156 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 156, APRIL / MAI 2016
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CELLAR DOOR
Eine 504-Stunden-Performance-Installation von Thomas Bo Nilsson Eine verschlafene Kleinstadt. Durch die Eingangstür eines einfachen Einfamilienhauses gelangt man in die Abgründe einer Dorfgemeinschaft und begegnet Bewohnern, für die die Grenzen zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität längst verwischt sind. In den labyrinthisch miteinander verbundenden Kellerräumen ihrer Häuser spielen sie seit Jahren ein niemals endendes teuflisches Spiel. Menschliche Ego-Shooter kontrollieren die dunkelsten Bereiche des Tunnelsystems und liefern sich, permanent von einer anonymen Masse via Internet gesteuert, auf Leben und Tod einem undurchschaubaren Wettkampf aus. 21 volle Tage und Nächte lang wird »Cellar Door« sein Publikum im Schauspielhaus und im Netz einladen, in dieses düstere Spiel einzusteigen und die menschlichen Schicksale hinter den ramponierten Kämpfern der Unterwelt kennenzulernen. www.schauspielhaus.at
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Leitartikel von Thomas Weber.
»Das Bessere müssen wir selber schaffen« Als gescheiterter Kulturpolitiker rechnet Klaus Werner-Lobo gerade mit der politischen Klasse ab. In seinem neuen Buch – einem Ratgeber – fragt er, ganz ohne Fragezeichen: »Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht«. Eine Art Nachruf auf einen Parteipolitiker, der als Autor und Aktivist wiedergeboren wurde.
orab: Klaus Werner-Lobo hat in sehr vielem recht. Nicht nur mit dem, was er in seinem gerade publizierten Ratgeber schreibt. Auch mit dem, was er über Parteipolitik ganz generell und die Partei, aus der er vor Kurzem ausgetreten ist, sagt. Dass die Grünen, eine Partei wie die anderen auch geworden ist; dass es auch dort Machtspielchen gibt und mitunter die von den einen anerkennend, von anderen wiederum verächtlich als Realos Bezeichneten den Ton angeben; dass die Basisdemokratie eine Farce ist und so weiter und so fort. Im Grunde ist das aber alles nichts Neues. Unzufriedene äußern diese Kritik mindestens seit den 90er Jahren. Es verdient Anerkennung, dass es WernerLobo als prominenter Quereinsteiger (aus seiner Sicht) besser machen wollte, und es verdient einigen Respekt, dass er sich nun eingesteht, am politischen System gescheitert zu sein. Das ist nicht nichts. Immerhin hat er fünf Jahre seines Lebens der aktiven Politik gewidmet und ist sich dabei einigermaßen treu geblieben. Trotzdem wirkt es ein wenig wehleidig und berechnend, wenn er nun in Interviews zum Erscheinen seines neuen Buchs »Nach der Empörung« mit den »Basiswapplern«, die sich nicht für seine Wiederwahl begeistern wollten, gleichermaßen abrechnet wie mit den machiavellistischen Machenschaften der Parteistrategen. Naiv wäre, wer glaubt, wo Menschen mit großen Egos in Parteien mit Geschichte und Apparat aufeinandertreffen, ginge es ganz ohne Intrige oder garstige Konfrontation. Selbst die neu gegründeten linken Wahlbündnisse Spaniens und Griechenlands, von denen er in seinem Buch schwärmt, sind davon nicht frei. Und Klaus WernerLobo, selbst kein kleines Ego, war und ist alles andere als naiv. Im persönlichen Gespräch immer überzeugend und in seinen Standpunk-
zur außerparlamentarischen Opposition, welche qua Zivilgesellschaft auf die Meinungsbildung und politische Entscheidungsprozesse einwirkt. In dieser Rolle – als Vorbild, Autor und Aktivist – wirkt Werner-Lobo gleich um ein Vielfaches überzeugender als in jener des Politikers. Nur ein Detail, aber insgesamt wohl auch kein Zufall: Kultur kommt darin nur als Mittel zum Zweck vor. »Kunst als Mittel zur gesellschaftlichen Transformation« nennt sich ein (kurzes) Kapitel in »Nach der Empörung« (Deuticke Verlag). Ein durchaus zeitgemäßer Ansatz – erläutert anhand von Beispielen wie dem »Zentrum für politische Schönheit« oder einem eindrucksvollen Flüchtlingsprojekt der »Wienwoche« –, aber im Kontext Kultur eben auch nur eine von vielen Herangehensweisen. Immerhin: Klaus Werner-Lobo ist als Post-Parteipolitiker kein Verbitterter. Im Untertitel seiner Buchs heißt es schließlich nicht Was tun, wenn wählen nicht mehr nützt, sondern »Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht«. Seine Überzeugung: Wählen, meint er, müssten wir, um das Schlimmste zu verhindern. »Das Bessere müssen wir allerdings selber schaffen«. Wie das geht, dazu liefert sein neues Buch reichlich Anregung. Und manche seiner Leser wird es vielleicht sogar in die aktive Parteipolitik bringen. Bild Michael Winkelmann
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ten überzeugt, ist er doch auch als Politiker eher Aktivist und vor allem Buchautor geblieben. Zweifellos hat er seine politische Funktion genutzt, um auf ihm wichtige Themen – allen voran das Flüchtlingsthema – aufmerksam zu machen. Darüberhinaus war ihm, und das merkte man mitunter, die Kulturpolitik nie ein wirkliches Herzensanliegen. Aber das müsste sie beim Kultursprecher einer mitregierenden Stadtpartei sein. Glaubwürdig zwar, wenn es darum ging, Gelder umzuverteilen (etwa von den elitären Institutionen hin zu kleineren, prekären Initiativen), schien er an kulturpolitischen Themen oft eher aus Pflichtbewusstsein und nicht aus Leidenschaft interessiert. Und der offensichtlich aus Koalitionsraison abgeschlossene Nichtangriffspakt mit dem roten Kulturstadtrat führte dazu, dass es in Wiens Kulturpolitik seit Rot-Grün I kein wirkliches Korrektiv, keine ernstzunehmende Kritik mehr gab. Davor hatte die grüne Kulturpolitik, noch unter seiner Vorgängerin Marie Ringler, zumindest aus konstruktivem Reiben an der »offiziellen Kultur« bestanden. Auch 2016 gibt es in diesem Bereich keine wirklich ernstzunehmende Opposition. Denn die Wiener Volkspartei, aber auch die Neos reduzieren sich kulturpolitisch aufs Erbsenzählen. Wirklich Konstruktives kommt wenn, dann noch am ehesten von der SPÖ selbst. Gut vorstellbar, dass ein streitbarer Geist wie Werner-Lobo unter diesem verordneten Kuschelkurs gelitten hat. Kulturpolitiker war er trotzdem keiner, eher der personifizierte Kompromiss. Konsequenterweise hätte gerade er die Funktion eines Kultursprechers besser niemals angenommen. Vielleicht wollten ihn die gescholtenen »Basiswappler« ja wirklich nicht mehr wählen, weil er ihnen – wie er in einem Interview sarkastisch anmerkt – »nicht das Goderl gekratzt hat«. Vielleicht wollten sie ihm aber auch deshalb keine zweite Chance geben, weil Werner-Lobo zwar ein wacher politischer Geist, aber eben kein leidenschaftlicher Politiker ist? Sein neues Buch ist wohl nicht zufällig ein Plädoyer für die APO, eine Anleitung
Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber
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#WAHLKAMPFIMNETZ Obama, Clinton, Trump – in Amerika unterscheidet sich Wahlkampf nicht nur inhaltlich deutlich von dem, was wir hierzulande gewohnt sind, auch der Umgang mit Big Data, Sozialen Medien, Crowdfunding, oder Gifs spielt sich auf einem anderen Level ab. Doch gibt es auch in Österreich Ansätze, Wahlkampf (auch) im Netz zu führen. Anlässlich der Bundespräsidentenwahl haben wir uns umgesehen.
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Magazin Wahlkampf im Netz 012 —— Bedeutet Wahlkampf 2016, dass wir uns an Posting statt Postwurfsendung gewöhnen müssen? Sogar in Österreich? Und was sagen eigentlich Maschek dazu? golden Frame: Anna-Sophie Berger 018 —— Schauplatz Bregenz, wo junge Kunst auf öffentlichen Plakatflächen quasi fürs Vorbeigehen passiert. Flüchtlingsarchitektur 020 —— Die Unterbringung von Flüchtlingen beschäftigt nicht nur die Politik, sondern stellt auch Architekten vor neue Aufgaben. Das Grauen von Generationenporträts 022 —— Verschone uns mit deinen Texten, denn dein Problem ist nicht das Problem einer ganzen Generation. Nein, nein, nein. Ogris Debris 024 —— Zwischen Elektro und House feiern Ogris Debris auf ihrem Debüt den Frühling im Club. Vague 025 —— Post-Punk und Idealismus, dafür kein Frontmann und kein Gesang auf Deutsch. Vague machen vieles anders – und richtig. Eddie The Eagle 026 —— Die vielleicht größte Legende des Skisprungsports bekommt sein Biopic. Blauschmuck 028 —— Die wahre Geschichte einer kurdi-
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schen Frau, die von ihrem Mann fast zu Tode geprügelt wird und dennoch im Herzen frei bleibt. Ein Heldinnenroman. Signa 030 —— »Wir müssen das Publikum betasten und auch manchmal schlagen.« Öhhhm, ok? Tomas Zierhofer-Kin 034 —— Ein schillernder Kulturmanger zwischen Schwarz und Rot, Avantgarde und Establishment. Wir haben ihn besucht. Stuckrad-Barre 035 —— Mit seiner Autobiografie »Panikherz« rollt der deutsche Popliterat und Journalist sein Leben auf. Inklusive Koks und Ruhmessucht, versteht sich. Schwerpunkt: gründen / bildung Maker-Faire 038 —— Die nächste industrielle Revolution wird von der Maker-Szene erwartet. Wer sind diese Menschen und was unterscheidet sie von gemeinen Bastlern? Start-Up Mekka Uni 040 —— Nicht nur bilden sollen die Unis, sondern auch das kreative Potenzial der Studierenden fördern. Und sie beim Gründen unterstützen. Du studierst was? 041 —— Abseits der ausgetrampelten Studienpfade zu wandern, kann einen oft schneller weiterbringen. Eine Auswahl. Food studieren 046 —— So wirst du »Master of Nom Nom«.
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Schwerpunkt gründen / bildung Ja, Numismatik zu studieren ist sicherlich ein Weg, sich später mal mit Geld auszukennen. Andere gründen halt Startups, direkt von der Uni weg und verkaufen sie bald schon gewinnbringend. Wieder andere studieren Food Design oder Pferdewissenschaften oder lassen das mit der Ausbildung gleich und werden Maker. Die Möglichkeiten sind da. Auch bei uns.
044 Rubriken Leitartikel 003 Inhalt 004 Editorial 006 006 Porträts / Impressum Fondue 007 008 Pandagram: Peter Schernhuber Unbezahlter Anzeiger 009 Prosa: Benjamin von Stuckrad-Barre 036 Workstation: Clara Gottsauner-Wolf 048 Reviews 053 Termine 058
Bild der Ausgabe Wir schreiben hier nicht nur darüber, wie man Essen studieren kann (S. 46), wir legen auch selbst Hand an. Maxi Graf und Isabella Auer sind dem Ruf der Blutwurst nach Ebreichsdorf gefolgt. Es gibt auch ein Video als Beweis.
Kolumnen Clubstatus 009 Know-Nothing-Gesellschaft 066
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8.—9. APRIL 2016 TABAKFABRIK, LINZ
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28.—30. APRIL 2016 MGC MESSE, WIEN
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Na, gefällt mir! — Diesen Teil des Hefts mal zu schreiben, zum Beispiel. Es gibt hier nämlich zwei neue Chefinnen. Der einen Antlitz befindet sich hier drunter, der anderen Opus magnum auf dem Cover. Yasmin Vihaus hat sich rechtzeitig zur Bundespräsident(innen?)Wahl mit #wahlkampfimnetz im Allgemeinen und Österreichischem im Speziellen auseinandergesetzt (ab S. 12) und durfte dabei auch Spaß mit Maschek haben, die ab April ihr neues Programm präsentieren. Ein neues Programm macht ab nächstem Jahr auch der designierte Leiter der Wiener Festwochen Tomas Zierhofer-Kin; Manuel Fronhofer besuchte den schillernden Kulturmanager für eine Bestandsaufnahme zu Hause (S. 32). Lisa Schneider hörte das Ogris Debris-Debüt (S. 24), Christoph Kranebitter das von Vague (S. 25), während Teresa Reiter und Manfred Gram Bücher lasen, die unterschiedlicher nicht sein könnten (S. 28 bzw. S. 35). Große Teile der Redaktion mussten sich für unser alljährliches April-Spezial mit Bildung beschäftigen – nur theoretisch, versteht sich. Der einzige, der sich nämlich gerade wirklich bildet, ist der karenzierte Chefredakteur Stefan Niederwieser. Der kann dieses Heft nun wohl zum ersten Mal in Ruhe lesen. Vielleicht auch »nur« online, gehört er doch zur Generation Internet, wie ihm Kollege Jonas Vogt spielend leicht erklären – oder eben auch ausreden könnte (S. 22). Amira Ben Saoud bensaoud@thegap.at @oidaamira
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Astrid Exner
Silvia Kluck
Astrid war zuerst da — Wenn du dieses Heft durchblätterst, wirst du keinen Beitrag von Astrid finden. Was? Ja, Astrid gibt es bei The Gap vorerst nur im Internet – dort schreibt sie die feministische Kolumne »The XX Factor« für uns. Und das ist auch richtig so, die Exnerin liebte das Internet nämlich schon, bevor es cool war. Sie lebte schon in #rh5h, als es noch 15. Bezirk hieß. Sie war schon auf dem Tumblr »babyanimalgifs« unterwegs, als es wahrscheinlich noch keine Tiere gab. Astrid weiß um die coolen Dinge eben zuerst. Sie ist Mitgründerin des österreichischen Musikblogs Walzerkönig, arbeitete bereits bei Ink Music und beim Majorlabel Sony, unterstützte das Pink Noise Girls Rock Camp mit Pressearbeit und veranstaltete bis 2013 den Club Nolabel mit. Aber sie schreibt auch Artikel mit Titeln wie »Warum Adorno Massenmedien ablehnt und wieso er für Eco trotzdem nicht zu den Apokalyptikern zählt«. Astrid hat nämlich Kunstgeschichte und Philosophie studiert, was ihr den schönen Titel »Astrid Exner, BA BA« eingebracht hat. Daneben hat sie einen Soft Spot für Doctor Who und das Weinhaus Sittl, David Bowie und Sushi. Aber Astrid kann auch hassen. Chauvinisten und Machos zum Beispiel – und davon gibt es in der Musikindustrie leider viele.
Fitter als wir — Englische Barockliteratur aus dem 20. Jahrhundert hat es Silvia neben ihrer Wahlheimat Wien angetan. Die Kombination von beidem hat sie dann vielleicht auch dazu gebracht, ihren Heimatort in Bayern zu verlassen, um hier Sprachwissenschaften zu studieren. Vor ein paar Monaten hat Silvia schließlich irgendwie zu uns gefunden und schreibt jetzt sowohl für The Gap als auch für Biorama Texte – auf Deutsch, obwohl sie auch Englisch, Spanisch, Schwedisch und ein bisschen Indonesisch spricht. Ins Büro kommt sie dafür tagtäglich mit dem Rad, aber trotz morgendlicher Anstrengung schließt sie sich unseren Fast Food-Essensbestellungen nie an – warum auch, sie kann tatsächlich kochen und ist als Besitzerin von sämtlichen Jamie Oliver-Kochbüchern mit ausreichend Inspirationen versorgt. Nur Pasta verschmäht sie – aber Pasta-Kochen ist ja auch sehr Mainstream. Ähnlich wie Yoga, das hasst sie ebenfalls und setzt dafür auf Laufen, Radfahren, Squash und Tanzen, um sich fit zu halten. Die gesamte The Gap-Redaktion könnte sich, was gesunden Lebensstil betrifft, vermutlich einiges von Silvia abschauen. TEXT Yasmin Vihaus BILD Privat
TEXT Amira Ben Saoud BILD Privat
Impressum
HERAUSgeber Thomas Weber chefredakteurin Amira Ben Saoud Stv.Chefredakteurin Yasmin Vihaus Redaktion Ranya Abd El Shafy, Benjamin Agostini, Jakob Bouchal, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Johannes Busching, Ann Cotten, Leo Dworschak, Astrid Exner, Juliane Fischer, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Manfred Gram, Philipp Greiner, Philipp Grüll, Julia Gschmeidler, Andreas Hagenauer, Jan Hestmann, Magdalena Hiller, Christoph Hofer, Peter Hoffmann, Michael Huber, Reiner Kapeller, Sophie Kattner, Markus Keuschnigg, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Markus Köhle, Christian Köllerer, Alexander Kords, Christoph Kranebitter, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Franz Lichtenegger, Davi Maurer, Martin Mühl, Christiane Murer, Stefan Niederwieser, Nuri Nurbachsch, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Christoph Prenner, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Martin Riedl, Tobias Riedl, Sonja Riegler, Gabriel Roland, Georg Russegger, Stefan Schallert, Peter Schernhuber, Nicole Schöndorfer, Werner Schröttner, Tanja Schuster, Katja Schwemmers, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Lisa Stadler, Johanna Stögmüller, Sophie Strohmeier, Peter Stuiber, Werner Sturmberger, Denise Helene Sumi, Yasmin Szaraniec, Franziska Tschinderle, Erwin Uhrmann, Jonas Vogt, Luise Wolf, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer PRAKTIKUM Maximillian Graf, Kasun Jayatilaka, Silvia Kluck, Juan Marhl termine Manuel Fronhofer, Yasmin Vihaus, Juan Marhl, Silvia Kluck, Lisa Schneider, Franz Lichtenegger AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Jonas Vogt, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Marco Leimer, Marlene Mautner, Ingo Pertramer, Kurt Prinz, Karin Wasner Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Manuel Fronhofer, Sig Ganhoer, Erli Grünzweil Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Clemens Reichholf, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Martin Mühl PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16/6, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Wohllebengasse 16/6, 1040 Wien; Tel. +43 (1) 20 57 06; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, IBAN AT77 14200 20010710457, BIC EASYATW1 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42 HEFTPREIS EUR 2 erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
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Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at
Nach einem anstrengenden Tag auf der Ranch erstmal schön ins Puff, solange die Stiefel neben der Pferdetränke auslüften.
Gruselig! Könnte durchaus eine Szene aus »Ghost – Nori von San« sein.
Und zwar schon sehr. Der Vorbesitzer ist nämlich mittlerweile ziemlich stark ausgesaugt.
Eine wahrhaft poetische Zusammenkunft von Mensch und Steinobst in einem Marchfelder Supermarkt. #nofilter #notstaged
Von derlei Einsendungen haben wir immer ca. 20 herumliegen, für den Fall, dass uns gerade nichts Besseres einfällt. So wie jetzt zum Beispiel.
Besuchen sie auch unseren neuen Shop in Hohlerde!
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Pandagram-Steckbrief: @peter_schernhuber Antonia Matschnig (Canyoudigit / In Dada Social)
Einmal pro Ausgabe bitten wir interessante Menschen, unseren Instagram-Account für 10 Tage zu übernehmen. Das meistgelikte Foto gibt’s hier.
TOP 10
Elektronische Tracks mit Streichern, die nicht (oder nur ein bisschen) cheesy sind
01 Impey – Bangclap 02 Kon – Greatest Of All Kanto 03 Fatima Al Qadiri – Szechuan 04 Vivaldi recomposed by Max Richter – The Four Seasons (Robot Koch Remix) 05 Jacques Greene – No Excuse (Kit Grill Remix) 06 IZC – Strings 2129 07 Lockah – Barcelona Linn Reprise 08 Commodo, Gantz, Kahn – Bitchcraft 09 Kerri Chandler – Pong 10 Shriekin’ – Too Right
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Fleischlose Produkte für fleischlüsterne Vegetarier
01 Frankfurter »die Ohne« – Landhof 02 Schinken »Vegetarische Ham« – tivall 03 Salami »wie feine Salami« – Heirler 04 Extrawurst »Feine Extra« – Spar veggie 05 McChicken »Make it Veggie« – McDonald’s
auch nicht schlecht: Katze, Pizza, Espresso Martini
In »Shirley« erweckt Gustav Deutsch die melancholisch-rätselhaften Bilder Edward Hoopers filmisch zum Leben. Sehnsüchtig schweift Stephanie Cummings Blick aus dem Fenster. Wir folgen ihr.
Marc Heiduk (The Gap)
TOP 10 PHP BEFEHLE
01 echo; 02 if { } else { } 03 return; 04 array ( ) 05 foreach { } 06 include ( ) 07 count ( ) 08 die ( ) 09 mysql_real_escape_string ( ) 10 date ( )
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PAPIERVERSCHWENDUNGEN
01 Österreich Zeitung 02 Kronen Zeitung 03 Heute Zeitung 04 Flyer 05 74,75 cm² für diese Liste
auch nicht schlecht: Schwammerlsuchen im Wienerwald
ABOUT
Der gebürtige Welser Peter Schernhuber ist nicht nur auf Instagram ein Film-Aficionado. Zusammen mit Sebastian Höglinger leitet er heuer zum ersten Mal die Diagonale, Festival des österreichischen Films. sieht man mir nicht an, ist aber so:
Ich bin Linkshänder und kann mit der rechten Hand nicht einmal meinen Namen schreiben.
am schwersten auf einem foto festzuhalten:
Wenns ums iPhone geht, dann plage ich mich stets vergeblich beim Versuch, den Sternenhimmel zu fotografieren.
liebste foto-app:
PhotoGrid
liebster hashtag:
#TBT, #ANumberOfFavoriteThings
drei follow-empfehlungen
@thejewishmuseum, @sphinxandmilkyway, @marbilus
schaue oder höre ich nur hinter zugezogenen vorhängen:
Dido, Sugababes
würd’ ich mir tätowieren:
Eine Grafik von Julia Guther
saidnooneever:
Kannst du bitte länger, lauter Musik hören.
instagram.com/thegapmag
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JOSEF FRANK
LUMNE
Against Design
Clubstatus: Jonas Vogts Clubkultur-Kolumne
Wo zur Hölle sind in Wien die Indie-Partys? Menschen, die zu alt für das B72 werden, verschwinden danach aus dem wochenendlichen Stadtbild. Oder funktionieren ihre Partys nur nicht nach der üblichen Medienlogik?
BILD Nina Keinrath
Die Indie-Szene Wiens ist schwer festzunageln. Es gibt ja durchaus Veranstaltungen: im Transporter, im Schikaneder, lange Jahre haben das Shelter und der Magic Carpet Ride ihre Dienste geleistet, beim Rhiz kommt es halt auf das Programm an. Aber die sind alle klein, und irgendwie überzeugt das quantitiv nicht. Es gibt in Wien eine riesige Konzertszene, die gelegentlich sogar Flex und Stadthalle gleichzeitig füllen kann, wenn dort zufällig gerade die richtigen Gitarrenbands parallel spielen. Irgendwo müssen diese Menschen am Wochenende doch sein? Über Jahre hinweg hab ich immer gedacht, dass in dieser Szene noch Potenzial für Clubs stecken würde und man mit einer gscheiten, größeren Indieparty, über die üblichen (Medien)-Kanäle promotet, Erfolg haben könnte. Ich glaube, da lag ich falsch. Vielleicht weiß ich von den Partys einfach nichts, weil ich davon nichts wissen soll. Weil die (fortgeschrittenen) Indie-Kids in ihren Partys einfach nach anderen Dingen als den Partyhoppern und -hipstern suchen. Vielleicht beruhten sämtliche Versuche der Clubs, mit ihnen in Kontakt zu treten (Indiesauna, anyone?), auf einem großen Missverständnis. Vielleicht red ich aber auch jetzt wieder Blödsinn. Wenn mir die Frage jemand kompetent beantworten mag, ich wäre sehr dankbar. jonas@vogtl4nd.com
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16.12.2015 – 12.6.2016 MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst Stubenring 5, 1010 Wien MAK.at
Josef Frank, Stoff Hawaii, 1943–1945, Ausführung: Svenskt Tenn; Svenskt Tenn archives, Stockholm
Es gibt Fragen, die man auch nach Jahren des professionellen Lebens nicht zufriedenstellend beantworten kann. Letztens wurde ich wieder an eine solche erinnert. Ich landete zufällig auf einer 60s Party in einem Kellerlokal am Gürtel, von dem ich bis dato nicht mal wusste, dass es einen Keller hat. Während ich zu einer Zehn-Minuten-Version von »Won’t Get Fooled Again« gequält an meinem Bier nippte, fragte ich mich wieder mal, wohin das Wiener Indie-Publikum wandert, wenn es zu alt für Chelsea und B72 geworden ist.
PREMIUM SPONSORS
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Nacht der Kreativwirtschaft Was ist eigentlich dieser Kreativwirtschaftseffekt? Was hat er mit der dritten Potenz von drei zu tun? Und wie ist die WKO involviert? Antworten auf all diese Fragen gab es Anfang März bei der Nacht der Kreativwirtschaft. Zum ersten Mal versammelten sich die wichtigsten Player der österreichischen Creative Industries, um sich auszutauschen, zu netzwerken und um sich auch mal selbst zu feiern. Und das mit Grund: Denn wenn die Kreativwirtschaft blüht, macht sie das Land auch für andere Branchen als Wirtschaftsstandort attraktiv. Schon längst existieren verschiedene Wirtschaftszweige nicht mehr nur nebeneinander, sondern befruchten sich im besten Fall gegenseitig. Kreativwirtschaftliche Inputs können für traditionelle Unternehmen Katalysator sein – Cross-Over-Effekt eben. Wo wir wieder bei dieser dritten Potenz wären: C hoch 3 heißt nämlich das Netzwerk der Kreativwirtschaft Austria (KAT), das Kreativschaffende und alle, die mit dieser besonderen Spezies arbeiten wollen, vernetzt. Dort begann die Kooperation von Nicole Herb und Christian Leidinger aus Vorarlberg – ihre Zusammenarbeit entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte – rund um ein Bett. Die Zusammenarbeit wurde zur Kreativwirtschaftsgeschichte 2015 gewählt und mit einem Kurz film prämiert. Alle Informationen zur österreichischen Kreativwirtschaft finden sich auf: www.kreativwirtschaft.at
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www.thegap.at/goodies »Eddie The Eagle« Manche erinnern sich selbst noch an den britischen Ausnahme-Skispringer, andere kennen ihn von den Skispringerliedern von Christoph und Lollo. Er hat praktisch nie gewonnen und sein Land hat ihn zum Versager abgestempelt – aber Eddie hat nicht aufgegeben und immer an sich geglaubt. Eine wahre und fantastische Geschichte, die nun auch im Kino verblüfft und Mut und gute Laune macht. »Eddie The Eagle - Alles ist möglich« startet ab 1. April nur im Kino! www.eddietheeagle-derfilm.at Wir verlosen gemeinsam mit Fox Film kleine und große Preise: 2 × Zauberberg Semmering Saisontickets 2016 / 2017, 2 × T-Shirts und 6 × Skipasshalter.
Gola »Blakely« Der britische Sportartikel-Hersteller Gola produziert seit 1905 Schuhe – und Taschen. Zu den Retro-Klassikern gehört die Blakely Bag, die sich unisex zu praktisch jeder Gelegenheit tragen lässt und jede Saison in neuen Farben aufgelegt wird. Und manchmal bedeuten neue Farben eben ein zurückhaltendes Grau. Geht immer! Wir verlosen gemeinsam mit Gola 2 Blakely Classic Bags.
Xbox One-Spielepaket Nicht, dass gerade Flaute wäre – mehrmals im Monat erscheinen neue große Titel für die Xbox One. Trotzdem findet sich zwischendurch Zeit, ein paar Highlights nachzuholen. Und deswegen verlosen wir gemeinsam mit Microsoft Xbox ein Paket von Spielen: 1 × »Halo 5«, das neueste Abenteuer des Master Chief, 1 × »Halo Master Chief Collection«, eine Sammlung seiner bisherigen Spiele, 1 × »Forza 6«, die Rennsimulation und 1 × »Rise Of The Tomb Raider«, das neueste großartige Spiel mit Lara Croft.
»American Horror Story: Freak Show« Die vierte Staffel versetzt die »American Horror Story« in ein Florida des Jahres 1952. Die Freak Show ist eine Showtruppe von Menschen mit hauptsächlich körperlichen Besonderheiten. Konflikte untereinander werden überschattet von feindlichen Angriffen von außerhalb der Truppe. Mit dabei sind natürlich Jessica Lange, Evan Peters oder auch Sarah Paulson. Wir verlosen 2 Blu-ray-Boxen der beliebten Serie.
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HLTER AN Z EI G ER
Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.
