismus gehört dazu. Der ist mit einem anfänglichen Rant und F-Wort nicht so einfach abgetan. Erfreulicherweise. Die schönsten melancholischen Eruptionen versprechen Songs wie »Mecca« oder »A Simple Beautiful Truth«, bei denen Thorpes Vocals mit kraftvoll-dumpfen Instrumenten kollidieren, oder noch besser, die ganz raren zweistimmigen Parts. Da funkelt und staubt es in allen Farben des Pantone-Fächers. Ein Holi-Festival im Kopf quasi. Oder halt weniger cheesy – Fauvismus in der Gegenwart. Moderner Britpop geht langsam ohnehin ein bisschen ein. Der karge Gitarrenrock der Backstein-Blokes rund um die englischen Musikzentren London und Manchester interessiert kaum mehr jemanden im aktuellen Popdiskurs. Die britische Musikelite macht in letzter Zeit lieber mit Synths, Pomp und ganz großen Gesten. Sie besteht unter anderem aus Delphic, Everything Everything und eben Wild Beasts, nennen kann man das dann Post-Realismus. Eh wieder ähnlich wie bei Matisse und den Fauves. »Present Tense« ist darunter vielleicht ein klitzekleines Meisterwerk, ein »La Danse« oder so.
Das 2010er Debut steckte die Erwartungen hoch: Top-10-Platzierungen in Irland, Großbritannien und Frankreich, der European Border Breakers Award, eine Nominierung für den Choice Music Prize. Die Schwierigkeit des zweiten Albums meistert der irische Singer-Songwriter James Vincent McMorrow, indem er sich radikal neu erfindet: Mit »Early In The Morning« wurde er noch auf die Nu Folk-Schiene gepackt – wegen seines Barts, argwöhnt er selbst. Auf dem Nachfolger verschwinden die Akustik-Gitarren fast vollständig hinter dichtem Laptop-Gefrickel, jede Sekunde von »Post Tropical« ist dunkel-warmer Samt, auf dem sich hell Lichtreflexe brechen. »I don't give a fuck about genres. I just want it to be good«, sagt er über sein neues Werk. Aus hunderten Soundfiles und Textfragmenten bastelte McMorrow auf einer kleinen Farm, nur eine halbe Meile von der mexikanischen Grenze entfernt, zehn Songs: den Pitchfork-goutierten Opener »Cavalier« mit seinen Handclaps und dem großen, scharrenden Brass-Arrangement, »Outside, Digging«, das den Folk durchschimmern lässt, »Red Dust«, mit dem McMorrow testet, wie weit er seinen eigentümlichen Falsett treiben kann, akzentuiert von einem zarten Drumbesen. »There’d be a room with five old keyboards you’d never seen before. We’d pull them out and suddenly it was 5 a.m. and you have this sound you never predicted«, schwärmt er im Interview mit dem britischen Esquire über das Studio, das einst auch Beach House, Animal Collective oder At The Drive-In bevölkerten. Der weite Horizont und die klangliche Größe des Albums lassen ein tropisches Paradies erstehen, in dem nicht mehr sommerliches Muskelspiel im Strand-Outfit zählt, sondern durch das ein kühlerer Wind weht, der Menschen hinter dichte Bärte und sehnsuchtsvolle Posen treibt. Post Tropical eben. Natürlich muss das Thema des Albums Herzschmerz sein: »Sometimes my hands don’t feel like my own I need someone to love I need someone to hold«, heißt es etwa in »Red Dust«. So herrlich samtweich hat Neo-R’n’B zuletzt bei James Blake geklungen. 08/10 Sandra Bernhofer
08/10 Nicole Schöndorfer
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Katy B Little Red (Sony)
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The Hidden Cameras Age (RAR)
Rotkäppchen auf Valium
Gar nicht sakral
Errötet und erwachsen veröffentlicht Katy B ihr zweites Studioalbum »Little Red«. Darauf tanzt sie bis fünf Uhr morgens und heult ohne Grund rum.
Die kanadischen Missionare The Hidden Cameras predigen mit »gay church folk music« die Pflicht zur Moral.
Wenn sie nicht gerade One Direction covert, liefert Katy B ziemlich gute Popsongs unter dem UK Garage-/ House-Deckmantel ab. Nachdem auf ihrem Erstlingswerk »On A Mission« noch deutlich mehr geravt wurde, macht Kathleen Brien vier Jahre später einen großen Schritt in Richtung Robyn, was ja prinzipiell nie falsch ist, und avanciert dabei zum Hochglanz-Pop-Act. Als Absolventin der Londoner Brit-School ist das auch kein Wunder, dort drückten immerhin auch talentierte Kollegen wie Adele, Jamie Woon oder Amy Winehouse die Schulbank. Beste Voraussetzungen also. Ende 2012 gab’s als Überbrückung der Wartezeit eine EP namens »Danger«, auf der unter anderem Diplos »Set It Off« wiederverwertet und mit einem Feature von Iggy Azalea verschlimmbessert wurde. Für einen Gastauftritt der wunderbaren Jessie Ware war auch Platz, auf einem Track, der es nicht verdient hätte, auf einer EP zu vergammeln. Dachte sich Katy B scheinbar auch, und somit findet sich »Aaliyah« verdient auch auf »Little Red« wieder. Es wird also Herzschmerz in geschmeidige Clubhymnen verpackt und die Hauptprotagonistin tanzt ihre Probleme weg, bis die Füße taub werden. Die 80er-Beats tragen ihre samtige Stimme dabei gekonnt durch Höhen und Tiefen einer durchzechten Nacht oder einer gescheiterten Beziehung, getränkt von dunklen Electro-Klängen und hypnotischen Synth-Layers. Dubstep auf einer Popplatte ist zwar total 2011, ein paar Anleihen haben sich aber auf »All My Lovin’« eingeschlichen. Es sei ihr jedoch verziehen, schließlich war es doch der Sound, zu dem Katy sich damals »On A Mission« begeben hat und old habits sterben nun mal hard. Ein Album zu machen, das zweifellos durch und durch Pop ist, und dabei immer noch irgendwie undergroundig wirkt, muss man auch mal schaffen. »Little Red« tut aber genau das. Also, heulen oder tanzen? Katy B weiß es wohl auch nicht so recht. Jedenfalls ist sie damit wohl die neue UKDepression-Disco-Queen, falls es sowas gibt. Man reiche ihr das Valium auf einem Silbertablett. Bravo. 08/10 Franz Lichtenegger
Möchte man »Age«, das nunmehr achte Album der kanadischen Vorzeige-Queerulanten The Hidden Cameras, in einem kurzen Satz beschreiben, bietet Bandleader Joel Gibbs dazu den treffenden Terminus an – »gay church folk music«. Suggerieren die zwei küssenden Männer am Cover noch eine gar nicht so sakrale Punk- und Nihilismusromantik, hallt die plakative Körperlichkeit und Homoerotik bald nur mehr als statisches Hintergrundrauschen nach. Mit »Skin & Leather« öffnet die Indie-Operette ihre Pforten fast gänzlich ohne den von der Band in früheren Werken institutionalisierten Pomp. Es ist ein Stück schwungvoller, schöngeistiger Tweepop, der vom viktorianischen Dandytum eines Oscar Wilde inspiriert in eine in F-Moll orchestrierte Gegenwart rutscht. Die Tonalität von Sehnsucht suhlt sich in allzu blumiger Ästhetik – ein Prinzip, das sich bis zum Ende des Albums noch oft wiederholen wird. Performances und Aufnahmen in Kunstgalerien, Kirchen und Pornokinos ebneten die dramaturgischen Pfade, die die Hidden Cameras samt Gogo-Tänzer und Orchesterbegleitung erklommen, um Songs wie »Year Of The Spawn« oder »Gay Goth Scene« in ihr kompositorisches Gewand zu hüllen. Natürlich beschäftigt sich das Liedgut von »Age« mit den Themen Älterwerden und Jugendnostalgie. Doch in den Fugen der Vergangenheitsvergoldung wartet oftmals eine sinistre Gegenwärtigkeit darauf, dem Schöngefärbten das Ekeln zu entlocken. »Age« kann, so Gibbs, zwar als Coming-Of-Age-Album gelesen werden, doch gehe es ihm dabei weniger um die Suche nach der verlorenen Zeit, als um die Notwendigkeit, mit steigender Lebenserfahrung auch höhere moralische Pflichten zu übernehmen. Das Platteninnencover ziert dann die Silhouette des Transgender-Wikileaks-Whisteblower Bradley Chelsea Manning ziert. Als queere Ikone und Freiheitskämpfer inszeniert, steht Manning für eben jenen moralischen Imperativ, der Verantwortung gerecht zu werden, wenn dafür ein hoher persönlicher Preis zu entrichten ist. 07/10 Michael Kirchdorfer
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Addison Groove Presents James Grieve (50 Weapons) — Addison Groove erweitert sowohl Einfluss- als auch Kollaborationsspektrum und konzentriert sich zudem stärker auf seine englische Heimatstadt Bristol. 07/10 Kevin Reiterer
Barzin To Live Alone In That Long Summer (Monotreme) — Ein Kanadier macht die US-amerikanischste Musik, die man sich nur vorstellen kann. File under: Americana. Stilvoll ausgeführter Edelkitsch. 04/10 Thomas Wieser
Angel Haze Dirty Gold (Universal)
Pop vs Rap Knieschuss. Beinbruch. Angel Haze hätte ihr Album nicht leaken dürfen. Dabei ist es besser geworden als sein Ruf.
Boxer John Realms of Reassuring Reality (Boxer John) — Spätes Debüt eines britischen Songwriters in Wien zwischen Folk, Americana und Gospel auf den Spuren einer zerrütteten Seele.
Dot Dash Dot Dash (Totally Wired Records) — Der selbstbetitelte Zweitling der Wiener wartet mit rumpelnden Post-Punk alter Schule auf, überzeugt aber nicht ganz. 06/10 Dominik Oswald
07/10 Gerald C. Stocker
»… und deshalb hörst du gefälligst auf uns.« Hat sie nicht, sondern ihr Album aus Frust über das Label zu Weihnachten ins Netz gestellt. Angel Haze musste wohl auf die harte Tour lernen, dass es wirklich Todeszonen im jährlichen Veröffentlichungskalender gibt. Da klappte der ganze mühsam aufgetürmte Hype wie eines dieser Aufblasmännchen vor Autohäusern zusammen. Es ist mit gerade einmal je tausend Stück in den USA und im UK gefloppt – ihr ist das egal. Die schlechten Kritiken sind es wohl auch. Ihr ist schon Schlimmeres passiert. Vergewaltigungen und eine Kindheit in einer geschlossenen, christlichen Sekte zum Beispiel. Warum sie denn nicht öfter über ihre Identität als Cherokee rappen würde? Auch das ist ihr egal, alles was sie ist, ist schon in ihrer Musik, sagt sie selbst auf »A Tribe Called Red« über einem indianischen Vocal-Sample. Da ist es zu hören, warum sich Blogs über zwei Jahre lang die Finger wund geschrieben haben, ein großer Refrain, heißkalte Geschichten, entschlossene Lyrics, tödliche Delivery. Nur Mädchen, halt dich an die Regeln. Angel Haze nimmt man gerade übel, was bei anderen kein Problem wäre. Dass sie mit dem Album mehr Leute erreichen will. Ja, auf »Battle Cry« klingt sie wie Rihanna, noch so eine Frau, die ihre Wunden selbstbewusst trägt und sich nicht davon behindern lässt. Es gibt viel schlimmere Popsongs, zum Album fügt der hier trotzdem nichts hinzu. »Angel & Airwaves« ist Kitsch. Anderes auch. Das Album ist überhaupt zu lang. Unter anderen Umständen hätte man aber wohl akzeptiert, dass sie früher einmal cool war, dass sie in ihren Videos mit Weirdos und Geächteten abhing, dass sie ihnen eine wütende, verwundete Stimme gegeben hat und das jetzt mit Pop austapeziert. Als Rapalbum ist »Dirty Gold« fad. Als Popalbum ist es aber finster, schillernd, aufregend instrumentiert und abwechslungsreich – auch wenn Angel Haze damit nicht zu Santigold, M.I.A., Sky Ferreira oder Mø aufschließen kann. Es wird wohl ein Einzelfall bleiben, nicht nur dreckiges Gold, sondern verschüttetes Gold.
