The Gap 160

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Marktplatz Liebe

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N° 160

AUSGABE dezember 2016 / jÄNNEr 2017 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. | GZ 05Z036212 M


Entgeltliche Einschaltung

WIEN WÄHLT: BUNDESPRÄSIDENTENWAHL 2016 – WIEDERHOLUNG DER STICHWAHL

DEIN STIM E DEIN ME. E WA HL. BUND Geh zur Wahl – denn Deine Stimme zählt! Bei der Wiederholung der Stichwahl der Bundespräsidentenwahl dürfen in Wien alle Österreicherinnen und Österreicher wählen, die bis zum 4. Dezember 2000 geboren wurden und am Stichtag, dem 27. September 2016, ihren Hauptwohnsitz in Wien hatten.

E SPR Ä

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4.12. IDENTENWAHL 2016

Jetzt informieren unter: Tel. 01/525 50 (auch am Samstag von 8 bis 16 Uhr und Sonntag von 7 bis 17 Uhr) www.wahlen.wien.at | www.wienwillswissen.at

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Editorial Nostalgia sucks!

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Thomas Weber Chefredakteurin Amira Ben Saoud Stv. Chefredakteurin Yasmin Vihaus Leitende Redakteure Manuel Fronhofer, Manfred Gram, Martin Mühl

Man ertappt sich eh selbst dabei: Neulich am dritten Tag ohne Zigaretten, Geduld ergo enden wollend, Schauplatz Riesen-Spar am Hauptbahnhof, genauer: in der Schokoladeabteilung – da habe ich mich schon gefragt, ob die Welt ohne »Rittersport Pfefferminz« oder »Milka bunte Kakaolinsen« nicht doch eine etwas bessere wäre, was eigentlich aus normal großen Supermärkten geworden ist und ob der Südbahnhof in seiner ultimativen Grindigkeit nicht noch immer ein bisschen charmanter war als der neue Hauptbahnhof. Einmal auf Nostalgie reingekippt, zieht sie einen mit ihren zarten Klauen zurück in die schöne Vergangenheit, wo alles gut, ja vielleicht sogar great war. Und dabei ist es völlig irrelevant, wie lange diese Vergangenheit her ist: Dinge und Ereignisse, die man vielleicht gar nicht selbst erlebt hat und oft nur sehr schwer beurteilen kann, wie auch Erlebnisse, die erst wenige Tage her sind – alles fasst die Nostalgie unter ihrem nivellierenden »damals« zusammen. Wenn #tbt drüber steht, haben deine Fotos von vor drei Tagen gleich wieder so viel mehr Berechtigung, mehr Aura – denn sie gehören jetzt der Vergangenheit an, nein, einer glanzvolleren Zeit. Dass Nostalgie problematisch wird, sobald sie im Sinne von »früher war alles besser (und wir wollen es wieder genau so)« pauschalisiert und verklärt sowie reaktionäre Züge annimmt, muss man vielleicht nicht extra erwähnen. Trotzdem ist es ganz spannend, sich bewusst zu machen, wie sehr die ganze Entertainment-Industrie gerade auf Nostalgie setzt, wie voll der eigene News-Feed mit einer neu aufgelegten Vergangenheit ist: Sei es Nes Mini, Gilmore Girls oder jeder Artikel, dessen Titel »eine Liste der 36 Dinge, die du nur kennst, wenn du in den 90ern aufgewachsen bist« lautet. Der Markt dafür ist riesig. Und der Grat zwischen harmloser Verehrung von MCHammer-Hosen und unreflektierter Verweigerung der – jo, eh – ungewissen Zukunft ist schmal. (Die aktuelle »Southpark«-Staffel beschäftigt sich unter anderem mit Nostalgie. Empfehlung!).

Amira Ben Saoud

Die Chefredakteurin schreibt hier zumeist über Medienthemen bensaoud@thegap.at • @oidaamira

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Gestaltung Sig Ganhoer, Erli Grünzweil, Michael Mickl Autoren dieser Ausgabe Amira Ben Saoud, Jakob Bouchal, Leo Dworschak, Barbara Fohringer, Manuel Fronhofer, Pia Gärtner, Nikolaus Ganahl, Manfred Gram, Barbara Kattavenos, Franz Lichtenegger, Magdalena Meergraf, Martin Mühl, Nadine Obermüller, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Magdalena Reuss, Gabriel Roland, Werner Sturmberger, Yasmin Vihaus, Jonas Vogt, Theresa Ziegler Kontributoren dieser Ausgabe Bureau F, felografie, Julius Handl, Ohne, Julya Rabinowich, Teresa Reiter, Bernadette Schmatzer, Marianne Vlaschits Kolumnisten Astrid Exner, Jonas Vogt, Gabriel Roland, Martin Mühl, Illbilly Fotografen dieser Ausgabe Marlene Mautner Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer Anzeigen Christoph Adamek, Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Clemens Reichholf, Gabriel Roland, Bernadette Schmatzer, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Pulverturmgasse 3, 1090 Wien Geschäftsführung Martin Mühl Produktion & Medieninhaberin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien Kontakt The Gap c/o Monopol GmbH Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Monopol GmbH, Bank Austria, IBAN AT 54 1200 0515 8200 1929, BIC BKAUATWW Abonnement 10 Ausgaben; Euro 19,— www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Magazin (Special Liebe & Sex) 014

Marktplatz Liebe Wenn Beziehung nach Wirtschaft klingt

018 Von der Sinnlichkeit der Blume Georgia O’Keeffe im Kunstforum 020 Die 20 interessantesten FotografInnen Österreichs Teil 2 028 Fucking Machines Wie Sex die Tech-Szene beeinflusst 030 Der Sex, den man nicht sieht Hollywood und PG-13

032 Liebe deine Arbeit! Laura Karasinski im Porträt 036 Empört Euch (nicht)! Debattenkultur im Netz 038 Unbeschwertes Drauflos Wiens schnelle Jahre als Buch 040 Hier könnte ein Kunstwerk stehen Die Chancen des 21er Haus 042 100 Jahre Porno in Österreich Wie sich ein Land erregte

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Magdalena Reuss hat ihre Laufbahn in der modernen Kunst begonnen und in der Naturwissenschaft fortgesetzt und begeistert sich nach wie vor für bemalte Oberflächen und FrauenPower in der Kunst. Und Blumen mag sie auch. Seite 018

Leonard Dworschak ist während seiner Filmgeek-Ausbildung zum Anglisten geworden. Schreibt nach leidenschaftlicher Sinnsuche im Musik-Biz hauptberuflich über Kino und Co. Für uns hat er sich auf die Suche nach heruntergelassenen Hosen in PG-13-Filmen gemacht. Seite 030

040 Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Leitweber 007 Mein liebster Feind: Ohne 009 Insta-Takeover: felografie 012 Illustration: Bureau F Lieblingswitz: Julya Rabinowich 044 Prosa: Amy Schumer 046 Workstation: Anna Ehrlich Woodsaw 050 Gewinnen 051 Rezensionen 058 Termine

Amira Ben Saoud hatte vergessen, wie unglaublich anstrengend es ist, eine Coverstory zu schreiben. Sogar wenn es dabei um Liebe geht. Wie ökonomisch das Sprechen über Romantik geworden ist, hat die Chefredakteurin ab Seite 014 erfühlt.

Nikolaus Ganahl hat nach seinem Jusstudium einige Jahre im Kulturbereich gearbeitet und seine Masterarbeit zum Thema »Compliance im österreichischen Kulturbetrieb« verfasst. Für uns hat er sich mit Vergangenheit und Zukunft des 21er Hauses beschäftigt. Seite 040

Yasmin Vihaus

Kolumnen 008 Club Status: Jonas Vogt 009 Gender Gap: Astrid Exner 010 Lokaljournalismus: Martin Mühl 011 Einteiler: Gabriel Roland 066 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly

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schreibt neben Clubkultur, Politik und Netzkultur auch gerne über Themen, die sonst eher in die NerdEcke gestellt werden. Dort verortet ist auch die Sex-Tech-Szene, mit der sie sich im aktuellen Heft auseinandersetzt. Seite 028

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Thomas Weber

ist Herausgeber von The Gap und Biorama

2021 wird Temeswar – völlig zurecht – europäische Kulturhauptstadt sein. Das große Herausputzen hat längst begonnen. Schon heute ist ein Besuch in der west­ rumänischen Studentenstadt eine Reise in die Zukunft: In ihr gibt es intelligentes urbanes Leben weitgehend ohne Print-Me­ dien. ———— Kaum ein Lokal in Temeswar hält

für seine Gäste Zeitschriften und Magazine parat. 2014 war mir das – erstmals ein paar Tage in der westrumänischen Stadt – noch nicht aufgefallen. Im Spätherbst 2016 – die Stadt hatte sich in den zurückliegenden 24 Monaten ordentlich herausgeputzt, man muss sogar sagen: sich prächtig entwickelt; soeben war die Entscheidung gefallen, dass die Bewerbung als europäische Kulturhauptstadt 2021 erfolgreich war – da war die Sache plötzlich offensichtlich. Überall frische Cafés, renovierte Restaurants, Bars, Beisln und Bierhäuser, neu eröffnete Konditoreien, die sich als kitschige Concept Stores für den Zuckerschock inszenieren – aber nirgendwo Zeitschriften oder Magazine. Nicht mal das sonst in aller Welt beliebte Hochglanzwerbeumfeld mit PR-Geschreibsel zwischen den Produktplatzierungen. Nix davon. Auch wenn vielen bei uns die knappe sechs Autostunden von Wien entfernte Stadt (noch) nichts sagt: Temeswar ist kein beschauliches rumänisches Provinzstädtchen, sondern eine Studentenstadt. Eine Stadt, im Vergleich zu welcher das 2003 Kulturhauptstadt gewesene Graz – selbst was das kulturelle Angebot angeht – plötzlich sehr »steirisch« wirkt. Von Linz (2009 Kulturhauptstadt) gar nicht erst

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zu reden. An fünf Tagen im Oktober habe ich dort das erste Vest Fest (ein neues HipHopFestival) besucht und drei internationale, zwei davon deutschsprachige Theaterproduktionen gesehen (eine davon vom Wiener Regisseur Volker Schmidt). Das Eurothalia Festival ist vergleichbar mit den Wiener Festwochen. Die Stadt hat – als einzige europäische Stadt – drei Nationaltheater (ein rumänisches, ein deutsches, ein ungarisches). Gleichzeitig waren die gerade stattfindenden Barockmusiktage, ein Kurzfilmfestival, Ausstellungen und Konzerte plakatiert. Warum ich das alles erwähne: Temeswar ist wahrlich eine europäische Kulturstadt; hier nahm 1989 die rumänische Revolution ihren Anfang; hier gibt es auch traditionell eine gebildete Schicht, ein umfassendes kulturelles Angebot. Aber keinerlei nennenswerte Presse. Das muss einen wundern. Vor allem, weil es – auf Nachfrage bei Menschen, die hier leben, kulturell aktiv sind, sich engagieren – auch online kaum ein Angebot gibt. Dabei wäre das Stadtleben sonst höchst vital und auch die Werbewelt hyperaktiv. Nirgendwo sonst hätte ich anschaulicher gesehen, dass Cider gerade zum nächsten große Ding am Getränkemarkt hochgeschaukelt wird. Und die Bier- und Softdrinkkonzerne lassen keine Möglichkeit aus, sich ihre Marktanteile zu sichern. Gerade die schicksten Lokale listen ihr diesbezügliches Angebot nicht auf Speisekarten, sondern servieren ihren Gästen zum Gustieren ein Tablet. So ein Touchscreen verdreckt zwar schnell, suggeriert aber vor allem Modernität und ver-

mittelt eine Ahnung davon, wohin wohl auch bei uns die Reise hingeht.

Zurück in Wien Kaum ein Lokal, das halbwegs auf sich hält, hat für seine Gäste nicht auch ein paar Zeitschriften und Magazine parat. Die gern von Touristen aufgesuchte »Kaffeehauskultur« mag diesbezüglich mancherorts ein wenig an Vielfalt eingebüßt haben. In den besseren Cafés der Stadt stapeln sich aber auch anno 2016 ganze Tische mit internationalen Zeitungen. Und wer sich im Prückel oder Weimar, im Armacord oder Sperl umschaut, der sieht dort klarerweise manche Zeitgenossen über Touchscreens wischen, aber auch: dass das Gedruckte gern gelesen wird. In den Vorstadtwirtshäusern sind internationale Titel spärlicher gesät, aber irgendwas zum Lesen findet sich immer. In den Lokalen der Stunde wiederum stapeln sich meist irgendwo im Eck kunstsinnigere Titel, Kulinarikheftl, vielleicht liegen wo ein paar alte Ausgaben Geo herum. Ja, es ist kein Geheimnis, dass wir Österreicher im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gern zu Print greifen. Ob das auch 2021 noch der Fall ist, werden wir sehen. Dass spätestens 2021 auch in Temeswar Gedrucktes kursiert, darauf würde ich allerdings wetten. Die Stadt entwickelt sich eben prächtig. weber@thegap.at • @th_weber

Jürgen Schmücking

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Leitweber Kaffeehauskultur 2021

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€3,- Gutschein: Erdbeergap

www.erdbeerwoche-shop.com

Gutscheinwert von €3,- nicht in bar ablösbar. Gültig bis 31.1.2017. Mindestbestellwert €30,-

Mein liebster Feind Das Kondom

Manchmal meine Rüstung, dann wieder mein Gefängnis. Schützt mich vor mir selbst. Vor dummen Entscheidungen. Und einem bösen Erwachen. Wie oft hab ich dich vermisst. Hektisch gesucht. Wechseln müssen und verflucht. Als wir uns kennenlernten, war jedes Treffen noch besonders. Hab dich nicht verstanden. Wusste nicht, wo anfangen. Hast meine Ausdauer erhöht. Der Trainer aus der Hosentasche. Heute bist du Alltag geworden. Und trotzdem teilen ich mit dir immer noch die schönsten Stunden. Will nicht ohne dich leben. Sorgst dafür,

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dass 1 + 1 nicht 3 wird. Würde mir oft wünschen, dass mehr Menschen auf dich vertrauen. Mit dir durchs Leben gehen. Warst du doch immer verlässlich für mich da. Denn selbst wenn du einen Termin platzen oder mich wieder mal zu spät kommen lässt. Bist du immer noch besser. Als alle Krankheiten der Welt. Auch wenn wir uns streiten, für ein paar Monate nicht sehen. Kann ich mich darauf verlassen, dass du da bist. Wenn ich wieder mal nicht alleine schlafen will.