Getränke-Markerl
Überall Tischtennis
Spirituose
Party-Gespräche sind bekanntlich eine Qual – niemand liebt Smalltalk, niemand ist wirklich gut darin. Nach der zehnten »Und, was machst du so«-Frage möchte man sein Gegenüber am liebsten an die Wand klatschen. Diese Sticker, die man sich auf den Drink kleben kann, geben dem hilflosen Gesprächspartner zumindest einen Anhaltspunkt, welche Richtung er mit seinen bescheuerten Fragen einschlagen kann. Nicht, dass sie dadurch besser würden … www.fredandfriends.com
Am meisten Lust, Tischtennis zu spielen, hat man, wenn weit und breit kein Tischtennis tisch in Sicht ist. Deswegen sollte man sich für alle Fälle mit einem mobilen Tischtennis-Set rüsten, das auch aus einem normalen Tisch sofort einen Garant für gruppendynamischen Superspaß macht. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem irgend ein Ehrgeizler beim Ringerlspielen Omas Vase zerstört. Dann wird das hübsche Set wieder für die nächsten zehn Jahre in die Schublade gepackt. www.radbag.at
Witze über Jesus und Alkohol sind halt wirklich leicht. Wer hat nochmal Wasser zu Wein gemacht? Eben. Jesus wäre also der letzte, der ein Problem damit hätte, sein Antlitz auf einem Flachmann wiederzufinden. Immerhin befindet sich darin etwas, was vielen Leuten als der »Spiritus Sanctus« gilt und das urbi et orbi, semper et ubique. Na dann: Prost, Amen. www.findmeagift.co.uk
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#wahlkampfimnetz — Die Rolle von Digitalstrategien im Wahlkampf 2016
Posting statt Postwurfsendung? Plakatwahlkampf war gestern – während sich die österreichischen Kandidaten lang auf die großflächigen Sujets konzentrierten, werden Themen wie Big Data, verschiedenste Soziale Medien, Crowdfunding, Imagevideos und Gifs immer mehr zum Thema. Wenn die »Zeit im Bild« an manchen Tagen mehr User auf Facebook als Zuseher im Fernsehen erreicht, wird Politikern vielleicht ebenfalls klar, dass ein guter Auftritt in einer TVDiskussion, ein Lächeln von einem Plakat und das Verteilen von Feuerzeugen vermutlich doch zu oldschool sind, um damit alle Alters- und Bevölkerungsschichten anzusprechen. Gleichzeitig hat Facebook in Österreich laut eigenen Angaben fast drei Millionen täglich aktive Nutzer – und übertrifft dabei sogar die »Kronen Zeitung« mit 2,3 Millionen Lesern (lt. Mediaanalyse). Wahlkampf im Netz ist – spät, aber doch – auch in Österreich angekommen. Während die New York Times den US-Wahlkampf erstmals zum Gif-Wahlkampf erklären, haben es die Parteien hierzulande zumindest geschafft, einen digitalen Fußabdruck in Form von Youtube-Videos zu hinterlassen. Damit hinkt die österreichische Politik, was die digitalen Möglichkeiten und die Partizipation betrifft, dennoch weit hinterher. Wie es anders funktionieren kann, zeigte Obama schon vor vier Jahren.
Yes, we can #bigdata Obama hat mit dem Internet – wie Kennedy schon 1960 mit dem Fernsehen – ein neues Medium und damit auch neue Wähler für sich gewonnen. Das USMagazin Time schrieb seinen Sieg bei der Wieder-
wahl letztlich seinem Datenverarbeitungsteam zu. Vorhandene Daten wurden analysiert und genutzt um Wähler und Spender persönlich anzusprechen und das richtige Wording und den richtigen Kanal zu treffen. Obama hatte bereits im Wahlkampf 2008 insgesamt 34 Millionen Facebook-Fans und 23 Millionen Twitter-Follower – damit waren 98 Prozent der US-amerikanischen Facebook-Nutzer mit jemandem befreundet, der, zumindest online, ein Obama-Fan war. Auf Facebook hatte man erkannt, dass politische Inhalte von Usern besser aufgenommen werden, wenn sie von bekannten oder befreundeten Personen weitertransportiert werden. Dies wurde durch die App »Obama for America« forciert – ein Klick und eine Bestätigung, danach erschien auf der Pinnwand ein Logo der Obama-Kampagne und eine Meldung, dass die betreffende Person die Kampagne unterstützt. Mehr als eine Million Unterstützer benutzten die App und gaben dabei gleichzeitig das Einverständnis, dass auf ihre Daten wie beispielsweise die Freundesliste zugegriffen werden darf. Insgesamt sahen 72,7 Millionen Amerikaner Barack Obamas Facebook-Content in der Woche vor der Wahl. Die Kommunikation über soziale Netzwerke war allerdings nur ein kleiner Punkt der digitalen Strategie. Die Daten der Wahl 2008 wurden in einer Datenbank mit potenziellen Wählern, Fundraiser und Social Media-Kontakten zusammengefasst. In Verbindung mit demografischen Daten und dem Konsumverhalten erstellte man Profile und konnte sehr genau einschätzen,
#wtf Trump In den USA sorgt vor allem Donald Trump mit seinen Themen, aber auch mit seinen Kampagnen für Aufsehen in sozialen Medien. Aber auch die Gegenstimmen werden lauter – ein offener Brief an den US-Populisten wurde kürzlich zum am meisten geteilten Beitrag auf Facebook überhaupt. Aber nicht nur auf Facebook beschäftigt Trump die Massen: Am Super Tuesday explodierten die Suchen für »How Can I move to Canada?«.
Text Yasmin Vihaus
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#wtf Khol Die Homepage von Andreas Khol hatte in vielerlei Hinsicht einen schwierigen Start. Zunächst sicherte sich die Plattform Ehe-Gleich die Domain khol2016. at, dann ging eine Homepage online, bei der man sich fragen musste, ob sie tatsächlich fertig ist. Der Link »Lebenslauf« führte bis 14. März zum Download eines PDFs, der Link »Fotos« zu einem Dropbox-Folder – und auch sonst suchte man Inhalte eher lange. Mittlerweile wurde zwar nachgebessert, warum die vorherige Version je online gegangen ist, bleibt uns ein Rätsel.
#wtf Robert Marschall Im österreichischen Online-Wahlkampf komplett absurd: Der Kandidat der EU-Austrittspartei, Robert Marschall hat sich die Domains www.bundespraesidentschaftswahl. at und www.wahlinformation.at gesichert und betreibt dort eine – unterirdisch gestaltete – Homepage, die auf den ersten Blick den Anschein hat, Menschen über die Wahl zu informieren. Google rankt die Page bei der Suche nach Bundespräsidentschaftswahl 2016 ganz oben.
wen man online besser erreichen würde, für wen Briefe und Zusendungen interessant sind und wer ein potenzieller Wahlkampfmitarbeiter wäre. Im Zuge der weitreichenden Kampagne nutzte Obama auch Nischen – so stand er beispielsweise eine halbe Stunde auf Reddit für ein »Ask me anything« Frage und Antwort, um zusätzliche potenzielle Wähler zu erreichen. Ein wichtiges Tool für das Funding waren Newsletter, die je nach Profil mit verschiedenen Absendern und unterschiedlichen Wordings kontaktiert wurden, um zur optimalen Response zu kommen – via E-Mail konnte so auch ein Großteil des Kampagnen-Budgets von einer Milliarde Euro akquiriert werden.
Can we? #heifi2010 Die erste größer angelegte Social Media-Kampagne in einem österreichischen Wahlkampf startete Heinz Fischer mit seinem Team zur Wiederwahl vor sechs Jahren. 2010 hatten erstmals auch 16- und 17-Jährige bei der Bundespräsidentschaftswahl die Möglichkeit, ein Kreuzerl zu machen. Jungwähler bildeten ein Sechstel der Wahlberechtigten. Als 71-Jähriger Jungwähler anzusprechen ist keine einfache Sache – das Team um den Bundespräsidenten setzte dabei auf eine verhältnismäßig aufwendige Social Media- und Onlinekampagne, mit eigenem Fokus auf jüngere Wähler. Etwa ein Zehntel des Wahlkampfbudgets wurde in Online-Aktivitäten investiert, zusätzlich zur klassischen Homepage wurde mit heifi2010.at eine Plattform speziell für Jugendliche eingerichtet. Zwei Kanäle, zwei Wordings, zwei Zielgruppen. Zusätzlich tourte Fischer mit einer »mobilen Hofburg« durch ganz Österreich und lud junge Menschen ein, ihre eigene Rede an die Nation zu halten. Veröffentlicht wurden die Reden der Jugendlichen dann auf heifi2010.at. Dass sich der damals amtierende Bundespräsident selbst nicht zu ernst nahm, bewiesen er und sein Team durch die Applikation »FischerYourself«, bei dem die Nutzer die markanten Augenbrauen und Frisur auf ihr Profilbild übertragen konnten. Eine Innovation war diese Kampagne damals vor allem, weil Social Media zuvor noch nie so intensiv genutzt wurde, meint Philipp Maderthaner, der 2011 mit dem Campaigning Bureau die erste Campaigning-Agentur in Österreich gegründet hat, die gleichzeitig als Europa-Partner von Barack Obamas Kampagnen-Agentur Blue Star Digital agiert. »Natürlich ging es da auch um Effekthascherei – das ist aber nicht unbedingt negativ gemeint. Niemand hatte zu dieser Zeit ein Youtube-Video oder einen aufwendig bespielten Social Media-Kanal, mittlerweile ist das allerdings Standard und sorgt für weniger Aufsehen, wie man bei den aktuellen Kandidaten sieht.«
Mutig in die neuen Zeiten #bp2016 So wirklich herausstechen kann bei den aktuellen Online-Kampagnen auf den ersten Blick kaum ein Kandidat. Eine Bewertung des Social Media Content sei für den Privatnutzer aber auch fast nicht möglich, so Maderthaner. »Wenn FacebookAuftritte richtig gemacht werden, sieht man nur einen Bruchteil des Contents, da mit Micro-Targetting die Inhalte nur für bestimmte Zielgruppen ausgespielt werden.« Dennoch sieht auch er noch Potenzial, gerade was die Interaktion betrifft – Facebook werde in Österreich noch immer hauptsächlich als Broadcasting-Kanal genutzt, auf lange Sicht müsse man sich hier nutzerorientierter verhalten: »Wir haben in Österreich nach wie vor das Leiden, dass sich der Content danach richtet, was die Akteure gerne sagen wollen – ohne dass darüber nachgedacht wird, wie man es verpacken oder präsentieren kann, um es konsumierbar zu machen«, erklärt der Experte. Im aktuellen Wahlkampf haben die Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nur wenig Zeit, um bei ihren Wählern einen Eindruck zu hinterlassen. Gerade junge Wähler nehmen einige Kandidaten der Bundespräsidentschaftswahl im Wahlkampf zum ersten Mal medial wahr, ältere Wähler haben durch die vorherige politische Funktion möglicherweise ein vorgefertigtes Bild. Dazu kommt die Diskussion rund um den Nutzen des Amts, die in den letzten Jahren immer lauter wurde – wer nicht davon überzeugt ist, dass es einen Bundespräsidenten braucht, wird nicht zur Wahl gehen. Gleichzeitig haben so viele Kandidaten wie nie eine realistische Chance, es in die Stichwahl zu schaffen. Trotz all dieser Faktoren ist der Wahlkampf eher kurz – jedenfalls nach außen hin. »Jeder Kandidat erzählt nach außen, er plant einen kurzen Wahlkampf, der nur die nötigsten Mittel umfasst. Die Innensicht ist natürlich eine andere – alle Kampagnen sind über einen längeren Zeitraum angelaufen. Das werbliche Kampagnendenken sagt: Alle Mittel möglichst am Schluss konzentrieren«, erklärt Maderthaner. Dabei sei der Wahlkampf und auch schon der in vielen Ländern durchgeführte Vorwahlkampf, sofern er länger dauert, ein gutes Mittel, um Grassroots aufzubauen. Es brauche einen langfristigen Beziehungsaufbau mit einer Unterstützer-Community – das sei vor allem dann wichtig, wenn man auf Funding angewiesen ist.
Unabhängig. Für Österreich. #crowdfunding Genau vor dieser Herausforderung steht Irmgard Griss in diesem Jahr. Während die Suche nach finanzieller Unterstützung in den USA traditionell zum Wahlkampf gehört, finanziert Griss als erste
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Kandidatin einer Bundespräsidentschaftswahl die Wahlkampfmaßnahmen ausschließlich durch Crowdfunding und konnte ihr selbstgesetztes Mindestbudget bereits akquirieren. Für Maderthaner ist dies keine Überraschung: »Eine der größten Beobachtungen bei Crowdfunding und Fundraising ist, dass die Menschen, die das Geld nötiger brauchen, auch besser agieren, weil sie den Grund und das Motiv für die Spende besser darstellen können.« Trotzdem sei laut dem Campaigning-Experten ein Umdenken nötig: eine Spende müsse als Abschluss eines langfristigen Beziehungsaufbaus und nicht als Beginn gesehen werden. Dadurch müssten Kampagnen allerdings deutlich längere Vorlaufzeiten haben, um am Ende jemanden dazu überzeugen, Geld zu spenden. Mit ihrem selbstgesetzten Mindestbudget von 500.000 Euro liegt Griss dennoch weit hinter der Summe, die andere Kandidaten investieren können. Gerade mit wenig Geld zur Verfügung könnten digitale Kampagnen aber von Vorteil sein, meint Maderthaner: »Vor allem Underdogs haben sicher gute Chancen, wenn sie ihr Budget mutig widmen. Man erreicht über Facebook eine sehr große Anzahl an Menschen – in Österreich etwa drei bis vier Millionen. Alle Kanäle können natürlich nicht bespielt werden, die Gießkanne funktioniert nur dann, wenn sie wirklich voll ist.«
Neue Kanäle #letsgetloud Facebook, Twitter, Instagram, Spotify, Pinterest und sogar Giphy – die Inhalte der politischen Kampagnen lassen sich weit streuen, doch wo sollte man präsent sein? Die Frage nach dem Kanal muss sich laut Maderthaner schlussendlich nach der Zielgruppe richten – Facebook biete sich an, um den Mainstream abzudecken, Twitter spiele als Meinungsbildnermedium eine Rolle und auch Instagram könne ebenfalls gut genutzt werden. Blickt man in die USA, so findet man dort bereits eine größere Vielfalt an Kanälen: Snapchat-Videos, aber auch Playlists auf Spotify sollen zusätzliche Wähler erreichen. »Bei so knappen Rennen wie in den USA kann man es sich nicht leisten, einen Kanal nicht zu bespielen – was das betrifft, herrscht in Österreich auch durch die Mehrparteienlandschaft der Luxus, sich auf weniger Kanäle konzentrieren zu können«, erklärt Maderthaner. Um zusätzliche Wähler zu gewinnen, hat Hillary Clinton beispielsweise »The Official Hillary 2016 Playlist« erstellt, die immerhin 5.000 Follower ausweist und einen Mix aus Happy Songs á la »Happy« von Pharrell Williams, »Let’s Get Loud« von Jennifer Lopez oder aber »What Doesn’t Kill You Makes You Stronger« von Kelly Clarkson beinhaltet. Auch Spotify hat reagiert und bietet die Reden sämtlicher Kandidaten, die in diesem Fall als Artist geführt werden, zum Abruf an. Ebenfalls reagiert hat die Plattform Giphy, die Live-Gifs von den Auftritten der amerikanischen Kandidaten auf ihre Plattform stellt und deren Links mittels Google-Doc an 25 führende US-Medienhäuser weitergibt. Die /New York Times/ sieht Gifs sogar als neue und relevante Medien im aktuellen Wahlkampf und sieht hier einen Vorteil für Trump, dessen Grimassen-Gif viral wurde. Trump sei »gif-able« und wirke durch die kurzen Filmchen ohne Message durchaus sympathisch. Gerade weil die kleinen Kurzvideos keine politischen Inhalte verbreiten würden, wäre die Chance, dass sich Eindrücke der Kandidaten viral verbreiten, extrem groß. Aber nicht nur die Kanäle, auch die Ausgaben für Anzeigen mit politischem Umsatz sind stark gestiegen und werden 2016 laut dem amerikanischen Magazin Wired eine Rekordhöhe von 11,4 Milliarden Euro erreichen – das ist um 20 Prozent mehr als im Jahr 2012 und rund eine Milliarde davon fließt in Social Media Targeting. Die online zu erreichende Zielgruppe wird mit jedem Jahr größer, die Maßnahmen sind vergleichsweise kostengünstig und die Erfolge sind so genau messbar wie kaum andere – ob das Plakat in Österreich in absehbarer Zeit gestürzt werden kann, bleibt dennoch zu bezweifeln.
#wtf Kanye Während wir in diesem Jahr über Donald Trump staunen, können wir uns auf 2020 und die Kandidatur von Kanye West freuen, die er bei den MTV Music Awards angekündigt hat. In einem Interview mit Vanity Fair bestätigte er diesen Plan nochmal: »I sit in clubs and I’m like, wow, I’ve got five years before I go and run for office and I’ve got a lot of research to do.«
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Maschek im Interview — 20 Jahre politische Satire und noch lange nicht leise
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Text Yasmin Vihaus bild katsey.org
Maschek reden drüber – und das schon lange, seit der Gründung sind mittlerweile fast 20 Jahre vergangen. Nun starten Peter Hörmanseder und Robert Stachel mit ihrem neuen Programm »Fake! In Wahrheit falsch« im Rabenhof-Theater. Ihr beschäftigt euch schon sehr lang mit politischer Satire – hat sich durch den aktuell vorherrschenden Hass irgendwas in eurer Arbeit verändert oder ignoriert ihr das? Weder noch. Wir ignorieren die Stimmung nicht, aber sie verändert auch unsere Arbeit nicht. Sie wird eben zum Thema unserer Arbeit. Durch eure Videos und Auftritte bei »Willkommen Österreich« bekommen Politiker trotzdem mehr Aufmerksamkeit – auch wenn sie nicht zu Wort kommen. Gibt es Menschen, denen ihr diese zusätzliche Aufmerksamkeit einfach nicht gönnen würdet bzw. die ihr nicht synchronisieren würdet? Grundsätzlich kommen alle in Frage. Manche Politiker eignen sich aber weniger für eine Betrachtung von der Maschek-Seite. Vor allem dann, wenn sie selber schon unfreiwillig komisch sind – oder vermeintlich freiwillig. Aber ja: Man kommt selbst an Lugner und Stro nach nicht ganz vorbei. Andreas Khol hat euer Gollum-Video im Endeffekt für zugegebenermaßen etwas peinliche Eigen-PR genutzt – ärgert euch sowas? Keineswegs. Erstens liefert Khol auch dadurch neues Material – das kann uns nur freuen. Und zweitens finden wir seine Reaktion zugegebenermaßen auch nicht peinlich, sondern eine durchaus professionelle Flucht nach vorne. Die Konservativen sind nicht so schnell beleidigt wie die Linken, wenn man über sie Witze macht. Beim Puppentheater meintet ihr, Haider würde keine Puppe bekommen – gilt das auch für einen der aktuell aktiven Politiker? Haider wollten wir nicht die Freude machen, bei uns vorzukommen. Und wir wissen aus gut informierter Quelle, dass ihn das geärgert hat. Strache hatten wir von Anfang an thematisiert, er hat seine Puppe und kommt regelmäßig in unseren Videos vor. Wir haben allerdings lange darüber gestritten, wer ihn sprechen muss. Normalerweise reißen wir uns um Stimmen, ihn wollte sich keiner eintreten. Jetzt gibt es eine Art Radeldienst. Momentan spricht ihn Peter. Gibt es Themen, von denen ihr eher die Finger lassen würdet? Nein. Außer Themen, die wenig lustig sind und Themen, die uns am Arsch vorbeigehen. Wie etwa dieser ganze Royal- und Celebrity-Kitsch. Und wenn wir doch darüber arbeiten, kommt soviel Ärger und Unmut
hoch, dass das Publikum nicht mitgeht und eher denkt: Was haben die gegen die arme Prinzessin? Von der politischen Grundrichtung ist Satire meist eher links … sind die Rechten einfach nicht so lustig oder woran könnte das liegen? Es gibt genug rechtes Kabarett, das heißt dann eben Comedy, Stadl oder Fasching und gibt sich vordergründig unpolitisch. Politische Satire zu machen verlangt nun einmal einen analytischen Blick, und wer den hat, steht auch in ernsten Dingen den progressiven Ideen näher als den reaktionären. Hattet ihr je rechtliche Probleme mit jemandem bzw. worauf muss man achten, um keine zu bekommen? Wir wissen, was wir dürfen, haben eine sehr gute Anwältin und noch nie eine Klage bekommen. Das Wort Lügenpresse wird momentan inflationär verwendet. Ist das Programm eine Antwort darauf? Ja, auch. Wir zeigen auf, dass letztlich alles ein Fake ist. Man kommt nicht umhin, alles selbst zu überprüfen. Check, Double-Check, ReCheck – das gilt heute nicht mehr nur für den Journalisten, sondern auch für den Leser. Klingt streng, ist es auch, aber es geht nicht anders. Als ich den Pressetext gelesen habe, dachte ich auch ein bisschen an »Die Tagespresse« – was haltet ihr von diesem Format? Wir mögen die Tagespresse sehr und hatten das Vergnügen, die Laudatio zu halten, als sie den Österreichischen Kabarettpreis bekommen haben. Sie haben uns umgekehrt mit der Lugner-Geschichte einen Cameo-Auftritt bei ihnen verpasst. Super! Wie schwierig ist es, sich immer wieder was Neues auszudenken? Oder kommt euch da die Medienflut schlichtweg entgegen, weil sich ohnehin immer neues Material anbietet? Wir machen unsere Synchros jetzt seit über 15 Jahren und es kommt immer noch etwas nach. Wir dachten nie, dass es so lange geht, aber mittlerweile spekulieren wir darauf, synchronisierend in Pension gehen zu können. Ihr gebt ja auch Rezensionsvorschläge für euer neues Programm an, habt ihr einen Titelvorschlag für dieses Interview? Lorem ipsum dolor sit amet.
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BENEFIZKONZERT FÜR DIE TSCHERNOBYL-KINDER.
Das Ensemble der Wiener Philharmoniker Ornamentum Philharmonicum spielt
J.S. Bach
Do, 21. April 2016, Beginn: 19 Uhr, Wiener Rathaus, Großer Festsaal Programm unter global2000.at/benefizkonzert Karten bei Ö-Ticket oder GLOBAL 2000, Neustiftgasse 36, 1070 Wien
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golden frame — Anna-Sophie Berger – »KUB Billboards«
Subjektive Billboard-Bilder Für die neue Projektschiene »KUB Billboards« des Kunsthaus Bregenz bespielt die in Wien lebende Künstlerin Anna-Sophie Berger gegenwärtig Plakatflächen im öffentlichen Raum. Anna-Sophie Berger hat für die Billboards in Bregenz Bilder aus ursprünglich unterschiedlichen Kontexten und Materialien ausgewählt, die zunächst keine narrative Logik aufweisen. Sie hat sich bewusst gegen eine linear lesbare Abfolge entschieden. Diese konzeptionelle Einschreibung ist nicht zuletzt dem Ort an dem die Serie präsentiert wird zu verdanken: ein Un-Ort für Kunst im öffentlichen Raum, eine vielbefahrene Straße. Betrachterinnen und Betrachter entscheiden sich nicht aktiv für die Betrachtung der Werke von Berger, sondern nehmen diese beiläufig wahr. Die passive Hilflosigkeit der Öffentlichkeit und die kritische Haltung gegenüber der Kunst im öffentlichen Raum nimmt Anna-Sophie Berger zum Anlass, um den gängigen Diskurs um die Aufmerksamkeit der Bilder zu kommentieren.
Die Re-Medialisierung von Materialien und Dingen, oft durch ein spezifisches Handwerk, ist eine zentrale künstlerische Praxis, die Berger verfolgt. Das Mandala, »22nd June«, überlagert von Sätzen – persönliche Sätze über einen regnerischen Morgen: horrible morning, unable to get up, glad for the rain – ursprünglich eine Arbeit einer 14-teiligen Serie an Druckgrafiken, welche die Künstlerin im Zuge einer »fiktiven« Selbsttherapie anfertigte, wurde eingescannt und bildgebendes Material für ein Billboard. Die dystopische Landschaft mit wolkenverhangenem Himmel, durch den schmale Lichtstrahlen dringen, ein Screen shot eines IOS-Handyspiels, mit dem Berger ihre Zeit verspielt. Ein Selfie der Künstlerin ist ursprünglich ebenfalls Teil einer komplexen Arbeit, die Identität und Selbst als performativen Ansatz thematisiert. Bei der Salbe, die Anna-Sophie Bergers Gesicht markiert, handelt es sich um ein selbst hergestelltes Produkt, basierend auf einer pharmazeutischen Rezeptur. Die Künstlerin, die auf dem Land sozialisiert wurde, interessieren auch im Bezug auf Bregenz als Örtlichkeit Fragen nach Identität und Selbst und der disparaten, anderen Öffentlichkeit. Wie repräsentiert sich Identität und das Selbst und wer ist die andere Öffentlichkeit? Die Follower, ein ländliches Etablissement oder der Citoyen? Indem Berger mit ihrem Arrangement mehrere Rezeptionsmodelle anspricht, nähert sie sich den unterschiedlichen Konsumentinnen und Konsumenten ihrer Billboards an und sensibilisiert diese für den Umgang mit Bildern. Mit der Befüllung von einfachen Oberflächen mit unterschiedlichen Bildern generiert Berger ähnliche Momente, wie wir sie aus Social Media-Plattformen oder Instagram kennen. Berger möchte neue Aufmerksamkeiten arrangieren, einen differenzierten Umgang mit Bildern entwickeln und Genauigkeit und kritische Reflexion im Seh- und Wahrnehmungsprozess provozieren. Der Zusammenhang zwischen den heterogenen Einzelbildern wird dabei jeweils erst durch das Subjekt hergestellt. Im Falle von Bergers Arbeiten wird dann aber doch noch deutlich, dass es sich um eine konkrete Auseinandersetzung mit der weiblichen Identität handelt und darum ein Gefühl von Identität an einem (Un-)Ort zu (re-)konstruieren. Die »KUB Billboards« von Anna-Sophie Berger sind noch bis zum 17. Mai in der Seestraße Bregenz zu sehen.
Text Denise Helene Sumi Bild Markus Tretter © Anna-Sophie Berger und Kunsthaus Bregenz
IOS-Motive, Hexen und Mandalas
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»Better Shelter« funktioniert nach dem IKEA-Prinzip.
More Than Shelters: Die modulare Zeltunterkunft »Domo«.
Herausforderungen des Social Designs — Architektur für Flüchtlinge
Die Stunde der Architekten?
Text Peter Stuiber Bild Better Shelter, Malte Metag, Melanie Karbasch
Unterkünfte für Flüchtlinge zu schaffen, ist eine der größten Herausforderungen – nicht nur in den Ländern der Krisenregionen, sondern auch bei uns. An ambitionierten gestalterischen Lösungen mangelt es nicht. Social Design wurde in den vergangenen zehn Jahren zum großen Schlagwort. Gestaltung also, der es nicht nur um Absatzsteigerung und Modetrends geht, sondern um nachhaltige Produktion und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Umso logischer ist es, dass das Flüchtlingsthema auch in der Design- und Architekturszene heftig diskutiert wird. Worin könnte und sollte deren Beitrag bestehen? Es sei die »Stunde der Architekten«, schrieb der Architekturkritiker Niklas Maak vor einigen Wochen in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, um gleich darauf ein harsches Urteil zu fällen: »In der Hektik wird auf Architekten verzichtet. Jetzt, im Zustand akuter Baupanik, heißt die einzige Frage: Wer kann Modulsysteme liefern?« Die Architekten selbst würden außerdem derzeit bestenfalls etwas im Bereich ästhetischer Verbesserungen beitragen, so Maak, als Beispiel führt er das vieldiskutierte neue Abschiebezentrum im steirischen Vordernberg an. »Wo aber sind im Jahr der Flüchtlingsfrage die großen Entwürfe, die mehr können als Abschiebungen ästhetisch zu veredeln? Das Schweigen der Architekten ist umso erstaunlicher, als schon vor der Ankunft der Flüchtlinge über die Frage eines neuen massenhaften Wohnungsbaus nachgedacht wurde.« Dies ist freilich nur eine – besonders kritische – Stimme im Chor jener, die sich an der Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten beteiligen. Gestalterische Verbesserungsvorschläge gibt es durchaus – und sie beginnen klarerweise schon bei der Versorgung in den Krisenregionen. Mit gutem Grund: Durchschnittlich besteht ein Flüchtlingslager rund 20 Jahre lang, die Bewohner bleiben bis zu zwölf
Jahre. Um dort einigermaßen würdevoll leben zu können, braucht es mehr als standardisierte Zeltbehausungen. Diese Erkenntnis trieb den deutschen Künstler Daniel Kerber vor ein paar Jahren dazu an, das Social Design-Unternehmen More Than Shelters zu gründen, dessen erstes Projekt die Entwicklung einer modularen Zeltunterkunft namens »Domo« war, die mittlerweile in Nepal, Jordanien und Griechenland im Einsatz ist. Je nach Familiengröße oder Nutzung lassen sich einzelne Raumeinheiten miteinander kombinieren. »Das Produkt hält im Gegensatz zu gängigen Zelten in der humanitären Nothilfe nicht sechs bis zehn Monate, sondern bis zu zehn Jahre. Seine Einzelelemente lassen sich einfach austauschen und entlasten so Budgets«, so das Unternehmen auf seiner Website. Um Flüchtlingsunterkünfte zu finanzieren, benötigt man nicht nur Spenden. Verkauft werden die Zelte auch an kommerzielle Nutzer, Festivalbetreiber etwa. Ob sich das sozial orientierte Unternehmen im Bereich der Flüchtlingsversorgung durchsetzen wird? Die kommerzielle Konkurrenz wird jedenfalls nicht freiwillig das Feld räumen, schließlich ist die Versorgung von Flüchtlingen auch ein einträgliches Geschäft.