Sleep Sleep Gospel (Noise Appeal Records) — Bei österreichischen Musikern ist man besonders geneigt, auch mal ein Auge zuzudrücken. Sleep Sleeps »Gospel« braucht das nicht, denn dahinter verbergen sich acht bunte Oden an den Pop.
06/10 Stefan Niederwieser
07/10 Stefan Schallert
Mogwai Rave Tapes (Rock Action / Sub Pop) — Mogwai stolpern über ihre eigene, überlebensgroße Referenz. Das neue Album der Glasgower PostrockInstitution ist eine runde Sache, die daran scheitert, das ihr die Kanten abhanden gekommen sind.
Planningtorock All Love’s Legal (Human Level) — Statement on the Dancefloor: Jam Rostron katapultiert Judith Butler und Grace Jones in die 90er und lässt sie Geschlechterstereotype wegtanzen. 07/10 Sandra Bernhofer
05/10 Michael Kirchdorfer
Untold Black Light Spiral (Hemlock) — Wenig ist von Untolds (Dubstep-) Wurzeln auf seinem Debüt übrig, im Mittelpunkt stehen abstrakte Noise-Kulissen und zerbröckelnde Rhythmen. 05/10 Kevin Reiterer
01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk
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Le passé – Das Vergangene (von Asghar Farhadi; mit Bérénice Bejo, Tahar Rahim, Ali Mosaffa) — Schon mit dem oscarprämierten »Nader und Simin« ließ der iranische Regisseur Asghar Farhadi aufhorchen – mit dem in Frankreich angesiedelten Nachfolger rettet er ein fast versunkenes Genre: intelligentes Erzählkino. Auch in »Le passé« ist eine einvernehmliche Scheidung der erhoffte Wendepunkt, der chaotische Verhältnisse beenden soll. Marie und Noch-Ehemann Ahmad sehen sich nach Jahren erstmals wieder, weil sie ihren neuen Geliebten Samir heiraten will. Es gilt an sich nur, formale Details zu klären. Als Ahmad jedoch in der familiären Anti-Idylle – Samirs Frau liegt nach einem Suizidversuch im Koma, sein Sohn ist ein widerspenstiger Härtefall – ankommt, deckt sich nach und nach auf, wie tief alle Beteiligten in das Schicksal des anderen verstrickt sind. Unprätentiös verfährt Farhadi dabei nach der alten Regel, dass auch scheinbar harmlose Handlungen fatale Konsequenzen haben können und die Frage nach Schuld schwer zu beantworten ist, wenn es sich um halbwegs reale Menschen und keine Hollywood-Schwarzweiß-Charaktere handelt. 08/10 Sophie Kettner
The Wolf Of Wall Street (von Martin Scorsese; mit Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie) — Der Zuschauer wird gleich in den ersten Minuten dieses unmoralischen und auffällig schmutzig-bösen Films in ein hedonistisches Feuerwerk des amerikanischen Kapitalismus geworfen – und erst ganze drei Stunden später wieder entlassen. Wir erleben orgiastische Partyszenen, in denen kleinwüchsige Menschen als Geschosse benutzt werden, einen koksenden Mentor, der dem aufstrebenden Börsenmakler rät, so viel zu wichsen wie nur möglich, und finden Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) abartig cool, wenn er uns nach seinem Junggesellenabschied mitteilt: »I needed a few penicillin shots to safely consume the marriage.« So mitreißend der Film ist und so zitatverdächtig viele der Dialoge, muss der Zuschauer doch einige Längen durchstehen. Irgendwann ist jeder Exzess und jede Orgie langweilig, wenn sie fast ohne Pause auf einen niederprasseln. Nach einiger Zeit des sinnentleerten und dekadenten Feierns wartet man vergeblich auf einen einsichtigen Belfort. Doch als klassisches Stehauf-Männchen lebt er auch noch am Ende seinen Grundsatz: »Their money is better in my pocket. I can spend it better.« 07/10 Leonie Krachler Mandela – Der lange Weg zur Freiheit (von Justin Chadwick, mit Idris Elba, Naomie Harris, Tony Kgoroge) — Mit erhobener Faust blickt Idris Elba als Nelson Mandela einer im Bild nicht sichtbaren Menge und dahinter der Sonne entgegen. Das Kinoplakat nimmt die Ästhetik des Films vorweg. Es wäre zynisch, Mandelas Taten nicht zu würdigen. Nur spricht das weder ihn von Kritik frei noch gibt es Auskunft über den medialen Mythos um die Popfigur Mandela. An den Mythos knüpft auch Justin Chadwicks Film an. Er versucht an ihm zu rütteln, Mandela zu hinterfragen. Und er scheitert in der Sonne Afrikas. Unterdrückung, Widerstand, Haft, Befreiung, Präsidentenamt – die Geschichte ist bekannt. Nuancen spielen keine Rolle, schon gar nicht politische. Seine völkische Unterdrückungsideologie wird hingegen nur ex negativo zum Thema gemacht: als Kampf gegen das Apartheitsregime. Geschichte wird hier nicht gegen den Strich gebürstet, sondern in das bekannte Narrativ einsortiert.
Film
Anchorman – Die Legende kehrt zurück (von Adam McKay; mit Will Ferrell, Christina Applegate, Steve Carell)
Anchor What? Will Ferrell taucht mit formschönem Bürstenschnauzer wieder als Ron Burgundy auf. Eine Dekade später die Fortsetzung ohne dem schalen Geschmack des Aufgewärmten, dafür mit Wahnwitz und Staraufgebot. Er geht auf die 50 zu, hat sich aber bei allem Professionalismus das kindlich unbeschwerte Gemüt bewahren können. Will Ferrell hat sein Handwerk in der beinharten Mühle von »Saturday Night Live« gelernt, jedoch ungleich mehr in seinem Schaffen die schrägen Sideways kultiviert. Selbst in der sowieso schon abgedrehten Comedy-Riege um Jack Black, Ben Stiller, Vince Vaughn oder die Wilsons hat er beständig mehr Pfeffer im Ärmel. Nur ein Jahr nach seinem kommerziellen Durchbruch auf Hollywood-Level legte Ferrell 2004 ambitioniert »Anchorman: The Legend of Ron Burgundy« vor. Und blieb vorerst mal stecken. Der Film frischte später über den Zweitmarkt auf und geriet zum Slowburner. Dazwischen tauchte Ron mal als Obama-Fürsprecher auf. Um lächerliche 50 Millionen Dollar wurde »Anchorman 2: The Legend Continues« gedreht, die Hälfte hat man schon in der ersten Woche eingespielt. Drama Baby! Burgundy als fescher Nachrichtensprecher samt Moderatoren-Anspruch führt den Schnauzer inklusive hedonistischem 70er-Mind in den 80ern gestrandet aus. Immerhin hat ihm seine Frau Christina Applegate den Job abgejagt, selbst für den überhobenen Suizid reicht die Coolness nicht mehr. Der Mann ist down n out, eine Hollywood-Fabel sorgt für die Second Chance. Durchaus der Zeit entsprechend wird laufend ebenso gegen die aktuelle Medienbranche ausgeteilt. Quotengeilheit schiebt den eigentlichen Anlassfaktor News gen die Klippe, Hauptsache Sprecher und Worte hören sich gut an. Rafreider schau owe vom Berg. Traurig. Anprangernd. Wenn der geschürzte Schwinger tief liegt, kann man gut nach oben austeilen. Geschmacklosigkeit ist Trumpf, Sex ist für den Mann da, Testosteron beats Etikette, Penetration statt Konvention. Beherzt lächerlich, denn Klasse haben wir sowieso. Ferrell sucht den Gatsch wie das Zitat, weidet jeden Fauxpas mit den starken Paul Rudd und Steve Carell zur Seite genüsslich langsam aus, lässt die Peinlichkeit unbarmherzig stehen. Plus ganz großes Finale inklusive Starauflauf, abstrusen Wenden, Instant-Klassikern des modernen Nuschelns, Pauken und Pamphleten. Weit über dem Kiffer-Level der 80er gelagert, feine Klinge schon mal anbei, ganz ohne handzahm. So gehört das. Beim Speiben nicht freundlich wegdrehen oder devot in den Nacken ablegen. Straight in the face. Blaaaack! 07/10 Michael Bela Kurz
05/10 Peter Schernhuber
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Film
highlights Do. 06. – Fr. 07.02. // 20:00 Theater
„Der Patriot“ von Felix Mitterer
Sa. 08.02. // 20:00 Songwriter
City And Colour / Hannah Georgas
Di. 11.02. // 20:00 Kabarett
Paul Pizzera: Sex, Di. 11.02. // Drugs &20:00 KleiKabarett ’n’ Kunst Paul Pizzera: Sex, Sa. 15.02. & // 20:00 Stonerrock Drugs Klei ’n’ Kunst Cojones / Porn To Hula 15.02.Veins // 20:00 / Stonerrock /Sa.The u. a.: Cojones Porn To Hula Night Of /Fuzz / The Veins / u. a.: Mi. 19.02.Of // 20:00 Night FuzzKabarett Gerhard Walter: Mi. 19.02. // 20:00 Kabarett Happy End Gerhard Walter: Fr. 21.02. //End 20:00 Rock Happy Knorkator
American Hustle (von David O. Russell; mit Christian Bale, Amy Adams, Bradley Cooper)
No Bullshit Regisseur David O. Russell profiliert sich als Klassenprimus der gehobenen Hollywood-Unterhaltung. Sein Schmiergeld-Krimi »American Hustle« besticht durch herausragende Darsteller und trockenen Humor.