Ohne Lyrische Kurzprosa oder pathetische Sprücheseite? Seit Ende 2013 hat der Mensch hinter Ohne über tausend kleine Texte im Internet liegen gelassen. ohne.website

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Jonas Vogt

schreibt an dieser Stelle über österreichische Clubkultur

Charts Julius Handl TOP 10

Zubereitungsarten einer Kartoffel 01 Püree 02 Gratin 03 Rösti 04 Püree (zu gut) 05 Gulasch 06 Curly Fries 07 Wedges 08 Petersilkartoffeln 09 Kroketten 10 Ofenkartoffel

Clubstatus 2016, alphabetisch

Top 03

der in diesem Jahr gelesenen Bücher 01 Christopher Isherwood – Goodbye To Berlin 02 Zygmunt Bauman – Die Angst vor den anderen 03 Teresa Präauer – Johnny und Jean Auch nicht schlecht: »Before The Flood« von und mit Leo DiCaprio.

Charts Teresa Reiter 10

von 142 Journalist_innen, die derzeit in der Türkei in Haft sind 01 Ayşe Nazlı Ilıcak 02 Arda Akin 03 Emre Soncan 04 Ali Akkus 05 Ahmet T. Alkan 06 Mumtazer Turkone 07 Bürşra Erdal 08 Bülent Mumay 09 Nuriye Akman 10 Abdullah Kilic

Top 03

Weltretterjobs 01 Lehrer_in 02 Jugendsozialarbeiter_in 03 @moser_at Auch nicht schlecht: Ziegen Teresa Reiter war lange Journalistin und ist nach wie vor unter @_schwindelfrei_ viel zu viel auf Twitter.

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Um diese Zeit herum häufen sich die Jahresrückblicke. Manche davon sind klug, durchdacht und sprachlich ausgezeichnet. Das hier ist einer der anderen. Immer, wenn sich das Jahr dem Ende zuneigt, gehen die unvermeidlichen Rückblicke los. Auch hier. Wobei das für 2016 nicht wirklich einfach ist. Es war halt ein Jahr, weder super gut noch schlecht. So ist das manchmal. Hier ein notizartiges A-Z dazu. Abschied und Neuanfang feierte die Pratersauna. Gemeinsam mit ihrem Bruder Vie i pee schreckt sie Puristen der »alten Garde« eher ab. Kann ihr aber vermutlich recht wurscht sein, ihre Chance ist halt die nächste Generation. Das Curtain machte nach dem Theater um das Jessas ohne viel Tamtam auf. Der Hades auch, schließt allerdings Ende des Jahres schon wieder. Für das Leopold ist jetzt bald Schluss. Bei allem, was man dagegen sagen konnte – hell, heiß, etwas seltsames Laufpublikum – wird es in der schwindenden Wiener Clublandschaft fehlen. Die Grelle Forelle hingegen wird im Dezember bereits fünf Jahre alt. Da kann man echt nur den Hut ziehen. In den Clubs lief vermehrt Grime, die Veranstalter sagen wieder öfter »Ja« zum Roxy, auch wegen der super Konditionen. Leise schloß im Sommer der Transporter seine Türen. Manche, vor allem aus der Indieszene, finden das sehr schade. Nach 2015, wo gefühlt plötzlich alles im Celeste war, ist es um den Club heuer ein bisschen ruhiger geworden. Dafür profitieren Opera und Titanic trotz teilweise suboptimaler Soundanlage davon, mittlerweile die einzigen zentral gelegenen Midsize-Clubs zu sein. Passt schon, irgendwie. Quasi unverwüstlich zieht Rhinoplasty seine Kreise. Sehr beneidenswert, so ein funktionierendes System hätten viele gerne. Aber auch andere Trashpartys liefen immer noch gut. Die Konkurrenz grummelt, aber um die muss man sich eh nicht kümmern. Die Underground-Fahne hält weiterhin das Werk hoch, und es riecht auch gar nicht mehr so nach Urin. Vielleicht war diese alphabetische Sache doch eine ziemlich blöde Idee für eine Kolumne. Was fehlt jetzt noch, abgesehen von X, Y und Z? Donnerstage werden immer schwieriger. Und Tod und Hass den kleinen Bieren. Kommt gut ins 2017. vogt@thegap.at • @L4ndvogt

Nina Keinrath, Max Halberstadt / Wikimedia Commons / Public Domain

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Julius schreibt gern, kocht am liebsten Nudeln und betreibt mit anderen das Magazin Gehirnsturm.

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus

Insta-Takeover @felografie

Gender Gap Come on, Freud

Nach Felix’ etwas turbulentem Start in Wien war es höchste Zeit, die Stadt zu erkunden. Trotz Kälte und Nässe ist es cool zu sehen, wie sich die Stadt herbstlich färbt.

In der Wiener Berggasse sind ja einige Dummheiten begangen worden. Mit dem wissenschaftlichen Flair der von ihm begründeten Psychoanalyse hat sich Sigmund Freud nicht nur seine haarsträubende Theorie zum »Penisneid« einfallen lassen. Hier hat er auch sehr fantasievolle Ideen über den weiblichen Orgasmus zu Papier gebracht, die er wohl nie einem Faktencheck unterzogen hat. Sie haben sich trotzdem ins kollektive Gedächtnis eingeschlichen und können einem noch heute das Leben schwer machen. Danke für nichts, Freud! Dem großen Sohn der Republik ist es mitanzulasten, dass es oft zu Missverständnissen kommt, wenn Frauen durch penetrativen Sex alleine keinen Höhepunkt erreichen. Und das auch noch ein Jahrhundert nach seiner einflussreichen, aber leider nicht in der Realität verankerten Vorstellung vom »erwachsenen« vaginalen Orgasmus, der vermeintlich wünschenswerter als der »unreife« klitorale sei. Geh, Freud. Es gibt kein Orgasmus-Ranking, erstens, weil sie alle toll sind, und zweitens hast du einfach null Ahnung von der weiblichen Anatomie. Wer sich dafür umso mehr auskennt, ist die Sexualforscherin Lindsey Doe. Sie betreibt den niederschwelligen Youtube-Kanal »sexplanations«. Dort holt sie wissbegierige Jugendliche ab und bietet ihnen eine humorvolle Alternative zur autodidaktischen, aber eben auch unrealistischen Form des Lernens durch Pornhub. Mehr noch, sie erzählt selbst Matratzensporterprobten jede Menge Neues. So macht Doe in einem ihrer Videos deutlich, dass anatomisch gesehen alle Orgasmen gleichen Ursprungs sind. Sie beschreibt, wie hier ein patriarchales System am Werk ist, das ausgehend von Freud behauptet, ein vaginaler, durch Rein-Raus hervorgerufener Orgasmus wäre das einzig Wahre, während das für die weibliche Lust zuständige Organ in Wirklichkeit die Klitoris ist. Freud, bitte schämen gehen. exner@thegap.at • walzerkoenige

Sieht man mir nicht an, ist aber so: Habe mal den ersten Platz beim Abschlussrennen meiner Kinderskischule gewonnen! Am schwersten auf einem Foto festzuhalten: Emotionen Liebste Foto-App: Instagram Liebster Hashtag: #killeverygram Drei Follow-Empfehlungen: @daniel_ernst, @fabolus_vienna, @kidkutsmedia Schaue oder höre ich nur hinter zugezogenen Vorhängen: Cougar Town, Haftbefehl Würd’ ich mir tätowieren: Ein Herz mit »Mama« drin Saidnooneever: Eine Pizzaschnitte mit Schinken ohne Mais bitte! Felix Hohagen erkundete die letzten eineinhalb Jahre den Globus und landete schlussendlich in Wien. In seinem Takeover zeigt er uns, wie es auf seinen Reisen aussah und wie er hierher kam. Die Community schenkte trotz der atemraubenden Reisefotos des Weltenbummlers einem Shot der neuen Wiener Heimat die meisten Likes.

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Einmal pro Ausgabe bitten wir interessante Menschen, unseren Instagram-Account @thegapmag für zehn Tage zu übernehmen. Das meistgelikte Foto gibt’s hier.

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Martin Mühl isst sich durch Wien

Charts Bernadette Schmatzer TOP 10

Prägende TV-Show-Erlebnisse 01 Mini Playback Show 02 Curiosity Show 03 Die 100.000 Mark Show 04 Diverse Linda de Mol Shows 05 Fort Boyard 06 Die Rudi Carell Show 07 Confetti TV Show 08 Dalli Dalli 09 Der Preis ist heiß 10 Ruck Zuck

Lokaljournalismus Bao Bar

Top 03

Tartan Clan Check-Muster 01 Fraser 02 Barclay 03 Stewart Auch nicht schlecht: Taktisches Kalkül

Charts Marianne Vlaschits TOP 10

Dinge, die gut brennen 01 Kirchen 02 Banken 03 Buden 04 Mauern 05 Das Patriarchat 06 Das Eigentum 07 Frauenzeitschriften 08 Pick-Up-Bibeln 09 Dein Stolz 10 Mein Herz

Top 03

Schweine 01 Kune Kune 02 Rotes Mangaliza 03 American Yorkshire Auch nicht schlecht: Malakoff-Torte vom Opa Marianne Vlaschits ist bildende Künstlerin und beschäftigt sich mit der Kolonisierung des Weltraums.

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Nachdem Burger auch abseits von Fast-Food-Ketten zum Standard geworden sind, kommt mit dem »Bao« ein neuer kleiner Trend aus dem asiatischen Streetfood-Bereich in Wien an. Wer ein bisschen recherchiert, erfährt, dass nicht nur das chinesische Wort Bao vielfältig benutzt wird, sondern auch beim Essen manches bedeuten kann. In den meisten aller Fälle sind damit aber gedämpfte Teigtaschen gemeint, die nicht zufällig an Germteig erinnern, mit Gemüse und Fleisch gefüllt sind und auf einer Seite aufgeschnitten serviert werden. Nachdem die Baos zuerst an Streetfood-Ständen auftauchten und man dann immer wieder von den delikaten »asiatischen Burgern« hören konnte, hat nun in der Zollergasse die Bao Bar eröffnet. Hier stehen diese namensgebend im Mittelpunkt und werden aktuell in drei Varianten angeboten: Mit Schweinebauch, Huhn oder Tofu. Als Beilage gibt es handgeschnittene Süßkartoffel-Pommes oder einen Soba-Nudel-Salat, der ordentlich scharf ausfällt. Neben hausgemachten Eistee bietet die Getränkekarte unter anderem auch japanisches Bier vom Fass, tendenziell modische Limonaden und Kaffee. Beim Verkosten fällt der Tofu-Bao im Geschmack leider etwas fahl aus und kann in Knackigkeit und Würze mit den beiden Fleischvarianten nicht mithalten. Bei diesen macht die krosse Konsistenz durchaus einen Teil des Geschmackserlebnisses aus. Die Baos werden allesamt nicht in Saucen ertränkt. Interessanterweise ergeben die drei Varianten aber bei jedem Biss ein rundes Geschmackserlebnis, bei dem die einzelnen Zutaten wie Hoisin, Rotkohl, Sesam oder Erdnuss nur mehr zum Teil rausschmecken. Wir werden hier in den kommenden Monaten wohl noch einige Varianten und Versionen erleben. Als Start ist die Bao Bar in der Zollergasse eine gute Adresse, um die bunten und optisch ansprechenden Baos zu probieren. muehl@thegap.at • @muehlmartin Bao Bar, Zollergasse 2, 1070 Wien baobar.at

2 Bao 6,90 Euro, 3 Bao 8,90 Euro, Menü 10,90 Euro, Beilagen 3,50 Euro

Andreas Jakwerth, Martin Mühl, David Rabeder

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Bernadette macht bei Monopol Konzept & Sales, findet trotzdem auch Altes gut und besitzt keinen Fernseher mehr.

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Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

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Dieses schöne Teil mit dieser Problematik zu belasten ist aber unfair. Nicht nur baut I wanna auf Qualität, bei diesem Stück wird noch dazu ein interessanter gestalterischer Trick angewandt: Die weiche Form kontrastiert mit harter Geometrie. Wo man überbordend florale Spitze erwartet, begegnet einem streng quadratischer Flockdruck. Der organische Reiz kommt aber sowieso vom Körper darunter. Das Muster relativiert nicht, sondern unterstreicht. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Wer Unterwäsche von I wanna kaufen will, geht auf iwanna.at oder ins Comod in der Operngasse 32.