Das IKEA-Prinzip für Flüchtlinge Platzsparend zu transportieren und schnell aufzubauen: So sollen temporäre Flüchtlingsunterkünfte nach Möglichkeit sein. Klingt nach IKEA-Prinzip. Die IKEA Foundation unterstützt daher nicht zufällig seit Jahren das Projekt »Better Shelter«: In vier Stunden kann eine hausähnliche, größtenteils aus Kunststoff bestehende Wohneinheit aufgebaut werden. Das UNHCR hat Tausende dieser Unterkünfte geordert. Ob die flexiblen Hütten tatsächlich eine gute und vor allem
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Die ersten Holzbau-Flüchtlingsunterkünfte in Österreich.
kostengünstige Lösung sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ein Notfallzelt wird mit rund 300 Dollar Kosten veranschlagt, »Better Shelter« kostet etwa das Dreifache, hält aber natürlich länger als ein herkömmliches Zelt. Eine immense Herausforderung für alle Arten von Notquartieren sind klimatische Extrembedingungen. Können Kunststoffhütten in der Wüste funktionieren? Wie lange können Flüchtlinge im Winter in Zelten hausen? An den Kosten entzündet sich auch die Auseinandersetzung über die Unterbringung von Flüchtlingen und Zuwanderern in Europa. Rein rechnerisch gelten Stahlcontainer gewöhnlich als erste Wahl – doch die kommen bei der Bevölkerung und den Politikern eben gar nicht gut an. Modulartige Bauteile müssen allerdings nicht zwangsläufig aus Stahl sein. Das Unternehmen Kaufmann Bausysteme fertigt im Bregenzerwald schon seit Jahren Holzmodule und konnte sich im vergangenen Jahr bei einer europaweiten Ausschreibung für Flüchtlingsunterkünfte in Hannover durchsetzen. Auch in Ulm wird derzeit eine Flüchtlingsunterkunft von dem österreichischen Unternehmen errichtet. Neben den bauphysikalischen Vorteilen von Holz gebe es einen weiteren großen Vorteil, so Geschäftsführer Christian Kaufmann: Die Module könnten jederzeit auch in neuer Zusammensetzung für andere Zwecke verwendet werden, etwa als Studentenunterkunft oder sogar als Einfamilienhaus.
Geeignet für den Sozialbau Holzbau gibt es allerdings nicht nur Vorarlberg, sondern auch in Salzburg. Die ersten Holzbau-Flüchtlingsunterkünfte in Österreich entstanden ebendort, genauer gesagt in Seekirchen und Tamsweg. Initiiert wurden sie vom Salzburger Roten Kreuz, entworfen von der Architektin Melanie Karbasch (siehe Interview), gebaut von Meiberger Holzbau. Das Projekt hat bereits Vorbildwirkung: Die derzeit laufende Kampagne »Ein Dach mehr. Fünf Flüchtlinge weniger«, eine Kooperation zwischen Rotem Kreuz und dem Verein Österreich hilfsbereit, will das Geld für ähnliche Holzhäuser in anderen Teilen des Landes aufbringen. Dazu kommt, dass die derzeitige Situation eine generelle Diskussion über die Ausrichtung und die Zukunftsfähigkeit von sozialem Wohnbau ausgelöst hat. Könnten aktuelle Lösungen nicht auch für die einheimische Bevölkerung geeignet sein? Dass man aus Krisen etwas lernen kann, könnte jedenfalls einmal mehr bewiesen werden.
Was wirklich wichtig ist Die Salzburger Architektin Melanie Karbasch hat die ersten HolzbauFlüchtlingsunterkünfte in Österreich entworfen. Was waren die kniffligsten Punkte dieses Projekts? melanie karbasch: Generell knifflig war die Unterbringung gestalterisch unabdingbarer Elemente im Budget. Gestaltung war wichtig, stand jedoch nicht im Vordergrund. Hohe Bewohnerzufriedenheit und positives Feedback von Betreuern und aus der Bevölkerung, vor allem aber Nutzung und Behaglichkeit haben die anfänglichen Befürchtungen, die Architektur und Gestaltung könnten dem sehr engen Kostenkorsett zum Opfer fallen, zerschlagen. Wie hoch sind die Kosten im Vergleich zu einem herkömmlichen Containerbau? Zum Zeitpunkt der Projektentwicklung war mindestens die Gleichpreisigkeit nachzuweisen. Das haben wir geschafft. Die Lösung des Salzburger Roten Kreuzes liegt deutlich unter den Kosten einer Containeranlage. Gründe dafür sind die starken Preisanstiege für Containerbauten, die Anforderungen an Statik, Brandschutz, Wärmeschutz, hoher Flächenverbrauch und Betriebskosten bei Containeranlagen. Die Holzhäuser des Roten Kreuzes werden, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, im Katastrophenschutz nachgenutzt. Sie sind zerlegbar und in Schiffscontainern verfrachtbar. Wo kann man bei einem solchen Projekt kostenmäßig noch die Schrauben drehen? Eine wesentliche Grundlage für die erreichten Bauwerkskosten waren die »bautechnischen Erleichterungen im tragbaren Maß« gemäß Salzburger Flüchtlingsunterkünftegesetz. Die möglichen Unterschreitungen unserer übernormierten und überregulierten gesetzlichen Vorgaben wurden in enger Abstimmung mit den Behörden und Fachplanern erarbeitet. Angesichts des bereits vor Beginn der Flüchtlingskrise vieldiskutierten Themas »leistbares Wohnen« ist es spätestens jetzt an der Zeit, Anforderungen zu überdenken und – auch eigene – Ansprüche zu kalibrieren. 021
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Generation XYZ — Eine Textgattung als Vehikel von trivialem Blödsinn
Das Grauen des Generationenporträts Ein schrecklich seichte Textgattung nimmt den Literaturbetrieb und die Feuilletons in Geiselhaft. Dagegen muss etwas getan werden. Eine Polemik.
Eines Tages werden wir alt sein, Baby. Eines Tages werden wir an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Eines Tages werden wir uns fragen, wann wir den Punkt im Leben verpasst haben, an dem wir hätten glücklich sein können. Und eines Tages werden wir alle grauenhafte Texte über »unsere Generation« schreiben. Zumindest eine dieser Sachen passiert eigentlich jetzt schon. Der Generationentext ist eine fortgeschrittene Infektion, die den Literaturbetrieb und seine angeschlossenen Onlinemedien fest im Griff hat. Er hat sich als einfacher, billiger, aber auch sehr effektiver Weg etabliert, Zustimmung und Zugriffe zu generieren. Das Rezept ist einfach: Irgendein junger Mensch diktiert in emotionalen Sätzen sein aktuelles Innenleben in ein MacBook. Und weil junge Menschen seit Anbeginn der Zeit überall sehr ähnlich sind, dreht sich das Ganze meist um Wünsche, Zweifel und Ängste. Dann werden die eigenen Gefühle und Probleme mal eben zu denen einer ganzen Alterskohorte stilisiert (»Vielleicht haben wir ja einfach verlernt, uns auf andere Menschen einzulassen?«), und wenn die Formulierungen nur vage und emotional vieldeutig genug sind (»Manchmal frage ich mich, ob das schon alles sein kann«), ist davon auszugehen, dass der Text in den sozialen Netzwerken geteilt wird wie Herpes auf einem Schikurs. Der Generationentext ist das literarische Äquivalent zu einem nächtlichen Kebab am Wiener Gürtel: Wenn man nicht darüber nachdenkt, dass die starke Würze nur die billigen Zutaten überdecken sollen, kann er manchmal ganz gut schmecken.
Dein Problem ist nicht das Problem einer ganzen Generation Es gab mal eine Zeit, da waren Generationenporträts noch halbwegs erträglich. Sozialwissenschaftlich interessierte Journalisten schrieben Bücher über »Die Risiko-Gesellschaft« (Ulrich Beck) oder die »Generation Golf« (Florian Illies). Manche dieser Generationsporträts waren durchaus treffend, vor allem weil die weniger adäquaten sehr schnell in Vergessenheit gerieten. Aber schon diese Analysen krankten an zwei Grundproblemen, die der Wiener Soziologe Fran Osrecki mal in einem Interview mit Vice beschrieben hat: »Sehr pointierte Gegenwartsbeschreibungen reduzieren die Vergangenheit auf einen Typus, von dem sich die Gegenwart radikal unterscheiden kann. Man muss also erstmal schauen, ob die Beschreibung der Vergangenheit in diesen Generationenmodellen wirklich zutrifft.« Einfacher ausgedrückt: Wenn ich eine Generation als besonders entscheidungschwach charakterisiere, muss ich erstmal beweisen, dass es die Menschen davor nicht waren. Meistens ist das Blödsinn oder zumindest stark übertrieben. Außerdem beschreiben laut Orsrecki »99 Prozent der Generationenmodelle eigentlich keine Generationen, sondern Milieus«. Treffer, versenkt. Es ist im Grunde recht anmaßend, aus den Problemen eines studentisch-urbanen Milieus, das diese Tex-
te schreibt, die Probleme einer ganzen Generation zu machen. Nur weil du und deine Blase von attraktiven Großstadt-Freunden nur noch Sex-Dates über Tinder ausmachen, heißt das noch lange nicht, dass Menschen in deinem Alter woanders nicht langjährige, stabile Beziehungen eingehen.
Die Nullerjahre: Der Beginn des Befindlichkeits-Biedermeier Der Moment, an dem der Generationentext dann wirklich schlimm wurde, lässt sich relativ genau bestimmen. Es war der 23. Juni 2003, und Neon erblickte das Licht der Welt. Das Magazin, ideal für lange Bahnfahrten zu den Eltern und kurze Phasen des Wachkomas, perfektionierte die Textgattung bis zur Perversion. Die vorangegangenen Generationenporträts versuchten wenigstens noch, universelle Handlungsstränge aus einer Makroperspektive zu erkennen. Damit war es in den Nullerjahren vorbei. Der Generationstext wurde zu dem, was er jetzt ist: ein Vehikel universaler, banaler Gefühlsregungen mittelständischer Studenten, die in ihren 3-Zimmer-WGs nette, gewöhnliche Leben führen. Seitdem herrscht unter den Twentysomethings ein Befindlichkeits-Biedermeier, in dem Gedanken wie »Wann muss ich erwachsen werden?« oder »Was heißt das für meine Beziehung?« schon als die ganz großen Fragen durchgehen. Das sind natürlich alles legitime Gefühle. Aber Texte darüber, dass Entscheidungen in Zeiten von unzähligen Optionen schwierig sind oder dass ein Umzug in eine neue Stadt gleichzeitig Angst und Vorfreude bedeutet, ist halt so kontrovers und prickelnd wie ein Jahresvorrat Vöslauer ohne. Namhafte Sozialwissenschaftler weisen gerne darauf hin, dass sogar die vielbeachtete Generation Y in Studien eher schwer nachzuweisen ist. Weil aber namhafte Sozialwissenschaftler für gewöhnlich nicht besonders fotogen sind und die langweiligeren Thesen haben, hört niemand auf sie. Sondern lieber auf Leute wie Michael Nast, der gerade mit seinem Buch »Generation Beziehungsunfähig« die Bestseller-Listen stürmt und als »Sprachrohr seiner Generation« gefeiert wird. Nast erzählt jungen Menschen, die ungern die Anstrengungen einer monogamen Lebensweise auf sich nehmen wollen, was sie hören wollen. Und mit diesem trivialen Blödsinn »trifft er einen Nerv«, wie es in den Feuilletons dann gerne heißt. Nicht falsch verstehen: Natürlich verändern sich Gesellschaften. Es gibt immer wieder demographische, technische und historische Neuerungen, die dafür sorgen, dass sich das Aufwachsen von dem vor 20 Jahren unterscheidet. Aber das passiert seltener, als man glaubt. Groß angelegte Wertestudien zeigen, dass eine Abgrenzung von Generationen fast unmöglich ist. Unterschiede treten innerhalb von Alterskohorten auf, darüber hinaus sind sie viel geringer als medial transportiert. Wer also das nächste Mal etwas über eine »Generation XYZ« liest, sollte daran denken, dass es da eher um ein privilegiertes Milieu geht, das Zugang zu den Jobs in Literaturbetrieb und Journalismus hat. Das passt nur leider nicht auf einen Buchtitel.
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Ein kleiner Überblick über die Generationen der letzten 25 Jahre, die man uns verkaufen wollte: Generation Allah
Der Begriff wurde vom Ex-Islamisten Ahmad Mansour geprägt. Eine Generation von jungen Muslimen, die keine Ahnung von ihrer Religion hat, diese aber sehr, sehr wichtig nimmt.
Generation Azzlack
Welle hin, Welle her – Tsunami oder was? Ein ziemlich großartiger Track auf Haftbefehls »Blockplatin«. Für sie zählt nur Gianni Versace.
Generation Doof
» Der Generationentext ist das literarische Äquivalent zu einem nächtlichen Kebab am Wiener Gürtel.«
Angeblich verblödet Deutschland. Ziemlich praktisch, sonst würde es ja keinen Markt für solche Bücher geben.
Generation Ego
Der Begriff versucht die Werte der heute 14- bis 30-Jährigen auf wissenschaftlicher Basis zu umschreiben. Trotzdem zeigt nicht zuletzt die Hilfsbereitschaft im Zuge der Flüchtlingskrise, dass alles mit Vorsicht zu genießen ist.
Generation Facebook
Junge Menschen, die mit sozialen Netzwerken aufgewachsen sind. Daran könnte was dran sein. Obwohl die ja jetzt alle eher auf Snapchat herumgrinden.
Generation Gold
Der Versuch von Wirtschaftsjournalisten, auch auf den Generationenzug aufzuspringen.
Generation Maybe
Eine Generation, die sich aufgrund ihrer zahlreichen Optionen nicht entscheiden kann. Mit anderen Worten: eine Generation, die mal eins auf die Fresse verdient.
Generation X
Ein Begriff der 90er Jahre. Menschen, denen es zum ersten Mal ökonomisch schlechter ging als ihren Eltern und die deshalb Grunge machten.
Generation Y
Die Millennials, die jetzt gerade alle Generationentexte schreiben. Sie sind gut ausgebildet, Work-Life-Balance ist ihnen aber wichtiger als das Gehalt. Sagen zumindest die Arbeitgeber.
Generation Z
Text Jonas Vogt
Die nächste Generation, so ab 1995 geboren. Noch hat sie niemand so richtig charakterisiert. Stay tuned.
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Ogris Debris – »Constant Spring« — Easy zwischen Elektro und House
La Primavera
Text Lisa Schneider Bild Andreas Waldschütz
Ogris Debris feiern auf ihrem Debütalbum »Constant Spring« ihren ganz persönlichen, immerwährenden Frühling. Und der findet im Club statt. Ogris Debris haben sich den großen Drop lange aufgehoben, jetzt ist das Debütalbum da. Elf Jahre musiziert und produziert das Duo schon gemeinsam. Der Unterschied zu den EPs davor? Jetzt ist alles entspannt abgelaufen, nachdem man früher eher immer unter Zeitdruck auf einen Release hingearbeitet hat. Die Planung des ersten Albums brodelt schon seit gut zwei Jahren – stressen ließ man sich aber nicht. »Wir haben uns absichtlich viel Zeit genommen, um die Ergebnisse aus der Distanz betrachten zu können, zu reflektieren – und oft auch wieder alles umzuschmeißen«, schmunzeln die beiden. 2003 haben sich Gregor Ladenhauf und Daniel Kohlmeigner in Hallein bei Salzburg kennengelernt und kurz darauf einen Dance-Live-Act ins Leben gerufen. Minimalistisch mit zwei Laptops auf der Bühne, Gesang war damals – wenn überhaupt – dann nur spärlich zu hören. Mittlerweile fühlt sich Gregor in seiner Rolle als Frontmann sichtlich wohl. Und den Oldschool-Technozugang haben Ogris Debris auch mehr als nur optimiert.
Live ist ein Gemeinschaftsprojekt Live hat es mit Stimme so gut funktioniert, dass man sie auch im Studio nicht mehr gestrichen hat: »Miezekatze« zum Beispiel, einer der Ogris Debris-Oberknaller – housiger Begleiter jedes Gilles Peterson-Sets zu dieser Zeit – war eigentlich als reines Instrumentalstück geplant … man kennt das Endprodukt. Die besten Live-Sets, so erzählt Daniel, spielen sie immer noch dann, wenn die Interaktion mit dem Publikum stimmt. Man kann die beiden schon mal im Scherz fragen, was sie eigentlich auf der Bühne tun. Den Spagat zwischen »eh nur Laptops bedienen« und live auch wirklich Musik machen, schlagen die zwei einwandfrei: »Wir zerlegen unsere Songs, wenn sie einmal fertig sind, wieder in alle Einzelteile. Das ist schon ein bisschen Sisyphos-
Arbeit, aber wir arrangieren dann live alles vollständig neu, wodurch natürlich auch jedes Mal ein anderes Set entsteht. Und darin liegt für uns wie auch hoffentlich für unser Publikum die Spannung.«
Best Of Auch wenn sie wissen, dass sie als Duo sehr gut funktionieren, teilen sich Gregor und Daniel ihre Arbeitsschritte auf. Sie tüfteln lieber getrennt: Gregor zeichnet für die Songskizzen verantwortlich, er kommt mit Loops, Gesangssprengseln ins Studio. Daniel kümmert sich dann um den Grundmix, die Soundgestaltung. Auf das Album haben es, nach langem Hin und Her, nur die besten zwölf Tracks geschafft, so das Duo. »Es ist schon irgendwie ein bisschen unser Best Of geworden«, sagen sie. Die Miezekatze schnurrt also noch lauter als vorher. Im Niemandsland zwischen Techno und House bewegen sich Ogris Debris mit zügigen Schritten: Ein zappelndes, aufgekratztes Debüt, kein Album für die Badewanne oder das Sonntagsfrühstück. Eher ein Album, das am besten bis fünf Uhr früh im Club läuft. DanceSchleifen, hypnotisierende Beats, die sich unter die Stimme legen, die ausreißen, ins Ohr kriechen, dableiben. Zwölf Dancetracks, die sich nicht entscheiden zwischen verwaschenen Dub-Beats, Dancepop-Einflüssen, drängelnden Loops, prasselndem Techno – sondern aus all den Zutaten lieber einen mittlerweile beinah unverkennbaren Ogris Debris’schen Soundteppich weben. Hat sich also gelohnt, sich fürs Debüt Zeit zu lassen. So macht man das ja auch mit einem Best Of, oder?
»Constant Spring«, das Debütalbum von Ogris Debris, erscheint am 15. April via Affine Records. Das wird auch gefeiert, nämlich im Rahmen einer exklusiven Release-Show am 22. April im Café Leopold.
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Vague – »In The Meantime« — Gitarrenwellen für die Welt
Kafkas Quintett Österreichische Bands texten jetzt gehäuft Österreichisch. Vague ist das wurscht. Vague machen es anders.
Keine Konkurrenz Dem oben erwähnten Idealismus gehorchend, interessiert sich Vague auch nicht für Youtube-Klicks. Wichtiger ist da schon die nationale Vielschichtigkeit der Hörerschaft, die aus den Soundcloud-Statistiken abgelesen wird und unter denen derzeit mittelamerikanische Länder das Gravitationszentrum bilden. Bands wie Wanda gönne man natürlich den Erfolg. Man sehe sich überhaupt nicht in Konkurrenz. Schon alleine, weil die Szene so überschaubar ist, müsse man zusammenhalten. Das tut man auch. Das Debütalbum »Voodoo Jürgens« wurde beispielsweise von Wolfgang Möstl gemischt. Dessen Band-Spetzl, Mario Zangl, hatte dann wiederum bei »In The Meantime« die Finger an den Knöpfen.
Mit der Unstetigkeit als Begleiter, versucht sich Vague an einer Art von Zeitlosigkeit. Im konkreten Fall also eine Platte, für die man sich auch in fünf Jahren nicht schämt. Ein kurzes Dahinreiten auf der Hype-Welle – uninteressant. Diese Ambition hört man natürlich auch auf dem Debüt, das versucht, erstens nicht österreichisch und zweitens nicht nach 2016 zu klingen.
Die allgegenwärtige Bedrohung Dass bei Vague dezidiert kein Frontmann abgestellt wird, kann sicherlich als Versuch gewertet werden, der Fokussierung auf Oberfläche entgegenzuwirken. In der fünfköpfigen Band werden Entscheidungen intern also demokratisch gefällt, der externen Wahrnehmung weniger Projektionsfläche geboten. Das soll Tinder tun. So klar die Position zu Substanz, so vage die dem Albumtitel eingetackerten Bedeutungsebenen. »Meantime« kann ja als zwischenzeitlich – also zwischen zwei Zeitpunkten – übersetzt werden. »Mean« kann aber auch als »Es ist natürlich eine ur-arge, gemeine Zeit in der wir leben« ausgelegt werden. Man kennt das aus dem eigenen Leben: Selbst die schlimmsten Zeiten werden irgendwann vom nächsten Fiasko abgelöst. Das erzeugt Melancholie und die schwingt bei Vague in jedem der zehn Songs mit. Ebenso die nicht genau festmachbare, aber dennoch allgegenwärtige, kafkaeske Bedrohung (»We’re in danger / Tomorrow, anyday«). Den Blick in die Zukunft hält die Band absichtlich kurz und schmiedet nur ungern Pläne. »Ein grober, größerer Stein lässt sich halt einfach leichter nach vorne rollen als so ein bisschen Kies«, wie Gabriel metaphrasiert. Einfach laufen lassen also und eintauchen sollte man in dieses Debüt. Wie das auch Vague tun. »In The Meantime« erscheint am 22. April via Siluh Records.
Text Christoph Kranebitter Bild Gabriel Hyden
Im April erscheint ihr Debüt. Deutsch ist dort keines drauf. Zum einen – und da sind sich Konstantin Heidler und Gabriel Hyden einig –, weil »auf Englisch zu singen, lautmalerisch einfach am meisten hergibt«. Zum anderen, weil ihre Band nicht zwangsläufig mit Österreich konnotiert werden soll. »Dieser nationenbezogene Kulturexport liegt fernab von dem, was wir eigentlich wollen«, so Konstantin. „Da spielen wir echt lieber vor zehn Leuten in England (das bereits zweimal betourt wurde) oder Frankreich. »Uns sind jene wichtig, denen unsere Musik am Herzen liegt«, bekräftigt Gabriel den Vague’schen Idealismus. Der Sound ist Post-Punk. Auf rhythmische Gitarrenblumen legt sich da der meist nur gehauchte Raureif der Vocals und bringt die Songs so zum glitzern. Irgendwo im Dickicht platzieren Vague auch gerne Disharmonien und Harmoniewechsel. Klingt dann so, als ob Ian Curtis Ketamin einwirft und in der Hängematte den Sundowner vertont. Einziger Vorwurf: In Dauerschleife kann das natürlich ein wenig langweilig werden.
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»Eddie The Eagle - Alles ist möglich«
Der verfilmte #livingthedream
Sportfilme lehren uns: Du darfst nicht aufgeben. Ein Mann hat das ganz bestimmt nicht getan: Eddie The Eagle, die vielleicht größte Legende des Skisprungsports. Nun bekommt er sein Biopic. Du brauchst nicht gut zu sein, um in deinem Sport zur Legende zu werden. Du musst ihn einfach nur mehr lieben als alle anderen. Ja: »Eddie The Eagle – Alles ist möglich« ist ein Sportfilm, der Pathos groß schreibt. Schon Christoph & Lollo besingen Eddie auf ihrem Album »Schispringerlieder«:
Text Dominik Oswald Bild twentieth century fox
»Eddie springt zehn Meter, wenn der Rückenwind bläst. Eddie war noch nie auf einem Siegespodest. Eddie hat noch nie ein Mädchen geküsst. Eddie wird im Pub äußerst selten gegrüßt.« Michael Edwards, genannt Eddie, hat Übergewicht, trägt Krankenkassengestelle aus einer Zeit lange bevor es Ironie gab und hat kein Talent für Sport. Aber: Er will zu den Olympischen Spielen. Bei Versuchen als Leichtathlet sammelt er zerbrochene Brillen, bevor er den Skisprungsport entdeckt und der Traum nah scheint: in Großbritannien springt sonst niemand Ski. Auf eigene Faust türmt Eddie nach Deutschland, will sich den Sport beibringen. Dort landet er bei einem ehemaligen Springer und nunmehrigen Alkoholiker, der ihn als Coach allen Hindernissen zum Trotz bis zu den Olmypischen Winterspielen 1988 bringt. Dort wird er zum Star, zu »Eddie The Eagle« und neben »Cool Runnings« zum zweiten SportAußenseiter-Film über die Spiele 1988.
»Eddie ist jetzt dreißig Jahre alt, für’s Skispringen wird er sehr schlecht bezahlt. Eddie, warum hast du dir das angetan? Warum bist du nicht bei Post oder Bundesbahn?«
10 Skigebiete 1925 mit Hollywoodfilm »Eddie The Eagle - Alles ist möglich« wurde zumindest teilweise in Österreich, in Seefeld in Tirol, gedreht. Es ist bei Weitem nicht der erste größere internationale Film, in dem ein heimisches Skigebiet eine mehr oder weniger gewichtige Rolle spielt. Hier sind zehn:
Bereits in den 20er Jahren filmte der später zu Weltruhm gelangende Alfred Hitchcock in Obergurgl und Umhausen sein zweites Werk »The Mountain Eagle«, das nach negativer Reaktion des Publikums relativ schnell aus den Kinos verschwand und heute als vermisst gilt.
1956
Unter der Regie von Dexter Fletcher und den Produzenten von »Kingsmen: The Secret Service« spielt Shootingstar Taron Egerton die Hauptfigur. Der 26-jährige Waliser überzeugt vor allem mit seiner mimischen Impression. Hugh Jackman hingegen sorgt ebenso wie seine Filmfigur für Kopfschütteln, er ist der größte Schwachpunkt in der sehr losen Interpretation von Eddies Aufstieg vom traurigen Zero zum Hero. Mitunter ist diese ganz schön schablonenhaft aufgebaut, man weiß immer, was als nächstes passiert, freut sich aber schon darauf. In Kombination mit Ballonseide der 1980er funktioniert das auch für ein fachkundiges Publikum ganz gut. Vor allem, wenn Originalbilder die Schauspieler ersetzen, das »based on a true story« spürbar wird, drücken Egerton und Fletcher alle emotionalen Knöpfe.
»Eddie sieht gut dennoch muss er Brillen tragen und sein Manager meint, Eddie dürfe nicht sagen, dass die Brille nur den Zweck hat lustig auszuschauen, denn die Leute sehen in Eddie einen Skisprungclown.« Für ein Sport-Biopic ist die Figur prädestiniert. Kein Wunder also, dass seit 2007 versucht wurde, den Stoff zu verfilmen: Die Chancen für einen Loser, unter tausenden vermeintlichen Gewinnern seinen größten Traum zu erreichen, olympisches Feuer zu spüren und zum Weltstar zu werden, sind praktisch aussichtslos. Eddie The Eagle ist damit der ideelle Vater von vielen emotionalen Ikonen der Olympischen Spiele, von Heroen wie Eric »The Eel« Moussambani, Trevor »The Tortoise« Misipeka oder Philip Boit. Nach den Spielen genoss er höchstes Ansehen, nahm Hitsingles auf, gab Konzerte vor über 70.000 Zusehern und war gefragte Werbefigur, Fernseh-Personality und studierte nebenbei Jura. Es gibt Lieder über ihn, tausende Interviews. Edwards ist der Mann, der das Skispringen medial in anderen Sphären hob, noch mehr als Nykänen, Weißflog oder Boklöv.
Der vor allem als BMovie- und Horror-Regisseur bekannte John Gilling drehte in Imst den Science-Fiction-HorrorTrash »The Gamma People«, in dem Jugendliche mittels Gamma-Strahlen zu gefügigen Zombies der Regierenden werden. Ein Schelm, der dabei an 2016 denkt.