Fr. 21.02. // 20:00 Sa. 22.02. // 20:00 Indie-Rock Knorkator
Rock
Befragt man die International Movie Database nach David O. Russells »American Hustle«, so stößt man in der Trivia-Sektion auf einen interessanten Eintrag. Russell lässt seinen Schauspielern erheblichen Spielraum für Improvisationen. Auf den Hinweis von Hauptdarsteller Christian Bale, dass die vom Skript abweichenden Dialoge den Handlungsverlauf des Film entscheidend verändern würden, soll der Regisseur Folgendes geantwortet haben: »Christian, ich hasse Plots. Mir geht es um die Charaktere.« Entspricht diese Anekdote nicht den Tatsachen, so ist sie vortrefflich erfunden. Russell investiert in seine Figuren wie kein Zweiter. Die Handlung von »American Bullshit« (wie der Film ursprünglich mal hieß) dient lediglich als Petrischale, in der die Protagonisten gedeihen und (über sich hinaus) wachsen wie Schimmelpilzkulturen. Ende der 70er nimmt das FBI das Trickbetrügerpärchen Irving (Christian Bale) und Sydney (Amy Adams) hoch. Agent Richie DiMaso (Bradley Cooper) bietet den beiden einen Deal an. Um Strafverfolgung und Anklage zu verhindern, sollen sie ihm helfen, weitere Trickbetrüger einzusacken. Als die Ermittlung immer größere Kreise zieht und ein Bürgermeister (Jeremy Renner), ein Mafioso (Robert de Niro) und Irvings verrückte Ehefrau Rosalyn (Jennifer Lawrence) involviert sind, droht die Situation zu eskalieren. Nach einer ausführlichen, charakterstudienartigen Einleitung erweist sich »American Hustle« als spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Zu einem Must-See wird der Film aber durch seine herrlich absonderlichen, tragikomischen Figuren: Bales Irving mit formidabler Bierwampe und Zuhälter-Toupet, Coopers Richie mit Lockenwicklern und Größenwahn, Lawrences Rosalyn als Mischung aus durchgedrehter Hausfrau und manipulativer Femme Fatale. Hinzu kommen zahlreiche grandiose Nebencharaktere, die Russells neuesten Streich (nach Filmen wie »The Fighter« und »Silver Linings«) zu einem erstklassigen, überaus unterhaltsamen Ensemble-Werk machen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Comedian Louis C.K., der Richies Vorgesetzten Stoddard Thorsen spielt. Der verbale Hickhack zwischen den FBI-Männern ist eines der vielen leisen Highlights des Films. Den absoluten Hingucker liefert freilich Christian Bale, der für seine Rolle knappe 20 Kilo zulegte. Laut anfangs genannter Datenbank soll ihn Co-Star Robert de Niro am Set von »American Hustle« nicht mal erkannt haben. 08/10 Leo Dworschak
Bo Candy & His Broken Sa. 22.02. ///20:00 Hearts The Indie-Rock Base / Bo Candy &Turnpike His Broken Tangerine Hearts / The Base / Sa. 22.02. // 20:00 Kabarett Tangerine Turnpike Science Busters: Mo. 24.02.me // 20:00 / Harecore Beam up,Metal Scotty! Hatebreed / Mo. 24.02. // Death 20:00 Metal / Harecore Napalm Hatebreed / Mi. 26.02. // 20:00 Tanz Napalm Death Transitheart Mi. 26.02. // 20:00 Tanz Productions: Poptries Transitheart Do. 27.02. // 20:00 Figurentheater Productions: Poptries Schuberttheater Wien: Do. 27.02. // 20:00 Figurentheater Becoming Peter Pan – Schuberttheater Wien: an epilogue to Michael Becoming Jackson Peter Pan – an epilogue to Michael Jackson
Do. 27.2. // 20:00 HipHop
Gerard / Alex The Flipper
POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at
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Introducing Mindy Kaling man kennt mindy kaling ursprünglich als anstrengende kundendienst-mitarbeiterin in der us-version von »the office«. längst sorgt sie auch mit ihrer eigenen tv-serie »the mindy project« für furore – deren zweite staffel ist derzeit bereits in vollem gange.—Mit 24 Jahren begann Mindy Kaling als Autorin für »The Office« als einzige Frau in einem Team von acht Personen. Bald war sie für die Serie auch als Schauspielerin, Produzentin und Regisseurin tätig. Ihre Rolle der Kelly Kapoor – eine von Mode und Celebrity Gossip besessene Tussi – birgt manche Gemeinsamkeiten mit Kalings eigener Persönlichkeit, wie in ihrem Buch »Is Everyone Hanging Out Without Me?« präzise dargelegt wird. Wer ihrem Twitter-Account folgt, bemerkt schnell die Parallelen – aber auch die Unterschiede. Kaling vereint in ihrer Person Nerdtum mit Comedy und Emanzipation mit Diäten und beweist, dass diese einander nicht zwingend ausschließen. Sowohl ihr ehemaliger Blog namens »Things I‘ve Bought That I Love«, in dem sie neu erworbene Kleidungsstücke, Süßigkeiten und dergleichen präsentiert, als auch ihr hoch gelobtes, 2003 geschriebenes Theaterstück »Matt & Ben«, in dem sie Ben Affleck verkörpert, sind Teile ihrer vielschichtigen, dabei vermeintlich widersprüchlichen Persönlichkeit. Ihre Serie »The Mindy Project« schwankt zwischen Feminismen und ihrem wesentlichen Gegenteil – die von romantischen Komödien begeisterte Gynäkologin Mindy ist voller Hingabe auf der Suche nach Mr. Right. Zwischen Harry Potter und Katy Perry zeigt sie sich facettenreich, schrill und selbstbewusst. Auf die Kritik eines Bekannten, sie sehe aus wie eine Piñata, kontert sie mit: »Okay, I like to wear colors. And yes, I'm usually full of candy.« Der Humor der Serie ist geistreich, schlagfertig und nicht zuletzt selbstironisch. Ein großer Teil der Komik besteht aus der Brechung gängiger RomCom- bzw. Sitcom-Stilmittel und Tropen. Gleichzeitig gelingt es Kaling, mit »The Mindy Project«, einenEnsemble Cast zu arrangieren, dessen zentrale Figur nicht die langweiligste der Charaktere ist. TEXT Artemis Linhart BILD fox
Deadwood – Staffel 1 (HBO / Paramount) von David Milch; mit Timothy Olyphant, Ian McShane, Molly Parker auf Blu-ray
Hammer Of The Gods (Entertainment One) von Farren Blackburn; mit Charlie Bewley, Elliot Cowan
Hannibal Staffel 1 (Studiocanal) von Bryan Fuller; mit Mads Mikkelsen, Hugh Dancy, Lawrence Fishburne
Die Werkstürmer (Thimfilm) von Andreas Schmied; mit Michael Ostrowksi, Hilde Dalik, Manuel Rubey
DVD
In »Deadwood« kennt man das Gesetz nur vom Hörensagen. Ursprünglich den Indianern als territoriales Gebiet zugesprochen, lockt die Kunde vom Goldrausch immer mehr Bewohner in das aus dem Boden gestampfte Zeltlager. Die Verheißung auf Reichtum lässt das Dorf im Staffelverlauf zu einem veritablen Städtchen wachsen und ermöglicht neben dem Fokus auf persönliche Missgunst und Intrigen auch den Blick auf Entwicklungen eines allmählich geregelten Zusammenlebens. Dabei nehmen mit Wild Bill Hickok oder Seth Bullock nicht nur berüchtigte Figuren der Zeit ihren Platz ein, auch historische Orte und Geschehnisse finden in der Serienadaption eine Entsprechung. Um diese Stimmung zu erfahren, ist der Griff zur englischen Originalspur Pflicht. Denn neben den interessanten Charakteren und dem verruchten Setting sind es die ausgefeilten und durchaus herben Dialoge, die zur Atmosphäre der Serie beitragen. Hier wimmelt es von Flüchen und Schimpfwörtern, was Fans veranlasste, die Anzahl der Kraftausdrücke statistisch zu erfassen. Technisch ist die Serie nach wie vor auf Höhe der Zeit. Mit Ausnahme der arg körnigen Nachtaufnahmen kann die Blu-ray mit einer guten Bildqualität aufwarten. Obwohl weitere Extras fehlen – der Zeitpunkt für einen Besuch in »Deadwood« war noch nie so gut. 09/10 Reiner Kapeller Aus wenig viel machen: »Hammer of Gods« zeigt vor, wie man das im Genre des nicht jugendfreien Wikingerfilms zustande bringt. Regisseuer Farren Blackburn setzt eine ziemlich derbe BrüderThronnachfolger-Geschichte inmitten eines Wikingerclans in Szene, der sich im Krieg mit den Sachsen befindet. Britannien 871 n. Chr. – die Römer sind längst weg, der Hadrianwall mehr oder weniger verfallen – ist der historische Boden, auf dem drei Brüder zusammen mit ein bisschen martialischem Krieger-Anhang den vierten, abgetauchten Bruder suchen. Zugegeben, die Geschichte selbst entwickelt wenig bis gar nichts Neues – umso mehr erstaunt die präsentierte visuelle Verpackung, gleich ob Landschaftsaufnahmen, Wetter oder eben martialisches Aufeinandertreffen. 07/10 Hans-Christian Heintschel Bryan Fuller, der unter anderem an »Hereos«, »Pushing Daisies« oder so manch »Star Trek«-Ableger mitgewirkt hat, hat Thomas Harris’ Roman »Roter Drache« als TV-Serie adaptiert. Beziehungsweise dessen Personal. Neben FBI-Sonderermittler Will Graham, der leicht psychisch gestört an Tatorten die Zeit zurückdrehen und sich in die Mörder versetzen kann, spielt hier natürlich Dr. Hannibal Lecter die Hauptrolle. Und wenig überraschend gehören alle Szenen, in denen er vorkommt, Mads Mikkelsen als Lecter. »Hannibal« steht am Anfang einer Reihe von bekannten KinoStoffen, die für das Fernsehen adaptiert werden, macht seine Sache gut – hält aber wohl auch bewusst einen Sicherheitsabstand zu den originären Seriengroßtaten der letzten Jahre, die sich oft noch mehr um ihre Charaktere kümmern. Angenehm blutig, Weltklasse im Design. 07/10 Martin Mühl Andreas Schmied hat das Drehbuch zu »Die Werkstürmer« geschrieben und auch Regie geführt. Sein Film orientiert sich an amerikanischen Romantic Comedies und inszeniert seine LiebesGeschichte vor der ungewissen Zukunft der Belegschaft eines steirischen Stahlwerks. Patrick ist die Hauptfigur und muss einerseits verhindern, dass die Arbeiter deutlich schlechtere Verträge bekommen oder das Werk ganz geschlossen wird und außerdem seine Ex-Freundin zurückgewinnen, die mittlerweile nach Wien gezogen ist und dort bei der Gewerkschaft arbeitet. Die Probleme der Arbeiter werden dabei ebenso klassisch dargestellt, wie die Beziehung zwischen beiden letztlich oberflächlich bleibt. Vor allem in der ersten Hälfte weiß ein gewisser Schmäh – Ostrowski, man kennt das – zu unterhalten, in der zweiten wird dann vieles doch zu glatt und oberflächlich zu einem erwartbaren Ende gebracht. Andere Ostrowski-Filme waren schon schräger und härter, »Die Werkstürmer« geht als heimische Genre-Produktion gerade mal in Ordnung. 05/10 Martin Mühl Weitere Reviews auf www.thegap.at: The Complex –Das Böse in dir (Koch), Dexter – Staffel 7 (Paramount), Redemption (Universum), To The Wonder (Arthaus), The Walking Dead – Staffel 3 (AMC / WVG), Das Wochenende (Universum)
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SUBOTRON/WKW pro games Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen im MuseumsQuartier/ quartier21 / Raum D, 1070 Wien subotron.com/veranstaltungen/pro-games/
THE 50TH ANNIVERSARY OF THE FIRST U.S. VISIT Do. 06.02.14, 19h Indies go PlayStation
Shahid Ahmad Senior Business Development Manager at Sony Computer Entertainment Europe, London
Fr. 07.02.14, 19h Emerging Swiss Game Design
Pitch Session der Zürcher Hochschule der Künste
Do. 20.02.14, 19h Projektanalyse österreichischer Games: „Son of Nor“
Julian Mautner Gründer stillalive studios Hendrik Lesser Geschäftsführer remote control productions GmbH, München
Fr. 21.02.14, 9–12h Workshop mit Hendrik Lesser
Ort: EPU-Forum der Wirtschaftskammer Wien, Operngasse 17-21/6. Stock, 1040 Wien Anmeldeformular: subotron@wkw.at Anmeldeschluss: 10.02.14
Do. 06.03.14, 19h Rovio Stars and free-to-play publishing
Jussi Immonen Head of portfolio and business at „Angry Birds´“ Rovio stars, Helsinki
Fr. 07.03.14, 9–12h Workshop mit Jussi Immonen
Ort: EPU-Forum der Wirtschaftskammer Wien, Operngasse 17-21/6. Stock, 1040 Wien Anmeldeformular: subotron@wkw.at Anmeldeschluss: 24.02.14
Do. 20.03.14, 18h Roundtable Ausbildungsmöglichkeiten für die Gamesindustrie 2014 mit Vertertern von Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Donau-Universität Krems, FH Hagenberg, FH Salzburg, FH St.Pölten, FH Technikum Wien, HTL Spengergasse, SAE Institute Wien, TU Wien, Universität für Angewandte Kunst Wien, Universität Wien