Erli Grünzweil

Unterwäsche sagt ebenso viel darüber aus, wie wir unseren Körper wahrnehmen, wie darüber, wie ihn die Gesellschaft konzeptioniert. Sie dient als Rahmen und Filter, ist die Privateste der Schichten und gleichzeitig ein Spiegel öffentlicher Vorstellungen über das Verhältnis von Geschmack, Moral und Körperlichkeit. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass ein Großteil der Unterwäsche genauso schlecht ist wie die Verhältnisse es sind. Damit ist noch nicht einmal gemeint, wie hässlich sie oft aussieht oder wie minderwertig ihre Materialien und Verarbeitung sind. Das Problem ist vielmehr, dass Unterwäsche gegen den Körper arbeitet und nicht mit ihm. Hier ist natürlich von Frauenunterwäsche die Rede. In einer patriachalen Gesellschaft richten sich Schönheitsideale nun einmal besonders aggressiv gegen Frauen. Bei Unterwäsche bedeutet das die Verformung des weiblichen Körpers durch eben jene Kleidung, der er am intimsten anvertraut ist. Da macht dieses Unterwäscheset des Wiener Labels I wanna nicht mit. Statt von Quetschung möchte man hier in der Tat von Rahmung sprechen. Die Bralette kommt mit einem elastischen und verstellbaren Unterbrustgummi aus. Formgebende Verstärkungen aus harten Materialien gibt es keine. Das ist eine Idee, die inzwischen auch bei den Mainstream-Anbietern angekommen ist, die nach wie vor über ein preskriptives Schönheitsideal Push-ups an die Frau bringen – ungeachtet der jeweiligen Oberweite. Ausgehend vom Trend zu sichtbar getragener Unterwäsche und von sportlicher Athleisure Wear wandelt sich das Schönheitsideal nun teilweise. Dass das nicht zu mehr Miteinander von Körper und Unterwäsche, sondern wieder nur zu neuen Idealen führen wird, an denen die Einzelne schließlich scheitern muss, ist jedoch wahrscheinlich.

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Einteiler Rastererotik

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Illustration

Bureau F

Bureau F ist ein Studio für Design und Branding, das die Identitäten von Marken schärft und zeitgemäße künstlerische Prinzipien in ganzheitliche visuelle Konzepte übersetzt. bureauf.com

Lieblingswitz 1970 im sowjetischen Moskau: Rabinowich bekommt von seinem Vorgesetzten eine Rundreise durch den Ostblock bewilligt. Er fährt los und schreibt regelmäßig SchwarzWeiß-Postkarten nachhause. Als erstes kommt eine mit der Aufschrift: »Liebe Grüße aus dem freien Riga. Rabinowich« Daraufhin: »Beste Grüße aus dem freien Prag. Rabinowich« und »Grüße aus dem freien Budapest. Rabinowich« Doch dann bleiben die Postkarten aus. Es vergeht eine Woche, zwei Wochen und seine Familie macht sich Sorgen. Auf einmal kommt eine bunte Postkarte an. Auf ihr steht: »Beste Grüße aus Wien. Der freie Rabinowich«.

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B € O S b

Julya Rabinowich

Der Protagonist in Julya Rabinowichs Witz könnte gut und gerne mit der Autorin und Der Standard-Kolumnistin verwandt sein. Schließlich teilen sie nicht nur einen Nachnamen und sind beide aus der damaligen Sowjetunion nach Wien emigriert – der fiktive Rabinowich entstammt sogar einem russischen Witzbuch der Großmutter der echten Rabinowich. julya-rabinowich.com

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D V B

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www.nikon.at/cashback Photograph: Vincent Munier vincentmunier.com

Hol dir jetzt dein Cashback von bis zu € 1.000! Bei Nikon erhältst du bis zu € 300 Cashback auf ausgewählte Objektive, bis zu € 100 Cashback auf ausgewählte DSLR Kameras, und wenn du Kamera und Objektiv kombinierst, erhältst du sogar einen Extra Bonus von bis zu € 200. Somit kannst du mit der Nikon Cashback Aktion beim Kauf bestimmter Modelle bis zu € 1.000 sparen. Mehr Infos auf www.nikon.at/cashback Diese Aktion gilt von 14.10.2016 bis 15.01.2017 beim Erwerb bestimmter NIKON Produkte von teilnehmenden NIKON Vertragseinzelhändler in Österreich. Die Geldrückerstattung erfolgt nach Registrierung auf www.nikon.at/cashback mittels Banküberweisung. Die vollständigen Teilnahmebedingungen findest Du unter www.nikon.at/cashback.

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Marktplatz Liebe

Pro- und Kontralisten und Nutzen-Kosten­ rechnungen – Was hat es mit dem ökonomischen Vokabular auf sich, das so oft dazu dient, über Liebe und Beziehungen zu sprechen? 014-017 The Gap 160 Coverstory.indd 14

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Wenn Beziehung nach Wirtschaft klingt

Über die Liebe Romantische Liebe ist Bullshit, sie ist bedürftig und egoistisch und wartungsintensiv und Hirngespinst. Sie stellt Bedingungen an den oder die Geliebte(n), hat also mit der sogenannten »wahren«, bedingungslosen Liebe nichts gemein.

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Aus: Liebe ist Bullshit, wiener.at

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s gibt eigentlich keinen guten Grund, gerade jetzt über Liebe, Beziehungen oder Dating zu schreiben. Weder steht ein Royal Wedding an, noch gab es ein großes Datenleck wie beim Ashley Madison-Hack, das Fremdgeher entlarvte und sich somit als Aufhänger für »Irgendwas über Paare« eignen würde. Neue Dating Apps kommen auch dauernd auf den Markt, man ist das mittlerweile gewohnt. Trotzdem gehen jeden Tag Texte zu Liebe in Druck oder werden so wie pubertäres Ejakulat in ein Taschentuch im Internet geschleudert. Von Gemeinplatzsammlungen in Listicle-Aufmachung, die erklären, wie Beziehung geht bis zum Bekenntnis in Ich-Form, von tiefgehenden Interviews mit Fachleuten bis zu gewieften Beobachtungen, die ungewöhnliche Verbindungen herstellen. Liebe ist aber ein immergrünes und ergiebiges Thema – persönlich und verbindend. Wiewohl man diese Fülle an Textmaterial ruhig öde finden kann, lässt sich kaum leugnen, dass uns diese unzähligen Artikel

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Da ist von »Beziehungsarbeit« die Rede und es wird erörtert, wann irgendetwas Beziehung und wann es noch Freundschaft (plus) ist. sehr gut vor Augen führen, wie Menschen heute über Liebe und Beziehungen denken und welche Aspekte sie daran überhaupt interessieren. Das tun sowohl die Interviews mit Soziologen oder Trendforschern, deren Buchveröffentlichungen und Thesen auf hohem Niveau im Feuilleton besprochen werden, es tun aber auch – und sogar in besonderem Maße – Jugendangebote etablierter Medien wie ze.tt, jetzt.de oder – um ein österreichisches Beispiel zu nennen – fttr.at, weil sie mit emotionalem Ratgeber-Content unglaubliche Reichweiten erzielen. Liebe und Beziehung ist fast immer ein eigener Themenbereich auf diesen Seiten, der Fokus liegt auf persönlichem Empfinden, was für unendliches Material sorgt. Es tun aber auch alle Angebote zwischen diesen beiden Extremen. Egal, ob es um Polyamorie geht oder um Kindererziehung, viele Artikel, die sich mit diesem persönlichen Empfinden beschäftigen und auch manche, die sich dem Thema objektiver annähern, bauen auf dem – oft auch

Aus: Beziehung meint immer nur »oldschool« – über die Neuinterpretation eines antiquierten Modells, ze.tt

Letztlich ist Liebe nichts anderes als eine KostenNutzen-Analyse. Es geht dabei immer um ein Investment in den Nachwuchs. Interview mit dem Wiener Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Karl Grammer, cicero.de

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Über die Liebe

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Optimisten mögen jetzt behaupten, ach, das ist die berühmt-berüchtigte Balance von Geben und Nehmen, das pendelt sich dann schon ein. Oooh nein, ihr naiven Wesen. Die Wahrheit ist: Das hier ist knallharter Handel. Das hier ist Kapitalismus. Das hier ist der Teufel. Das ist das Ende der Liebe! Aus: Beziehungen: Der Kapitalismus der Liebe, zeitjung.de

In our consumer society, love is perpetually for sale; dating is what it takes to close the deal.

unausgesprochenen – Topos auf, Liebe und Beziehungen seien Arbeit. Dabei gäbe und gibt es genügend andere Arten, Liebe und Beziehungen zu metaphorisieren und zu vergleichen. Liebe könnte auch eine Pflänzchen sein, das man gießen muss, damit es erblüht. Liebe, in ihrer besonders leidenschaftlichen Variante, könnte wie ein loderndes Feuer sein, Beziehungen eine Achterbahn der Gefühle und so weiter und so fort. Aber Liebe ist häufig einfach Arbeit: Es ist von Pro- und Kontralisten die Rede, von Nutzen-Kostenrechnungen, es geht um Investments und Commitments, um Waagschalen und Wert. Liebe klingt plötzlich ganz stark nach Ökonomie, nach Börse und Bazar.

Die Liebe in Zeiten des Spätkapitalismus Das wäre verständlich, wenn wir noch in vorindustrieller Zeit leben würden, in der Beziehungen über ökonomische Parameter geregelt wurden, Arbeit und Familie an einem Ort stattfand. Doch leben wir angeblich in einer (spätkapitalistischen) Gesellschaft voller Wahlfreiheit, in der Arbeit und Privates getrennte Lebensbereiche sind – so zumindest das bekannte Narrativ. Doch ist das bei näherer Betrachtung nicht so. Studien zeigen, dass es Menschen immer wichtiger wird, ein ähnliches Bildungs- und Verdienstniveau wie ihr Gegenüber zu haben. Der Beziehungscoach Dominik Borde begründet so: »Die höchste Wahrscheinlichkeit auf ein langfristiges Beziehungsglück haben Menschen mit einem ähnlichen sozioökonomischen Hintergrund, weil hier die Werte und Glaubenssätze am stärksten übereinstimmen und die Wahrscheinlichkeit für eine Partnerschaft auf Augenhöhe am höchsten ist.« Man hat zwar die Wahlfreiheit, doch wird verdächtig oft und vermutlich völlig unbewusst nach ökonomi-

Aus: Work It – Is dating worth the effort?, newyorker.com

Meiner Erfahrung nach entstehen viele Probleme in konventionellen Beziehungen allerdings zu einem großen Teil durch den Irrglauben, der Mensch vor uns verwandle sich zu unserem Eigentum, zum Beispiel durch einen Ehering. Aus: Warum ich mit mehr als einem Menschen zusammen bin, bento.de

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Liebe klingt plötzlich ganz stark nach Ökonomie, nach Börse und Bazar.

»Wenn du erst mal die schöne Wohnung hast, wird der passende Freund auch da sein.« Das ist Liebe durch Besitz.

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schen Kriterien gewählt. Auch die Trennung von Arbeit und Privatem ist heute nicht so einfach. »Niemals zuvor ist das private Selbst derart öffentlich inszeniert worden, niemals ist es so sehr auf die Diskurse und Werte der ökonomischen und politischen Sphäre zugeschnitten worden«, schreibt die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem Standardwerk »Gefühle in Zeiten des Kapitalismus«. Sie weist gleich zu Beginn ihres Buchs »der Sprache der Therapie« – ausgelöst Anfang des 20. Jahrhunderts durch Freud und überall in der Ratgeber-Literatur verwendet – eine ganz bedeutende Rolle für die Quantifizierung von Beziehungen zu. »Unter dem Einfluss von Psychologie und Feminismus sind intime Beziehungen immer mehr zu Dingen geworden, die unter Bezug auf eine bestimmte Maßeinheit bewertet und quantifiziert werden«, so die Soziologin. Ja, und auch das mit »der Liebe« ist nicht so einfach. »Historisch wird die Liebe in Partnerbeziehungen in der Form, wie wir sie heute kennen, erst in der Herausbildung des Kapitalismus erfunden «, schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin Andrea Grisold in einem 1993 erschienenen Aufsatz und bringt damit die wirtschaftswissenschaftiche communis opinio auf den Punkt. Dazu kommt, dass die Idee der romantischen Liebe quasi seit es sie gibt an Waren und Besitz geknüpft wird, ist sie doch wunderbar vermarktbar. Die feministische Forscherin Laurie Essig nannte dieses System im Rahmen eines Wiener TedxTalk »Love, Inc«. Es beschriebt die »Ehe« zwischen romantischer Liebe und neoliberalem Kapitalismus, wie sie sagt. Die »Love, Inc.« sorgt dafür, dass wir unser Konsumverhalten auf eine romantische Idee hin ausrichten. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist die aktuelle Staffel der Serie »Black Mirror«, die in jeder Folge eine ande-

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M an St M

Kita ©L


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SHUNGA

Erotische Kunst aus Japan 12.10.2016 – 29.1.2017 MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst Stubenring 5, 1010 Wien MAK.AT Kitagawa Utamaro, Sommerabend, aus Erwachen der Begierde, 1799 © Leopold Privatsammlung, Wien; Foto: MAK/Georg Mayer

re Zukunftsvision verhandelt. In der ersten Folge geht es um eine Frau, die ihre »SocialMedia-Werte« (man wird von anderen Leuten bewertet) aufbessern muss, um in eine bessere Wohnung ziehen zu können. Der eigene, fremdbestimmte Wert dient dabei gewissermaßen als Währung: Nur Menschen, die ein bestimmtes Rating erreichen, haben Zugang zu gewissen Produkten und Immobilien. Bei einem Besichtigungstermin wird der Protagonistin mittels aller möglichen Projektionen gezeigt, wie die Wohnung aussehen könnte, würde sie dort wohnen. Eine dieser Projektionen ist die eines liebenden (und natürlich gutaussehenden) Mannes. Vermittelt wird also: »Wenn du erst mal die schöne Wohnung hast, wird der passende Freund auch da sein.« Das ist Liebe durch Besitz.