1965
Auch die Beatles haben in einem österreichischen Skigebiet gedreht: In Obertauern fanden die Arbeiten zu »Help!« statt. Stramme Salzburger Männer agierten dabei als Skipisten-Doubles von John, Paul, George und Ringo.
1967
Auch die Größen des europäischen Kinos schlugen in Österreich ihre Zelte auf: Der Episodenfilm »Le streghe« (»Hexen von heute«), wurde unter anderem von Luchino Visconti oder Pier Paolo Pasolini mit Silvana Mangano und Clint Eastwood in Kitzbühel gedreht. Dabei trat auch Helmut Berger, der schönste Mann der Welt, erstmals in einem Visconti-Film auf.
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»Eddie The Eagle bricht in Tränen aus. Eddie will aus diesem, seinem, Leben endlich raus. Eddie The Eagle will nicht mehr verlieren. Er will nicht mehr der Clown sein und die Leute amüsieren. Eddie The Eagle ist ein armes Schwein, denn keiner will mit ihm zusammen sein.«
1971
Michael Caine und Omar Sharif waren ebenfalls zu Dreharbeiten in Österreich: »Das vergessene Tal«, ein MonumentalAbenteuerfilm von James Clavell wurde in Trins im Gschnitztal in Tirol gedreht. Ein ganzes Dorf aus dem 17. Jahrhundert wurde dafür aufgebaut.
1997
Entgegen dem Filmtitel bestieg Brad Pitt unter anderem die Berge von Lienz und Asten im Kärntner Mölltal. Er blieb also nicht »Sieben Jahre in Tibet«.
2002
»xXx - Triple X«, der Actionschwachsinn mit Vin Diesel spielt auch in Österreich – genauer gesagt am Kaunertaler Gletscher. Dort probierte er sich an jeder Menge Stunts, löste Lawinen aus und fuhr mit dem Snowboard um sein Leben.
Schon seit Urzeiten des Sportfilms ist das Mantra des niemals Aufgebens Teil jedes Pathos, genauso wie der Pluralismus vom sympathischem Underdog versus abgehobenem und etablierten, übermäßig talentiertem Favoriten. Oft gewinnen die Underdogs – wie etwa in dem für die Kinder-Generation der 90er Jahre stilbildenden »Mighty Ducks«. Gefühlt noch öfter verlieren die Protagonisten denkbar knapp – durch ihren Aufstieg nach oben, das Erreichen des Finales kann die Sache dennoch als Erfolg gewertet werden. Aber in einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich »Eddie The Eagle Alles ist möglich« von allen weiteren hochdekorierten Sportfilmen der letzten Jahre: hier geht es nicht ums Gewinnen, es geht ums Dabeisein. Ein Ziel, hehrer als der Sport selbst. »Eddie The Eagle – Alles ist möglich« hat am 1. April Premiere in den österreichischen Kinos.
2004
Wie »Das vergessene Tal«, wurde auch »Die Bourne Verschwörung« mit Matt Damon im Gschnitztal gefilmt. Die Brennerautobahn und das Sellraintal sind Schauplatz einer Verfolgungsszene.
2004
Reneé Zellweger blamiert sich im zweiten »Bridget Jones«-Teil gehörig vor Colin Firth. Die Szenen des Skiurlaubs wurden in Lech am Arlberg gedreht, ganz britisch im bevorzugten Skigebiet der Royals und des kontinentaleuropäischen Hochadels.
2015
Auch James Bond, der zuletzt schon in Bregenz und Feldkirch ballerte, kam im Vorjahr für »Spectre« nach Österreich zurück und drehte einige winterliche Actionszenen in Sölden und Obertillach. Für einen Bond-Film unüblich, wurden doch alpine Außenaufnahmen bisher eher in der Schweiz gedreht. 027
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Katharina Winkler – »Blauschmuck« — Ein Heldinnenroman
Den Kopf voll Blut, doch stets erhoben Katharina Winklers Debüt erzählt die wahre Geschichte einer kurdischen Frau, die von ihrem Mann fast zu Tode geprügelt wird und dennoch im Herzen frei bleibt. Ein Heldinnenroman. Filiz’ Geschichte beginnt, wie das Leben eben anfängt: in ahnungsloser Kindheit. Sie lebt mit ihrer Familie in einem kurdischen Dorf in der Türkei. Sie haben ein Haus dort, Vieh und ein bisschen Land. Schon früh lernt Filiz, was Ehre ist, spricht beinah zärtlich davon, wie sie wie eine schwarze Wolke über ihnen hängt und ihnen die Grenzen zeigt, die Sicherheit geben, während sie gleichzeitig alles Glück auffrisst. Die Frauen im Dorf tragen Blauschmuck an Armen und Beinen, im Gesicht und auch um den Hals. Manchmal ist er fast schwarz, manchmal hat er die Farbe des Himmels und wer keinen trägt, gehört nicht dazu. Ach ja, Blauschmuck ist nur etwas für Frauen.
Alle Schläge der Welt Während Filiz Gewalt vom ersten Tag ihres Lebens als einen Teil der Familie, ein Gesetz im Dorf und somit in ihrer ganzen Welt erlebt, funkeln dazwischen einzelne Momente der Freude. Verbotenes Baden im Fluss, während der Wolf Vaters Schafe frisst, heimlich jauchzendes Rodeln mitten in der Nacht. Es sind Augenblicke, die den Frauen ganz alleine gehören und die ihnen mit allen Schlägen der Welt nicht genommen werden können. Nicht, dass die Männer im Dorf es nicht versuchen würden. Und schließlich findet Filiz auch einen Mann oder vielmehr erklärt dieser ihr eines Tages: »Du gehörst mir.« Yunus hält um ihre Hand an, der Vater sagt Nein. Also laufen sie gemeinsam weg und heiraten. Schon die Hochzeitsnacht ist wie ein Schlachtfest, auf dem johlende Männer ihr Blut auf dem Leintuch herumzeigen. Es dauert nicht lange und Filiz bekommt ihren eigenen Blauschmuck verpasst und wird zum ersten Mal schwanger, ein weiteres Erschwernis in der Vorhölle, zu der ihre Ehe schnell wird. Später gelangt sie mit ihren Kindern nach Österreich, wo Yunus Arbeit gefunden hat.
Text Teresa Reiter Bild Stefan Klüter / Suhrkamp Verlag
Die unzerstörbare Lebenskraft In ihrem ersten Roman hat die Wienerin Katharina Winkler den Lesern freie Sicht in den Abgrund gewährt. Obwohl man meinen möchte, das Buch sei den Ereignissen des letzten Jahres, dem aktuellen Diskurses um Gewalt an Frauen entsprungen, trügt der Schein. Bereits vor zehn Jahren traf die junge Autorin auf die Frau, die in ihrem Roman Filiz heißt. Es sei schwierig gewesen, die »unzerstörbare Lebenskraft und den Lebensmut« der Hauptfigur in Worte zu gießen. »Sie geht durch die Hölle und tritt körperlich und seelisch verletzt, aber im Grunde ungebrochen wieder heraus«, sagt Winkler. Es ist ein ungewöhnliches Buch, weil es durch unkitschige aber poetisch anmutende Bilder die Erfahrung der jungen Kurdin real und greifbar macht. Mit Sätzen wie »Yunus ist unser Wetter« erschließt die Autorin Ecken einer unerträglichen Situation, die man sonst nur erleben könnte, wenn man dabei gewesen wäre. Es sei ihr ein Anliegen gewesen, Filiz eine Stimme zu geben und Raum, sich zu artikulieren, sagt Winkler. Sie habe ihr eine Wertschätzung entgegenbringen wollen, die ihr in der Realität nicht zuteil geworden war. »Insofern war der Arbeitsprozess für mich auch eine Form von Korrektiv der Realität«, sagt sie. Was »Blauschmuck« so groß macht, ist die von Winkler beschriebene Unbesiegtheit ihrer Figur. Der Roman ist wie eine weitere Ausführung des Henley-Gedichts »Invictus«, in dem von der »unbezwinglichen Seele« die Rede ist und das den Satz: »My head is bloody, but unbowed« enthält. Damit füttert das Buch einen Diskurs mit Tiefe, der sich bis jetzt nur an der Oberfläche abgespielt hat und in dem die Opfer von häuslicher Gewalt die Schwachen waren. Filiz ist jedoch
aus dem gleichen Stoff gemacht, den man sich sonst für Heldinnen der griechischen Mythologie aufbewahrt hat. Als ihr Mann ihr mitteilt, er wolle eine andere heiraten und sie als Zweitfrau behalten, sagt sie »Nein«, obwohl das Wort ihr ganzes Leben lang nicht ihr gehört hatte und sie weiß, dass er sie dafür totschlagen könnte. Winklers Roman gibt Anstoß für eine Menge neuer Gedanken zum Thema Gewalt gegen Frauen. Das System Blauschmuck und wer ihn wem umhängt, kommt für Filiz aus der Tiefe ihrer Welt, aus einem geradezu intimen Rahmen. Auch wenn es schwer nachzufühlen ist, so sind die Schläge, das Blut, die Grausamkeit in der Geschichte nicht mit der Abwesenheit von Liebe gleichzusetzen. Das Buch zeigt, dass eine Kultur der Gewalt gegen Frauen nicht nur für die Frauen schlecht ist, sondern für alle. Zwar hält sich das Mitleid für Yunus nach der Lektüre des Buches in Grenzen, doch gibt es immer wieder Passagen, die verraten, dass auch er trotz dominanter Position mit dieser Gewalt zu kämpfen hat, dass auch seine Person von Kräften geformt wurde, die der Weltgesellschaft tief in den Knochen sitzen. »Das Buch widmet sich archaischen, allgemein gültigen Mustern. Es spricht grundsätzlich gegen Gewalt, weil es ihr Scheitern zeigt. Es verdeutlicht, dass Gewalt, die durch verzweifeltes Besitzenwollen motiviert ist, niemals im Stande ist, Nähe zu erzeugen«, sagt Katharina Winkler. Sie würde sich freuen, wenn ihr Roman ein Impuls für einen differenzierten Diskurs über Gewalt und Geschlechterverhältnis würde. Zwischen den »oberflächlichen« tagespolitischen Diskursen und ihrem Roman sehe sie aber keinen Konnex.
Ein überraschend wunderschönes Buch Tatsächlich hilft die Lektüre aber vielleicht sogar mit eben diesem, denn die von Seite zu Seite wachsenden Solidaritätsgefühle für Filiz haben einen weiteren beeindruckenden Effekt als jenen, die Ablehnung von Gewalt noch zu verstärken. Filiz wird einem beinahe ein wenig zur Schwester und ist in gewisser Hinsicht eine Verschmelzung aller Mädchen und Frauen, denen jemals Ähnliches angetan wurde. Durch ihre Augen sieht man, wie gering der Wert einer Gesellschaft ist, die nicht vermag, zumindest die körperliche Unversehrtheit ihrer Mitglieder so weit zu garantieren, dass sie vor Gewalt in den eigenen vier Wänden geschützt sind. Für die aktuelle Debatte um die durch Flüchtlingsströme nach Europa importierten Frauenbilder ist das insofern relevant, als es die Lächerlichkeit des Gräbenziehens zwischen dem Eigenen und dem vermeintlich Fremden aufzeigt. »Blauschmuck« wirft einen Blick auf die Komplexität des Themas, der es jedem Leser und jeder Leserin verwehrt, gewalttätige Verhaltensmuster auf eine rein an Herkunft geknüpfte Kultur zu reduzieren. Es ist also absolut kein fröhliches Buch, allerdings ist es überraschenderweise ein wunderschönes, denn es trägt die Seele beider Frauen, jene Filiz’ und die Katharina Winklers in sich und man möchte danke sagen, dass man durch sie sehen durfte, was man sich sonst nicht einmal vorstellen will. Bücher wie dieses sind wichtig, weil sie etwas mit einem machen und einem etwas beibringen. »Blauschmuck« stärkt das Gerechtigkeitsgefühl und vielleicht sogar die Solidarität zwischen Mensch und Mensch, ungeachtet von Herkunft und sich von einander unterscheidenden Lebensrealitäten und -geschichten. Gleichzeitig reißt es einem das Herz für eine kleine Ewigkeit lang entzwei. »Blauschmuck« von Katharina Winkler ist im Februar bei Suhrkamp erschienen.
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K AT H A R I NA WI NK LER
RO M A N S UHRKAMP
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Theatrale Erlebniswelten
Signa bei den Wiener Festwochen
»Wir müssen das Publikum betasten und auch manchmal schlagen.« Signa bauen theatrale Erlebniswelten, in denen Machtstrukturen seziert werden und der Zuschauer aus seiner Passivität befreit wird. Im Mai sind Signa erstmals zu Gast in Wien.
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Erforschung von Machtstrukturen Oft gemahnen die Spielsituationen an megalomanische Wiederholungen des Milgram-Experiments. Welche Macht hat Autorität? Welches Verhalten zu tolerieren ist durch den Besitz einer Theaterkarte legitimiert? Wie weit lasse ich mich als Zuseher manipulieren? Was ist Fiktion und was Wirklichkeit? Dabei geht es auf der Bühne oft auch brutal zu. Doch Sex und Gewalt sind eben häufig die offensichtlichsten Auswüchse von Macht. Und die Erforschung von Machtstrukturen wäre ohne drastische Darstellung dieser Kernkompenenten alles Menschlichen sinnlos. Der Zuschauer ist bei all dem mittendrin und wird nicht geschont. Oder mit Signa Köstlers Worten etwas drastischer ausgedrückt: »Wir müssen das Publikum betasten und auch manchmal schlagen.«
Zufällig Theater All das greift viel weiter als das von jedem Theaterbesucher gefürchtete »Mitmachtheater«. Es werden keine Freiwilligen gesucht und keine Witzchen auf Kosten des Unglücklichen gemacht, der zufällig im Sucher des Scheinwerfers landet. Die Rahmenhandlung ist so dicht gewebt, dass alle Akteure Ihre Rolle leben, anstatt Texte zu sprechen. Das ist weniger Plattitüde als Ergebnis eines langen Erarbeitungsprozesses, der bei Signa bis zu acht Monate dauern kann und der sich im normalen Stadttheaterkontext kaum denken lässt, wo in der Regel höchstens sechs Wochen geprobt wird. Doch was kümmern die Erlebnisbauer die althergebrachten Konventionen öffentlicher Theaterbetriebe? Die Zuschreibung zum Theaterkosmos erfolgte mehr oder weniger sowieso zufällig mit der Nominierung zum Berliner Theatertreffen als eine der zehn »bemerkenswertesten« Inszenierungen des Jahres 2007. In der prämierten Arbeit »Die Erscheinungen der Martha Rubin« war man als Zuschauer zu Gast in »Rubytown«. Als Besucher dieser Grenzzone zwischen einem verfeindeten Süd- und Nordstaat bekam man statt einer Eintrittskarte ein 12-Stunden-Visum. Die verworrene Geschichte um das Orakel Martha Rubin und ihre unfruchtbaren Nachkommen konnte man sich von ebendiesen bei einem Besuch im Friseursalon, beim Abendessen im Dorf-Pub oder gleich bei einer privaten, sagenumrankten Peepshow erzählen lassen. Selbsternannte Aufklärer, die versuchen, Löcher in diese fantastischrealistischen Welten zu pieksen und die Schauspieler aus ihren Rollen
zu locken, gibt es immer wieder, doch Erfolg ist ihnen nie gegönnt. Denn die Akteure fallen nicht aus ihrer Rolle. Und zweitens kommt man als Antipode niemals an Zusammenhänge und Geschichten hinter den groß gedachten Versuchsanordnungen. Dann schon besser als Gast eine festlichen Balls, Angeklagter in Franz Kafkas »Prozess« oder als frisch eingestellter Angestellter des Traditionsbetriebs »Söhne&Söhne« (wie zuletzt am Hamburger Schauspielhaus) versuchen den verschlungenen Machtstrukuren auf die Schliche kommen.
Alle auSSer Puber Am Anfang des Produktionsprozesses steht meist die Suche nach einer geeigneten Spielstätte. Denn obwohl man sich die düster-mythischen Welten theoretisch genau so gut in der Turbinenhalle der Tate Modern oder im Keller der Secession vorstellen könnte, bleibt fraglich, was dem Künstlerehepaar zu diesen auf Hochglanz polierten Orten der sogenannten Hochkultur einfallen würde. Signa arbeiten »site specific«, sie entwickeln die Stücke direkt aus der Spielstätte und ihre Geschichte heraus. Bei der neuen Produktion »Wir Hunde / Us Dogs« handelt es sich um ein auf den ersten Blick unspektakuläres Gebäude im 7. Bezirk. Es scheint, als hätten sich hier sämtliche Wiener Gelegenheits-Sprayer mit ihren Tags verewigt. Alle außer Puber. In der Faßziehergasse Nr. 5 war schon ein Filmarchiv, ein Blumengroßhandel und eine Schauspielschule untergebracht. Jetzt hat das Volkstheater – welches das Stück gemeinsam mit den Festwochen produziert – hier seinen Herrenfundus und eine Probebühne.
Workshops für Transhunde In diesen Räumlichkeiten werken nun Signa. Schon Ende Jänner rollten die ersten Laster aus dem zentralen Fundus in Dänemark an um das nächste Zwischenreich aus Realität und Fiktion erstehen zu lassen. Keiner Epoche konkret zuordenbar, bleibt alles ein wenig verschwommen. Wie eine ferne, aber sehr eindrückliche Erinnerung. Um diesen Effekt zu erreichen, stehen auch Signa und Arthur Köstler derzeit tagtäglich im Blaumann in der Faßziehergasse und arbeiten daran, die Schäbigkeit dieses Ortes bis in den letzten Winkel effektvoll in Szene zu setzen. Überhaupt sind die Hierarchien ziemlich flach. Es wird gemeinsam gebaut, geprobt, gelebt und in Stockbetten geschlafen. Entspanntes Kommunenleben ist es trotzdem nicht. Täglich von 10 bis 16 Uhr gibt es von Signa geleitete Workshops, in denen das Szenario zusammen erarbeitet wird, danach testet man in zwangloseren Gatherings die Tragfähigkeit der selbstgebauten halbrealen Welt. Diesmal wird es eine Wohngemeinschaft für Transhunde. Weder Tier noch Mensch, mäandern die Bewohner an der fragilen Grenze des konstruierten Gegensatzes zwischen Wildheit und Zivilisation. Der Beweis, dass der Mensch wirklich die Krone der Schöpfung ist, der steht schließlich noch aus. Und vielleicht ist es endlich einmal an der Zeit, die Weltgeschichte aus der animalischen Perspektive zu erzählen. Wenn die tierische WG Mitte Mai ihre Pforten für das Publikum öffnet, wird es an jedem einzelnen Besucher sein, die Geschichten auf drei Stockwerken auszugraben, zu erfragen und am eigenen Leib zu erfahren. Und in die Rolle zu schlüpfen, die er sich selber gibt. Von Tier bis Mensch ist alles möglich. Alles außer Angsthase und Theaterschläfer eben. »Wir Hunde / Us Dogs« wird von 14. Mai bis 18. Juni um 19 Uhr im Rahmen der Wiener Festwochen gezeigt.
Text Magdalena Hiller Bild Arthur Köstler
Hinsetzen, Klappe halten und bestenfalls weniger als die Hälfte der Zeit pennen. Im Normalfall sind die Erwartungshaltungen an den Theaterbesucher glasklar. Dort Bühne, hier Publikum – schön getrennt durch die fiktive vierte Wand. Bei den Aufführungen des österreichisch-dänischen Performance-Kollektivs Signa, bestehnd aus dem Ehepaar Arthur und Signa Köstler, sieht die Sache schon ein wenig anders aus. Hier ist man Besucher eines Bordells, Insasse einer Psychiatrie, Ballbesucher oder auf der Durchreise in einer abgeschotteten, verstrahlten Grenzstadt. Dabei wird nicht die Fantasie angestrengt. Es gibt kein »Stellen Sie sich vor, hier sei ein Dorf«, keine potemkinschen Theatermalereien und schon gar keine untragbar federleichten Gepäcksstücke. Denn Signa bauen fantastisch-realistische Szenarien im Großformat. Das Produkt ihrer Arbeit »Performance« oder gar »Theater« zu nennen, würde viel zu kurz greifen. Ganze Gebäudekomplexe werden zu bis ins letzte Detail durchkomponierten Erlebnisschauplätzen für eine zeitlich nicht zuordenbare Parallelwelt.
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Tomas Zierhofer-Kin — Im Porträt
Der mit dem Wolf tanzt
Vom Donaufestival zu den Wiener Festwochen – Tomas Zierhofer-Kin hat sich als unangepasster Kulturmanager im tiefschwarzen Niederösterreich bewährt. Nun wechselt er ins rote Wien. Wie er so tickt? Ein Annäherungsversuch.
Tomas Zierhofer-Kin hat ein Problem mit dem Wikipedia-Eintrag zu seiner Person: »Da stimmt eigentlich nichts drinnen.« Aus Ärger über das dort verbreitete Halbwissen hat er sich irgendwann einmal selbst der Sache angenommen, sich Affären mit Superstars und schwierige Familienverhältnisse angedichtet – bis er von Wikipedia gesperrt worden ist. Weshalb er jetzt erst recht wieder Fragen nach dem italienischen Restaurant beantworten muss, das er 2002 eröffnet haben soll. »Ich hab damals einer guten Freundin geholfen, die ein Lokal aufmachen wollte. Das war alles. Vier Abende die Woche hab ich auch unentgeltlich dort kellneriert, und dann sogar – ich glaub, in der Presse – eine Kritik bekommen: ›der wahrscheinlich liebenswerteste, aber tollpatschigste Kellner Wiens‹.« Für den Termin mit The Gap nimmt sich Zierhofer-Kin mehr als drei Stunden Zeit. An die 100 Fragen lässt er in seiner geräumigen, aber nicht protzigen Wohnung im vierten Bezirk über sich ergehen. Schon seit einigen Monaten wohnt er hier, fertig eingerichtet hat er mangels Zeit noch nicht. Im Wohnzimmer stehen volle Umzugskartons, manche Ecke wirkt noch etwas kahl. Die Dachterrasse ist im ausklingenden Winter dezent verwildert, im Inneren besorgt ein Luftbefeuchter das richtige Klima für die unzähligen Pflanzen – vom Zitronenbaum bis zur Bananenpalme. Zierhofer-Kin sitzt auf einem übergroßen roten Sofa, als Couchtisch dienen zwei Holzbänke. »Bei jedem Job, den man neu beginnt, ist eines sehr wichtig«, erklärt er, »diese wahnsinnige Euphorie des Anfangs, dass man einfach dieses Gefühl hat: ›Ja, ich hab da etwas vor, und das steckt alle Leute automatisch an.‹ So ein gewisser Pioniergeist: ›Wir müssen das irgendwie hinkriegen.‹« Eine Ausgangssituation, die Zierhofer-Kin aktuell natürlich auch bei den Festwochen hat: »Wien ist die Stadt, in der ich lebe und das gerne, und mit dieser Stadt etwas aufzuziehen – da ist die Euphorie natürlich ganz groß. Es geht mir schon darum, dass ich prototypisch mein Stadtfestival zeigen und zustande bringen will. Was das heute im 21. Jahrhundert können muss, auch im Sinne von gesellschaftlichem Wandel und so.«
Ambitioniert, radikal, konsequent Mit ähnlich ambitionierten Vorstellungen ist Zierhofer-Kin 2004 als künstlerischer Leiter in Krems angetreten. Er wollte das Donaufestival als genreübergreifende Plattform für zeitgenössische Kunstformen neu aufstellen. Herausgekommen ist ein zumindest damals radikales Festivalmodell zwischen Performance-Kunst, Sub- und Popkultur, das Kolonialismus- und Kapitalismuskritik, vor allem aber auch Queer und Body Politics auf eine große Bühne hob. Zwölf Jahre später übergibt er an seinen Nachfolger Thomas Edlinger, bekannt von FM4, Ö1 und als Kurator. Es sei an der Zeit, meint Zierhofer-Kin konsequenterweise, »dass jemand anderer das Donaufestival repositioniert und mit neuen Ideen am Leben erhält«.
Was er in Niederösterreich erreicht hat, darf guten Gewissens als beeindruckend beschrieben werden: Vom internationalen Hype-Beschleuniger Pitchfork bis hin zum als konservativ bekannten Regionalblatt zollt man dem Donaufestival Tribut. Und auch das Publikum kommt nach Krems. Waren es zuerst noch große Namen aus dem Musikprogramm wie Antony And The Johnsons oder Aphex Twin, die den Ticketverkauf ankurbelten, so verzichtet man seit einiger Zeit auf solche oft teuren Headliner. Dem Erfolg hat es letztlich nicht geschadet. Zierhofer-Kin: »Es ist jetzt nicht mehr so davon abhängig, wer in Krems auftritt, sondern nur davon, dass dort Festival ist. Das ist natürlich wahnsinnig schön, weil für ein Festival in diesem Verständnis so ein Starkult auch nicht sonderlich zielführend ist.« Dass der politische Wille in Niederösterreich da gewesen ist, auch manch schwierige Zeit gemeinsam durchzustehen, bestätigt Paul Gessl, der operative Geschäftsführer der Nöku, der NÖ Kulturwirtschaft GesmbH, der das Donaufestival mit seinen rund 1,5 Millionen Euro Landesförderung (in etwa 80 % des Gesamtbudgets) zuzurechnen ist: »Es war wirtschaftlich nie eine Frage von Sein oder Nichtsein. Es gibt ein klares Commitment der Politik zu einem Festival, das nicht auf Quote oder Erlöse, sondern auf Differenzierung und Profilierung ausgerichtet ist.« Das authentische Profil des Donaufestivals sei getragen von seinem Inhalt und somit ein Verdienst Zierhofer-Kins, den Gessl als »zielstrebigen künstlerischen Kopf, als starken Kommunikator und Teamplayer« beschreibt.
Die Gunst der Politik Die schützende Hand Erwin Prölls – der Landeshauptmann beschwört bei der jährlichen Donaufestival-Pressekonferenz im repräsentativen Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse gerne und mit überzeugendem Nachdruck die Freiheit der Kunst – hat wohl auch dafür gesorgt, dass selbst herausforderndere Donaufestival- Aktionen wie etwa ein im Kremser Hafen affichiertes Transparent mit Wachau-Fotomotiv und dem Text »A Magical Place Where Migrants Lose Their Rights« nur vereinzelt Proteste auslösen konnten. Hinzu kommt Zierhofer-Kins von vielen betontes Kommunikationstalent: »In allen problematischen Situationen hat Tomas die Projekte mit den richtigen Argumenten geschickt verteidigt«, erinnert sich Klaus Moser, der als musikalischer Konsulent und im Marketing für das Donau festival arbeitet. »Er hat ein gutes Gespür dafür, welche Botschaften er wann aussendet und an wen er diese adressiert.« Überdies sei man in der erfreulichen Position, dass sich die Politik nicht ins Programm des Festivals einmische, so Moser. Durchaus überraschend. »In Unkenntnis der Lage in Niederösterreich haben mich viele Wiener Kolleginnen und Kollegen gewarnt«, erzählt Zierhofer-Kin. »›Du, da wird dir ständig irgendjemand dreinpfuschen und jemand Einfluss nehmen‹ – aber das ist einfach nicht passiert. Ganz im Gegenteil: Es
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gibt dann immer wahnsinnige Rückendeckung für das Festival. Egal, womit wir uns auseinandersetzen.« Sein Kontakt mit Erwin Pröll habe sich im Wesentlichen auf die gemeinsamen Auftritte bei der Pressekonferenz und zufällige Treffen bei irgendwelchen Empfängen beschränkt, so Zierhofer-Kin: »Grad in einer Zeit, als ich noch den Iro hatte, hat er da oftmals Leute stehen gelassen und ist zu mir hergekommen – was ich ganz lustig fand und was, glaub ich, auch er ganz lustig fand; manchen Spießern, von denen er da oft umgeben ist, zu zeigen: ›Ich red jetzt mal mit dem da.‹« Wie beim Donaufestival und zu Beginn seiner Laufbahn beim Zeitfluss-Festival im Rahmen der Salzburger Festspiele, mit dem er recht bald nach dem Gymnasium und ein paar eher frustrierenden Versuchen mit diversen Studien (Philosophie, Musikwissenschaft, Komposition, Gesang und Kulturmanagement) in den Kulturbetrieb eingestiegen ist, arbeitet Zierhofer-Kin auch bei den Festwochen in Wien wieder in einem höchst repräsentativen Umfeld, das von der Gunst der Politik abhängig ist – wenngleich in gänzlich anderer Farbe. Einmischungen gebe es aber auch hier keine: »Mir ist das noch nie irgendwo passiert. Es liegt vielleicht auch daran, dass ich noch nie mit Politikern gemauschelt habe. Und dass ich noch nie das Gefühl hatte, dass es irgendeinen anderen außer einen inhaltlichen Grund gibt, über irgendetwas zu reden. Vielleicht war ich da am Anfang meines Festivalmachens aus Naivität heraus einfach so, dass ich das nie gehabt habe.« Dass ein »unkoventioneller Kulturmanager« (Andreas MailathPokorny, Wiener Kulturstadtrat) unabhängig von seinen politischen Überzeugungen im schwarzen Niederösterreich ebenso gefragt ist wie im roten Wien, freut auch Rainer Krispel, Obmann der Wiener Arena: »Es macht einem Hoffnung, dass Kompetenz die Politklüngel doch transzendiert. Ich schätze ihn wahnsinnig. Er hat am Land etwas aufgebaut, das abstrahlt. Dabei fordert er das Publikum stets und versteckt sich nicht hinter dem Markt.« Auch aus Krispels Umfeld kämen positive Stimmen: Zierhofer-Kin sei weder aufgetakelter Exzentriker noch Kunstmachtmensch, gelobt werden stimmige Abläufe – aus künstlerischer wie struktureller Perspektive. Boris Ceko vom Wiener Performance-Kollektiv God’s Entertainment, das auch heuer wieder, bei Zierhofer-Kins letztem Donaufestival, mitwirken wird, nennt ihn gar einen »Visionär«.