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Philippe Djian Wie die wilden Tiere 01 (Diogenes) — »Der Sohn eines Künstlers, eines Malers genaugenommen, knallt sich mit 18 Jahren eine Kugel in den Kopf und ist tot. Einige Zeit später lernt der Vater die letzte Freundin seines Sohnes kennen. Ein Punk-Mädel ohne festen Wohnsitz – spontan lädt er sie ein, bei ihm einzuziehen. Dass sie gleich am ersten Abend die Wohnung des Gastgebers zertrümmert, ist erst der Beginn einer ziemlich lauten Story von Philippe Djian. Die notorische Unruhe hält den ganzen Roman an, folgen doch ein paar unerwartete Wendungen. Zum Glück bleibt Philippe Djian bösartig und zynisch: Mit seiner leichten und lockeren Schreibe, die die neureiche Stadtbevölkerung perfekt in der Klangfarbe trifft, kritisiert er den gutsituierten Menschen in seinen mittleren Jahren, dem es eigentlich an nichts fehlt, außer dass er glaubt, in seinem Leben stecke keine Überraschung mehr. Ach, wie armselig! Gekonnt spielt sich der Autor mit der Hoffnung seiner Protagonisten, aus ihrer wohlig warmen Belanglosigkeit fliehen zu dürfen. Schlussendlich kreisen sie wie kleine Blutsauger um das rotzige Punk-Mädel. Es liest sich wie ein Experiment. Aber Experimente können auch scheitern. 07/10 Martin G. Wanko Markus Feldenkirchen Keine Experimente 02 (Kein & Aber) — Es gibt jetzt wichtigere und interessantere Themen, aber wenige funktionieren so gut wie der »hormongesteuerte Mann ab 40«. Ein Mann betrügt seine Gattin nach sehr vielen Ehejahren mit einer jüngeren Frau. Der deutsche Autor Markus Feldenkirchen entwirft in »Keine Experimente« ein Paradebeispiel: Ein konservativer Bundestagsabgeordneter verschaut sich in Berlin in eine gut 15 Jahre jüngere Feministin, während seine Frau im Sauerland die Kinder aufzieht. So nebenbei stellt er dadurch seine Familienpolitik in Frage. So wirklich spannend wird es ab der Mitte, wo sich das Verhältnis der beiden entwickelt, da hätte man im Vorfeld verknappen können. Trotzdem liest sich das Buch sehr gut, ist in sich stimmig und gibt den perfekten Einblick in ein anstrengendes Politikerleben und das ganz ohne Zynismus. 07/10 Martin G. Wanko Gideon Lewis-Kraus Die irgendwie richtige Richtung 03 (Suhrkamp) — »Auf eine lange Wanderung begibt sich Gideon Lewis-Kraus in »Die irgendwie richtige Richtung«. Er suchte sich für sein Unterfangen ausgerechnet den Jakobsweg aus, der durch die Werke von Paulo Coelho und dem Entertainer Hape Kerkeling zu den ausgetrampelten Pfaden unserer Zeit gehört. Trotzdem hat das romanartige Fragment seinen Reiz, da der Autor nicht in die üblichen Esoterik-Fallen tappt, sondern mit der »Generation Facebook« den Jakobsweg zur Sicherheit einmal zum Event erklärt. Gideon Lewis-Kraus beschreibt eine neue Bohème, die keine Berührungsängste hat. Chillen in Berlin kann ja sehr nett sein, wird aber zu schnell zum Alltag, da sorgt eine Pilgerreise für Abwechslung. Durch sein lockeres Verhalten und seiner Beobachtungsgabe fühlt man sich auf den Pilgerwegen sehr wohl. Literatur ist eben kein Werbeprospekt, dementsprechend erfüllt sich seine Pilgerreise nicht durch Sonntagssprüche, sondern durch den Trip selbst. So bleibt der Autor bis zuletzt nüchtern abwartend. »Achthundert Kilometer. Und jetzt?«, fragt er sich rückblickend. Den Leser entlässt er mit einer angenehmen Unzufriedenheit, ihm wurde keine verstörende Glaubenslehre verkauft.
Buch Alfred Goubran Durch die Zeit in meinem Zimmer (Braumüller)
Wahnsinn und Wahrhaftigkeit Eine Art Gespenstergeschichte: In seinem zweiten Roman erweist sich Alfred Goubran einmal mehr als Stilist ohne Gnade. Erstmals bekennt er sich auch zur dunklen Romantik. Nach zwei Seiten schon sind drei Personen eingeführt. Von Zweien vermutet man gleich, womöglich in Folge nichts mehr zu hören, doch fragt man sich, wer dieser mit allen Wassern gewaschene Ich-Erzähler ist. Ein Scheiß-mir-nix, der – man ahnt es – scheitern wird. So wie jedes Leben, selbst das wahrhaftigste, am Ende zum Scheitern verdammt ist. Alfred Goubran, als Autor nicht gerade für Erbauungsprosa bekannt, nimmt uns mit auf eine intensive Reise »Durch die Zeit in meinem Zimmer«: Nachdem er die Schule geschmissen hat, bricht Elias aus der Gesellschaft aus. An ihren Rändern, dort wo sich die Drop-outs respektieren, Nutten und Säufer einander achten und in Ruhe lassen, sucht er nach Wildnis und ungesichertem, echten Leben. Wie schon das 2010 erschienene »Aus.« ist auch Goubrans zweiter Roman ein höchst artifizielles Konstrukt: ein Gedanken- und Kammerspiel, dessen Dialog eigentlich ein Monolog im Fiebertraum darstellt, dem immer wieder Blicke aus der Außensicht gegenübergestellt werden. Das Zimmer, in dem Elias irgendwann schwer krank und ausgehungert vor sich hinfantasiert, wird dabei zu einer Art White Cube der Möglichkeiten. Das Geschehen oszilliert zwischen Fieberwelt und dem Tatsächlichen, zwischen Erinnerung und Krankheit, zwischen Gegenwart und Hungerwahn. Raum und Zeit verlieren weitgehend an Bedeutung, gerade weil sie – auch Elias selbst, der immer auf die Uhr blickt – Halt geben könnten. Elias, der auf der Flucht vor Trübnis und Dämmerung ganz im aufklärerischen Sinn nach dem Licht strebt, wird wie in einem Strudel in ein schwarzes Loch gezogen. Auf seiner Reise ans Meer strandet er gleich nach der Grenze im Schneechaos und landet schließlich in einem fast märchenhaften »Schwarzen Schloss«. Einmal mehr erweist sich der Autor und Liedermacher Goubran als Neoromantiker. Bezüge stellt er nicht nur zu seinem eigenen Werk her (wenn etwa das Alter Ego des Autors, der Dichter Aumeier, als Übersetzer eines von Elias gelesenen Buches auftaucht). Auch Goubrans eigene Arbeit als Übersetzer wird referenziert: Vor bald zehn Jahren hat Goubran Charlotte Perkins Gilmans wunderbares Büchlein »Die gelbe Tapete« übersetzt und damals noch in dem von ihm betriebenen Kleinverlag herausgebracht. Seinem Stil bleibt er treu. Mit eigentümlichen, starken Bildern, klugen Sinnsprüchen und Abschweifungen, in denen aus Beobachtungen Allgemeines abgeleitet wird. So ist Goubran abermals ein Buch gelungen, das man so schnell nicht vergessen wird. Bleibt zuletzt das Buchcover zu erwähnen. Es wurde, das ist trotz des knappen Strichs sofort erkennbar, einmal mehr vom Zeichner Nicolas Mahler gestaltet und ist die perfekte visuelle Entsprechung zu dem von Goubran literarisch aufgemachten Möglichkeitsraum. 08/10 thomas weber 01
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Buch
Lina Loos Das Buch ohne Titel 04 (Edition Atelier) — » Schmucklos, schlicht, auf Form und Material bedacht sind Einrichtung und Bauwerke von Adolf Loos. Eine ähnliche Erklärung lässt sich auch zu den Ansichten einer seiner Weggefährtinnen, Lina Loos sagen. Schon seit geraumer Zeit steht sie im Blickfeld des literatur- und theaterwissenschaftlichen Interesses. Ihre kurze Ehe mit dem Architekten ist dabei nur Nebensache. Dass er die junge Lina nach seinen architektonischen Vorstellungen zurechtbiegen wollte, machte sie zu einer auf ihre individuellen Rechte pochende Persönlichkeit. Ihre Entwicklung zur Femme fatale, die in einer skandalösen Affäre wurzelte, lieferte Arthur Schnitzler einst Vorlage für das Stück »Das Wort«. Ihre Geschichten und Feuilletons, die zwischen 1927 und 1943 – zunächst allwöchentlich, mit Beginn des Zweiten Weltkriegs immer seltener – in der Wochenausgabe des Neues Wiener Tagblatt erschienen, bilden die Basis der kulturhistorisch aussagekräftigen Erinnerungen. Sie schildert als Schauspielerin aus dem Theaterleben und gibt Eindrücke zu all ihren Duzfreunden, zu denen sie Peter Altenberg, Oskar Kokoschka und Egon Friedell zählten. An ihre Geschichten hängte sie pointierte Spitzen und ihre Wahrheitsliebe lässt annehmen, dass sich das alles wirklich so abgespielt hat. Scharfsinnige Beobachtungen des historisch bewegten Zeitraums der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ließen schon Anfang der 1930er den expressionistische Dramatiker Frank Theodor Csokor auf die Idee kommen, die besten dieser Texte in einem Buch zu sammeln. Doch erst 1947 kam es zur Verwirklichung dieses Vorhabens: »Das Buch ohne Titel« war geboren und erscheint jetzt in der Edition Atelier neu. 06/10 Juliane Fischer Pol Pot Polka Ein Fall für Kay Blanchard 05 (Evolver Books) — » Smack! Klonk! Im Dienste ihrer Majestät taumelt die britische MI6-Agentin Kay Blanchard durch ihren zweiten Fall. In einer Welt, in der das Britische Empire, die Nazis und die Kommunisten um die Herrschaft ringen, erledigt Kay einen Auftrag in Kambodscha. Was genau sie zu tun hat und worum es inhaltlich überhaupt geht, spielen für den trashigen Thriller eigentlich keine Rolle, denn der Fokus liegt auf einem an den Haaren herbeigezogenen, liebevoll ausgestalteten Setting voller durchgeknallter Akteure: Da treiben Zombies ihr Unwesen, führen geklonte RAF-Terroristinnen ein Hotel für Nazis, die sich bei Lust und Laune in Folterhäusern entspannen können, um am Ende des Urlaubs planmäßig um die Ecke gebracht zu werden ... Flotte Sprüche, rasante Szenen, schnelle Schnitte, unwahrscheinliche Zufälle, Mord und Totschlag und echter Witz kennzeichnen diesen Schundroman auf hohem Niveau: Denn wenn der Ulrike Meinhof-Klon mit einem »Die Würde des Menschen ist eben antastbar« auf den Lippen killt, dann ist das zwar geschmacklich fragwürdig, aber auch sehr witzig – vorausgesetzt, man kennt sich ein wenig mit Zeitgeschichte aus. 07/10 Martin Zellhofer Dorian Steinhoff Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern 06 (Mairisch) — »Denkt man an gemütliches Kaminfeuer, hat der Titel etwas Beruhigendes, assoziiert man das Feuer mit einem brennenden Haus, weist er auf Dramatisches hin. Dorian Steinhoffs Erzählungen erfüllen die Erwartungen beider Seiten. Oft ist nur eine zufällige Begebenheit entscheidend, der Mensch hört nicht auf seinen Verstand, achtet nicht auf sein Gefühl und schon dreht sich die Spirale in das Unangenehme. Davon ist hier in sieben Geschichten zu lesen. Jeweils ein Satz ist herausgepickt und vorangestellt, dabei enthält das gesamte Buch eine Fülle dieser Zeilen, die man immer wieder lesen möchte oder in die Welt twittern könnte. Die Hülle darum färbt sich mit Fabeln aus dem echten Leben oder zumindest aus dem Boulevardblatt. Dort liest man von den jugendlichen Arbeitslosen, von den Schwangerschaftsabbrüchen, von der Flutwelle in Thailand und es ist fern, ganz weit weg. Steinhoff blickt von der anderen Seite auf Zwangslagen und vor allem auf die Charaktere dahinter. Die Schicksale scheinen plötzlich erklärbar, menschlich, nicht dreckig oder reißerisch. Sie passen in unsere Zeit, an eher unschönen Tagen. Ein bisschen erinnert Dorian Steinhoff an Benedict Wells. Von den Nuller Jahren kann man bei beiden lesen. Steinhoff nimmt sich die auch klar als Vorlage — zwei der Geschichten basieren auf jüngeren Artikeln in deutschen Wochenzeitungen. Es geht um Personen, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind und auch um die, die ohne Hilfe einfach nicht zu einem Leben, das der Durchschnittsmensch als vernünftig bezeichnen würde, fähig sind. Viel zu schnell ist das Buch dann gelesen. Die große Frage, wie wir eigentlich unser Leben bestimmen, schwebt darüber. Wie ein Bücherwurm möchte man sich durch den Buchumschlag fressen und die liebenswerten und ungeschickten Figuren in den Arm nehmen. 09/10 Juliane Fischer
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#17: iHealth: Ist jeder sein eigener Gesundheitsmanager? Dr. Google ist wohl der am meisten konsultierte Arzt der Welt. Dank zahlloser Gesundheits-Startups, Beratungsseiten, Apps und Gesundheitsforen hat sich der Zugang der Menschen zu ihrer Gesundheit deutlich verändert. E-Health ist ein weites Feld, das neue BusinessModelle befeuert und Abläufe im Gesundheitssystem verbessert oder zumindest verändert – allen voran die Kommunikation zwischen Menschen, die etwas für ihre Gesundheit tun wollen und jenen, die sie dabei unterstützen. Manchmal hat das auch seltsame Ausprägungen, wie etwa Self-Tracking bzw. Quantified Self. Und manchmal führt der einfache Zugang zu Gesundheitsinformationen erst recht zur Desinformation. Bei der 18. Ausgabe von twenty. twenty wollen wir der Frage nachgehen, was den vielbeschworenen „mündigen Patienten“ im Jahr 2020 ausmachen wird und welche Tools er dann möglicherweise nutzt. Keynote: Kai Sostmann Leiter des Kompetenzbereiches Kompetenzbereich eLearning der Charité - Universitätsmedizin Berlin
Mo., 24.02.2014 – Empfang 18:30 Uhr – Start 19:00 Uhr The Hub Vienna, vienna.the-hub.net Wien 7., Lindengasse 56 / Top 18 –19 Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussionsplattform Zukunftsszenarien einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.