Online Dating Das Quantifizieren, von dem Illouz spricht, geht natürlich besonders gut im Internet. Außerdem verbreitet Letzteres die RatgeberLiteratur, die sich heutzutage in die eingangs erwähnten Listicles verwandelt, so unglaublich schnell und gut. Um aber zu verstehen, warum so viele Leute Liebe als Marktplatz sehen und artikulieren, ist es sicherlich sinnvoll, sich Online-Dating und das damit verbundene Vokabular anzusehen – immerhin sollen bereits mehr als ein Viertel aller in Österreich geschlossenen Beziehungen auf diesem Weg entstanden sein – nicht ganz

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uneinflussreich. »Der Diskurs […] behauptet, dass Online-Dating heute nicht nur normal und akzeptiert, sondern darüber hinaus auch zu einer Grundbedingung für eine optimale Partnerwahl geworden ist«, so die Soziologen Kai Dröge und Olivier Voirol in ihrem Aufsatz »Prosumer der Gefühle«. Online-Dating ist also nicht nur die digitale Variante von Kontaktanzeigen in Print oder Vermittlungsagenturen, wie es sie früher gab. Online-Dating will nicht dafür sorgen, dass man – wie es so schön heißt – »jemanden kennenlernt«. Es kokettiert mit der Idee, dass man dank Algorithmen und riesigen Datenbanken den oder die Beste kennenlernen kann. Das macht Menschen natürlich selbst zu Produkten, die nach den Regeln von Angebot und Nachfrage gegeneinander antreten. Wie das dann auf die Spitze getrieben aussieht, zeigte 2008 die sehr erfolgreiche und oft kopierte französischen Dating-Seite adoptunmec.com, die es Frauen erlaubte, Männer in einen virtuellen Einkaufswagen zu legen. Die ganze Website erinnerte in ihrer Gestaltung an einen Online-Shop; schon im Logo fand sich ein Einkaufswagen. Das provokante Konzept, Männer als Ware zu deklariereren, sollte natürlich auch für die obligate Objektivierungs-Diskussion sorgen und die Seite dadurch bekannter machen. Obwohl es kaum etwas geben kann, das »Liebe ist Einkauf« lauter schreit, war es vermutlich doch erst die App Tinder, die ihren UserInnen

am deutlichsten vor Augen führen sollte, dass sie nur ein Swipe von vielen sind. Denn adoptunmec spielte wenigstens mit dem Topos des Markplatzes, während ihn Tinder völlig ironiefrei bediente. Genau hier will die seit einigen Monaten auch in Österreich erhältliche App Once punkten, deren Erfinder Jean Mayer Tinder mit einem Supermarkt vergleicht. Bei Once bekommen die UserInnen nur eine Person pro Tag vorgeschlagen – also klassischer Fall von Verknappung, die als Romantik verkauft wird. Algorithmen treffen eine Vorauswahl auf Basis von wenigen Informationen, aber wer wem gezeigt wird, entscheidet schließlich ein Matchmaker, also ein Mensch. Das ist durchaus bemerkenswert. Nachdem es im Online-Dating jahrelang um Mathematik ging, darum, Fragenkataloge zu entwerfen, die genau die richtige Mischung aus Ähnlichkeiten und Differenzen berücksichtigen und völlig emotionslos für Emotionen sorgen, wird nun das menschliche Bauchgefühl vermarktet. Das fühlt sich dann für die User weniger wie ein Markt an, bleibt aber natürlich einer. Auch wenn die Idee der Romantik wie so oft dafür eingesetzt wird, zu verhehlen, worum es hier wirklich geht, wird die beschriebene Art und Weise über Liebe zu sprechen erst dann aufhören, wenn es der Kapitalismus tut. Aber auch über die dann unausweichliche Post-Liebe wird es viel zu sagen geben. Amira Ben Saoud

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Zarte Formen, betörende Farben – Georgia O’Keeffes »Oriental Poppies« eröffnen eine sinnliche Erfahrungswelt rund um die Blume. —— Zwei Mohnblumen, in tiefem Rot und Orange, entfalten eng nebeneinanderliegend ihre sanfte Blütenpracht. Sie öffnen sich dem Betrachter, intensiv und doch zerbrechlich und überdauern in dieser in Nahaufnahme gezeigten, überdimensionalen Malerei ihre Vergänglichkeit. Die satte warme Farbe der Blüten steht in starkem Kontrast zum tiefen Schwarz des Blütenkerns. Die Farbe Rot ist sehr aufgeladen – sie erinnert an Liebe, an Leidenschaft, auch an Blut, an pure Lebenskraft. Mohn, wie weithin bekannt, betört und berauscht, Hieronymus Bosch sieht in seiner Vision des »Garten der Lüste« in der Mohnblume sogar die »Allerleilustblume«. Sie wirkt auf den Menschen, wie auch dieses Bild, in dem man sich regelrecht verlieren kann. Das harte Schwarz steht für Tod, Leid, oder – im orientalischen Raum – auch für das Leid in der Liebe. Ob Georgia O’Keeffe das bekannt war, als sie das Bild malte, wissen wir nicht, aber sie spielt gekonnt mit den Farben und setzt sie sehr bewusst ein. »Farbe gehört zu den großartigen Dingen, die das Leben für mich lebenswert machen«, sagt sie selbst. Mit fließenden Linien offenbart sie das zarte Wesen der Mohnblume, mit der intensiven Färbung aber auch die Kraft, die von dieser Blume ausgeht. »Oriental Poppies« entstand 1928 – rund um dieses Jahr Jahren hatte O’Keeffe die großformatigen Blumenbilder schon zu einem Markenzeichen gemacht.

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Georgia O’Keeffe Von der Sinnlichkeit der Blume

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Die Ausstellung »Georgia O’Keeffe« ist von 7. Dezember 2016 bis 26. März 2017 im Kunstforum Wien zu sehen.

Georgia O’Keeffe Museum / Bildrecht, Wien

Georgia O’Keeffe – »Oriental Poppies« (1928)

Aus dem Inneren gemalt Bei genauerem Hinsehen lassen sich sexuelle Anspielungen auch in der Form ihrer Malerei erkennen, die Ausformungen der Blüten etwa erinnern an (weibliche) Geschlechtsorgane. Unvermittelt flackern intensive, erotische Konnotationen auf – die auch von ihren Künstlerkollegen in New York verbreitet wurden. Der Kreis um Alfred Stieglitz (Galeriebesitzer und später O’Keeffes Ehemann) schuf ihr mit erotischen Interpretationen ihrer Kunst ein Image, das sie als freizügige, unkonventionelle Frau und Künstlerin bekannt machte. O’Keeffe selbst konnte mit derlei Ansichten aber nicht viel anfangen. Ganz im Gegenteil – als sie von dieser gängigen Interpretation ihrer Werke las, war sie sehr verletzt: »Ich habe fast geweint. Ich dachte, ich könnte mich nie mehr der Öffentlichkeit zeigen.« Aber – welche Motive stecken nun wirklich hinter diesen farbenprächtigen Blumenbildern? Einerseits wäre da Wassily Kandinskys Idee zu nennen, dass Farben und Formen viel mehr der »inneren Welt« des Künstlers verpflichtet sind. Diese Anregungen und unter anderem auch die Fotografien Paul Strands, der gewöhnliche Objekte sehr nah, vergrößert und unter besonderen Lichtverhältnissen fotografierte, veranlassten O’Keeffe mit der Zeit dazu, ihre eigene künstlerische Vision, ihre Intuition, Gefühle und Erfahrungen auf der Leinwand umzusetzen. Magdalena Reuss

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Die 20 interessantesten FotografInnen Österreichs Teil 2

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Thomas alBdorf Eva Zar helga traxler klaus pichler Ina Aydogan Luise Hardegg Mahir Jahmal Anita Schmid christoph hofbauer Stefan Fürtbauer Er ist da: Der Fotostory zweiter Teil. In The Gap 159 haben wir euch bereits zehn fotografische Talente aus der Alpenrepublik vorgestellt, nun folgt der nächste und vorläufig letzte Part. Schade, denn wir könnten ewig weitermachen. Österreich hat nämlich

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weitaus mehr als nur 20 spannende FotografInnen zu bieten. Wir bedanken uns ganz herzlich bei unserer Online-Community, die uns dabei geholfen hat, all diese tollen Menschen zu finden – mehr als 200 Vorschläge wurden gemacht. Wir begründen auf den nächsten

Seiten, warum uns gerade diese zehn Menschen mit ihren Arbeiten beeindruckt haben. Mit unserer Auswahl sind wir jedenfalls zufrieden und hoffen, ihr auch!

Amira Ben Saoud, Theresa Ziegler

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Thomas alBdorf War man nicht längst im Yosemite Park, wenn man das hundertste Foto davon in seiner Timeline hatte? Kann man Orte kennen, ohne physisch dort gewesen zu sein? Fragen wie diese stellt Thomas Albdorf in seiner Serie »General View«. Bei den Bildern weiß man nie, ob sie Realität oder Google-Suchergebnis abbilden – und was noch der Unterschied ist. Überhaupt hat sich Albdorf auf Mindfuck mit Natur spezialisiert: StudioRekonstruktion von Wäldern, Abstraktionen der Alpen. Digitale Postproduktion trifft »I am from Austria«. Der Gewinner des Unseen Talents Award 2016 verfremdet so geschickt, dass man sich am Ende über gar nichts mehr sicher sein kann. Trompel’œil wird zur Mind-Deception. Englisch weil 2.0. thomasalbdorf.com

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»Fotografie ist für mich die sich ständig wiederholende Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen wir die Welt sehen, verhandeln und wiederum erzeugen. 1 guten Bild sagt mehr als tausemd Worten.« »I Made This For You« aus der Serie »General View« (2016)

»Shy but not shy« (2016)

Eva Zar »Eva has an obsession for fruits, drag queens, good conversations and inappropriate daily life details.« So steht es auf Eva Zars Webseite geschrieben und das bringt auch die Strange- und Quirkyness ihrer Fotografie auf den Punkt. Eigentlich ist das nämlich gar nicht so einfach. Bei ihren Sujets würde man den typischen LoFi-Trash-Look erwarten, doch genau die Ausleuchtung, Tiefe und Komposition dieser so zufällig wirkenden Bilder machen Eva Zars Stil so eindringlich. Wer es schafft, auf jedem Bild eine perfekte, eigene Farbkombination zu erschaffen, bekommt auch Stipendien fürs Fotografie-Studium in New York. eva-zar.com

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helga traxler Erst durch ihre Fotos wird einem bewusst, wie viele Farbtöne so ein visuelles Spektrum überhaupt haben kann. Die Liebe zu Farben reicht sogar so weit, dass man bei der Webseite von Photosalonhelga zwischen vier Pastelltönen im Hintergrund wählen kann. Egal für welchen man sich entscheidet, die Aufnahmen von Runway-Shows, Make-up- und Mode-Kunstprojekten stecken immer voller Impulsivität. Ein ganz eigener Look, der – in der Fashion-Metaphorik gesprochen – zwischen Chanel und Valentino hin und her changiert. Kein Zufall, dass sie das (fast) Unmögliche geschafft und sich in New York als Fotografin etabliert hat.

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photosalonhelga.com

»Gradient Souvenirs« (2016)

Aus der Serie »Golden days before they end« (2014)

Klaus Pichler Wenn es auf Fotos menschelt, war vermutlich Klaus Pichler hinter der Linse. Für seine Dokumentationen der Conditio humana in all ihren Facetten nimmt sich der gebürtige Steirer Zeit. Diese wirkt auf seinen Bildern oft, als wäre sie aus Respekt so lange still gestanden, bis Pichler diesen einen perfekten Moment, der die Menschen in ihrer Liebenswürdigkeit genauso wie in ihrem Zweifel zeigt, festhalten konnte. Dass er ein »Outstanding Artist« ist, hat die Kunstsektion des Kanzleramts dieses Jahr offiziell gemacht. Ob die Utopie der Mittelschicht, Stammkneipen (»Golden days before they end«) oder die Bedeutung von Ganzkörper-Tattoos – Klaus Pichler ist den Menschen vor der Linse im besten Sinne genau der Fotograf, den sie verdienen. kpic.at

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Ina Aydogan Wenn Ina Aydogan loszieht, wird die Straße zur Kunst. Denn in der Street Photography fühlt sie sich zu Hause und findet das Kuriose, sowohl in der Dynamik der Situation als auch im Statischen. Als Gründungsmitglied des Kollektivs John Ross Group bietet sie anderen Künstlern und sich selbst eine Austauschplattform. »Momentan finde ich geometrische Formen und Objekte spannend. Der Mensch ist oder wird ein Teil davon«, sagt Ina Aydogan selbst. Formen wie jene in den Straßen von Chicago und St. Louis, wo ihre jüngsten Arbeiten entstanden sind. Aber auch Musiker und Künstler kommen Aydogan vor die Linse – die können, müssen aber keine Street Credibility haben. inaaydogan.blogspot.co.at

»Vertraute Umgebungen mit verändertem Licht neu zeichnen, um daraus ungewohnte Silhouetten entstehen zu lassen.« 024

Jay Pritzker Pavilion, Chicago« (2013)

Luise Hardegg Bei Luise Hardeggs Fotografien fragt man sich, was vor, während und nach ihrer Aufnahme eigentlich passiert ist. Zwischenmenschliche Dramen, wie man sie aus französischen Filmen kennt? Mysterien? Orgien? Illuminati? Hardeggs Fotos geben keine Antworten, sie werfen Fragen auf, die sich nur in wilden Träumen beantworten lassen. Sie haben etwas Archaisches und sind gleichzeitig zeitgeistig, wirken wie Stills aus experimentellen Filmen und Moods für exzentrische Modeschöpfer. Aber vor allem entführen sie in eine völlig andere Welt, vor der man manchmal auch ein bisschen Angst haben kann. luisehardegg.com

»Mädchen am Löwen« aus »Autonom« (2016)

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Drama Boy (2016)

Kunsthalle Wien Museumsquartier

Sarah Morris. Falls Never Breaks, Design: M/M (Paris), 2016, © Foto: Parallax

Sarah Morris Falls Never Breaks 8/12 2016 – 8/1 2017 #NeverBreaks

Mahir Jahmal Gerade bei einem Szeneliebling wie dem allseits beliebten »Fresh Prince of Favoriten« Mahir Jahmal darf man nicht vergessen, dass er zuallererst ein hervorragender Fotograf ist. Seine Kunst erinnert an vergangene Momente und Gesichter, an die wir uns nur noch zerknautscht erinnern können. Bevor er das Fotopapier belichtet, zerknüllt er es nämlich, wodurch eine reliefartige Struktur entsteht. Zusammen mit der Oberfläche der Abzüge spielt er dabei auch mit Stereotypen der Fotografie. Goldener Schnitt, den Moment einfangen – wirklich gute Fotos können mehr als Regeln befolgen. Genauso wie Mahir Jahmal in der Dunkelkammer. mahirjahmal.com