Eine Bedeutung, die es nicht hat? Auch wenn es zu seinem Job dazugehört, ein guter Verkäufer zu sein und Zierhofer-Kin dabei niemals schmierig wirkt: Alle kann auch er nicht von sich und seinen Ideen überzeugen. Er habe es in seiner Zeit beim Donaufestival gut verstanden, dem, was er getan hat, durch seine Präsentation eine Bedeutung zu verleihen – die es nicht unbedingt habe, sagt einer, der nicht genannt werden möchte. »Er ist halt schön unkonventionell, kein Anzugträger – das ist natürlich angenehm, aber
Text manuel fronhofer Bild klaus pichler
» Kolonialismus, Kapitalismus – das ist alles auf eine Spitze getrieben. Was ökologisch passiert, was an Ausbeutung passiert. Ich kann kaum noch über etwas anderes nachdenken, weil mich das so irrwitzig rasend macht.«
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auch Teil der Inszenierung. Die Dinge, die er macht, sind gut, aber nicht großartig ungewöhnlich. Außerdem habe ich die sonst große Kollegialität in der niederösterreichischen Kulturszene bei ihm vermisst. Da hat er sich immer rausgehalten.« Im Interview erweist sich der 1968 in Salzburg geborene »Popstar der Szene« (Klaus Totzler, ORF Kultur – »Manche könnte es stören, dass er seine Künstler links außen überholt.«) als unkomplizierter und interessierter Gesprächspartner mit viel, teils schelmischem Humor. Eine gewisse Eitelkeit räumt er ein. Die Lust daran, Leute vor den Kopf zu stoßen, ebenso. Dass Tomas Zierhofer-Kin für seine Themen brennt, wirkt authentisch. Er ist ein Getriebener – inklusive Selbstausbeutung, wegen der er sich aber auch gezielt Auszeiten nimmt und auf einen möglichst gesunden Lebensstil setzt. Selten, aber doch sei auch Zeit dafür, sich »nur« zu unterhalten – Freunde zu treffen, gut zu essen, viel Wein zu trinken oder abends im Bett Absurditäten am Laptop anzuschauen: »Ich bin ein unheilbarer Gerhard-Polt-Fan.« Und was beschäftigt den Menschen Zierhofer-Kin zur Zeit am meisten? »Zwangsläufig, wie das alles weitergeht mit der Welt, mit diesem Europa, mit diesem Amerika. Kolonialismus, Kapitalismus – das ist alles auf eine Spitze getrieben. Was ökologisch passiert, was an Ausbeutung passiert. Ich kann kaum noch über etwas anderes nachdenken, weil mich das so irrwitzig rasend macht. Wir hatten so lange Zeit, Gegenmodelle zu entwickeln, und es ist nichts passiert. Ganz im Gegenteil.« Ansonsten interessiere es ihn, in fünf Jahren mit den Festivals aufzuhören. »Ich hab seit meiner Kindheit eine Wolfsobsession und ich möchte mich irgendwo aufs Land zurückziehen mit vielen Wölfen und viel Garten. Mich irgendwie mal aus dem ganzen Zirkus rausnehmen.« Klingt fast so, als würde er wieder an seinem WikipediaEintrag arbeiten. Die letzte Ausgabe des Donaufestivals unter der künstlerischen Leitung von Tomas Zierhofer-Kin findet von 29. April bis 7. Mai in Krems statt. Bei den Wiener Festwochen ist er von 2017 bis (mindestens) 2021 als Intendant für das Programm verantwortlich.
» Es geht mir schon darum, dass ich prototypisch mein Stadtfestival zeigen und zustande bringen will.«
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Benjamin von Stuckrad-Barre – »Panikherz« — Zwischen literarischer Autobiografie und journalistischer Reportage
Hinterm Horizont usw.
L. A. Confidential
zwar trotz aller Egozentrik des Autors durchaus gewollt nicht nur das eigene Ich betreffend. Zu sehr ist Stuckrad-Barre nämlich auch Chronist und auf popkulturelle Reize konditioniert. Das zieht er in seinem Erinnerungsstück auch durch und erzählt en passant auch dabei eine Geschichte der Populärkultur der letzten 20 Jahre. Gleichberechtigt stehen etwa Blur und Oasis neben Thomas Gottschalk, Helmut Dietl, Marius Müller Westernhagen oder Bret Easton Ellis. In einer Rahmenhandlung, angesiedelt in der Gegenwart, bewohnt der Autor einen Bungalow im sagenumwobene Luxus-Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard. Hier sprang James Dean aus dem Fenster, Helmut Newton starb in der Hoteleinfahrt bei einem Autounfall und Courtney Love hat an der Rezeption noch immer eine Rechnung von mehreren zehntausend Dollar offen. Ins Chateau Marmont wird Stuckrad-Barre, mehr oder weniger, von seinem Held Udo Lindenberg einquartiert. Das Duo hat sich, wenn auch auf Umwegen, gesucht und gefunden. Seinem Helden Lindenberg setzt Stuckrad-Barre auch noch ein literarisches Denkmal. Sind es doch vor allem dessen Songtexte, die der abenteuerlustige und lebensdurstige Autor seit Kindheitstagen an wie Gebete runterrattern kann. Einzelne Verse des Sängers webt der Pastorensohn immer wieder in seine Kapitel ein. Die Zitate fungieren wie Psalmen, die ihm in dunklen, aber auch in klaren Stunden wenn schon nicht Orientierung, zumindest ein wenig Trost spenden, wenn sich der Autor, hackedicht und bis unter die Haarwurzeln kotzend, vor der Klomuschel krümmt. Unter kalifornischer Sonne findet Stuckrad-Barre nun Mut und Kraft, seine Geschichte zu erzählen. Entkitscht, mit Erhabenheit eines Geläuterten, dessen größter Feind aber noch immer er selbst ist, wandelt er mit festem Schritt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen literarischer Autobiografie und journalistischer Reportage.
Statt Kapitulation gibt’s aber Rekapitulation. Und wenn die auch manchmal ein wenig geschwätzig ausfällt, es ist hier alles höchst lebendig und mitunter subtil gewürzt mit Erkenntnisreichtum. Und
»Panikherz« von Benjamin von Stuckrad-Barre ist im März bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Memoiren sind oft mit Vorsicht zu genießen. Fadgas ist nämlich schnell produziert. Nähern sich beim Blick zurück dann die trüben Gestalten auch noch mit altersmilder Rührseligkeit, ist üblicherweise alles verloren. Bei Benjamin von Stuckrad-Barre verhält sich das anders. Erstens ist der in den 90er Jahren zu literarischem Ruhm gekommene Deutsche eben erst 41 geworden. Bestes Schriftstelleralter also für eine Zwischenbilanz. Zweitens kann Stuckrad-Barre schreiben. Auch wenn er als Gallionsfigur der deutschen Popliteratur stets polarisierte. Und – ebenfalls nicht ganz unwichtig – er hat genug erlebt. Ohne Selbstmitleid und vor allem ohne Verstecken hinter verinnerlichten Ironie-Mechanismen, erzählt Stuckrad Barre, mittlerweile zehn Jahre clean, in »Panikherz« seine Geschichte. Vom Aufwachsen als jüngstes, sehr lebhaftes Kind in einem Pastorenhaushalt. Von ersten journalistischen Gehversuchen, seinem »Durchschlawinern« in der deutschen Popkulturbranche oder der Zeit als Gag-Schreiber für Harald Schmidt. Letztlich schildert er natürlich auch seinen rasanten Aufstieg als Popliterat und hassgeliebte Feuilletonfeder. Der Weg ins Licht wird beim begnadeten Spötter und Zeitgeistzerleger StuckradBarre hinter den Ego-Kulissen aber stets von knallharten Kämpfen gegen sich selbst begleitet und führt um ein Haar in die Selbstauslöschung. Gefangen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung entwickeln sich sukzessive Bulimie und Kokainsucht, die ihn mehrmals im Schleudergang in Crashy-Hospitale führen. Stuckrad-Barre bringt sein ganzes Vermögen durch und verliert beinahe sein Leben. Ein nicht selten gehörtes dramatisches Fallschema bei Überbegabten.
Text Manfred gram Bild julia zimmermann
Mit seiner Autobiografie »Panikherz« rollt der deutsche Popliterat und Journalist Benjamin von Stuckrad-Barre sein Leben auf. Beinahe zerbrochen an Kokain- und Ruhmessucht hat der 41-Jährige auf seinem Weg zurück ins Rampenlicht einiges zu erzählen.
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Prosa von Benjamin von Stuckrad-Barre
benjamin von stuckrad-barre wäre um ein haar an einer waschechten kokainsucht zu grunde gegangen. zehn jahre ist der literatur-popstar und journalist nun clean. in seiner autobiografie »panikherz« rekapituliert er, was bis jetzt geschah. kindheit, jugend, aufstieg, fall, neustart. immer dabei: sein idol, held und mittlerweile freund udo lindenberg.
wir haben beide einen hut auf. udo konnte sich nicht entscheiden, welchen er mitnimmt, hatte keine Hutschachtel griffbereit, also war für den Zweithut die sicherste Beförderungsart: mein Kopf. Seit einer Stunde stehen wir in der Warteschlange vor den Einreiseschaltern des Flughafens von Los Angeles, und je näher wir den grimmig schauenden Uniformierten in ihren Glaskästen kommen, desto nervöser werde ich. Wie sie hundertmal zwischen Pass und Einreisendengesicht hin und her schauen, in ihren Computer gucken, unfreundliche Generalverdachtsfragen stellen, Fingerabdrücke nehmen, Fotos von einem machen, schrecklich. Land of the free – aber wirklich erst, wenn man drin ist. Wir sind Touristen. Das ist ganz wichtig. Holiday, vacation! Urlaub, Urlaub, Urlaub. Davon darf man nicht abweichen. Egal, mit welchen Trickfragen sie kommen – Urlaub. Ich habe zur Sicherheit auch Udos ESTANummer auf einem Klebezettel in meiner Reiseunterlagenklarsichtfolie, Udo hat seinen Reisepass schon aufgeklappt in der Hand, er glaubt, dass es ganz schnell geht. Wie immer, wenn wir zusammen reisen, nehme ich ihm kurz Pass und Ausweis ab und freue mich an den dort festgehaltenen Staatsbürgerfakten: Udo Gerhard Lindenberg. Gerhard! Wohnsitz: Hotel Atlantic. Ein Schalter wird frei, und der Uniformierte in dem uns barsch (»Next!«) zugewiesenen Glaskasten hat besonders schlechte Laune. Natürlich sind wir rein äußerlich ein seltsames Paar, nicht unbedingt Leute, die man ohne Nachfragen durchwinkt: Udo in engen Nadelstreifenhosen, mit Nietengürtel
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und auf neongrünen Socken, er hatte keine Lust mehr auf Schuhe nach dem langen Flug, dazu eine Art Kapitänsuniformjacke und einen braunen Hut, ich mit Matrosenhemd und Jogginghose, Udos Zweithut auf dem Kopf, einem Tropenhut. In Deutschland wäre das gewiss anders, doch wenn man ihn nicht kennt und einfach zum ersten Mal Udo Lindenberg sieht, so, wie er eben aussieht, tja, was macht man da als Grenzkontrolldobermann? Es ist ja nicht so, dass wir aussehen, als hätten wir eventuell Drogen dabei oder so, wir sehen vielmehr aus, als bestünden wir praktisch aus Drogen. Säße ich in so einem Glaskasten: Diese beiden Typen würde ich mir auf jeden Fall genauer angucken. Jetzt keinen Fehler machen. Freundlich, aufgeräumt, klar, unverdächtig wirken. Immer wenn man das versucht, wirkt man natürlich besonders verdächtig. Ich fange an zu schwitzen. Schon bei dem Herrn vor uns hat es zehn Minuten gedauert, und der sah nun wirklich so aus, wie ein Zwölfjähriger einen seriösen Geschäftsmann malen würde. Erst jetzt bemerke ich, dass Udo tatsächlich Zigarre raucht, ganz lässig, beiläufig, im Flughafengebäude, im rauchparanoiden Amerika. Hi, hi, yeah, here we are, happy to be here again, how are you doing man, good looking, sagt Udo und pafft an seiner Zigarre. Und ich denke: Das war’s dann. Der Uniformierte ist nicht zu Späßen aufgelegt. Doch da kennt er Udo schlecht. Den aus der Ruhe zu bringen, da braucht es schon mehr, als missmutig zu gucken und zu bellen: No smoking, Sir!
Oh, excuse me, yeahyeahyeah, sagt Udo friedlich – und lässt die Zigarre brennen, hält sie aber jetzt auf Gürtelhöhe, das ist sein Kompromissangebot. Ich versuche, das Schlimmste zu verhindern, und geselle mich dazu, werde aber streng zurück hinter die Absperrung geschickt, Einzelvernehmung. Und so kann ich nicht eingreifen und sehe und höre nur, wie alles immer schlimmer wird. Udo hört gar nicht auf zu reden. Der Uniformierte fragt Udo, was er beruflich mache. Schon toll, dass Udo das noch mal gefragt wird in seinem Leben. I’m a musician, started as a drummer, you know, back then, hundred years ago … Das ist komplett wahnsinnig. Udo trommelt ein bisschen mit seinem Reisepass und seiner Sonnenbrille auf dem Grenzschaltertresen herum. Drummer, Jazz-Drummer, you know? Yeah! But now … Er muss jetzt sofort aufhören, seinen Wikipedia-Eintrag szenisch vorzutanzen. Ich nähere mich noch mal, um die Sache abzukürzen, aber der Uniformierte wedelt mich weg wie eine Schmeißfliege. Dass man sich so fühlt, ist ja Ziel dieses amerikanischen Einreisewahnsinns. Ich höre Udo sagen, er sei von Beruf Udo Lindenberg, diesen Beruf gebe es nur einmal auf der Welt, Udo, nicht Ufo, wobei, so sicher könne man da gar nicht sein, denn er sei eigentlich, heimlich, aber das dürfe keiner wissen, das entführte Kind von Charles Lindbergh. Ah ja? Der Uniformierte guckt jetzt nicht mehr misstrauisch, es ist mehr so ein Guantanamo-Blick.
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Aus: Benjamin von Stuckrad-Barre »Panikherz« © 2016 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 576 Seiten, gebunden, 22,99 €
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Er sei, fährt Udo fort, ein in Deutschland sehr berühmter Rockmusiker, aber man wisse ja nie, junge Talente, weltweit unterwegs, vielleicht werde das ja noch was mit seiner Karriere in Amerika? Er zeigt, das tut er wirklich, dem Uniformierten auf seinem iPhone einen Videomitschnitt von einem seiner Stadionkonzerte. Yeah, godong, godong, sagt Udo. Und ich denke, alles klar, das endet auf jeden Fall in einem fensterlosen Raum. Schade, die Reise war so heiter losgegangen. Udo und ich, zu zweit nach Los Angeles. Weil es jetzt ja schon wieder vorbei ist, fliegen die schönsten Szenen der bisherigen Reise noch mal an mir vorbei: Gestern Abend mein erster grober Fehler als Reiseleiter, beim Zwischenstopp in Zürich folgte ich der Ausschilderung, Transit Hotel, ich dachte, das sei richtig, denn Transit war es doch, was wir machten, Zwischenhalt in Zürich, anderntags von dort der Direktflug nach Los Angeles. Weil Udo durchgängig plapperte und vor allem ein Zigarren-Geschäft suchte, merkte er kaum, dass wir einmal im Kreis durchs gesamte Flughafengebäude liefen. Schließlich an der sehr seltsamen Rezeption (ein Resopaltisch) des Transit Hotels blickte Udo sich irritiert um: Sah letztes Mal irgendwie ganz anders aus, ist das echt das Radisson Blue? Nein, es war das Transit Hotel, eine Notunterkunft für Menschen ohne Visum. Udo: Joah, Schlafsaal, Jugendherberge, ne, könnten wir auch machen, führt vielleicht zu erotischen Begegnungen mit gestrandeten Elfen, hm? Aber lass mal vielleicht doch gucken, ob wir das Radisson Blue nicht noch finden, die hatten so ’ne gute Bar. Wir fanden das richtige Hotel und Udo sagte zum Rezeptionisten: Sag mal, muss man bei euch auch zum Rauchen raus vor die Tür, wie ’n Hund? Jaaaaaa, echt? Sogar in der phantasievollen Schweiz? Lektionen in Udo-Charme, funktioniert weltweit. Als er beim Auschecken nach der PIN seiner Kreditkarte gefragt wurde, wusste er nicht weiter. Wie könnte die denn sein? Das wusste ich natürlich auch nicht. Hm, überlegte Udo, da müsse er wohl mal seine Reisefee anrufen oder seinen Steuerberater – oder wer das eben weiß.
Irgendwer wusste es dann, wir flogen ab, beide einen Hut auf, bester Dinge, wir freuten uns, Los Angeles, zehn Tage zu zweit rumstreunen, Blödsinn machen, bisschen an den Texten für seine nächste Platte arbeiten – und ansonsten flexible Sorte, mal gucken, ne?; so reist man mit Udo. Mir fiel ein alter Udo-Text ein, so wie mir eigentlich immer, in jeder Situation, ein alter Udo-Text einfällt, und das hier passende Grenzkontrollcomputer-Zitat geht so: Ich sag, bitte taken Sie’s easy Man weiß doch, was da steht Dass die Republik an solchen Vögeln wie mir Sowieso demnächst zugrunde geht Doch was ist nun mit Udo und dem Uniformierten? Ach, Udo erzählt ihm gerade, er und ich, wir seien Straßenkatzen, deshalb könne man noch gar nicht so genau sagen, was wir hier machen würden und wo, das werde man ja dann sehen, ne? Zwar seien GERMAN LYRICS seine Spezialität, doch sei er immer offen für Neues, und so ’n Welthit, och, den würde er schon nehmen, warum nicht, ginge zur Not auch auf Englisch, und vielleicht finde er ja hier mit seinem Hitnäschen irgendwo in der Wüste oder in einer schummrigen Bar oder so ein Lied, das er mit seiner Stimme veredeln könne, ob vielleicht er, der Uniformierte, zufällig einen hätte, einen Hit, you never know, er sähe sehr musikalisch aus, ob er nicht manchmal zu Hause musiziere für seine gewiss sehr hübsche Frau? Und jetzt passiert das Unglaubliche: Diese volle Ladung Udo-Charme und improvisierender Laber-Jazz sind dem Uniformierten zu viel, jetzt fällt er wirklich aus seiner Rolle, der des abweisenden Angstverbreiters – und er lacht, er hört gar nicht auf zu lachen. Er winkt Udo weiter, lacht immer noch, schüttelt den Kopf, ruft Udo hinterher, dass er ein lustiger Typ sei. And good luck! Dann bin ich dran. Ob ich zu dem gehöre, fragt der Uniformierte, zeigt auf Udo, immer noch kopfschüttelnd und lachend. Ja, sage ich – und darf direkt hinter Udo hergehen, ganz kurzer Blick in den Pass, jaja, alles klar. Ich gehöre zu Udo, so viel ist sicher.
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Industrielle Revolution — Was Maker von Bastlern unterscheidet
Make doch selbst! Nicht weniger als die nächste industrielle Revolution wird von der Maker-Szene erwartet. Wer sind diese Maker und was unterscheidet sie von gemeinen Bastlern? Eine CNC-Fräse ist ein ziemlich vielseitiges Gerät. Versorgt man es mit den richtigen Daten aus einer CAD-Software, bearbeitet sie Werkstoffe und formt daraus dreidimensionale Gegenstände. So etwas ist teuer. Die Anschaffungs- und Betriebskosten variieren nach Geschwindigkeit, Größe und Vielseitigkeit. Allein stellt man sich so etwas nicht in ein Arbeitszimmer oder eine Garage. Dabei gibt es eine Menge Leute, die mit den Geräten etwas anzufangen weiß. Dasselbe gilt für 3D-Drucker, für Lasercutter, für Vinylplotter und Oszilloskope. Die Maschinen sind für Maker das, was für Bastler einst Schweißgerät und Laubsäge waren. Und wo der Zugang zu High-Tech Maschinen aufhört, fängt die moderne Maker-Szene an. Das hehre Ziel: Digitale Produktion für alle. Das Buch zur Bewegung: »Makers - The New Industrial Revolution« von Chris Anderson aus dem Jahr 2012. Der Schauplatz: Offene Maker Labs in aller Welt.
Text Thomas Stollenwerk Bild Christoph Welkovits, INNOC
Aus Produktionsmittellosigkeit geboren Das Wiener Happylab ist einer von knapp 30 Maker-Spaces in Österreich. Es liegt in einer Gegend, die Aufbruchsstimmung und Gentrification schreit. Im 2. Bezirk, nähe Mexikoplatz, werden Werkzeuge und Maschinen zur Verfügung gestellt. Worin besteht nun aber der feine Unterschied zwischen Bastlern und Makern? »Da gibt es eigentlich keinen. Aber Bastler ist als Begriff zu niedlich konnotiert. Selbermacher ist die bessere Übersetzung für Maker«, meint Leyla Jafarmadar vom Happylab. Wer die Maschinen nutzen will, muss Mitglied werden, fünf Euro im Monat zahlen und eine Einschulung absolvieren. Constantin Simon hat sich gerade im Lab angemeldet. Er betreibt ein Start-up in Wien und hat sich schon länger vorgenommen, unter die Maker zu gehen. Ideen hat er genug. Viel technisches Know-how bringt er nicht mit, muss er auch nicht. »Für unsere Messestände haben wir bisher immer alles in Auftrag gegeben. Schablonen zum Besprühen von Wänden zum Beispiel. Die würde ich in Zukunft gerne am Lasercutter selbstmachen.« Der Lasercutter, das ist die am meisten benutzte Maschine im Happylab. Thomas Bittner, der hier den Makern mit Rat und Tat zur Seite steht, hat ein typisches Verhaltensmuster im Lab erkannt: »Die meisten Leute kommen wegen des 3D-Druckers, und bleiben wegen des Lasercutters.« Viele kommen aber auch wegen ganz einfacher Projekte. »Die Einstiegsdroge ist der Vinylcutter. Damit kann man Textilien bedrucken, ganz simpel. Manche werden Mitglied, um ein T-Shirt als Geschenk zu bedrucken, und gehen dann wieder. Das ist auch völlig in Ordnung.« Neulich, wird erzählt, hat sich jemand mit der CNC-Fräse eine komplette Einbauküche gefräst. Das Start-up Dynamic Perspective hat im Lab Prototypen für kardanische Kamera-Aufhängungen entwickelt und mit Ruffboards und Kodama produzieren gleich zwei LongboardMarken hier. Architekten stellen im Lab Teile für ihre Modelle her, im 3D-Drucker entstehen Kunstwerke.
Selbstmachen möglich machen Über 600 Fab Labs wie das Wiener Happylab gibt es weltweit. Der Name steht für Fabrication Laboratory und die Idee dazu hatte Neil Gershenfeld. 2002 hat der Informatiker am MIT das erste Labor für niedrigschwelligen Zugang zu High-Tech-Entwicklungsmaschinen eingerichtet. Seither gilt er als Begründer und Vordenker der Szene. Mit
DIY-Spirit, Open Access und Open Source geht es dabei um die Fortsetzung der digitalen Revolution durch Zugang zu Produktionsmitteln. Dieser idealistische Überbau könnte das sein, was Maker von Bastlern unterscheidet. Und damit er auch erhalten bleibt, haben sich die Fab Labs eine Charta mit den grundlegenden Werten gegeben. Allerdings ist die Maker-Szene nicht nur in den Fab Labs zuhause. Sie reicht viel weiter, schließlich gehört Offenheit zu ihrem Selbstverständnis.
Dienstleister oder Verein? Ein Lab mit ganz anderem Look und Feel liegt beim Wiener Rathaus ums Eck. Im Metalab fühlt sich das Maken anders an als im Happylab. Das Metalab ist kein Fab Lab, dafür eigenständig und als Verein basisdemokratisch organisiert. Zum Selbstverständnis gehört, Ort und Plattform für Hacker zu sein. Hier war der Chaos Computer Club einst zuhause, und er wird es demnächst wieder sein, man ist unter Aktivistinnen und Aktivisten. Was die technische Ausstattung angeht, ähneln sich Happy- und Metalab. Nur: Das Happylab versteht sich stärker als Dienstleister, dass Metalab als Kollektiv. Wenn eine Maschine kaputtgeht, wird sie im Happylab möglichst schnell repariert. Wenn dasselbe im Metalab geschieht, sind es die Vereinsmitglieder selbst, die dafür sorgen müssen, dass die Technik wieder läuft. »Wir haben die Philosophie, dass jeder herkommen und arbeiten kann. Dafür muss man kein Mitglied sein«, erzählt Hetti bei einem Besuch im Metalab. Der Student der Technischen Informatik ist Schriftführer des Vereins. Seine kleine
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» Die Einstiegsdroge ist der Vinylcutter. Damit kann man Textilien bedrucken, ganz simpel.« Tour durch das Metalab führt auch an einer vollautomatischen, japanischen Toilette mit beheizbarer Brille vorbei, und an einer offenen Gemeinschaftskasse, über die ein Putin-Porträt wacht. In der Küche wird gerade Curry gekocht, Club Mate und Wostok-Limonade stehen im Kühlschrank bereit. Im Metalab nahmen die Tumbleblog-Plattform soup.io und der Meta-Lieferdienst Mjam ihre Anfänge. »Es gibt viele Leute, die hier an Projekten arbeiten, mit denen sie Geld verdienen. Das kann man machen«, sagt Hetti, »aber der Hauptgrund zu kommen ist eher der Wissensaustausch.«
QUERDENKER GESUCHT! BACHE LOR ■ Grafik- & Informationsdesign
Maker Faire im April
■ Innenarchitektur & 3D Gestaltung
Im April treffen sich die Maker im Wiener Semper Depot zur Maker Faire. Die Organisation hat das Team des Happylabs übernommen. Mit dabei sind auch das Metalab, das Offene Technologielabor Otelo, der Werksalon und eine Reihe anderer Partner aus der Community. Wo sonst in den Ateliers der Akademie der Bildenden Künste Studenten arbeiten, werden dann Projekte ganz unterschiedlicher Maker gezeigt. Spaß und Austausch sollen im Vordergrund stehen. Die Faire versteht sich nicht als reine Leistungsschau oder Messe. Hersteller von Maschinen und die Unternehmensberatung Accenture als Sponsoren zeigen aber, dass neben dem Spaß am Entwickeln auch der Geschäftssinn seinen Platz findet. Denn wo aus Ideen Projekte, Prototypen und Produkte werden, geht es ganz selten ausschließlich um Spaß, auch wenn der beim Maken nicht zu kurz kommt.
■ Design, Handwerk & materielle Kultur ■ Event Engineering ■ Management by Design ○ MASTE R ■ Raum- und Informationsdesign ■ Elektromobilität & Energiemanagement ■ Entrepreneurship & Innovation
in Planung
AK ADE MISCHE LEHRGÄNGE ■ Buchgestaltung ■ Akustik & Architektur
Von der Idee zum Produkt
OPEN HOUSE
Wenn Maker ihre Ideen für Produkte bis zur Marktreife bringen wollen, dann wird ihnen dabei unter die Arme gegriffen: Im Happylab gibt es ein eigenes Workshop- und Coaching-Programm namens Ideas to Products (Teilnahmegebühr 495 Euro) www.happylab.at/workshops/i2p Die Erste Bank legt gemeinsam mit der WKO den Business-Plan Wettbewerb i2b auf. Dabei winkt teilnehmenden Start-Ups Unterstützung in unterschiedlichster Form, vom Firmenwagen über Coachings bis zu Startkapital. www.i2b.at Die Wirtschaftsagentur Wien fördert im Rahmen des jährlichen Focus Calls Unternehmensgründungen in der Kreativwirtschaft. www.wirtschaftsagentur.at
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Universitäres Start-up-Netzwerk — Möglichkeiten für Gründer an österreichischen Hochschulen
Start-up-Mekka Universität
akostart oö ist Österreichs erstes hochschulübergreifendes Netzwerk für akademische Start-ups und vernetzt dabei Studenten der JKU Linz, der FH OÖ und der Kunstuniversität Linz.