www.twentytwenty.at | www.facebook.com / exploring2020 | www.twitter.com / exploring2020
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comics Vivés / Ruppert & Mulot Die große Odaliske (Reprodukt)
Seiichi Hayashi Gold Pollen And Other Stories 01 (Picture Box) — Die aufsteigende Sonne Japans steigt heldenhaft aus dem Leichnam der wilden Bergmutter in die Welt, befruchtet vom rechtsradikalen, nationalistischen Erbe der Showa-Restauration. Eine Zeitraffer-Collage aus dem Leben des Autors und seiner Mutter scheint sich zu einem endlosen existentialistischen Moment auszudehnen, in dem der ganze Kosmos Hayashis angedeutet wird. »Gold Pollen And Other Stories« vereint, unter der Leitung von Ryan Holmberg, eine Auswahl zentraler Werke des wegweisenden Gekigaka Seiichi Hayashi. In den 1960ern blühte der subkulturelle Manga (Gekiga) auf und Hayashi näherte formelle Avantgarde an deren Inhalte an. Neben exzellent gewählten Auszügen aus Hayashis Gekiga findet man in diesem Band auch einen biografschen Essay des Künstlers sowie Anmerkungen Holmbergs zu Hayashi und den präsentierten Geschichten. Ein hervorragender Einblick in das vielschichtige und bahnbrechende Werk eines Meisters.
Erotik & Action In »Die große Odaliske« brechen drei Kunsträuberinnen in den Louvre ein und erledigen auch sonst alles auf die harte Tour. Vivés ist ein noch junger und momentan in verschiedensten Genres sehr umtriebiger französischer Zeichner. »Der Geschmack von Chlor« machte seine typisch feine und feinfühlige Linienführung erstmals einem größeren Publikum bekannt. Fast meditativ langsam schilderte »Der Geschmack von Chlor« eine erwartete und dann doch nicht stattfindende Liebesgeschichte in einem Hallenbad. Vivés Stil scheint wie geschaffen für die Inszenierung weiblicher Schönheit. Ähnlich wie in Romanen manchmal bereits einige Adjektive das Bild von Schönheit in uns entstehen lassen, sind es bei Vivés nur einige gut gesetzte Linien – das einfache Zusammenspiel von Proportion und Bewegung. »Die große Odaliske« lebt von diesem Effekt, wenn das Spiel der Andeutungen von Schönheit hier auch durch eine stark betonte und direkte weibliche Sexualität ersetzt wird. Es ist sofort deutlich, dass Vivés hier nicht allein arbeitet, sondern zusammen mit dem Zeichner- und Autoren-Duo Ruppert und Mulot. Beachtet man zunächst nur den Plot, handelt es sich bei »Die große Odaliske« um ein action-betontes Einbrecherdrama. Drei Frauen machen gemeinsame Sache um das titelgebende Bild aus dem Louvre zu stehlen, das einen nackten und aufreizenden Frauenkörper zeigt, und somit bereits auf den Subtext der Inszenierung weiblicher Sexualität verweist. Die Motivation der Frauen scheint es vorrangig zu sein, einem langweiligen bürgerlichen Leben zu entkommen und vielleicht – auf einer Metaebene – auch den konventionellen Zuschreibungen zu »Weiblichkeit«. Obwohl die Sexualisierung der weiblichen Charaktere auf männliche Wahrnehmungs- und Inszenierungsmuster verweist (und man dabei nie ganz vergessen kann, dass die Autoren alle Männer sind), ist »Die große Odaliske« letztlich doch ein Versuch, das männerlastige Actiongenre aufzubrechen. Einerseits lässt man dazu die weiblichen Protagonistinnen die Grundpflichten jedes harten Actionhelden erledigen: Annahme von Selbstmordmissionen, Töten ohne Reue, Durchführung halsbrecherischer Stunts. Hinzu kommen Dinge, die deutlich über das Repertoire eines Bruce Willis hinausgehen, wie z.B. sich mit Gangsterbossen und deren Mätressen ein Jacuzzi zu teilen. Irgendwie scheint diese Art von Emanzipation nicht ohne eine etwas offensivere weibliche Sexualität zu funktionieren, zumindest nicht in »Die große Odaliske«. Und dann ist es eben doch Vivés, der dies alles mit einer gewissen Zärtlichkeit in Szene setzt, die in manchen Bildern sogar etwas Bezauberndes hat. Die Farbgebung von Isabelle Merlet ist äußerst gelungen und führt den Leser sehr abwechslungsreich und stimmungsvoll durch die verschiedenen Schauplätze der Geschichte. 07/10 Alexander Kesselring
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Shigeru Mizuki Showa: A History Of Japan (1926–1939) 02 (Verlag Verlagin) — Shigeru Mizuki ist in Japan beinahe genau so bekannt wie Osamu Tezuka. Der sympathische, einarmige Künstler ist aber nicht nur als Schöpfer populärer Figuren und Mangas berühmt, sondern auch als kritischer Beobachter seines Heimatlandes. In der Serie »Showa: A History Of Japan« (»1926–1939« ist der erste Teil) vermengt er Biografisches und Historisches, um seine Darstellung eines zerrissenen Landes zu erschaffen. In karikaturistischen Strichen sehen wir Anekdoten aus dem Leben des kleinen Shige. Dazwischen notiert Mizuki in einem stark kontrastierenden, realistischen Stil politische und wirtschaftliche Ereignisse chronologisch. Das Pendel zwischen diesen zwei Ebenen führt die Leser näher an diese Epoche Japans heran. Auf seine unverwechselbar menschelnde, berührende Art und Weise macht Mizuki Geschichte persönlich. Und auch wenn seine Abneigung gegenüber dem Nationalismus deutlich ist, so vermeidet er doch zumeist den erhobenen Zeigefinger. 08/10 Nuri Nurbachsch
Kyoko Okazaki Pink 03 (Vertical) — Ende der 1980er zeichnet sich für viele deutlich ab, dass das Wirtschaftswunder im Nachkriegs-Japan demnächst vorüber sein wird. Der Pink Film – »pinku eiga« – eine populäre Strömung des japanischen Films – verlor im selben Zeitraum Publikum. 1989 veröffentliche Kyoko Okazaki »Pink«. Eine absurde romantische Tragikomödie über ein Material Girl, ihr Doppelleben im Büro und als Callgirl, ihrem Krokodil als Haustier, ihrem uninspirierten Autor als Liebhaber, familiärem Zwist und ihrer Sehnsucht nach Mehr und Meer. »Pink« handelt von Verlust, Wert und Wertigkeit, Materialismus und auch im Rückschluss Idealismus. Okazaki (1963 geboren) wuchs in einem Japan auf, in dem kapitalistische, soziokulturelle Konstruktionen scheinbar alle Fasern modernen Lebens durchdrangen. Mit leiser Skepsis verarbeitet sie mit poetischer Weitsicht die Konsequenzen eines nicht mehr tragbaren Systems, an welches sich eine Kultur geheftet hatte. Ihr Humor ist ebenso still wie scharf und treffsicher.