»Als Österreicher mit afrikanischen Wurzeln wird man oft mit den Stereotypen und Klischees, die von der westlichen Welt geformt wurden, konfrontiert. Meine Fotografie beschäftigt sich mit dem Out Of The BoxDenken und will zeigen, dass Fotografie mehr kann als das, was die Leute glauben.«

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Die Kunsthalle Wien widmet mit Falls Never Breaks der amerikanischen Künstlerin Sarah Morris eine Einzelschau. Morris, die international für ihre farbintensiven, abstrakt-geometrischen Gemälde und ihr filmisches Werk bekannt ist, präsentiert in Wien ihren neuesten Film Strange Magic (2014) in einer raumgreifenden Installation. An fünf Filmabenden werden neun weitere Filme von Sarah Morris gezeigt, die einen umfassenden Einblick in Psychologie, Architektur und Ästhetik des urbanen Raumes globaler Metropolen bieten. www.kunsthallewien.at

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Anita Schmid Der (nackte) Körper ist der uns am meisten bekannten Alltagsgegenstand. Anita Schmid hingegen verwendet ihn in ihren Fotografien als verfremdetes Kunstobjekt. So war der abstrakte, nahezu leblose Körper in der Manier von Valie Export schon in Schmids vielgefeierter Ausstellung »Momentirritationen« zentral. Abstraktion und Körper – ihre beiden Hauptthemen – haben sich seitdem weiter ausdifferenziert. »In the sense of …«, zusammen mit Amelie Zadeh erstellt, kann als Hommage an frühe abstrakte Fotografie des 20. Jahrhunderts verstanden werden. Und in der Akt-Reihe »Nu Nudes« sind auch Werke von Anita Schmid zu sehen. anitaschmid.at

»Die Fotografie ist tot! Lang lebe die Fotografie!«

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»Belvedere« (2016)

»Raw Meat« (2014)

Christoph Hofbauer Der Preis für den besten Künstlernamen geht eindeutig an Christoph Hofbauer: Kidizin Sane ist nicht nur Ausdruck für seine insane Skills, sondern auch eine Allegorie an die kommerziellen Interessen eines Citizen Kane. Denn die Kunst seines Alter Egos schätzen Werbekunden und Magazine gleichermaßen. Als besondere Spezialität des verrückten Kids gelten sicher seine Arbeiten für Musiker, von Beat-Legende Brenk Sinatra über Julian Le Play, für den er auch Musikvideos produzierte, bis zu Nvie Motho und Avec. Weniger kommerziell und umso näher an seiner Vorstellungskraft sind die Aufnahmen, die er als Christoph Hofbauer schießt. Der gebürtige Welser spielt mit Tiefe, Ebenen und Licht, bis wir beim Anschauen selbst insane werden. kidizin.com

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»Josef Hader, Linz« (2015)

Welche Kevin Bacon-Zahl haben österreichische Schauspieler? Was ist die Kevin Bacon Zahl (KBZ)? Die Kevin Bacon-Zahl gibt an, wie weit oder nah man als Schauspieler von einem Film mit Kevin Bacon entfernt ist. Wenn zum Beispiel George Clooney mit Steven Hinkle in »Syriana« zu sehen war, der wiederum zusammen mit Kevin Bacon in »Loverboy« mitspielt, hat Clooney eine Kevin Bacon Number von 2. Wir haben uns angesehen, wie österreichische Schauspieler abschneiden.

Stefan Fürtbauer Ob Würstlstand bei Nacht, ikonische Blumen oder Platten-Cover im Kunsthistorischen Museum – jede Story hat ihr eigenes Flair und Stefan Fürtbauer bildet es nicht nur ab, sondern weiß darauf einzugehen. Diese Gabe der, man möchte es fast Empathie nennen, macht ihn auch zu dem großartigen Porträtisten, als den man ihn kennt. Von Hader bis Kern von Dagmar Koller bis Veronica Ferres – ein Fürtbauer-Foto erkennt man daran, dass es die fotografierte Person umschmiegt, sich an ihr Wesen anpasst. Darin liegt die Wiedererkennbarkeit. »Das Foto selbst ist nur der allerletzte, technische Akt, dem viel Zwischenmenschliches vorangeht«, sagt Fürtbauer. Das sieht man auch.

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thomas brezina Tom Brezina Turbo kennt Kevin Bacon um drei Ecken. Er selbst ist nämlich im Film zu Tom Turbo zu sehen, genauso wie Andrea Eckert, die Julie Delpy aus dem Schmachtfilm »Before Sunrise« kennt, der in Wien spielt. Delpy wiederum spielte mit Kevin Bacon in »The Air I Breathe«.

Maximilian Schell Wenn es nach der Bacon-Zahl geht, war Maximilian Schell der österreichische Schauspieler mit dem meisten Fame. 1997 war er gemeinsam mit ihm in »American Dreamer – Charmante Lügner« zu sehen.

Christiane Hörbiger In »Tafelspitz« spielt Christiane Hörbiger die Mutter einer jungen Köchin, die einen Job in New York annimmt. Irgendwo dort kommt dann der kanadische Schauspieler Michael J. Reynolds dazu, der Hörbiger die Bacon-Zahl von 2 beschert.

stefanfuertbauer.com

Wie Birgit Minichmayr, Tobias Moretti oder Alfred Dorfer abschneiden, erfährt ihr auf www.thegap.at / filmkulturoesterreich

Bezahlte Kooperation

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Christoph Waltz Oscar-Christoph kennt Kevin Bacon über James Keane, der mit Waltz in »Wasser für die Elefanten« und mit Bacon in »Murder in the First« zu sehen war.

Die ersten zehn FotografInnen, die wir in Ausgabe 159 präsentiert haben, waren: Mafalda Rakoš, Mario Kiesenhofer, Lisa Edi, Anna Breit, Stefanie Moshammer, Alex Dietrich, Kurt Prinz, Elsa Okazaki, Christian Bruna und Martin Stöbich.

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Von der VHS zu Teledildonik – Sex beeinflusst die Tech-Szene nicht erst seit gestern. Während man Sex-Tech-Start-ups hierzulande mit der Lupe suchen muss, veranstaltet ein Österreicher in den USA eine der größten Sex Tech-Konferenzen weltweit. ———— In den 80er Jahren, als Pornos noch in der Videothek ausgeliehen werden mussten und man von einer soliden Internetverbindung nur träumen konnte, entschied letztendlich die Pornoindustrie über das Vorankommen einer Technologie, die über viele Jahre das Videoformat schlechthin war: VHS. Das von JVC entwickelte Format setzte sich gegen Sonys Betamax und das von Philips und Grundig entwickelte System Video 2000 durch, nachdem sich die Pornoproduktionsfirmen dafür entschieden, ihre Produkte mehrheitlich auf VHS zu vertreiben. Ähnliches wiederholte sich 2007 im Wettstreit zwischen Blue-rayund HD-DVD, den erstere wiederum dank der Pornoindustrie für sich entscheiden konnte. Tech und Sex stehen in einer Wechselbeziehung – während die Tech-Szene auf Einnahmen durch Adult Content zählt, ermöglicht der immer größer werdende Markt an Sex Toys, Plattformen oder Filmerlebnissen Lustbefriedigung auf neuen Ebenen. Obwohl die Pornoindustrie zunehmend an Einnahmeverlusten leidet und Sex-Tech als Nischenmarkt gilt, den lange nicht alle Unternehmen bedienen wollen, ist eine Sättigung noch nicht erreicht – nicht zuletzt durch neue technische Entwicklungen im Bereich VR, Sex Toys und Community-Building.

Strap on mit Gefühl Das österreichische Kollektiv Monochrom beschäftigt sich seit Jahren mit dem Zusammenspiel zwischen der Sexindustrie und der

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Tech-Welt. Bereits 2007 veranstalteten sie im Start-up-Mekka San Francisco die erste Arse Elektronika, eine Konferenz für Sex & Tech, bei der jedes Jahr zahlreiche Speaker zu Wort kommen und neue Technologien vorgestellt werden. Während die Veranstaltung zunächst als einmaliges Event geplant war, wurde sie dank dem starken Zuspruch jährlich wiederholt und feiert nun ihr zehnjähriges Jubiläum. »Sex-Technologie ist ein sehr großer Bereich, der von Pornos auf Blu-ray bis zu einer technisch kontrollierbaren Fucking Machine reicht», erklärt Johannes Grenzfurthner, Initiator der Arse Elektronika. Unterschieden werden könne dabei zwischen Nischenprodukten wie eigens angefertigten Fucking Machines, die nur ein ausgewähltes Publikum ansprechen und dem Mainstream-Markt, der vor allem Pornos und Sextoys konsumiert. Ein großes Thema in den letzten Jahren sei vor allem der Bereich der Teledildonik. Darunter fallen aus der Ferne steuerbare Sextoys, die Remote-Control-Sex ermöglichen. Ebenfalls interessant seien Reacting Sextoys, wie beispielsweise Ambrosia Vibes, ein Dildo mit sogenanntem »Sucking Sensor«. Saugt jemand an dem Strap-On, gibt dieser Vibrationen an den Träger weiter. Die ersten Geräte wurden nach einer erfolgreichen CrowdfundingKampagne vor zwei Jahren ausgeliefert. Eine Weiterentwicklung wurde auf der Arse Elektronika im letzten Jahr von anderen Entwicklern präsentiert und ausgezeichnet. Sensoren auf einem Strap-On geben dabei elektrische Impulse auf einen weiteren Sensor in der Vagina der Frau weiter. Werden die Sensoren auf dem Strap-On stimuliert, soll die Frau durch die Impulse das Gefühl bekommen, als hätte sie selbst einen Penis.

Vibrator mit Beat Ein weiteres, auf der Arse Elektronika gezeigtes Projekt ist die Weiterentwicklung der App Oh Mi Bod. Schließt man einen Vibrator an ein Smartphone an, bewegt sich dieser synchron zum Takt der Musik. Für die Medienkünstlerin Heather Kelley war das nicht genug, denn keiner der ihr bekannten Songs bescherte ihr letztendlich einen Orgasmus. Gemeinsam mit einem Programmierer entwickelte sie kurzerhand selbst eine App, über die sie mit zwei Fingern Soundeffekte generieren konnte, zu der sich der Vibrator bewegt. Mit Erfolg. Die Hersteller von Oh Mi Bod wurden auf den Hack aufmerksam und entwickelten die App weiter, die nun als Download im iTunes-Store bereitsteht.

Porno mit Gefühl Doch Sex-Tech beschränkt sich nicht nur auf Toys. Eines der bekanntesten erfolgreichen Community-Beispiele ist die von Cindy Gallop gegründete Plattform Make Love Not Porn. Das soziale Netzwerk bietet Usern die Möglichkeit, ihre privaten Videos miteinander zu teilen. Für eine Gebühr von fünf Dollar können Mitglieder ihre privaten Sexfilme hochladen und anderen Usern zur Verfügung stellen. Das Ansehen eines Films kostet ebenfalls fünf Dollar, die Einnahmen aus dem Verleih werden zwischen Make Love Not Porn und dem User, der das Video zur Verfügung stellt, geteilt. Abgesehen vom geschäftlichen Erfolg ist der Gründerin Cindy Gallop, die medial mittlerweile als Star der Sex-Tech-Szene gefeiert wird, vor allem die Unterscheidung zwischen Pornografie und »echtem«, privatem Sex wichtig. Alle Videos werden vor der Veröffentlichung geprüft – auch in Hinblick auf ihre Authentizität. Mittlerweile zählt die

Arse Elektronika

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Wie Sex die Tech-Szene beeinflusst

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Fucking Machines » Es gibt hierzulande fast keine Unternehmen im TechBereich, obwohl Österreich beispielsweise im LatexSektor international sehr bekannt und erfolgreich ist.« — Johannes Grenzfurthner

Plattform etwa 400.000 Mitglieder weltweit, die sich für #realworldporn interessieren.

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Konzerne mit Vorurteilen Die Liste an aufstrebenden Start-ups mit neuen Ideen ist lang und erfreulicherweise auch weiblicher geprägt als der Rest der Tech-Welt. Wer in Österreich nach innovativen Start-ups sucht, wird dennoch schwer fündig. »Es gibt hierzulande fast keine Unternehmen im TechBereich, obwohl Österreich beispielsweise im Latex-Sektor international sehr bekannt und erfolgreich ist. Wien gilt sogar als LatexHauptstadt«, so Grenzfurthner. Eines der wenigen bekannten Beispiele ist die Tiroler Firma ThriXXX, die sich als Weltmarktführer bei 3D-animierter Pornografie etabliert hat. Die Online-PC-Games bieten Nutzern die Möglichkeit, eigene Charaktere zu bauen und ihre Fantasien auszuleben. Während die Tiroler Softwarehersteller einerseits davon profitieren, dass sich große US-Konzerne von Adult Content distanzieren, gestaltet sich die oft notwendige Zusammenarbeit mit anderen Firmen als schwierig. So sind die Games von ThriXXX beispielsweise nicht auf Konsolen erhältlich, da große Konsolenhersteller keine Spiele mit sexuellem Inhalt anbieten wollen, um ihrem familienfreundlichen Image nicht zu schaden. Das Problem der Distanzierung sieht Johannes Grenzfurthner auch abseits des Gaming-Bereichs. Einige Kreditkartenhersteller und Dienste wie Paypal würden sich beispielsweise weigern, Zahlungen auf Seiten mit Adult-Content durchzuführen und auch die Crowdfunding-Plattform Kickstarter zeigte sich anfänglich restriktiv. Zusätzlich gestalte sich die Suche nach größeren Investoren oft schwieriger als in anderen Bereichen.