Innovation braucht optimale Bedingungen. Das kreative Potenzial der Studierenden ist dabei genauso unbezahlbar wie deren Unterstützung durch die Hochschulen selbst.
Start-up Salzburg spürt kreative Köpfe mit innovativen Ideen auf und unterstützt sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Damit das optimal gelingen kann, legen Fachhochschule, Universität Salzburg und Paracelsus Universität ihre Kompetenzen zusammen.
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Das WU Gründungszentrum ist seit Sommer letzten Jahres Anlaufstelle für gründungsinteressierte Studierende der Wiener Wirtschaftsuniversität, das sich Steigerung von Qualität und Anzahl der hauseigenen Gründungen zum Ziel gesetzt hat. In letzter Zeit vergeht kein Tag, an dem Medien nicht von Start-ups und Gründer-Enthusiasmus schreiben oder berichten. Freilich, nicht aus jedem Studenten wird später ein Unternehmer – nichtsdestotrotz ist unglaublich viel kreatives Potenzial vorhanden. Denn unsere Universitäten können viel mehr als forschen und lehren. Auch abseits von Hörsaal und Bibliothek, neben Skripten und Folien, rauchen die Köpfe von kreativen Studenten. Als Schmelztiegel des innovativen Denkens sind unsere Hochschulen der Ort, an dem die Wissenschaft und Technologie von morgen keimt. »Wir haben die Unis entstaubt und den Unternehmensgeist freigesetzt«, sagte einst Irene Fialka, Leiterin des inzwischen legendären Wiener Gründerzentrums INiTS. Weltweit wird momentan versucht, die regionalen Start-up-Szenen zu pushen. Wird ein Standort Knotenpunkt für eine lebhafte Gründerszene, profitiert die gesamte Region – das Silicon Valley lässt grüßen. Viele Studierende sind motiviert, sich selbstständig zu machen und mit ihren innovativen Ideen und Entwicklungen durchzustarten. Das Start-ups am besten direkt aus dem universitärem Umfeld wachsen, haben die Hochschulen indessen erkannt und ein ansehnliches Netzwerk an unterstüzenden Einrichtungen, Plattformen und Drehscheiben aufgebaut (siehe Infokasten).
Text Philipp Greiner Bild ###
Schrittmacher für kreative Unternehmensgeister Immer wieder hört man Sprüche wie »Scheitern muss erlaubt sein!«. Misserfolg soll nicht bestraft, sondern als Lernerfahrung gesehen werden. Zumindest leben das die großen Vorbilder in den USA vor. Der Weg zur erfolgreichen Unternehmensgründung beginnt also mit der richtigen Mentalität. Und auch die muss erst erlernt (und gelehrt) werden. Ist der Markt das Ziel, dann ist eine klare Strategie notwendig. Selbst die bahnbrechendste Idee ist ohne das richtige Geschäftsmodell nur schwer umsetzbar. Egal, ob Coworking-Space oder Inkubator: hier wird kreativen Studenten geholfen, wenn sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Im Vordergrund steht, Soft-Skills zu stärken und bereits im Dunstkreis von Kommilitonen und Professoren ein interdisziplinäres Team zu formen, das in der Praxis überleben kann. Die Schaffung eines solchen Netzwerkes spielt eine genauso große Rolle wie die Kenntnis von rechtlichen Aspekten. Viele Hochschulen haben das erkannt und bieten seit geraumer Zeit die entsprechende Infrastruktur. Verstärkte Kooperation und Koordination zwischen den Universitäten lieferen dabei die optimalen Voraussetzungen, um einen effizienten Kickstart der eigenen Idee zu gewährleisten. Das Potenzial ist vorhanden und die Quellen werden nicht versiegen – solange der »entrepreneurial spirit« in den Fachhochschulen und Universitäten verweilt.
Auch an der TU Wien wird Gründern ein breites Spektrum an Unterstützungsmöglichkeiten eingeräumt. Das Informatics Innovation Center bietet unter anderem ein Bootcamp für Sciencepreneurs und den I²C FOUNDER SPACE & i²ncubator. Das akademische Gründerzentrum Science Park Graz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Studenten und Absolventen der steirischen Hochschulen professionell mit Beratung und Coaching, Infrastruktur und Finanzierung in der frühen Gründungsphase zu unterstützen.
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CAST steht für Center for Academic Spin-Offs Tyrol – und der Name ist Programm. Geboten wird ein One-Stop-Shop für interessierte NeoGründerinnen und Gründer, inklusive kostenloser Begleitung auf dem Weg von der Idee zum erfolgreichen Business. Studierende der FH Joanneum werden bereits während der Ausbildung darauf vorbereitet, nach Abschluss ihres Studiums ein Unternehmen zu gründen. Zusätzlich bietet das Career Center gründungsinteressierten Studierenden grundlegende Facts und relevante, weiterführende Hinweise. Mit dem Förderprogramm creative pre-incubator für Studierende und Absolventen war die FH St. Pölten eine Vorreiterin: unter individueller Betreuung des accent Gründerservice werden Ideen entwickelt und ausgearbeitet – was für eine weiteren Erfolg in der heimischen Förderlandschaft immens wichtig ist. Das build! Gründerzentrum im lakeside science & technology park verfolgt das Ziel, kreative und mutige Menschen in Kärnten bei der nachhaltigen Umsetzung ihrer innovativen Geschäftsideen zu begleiten und zu fördern, sowie Selbständigkeit als reizvolle Karriereoption stärker im akademischen Umfeld zu positionieren.
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Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen im MuseumsQuartier Q21 / Raum D, 1070 Wien
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PITCHING: THE PUBLISH
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R’S VIEW Phil Elliot Pr oject Leader for Collective, H ead of Comm unity at Square En ix Europe, Lo ndon
WORKSHOP PITCHING im Forum [EPU KMU]
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WEGE INS VERGNÜGEN UNTERHALTUNG ZWISCHEN PRATER UND STADT
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14. 04. 19h
LIVE-PITCH ÖSTERREICH ISCHER GAMES #6: GAME-PROT OTYPEN mit “Drone Swarm”, “Ho ok’d”, “MARZ RISING”, “Starch ild”
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PROJEKTANALYSE ÖSTERREICHISCHER GAMES: “SHOOTING STARS!”
Michael Hartinger Co-Founder Bloodirony Games
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Roman Vishniac, Vienna at Night, 1930er-Jahre; © Mara Vishniac Kohn, Courtesy International Center of Photography
16. März bis 18. September 2016
PORTIEREN ALS TEIL DES GESCHÄFTSMODELLS FÜR INDIE STUDIOS
Dorotheergasse 11, Wien 1 · So– Fr 10 – 18 Uhr · www.jmw.at
Miguel Angel Horna Tech Lead at BlitWorks, Barcelona Panel mit Felix Bohatsch Broken Rules und Alexander B. Christof black belt games
Zertifikatslehrgang Musikwirtschaft Fr .
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WORKSHOP
International Business School FH Kufstein Tirol Institut für Kulturmanagement Wien
PORTI
EREN im Forum [E PU KMU]
STUDIO-TOUR: DEVELOPERPRÄSENTATIONEN UND ROUNDTABLE Martin Filipp Mi’pu’mi Games Julia Murczek Lost in the Garden Iskra Kostadinova HR Assistant Sproing plus GDC Roundtable
Fr.
20. 05. 13h
TOUR IN WIE NER GAMEDEVELOPER -STUDIOS
Mi’pu’mi Gam es und Lost in the Garde RSVP anmeldu n ng@subotron .com
Unterstützt von www.creativespace.at Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien
© Nikolaus Ostermann.
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subotron.com/veranstaltungen/pro-games
Do.
en! Jetzt anm.aeld c.at/musik
www.fh-kufstein
Knowhowtransfer internationaler Vortragender: >> Recorded & Live Industry >> KünstlerInnenmanagement >> Marketing & Internationalisierung
Medienpartner:
www.fh-kufstein.ac.at/postgraduate 038-051 Gap 156 Special.indd 41
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SCHWERPUNKT GRÜNDEN / BILDUNG
12 ungewöhnliche Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich — Mal was anderes studieren
»Du studierst … was?« Seien wir mal ehrlich: wenn jeder, der »irgendwas mit Medien« machen wollte, Publizistik studieren würde, sähe unsere Kreativ- und Medienlandschaft nicht gerade bunt aus. Abseits der ausgetrampelten Studienpfade zu wandern ist generell nicht nur Alleinstellungsmerkmal, sondern kann einen auch oft schneller weiterbringen. Wir haben eine bunte Auswahl an Pfaden zusammengestellt, die zumindest nicht ausgetrampelt sind.
Computermusik
Universität für Musik und darstellende Kunst | Lehrgang, 6 Semester
Du und dein KORG MS-20 habt euch euren Warm-up-Spot im Fluc in stundenlangen Sessions allein bei dir daheim erarbeitet? Sehr gut, wie wär’s trotzdem mit einem Studium? Der Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien am MDW könnte etwas für dich sein, denn dort werden den digitalen technischen Möglichkeiten der Klangerzeugung mit fundiertem musikalischem Know-how begegnet und aus autodidakten Rohdiamanten mit Grundwissen gefütterte Soundvirtuosen geschliffen. Vorausgesetzt, man besteht die Aufnahmeprüfung.
E-Health & Digital Healthcare
FH St. Pölten (FH Kärnten, FH Joanneum, etc.) | Master Studiengang, 4 Semester (berufsbegleitend) Während die Ältesten sich noch an die e-Card gewöhnen und die Zweitältesten sich zähneknirschend mit der elektronischen Gesundheitsakte ELGA abfinden, schießen E-Health Studiengänge österreichweit wie Pilze aus dem Boden. Eingedeutscht »Gesundheitsinformatik« klingt das Ganze zwar schon wesentlich weniger spannend, steckt gesellschaftlich jedoch voller Potenzial. »Gesundheit verstehen, Gesundheit managen, Innovationen kreieren«, so in etwa lautet das Stigma, das sich aus den Bereichen Gesundheit, Management, Recht und natürlich IT zusammensetzt. Je nach Fachhochschule wechseln auch die gesundheitlichen Schwerpunkte von Motion & Activity in St. Pölten zu Medical Engineering and Image Processing auf der FH Kärnten zu Gesundheitsmanagement im Joanneum in Graz. Wer Computer mag und sich für etwas Krisensicheres entscheiden will, kann mit der Kombination Health und IT sicher nicht fehlgehen. www.fhstp.ac.at
www.mdw.ac.at
IT-Recht
Game Art & 3D Animation
FH Joanneum | Master Studiengang, 4 Semester (berufsbegleitend)
Nerd und eine Hand für Design? Immer schon mal mit einem Oculus Rift arbeiten wollen? Schon einige beliebte Indiegames der letzten Jahre entstanden aus österreichischer Feder und auf der SAE lernt man die nötigen Tools dazu. Von Hand animiert oder per Automatik zum Leben erweckt, werden Studenten in zwei Jahren Schritt für Schritt an das Konzept Gamedesign herangeführt, ob es dann schlussendlich Modelling, Texturing, Charakter-Design, Animation, ProduktVisualisierung, Effecte oder Rendering werden soll, liegt ganz im Ermessen des Studenten. Ein bisschen Kleingeld sollte man halt auf der Seite haben und das Gamedesign-Diplom ist so gut wie in der Tasche. Na ja, fast.
Wer denkt, als Zahnarzt kann man Geld verdienen, der sollte mal in einen Gerichtssaal schauen, was Max Schrems so macht. Das Internet und der IT-Bereich sind rechtlich zwar kein Neuland, jedoch vermehrt Grauzone mit stetig wachsendem Bedarf an kompetentem Vermittlungspersonal vom Fach. Der Master-Studiengang am Joanneum in Graz versteht sich als Schnittstelle zwischen IT und Recht und behandelt eben jene Bereiche, über die man täglich in den Zeitungen liest. Datenschutzrecht, Urheberrecht, Cybercrime, E-Business, Wirtschaftsrecht, aber auch die technischen Facetten des IT-Rechts. Bequemerweise ist das Ganze berufsbegleitend angelegt, ergo was für Autodidakten.
www.sae.edu
www.fh-joanneum.at
Text Stefan Schallert Bild ###
SAE | Kurs, 24 Monate (Teilzeit)
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Musikwirtschaft
FH Kufstein (IKM Wien) | Weiterbildung
Handwerk & materielle Kultur
New Design University | Bachelor Studiengang, 6 Semester Nach landläufiger Meinung stellen Handwerk und Studium Gegensätze dar? Sicher nicht, sagt die New Design University in St. Pölten und geht mit dem Bachelorstudium Manual & Material Culture an den Start. Dahinter verbirgt sich weniger eine abstrakte anthropologische Aufarbeitung der Handarbeitskultur als ein praktisches Designstudium für passionierte Bastler und Bauer. Geleitet von der allseits gewünschten Hands-on-Mentalität dreht sich das Studium um die Pfeiler Handwerk, Design und BWL. Elitäre Voraussetzungen wie auf anderen Universitäten gibt es auf der NDU keine, so kann jeder vom Lehrabschluss an seinen Bachelorabschluss in Handwerken abholen. Nur leisten muss man es sich können.
Spätestens seit Kanye West wissen wir, dass Wirtschaftswissen einen nicht unerheblichen Teil des Musikbusiness ausmacht. In Kufstein wird das Biz zum Studium und liefert das nötige Knowhow rund um Verwertungsgesellschaften, Labelmanagement, Lizensierung, Booking, Agenturwesen und Management und legt auch noch Networking, das A und O der Branche, oben drauf. Initiator der Idee zum Studium ist das Wiener Label Ink Music (Bilderbuch, Wanda, Elektro Guzzi, uvm.) und liefert neben der Idee auch LehrInputs aus dem Biz. www.fh-kufstein.ac.at
www.ndu.ac.at
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SCHWERPUNKT GRÜNDEN / BILDUNG
Schule für Dichtung – Vienna Poetry School
Weiterbildung
Kurz gesagt: Es muss zwar nicht immer etwas Extravagantes sein, aber bei der Bildungswahl etwas über den Tellerrand zu schauen kann trotzdem nicht schaden.
Ok, die Schule der Dichtung zählt nicht wirklich als Studium, sondern besteht aus einzelnen Seminaren mit Namen wie »Jätgerät im Poesiereservat«, »Sprawl – Übung zu Kurzprosa« und »Wider das Glatte«. Klingt die Aufmachung auch etwas nach überengagierter Jungscharleitung, kann sich das Namedropping der Vienna Poetry School durchaus sehen lassen, so haben unter vielen anderen schon Größen wie Allen Ginsberg, Blixa Bargeld und Nick Cave für die SFD gearbeitet. Das Programm bietet einzeln zu besuchende analoge und digitale Klassen, Symposien, Konzerte, Lesungen, Vorträge, Ausstellungen und nicht zuletzt ein Get-Together von Prosa bis Lyrik. www.sfd.at
DONAU-UNIVERSITÄT KREMS
FH CAMPUS WIEN
NDU
MDW
FH ST. PÖLTEN
SAE AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE BOKU
FH KUFSTEIN TIROL
SCHULE FÜR DICHTUNG
MONTAN-UNIVERSITÄT LEOBEN FH JOANNEUM
FH KÄRNTEN
Industrieller Umweltschutz
Montan-Universität Leoben | Master Studiengang, 4 Semester Trotz international gutem Ruf ist die Montan-Uni in Leoben nicht für ihre progressiv-liberale Stellung in der Gesellschaft bekannt und vielleicht gerade deshalb der richtige Anlaufpunkt für angehende Weltverbesserer, denen die Boku dann doch zu grün ist. Der Ansatz ist wie auch sonst in Leoben ein pragmatisch-technischer, so wird das Thema Umweltschutz – basierend auf ein vorangegangenes Bachelorstudium – mit Verfahrenstechnik, Abfalltechnik und Abfallwirtschaft an der Wurzel gepackt. Von Emissionskontrolle und Schadstoffbeseitigung hin zu Recyclingprozessen und Abfällen als Rohstoff werden Lösungen für globale Probleme gesucht. www.unileoben.ac.at
Data Studies
Donau-Universität Krems | Master Studiengang, 5 Semester (berufsbegleitend) Daten sind in unserer schönen neuen Welt nicht mehr wegzudenken und der richtige Umgang mit ihnen ist eine eigene Kunst. Eine Kunst, derer sich der Studiengang Data Studies an der Donau-Uni Krems angenommen hat. Von Journalisten und Medienwissenschaftlern über Archivaren und Historikern hin zu Ingenieuren und Entwicklern werden Fachkräfte in der Verwendung, Bearbeitung, Sichtung, aber auch im kritischen Verständnis mit Big Data geschult. Transdisziplinär ist dabei das Stichwort und dementsprechend vielfältig sind die Anwendungsbereiche. www.donau-uni.ac.at
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JOHN BRAMWELL (I AM KLOOT) SAMA DAMS THE AMERICAN WEST
Critical Studies – Kunst
Akademie der bildenden Künste | Master Studiengang
16./18./19. APRIL, 20 UHR
Für jene, die sich weniger zum Künstler- als zum Analysten- und Kritikertum berufen fühlen und doch die Finger von der Kunst nicht lassen können, sind die Critical Studies die richtige Wahl. Kultur- und Geisteswissenschaftler sind dabei genauso angesprochen, Tätigkeiten rund um die Kunst zu erlernen wie Akademiker aus künstlerischen Fächern. Die Themengebiete umfassen journalistische Aspekte, kuratorische Tätigkeiten, Archivierung aber auch Vernetzung und Vermittlung. Ziel des Studiums ist es, angehende Kulturintellektuelle auf ihren Ph.D. vorzubereiten. Die Beschreibung des Studiengangs beim ersten Mal lesen zu erfassen ist neben der Aufnahmeprüfung die erste Hürde zum wahrhaftigen Master of Arts. www.akbild.ac.at
Applied Life Sciences
JOHN BRAMWELL © Maik Reichert
FH Campus Wien | Bachelor Studiengang, 6 Semester
Es gibt ja Witzbolde, die auf Facebook als Ausbildung »Schule des Lebens« angeben. Mit den Möglichkeiten, die der FH Campus Wien unter dem Überbegriff »Applied Life Sciences« sammelt, hat das aber relativ wenig zu tun. Im Bachelor gibt es fünf, im Master vier Studiengänge. Von »Bioengineering« über »Nachhaltiges Ressourcenmanagement« bis zu »Molecular Biotechnology« ist die Auswahl an zukunftsrächtigen Ausbildungsoptionen in den Natur- und Ingenieurswissenschaften groß. Außerdem ist die Website so übersichtlich, dass man das alles schon aus reiner Liebe zu funktionellem Design studieren will.
SAMA DAMS
www.fh-campuswien.ac.at
Pferdewissenschaften
Universität für Bodenkultur | Bachelor Studiengang, 6 Semester Das sprichwörtliche Glück dieser Erde lässt sich selbstverständlich an der Boku Wien studieren und beschäftigt sich mit allem, was man rund um Pferde wissen muss, außer Reiten versteht sich. Von theoretischen und praktischen Aspekten der Pferdewirtschaft über das Gestütswesen bis hin zur Zucht kann man sich im Bachelorstudiengang zum Pferdenarren cum laude ausbilden lassen. www.boku.ac.at
THE AMERICAN WEST
TICKETS: Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien, www.hdm.at
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SCHWERPUNKT GRÜNDEN / BILDUNG
Food studieren
Text Maxi Graf Bild ###
Foodies gibt es ja mittlerweile genug. Wer will, kann sich aber auch professionell ausbilden lassen, mit richtig akademischem Titel.
So manches Vorurteil mussten sich Boku-Studenten über die Jahre gefallen lassen. Dabei machen die echt verdammt coole Sachen – wie zum Beispiel ihr eigenes Bier brauen. Sie wissen Bescheid darüber, wie wichtig es ist, sich mit der Produktion, Zusammensetzung und dem wirtschaftlichen Aspekt von Nahrungsmitteln zu befassen. Kurz: Wie man mit Ressourcen sinnvoll umgeht. Egal, ob Fallobst- oder Allesfresser, der Trend zu gesundem Essen ist angekommen. Selber kochen und ablichten – jeder wird gerade zum Foodblogger. Und je mehr wir uns mit Essen beschäftigen, um so mehr fragen wir uns auch, wo und wie unsere Nahrungsmittel entstanden sind. Denn irgendwie müssen sie ja in den Supermarkt gekommen sein. Food Chains, Transportwege, faire Arbeitsbedingungen von Produkten rücken in den Interessenmittelpunkt und damit auch die Nachfrage nach Ausbildungsmöglichkeiten in diesen Bereichen.
Wie sieht die Entwicklung in Österreich aus? 2010 wurde an der Universität Wien das Forum Critical Food Studies Austria, welches sich mit kritischer Reflexion von Ernährung beschäftigt, gegründet. Zusammenarbeit mit internationalen Instituten und Universitäten entstand. Ein erster Diskurs also. Ein Jahr später folgte die Universität Innsbruck mit einem Vernetzungs-Workshop, woraus das Agro-Food Studies Network entstanden ist. Trotzdem werden Studien wie Weinbau, Önologie und Weinwirtschaft abgeschafft und das, obwohl das Angebot in Österreich ohnehin schon mager ist. Es ist also nicht leicht in Österreich, etwas mit Essen oder Trinken zu studieren. Neben der Boku bietet das Institut für Gastrosophie an der Universität Salzburg, das auch die philosophischen Aspekte des Themas Ernährung abdeckt, eine Möglichkeit. Kurse wie »Antike, mittelalterliche und barocke Küche« oder »Lebensmittel-Technologie« stehen dort auf dem Lehrplan – es gibt aber auch eine Übung namens »Verkosten«. Nach fünf Semestern darf man sich dann MA Gastrosophy hinter den Namen schreiben. Vorraussetzung ist entweder ein Bachelor oder eine dreijährige Berufserfahrung in einem einschlägigen Arbeitsfeld. Das Studium füllt eine Lücke, denn es beschäftigt sich mit dem Zusammenwirken aller natur- und geisteswissenschaftlichen Fächer und Disziplinen, die sich auf Ernährung beziehen.
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» Food studies is a subject so much in its infancy that it would be foolish to try to define it or in any way circumscribe it, because the topic, discipline or method you rule out today might be tomorrow’s big thing.«
Paul Levy (Journalist)
Die dritte Möglichkeit bietet der Campus Wieselburg an der FH Wiener Neustadt. Dort kann man »Grün studieren«. Eco-Design ist ein Studiengang, der unter dieses Schlagwort fällt. Seit 2015 beschäftigen sich die Studierenden mit dem kompletten Produktlebenszyklus im Einklang mit der Natur. Nicht nur die technologischen Aspekte der Nahrungsmittelherstellung stehen dabei im Vordergrund, sondern auch immer mehr komplexe Zusammenhänge wie der von Nahrung und Gesundheit. Weiters wird das Thema Wegwerfgesellschaft kritisch behandelt – das betrifft nämlich nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Produktion, wie uns der Studiengangsleiter der Austrian Marketing University of Applied Sciences am Campus Wieselburg der FH Wiener Neustadt Gernot Zweytick erklärt.
Huhn oder Ei Man stellt sich jetzt die alte Frage: »Was war zuerst, das Huhn oder das Ei?« Liegt das Problem am Desinteresse der Österreicher, so etwas zu studieren, oder fehlt es an passenden Möglichkeiten? Der Eindruck, dass ein breitgefächertes Angebot da ist, überwiegt zwar, doch im internationalen Vergleich sieht das leider anders aus. In den heimischen Kultur- und Sozialwissenschaften wurde das lange Zeit vernachlässigt. Momentan steigt aber das Angebot an Food Studies in Europa. Vorzeigeländer wie die Niederlande oder Italien bieten bereits seit über zehn Jahren verschiedendste akademische Abschlüsse in Food Studies an. Klar, die Food and Beverage Studies befinden sich noch in den Kinderschuhen. Weniger wichtig sind die neuen Studienrichtungen deshalb aber nicht. Die Nachfrage nach Bio, Fair Trade und Nachhaltigkeit steigt und damit muss auch zukunftsorientiertes Wissen in diesen Bereichen einhergehen. Es wird also darum gehen, Menschen auszubilden – auch in Österreich.