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Ein Spiel für unterwegs – aus Papier! Die Entwickler von »Little Big Planet« bescheren der PS Vita ein bezaubernd maßgeschneidertes kreatives Abenteuer aus bunten Papierschnipseln. Nintendo weiß seit dem Gameboy, dass portable Konsolen nach einer eigenen Sorte Spiel verlangen. Sony tut sich damit traditionell schwerer, was auch ein Grund dafür sein mag, dass die technisch glänzende Playstation Vita die Ladentische tendenziell selten überquert. Nach dem grandiosen »Gravity Rush«, das 2012 an die Vita fesselte, gibt es jetzt endlich wieder maßgeschneiderte HandheldKost, die Sonys Mini voll ausnützt. »Tearaway« erzählt eine Geschichte aus einer papierenen Welt in der PS Vita, wo ein kuvertförmiger Bote aufbricht, um mir, dem Spieler, den in der Papierwelt alle nur »das Wesen« nennen, eine Nachricht zu überbringen. Und während das Wesen – Kamera sei Dank – von der Sonne aus zusieht, gilt es für den Boten (wahlweise auch die Botin) auf dem Weg voranzukommen, der immer wieder von Hindernissen und böswilligen Papierschnipseln erschwert wird. Möglich wird das nur durch die tatkräftige und physische Hilfe des Wesens, denn als Spieler muss ich mittels RückseitenTouchpad Sprungtücher antippen, um den Boten durch die Luft fliegen zu lassen, oder meine Finger brechen überhaupt durch den papierenen Boden, um Gegner zu vertreiben oder ein Hindernis beiseite zu schieben. Der Finger am Bildschirm ist dann selbstverständlich animiert, aber das Gefühl des direkten Eingreifens in die Spielwelt bleibt recht einzigartig. Zusätzlich dazu würde eine Spielwelt ganz aus Papier viel Potenzial vergeuden, wenn ich nicht selbst basteln dürfte. Also gibt es ein Bastelzimmer, in welchem ich über den Touchscreen buntes Papier zurechtschneiden und die Welt mit meinen Kreationen umgestalten kann – manchmal, um voranzukommen, manchmal einfach nur, um den Boten oder sonst irgendwas zu verschönern. An einigen Ecken und Enden des Spiels wäre noch Raum für mehr Innovation und Kreativität, aber in erster Linie verdient »Tearaway« ein inbrünstiges: So sollen portable Spiele sein! Bitte mehr davon. 09/10 Harald Koberg
Tearaway (Sony); PS Vita getestet; tearaway.mediamolecule.com 055
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Rez Baphoments Fluch: Der Sündenfall 01 (Revolution Software); PC / MAC, www.revolution. co.uk/games/bs5 — Frischer Wind im Point-andClick? Nicht wirklich. Mit den bekannten Serienprotagonisten gilt es gewohnt gemächlich Kombinationsrätsel zu lösen und einen Kunstraub aufzuklären. Das Verschwörungselement ist ebenso mit von der Partie, wie eine Vielzahl mäßig witziger Dialoge. 05/10 Reiner Kapeller
Bioshock Infinite – Seebestattung Episode 1 02 (Irrational / 2K); Xbox 360 getestet, PC, PS3; www. bioshockinfinite.com — Neues Material für 2Ks Vorzeige-Shooter. Wenig überraschend gilt es diesmal wieder Rapture, die Stadt unter Wasser aus den ersten beiden »Bioshock«-Teilen, zu bereisen. Booker und Elisabeth begeben sich auf die Suche nach einer Sally – und am Ende dieser ersten Episode macht der Spieler eine eigentlich doch überraschende Entdeckung. Bis dahin ist das Spiel eher ein Paar als ein paar Stunden kurz und verlässt sich leider all zu sehr auf sein Setting. Und das ist eben schon weitgehend bekannt und damit ein bisschen wenig. Es gibt ein Wiedersehen mit den verstörenden Little Sisters und Big Daddies – das war es dann aber mehr oder weniger auch schon wieder. DownloadEpisoden zu beliebten Spielen sind immer ein Grund zurückzukehren, zumindest diese erste ist aber durchaus ein wenig dürftig und zahlt sich nur für jene aus, die vorhaben, alle und damit die gesamt Geschichte zu erwerben. 06/10 Martin Mühl Halo Spartan Assault 03 (343 Industries); Xbox One; www.xbox.com — »Halo« als Shooter aus der Schräg-Oben-Ansicht: Storytechnisch angesiedelt zwischen »Halo 3« und »Halo 4« – also wurscht! – schießt sich der Spieler diesmal nicht aus der Egoperspektive durch die Gegner. Das gab es schon mal, »Halo Wars« war aber rundenbasiert. »Spartan Assault« ist actionlastiger und verlangt etwa so viel Taktik wie ein durchschnittlicher Shooter. Das Spiel geht recht locker von der Hand und ist weitgehend angenehm intuitiv. Die meisten der 30 Level dauern wenige Minuten und sind durchaus kurzweilig. Viel mehr sollte man sich auch nicht erwarten. Da die meisten Missionen beim ersten Versuch schaffbar sind, fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass das Spiel anbietet, gegen Geld – echtes Geld – bessere Waffen oder Ausrüstung zu erwerben. »Spartan Assault« ist ein Spiel für zwischendurch, mit einem großen »Halo«Titel aber nicht zu verwechseln. 06/10 Martin Mühl Killzone: Shadow Fall 04 (Guerilla / Sony); PS4; www.playstation.at — Abgesehen von der sogar fürs Genre absurden Geschichte verwundern das holprige Tempo und die teils massiven Defizite bei der KI. Trotz der bemerkenswerten Technik, offeneren Arealen und einer durchaus atemberaubenden Präsentation überzeugt das Next-Gen-Debut nicht wirklich. Stattdessen bestätigt »Killzone: Shadow Fall« das große Serien-Vorurteil: Grafikblender! Und im an sich recht gefälligen Multiplayer gerät der grafische Vorzeigetitel gelegentlich ins Stocken – welch Ironie. Eine of-
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fenere Welt und das Zugeständnis, spielerisch nicht in völlige Monotonie abzugleiten, reichen nicht, um das generell ziemlich festgefahrene Genre der EgoShooter weiterzubringen. Wer das bis dato schönste PS4-Spiel haben möchte, greift dennoch zu.
von Link für eine Neuauflage ausgewählt wurde, ist aber pure Ironie. Schließlich hätte praktisch allen anderen Serienteilen ein Facelifting deutlich mehr gebracht. Und wann kommt eigentlich das nächste neue Zelda? 07/10 Stefan Kluger
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Madden NFL 25 08 (EA Sports); PS4 getestet, Xbox One, Xbox 360, PS3; www.ea.com/de/madden — Zum 25. Jubiläum macht Madden mit neuer Engine im konkurrenzfreien Raum ein paar Schritte nach vorne, hat aber auch seine kleinen Macken. 07/10 Harald Koberg
Knack 05 (Sony) PS4; at.playstation.com — Gleich zum PS4Start liefert Sony einen monotonen, aber sympathischen Plattformer mit PS2-Optik – kein Hauch von NextGen und Innovationen. 04/10 Harald Koberg The Legend of Zelda – A Link Between Worlds 06 (Nintendo); 3DS; www.nintendo.at — Es ist ein bisschen wie Heimkommen, wenn man »The Legend of Zelda: A Link Between Worlds« spielt. Jedenfalls für jene, die Anfang der 90er bereits den Vorgänger »A Link to the Past« zockten. Für alle anderen Gamer ist es eben bloß ein außergewöhnlich gut gemachtes Action-Adventure, das kaum Wünsche offen lässt. Mit gewohntem Perfektionismus schuf Nintendo erneut eine Welt, die man bis zum grandiosen Finale erkunden möchte. Behutsame Änderungen (Waffenkauf, neue Energieleiste, offenere Areale) verbessern das alte Rezept und katapultieren mit fortlaufender Dauer den Spielspaß in gar schwindelerregende Höhen. Und für altgediente Serienveteranen gibt es nicht wenige liebevolle Referenzen auf den ersten Teil – Nostalgie-Alarm! Auch in »A Link Between Worlds« bereist Spitzohr Link ein helles und ein dunkles Hyrule, um Rätsel zu lösen und Monster zu bekämpfen. Neu dabei ist die Fähigkeit des Helden, sich in eine lebendige Wandmalerei zu verwandeln, um vormals unmögliche Hindernisse zu überwinden. Dementsprechend wurden die Dungeons angepasst, die endlich wieder Referenzklasse darstellen. Natürlich wird inhaltlich kaum Neues geboten – und auch spielerisch kommt unterm Strich fast nur Altbekanntes heraus. So ist das nun mal bei Zelda – jedenfalls bis jetzt – fast immer gewesen. Was soll’s, die Formel funktioniert auch heute noch und ist im Genre unerreicht. 09/10 Stefan Kluger
NBA Live 2014 09 (EA Sports); PS4 getestet, Xbox One; www.ea.com/ de/nb — Nach drei Jahren Pause hat EA in Sachen Basketball den Anschluss zur Konkurrenz verloren und liegt in allen Teilbereichen hinter »NBA 2K14«. 04/10 Harald Koberg
Professor Layton und das Vermächtnis von Aslant 10 (Nintendo); 3DS; www.nintendo.at — Das angeblich letzte Abenteuer bietet erneut umfangreichen Rätselspaß, um die eine interessante Geschichte gestrickt wurde. Wie immer bestechen zudem liebevoll gestaltete Charaktere und viele freischaltbare Boni. Wahre Rätselfreunde nehmen auch besonders knifflige Rätsel an. 08/10 Stefan Kluger Ratchet & Clank: Nexus 11 (Sony); PS3, www.us.playstation.com/games/ ratchet-and-clank-into-the-nexus-ps3.html — Die »Ratchet & Clank«-Reihe zählt zu den Urgesteinen auf der Playstation-Plattform. »Nexus« besinnt sich wieder auf die Tugenden der Serie: Ballern und in geringerem Ausmaß das Meistern von Hüpf- und Geschicklichkeitspassagen. Die Rückkehr zum reinen Third-Person-Shooter ist dementsprechend eine Hetz. 07/10 Reiner Kapeller Wii Party U 12 (Nintendo); Wii U; www.nintendo.at — Niemand weiß wohl, wer all die lahmen Partyspiele und MiniSpiel-Sammlungen spielen soll, die Nintendo in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Und doch reißt der Strom nicht ab. Zu Recht offenbar, denn zwischen all dem Seetang und dem verfaulten Holz wird ab und an auch etwas Hübsches angespült. Wobei das Wörtchen »hübsch« Nintendos neuester SpielchenAnhäufung unrecht tut. Hübsch ist das Spiel nicht, orientiert es sich doch an der Optik der erstaunlich hässlichen Miis, denen auch der Techniksprung von Wii auf Wii U keine Sympathiepunkte beschert hat. Dafür haben sich die Entwickler mit dem Abwechslungsreichtum wirklich Mühe gegeben. Und sie haben sich angesehen, was die Wii U so alles kann. Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht: »Wii Party U« nützt die alten Bewegungscontroller und das neue riesige Touchscreen-Ding auf unterschiedlichste Weise und sorgt mit einer großen Zahl an teils skurrilen, allesamt leicht verständlichen Spielen für allerlei Kurzweil. Eine kleine, erfreuliche Überraschung im Ozean von Monotonie und Langeweile. 06/10 Harald Koberg
The Legend of Zelda – The Windwaker HD 07 (Nintendo); Wii U; www.nintendo.at — Als »The Legend of Zelda: The Windwaker« vor über einem Jahrzehnt erschien, sorgte vor allem ein Element für hitzige Diskussionen: die Grafik. Ausgerechnet jene charmante Cel-Shading-Hülle stellte sich im Laufe der Jahre aber als überraschend zeitlos heraus. Auf der Wii U präsentiert sich die HD-Neuauflage des Abenteuers etwas polierter, im Wesentlichen jedoch unverändert. Das ist insofern schade, da der Segeltörn nach wie vor durch eine – über weite Strecken – furchtbar leere Welt führt. Einer Welt, die immer noch unvollständig wirkt und an zahlreichen Stellen zusätzliche Dungeons vermissen lässt (ein Fakt, der längst offiziell bestätigt wurde). Trotzdem ist »The Legend of Zelda: The Windwaker HD« ein gutes Spiel. Die Zelda-Mechanik ist unverwüstlich, der Grafikstil (sieht eigentlich fast so aus wie damals) charmant und die Welt trotz ihrer Limitierungen reizvoll. Dass ausgerechnet jenes Abenteuer
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BILD werkbund archiv / museum der dinge berlin / armin herrmann, ilya & emilia kabakov / vbk wien, eva engelbert, siegfried anzinger / lothar schnepf
Von Februar bis Juli werden im Hofmobiliendepot schlimme Dinge ausgestellt. Gebrauchsgegenstände, die die Welt nicht braucht. Die Schau stellt historische und aktuelle Objekte aus Design und Kunsthandwerk einander gegenüber. Etwa 60 Objekte aus dem ehemaligen »Schreckenskabinett« von Gustav E. Pazaurek, 100 historische Objekte aus dem Museum der Dinge in Berlin und den Nippes deiner Mutter! Musst du dir ansehen, köstliche Geschmacksverirrungen sind das. Eröffnung: 18. Februar, 19.00 Uhr; Dauer: 19. Februar bis 6. Juli Wien, Hofmobiliendepot
Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks
TERMINE KULTUR
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KULTUR
Ana Mendieta
Trotz eines kurzen Lebens hat es Ana Mendieta geschafft zu einer der bedeutendsten und einflussreichsten Künstlerinnen unserer Zeit zu gehören. Unter Verwendung ihres eigenen Körpers in Verbindung mit elementaren Materialien wie Blut, Feuer, Erde und Wasser entstanden »Körperbilder« und ephemere »Erdkörper«-Skulpturen, mit denen Mendieta ihre Suche nach ihrer Herkunft und Identität auslotete. Neben Zeichnungen, Foto- und Filmarbeiten werden erstmals auch Schriften und Originaldokumente der Künstlerin veröffentlicht. Eröffnung: 28. März, 19.00 Uhr; Dauer: bis 6. Juli Salzburg, Museum der Moderne Mönchsberg
BILD The Estate of Ana Mendieta Collection / Galerie Lelong and Alison Jacques Gallery, annet gelink gallery / nogueras blanchard, Johannes Stoll / Belvedere Wien
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TERMINE
El Lissitzky – Ilya und Emilia Kabakov Das Kunsthaus Graz beschäftigt sich mit Aufbruch und Niedergang kommunistischer Visionen bei zwei Künstlergenerationen. Die Schau stellt den jüngeren Ilya Kabakov in einen Dialog mit El Lissitzky, dem großen Giganten der russischen Avantgarde, und auch Fragen nach Aufbruchsstimmung, gesellschaftlichen Utopien, ihren Abgründen und ihren künstlerischen Umsetzungen. Eröffnung: 6. Februar, 19.00 Uhr; Dauer: bis 11. Mai Graz, Kunsthaus.