Arse Elektronika mit österreichischer Beteiligung? Warum der Markt in Österreich dermaßen überschaubar ist, bleibt dennoch fraglich. Ein Problem sei laut Johannes Grenzfurthner allerdings die fehlende Kommunikation zwischen dem Start-up-Sektor, Hackerspaces und Initiativen, die sich offen und kreativ mit dem Thema Sex beschäftigen. Aktive Menschen gäbe es in Österreich in allen Bereichen, allerdings würde sich alle nur in der jeweils eigenen Bubble bewegen. Grenzfurthner hofft dennoch auf zukünftige Entwicklungen aus Österreich, die dann vielleicht sogar auf der nächsten Konferenz, die in Europa stattfinden wird, vorgestellt werden könnten. Yasmin Vihaus

Die nächste Arse Elektronika findet 2017 statt, ein genauer Termin ist noch nicht bekannt. Weitere Informationen auf monochrom.at/arse-elektronika

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Damit ein Film das PG-13 Rating erhalten kann, darf es nicht zu heftig zur Sache gehen. Doch der Sex ist da – und wird von Hollywood auf billigste Weise verschleiert. ———— Gestöhne, Liebesspiel und Orgasmus-Gesichter, am Ende dann die doppeldeutige Aufforderung »Let’s come together« – mit einem rasanten Zusammenschnitt verschiedenster Sexszenen bewarb die Europäische Filmkommission vor knapp zehn Jahren die von ihr geförderte Filmkunst. Unter anderem mit bewegten Bildern aus Bernardo Bertoluccis »The Dreamers« oder Jean-Pierre Jeunets »Amélie«. Der Clip ist natürlich auch als Diss in Richtung Hollywood zu verstehen. Denn sie ist als prüde und scheinheilig verschrien, die US-amerikanische Filmindustrie. So mute sie ihren jugendlichen Konsumenten zwar Gewaltexzesse am laufenden Band zu, dämonisiere Sex aber als schädliches Teufelswerk und verbanne ihn aus den Lichtspielhäusern. Haltlos sind diese Anschuldigungen nicht, wie ein Besuch im Kino bestätigt – sofern ein PG-13- und somit jugendfreier Streifen über die Leinwand flimmert: Enthauptete, ausgeweidete und von Pfeilen durchlöcherte Orks (»Der Herr der Ringe«) und globale Massenvernichtung (in jedem zweiten Superheldenfilm) rufen die Sittenwächter nicht zwingend auf den Plan. Ein Zumpferl oder ein Frauennippel, vielleicht gerade mal ein Sekündchen im Bild, sorgen hingegen für helle Aufregung. (Der Eklat rund um Claire Danes’ Brustwarzen-Blitzer in »Romeo And Juliet« wurde sogar von den »Simpsons« aufgegriffen: »I thought that nipple would haunt me forever!«). Verantwortlich dafür zeichnet ein

undurchsichtiges, im Verborgenen operierendes Zensurorgan (die Motion Picture Association of America, kurz MPAA). Pädagogische Expertise stellt kein Kriterium für die Aufnahme in diesen freimaurerartigen Bund dar, der mit der Vergabe von PG-13- und R-Ratings über Aufstieg und Fall einer Produktion entscheiden darf. Bekommt ein Film das R (restricted) aufgedrückt, werden Besucher unter 17 Jahren nur in Begleitung eines Erwachsenen ins Kino gelassen. Bei PG-13 (parental guidance) handelt es sich hingegen lediglich um eine Empfehlung an die Eltern, ihre Kinder in die Vorstellung zu begleiten. Praktisch gesehen kommt ein PG-13-Rating also einer Altersfreigabe gleich und verspricht damit ein größeres Publikum. Finanziell zahlt es sich also für gewöhnlich aus, auf expliziten Content zu verzichten. Mainstream Hollywood deshalb als sexfreie Moral-Bastion anzuprangern, wäre allerdings falsch. Der Sex ist ja da, man sieht ihn nur nicht. Allein dem ersten Mal sind beispielsweise ganze Filmgenres – wie der Slasher und die Teeniekomödie – gewidmet. Verwerflich war aber bislang vor allem die Einfallslosigkeit, mit der die körperliche Liebe auf PG-13 getrimmt wird – im bewegten Bild wie auch verbal.

Schwanz erlaubt Denn auch bei den Worten ist Enthaltsamkeit Trumpf. Ein »fuck«, beziehungsweise ein Derivat des Worts (fucking, fuckable, clusterfuck), erlaubt die MPAA gnädigerweise pro Film, wird häufiger geflucht, war’s das aber mit der Jugendfreigabe. Die Message eines

four-letter-words kann aber auch ohne den Gebrauch des selbigen ans Publikum übermittelt werden. Die Norman-Mailer-Methode (»fug« statt »fuck«) ging seinerzeit in die Literaturgeschichte ein, eignet sich aufgrund der zum Verwechseln verführenden Homophonie allerdings nicht zum Umgehen der Filmzensur. Der neueste Trick aus der Traumfabrik ist ein anderer: Das böse Wort wird kurzerhand in eine andere Sprache übersetzt. Auf Deutsch / Yiddish und Spanisch wird besonders gerne ausgewichen. »Schwanz« (mit langgezogenem »aaa« wie 2011 von Ryan Gosling in »Crazy. Stupid. Love.« gehört) steht derzeit für das männliche Geschlechtsorgan hoch im Kurs.

Ersatzhandlungen Das visuelle Substitut sprüht im jungendfreien Kino auch nicht gerade vor Kreativität. Vor der eigentlichen Action muss man erst mal die vordergründig mit dem Geschlechtsakt assoziierten Körperteile verstecken. Der absolute Klassiker: Das Verbergen der weiblichen Brust hinter brustähnlichen Gegenständen. Melonen und Kokosnüsse haben sich im Komödienfach über die Jahrzehnte bewährt und werden auch heute noch teils völlig ironiefrei eingesetzt. Bei den Jungs läuft es ein wenig anders ab. Statt sich Bananen und Gürkchen vors Gemächt zu halten, müssen die Herren darauf vertrauen, dass die (meist weit aufgerissenen) Augen ihres (meist weiblichen) Gegenübers dem Publikum die Zurschaustellung der primären Geschlechtsorgane signalisiert. Weit verbreitet ist in dieser Hinsicht der Hosen-zum-Boden-Move. Die Kamera ist in

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Pin-ups Der neueste Trend ist ebenfalls retro: Die Pinupifizierung ist im Vormarsch, insbesondere im Blockbuster-Kino. Das Sex-Objekt ersetzt den Sex und fungiert als Anheizer der vorwiegend männlichen Fantasien. Mikaela Banes (Megan Fox), die sich in Jeans-Shorts auf einem Motorrad rekelt (»Transformers: Revenge of the Fallen«), Harley Quinn (Margot

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» I thought that nipple would haunt me forever!« — aus »The Simpsons«

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Teppichnähe platziert und fängt neben der abgelegten Garderobe meist die Waden des frisch Entkleideten sowie den Gesichtsausdruck jener Person ein, an die sich die Nacktheit richtet. Auch an der Verschleierung des Geschlechtsakts selbst hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert. Annäherungsversuche enden im PG-13 prinzipiell mit einer Art Abdeckplane (etwa ein Leintuch, das übergeworfen, ein Vorhang, der zugezogen wird) oder dem klassischen Kameraschwenk. Während sich zwei Körper auf dem Eisbärenfell vor dem Kamin ineinander verkeilen, zeigt uns der Regisseur lieber die lodernden Flammen, um uns das Feuer der Leidenschaft deutlich vor Augen zu führen. Bleibt der Fokus doch einmal auf dem vermeintlich unzüchtigen Treiben, müssen wir uns gar mit schlimmeren Bildmetaphern herumschlagen. Der in den Tunnel einfahrende Zug, die abhebende Rakete usw. (eine schöne Übersicht liefert das Intro der TV-Serie »Masters of Sex«). Zugegeben, sie halten im 21. Jahrhundert nur noch als beabsichtigte Lachnummern her, das quietschende Bettgestell – nicht weniger abgestanden – wird aber vollen Ernstes noch verwendet.

Robbie) beim Anlegen eines Mini-Shirts vor versammelter Mannschaft (»Suicide Squad«), Black Widow (Scarlett Johansson), deren in schwarzes Latex gehüllter Hintern via 3DOptik von der Leinwand hüpft (»The Avengers«). Bei den männlichen Pin-ups hat sich hingegen der Standard-Sixpack etabliert, der von »Ant-Man« bis »Twilight« die Bäuche der Protagonisten ziert. Prüde und scheinheilig? Das entscheide jede Zuseherin und jeder Zuseher selbst. In jedem Fall verkommen Hollywoods verschleierte, entschärfte, sittenwächtertaugliche Sex-Szenen immer mehr zum langweiligen Einheitsbrei. Bleibt zu hoffen, dass das »Let’s come together«-Prinzip dem Kino zumindest Leo Dworschak anderorts erhalten bleibt.

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Wien bringt eine Vielzahl an jungen Kreativen hervor – eine der erfolgreichsten ist Laura Karasinski. Ein Besuch auf dem 150 m2 großen Indoor-Spielplatz für Kreative, den sie ihr Atelier nennt. ———— Wird man von Medien als »junges Ausnahmetalent« und »Wunderkind« auf ein Podest gestellt, sind die Reaktionen auf die eigene Erfolgswelle nicht immer nur positiv. Im Gegenteil: »Als ich angefangen habe, wurde über mich hergezogen. Menschen, die mich gar nicht kennen, haben die unmöglichsten Dinge über mich gesagt«, erinnert sich Laura Karasinski. Im Nachhinein könne sie es ein bisschen nachvollziehen: »Wenn du eine so junge Selbstständige in den Medien siehst, denkst du dir, wie kann das sein? Die Leute dachten, meine Karriere wäre von einem reichen Elternhaus finanziert.« Die Lebensrealität der mittlerweile 26-jährigen Art-Direktorin sieht aber anders aus: Karasinski stammt aus einer polnischen Einwandererfamilie und wuchs in Floridsdorf auf. Schon als Teenager hatte sie immer ein Notizheft dabei und kritzelte erste TattooEntwürfe für Freunde und Ideen für Flyer hinein. Nachdem sie die Skizzen regelmäßig auf ihrer Facebook-Seite »Housemaedchen« postete, kam der erste große Auftrag – von Ströck Brot. Irgendwann nahmen die Anfragen so zu, dass sie aus steuerrechtlichen Gründen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen musste. Mit 21 Jahren gründete sie das Atelier Karasinski. Eine 150 m2 große Altbauwohnung im achten Wiener Bezirk – voll von Retroschick, kuriosen Sammelstücken und Inspirationen. Sie ist Arbeits- und Lebensraum zugleich. Hier gestaltet die Kreativdenkerin seither alles, was es zu gestalten gibt. Inneneinrichtungen, Logos, Websites, Verpackungen. Erst kürzlich stattete sie beispielsweise das Restaurant Motto neu aus. Zu Kunden zählen außerdem Firmen wie Campari und Künstler wie Left Boy. Auf die Frage, ob sie als Alleinunternehmerin immer ernst genommen worden sei, antwortet Karasinski mit einem Lachen: »Schau mich an! Ich bin blond, klein und eine Frau. Natürlich nicht.«

Sexismus und Selbstinszenierung Sie erzählt von einem Beispiel: Bei einer Veranstaltung, zu der Karasinski als Speakerin eingeladen war, konnte das Publikum mit-

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hilfe einer App anonyme Fragen stellen. Die erste lautete: Wieso sind deine Haare oben braun und unten blond? Die zweite: Wie viel verdienst du? Und die dritte Frage: Willst du mich heiraten? »Nicht nur, dass ich – im Gegensatz zu den vier männlichen Kollegen auf dem Podium – per Du angesprochen wurde: Wenn eine Frau aus der Wirtschaft auf dem Podium sitzt, wird sie sofort auf ihr Äußeres und auf ihren Beziehungsstatus reduziert. Niemand wäre auf die Idee gekommen, den CEO, der vor mir gesprochen hat, zu fragen, ob er jemanden heiraten will.« Beim Gespräch über patriarchale Weltanschauungen wird die Gestalterin – wie sie sich selbst gerne bezeichnet – merklich emotional.

sich zu verkaufen. Darauf springen Medien an, das wird zum Selbstläufer. Und wenn etwas überproportional viel in der Öffentlichkeit auftaucht und die gesamte Szene auf ein, zwei Leute reduziert wird – das polarisiert.« Ein Blick auf den Instagram-Account zeigt viele Reisefotos: »Ich kann mir vorstellen, dass dies Neider hervorruft. Social Media ist gefährlich – gerade in Lauras Fall verschmilzt zudem die Privatperson mit dem Atelier Karasinski. Dass man viel Lifestyle und wenig fertige Arbeiten sieht, irritiert vielleicht. Aber dafür gibt es ja ihre Website.« Es gibt wenige Gestalter in Österreich, die sich etwas lauter präsentieren und positionieren. Eine Art Mentalitätsfrage also.