Essen ist eine anthropologische Konstante Gegessen wurde immer – weil wir mussten. Mal mehr und mal weniger. In den letzten Jahrzehnten sind wir aber immer mehr dazu geneigt, Essen wie Sex einzusetzen – zur Befriedigung. Das führt dazu, dass wir immer mehr wollen und eben auch immer mehr produziert wird, was zwangsläufig die Umwelt belastet. Die Lösung liegt nicht unbedingt beim Verzicht. Vielmehr geht es um ein größeres Bewusstsein darüber, wo und wie unsere Nahrung entsteht und möglicherweise eine Rückkehr zum Ursprung. Der amerikanische Journalist Michael Pollan beschreibt das in mehreren Werken und kritisiert unter anderem, dass wir verlernt haben, (richtig) zu essen. Deshalb müssen wir anfangen, es wieder zu lernen und das geht am besten hier: Von 6.–8.Juli findet heuer die vierte ISEKI_Food Konferenz an der Boku statt. Ziel ist es, ein internationales Forum für Forschung, Technologie, Bildung und Industrie im Bereich Essen zu schaffen. Eine Sammlung von weiter Studienmöglichkeiten findet man unter www.bachelorstudies.com
Auswahl an Studienangeboten in Europa: HAS University of Applied Sciences in ’s-Hertogenbosch, Niederlande — Bachelor in International Food & Agribusiness University of Gastronomic Sciences in Bra, Italien — Graduate Degree in Gastronomy and Food Communications — Undergraduate Degree in Gastronomic Sciences — Master in Food Culture and Communications / Food, Place, and Identity / Human Ecology and Sustainability Wageningen University, Niederlande — Master in Food Technology / Organic Agriculture / Food Safety / Food Quality Management University of Copenhagen, Dänemark — Master in Food Science and Technology The School of Artisan Food, Großbritannien — Courses and Advanced Diploma Universität Salzburg, Österreich — Master in Gastrosophie Universität für Bodenkultur, Österreich — Bachelor in Lebensmittel- und Biotechnologie / Umwelt- und Bioressourcenmanagement / Agrarwissenschaften — Master in Lebensmittelwissenschaften und -technologie / Umwelt- und Bioressourcenmanagement FH-Krems, Österreich — Bachelor in International Wine Business Aalborg University, Dänemark — Master in Integrated Food Studies Vilentum University, Dronten und Almer, Niederlande — Bachelor in European Food Business The European Master in Food Studies — Lund Univerity / Wageningen University / University College Cork / AgroParisTech FH Wiener Neustadt, Österreich — Bachelor in (Bio)-Marketing & Projektmanagement — Master in Organic Marketing / Lebensmittelproduktentwicklung & Ressourcenmanagement / Eco Design FH Öberösterreich, Wels — Bachelor und Master in Bio- und Umwelttechnik / Lebensmitteltechnologie & Ernährung 047
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bild Clara Gottsauner-Wolf dokumentation stephan kluger
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Eva Krizsanits (35) & Larisa Stanescu (25), Girls n’ Code, Marketeers und Tech-Blogger
»Das Internet gehört uns!« ist ihr Motto. »Wenn man so will, machen wir praktisch Lobbying fürs Programmieren, indem wir unsere Skills und unser Wissen weitergeben«, sagt Larisa. Der Tech-Blog »Girls n’ Code« sei aus Spaß entstanden, da die beiden Schwierigkeiten damit hatten, ihre Webseiten zu erstellen. Durch die Initiative wollen sie Frauen die Angst vor Technik und Programmieren nehmen. Und in der SmartNinja Coding-Schule bieten sie Kurse für Anfänger und Erwachsene. Regelmäßig sind sie in Co-Working Spaces zu finden – mit dem Smartphone in einer und der Kaffeetasse in der anderen Hand. »Von klassischen Projektmanagement- Aufgaben über Marketing bis hin zu PR decken wir alles ab«, erklärt Larisa. Grundsätzlich offen für Veränderung und stets experimentierfreudig, stehen aktuell die Themen Coding, Gender & Empowerment im Vordergrund. »Wenn wir mal alle Programmiersprachen perfekt beherrschen, wollen wir die Welt erobern.« girlsncode.com
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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Das Team von Record Bird
»Nie wieder einen Musik-Release seiner Lieblingskünstler verpassen« – Andreas Mahringer, 28, bringt es auf den Punkt. Denn darum geht’s beim kostenlosen Online-Service Record Bird, das von ihm, Thomas Patterer, Alexander Baumann, Arnold Graf und Christoph Kregl 2015 in Wien gegründet wurde. Aus eigener Erfahrung wissen sie, wie frustrierend es ist, erst Wochen nach offiziellem Release durch Zufall auf ein neues Album aufmerksam zu werden. »Viele Musikfans wissen gar nicht, wenn einer ihrer Lieblingskünstler eine neue Veröffentlichung plant.« Record Bird trackt mehr als vier Millionen Künstler weltweit und benachrichtigt die Leute, sobald einer ihrer Stars etwas ankündigt. »Wahre Liebhaber finden Raritäten, die sie sonst nie entdeckt hätten«, verspricht Mahringer. Die Musikindustrie habe noch lange nicht den Höhepunkt ihrer digitalen Transformation erreicht, das Team von Record Bird sei dagegen froh, eine wachsende Rolle in diesem Trend spielen zu dürfen: »Und Barrieren zwischen Künstlern und Fans niederzureißen.« recordbird.com
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AB HIER: REZENS ONEN
156 All Saints Red Flag (London)
Heilig, heilig All Saints, wir sind nicht würdig, dass ihr eingeht unter unser Dach. Aber macht nur ein gutes Album, so wird unsere Seele gesund. Zehn Jahre sind vergangen seit dem ersten All Saints-Comeback, das dann irgendwie nur so semi lief und auch sehr schnell wieder in sich selbst verstummte. Obwohl die damalige Single »Rock Steady« ungewöhnlich viel Biss hatte, war das nicht so ganz das, was die Band zu ihren Millennium-Glanzzeiten ausgemacht hatte – damals kamen sie in Cargohosen und Buffalos sogar mit einem Red Hot Chilli Peppers-Cover davon. Die lässigere Alternative zu den Spice Girls, cool, nonchalant, uns doch wurscht – das kam gut bei Kritikern und sogar der ältere Bruder konnte sich noch dazu überwinden, All Saints eigentlich ganz okay zu finden. Sie waren die eine Girlgroup, die alle mögen durften, weil sie selbst diejenigen waren, die das offenbar am wenigsten kümmerte. Darüberhinaus war die Musik auch noch richtig, richtig gut. 2006 war davon wenig übrig, das Album klang zu sehr gewollt und zu sehr Ska-anbiedernd, Melanie Blatt selbst würde später sagen, sie hätten sich aus den falschen Gründen wieder zusammengetan. Die Plattenfirma hatte die Comeback-Idee unter Vertrag genommen, nicht die Songs. Jetzt haben sie also einfach Lust drauf. Und es ist fast schon erleichternd, wie sehr man das hören kann. Aus einer »Warum nicht« -Situation heraus, in der sie 2014 als Vorband für die Backstreet Boys angefragt wurden, entstand plötzlich ein neues Album, das diesmal (endlich) dort ansetzt, wo »Pure Shores« und »Black Coffee« aufgehört haben. Obwohl man sich insgeheim vielleicht gewünscht hatte, William Orbit würde ihnen abermals akustische Träume auf die Stimmen produzieren, wäre das letztendlich nur aufgewärmtes Gulasch gewesen – All Saints wussten das, und dafür muss man ihnen im Nachhinein dankbar sein. »Red Flag« ist nicht zuletzt aufgrund seiner unverbrauchten Produzenten mehr Fortsetzung als Wiederholung. »Make U Love Me«, »Tribal« oder »Pieces« klingen genau so, wie All Saints 2016 klingen sollten. Große Refrains, schwüler Midtempo-Sex, ein bisschen Orient, ein bisschen Autotune-Action, Pferdegalopp-Beats, und diese Stimmen, die eben nur All Saints haben. So elegant, so mühelos. Gehet hin in Frieden. 08/10 Franz Lichtenegger 053
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Pop, Bass, Hop
Und anderes Musikalisches dazwischen und darüber hinaus. Kuratiert (ha!) von Amira Ben Saoud. Ariana Grande Dangerous Woman / Album (Republic) — Jaja, das ist mehr Preview als Review, zugegeben. Noch war es nicht möglich, in das neue Grande-Album reinzuhören. Zum Verfassungszeitpunkt liegt nur die gleichnamige Vorabsingle vor. Aber – oh mein Gott – was für ein mächtiger Sex-Walzer! Man will sich »50 Shades Of Grey« fast freiwillig nochmal ansehen. Wenn das Album nur halb so gut wird wie die eine Nummer, kommen in den USA sicherlich bald ein paar Babys namens Ariana auf die Welt. Katy B Honey / Album (Rinse / Virgin EMI) — Katy B war immer super, wird sie auch immer sein. Dieses Album ist aber kein Beweis dafür. Die Vorabsingle »Calm Down« mit Floating Points und Four Tet hat Versprechungen gemacht, die »Honey« nicht immer halten kann. Zu viele Leute am Werk, zu viel Einfluss-Mischmasch, zu wenig Fokus. Das Ergebnis bleibt mit einigen Ausreißern in alle möglichen guten (»Chase Me«) und schlechten Richtungen (»Lose Your Head«) hinter den Erwartungen zurück. Kamaiyah A Good Night In The Ghetto / Mixtape (Self-Released) — Wer auf hotnewhiphop.com das User-Rating »Hottttt« (die 5 ts sind wichtig!) einfährt, hat die relevante Zielgruppe definitv überzeugt. »A Good Night In The Ghetto« der 21-jährigen Kamaiyah packt die Old-School-Vibes aus, spielt sich mit funky Synths und macht sehr viel Spaß. Falls man doch mal ein Cabrio auftreibt und seine besten Freundinnen davon überzeugt, sich im Partnerlook anzuziehen, sollte dieses Mixtape laufen, während man mit ihnen durch die Stadt cruist. Zayn Mind of Mine / Album (RCA) — Es wird 2016 keine bessere Power-Ballade als »Pillowtalk« geschrieben werden, keine Chance, Adele! Da ist man dem knuffigen Zayn auch fast nicht böse, dass der Rest des Debüts nur so lala ausgefallen ist. Der Klang und Einsatz seiner Stimme überzeugt immer wieder – auch wenn Produktion und, ja, auch die Melodien manchmal einfach auslassen. Besonders bezaubernd trällert er auf »Fool For You« – wer hätte gedacht, dass sich gerade hier Beatles-Reminiszenzen wiederfinden. Haiyti City Tarif / Mixtape (Self-Released) — Endlich hat Deutschland eine Trap Queen, und was für eine. »City Tarif« ist so mühelos cool, so unaufgeregt aufregend, so witzig, so böse, so authentisch und völlig übertrieben gleichzeitig. Und obwohl Haiyti nicht einmal einen Twitter-Account besitzt, zollen ihr die OGs auf allen Kanälen den nötigen Respekt. Nicht, dass sie die Bestätigung bräuchte. Haiyti kennt nur einen Boss und der ist sie selbst. Für sie wünscht man sich, dass der Trap-Trend in Deutschland anhält.
Und außerdem natürlich:
Kendrick Lamar – »Untitled Unmastered« (Self Released) Für seine B-Seiten würden andere sich die Hand abhacken. Rin – »Genesis« (Live From Earth) Neues Genre: Ministranten-Rap. Amen. ILoveMakonnen – »Drink More Water 6« (Warner Bros Records) Er ist immer am besten, wenn er es nicht so hart versucht.
AnnenMayKantereit Alles nix Konkretes (Vertigo)
Hurra, die Welt geht unter Das Debütalbum der neuen Vertigo-Cashcow ist Musik für unmündige Massen. Eine zweistellige Millionenzahl hat »Barfuß am Klavier« – ja, AnnenMayWürgereiz, so die interne Bezeichnung in so mancher Redaktion, haben ihre alten Hits noch einmal verwurstet und aufs Album geklatscht – auf Youtube gesehen. Der Top-Kommentar ist okay lustig: »Ich sitz schon wieder in Unterhose am PC.« Man wird das Gefühl nicht los, dass bei Letzterem mehr und kulturell Relevanteres herauskommt, als wenn sich Henning May an die Tasten setzt und zu schreiben beginnt. AnnenMayKantereit werden sich einreihen in die Säue, die durch das mediale Dorf des Deutsch-Pop-Kuschelrock getrieben wurden, als Nachfolger von Juli, Rosenstolz, Revolverheld, Tim Bendzko und Andreas Bourani. Beim Hören von »Alles nix Konkretes« vermisst man urplötzlich Philipp Poisel, der der ganzen Chose Fremdscham entziehen würde. Das muss man auch erst mal über eine Band sagen können. Marketingtechnisch hat das Major-Label wenig falsch gemacht: Wie eben erwähnte Vorgänger ergehen sich AnnenMayKantereit in vordergründig postpubertären Schmonzetten, werden dabei auch von Kassenwarten, Einzelhandelskauffrauen und fiktiven DokuSoap-Protagonisten wahrgenommen, während sie für unerfahrene Junghörer – die Zielgruppe wird auf neun- bis zwölfjährig geschätzt – weiterhin den Status einer »Entdeckung« haben. Ein wahrscheinlicher Sticker für die CD-Hüllen von »Alles nix Konkretes« in MegaElektronikmärkten und Drogerien. Musikalisch werden neben genannten Garanten des schlechten Geschmacks auch immer wieder böse Erinnerungen an Mumford & Sons geweckt, aber selbst diese Stücke, wie etwa »Wohin du gehst«, sind noch Lichtblicke. Wer das Schmalzpoppige an den bekannten Hits mag, wird sich aber von den übrigen Songs des Albums betrogen fühlen. Die sind sperriger, überraschend unmelodisch kakophon und laden noch mehr zum Skippen ein. Wer mutig ist und sich das Album besorgt, sollte es digital oder als CD erwerben, da geht das auch leichter. 02/10 Dominik Oswald
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musik
Schöner Lärm, betörende Stille, alles dazwischen und natürlich die obligate Ausnahme. Ausgewählt von Manuel Fronhofer. Luh Spiritual Songs For Lovers To Sing (Mute) — Diese angeraute Dringlichkeit in Ellery Roberts’ Stimme hat schon bei Wu Lyf für eine außerordentliche Intensität gesorgt. Mit der Amsterdamer Künstlerin Ebony Hoorn meldet er sich nun als Luh (abermals ein Akronym: Lost Under Heaven) zurück. Ein feuriges Manifest gibt’s auch wieder: »Luh stands with all those that work for beauty, against the defeated cynicism of dead culture.« Beide singen, musikalisch geht es elektronischer, oft auch ruhiger zu als bei Wu Lyf. Aufrührend und schön.
Drangsal Harieschaim (Caroline)
Eine darke Hostie Drangsal ist ein Kind der 80er. Auf seinem Debüt »Harieschaim« mimt der Newcomer den NewWave-Messias – zwischen Kunst und Sakrament. In Deutschland steigt ein neuer Stern am dunstigen New-Wave-Himmel auf: Drangsal nennt er sich, und er strotzt nur so vor britischen Post-Punk-Fantasien aus den 80ern. Hinter dem Pseudonym steckt ein gewisser Max Gruber, zarte 22 Jahre alt, dessen Name wohl nur ein Mustermann an Banalität übertreffen könnte. Statt in London wurde er in Herxheim bei Landau geboren – klingt auch eher nach Landei als nach dunklem Waver. Vielleicht entstand aber genau aus dieser Trivialität Grubers artifizielle Art zu sprechen und zu singen – Letzteres übrigens in englischer und deutscher Sprache. Sein Debüt strotzt nur so vor Worten, die schon längst vergessen waren und auf »Harieschaim« nun eine düstere Renaissance feiern. Von Ingrimm und Wolpertinger ist da etwa die Rede. Oder von Hinterkaifeck, einem winzig kleinen Dorf in der Nähe von Grubers Geburtsort, das durch ein nach wie vor unaufgeklärtes Massaker im Jahr 1922 zu Bekanntheit gelangte. Dieses Düstere kommt auch live gut an: Als Vorband von Kraftklub bespielte Drangsal heuer bereits ausverkaufte Hallen – dabei fühlt sich Grubers Projekt viel zu sehr nach Underground an, um eine Hosenträger und Collegejacken anhimmelnde Fangemeinde zu bespaßen. Der bleiche Max mit den hingekritzelten Tattoos auf dem schmächtigen Körper zieht, noch bevor der erste Ton von der Bühne zu vernehmen ist, die Blicke auf sich – eine gelungene Kunstfigur eben. Dringlich, wie es der Name verspricht, verhält sich auch der beharrlich straighte Eighties-Beat in jedem der Songs. Er katapultiert einen in eine schöne, düstere Welt. Drum-Machine-Sounds, wie sie bei »Do The Dominance« zu hören sind, lassen New-Order-Liebhaber in Melancholie versinken – eine Stimmung, in der es sich aber auch gut tanzen lässt. Wer nun diesen Max Gruber als Priester bei der Selbstgeißelung, beim Hostien-Austeilen und beim Schmusen mit C-Promi Jenny Elvers sehen will, sollte sich das Video zur Single-Auskopplung »Allan Align« ansehen. Und Drangsal dann auch gleich verinnerlichen, denn von ihm wird es 2016 so Einiges zu hören geben. 07/10 Michaela Pichler
Troy Von Balthazar Knights Of Something (Siluh) — Als Sänger von Chokebore erreichte Troy Bruno Von Balthazar auch über Underground-Zirkel hinaus Bekanntheit – auf den Support-Slot bei den letzten zehn Nirvana-Shows in den USA wird heute noch gerne verwiesen. Sein viertes Soloalbum schlurft ein wenig vor sich hin. Wenn die Songstrukturen griffiger werden, erkennt man hinter dem Lo-Fi-Sound kleine Hits, die das gar nicht sein wollen. Und in der gerne mit Effekten bearbeiteten Stimme steckt nach wie vor große Emotionalität. Thomas Cohen Bloom Forever (Stolen) — Das erste Soloalbum des S.C.U.M-Sängers verhandelt eine intensive Zeit: zuerst die Hochzeit mit Peaches Geldof, dann die Geburt zweier Söhne und schließlich der Drogentod seiner Frau. Mit dieser Geschichte im Hinterkopf wirken viele der Songs ziemlich tragisch. Den Art-Rock seiner Band hat Cohen gegen Konventionelleres getauscht. Es geht eher soft zur Sache, die Stimme schmachtet gerne mal. Manchmal gibt’s ein sanftes, hoffnungsvolles Aufbäumen – ein gutes Zeichen. Night Moves Pennied Days (Domino) — Schon in der Highschool haben sich John Pelant und Micky Alfano kennengelernt, seit 2009 machen sie als Night Moves gemeinsam Musik. Das dritte Bandmitglied gab’s nur vorübergehend – auf dem neuen Album agiert man wieder als Duo. Die Songs darauf könnten locker auch aus einer anderen Zeit sein, aus den 70ern oder den 80ern zum Beispiel. Folk-Rock, Classic Rock, ein paar Synth-Flächen dazu. Außen schön leuchtend, innen drinnen aber auch ein bissl düster. Sluff Constructions [EP] (Numavi) — Für die Aufnahmen zu ihrer Debüt-EP haben Sluff mit Indie-Wunderwuzzi Wolfgang Möstl (Mile Me Deaf, Sex Jams, …) zusammengearbeitet. Eine schöne Referenz, und der gute Mann passt natürlich auch bestens zum Sound der Band (ein wenig Dream-Pop und sehr viel Indie-Rock). Dass das Ganze so schön aufgeht, liegt aber natürlich auch am Wiener Trio selbst: Richtig gute Songs haben Martin Zenker, Moriz Büsing und Paul Stöttinger da geschrieben.
Und außerdem natürlich:
Drangsal – Harieschaim (Caroline) Ein überzeugender, finsterer New-Wave- und Post-Punk-Wiedergänger. Yak – Alas Salvation (Octopus Electrical) Garagen-Rock mit ordentlich Wumms. Nicht immer, aber oft ziemlich gut. Parquet Courts – Human Performance (Rough Trade) Indie-Rock, Post-Punk, mal lässig, mal dringlich – Lieblingsmusik!
01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk
Neigungsgruppe Indie
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Human Abfall Form und Zweck (Sounds Of Subterrania)
musik
PJ Harvey The Hope Six Demolition Project (Island)
Migration nach innen
Polly Jean klagt an
Guter Bandname, gute Szene, gute Musik: Human Abfall aus Stuttgart sind die attraktive Alternative für die, denen Die Nerven mittlerweile zu Mainstream sind.
Vor fünf Jahren rüttelte PJ Harvey noch mit politischem Folk-Rock auf. Nun widmet sie sich auf ihrem neuen Werk »The Hope Six Demolition Project« der Weltbühne.
Ganz ohne verklärte Romantik: Seattle muss Ende der 80er wirklich gar nicht so schlecht gewesen sein. Schließlich ist alle paar Jahre ein neuer (deutscher) Ort, aus dem sich ohne Vorwarnung eine Szene entpuppt, das »neue Seattle«. Hamburg in den frühen 90ern, Weilheim in den späten 90ern, heute ist das Stuttgart. In der Berichterstattung dreht sich bei Letzterem zwar alles vorrangig um Die Nerven und deren Soloprojekte, in den Geheimtipp-Spalten sind Human Abfall – das »Human« wird deutsch ausgesprochen – aber längst Stammgäste. Das 2014 erschienene Debütalbum »Tanztee von unten« überzeugte die Fachpresse einstimmig, der der vielen Stuttgarter Bands eigene Soundteppich wusste mit seiner Vielschichtigkeit aus Post-Punk, Dunkelheits-Surf und Noise zu begeistern. Die klangliche Ebene wird natürlich beibehalten. »Nenne es kein Comeback / Es ist die Rückkehr aus der inneren Migration«, so wird das formschön benannte Zweitwerk »Form und Zweck«, eröffnet. Sänger Flávio Bacon – ohnehin ist diese Kunstfigur mit inszenierter fraktusesker Super-Weirdness eine der spannendsten Musikerpersönlichkeiten Deutschlands – ist in sich gegangen, ist in seinem Vortrag klarer als je zuvor und setzt die Beschissenheit der Dinge in Parolen für Fans der frühen Tocotronic um. »Ich will kein Versprechen, ich will eine Garantie« etwa, oder »Zeitgeist Fehlfunktion«, oder »Meinung kommt nicht aus dem luftleeren Raum«. Über 13 Songs wird gerotzt, der Gesang ist deutlich akzentuierter produziert als von Szene-Produzent Ralv Milberg gewohnt, sodass Die Nerven nur mehr entfernt Pate stehen. Sperrigere, noisigere, verkopftere Love A wären wohl die bessere Referenz. Aus einer Reihe von guten Stücken drängt sich die erste Videoauskopplung »Bequeme Stellung« als Highlight in den Vordergrund: vertonte und verfilmte Banalität als Ausdruck höchster Kunst. Insgesamt ist »Form und Zweck« wohl nicht das wichtigste Album der immer noch florierenden Stuttgarter Szene, hörens- und besitzenswert ist es in jedem Fall. 07/10 Dominik Oswald
Der Titel ihres vorliegenden neunten Albums beVI«-Plan: Im Rahmen zieht sich auf den »Hope dessen sollten ab Anfang der 90er in zahlreichen Gemeinden der USA viele Sozialbauten in den sogenannten »Projects« renoviert werden, um Menschen mit besserem Einkommen anzulocken und somit einer Armutsghettoisierung entgegenzuwirken. Eh klar, dass dank dieses Plans auch das ein oder andere Gebäude einem Abriss (Deutsch für »demolition«) zum Opfer fiel. Polly Jean Harvey beginnt ihr Album auf einer fröhlichen Note und singt im eingängigen Sing-along-Refrain des Openers »The CommunityOf Hope« mehrfach: »They’re gonna put a Walmart here«. Ein Walmart in den Projects – das klingt erst mal nett, ist aber offensichtlich Kapitalismus-Kritik. Man liegt nicht unbedingt falsch, wenn man »The Hope Six Demolition Project« als durchdachte Fortsetzung von »Let England Shake« sieht. Beide Alben zeigen Harvey als politisch engagierte Texterin, die vom Krieg singt und sich den Frieden wünscht. Auch musikalisch gibt es Parallelen: Ob es nun der mehrstimmige Gesang mit Mick Harvey ist, das herausragende Saxofonspiel oder ob es einfach die Songs an sich sind – Harvey hat mit 46 Jahren ihren Stil als politische FolkRockerin gefunden, als Texterin von Protestliedern über Homeland Security, Denkmäler zum Vietnamkrieg oder den Kapitalismus direkt (»Dollar, Dollar«). Polly Jean, quit living on American dreams. Harveys Kriegskritik gipfelt im wohl besten Song des Albums, der Single »The Wheel«: Beginnend mit einem ausufernden, von Handclaps und Saxofon getragenen Intro, schafft es der Song, seine tiefgreifende Message in wenigen Zeilen zu vermitteln. Das im Titel referenzierte »Wheel« der Kriegsindustrie dreht sich stetig weiter – anstatt einzuschreiten, schaut die Öffentlichkeit zu. PJ Harvey war und ist stets aktuell. Ein notwendiges Album für unsere Zeit, mit einer zeitlosen Friedensbotschaft. 07/10 Florian Kölsch
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Elektronisches. Manchmal darf auch wer ein echtes Instrument spielen. Ausgewählt von Yasmin Vihaus. Moodymann DJ-Kicks / Album (!K7) — »Wow« haben alle bei DJ-Kozes »Jubiläums-Mix« gesagt. Moodymann hat mindestens die selbe Begeisterung verdient. Wer Jai Paul in einem Mixtape hochleben lässt, verdient ohnehin meine uneingeschränkte Liebe. In kürzester Zeit mixt sich Moodymann durch Soul, HipHop, House und Deep-House und macht zwischendurch sogar noch einen Stop bei José Gonzales’ Klavierklängen. Das überzeugt. Nicht, dass wir etwas Anderes erwartet hätten.
M83 Junk (Naive)
Wer ist hier der Boss? M83 ließ sich von Fernsehserien der 70er und 80er Jahre inspirieren. Wer nun denkt »Junk« sei lediglich Kitsch mit Retro-Synthesizern, der irrt. Mit »Junk« liefert der französische Musiker Anthony Gonzalez aka M83 den langerwarteten Nachfolger zu dem 2011er Meisterwerk »Hurry Up, We’re Dreaming«. Durch das neu gewonnene Standing und eine Grammy-Nominierung öffneten sich ihm neue Türen: Er ging viele musikalische Kollaborationen (u. a. mit Haim) ein und schrieb Soundtracks zu mehreren Filmen (u. a. zum Tom Cruise-Streifen »Oblivion«). Und nun kommt also, nach fünf Jahren Wartezeit, das neue Album mit dem Titel »Junk« – zu Deutsch: »Müll«. Die durch den Titel reduzierte Erwartungshaltung schlägt sich auch am Cover nieder. Trollerei oder schlichtweg Hommage an die Internetästhetik à la Tumblr? Ein solches Artwork herauszubringen erfordert jedenfalls Mut – selbigen hat sich M83 auch bei den Songs auf dem Album bewahrt. Für »Junk« fand Gonzalez ganz neue Herangehensweisen an die Musik. Laut eigener Aussage ließ er sich durch Serien-Intros von Fernsehsendungen der 70er und 80er Jahre wie beispielsweise »Wer ist hier der Boss?« beeinflussen. Die Grundstimmung ist vorwiegend kitschig, soft und positiv – eben typisch 80s. Musikalisch dominieren vor allem Synthesizer sowie die für die Zeit typischen Instrumente (Saxophon, Mundharmonika). Man findet weiters zahlreiche Instrumentaltracks, die dem Album eine gewisse musikalische Grundstimmung geben sollen. »For The Kids« kommt wie eine Charity-Weihnachtssingle daher, während der funkige Synthpop-Track »Bibi The Dog« zum Tanzen unter der Discokugel einlädt. Der beste Song auf »Junk« ist wohl »Sunday Night 1987«, das Schlusslied des Albums. Ein recht langsamer und harmonischer Song, der einen enormen emotionalen Sog entwickelt, um letztlich in einem herzzerreißenden Mundharmonika-Outro zu gipfeln. »Junk« ist ein Album für Nostalgiker. Es ist weniger zukunftsorientiert als die Vorgängeralben von M83, dafür eine liebevolle Erinnerung an Kindertage vor dem heimischen Fernseher. 07/10 Florian Kölsch
Ta-ku #SongsToGetCozyTo / Mixtape (Team Cozy) — Songs um Schluss zu machen, Songs um Rumzumachen und jetzt auch welche, um sich wohlzufühlen. Schmusepotenzial hat das neue Mixtape ebenso wie die vorherigen Alben schon. Released wurde es auf Ta-Kus Plattform Team Cosy, die ursprünglich dazu gedacht war, hippe Fotos von Sneakers zu präsentieren. Mittlerweile ist daraus eine Modelinie und eine Kreativagentur geworden, die eben auch mal Mixtapes raushaut. Why not? Sasha Scene Delete / Album (Late Night Tales) — Meine Liebe für die Late Night TalesReihe ist groß. Nach Khruangbin released jetzt auch Sasha ein gesamtes Album. Auf Scene Delete findet sich wenig wirklich Clubtaugliches, aber nicht weniger Hörenswertes. Ein Album, neben dem man solche Texte schreiben kann. Die fabelhafte Ultraista leiht »Bring On The Night« ihre Stimme, gewohnt träumerisch, zum abends Zeit vergessen und am nächsten Tag müde sein. Bring it on. Hælos Full Circle / Album (Matador Records) — Zwischen Runterkommen und Highwerden, Melancholie und Entspannung, Trip-Hop und ElektroPop. Das Debütalbum von Hælos überzeugt mit Synths, Breakbeat-Drums, Keyboard und leichtem The XX-Feeling – nicht zuletzt wegen den Vocals. »Full Circle« ist träumerisch und trotzdem nicht einschläfernd, kann man mögen, kann groß werden. Mogwai Atomic / Album (Temporary Residence Limited) — Boom! Mogwai lieferten bereits im Sommer den Soundtrack zu Mark Cousins historischer Doku »Atomic – Living In Dread And Promise«, im April wird »Atomic« zum Album und ja, es funktioniert auch ohne den Film. Zwischen Weltuntergangsstimmung und jenem Freiheitsgefühl, dass einem herumschwebenden Atomteilchen vorbehalten ist. Vermutlich eines ihrer stärksten Alben, nicht nur, aber auch aufgrund der Protest-Message. Und außerdem natürlich: Kendrick Lamar – Untitled unmastered. (Self Released) Hey Kendrick, magst du morgen nicht wieder spontan ein Album raushauen? Wär nice, danke! Moderat – III (Monkeytown Records) Wer kann Clubmusik für zuhause besser als Moderat? Eben. Frank Wiedemann – Moorthon / EP (Innervisions) Âme kann auch halb überzeugen.
01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk
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MAHALI AMBAPO SAMANI HUONYESHA HISTORIA.
Die Mynth-Geschwister haben düsteren Glitzer-Pop aufKele »Plaat II« perfektioniert. Sein Auftritt beim FM4-Fest dürfte ihm gefallen haben: kommt wieder, diesmal mit Bloc Party.
Swahili für „Wo Möbel Geschichten erzählen.“
cc
LIVE @ RKH
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© Christian Stipkovits
Eloui © J.J. Kucek
Flachmann in der Hand, Make-up verschmiert der genau richtige Zeitpunkt für Kill-J-Pressefotos. Vom Feuilleton gefeiert und immer auf Achse:–Isolation Berlin kommen ins Rhiz.