Eva Engelbert Die Startgalerie zeigt zwei Arbeiten der Künstlerin Eva Engelbert, die sich mit urbanen Orten auseinandersetzt, die in prekäre Situationen geraten sind. Die Fotografien »Tokyo Blue« und »Congo Blue« agieren als Schnittstelle zwischen Architektur, Globalisierung und Ideologie und individuellen Positionierungen innerhalb sozialer Systeme. Engelbert dokumentiert zudem fotografisch anachronistische Kunstwerke vom Wiener Gemeindebau aus der Nachkriegszeit, die in irgendwelchen Nischen überlebt haben. Eröffnung: 6. Mai, 18.00 Uhr; Dauer: bis 10. Juli Wien, Startgalerie im Musa
Siegfried Anzinger
Der Österreicher Siegfried Anzinger hat 1988 an der Biennale in Venedig teilgenommen. Während sich ein Teil der Ausstellung dieser Schaffensphase widmet, zeigt ein anderer seine neuesten Gemälde. In den letzten Jahren sind die Arbeiten des Künstlers immer mehr von Bildthemen wie Tieren, Madonnen, Schöpfungsgeschichten oder erotische Darstellungen geprägt, die mit Gestalten aus Schundheften kombiniert werden. Eröffnung: 12. Februar, 19.00 Uhr; Dauer: bis 27. April Wien, Bank Austria Kunstforum
Slapstick
Mit dieser Ausstellung widmet sich das Lentos der »Kunst des Scheiterns« anhand historischer Größen wie Charlie Chaplin oder Buster Keaton und verfolgt die Charakteristika des Slapsticks bis in die Gegenwartskunst. Objekte, Installationen, Fotografien und Filme von Künstlern wie John Bock, Wilfredo Prieto, Timm Ulrichs, Bruce Nauman oder Francis Alÿs werden in einem Ausstellungsparcours mit ausgewählten Sequenzen aus bekannten Streifen der Klassiker des Stummfilms kombiniert. Eröffnung: 27. Februar, 19.00 Uhr; Dauer: bis 25. Mai Maria Gugging, Museum Gugging
Noële Ody – Embrace The Shit
Noële Ody baut außergewöhnliche Dinge. Objekte, die ihren eigenen Platz und Bedeutung finden und mitunter an Readymades erinnern, auch wenn sie keine sind. Mit »Embrace The Shit« versuchen Noële Odys Arbeiten nicht nur den Betrachter mit einzubeziehen, sondern sich sowohl in Situationen einzupassen als auch solche zu erzeugen. Dauer: bis 23. Februar Wien, 21er Haus 059
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Dis/mem/ber. Bernhard Hosa
New Year’s Resolutions. Kathi Hofer
Der österreichische Künstler Bernhard Hosa thematisiert in seinem Werk vor allem Gewalt. Es geht ihm allerdings um leise, alltägliche Gewalt, den Menschen als Körper und den Körper als Konstrukt aus sozialen Verhaltensregeln und die daraus resultierende Entindividualisierung der Massenmenschen. Dabei begibt er sich in das Forschungsgebiet von William S. Burroughs, Michel Foucault und Gilles Deleuze und der von ihnen immer wieder thematisierten Kontrollgesellschaft. Seine Recherche wird zu einer klinischen Installation, die mit dem Menschen in Raum und der daraus resultierenden architektonischen Wirklichkeit spielt. Dauer: bis 15. März Neue Galerie, Innsbruck
Kathi Hofer setzt sich in ihrer konzeptuell angerichteten Ausstellung mit den Themen Kreativität und Produktionsdruck auseinander. Dabei setzt sie Walter Benjamins Credo in die Wirklichkeit um und reproduziert tatsächlich andere Kunstwerke – vom Geschenkpapier bis zur Ming-Vase. In ihrer interdisziplinären Arbeitsweise verbindet sie Installation, Fotografie, Malerei und Skulptur und versucht so, den Zuseher mit seiner eigenen Wahrnehmung von Kunst zu konfrontieren – ohne die Parameter des Museumsbetriebs zu beachten. Dauer: bis 8. März Galerie Gabriele Senn, Wien
Niederösterreich
Wien
Staging Apam Galerie Göttlicher, Krems bis 1. März
Salzburg
TEXT Margit Emesz BILD Bernhard Hosa, Kathi Hofer
G a lerien
Der endlose Raum. Robert Motelski Galerie Sandhofer, Salzburg bis 25. Februar Vincent Szarek. Works 2003- 2013 Galerie Ruzicska, Salzburg bis 1. März
Steiermark
Metamorphosen. Regina Hadraba Galerie Andreas Lendl bis 15. Februar
Vorarlberg
The dance of nature. Roland Adlassnig Kunst.Vorarlberg - Forum für aktuelle Kunst, Feldkirch bis 16. Februar
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Channeling. The medium leaves the message Viertelneun Galerie Eröffnung: 28. Jänner, Dauer: bis 5. Februar Copie non conforme Kunstraum Niederösterreich bis 15. März Tanz der Hände - Tilly Losch und Hedy Pfundmayr in Fotografien 1920–1935 Photoinstitut Bonartes bis 13. März Vienna International Photo Awards für dokumentarische Fotografie Schauraum 11/nullnull bis 2. März Reinhard Schulz - Analog Digital Lichtraum Eins bis 1. März Nuts and Bolt. Viktors Svikis Galerie Michaela Stock bis 8. März
Kunsthalle Wien
DAS WUNDER DES LEBENS Museumsquartier JOs dE GRuyTER & HARAld THys 7/2 – 4/5 2014 AussTEllunG #JdGHT Jos de Gruyters und Harald Thys fordern in ihrer ersten Einzelausstellung in Österreich das Publikum zu einer Orientierung zwischen Wahrheit und Fiktion heraus und widmen sich der Absurdität des Alltäglichen. Mit ihrem von schwarzem Humor, kritischer Reflexion und durch eine geradezu banal wirkende Machart geprägten multimedialen Werk lenken die beiden belgischen Künstler die Aufmerksamkeit immer auch auf das subversive Potenzial von Kunst. In Kooperation mit dem Museum van Hedendaagse Kunst / M HKA, Antwerpen Alle Infos zu Ausstellung und Programm unter: www.kunsthallewien.at Kunsthalle Wien Museumsplatz 1, 1070 Wien, Austria kunsthallewien.at blog.kunsthallewien.at facebook.com/KunsthalleWien twitter.com/KunsthalleWien instagram.com/KunsthalleWien
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TERMINE
FESTIVALS
3 Fragen an Hannes Tschürtz (Poolinale) Die Poolinale 2013 konnte Rekordbesucherzahlen aufweisen. Wollt ihr weiter wachsen? Das ist eher nicht die erste Frage, die wir uns stellen. Wir wollen ein niveauvolles, vielschichtiges Filmfestival bieten. Die entspannte Atmosphäre ist uns dabei wichtig. Die Poolinale läuft ein bisschen unter dem Motto: »Wir schauen uns ein paar Musikfilme an, die wir großartig finden, und laden ein paar Freunde dazu ein.« Mit »Fuck The Atlantic Ocean« feiert dieses Jahr ein Film Premiere, für dessen Entstehung die Poolinale nicht ganz unverantwortlich war. Wie kommt’s? Nicht verantwortlich im eigentlichen Sinne – die Poolinale war in gewisser Weise der »Funke«. Die bei unserer ersten Ausgabe 2011 entstandene They Shoot Music-Session mit Sweet Sweet Moon wurde wahnsinnig populär in Südamerika und brachte Künstler und Videomannschaft auf die Idee, dorthin zu fahren und das zu verfilmen. Ein großartiges Projekt, mit dem wir uns entsprechend emotional verbunden fühlen. Die Zusammenführung all dessen bei der heurigen Poolinale ist ein Höhepunkt des Festivals. Auch der Österreichische Musikvideopreis wird wieder vergeben. Erlebt das als Kunstform gerade eine Renaissance? Ich würde behaupten: ja. Als vor 10, 15 Jahren MTV begann, sich von der Musik zu verabschieden, ging das einher mit der Totsagung des Formats. Aber die Verfügbarkeit digitaler Produktionsmöglichkeiten hat eine völlig neue Ära eingeläutet. Gerade in Österreich ist die Vielfalt und Qualität beeindruckend. Die künstlerisch hochinteressante Film- und Musikszene ist ein idealer Nährboden, um so einen Preis überhaupt ins Leben zu rufen und auf der großen Leinwand zu zeigen, was geschaffen wird. Poolinale Music Film Festival 26. bis 30. März Wien, verschiedene Locations www.poolinale.at
Am Imagetanz kümmert man sich halt, und das nicht zu knapp.
Imagetanz Festivals für Choreografie und Performance finden ja ohnehin viel zu selten statt, da kommt das Imagetanz 2014 gerade recht. Mehr als 20 Ausgaben gab es mittlerweile schon, das diesjährige Motto lautet passenderweise »Who Cares?«. Erstmals gab es dafür eine offene Ausschreibung. 2015 dann halt hoffentlich wieder. Da wird dann auf der Bühne Caritas getanzt, Sorge performt und vermutlich Geld an Obdachlose ausgegeben. Denn das Festival will ja auch die Grenzen zeitgenössischer Performance sprengen. Und kann das etwas anderes sein als in die Praxis zu kommen? Ach – nein? 6. bis 22. März Wien, Brut
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TERMINE
FESTIVALS »Butterflies« von Isabel Peppard wurde bereits mit mehreren Awards ausgezeichnet.
99 So viel Euro kostet ein Festivalpass für das 15. Internationale Akkordeon Festival, das heuer vom 22. Februar bis 23. März 2014 in Wien abgehalten wird. Natürlich jeden Cent wert.
Tricky Women
TEXT Franz Lichtenegger BILD Laura Gaetano, Florian Rainer, Isabel Peppardm »Butterflies«, Phile Deprez
Alle Jahre wieder im März richtet ganz Wien sein Augenmerk auf Animationen von Frauen. Mit zwei Spielfilmen und einer 60-minütigen Doku hat man heuer so viele lange Werke wie noch nie. Ein Schwerpunkt zu Dokumentarischem bildet sich ebenso heraus wie zu kollaborativen Arbeiten und solchen aus dem spanischsprachigen Raum, vor allem aus Mexiko. Erstaunlich, was dieses Festival mit spezieller Ausrichtung jedes Jahr aus dem globalen Animationsfundus kramt. 12. bis 16. März Wiener Haydn Kino
Schule aus? Lehrer tot? Schreitherapie? Auch die Akteurinnen der niederländischen Produktion »Wild Thing« sind schon riesig aus dem Häuschen.