Wert von Kreativleistung

Auf ihre Selfies angesprochen, meint Karasinski: »Ich habe seit einem halben Jahr damit aufgehört, Selfies auf Social-MediaKanälen zu posten, weil ich nicht mehr auf mein Äußeres reduziert werden möchte.« Ein bisschen zu viel Selbstinszenierung? – ein Vorwurf, den man Karasinski auch ohne sexistischen Unterton machen könnte. »Nein, ich habe ja nicht mich, sondern meine Arbeit vermarktet«, ist Karasinski überzeugt. Anna Fahrmaier von Typejockeys kennt Karasinski persönlich, ihre Arbeiten und auch ihre Social-Media-Kanäle. Ihr Erklärungsversuch: »Ich schätze Laura sehr. Was sie besonders gut kann, ist Trends zu erkennen und die richtigen Leute für ein Projekt zusammenzubringen. Und sie weiß eben auch,

Ob der Konkurrenzdruck sehr hoch ist? »Ich weiß nicht, was andere Leute für ihre Arbeit verlangen. Wir haben uns in den letzten fünf Jahren langsam nach vorne gearbeitet und wissen mittlerweile, was unsere Arbeit wert ist«, antwortet Karasinski. Bis zum Jahr 2004 gab es noch Honorar-Richtlinien des Fachverbands Design Austria. Das wurde aber kartellrechtlich verboten und zurückgezogen. Karasinski kritisiert dies als »ScheuklappenVerhalten«. Sie selbst hat schon gearbeitet, während sie Grafik und Werbung an der Universität für angewandte Kunst studierte. Im Studium werde einem nicht beigebracht, wie man in der Steuer- und Finanzwelt als Kreative überleben kann. »Es wird einem auch nicht gesagt, was die Arbeit wert ist, die man macht.« Sie schlägt daher neue Seminare vor. Design Austria teilte auf Anfrage mit, dass eine neue Publikation zur aktuellen Situation von Honoraren und Einkommen im Gestaltungsbereich in Planung ist: »Wir haben uns entschlossen, mit aller wettbewerbsrechtlicher Vorsicht eine Publikation zum Thema Designwert und Kalkulation herauszubringen und eine Erhebung über das Honorarniveau durchzuführen. Dazu bitten wir aktuell um Beantwortung von Fragen über Berechnung, Honorargestaltung und -höhen«, sagt Sprecherin Christina Pilk.

Sparten aufbrechen Mit »wir« meint Laura Karasinski ein Kollektiv aus zehn selbstständigen Kreativen – dar-

Atelier Karasinski, Sabine Reiter

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Laura Karasinski im Porträt Liebe deine Arbeit!

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Links: E inblick ins Atelier: Hier lebt und arbeitet die Gestalterin. Rechts: Laura Karasinski präsentiert sich auch mal lauter als die Konkurrenz.

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Se of

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Das Atelier Karasinski zeichnet für die Neugestaltung der kultigen Restaurant-Bar »Motto«.

unter Fotografen, eine Make-up-Artistin, ein Kameramann, eine Grafikerin und ein Programmierer. Das werde die neue Form von Agentur sein, ist sie überzeugt. Auftragsbezogen wird zusammengearbeitet, ansonsten geht jeder seinen eigenen Weg. Das Berufsfeld an sich werde jedenfalls nie aussterben, denn »es wird immer Gestaltung brauchen«. Ein genauer Blick zeigt tatsächlich eine Tendenz hin zu verstärkter Vernetzung und Zusammenarbeit. Man könnte sagen, die Szene in der Bundeshauptstadt agiert interdisziplinär. Es passiert ein Verschwimmen und Ineinandergreifen der Design-Sparten: Grafik-Design wird immer öfter mit Leistungen wie Illustration, Web-Design oder auch Animation angeboten. Kreative Leistungsportfolios voneinander zu trennen und klar zu definieren wird deswegen immer schwieriger. So auch bei Karasinski. »Ich glaube, man kann Laura nicht zwingend in einen Bereich platzieren. Durch unser vielschichtiges Team können wir vieles abdecken«, sagt Sabine Reiter, Make-up Artist im Atelier Karasinski. Ein Verständnis für die Arbeit der anderen ist für das Funktionieren eines solchen Kollektivs unabdingbar. Und man dürfe nie aus den Augen verlieren, was der oder die einzelne für das Atelier beiträgt – sagt Video-Editor Daniel Gottschling. »Bei so einer engen Beziehung gab es natürlich auch Streit. Aber es wäre ja langweilig und vor allem fake, wenn man sich nie in die Haare kriegt – auch, wenn es nur um ein blödes Video geht. In solchen Momenten merkt man: Auf beiden Seiten gibt es eine Leidenschaft für das Endprodukt.« Aus hitzigen Diskussionen entstehen oft die besten Dinge.

Auch für das Konzept der Bar Campari an nobler Innenstadtadresse ist die Gestalterin verantwortlich.

Homebase »Merken Sie nicht, wie Wien wieder Weltstadt wird?«, wird Helmut Qualtinger auf einem Plakat im Arbeitszimmer des Ateliers zitiert. Laut dem aktuellen Kreativwirtschaftsbericht der Wirtschaftskammer und dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft sind die Hälfte aller österreichischen Designschaffenden in Wien ansässig. Ob sie sich vorstellen kann, woanders zu leben? »Ich wollte vor drei Jahren nach New York ziehen aber eigentlich nur wegen dem Grant der Wiener.« Das hat nicht funktioniert. Mittlerweile hat sie Wien lieben gelernt: Die Architektur, die Theaterstätten, Musikvereine, die Gemütlichkeit. Ein Film im Gartenbaukino, Essen im Mochi, ein Drink in der Miranda Bar. Grantige Menschen nimmt sie dafür gerne in Kauf. Nur manchmal, da muss sie einfach weg. Das Reisen dient der psychischen Hygiene, gleichzeitig holt sich Karasinski neue Inspirationen.

Streben nach Liebe Bei der Auswahl ihrer Projekte verlässt sie sich nur noch auf ihr Bauchgefühl: »Man soll sich auf eine gesunde egoistische Art immer selbst zuerst stellen, bevor einem der Job dann nur fertigmacht. Ich habe lange gebraucht, das zu realisieren.« Am wichtigsten sei gegenseitiger Respekt, dann entstehe von selbst eine Art organischer Prozess. Eine Philosophie, die jedoch für andere Kreative nach schöner Utopie klingen mag. Dass sie sich in einer glücklichen Position befinde, sei ihr bewusst: „Es kommt immer auf den Charakter an. Natürlich kann man nicht davon ausgehen,

Logoarbeiten aus dem Hause Karasinski.

dass jede und jeder Selbständige gleich ambitioniert ist. Wenn der Charakter stark genug ist, dann schafft man es auch zu Zeiten hoher Auslastung ein Ventil zu finden, beispielsweise durchs Reisen. Aber auch ich habe fünf Jahre gebraucht, um mir eine Auszeit zwischen Projekten zu erlauben.« Es gibt eben keine allgemeine »How to«-Anleitung für Werbeagenturen. Ihr Rezept für einen gelungenen Start in der Kreativbranche: Ambition und Bewusstsein für Qualität. Man soll sich darüber im Klaren sein, dass es nicht um das eigene Ego geht, sondern um eine Dienstleistung. Und: Liebe zu sich selbst und zu seiner Arbeit ist ausschlaggebend – diesem Thema widmete sie auch ihren Gastkommentar, als sie vom Forbes Magazin unter die 30 unter 30 in Österreich gewählt wurde. Ob ihr frühere Arbeiten immer noch gefallen? »Im besten Fall nicht«, sagt sie. »Weil man dann weiß, dass man sich weiterentwickelt hat. Ich hasse nichts mehr als Stillstand.« Ihre Kreativität leitet sich von allem ab, was sie sieht, hört und anfasst. »Mein Gehirn ist wie ein Schwamm, es speichert sehr viel ab. Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich zu viele Tabs offen.« Meistens entstehen die Ideen für Designs bereits während des ersten Meetings. Auch wissen Kunden oft schon, in welche Richtung es gehen soll und nennen Beispiele. Wie viel sie sich in ihren kreativen Schaffensprozess reinreden lässt? »Mittlerweile vertrauen die Kunden, dass das, was wir als Agentur liefern, wahrscheinlich ihren Wünschen entspricht. Klingt das jetzt eh nicht zu arrogant?« Nein, gar nicht. Magdalena Meergraf

Auf die Frage, ob sie als Alleinunternehmerin immer ernst genommen worden sei, antwortet Karasinski mit einem Lachen: »Schau mich an! Ich bin blond, klein und eine Frau. Natürlich nicht.« 018-037 The Gap 160 Story 1.indd 34

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Debattenkultur Wut ist das zentrale Gefühl des Jahres 2016. Wo bleibt da noch Platz für das Denken? ———— Es sind überall auf der Welt dieselben schrecklichen Bilder. Eine Masse aus Menschen mit zusammengekniffenen Augen, geöffneten Mündern und geschlossenen Geistern, die »Lügenpresse!« oder »Lock her up!« brüllt. Die unter das Video eines versuchten Selbstmords eines Flüchtlings »Viel Glück beim nächsten Mal!« in die Tastatur hämmern. Die »Gutmensch« als Schimpfwort verwenden und weiblichen »Bahnhofsklatschern« ohne mit der Wimper zu zucken eine Vergewaltigung wünschen. Diese Menschen unterscheidet viel: ihr Wohnort, ihr Alter, ihre sozioökonomische Stellung. Was sie aber gemeinsam haben: Sie sind wütend. Die unsympathischen Wutbürger in Bautzen oder Illinois sind aber nicht die Einzigen, die wütend sind. Auch die jungen Menschen, die auf Twitter oder Facebook ihrem Ärger über Alpha-Moderatoren oder Politiker Luft machen und sich dabei gegenseitig anstacheln, sind wütend. Alle sind wütend. Wut ist vielleicht das Gefühl, das 2016 am besten zusammenfasst. »Empört Euch!«, schrieb der damals bereits über 90-jährige Stephane Hessel den Menschen 2010 ins Gewissen. Der französische Philosoph prangerte in seinem Essay richtigerweise eine ganze Menge schlechter Dinge an: die steigende Ungleichheit, den Klimawandel, den beschränkten Zugang zu Bildung. Leider kann man fünf Jahre später ein Grundproblem identifizieren: Hessel stellt der Empörung die Gleichgültigkeit gegenüber. Diese sei das Schlimmste, was man sich und der Welt antun könne. Das stimmt, ist aber unfair. Nicht jedem, der mal eine Welle der Empörung auslässt, sind die Dinge gleichgültig. Vielleicht möchte er auch einfach nur mal eine Nacht darüber schlafen, um am nächsten Tag nach dem ersten Kaffee nach Antworten zu suchen.

das von der Wahrheit entkoppelt ist. Es kann reale Ursachen haben, muss es aber nicht. An anderer Stelle bekämpft man nicht Flüchtlinge, sondern ihre Feinde, tritt nicht nach unten, sondern zumindest auf selbe Höhe. Dort ist die Wut sympathischer, aber deshalb noch lange nicht unproblematisch. Wut versetzt den Menschen in den Lockdown und löscht alle Zwischentöne aus. Stresshormone wie Noradrenalin und Adrenalin werden ausgeschüttet, die Herzfrequenz steigt, Muskeln nehmen vermehrt Glucose auf. Die Aggression gegenüber der Umgebung steigt. Das sind ideale Voraussetzungen

Der Shitstorm, an dem man selbst mitwirkt, ist immer »berechtigte Empörung«.

Mammutjagd im Netz Das Phänomen Donald Trump ist ohne Wut nicht vorstellbar. Und wenn man sich seine Wähler genauer anschaut, erzählt es uns ein wenig über das Wesen der Wut selbst. Es gibt durchaus TrumpWähler, deren Zorn berechtigt ist. Vergessene Bergwerker aus Pennsylvania mit chronischer Lungenkrankheit, die ihre Arztrechnungen nicht mehr bezahlen können. Aber man kann es nicht oft genug sagen: Dass das Trumps Kernwähler wären, ist nicht mehr als ein schönes Narrativ. Der Großteil seiner weißen Unterstützer verdient kaufkraftbereinigt besser als weiße Nicht-Trump-Wähler und wohnt in Gegenden, die so divers sind wie ein Stammtisch der FPÖ Eisenstadt-Umgebung. Trump-Wähler sind vor allem gefühlte Verlierer: 70 Prozent von ihnen sagen, dass sich Amerika seit den 50er Jahren zum Schlechteren verändert habe. Wut ist eine Gefühl,

für die Mammutjagd oder die Flucht vor einem Fressfeind. Aber braucht es diesen Status wirklich, um die Gästeliste von »Talk im Hangar-7« auf Servus TV zu diskutieren? Da gerät schnell mal jedes Maß verloren, ohne das daran der einzelne Schuld wäre. Wut ist eine mächtige Waffe und kann wichtigen Zielen dienen: dem Kampf gegen das Patriarchat, den Finanzkapitalismus, die Diskriminierung. Und sie ist trotzdem auch in solchen Fällen Gegenaufklärung, weil Aufklärung etwas mit Denken, mit Verstand zu tun hat. Die Wut will aber eigentlich nicht denken, nicht verstehen, sondern hat die Antworten schon. Im Netz nimmt die Wut unterschiedliche Formen an. Sie kann

Empört Euch 018-037 The Gap 160 Story 1.indd 36

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sich in ekelerregenden Kommentaren manifestieren. In widerlich tiefen, sexualisierten Beleidigungen gegenüber Andersdenkenen und Frauen, die sich erdreisten, eine Meinung zu haben. Wut ist aber genauso der Shitstorm für eine gute Sache. Da wird dann ein »unfassbarer« Screenshot aus Standard, Presse, News oder Vice völlig entkontextualisiert durch den Durchlauferhitzer soziale Medien gejagt. Shitstorms für eine gute Sache sind schwierig, weil sie natürlich keine Shitstorms sein wollen. Jeder, der sich daran beteiligt, ist ja eigentlich gegen Shitstorms. Das Wort riecht nach Mob, nach Fackeln, nach Masse. Das will man ja nicht. Deshalb ist der Shitstorm, an dem man selbst mitwirkt, immer »berechtigte Empörung«. Das Problem ist, dass die anderen das im umgekehrten Fall halt genauso empfinden. Shitstorm, das sind immer die anderen.