Ja Ja Ja Festival Isolation Berlin
nordischer musikabend wieder. diesmal mit dabei: júníus aus island, einerNach dieser empfindDie vier Jungs aus Berlinwäre haben sich in den letzten Jahren ganzmeyvant schön herumgetrieben. einigen EPs samen bärtigen aber einer, der seinen Folk-pop gerneLongplayer mit ordentlich und bläsern erschien nun mitsongwriter »Und aus –den Wolken tropft die Zeit« ihr erster aufstreichern dem Hamburger Label aufpoliert; norwegische die deutschsprachigen die getragene melancholie ihrer melodien Staatsakt. die Vieljunge rumgetrieben hatmultiinstrumentalistin sich Isolation Berlin Farao, auch im Musik-Feuilleton, der mit rhythmischer vielschichtigkeit und synthetischen zu facettenreichem pop ausbaut; die diese Band seit geraumer Zeit entdeckt hat und als ambient-sounds »Geheimtipp« feiert. Doch so geheim sind die Jungs Finnen the scenes, die den rock ’n’ roll ihres albums »sex, drugs andSzene modern art« enthemmt, aber gar nicht mehr. Sie sind sogar mittlerweile zumneuen Aushängeschild ihrer kleinen geworden, die sie selbst auch im feinen anzugzwirn auf die bühneMit bringen; sowie Kill j aus dänemark mit zeitgemäßem zwischen mit »Berliner Schule / Protopop« betiteln. ihrem neuen Album sind sie jetzt erst mal richtig ausgiebig auf schummrigem r’n’b und cleanem pop.esdürfte gut werden – wieRumtreiben. immer. 29. Jänner Wien,Rhiz Wuk Tour. Auch in Österreich. Sie können halt nicht lassen, das 5. Mai Wien,
TEXT manueL FronhoFer BILD rachaeL Wright, johanne FicK, meLt booKing (2), Warner music, per Kristiansen, jenn Five TEXT Juan Marhl BILD Matthias Hombauer
Mynth FM4-Geburtstagsfest
Verträumt und dennoch geht es beim österreichischen Mynth auf Album zum 20. geburtstag gab’stanzbar Kele, zum 21. nun dessen band bloc partyElektropop-Duo – das mag ein bisschen nachseinem abo klingen, »Plaat zu. Die Platte dem Wiener Seayou erschienen also neben wie Fijuka, aber alsII«headliner sorgenistdieauf indie-rocker mitLabel offenem ohr für elektronikund dankhat zappeliger hitsArtists wie »helicopter« Monsterheart und vielen mehr ein angemessenes Hause gefunden. Imfür April Mynth querWenn durch oder »Flux« erstens für ausgelassene stimmung undzuzweitens ganz sicher einsind volles haus.nun Wobei: Österreich und Deutschland sich. 2. so? April Rockhouse —Fat 15.White April Fm4 geburtstag feiert, kommenunterwegs. die hörer jaEin eh Besuch von alleinlohnt … und sonst oKGraz, Kid, antilopen gang, Innsbruck, Weekender — 21. Aprilberlin Krems, Kino am Kesselhaus 22. Aprilerzeugung: Steyr, Röda — 23. dear April Family, grossstadtgeflüster, isolation (empfehlung!) sowie aus — heimischer Farewell Graz, Orpheum — 28.und April Wien, ghost, satellite stories a Life, a Grelle song, aForelle cigarette. 23. Jänner Wien, ottakringer Brauerei
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TEXT Juan Marhl BILD Matthias Hombauer
TERMINE
MUSIK
highlights At The Drive-In Die Post-Hardcore-Veteranen und Wegbereiter kommen wieder nach Wien. Sie haben zwar kein neues Material in der Tasche, ein Konzert besuch lohnt sich aber trotzdem. Was die Stimmung bei Live-Auftritten betrifft, haben sie in den letzten Jahrzehnten ja wirklich nichts verlernt. Im Gegenteil. Eben diese Auftritte führen sie zurzeit um die ganze Welt. Auch zu uns. 5. April Wien, Arena
Zoom! Festival
Di. 05.04. // 20:00 LiteraturSalon
Martin Walser: Ein sterbender Mann
Fr. 08.04. // 20:00 Musikkabarett
Anna Mateur & The Beuys
Sa. 09.04. // 20:00 Soul / Indie
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen
Noel Gallagher’s High Flying Birds Der ehemalige Oasis-Gitarrist und Songwriter ist mit seinem neuen Album »Chasing Yesterday« unterwegs. Der Sound erinnert dabei durchaus an die gute alte Oasis-Zeit, jedoch ohne langweilig zu werden. Man muss ja das Rad nicht ständig neu erfinden. Wenn man Noel Gallagher heißt, dann muss man eigentlich gar nichts mehr. Dass er trotzdem vorbeischaut, freut uns sehr. 12. April Wien, Gasometer
Bild: Martin Morris
Abwechslungsreich geht es auch dieses Jahr wieder am Zoom! Festival zu. In fünf Tagen gibt es insgesamt 15 Acts zu erleben. Unter anderem mit heimischen Größen wie Wandl wird ein abwechslungsreiches Porträt der österreichischen Musiklandschaft gezeichnet. Die Jazz-Werkstatt sorgt dabei auch noch für den wohl gemütlichsten und unprätentiösesten Konzertrahmen der Stadt. 6. bis 10. April Wien, WUK
Sa. 16.04. // 20:00 TanzTage 2016
Stephen Shropshire
Do. 21.04. // 20:00 Punkrock
Itchy Poopzkid / Tim Vantol
Fr. 22.04. // 20:00 Soul / Jazz / Pop
Scott Bradlee’s Postmodern Jukebox
Sa. 23.04. // 20:00 Prog-Rock
Kate Boy
An evening with Steven Wilson
Auf »One«, ihrem ersten Studioalbum, geben sich die Synthpopper aus Schweden extatisch und kraftvoll und treffen damit genau den Zeitgeist. Insgesamt sind die Lieder auf »One« noch schneller und beatlastiger ausgefallen als ältere Nummern. »Midnight Sun«, die aktuelle Single, hat durchaus Club-Potenzial. Es darf getanzt werden. Nein, es muss getanzt werden. 21. April Wien, Grelle Forelle
Mo. 25.04. // 20:00 Roots
Xavier Rudd
Mi. 27.04. // 20:00 TanzTage 2016
Sharon Fridman Company
Do. 28.04. // 20:00 Performance
Teleman
Sven Ratzke: Starman
Bild: Hanneke Wetzer
Teleman sind die logische Konsequenz des Indie-Pops der Nuller- und Zehnerjahre und haben auf jeden Fall das Potenzial, zum neuen Darling der Fans dieses Genres zu werden. Mit ihrer Single »Düsseldorf« von ihrem brandneuen Album »Brilliant Sanity« scheinen sie auch auf dem besten Weg zu sein, dies tatsächlich zu schaffen. Das ist geballte Ohrwurmqualität! 28. April Wien, Chelsea
Fr. 29.04. // 20:00 HipHop
Texta / Da Staummtisch
Scout Niblett
Elektro Guzzi
Die englische Songwriterin, die schon mit Größen wie Cat Power, PJ Harvey oder Bonnie Prince Billy auf Tour war, kommt endlich wieder nach Jahren der Abstinenz nach Europa. Das Ganze mit recht minimalistischer Instrumentierung. Und das Beste: sie hat uns sogar einige neue Songs mitgebracht! 2. April Wien, Brut
Salopp! bringen Elektro Guzzi ins Werk. Die Live-Techno-Combo gehört schon seit Jahren zum Standardrepertoire der Wiener Club-Szene. Geübte Konzertbesucher wissen also schon um die Verlässlichkeit der drei Musiker. Supporten werden Toju Kae (live), Ken Hayakawa, Davi dB und Milan Kalt. 2. April Wien, Werk
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Sa. 30.04. // 20:00 LiteraturSalon
Paleman Loefah sucht sich den Nachwuchs für sein Label Swamp 81 stets vorsichtig aus. Neben Mickey Pearce, Chunky und Benton gehört Paleman zu den vielversprechenden Neuinterpretieren des Dubstep. Weniger Wobble, dafür mehr Bläser-Synths und druckvolle 4 / 4-Kicks. 2. April Wien, Fluc
Julya Rabinowich: Krötenliebe
POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at
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TERMINE
FESTIVALS
3 Fragen an Marlene Agreiter (Austrian Fashion Association) Das Take Festival for Independent Fashion and Arts findet in dieser Form das erste Mal statt. Was sind eure Erwartungen? Das Take Festival will jungen, zeitgenössischen Designpositionen – die alternative, systemdeviante Auffassung von Mode, deren Gestaltungsmöglichkeiten und politisches Potenzial vertreten – ein Forum und ein Publikum geben. In der zeitgenössischen Mode geht es um ein Umdenken, um neue Strategien und Formen der (künstlerischen) Produktion bzw. des Vertriebs. Um diese Entwicklung inhaltlich angemessen zu vermitteln, sind neue (Re)-Präsentationsformen gefragt. Unsere Ausgangsfrage war umgekehrt: Welche Erwartungen werden an uns gesetzt? Wien ist keine »Modestadt« heißt es oft – was haltet ihr von diesem Satz? Tausendmal gehört, oft mal gefragt worden. Mode aus Wien war und ist definitiv zeitgeistprägend, Wien ist aber kein traditionelles ModeindustrieZentrum. Allerdings gehen Designer aus Wien gerade aufgrund dieser Tatsache andere und ganz eigene Wege. Wir wollen mit dem Take Festival dieses neue Designverständnis stärker in die Öffentlichkeit bringen: In diesem Sinne - Take heart! Wie kann man sich den Spagat zwischen Mode und Kunst vorstellen? Für junge Designtalente ist der finanzielle Einsatz und das Anfangsrisiko höher als im Kunstbereich. Während man als Künstler schon mit geringem Material- und Kostenaufwand Beachtung erzielen kann, müssen junge Designerinnen, um überhaupt wahrgenommen zu werden, über jede Menge Startkapital und ein Vertriebssystem verfügen. Daher nähern viele Designer ihre Arbeiten dem Kunstsystem an, da künstlerische Produktion einen größeren Freiraum gewährleistet. 19.–23. April, Wien, Alte Post
Stefan Sagmeister machte sich einen Namen als Großmeister des Grafikdesigns unter anderem mit einer Wand voller Bananen oder einem von Narben übersäten Oberkörper.
Forward Festival Voriges Jahr beehrte Jessica Walsh die Konferenz, dieses Jahr kommt ihr Agenturpartner Stefan Sagmeister, der gerade noch das MAK mit seiner »Happy Show« bespielte, zum Forward Festival für Kreativität, Design und Kommunikation. Und mit ihm alles, was in der Kreativszene Rang und Namen hat. Neben Mirko Borsche, der sein Händchen bei allen deutschen Magazinen, die gut aussehen (Neon bis SZ-Magazin) im Spiel hatte. Bei »Let’s Feed The Moon« dürfen Nachwuchstalente ihre Ideen einreichen und mit etwas Glück ihre Werke auf dem Festival präsentieren und entdeckt werden. 7.–9. April Wien — 9.–10. April München
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TERMINE
FESTIVALS In »Mein Name ist. Ich bin.« erzählen Karim, Krishan, Mahdi, Mohammad Shah, Naqibullah, Reka und Sadat über den nicht immer einfachen Start in einem fremden Land.
45,2 Frauenpower im Line-up: Der Anteil an rein weiblichen und gemischten Acts beim diesjährigen Electric Spring Festival beträgt 45,2 % und kommt damit auf eine Frauenquote, von der andere Festivals nur träumen können.
TEXT Silvia Kluck BILD Marco Scozzaro, Claudia Dworschak, die.fisch.die, Leonie Reese, Sarah Schnauer, Kimmo Pallari
Crossing Europe Lust auf unkonventionelles Kino mal abseits von Berlin, Cannes und Venedig? Im April wird Linz zum Treffpunkt von 160 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen aus ganz Europa. Aktuelle gesellschaftspolitische Themen stehen im Zentrum des Crossing Europe Festival. Mit dem Eröffungsfilm »Mein Name ist. Ich bin.« hätten die Veranstalter wohl kein aktuelleres Thema wählen können. Die Flüchtlingsdoku am Anfang ist nur eines der vielen Werke, die den Titel des Festivals Crossing Europe repräsentieren. 20.–25. April Linz, diverse Locations
Rap Against
Sechs Jahre nach dem ESC-Gewinn schaut es in der Welt des Mr. Lordi nicht mehr so rosig aus.
It’s bigger than HipHop – Das Rap Against spricht sich gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit aus und wird heuer gleich an drei Tagen am Karlsplatz seine Zelte aufschlagen. In Diskussionen und Workshops, aber natürlich auch in Live-Auftritten von Acts wie B.Visible, Nora Mazu, Joshi Mizu oder Kroko Jack auf der Open-Air-Bühne geht es Stereotypen an den Kragen. Darauf sollte man sich fokussieren – aber ein bisschen die »30 feschesten Rapper« anzuhimmeln kann auch nicht schaden. 28.–30. April Wien, Karlsplatz Ort, Venue
Sound Frame
Audiovisuelle Ausdrucksformen in Kunst- und Kulturkontext – das erwartet und bereichert die Besucher des Sound Frame Festival in Wien bereits seit einer Dekade. DJ’s, Live-Acts und Visual Artists wie Ferdinand Glück feiern mit Besuchern und Veranstaltern des Festivals, dessen zehnjähriges Bestehen. Im April kann man dann unter anderem im G’schupften Ferdl Teil der Verbindung zwischen Musik und bewegtem Bild werden. 15.–24. April Wien, verschiedene Locations
Snowbombing
Poolinale Wie könnte man die Band Lordi vergessen, die mit Heavy Metal beim ESC 2006 den 1. Platz erreichte? Auf der diesjährigen Poolinale trifft man die maskierten Finnen wieder. Denn in dem Film »Monsterman« von Antti Haase wird der Aufstieg und Niedergang des Leadsängers Mr. Lordi dokumentiert. Neben der »Tragödie« rund um die schiefe Karriere des Sängers stehen bei dem Poolinale Festival wie immer die besten Filme der letzten Jahre von, mit und über Musiker im Fokus. 14.–17. April Wien, diverse Locations
Dass man in den Bergen nicht nur die Piste hinunterwedeln kann, beweisen die immer mehr werdenden Festivals im Schnee. Das Snowbombing in Mayrhofen tut sich mit einem der besten Line-ups hervor. Neben The Prodigy als Headliner sorgen Bastille, Jungle und Sven Väth für die richtige Beschallung. Für Grime-König Skepta zieht man sich schon mal freiwillig warm an. Wer gar noch Alkohol benötigt, ist in der steilsten Bar in Mayrhofen (Harakiri Bar), gut aufgehoben. 4.–9. April Mayrhofen 061
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TEXT Franz Lichtenegger BILD Anselm Kiefer und Ulrich Ghezzi, Marlene Hausegger, Archiv Block, Faten Rouissi, Tina Herzl, Bert J. Sabourin, Joyce Pensato
Karton wird aus Holz gewonnen, und Holz wird von Anselm Kiefer geschnitten. Die Albertina präsentiert im Frühjahr über 30 seiner Hauptwerke, die sich mit deutscher Geschichte, Kulturgeschichte und Mythologien beschäftigen. Es ist der ganz persönliche Holzweg Kiefers, der als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Künstler unserer Zeit gilt. Gags über den Nachnamen liegen auf der Hand. Dauer: 18. März bis 19. Juni Wien, Albertina
Anselm Kiefer
TERMINE KULTUR
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TERMINE
KULTUR
Part of the game #2 Das Prinzip der Reihe ist schnell erklärt: Vier junge steirische Künstler stellen für jeweils zwei Wochen ihre Arbeiten aus, nach einer Woche kommt ein / e Zweite/r aus dem Quartett hinzu – es wird quasi abgeklatscht. Den Anfang macht Marlene Hausegger, bevor Marlene Stoisser dazustößt, die dann wiederum von Markus Wilfling Gesellschaft bekommt. Schlusslicht bildet Keyvan Paydar. Vier gewinnt. Dauer: 10. März bis 13. April Graz, Kunsthalle
Ich kenne kein Weekend
TEXT Franz Lichtenegger BILD Anselm Kiefer und Ulrich Ghezzi, Marlene Hausegger, Archiv Block, Faten Rouissi, Tina Herzl, Bert J. Sabourin, Joyce Pensato
Aufspüren, Zeigen, Sammeln und Ausstellen. Der Berliner Galerist und Ausstellungsmacher René Block hat mit seiner Arbeit als Kurator moderne Kunstgeschichte geschrieben, jetzt wird er plötzlich selbst zur Kunst. »Ich kenne kein Weekend« hat den wohl schönsten Titel das Jahres und vereint Werke und Lieblingsstücke aus Blocks Laufbahn mit Dokumenten, Fotografien und Filmen aus seinem Archiv. Eröffnung: 17. März, 19.00 Uhr. Dauer: 18. März bis 5. Juni Linz, Lentos
The Turn المنعرج
Kein Turn Up, aber eine Wendung, ein Umbruch: Ausgehend von der Arabischen Revolution werden im Kunstraum Niederösterreich Interventionen gezeigt, in denen Künstler als Akteure der Zivilgesellschaft – ein Paradigmenwechsel, den die Demokratiebewegung mit sich gebracht hat. Präsentiert werden auch Performance- und Installationsrelikte. Was genau das sein soll, muss man selbst herausfinden. Eröffnung: 17. März, 19.00 Uhr. Dauer: 18. März bis 14. Mai Wien, Kunstraum Niederösterreich
Stefan Sandner Das, was wir auf College-Blöcken machen, macht Stefan Sandner auf großformatigen Leinwänden, und er macht es gut. Während unsereins spontane Gedankengänge in Notizen, abstrakte Kritzeleien und wirre Linien übersetzt, sind es bei dem Wiener Abbilder längst vergangener Handlungen, die er in seinen Skizzen reflektiert – oder, wie er sie selbst viel treffender bezeichnet, »Realitätspartikel«. Dauer: 13. März bis 19. Juni Krems, Kunsthalle
Kunst-Musik-Tanz Dass Krumping auch in den 20ern schon ein Ding war, beweisen Fotos aus den Derra de Moroda Dance-Archiven der Universität Salzburg. Inhalte daraus dienen als Ausgangspunkt für eine Ausstellung, in der eine Verbindung von Tanz und Choreografie zu heutiger Kunst geschaffen werden soll. Den Archivbeständen werden eigens dafür beauftragte Werke zeitgenössischer Künstler gegenübergestellt. Dauer: 19. März bis 3. Juli Salzburg, Museum der Moderne
Joyce Pensato Wenn die Gesichter von Homer Simpson, Donald Duck und Mickey Mouse plötzlich so aussehen, als hätte ein Psychopath sie mit Blut an die Wände geschmiert, aber auf eine verstörend schöne Art und Weise, dann war Joyce Pensato am Werk. Die Ausstellung im Kunstraum Innsbruck trägt den Titel »Later is now« und wartet mit neuen Werken im bekannten Stil der New Yorkerin auf. Auch mit dabei: Batman. Dauer: 2. April bis 21. Mai Innsbruck, Kunstraum 063
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T ermine
G alerien
Mangelos – »Der Geist ist die Memorie«, M. 8, (1971–1977, Fotografie, Detail)
Manfred Bockelmann, »Love Tree«, (o. J., Fotographie, Detail)
Der Geist ist die Memoire
Fotoapparat als Skizzenblock
Postmoderne: alles beeinflusst alles, alles war vorher da, »Der Fotoapparat wird zum Skizzenblock meiner Malerei« querdenken kann man nicht, man muss. Die Ausstellung – Maler und Fotograf Manfred Bockelmann wird in der Gale»Der Geist ist die Memoire« zeigt die Arbeiten von acht rie Frey in Salzburg eine Einzelausstellung gewidmet. Seine Künstlern aus Zagreb, von den 1960ern bis heute. Mittel- Karriere startete in München als Fotograf für große Magapunkt ist die Auseinandersetzung der jeweiligen Arbeiten zine. Ein Zusammentreffen mit Friedensreich Hundertwasser mit wieder anderen Arbeiten aus den Bereichen der Kunst, inspirierte Bockelmann erstmals zu einer Synthese aus Fotoder Literatur, der Philosophie, der Physik, des Films. Man- grafie und Malerei – seither pendelt der Künstler zwischen gelos »Manifesto«, das ein bisschen den Leitfaden bereit- diesen beiden Medien hin und her. Das Landschaftsmotiv ist stellt, begibt sich in Dialog mit einer Reihe von Charakteren seit einer Mitte der 70er Jahre unternommenen Safari durch aus den Natur- und Kulturwissenschaften. So korrigiert er Ostafrika zum zentralen Thema geworden. »Love Tree« zeigt Hegels Dialektik von Sein und Nichts, adaptiert Freud’sche beides, Leinwand und fotografische Arbeiten. Spannend Thesen, kommentiert Heisenberg. Die gezeigten Arbeiten auch deshalb, weil einige in der Ausstellung gezeigte Werke sollen, dem »Geist der Memoire« entsprechend, eine Ausei- in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Maja Haderlap nandersetzung mit dem künstlerischen und soziopolitischen entstanden sind: sie hat zu den Fotografien Texte geschrieErbe der jeweiligen Künstler darstellen. bis 16. April Wien, ben, die ebenfalls ausgestellt sind. ab 18. März Salzburg, Galerie Frey Galerie Martin Janda
Kärnten
TEXT Lisa Schneider BILD Galerie Martin Janda, Manfred Bockelmann
Licht.Blicke II Galerie de la Tour bis 5. April
Oberösterreich
Eva Schlegel Galerie 422 ab 19. März Achim Freyer – Moritz Nitsche Galerie Brunnhofer ab 14. März
Salzburg
Heinz Stangl Galerie Welz ab 16. März Heribert C. Ottersbach Galerie Thomas Salis bis 21. Mai
Steiermark
Augenblicke Galerie Schafezky bis 29. März
Tirol
Fedor Fischer – Florian Freihoefer – Malerei und Licht artdepot (Kitzbühel) bis 9. April Anna Kolodziejska – Beweisstücke Galerie Bernd Kugler bis 16. April
Wien
Anita Leisz Galerie Meyer Kainer bis 16. April Thomas Feuerstein – The World Galerie Elisabeth & Klaus Thoman bis 23. April Sofya Tatarinova. From Russia with love Galerie Reinthaler bis 30. April Özlem Altin – Hole or screen (her body, a fragment) Galerie Raum mit Licht ab 18. März
Kunsthalle Wien Museumsquartier
11/3 – 29/5 2016 #Automation Maschinen und Roboter sind Teil unseres Lebens und ersetzen mehr und mehr den Menschen. Ist das Versprechen der totalen Automatisierung Fluch oder Segen? Und wie reagiert die Kunst auf das neue Verhältnis zwischen Mensch und Maschine? The Promise of Total Automation zeigt die sozialen und politischen Auswirkungen der Automatisierung von Beginn der Industriellen Revolution bis in die digitale Zukunft. Mehr als dreißig künstlerische Positionen, die in der Ausstellung mit technischen Objekten in Dialog treten, beschäftigen sich mit den Veränderungen unserer Lebens- und Arbeitswelt durch Automatisierung und Digitalisierung. www.kunsthallewien.at
Credit: Magali Reus, Leaves (Scout, April), 2015, Courtesy die Künstlerin und The Approach, London, Foto: Plastiques Photography
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Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.
REKUNSTRUKTION
M
illustration Jakob Kirchmayr
ittlerweile kenne ich mich doch schon soweit so gut, dass ich mir wichtig Erscheinendes notiere. Meistens auf Schmierzettel, die ich dann irgendwo in einer Jacken- oder Hosentasche versenke. Einmal in der Woche, oder wann eben sonst Waschtag ist, räume ich dann alle Säcke und Taschen leer und schau nach, was ich im Verlauf der letzten Tage so zusammengeschmiert habe. Vieles ergibt auf den ersten Blick dann keinen Sinn mehr. Das ist auch wenig verwunderlich, denn üblicherweise bin ich eher in einem nicht mehr ganz zurechnungsfähigen Stadium, wenn ich zu kritzeln beginne. Es ist mir aber ein durchaus freudiger Kraftakt, diese Irrlichter des Rausches, diese unsinnig erscheinenden Fetzen, wieder zusammenzubauen.
Rosenverkäufer, Ehering, Fleischtunnel, blinkiblinki, Start-up, Sparschiene, Kinderverleih, Linsen, Speck, Knödelbrot, Ei, keine Zwiebel, kein Majoran, kein Fränz. Das wären so die Beispiele, die sich in der Kalenderwoche neun angesammelt haben. Die Sache mit den Linsen, Speck, Knödelbrot, Ei, keine Zwiebel, kein Majoran, kein Fränz lässt sich schnell erklären. Hier handelt es sich eindeutig um eine Einkaufsliste. Zurecht darf man sich aber wundern, warum ein Mensch auf eine Einkaufsliste auch Dinge drauf schreibt, die er nicht kaufen will. »Ist denn das nicht ein bisschen ineffizient?«, höre ich da den einen oder anderen aus seiner Optimierungsfalle heraus unken. Ja, durchaus. Aber aus irgendeinem Impuls kann ich an Zwiebeln und Majoran nicht vorbeigehen, ohne sie in den Einkaufskorb zu werfen. Sie lustvoll und bedenkenlos zu shoppen macht mich horny. Deshalb muss ich mich beizeiten daran erinnern, diese Dinge eben nicht zu kaufen. Ich glaube, das gehört einmal therapiert. Ich habe bis dato keinen Menschen getroffen, der beim Kauf von Zwiebeln und Majoran spitz wie Nachbars Lumpi wird. Es gab Momente, da hatte ich in der Küche über sieben Kilo Zwiebel herumkugeln und im Gewürzregal fast 500 Gramm Majoran gehamstert. Aus Platzgründen – ich bin ja praktisch veranlagt – war der Majoran in einen wiederverschließbaren Ruck-Zuck-Beutel von Toppitz geschüttet,
was mich beinahe in Teufelsküche brachte, weil meine Mutter, als sie auf Besuch war und ihren geschulten Mutter-Blick überall schweifen ließ, meinte, ich hätte ein gröberes Drogenproblem. »Was hat es aber mit diesem kein Fränz auf sich?«, höre ich jetzt in mir einen berechtigten Einwurf. Nun, das soll mich dran erinnern, Supermärkte von Merkur großräumig zu umschiffen. Ich kriege nämlich große innere Unruhe, wenn ich an diese komische Werbefigur Fränz denke, die jetzt für Merkur wirbt. Lieb und kuschelig spielt er problemlos in der Liga der Bösen mit. Die wird ex aequo angeführt von der Familie Putz und diesem Schärdinand. Ich möchte sie alle gerne in Molke ertränken. Zusammen mit dem Fränz. Denn der Fränz hat so ziemlich alle Zutaten, die eine richtige Pfeife braucht: Er verwechselt Aufdringlichkeit mit Charme, seine Hilfsbereitschaft gleicht eher Entgrenzungen auf Ketamin und er will nirgendwo anecken. Ist es doch das Wichtigste für Fränz, sich Freunde zu machen. Nur, der Fränz ist kein Freund, denn hinter der Fassade als Soft-Skills-gestählter Everybody’s Darling treibt er ein perfides Spiel mit Ängsten. Niemand ist gerne allein. Das weiß der Fränz und sympathisiert sich als eine Art Fleisch gewordenes Dauer-Like im Outfit eines verhaltensoriginellen Lindy-Hoppers windelweich durchs Leben. Egal. Wichtiger, auch für den Fortgang dieser Kolumne hier, sind nämlich die Stichworte Rosenverkäufer, Ehering, Fleischtunnel, blinkiblinki, Start-up, Sparschiene und Kinderverleih. Bei Fleischtunnel muss ich sofort ein bisschen schmutzig in mich hinein grinsen. Gut, das musste ich auch schon bei Ruck-Zuck-Beutel von Toppitz. Da hatte ich einen zu schnell ejakulierenden DJ vor meinem inneren Auge. Aber das wollte ich dort oben nicht gleich erwähnen, weil im Satz drinnen auch meine Mutter vorkam. Mittlerweile kenne mich aber doch schon so weit so gut, dass ich da sicher nichts Untergürtelliniges im Sinn hatte. So einen Unsinn schreibe ich nämlich gar nicht mehr unbedingt auf. Ich trage genug Synonyme für weibliche und männliche Geschlechtsteile mit mir herum. Ich schöpfe in dieser Hinsicht aus dem Vollen.
Und so toll ist jetzt Fleischtunnel als Wort auch nicht, dass man es in ein Gespräch, das u. U. ans Eingemachte geht, einbauen möchte. »Und, hattest du die Möglichkeit, deinen Schmelzaal durch den Fleischtunnel zittern zu lassen?« Das klingt so ungustiös, wie diese Eierbären ausschauen, die sich riesige Ösen ins Ohrwaschel reinmachen lassen. Fachterminus dafür übrigens: Flesh-Tunnel. Ahh, jetzt hab ich es wieder. FleshTunnel / Fleischtunnel, das war es. Seit ich einen Ehering trage, lassen mich Rosenverkäufer nicht mehr in Ruhe, wenn ich eine kleine Sauftour mache. Sie gehen wohl davon aus, dass ich zu Hause von einer ollen Berta hinterm Türstock mit dem Nudelholz erwartet werde und es wohl sinnvoll ist, zur Wahrung des Burgfriedens mit einem feinen Bukett Rosen die Aufwartung zu machen. Das ist kurz und falsch gedacht und passt wohl eher in die Szenerie eines dummen Seiler & SpeerSongs. Viel besser wäre es nämlich, dachte ich, wenn man sich so einen Ehering als Flinserl oder gleich als Flesh-Tunnel ins Ohrlapperl reinjaukt. Dann sieht man nicht gleich, dass man offiziell nicht mehr am Markt ist. In dem Moment schoss mir dann eine Start-up-Idee ins Hirn. Deren habe ich übrigens viele. Zum Beispiel wollte ich einmal für Sparefrohs und Geizkrägen, die gerne mit der ÖBB fahren, aber nicht in den Genuss eines Family-Tickets kommen, weil sie keinen Nachwuchs haben, einen Kinderverleih aufziehen. Man borgt sich am Bahnhof einen Kevin, oder einen Miguel oder eine Loreley aus und kriegt das Ticket dann zum halben Preis. Ist wie Uber oder Airbnb, nur wird halt der öffentliche Nahverkehr geprellt. Meine eigentliche Start-up-Idee ist aber eine andere und hat etwas mit blinkiblinki zu tun. Sie ist allerdings so super, dass ich den Teufel tun werde, sie hier zu erzählen. Die ist nämlich besser als Airbnb, Uber und der ÖBB-Kinderverleih zusammen.
Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly
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MATTHÄUS BÄR DIE BLUMENGESCHICHTE: MUSIKTHEATER MIT DIE STROTTERN CRY BABY • KIDS N CATS MUSIK- UND KOCH-WORKSHOPS • KONZERTE • KINDERDISCO • DJS • THEATER • UND VIELES, VIELES MEHR!
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