Berlinale
Die Berlinale gehört in die A-Liga der internationalen Filmfestivals. Mit im Programm ist unter anderem George Clooneys neuester Streifen »Monuments Men«, der vom Kunstraub der Nazis handelt. Eröffnet wird das Festival von Wes Andersons »Grand Budapest Hotel«. Voll knorke! 6. bis 16. Februar 2014 Berlin
Szene Bunte Wähne Unter dem Titel »Das Mee(h)r in mir« will das 17. internationale Szene Bunte Wähne Tanzfestival auf Umwelt und Identität aufmerksam machen. Fünf Tage lang gibt‘s von Tanz-Ensembles aus ganz Europa was auf die Augen, ökologische Intelligenz soll dabei besonders beleuchtet werden. »Für ein junges Publikum« soll es sein, also nichts wie hin. 27. Februar bis 3. März 2014 Wien / WUK Dschungel
Big Village
Eines der kleinsten aber feinsten Festivals Vorarlbergs soll zum mittlerweile fünften Mal urbane Konzert- und Clubkultur ins idyllische Lustenau bringen. Dafür sorgen zwei Tage lang Gerard, Iriepathie, Sunrise16 und Marcus Smaller. Tanzbare Aftershow-Umrahmung gibt’s anschließend von den DJ-Teams Invasion Sound und Stereo Nerds. 28. Februar und 1. März 2014 Lustenau 063
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MUSIK
21.2. Fr | 19:00 | Wiener Konzerthaus »music4u« | EUR 13,– | 22,– (< 26 Jahre | Erw.)
Federspiel
»Eine musikalische Frischzellenkur … frech, eigenständig, einfallsreich, unbefangen und gelöst«
© Amelie Schillhuber
»Austrian World Music Award 2011« Publikumspreis-Gewinner
Müssten ihre Gesichter nicht überkritzeln, tun sie aber trotzdem.
Disclosure Den Weg von der Indie-Kneipe in die Dorfdisco haben Disclosure längst gefunden. Beste Qualifikationen also für eine Gasometer-Sause der besonderen Art. Das sympathische Brüderpaar aus Surrey hüpft weiterhin unverschämt von UK Garage hinüber zur Popmusik und schafft dabei irgendwie den Spagat zwischen Kommerz und Cool. Den jüngsten Ergüssen nach zu urteilen, darf man wohl mit einer lasergeladenen NebelAngelegenheit rechnen, und davon kann man ja bekanntlich nie genug haben. 16. März Wien, Gasometer
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Mi | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn Garage X | VVK: EUR 12,– | AK: EUR 14,–
Jetlag Allstars »Kurkonzert«
Mario Gheorghiu Violine Klaus Wienerroither E-Gitarre Ernö Rácz Kontrabass
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Jeunesse – musik.erleben
Ein Dokumentarfilm machte den vergessen geglaubten Sixto Rodriguez zum Star.
Sugarman saison 2013|14 klassik jazz world neue musik kinderkonzerte
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Jeder, der »Searching For Sugarman« (Oscar für den Besten Dokumentarfilm 2013) gesehen hat, kennt die wunderbare Geschichte des mexikanisch-stämmischen Sixto Rodriguez, der nach zwei gefloppten Alben in den USA ohne sein Wissen zum Kultstar im von Apartheid geplagten Südafrika avancierte. Seine Alben wurden Anfang der 2000er neu aufgelegt. Sein Auftritt in Wien bietet die erste Möglichkeit, den Singer/Songwriter-Folkrock des heute 71-Jährigen in Österreich live zu erleben. 26. März Wien Wien, Stadthalle / Halle F
TEXT Dominik Oswald, Franz Lichtenegger BILD Universal Music, Canfield Pictures / The Documentary Company 2012, Julia Grandegger, Olaf Heine, Dan Le Sac, This Charming Man Records, Simon Lesley
© Julia Wesely
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TEXT Dominik Oswald, Franz Lichtenegger BILD Universal Music, Canfield Pictures / The Documentary Company 2012, Julia Grandegger, Olaf Heine, Dan Le Sac, This Charming Man Records, Simon Lesley
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MUSIK
Velojet & Lukas Lauermann Doppelkonzerte sind schon was Feines. In diesem Fall schlägt man die österreichischen Pop / Rock-Oldtimer von Velojet und Lukas Lauermann, seines Zeichens Komponist und Cellist, mit einer durchaus rentablen Klappe. Letzterer legt sein erstes Solo-Programm vor. Zwei ziemlich fette Fliegen, die da am Sound-Fenster rumschwirren und Euphorie mit Melancholie zu einem harmonischen Ganzen zusammenbringen. 21. Februar Wien, ORF RadioKulturhaus
Moderat Wenn man Mathe gut drauf hat, erschließt sich einem die Gleichung »Modeselektor + Apparat = Moderat« sofort. Die beiden Acts konnten bereits im Alleingang anständige Erfolge verzeichnen, ihre Kräfte zu bündeln und als Electro-Supergroup zu fungieren, erscheint also logisch. Wie wütend die Bässe des Berliner Trios zwölf Jahre nach ihrer ersten Begegnung noch klingen, wird sich hier zeigen. 24. Februar Wien, Arena
Dan Le Sac vs Scroobius Pip Damals, als Myspace noch superhip war, galten Dan Le Sac vs Scroobius Pip als Legenden, die durch die Plattform einen Labeldeal an Land ziehen konnten. Nun legen die beiden ihr mittlerweile drittes Album vor, liefern darauf in gewohnter Indie-HipHop-Manier ab und gastieren damit in Wien. »Repent Replenish Repeat« nennt sich die Scheibe, an der auch Flux Pavilion beteiligt war. Voll tight. 27. Februar Wien, Brut / Künstlerhaus
Messer Auf ihrem 2013 erschienenen Zweitwerk »Die Unsichtbaren« definiert die Gruppe Messer zeitgemäßen Post-Punk neu, ohne dabei auf die Vorbilder der 80er zu vergessen. Den Münsteranern gelingt es damit spielend, in die Liga der Genrevorreiter aufzusteigen. Auf den Tag genau ein Jahr nach ihrem letzten ekstatischen Wienkonzert treten sie nun im Rhiz auf. Zeit, die alten Deutschpunk-Shirts rauszuholen. 3. März Wien, Rhiz
Cloud Boat Die Dubwriter / Songstepper Cloud Boat aus London stammen aus dem selben Umfeld wie James Blake und Mount Kimbie und stehen bei der britischen Institution elektronischer Tanzmusik unter Vertrag: R&S Records. Mit der schon auf dem 2013er Werk »Book Of Hours« beobachtbaren Verbindung von Autotune-Falsett, Gospellyrics, sachten Beats und hypnotischem Gitarrenspiel kommen sie nun ins Wiener Chelsea. 2. März Wien, Chelsea
Fanfarlo
Anna Calvi
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»Let’s Go Instinct« – so der Titel des im Februar erscheinenden dritten Albums der britisch / schwedischen Band. Instinktiv richtig fühlt sich auch der sphärische Space-Indie-Folk an, mit dem Fanfarlo ihre Ausnahmeerscheinung in der britischen Poplandschaft auch im Flex unter Beweis stellen werden. 1. März Wien, Flex
Anna Calvi sieht nicht nur hervorragend aus, auch musikalisch hat die junge Britin ordentlich Feuer unterm Arsch. Das loderte schon auf ihrem bejubelten Debüt, und erlischt auch auf ihrem zweiten Album »One Breath« nicht. Hitzige Elemente, die das ohnehin hitzige Chaya Fuera sicherlich zum Kochen bringen werden. 5. März Wien, Chaya Fuera
Nach dem fabelhaften Auftritt am Waves Vienna 2012 kommt der psychedelische Fünfer aus Brighton mit dem im Vorjahr erschienenen Zweitwerk »Join The Dots« im Gepäck zurück nach Österreich. Mit ihrer Mischung aus Indie, Psychedelic und Shoegazing werden Toy die Besucher in der Fluc Wanne sicherlich begeistern. 19. März Wien, Fluc Wanne
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Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.
Silbenschlacht im Genitalbereich
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enn man sich so wie ich hinter einem sehr dämlichen Pseudonym versteckt, ist es nicht gerade ein Akt der Anständigkeit, Menschen, die meines Erachtens durch außergewöhnliche Leistungen auffällig wurden, beim Namen zu nennen. Ich bin zum Anonymisieren verdammt. Deswegen bin ich meiner Kolumnenkollegin Amira Ben Saoud aus mehreren Gründen sehr dankbar, dass sie mir erlaubte, Teile einer Korrespondenz zu veröffentlichen, die wir vor Kurzem führten. Erstens muss ich sie nicht hinter einer Initiale verstecken. So etwas umwehte nämlich schon zu Zeiten Kleists der Charme des Ausgelutschten. Zweitens ließ sie sich nicht lange bitten und ersparte mir Sätze wie: »Baby, ich bring dich in meiner Kolumne ganz groß raus – auf die altmodische Print-Tour!« Zu mehr reichen meine Suggestivkräfte nämlich nicht. Und drittens ist der schriftliche Austausch ja schon erfolgt, das spart Zeit und bringt Synergien. Nun denn: Amira teilte mir mit, sie wolle als Side Project zu Hass-Haikus nun Würstchen-Haikus machen und eröffnete eine bunten Silbenreigen mit folgendem Zeilen:
illustration Jakob Kirchmayr
Weniger ist mehr? Aber sicher nicht bei Beidln. Das da ist zu klein! Keine Ahnung, welches Läuschen der lieben Kollegin über die Leber gelaufen ist, aber ich bin ein hilfsbereiter Mensch und am Land groß geworden. Also bei jeder Art von Demütigung bin ich instinktiv erst einmal dabei. Kompaktvagina! Aber der kleine Eumel Steht verloren da. Und so ging es dann munter und fröhlich weiter.
Für dieses Würstchen Brauch ich Sparefroh ja nur Ein halbes Kondom Mit freiem Auge ist eindeutig erkennbar was kein Zollstock misst
Dildos, die du brauchst Heißen im Fachterminus Moped und Vespa
Haikus sind perfekt über kurzes zu schreiben. Wie dein Pimmelchen
Ich wünsch mir für dich eine Vorhautverengung. Dann leb’ mit der Clit!
Dein Lulu kommt an Meinen Gebärmutterhals nie und nimmer ran
Wenn du kommst brummt es! Ein Bär hält in deinem Loch seinen Winterschlaf.
Es braucht um einen von der Palme dir zu wedl’n der Finger nur zwei
Ich mag Cornichons Aber ein Gürkchen im Bett stößt mir sauer auf
Mit deiner Erbse bringst du mein Gaumenzäpfchen höchstens zum Kichern
Ich steh nicht darauf beim Lecken deiner Mumschi Echo zu hören
Nennst mich Hasilein doch mir ist dein Karöttchen leider viel zu klein
Du bist Disk Jockey doch deine Nadel taugt nicht einmal zum Scratchen
Dein Bienenstachel legt einen Verdacht nahe: Du stirbst beim Erguss!
Wirst du richtig nass fühlt sich das an, als ob ein Gletscher ins Meer kalbt
Das weite Feld der Penis Humiliation ist zwar unerschöpflich, wird aber fad, darum brauchte es dringend Haikus, in denen sich der Angeprangerte mit Gegenhaikus auch verteidigen darf:
Die Schwanzlotterie hat dir leider nur eine Niete zugelost
Bitte was willst du? Dein Liebeshangar ist selbst Jumbo Jets zu klein Selbst Blasen am Mund sind um einiges größer als dein Dingsi dort d’runt Heut fahr ich zu dir Navi, Kompass und Karte brauch ich dann erst dort Steht der wirklich schon? Nein, bist du dir ganz sicher? Oh! Oje, oje …
Twitterte Pics von mir mit deinem Camel Toe # Futzilla Fazit der ganzen Angelegenheit: G’redt und geschissen ist bald einmal ein Haufen und gedichtet auch
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