Die Adornisierung der Welt Der deutsche Internetguru und Irokesenträger Sacha Lobo hielt im Juni diesen Jahres einen Grundsatzvortrag an der Uni Tübingen, in dem es unter anderem um den Verlust der Mäßigung im Netz ging. Die Mäßigung, also die Ablehnung von politischen, aber auch emotionalen und kommunikativen Extremen, sei der Kitt einer bürgerlichen Gesellschaft, die durch das Internet langsam abhanden komme. Die bürgerliche Mäßigung hatte den Vorteil, dass sich die Menschen früher geschämt hätten, Kommentare in der Öffentlichkeit abzugeben, die sie heute im Vorbeigehen fröhlich unter ein Strache-Facebook-Posting klatschen. Sie hatte aber auch einen Nachteil. Und an dieser Stelle wird die Kritik der Wut durchaus problematisch. Sie ist nur dann akzeptabel, wenn man das aktuelle Gesellschaftsmodell für fehlerhaft, aber grundsätzlich in Ordnung hält. Unaufgeregte Revolutionen gibt’s nicht, und Wut kritisiert sich leichter, wenn man einer dieser berühmten weißen, heterosexuellen Männer ist. Das lässt sich nicht wegdiskutieren, auch nicht mit niedrigem Blutdruck und Adrenalinspiegel. Vielleicht ist es auch ohnehin übertrieben, Wut und Denken als kompletten Gegensatz zu sehen. Es gibt ein relativ bekanntes Zitat von Theodor Adorno, dem vielleicht bürgerlichsten aller linken Theoretiker: »Wer denkt, ist nicht wütend.« Doch das Zitat hat eigentlich noch einen zweiten, weniger bekannten Teil. »Denken hat die Wut sublimiert«. Das Denken als Vorgang, der sich seines Ursprungs in der Wut bewusst ist, sie aber auf eine neue Stufe hebt. Sie verinnerlicht hat, aber sich weigert, auf der Gefühlsebene zu bleiben, sondern sofort abstrahiert und nach Lösungen für die Probleme sucht. Ein schöne Idee. Denn letztlich geht es genau darum: irrationale Wut ist selbsterschöpfend. Wer Dinge ändern will, darf wütend sein. Er sollte der Wut das Denken aber zumindest zur Seite stellen. Jonas Vogt

kooperation

im Netz

Der Marco Polo City Guide für 2017 ist da Wiener für Wiener Als wir kürzlich via Facebook den neuen Cityguide »Wien für Wiener« unseres Partners Marco Polo verlost haben, wurden wir mit Likes und Kommentaren nur so überschüttet. Anscheinend ist der Wiener doch offen für Neues – und gefühlt tut sich in Wien auch irgendwie mehr als früher. Deswegen stellt der Cityguide die zahlreiche Neueröffnungen vor, kuratiert aber auch das Beste aus den Klassikern – mit Hilfe sympathischer Insider-Tipps der ortsansässigen Autorinnen. Ob Nachtleben, Sport, Einkaufen, Essen, ob billig oder bio, zum Mitmachen oder zum Berieseln lassen, der Marco Polo Cityguide hat für Ur- und Neuwiener marcopolo.de passende Tipps.

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Michael Snoj, Falter Verlag

038 Die »Idealzone Wien« in Bildern: Punk-Frisuren von Peter Savic im U4 (1980) und ein legendärer Auftritt der Band A-Gen 53 im Metropol (1981). Mitherausgeber Martin W. Drexler (oben rechts) blickt zurück auf eine »Generation von Nestflüchtern«.

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Wiens schnelle Jahre als Buch

»Jede Generation ist der Annahme, dass ihre Zeit die beste ist« – dieser Satz steht als Zitat von dir auf der Rückseite des Buches »Idealzone Wien«. Ich gehe davon aus, dass ihr das aus eurem Blickwinkel über die Jahre 1978 bis 1985 sagt, dass ihr das aber natürlich auch humorvoll relativiert. Was macht für euch diese Zeit aus? martin w. drexler: Das ist mir deswegen eingefallen, weil wir bis dahin immer von unseren Urgroßeltern, Großeltern, Eltern und Verwandten gehört hatten, dass dieser oder jener Zeitabschnitt vor uns angeblich so viel besser war. Und nun waren plötzlich wir es, die die 80er in Wien als die beste Zeit für sich in Anspruch nahmen und ja teilweise auch noch nehmen. Wien in den 80ern war einfach auf allen Ebenen ein absolut unbeschwertes Drauflos – und das auch nur mit eigenem Kapital, ohne auf eine Förderung von der Stadt oder vom Staat gewartet zu haben, wie dies heute von den sogenannten Start-ups regelrecht erwartet, ja fast eingefordert wird. Was von damals war oder ist Wien-spezifisch? Die Wiener Kunstszene, die durch den Glücksfall Peter Pakesch und seine kleine Galerie in der Ballgasse entstanden ist. Die typische Wiener Beislszene, die damals regelrecht explodiert ist. Es gab ja zur Hochblüte fast jeden Abend zumindest eine Lokaleröffnung, die nur durch Flyer und Mundpropaganda angekündigt war. Das U4 mit der U-Mode – lach mich bitte nicht aus – die im U4 und danach in den damals noch nicht umgebauten Hofstallungen (im heutigen Museumsquartier; Anm. d. Red.) so etwas wie die Vorwegnahme der Londoner, der New Yorker bzw. der Berliner Fashion Week gewesen ist, aber aus den verschiedensten Gründen sich leider nicht weiterentwickeln konnte. Und das dadurch entstandene generelle Aufblühen der Stadt, natürlich auch durch die damals legendären Stadtfeste, die Eröffnung der Donauinsel als unglaublich vielfältiges Naherholungsgebiet

zusätzlich zur Lobau, und noch vieles mehr. Diese wichtigen Bausteine haben dazu beigetragen, dass Wien sich ab dieser Zeit als unglaublich lebenswerte Stadt entwickeln und behaupten konnte und kann. Liest man die Liste der Beitragenden durch – etwa mit Walter Gröbchen, Manfred Klimek, dem leider heuer verstorbenen Gert Winkler, Karin Resetarits und anderen – gewinnt man den Eindruck, dass zum einen überdurchschnittliche viele der Protagonisten der damaligen Zeit in der Medienbranche gelandet sind und dass zum anderen viele heute noch aktiv sind. Also auch in dem Sinne, dass sie Schlüsselrollen innehaben, die vielleicht auch schon jüngere Leute übernehmen hätten können. Die Medien generell haben sich ab den 80ern konsequent neu- bzw. weiterentwickelt, ich erinnere hier nur an das Printmedium Wiener, das Gert Winkler erfunden hat. Und die Tatsache, dass heute noch so viele in Schlüsselpositionen von wichtigen Medien – nicht nur in Wien – arbeiten, zeigt, dass diese Menschen offensichtlich weiterhin exzellente Arbeit leisten. Und in den Privatradio- und privaten TV-Anstalten oder bei FM4 arbeiten auch schon deutlich jüngere Leute. Hab ich selbst gesehen. Neben deinem Job als Digitalspezialist lehrst du auch als Medienprofessor an der Graphischen in Wien, wo du ebenfalls immer viel mit jungen Menschen zu tun hast – und ich weiß, dass du diese sehr schätzt. Deswegen frage ich dich, ohne Angst davor, nun Negativklischees zu hören: Wo siehst du die größten Unterschiede und Entwicklungen zwischen den Generationen von heute und damals? Wie schon in der ersten Frage angesprochen, wollten wir einfach raus und weg von daheim, wir waren ein Generation von Nestflüchtern. Und wir wollten einfach alles ausprobieren, selbst machen, auf niemanden warten. Die Generation jetzt besteht eher aus Nesthockern, die sich größtenteils von den Sozialen Medien sedieren lassen. Das Schlimmste ist meiner Meinung nach aber Folgendes: Während die Punks eigenständig und freiwillig aus kalkuliertem Trotz »No Future« proklamierten, wird dies der Generation von heute und morgen leider von den Politikern beschert. Gibt es überhaupt Generationen – oder nur Szenen in bestimmten Umfeldern? Ich bin überzeugt, dass sich – egal wo – die jeweiligen Szenen schlichtweg generati-

onsbedingt formieren, ja formieren müssen, außer diese sind rein politisch bedingt. Punk war ja auch nix für über 40-Jährige und auch die Idealzone Wien war den Lodenmänteln aus den schicken Wiener Bezirken einfach zu suspekt. Wie schätzt du die Tatsache einer weitreichenden Digitalisierung ein? Was wäre damals mit diesen Möglichkeiten passiert oder hätten diese vieles auch gar nicht entstehen lassen? Schwer zu sagen, aber wir haben uns trotzdem immer dort getroffen, wo wir es uns teilweise Wochen vorher ausgemacht hatten – ohne Smartphones und deren adaptive Devices. Für die heutige Generation schlichtweg nicht nachvollziehbar. Wir hatten einfach eine ungleich kompaktere und konsequentere Kommunikation drauf, als dies die heutige Generation mit den sogenannten Sozialen Medien schafft, weil wir die damaligen Kommunikationskanäle besser und ernsthafter ausgereizt haben. Dazu ein Beispiel, das wohl alles sagt: Als der damalige Bundeskanzler Sinowatz am Morgen des 19. Dezember 1984 den Startschuss zur Rodung der Hainburger Au gab und es deshalb zu Tumulten zwischen den Aubesetzern und der Gendarmerie kam, sind am selben Abend in Wien um die 40.000 Menschen friedlich, aber mit einer unglaublichen Symbolkraft, über den Ring zum Ballhausplatz gezogen. Und das alles ohne Soziale Medien, SMS, Twitter oder WhatsApp – lediglich via Telefon und Fax koordiniert. Das hat die Regierenden so dermaßen in Angst versetzt, wie sich blitzartig so viele Menschen eigenständig mobilisiert haben, dass das Kraftwerk in Hainburg sofort vom Tisch war. Das extrem Positive in und an Wien heute, das es aufgrund der technischen Umstände bis 2010 gar nicht geben konnte, sind das Open Government und die Open-Data-Angebote der Stadt, was bedeutet, dass durch die Datentransparenz die offene Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung, der Politik und der Öffentlichkeit nun möglich ist und konsequent ausgebaut wird. Hier ist Wien weltweit Martin Mühl federführend.

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Zwischen 1978 und 1985 muss man in Wien gewesen sein. Ein neues Buch erzählt in Bildern und Texten von der Aufbruchsstimmung dieser besonderen Zeit. ———— Mit dem Ende der 70er-Jahre ließ Wien das Muffige der alten Zeiten hinter sich und stieg zur schillernden Metropole auf. Geprägt von New Wave, Punk und Neuer Deutscher Welle, Hainburg, Galerien- und Lokalboom entfaltete sich die »Idealzone Wien«. Das gleichnamige Buch erinnert in dokumentarischen bis launigen Beiträgen an die »schnellen Jahre«. Mitherausgeber Martin W. Drexler im Interview.

»Idealzone Wien – Die schnellen Jahre (1978–1985)«, herausgegeben von Martin W. Drexler, Markus Eibl­ mayr und Franziska Maderthaner, ist im Falter Verlag erschienen.

Unbeschwertes Drauflos 038-051 The Gap 160 Story 2.indd 39

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Hier kรถnnte ein Kunstwerk stehen Die Chancen des 21er Haus

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Gerald Zugmann / www.zugmann.com

Viel von allem Ins Haus integriert sind mit dem 21er Raum, der Wotruba Stiftung, der Artothek des Bundes, dem Blickle Kino, dem Salon für Kunstbuch, der Gastronomie sowie dem temporären Leben in der Wand auch zahlreiche unterschiedliche Institutionen. Durch die vielen, kleinteiligen Veranstaltungen und Interventionen ist es nicht leicht, das Haus als homogene Marke zu fassen, obwohl das im Sinne des einen großen Wurfes, den die Architektur fordert, zielführend wäre. Denn die Bauweise des 21er Haus ist in Wiens Museumslandschaft einzigartig. Oberhalb des Belvedere im charmanten Schweizer Garten liegend erinnert das Museum ein bisschen an die zehn Jahre später von Mies van der Rohe entworfene Neue Nationalgalerie in Berlin – ein durchaus schmeichelhafter Vergleich. Die vierseitige Glasfassade lässt das Haus offen, hell und einladend wirken und schreit geradezu nach der spektakulären Zurschaustellung einer ortspezifischen und

raumgreifenden Kunstposition – etwas, was zum Beispiel die Bregenzer Kunsthalle bereits macht.

Vorlieben und Blockbuster Die künstlerische Programmierung funktionierte in den letzten Jahren mal besser, mal schlechter. »Vor fünf Jahren war die Erwartung minimal. Husslein hatte bis dahin kein überzeugendes Programm gemacht und ihre Vorlieben in der zeitgenössischen Kunst waren berüchtigt«, meint Kulturjournalist Matthias Dusini, gesteht dem Haus und seiner scheidenden Direktorin aber auch große Erfolge zu: Das 21er Haus habe sich mit dem Auftritt von Gelatin und der Weibel-Retrospektive überraschend gut entwickelt und der internationalisierten lokalen Szene endlich Aufmerksamkeit verschafft. Im heurigen Jahr konnte das 21er Haus dann mit dem ersten Blockbuster von internationalem Format aufwarten. Dabei kam die Ausstellung des Starkünstlers Ai Weiwei eigentlich ein paar Jahre zu spät. Der chinesische Regimekritiker und Dissident hat seine besten künstlerischen Jahre hinter sich und wirkt mit seinen Positionen in jüngerer Vergangenheit über die Maßen plakativ. Das ändert aber nichts an dem großen Erfolg der Schau – sie bescherte dem 21er Haus einen Besucherrekord.

Eventisierung und Compliance Diese Publikumswirksamkeit geht mit den Eventisierungs-Versuchen des 21er Haus Hand in Hand: Husslein hat schneller als andere begriffen, »dass Kunst nicht nur Ausstellungen sind, sondern auch Feiern und Ausgehen. 21er-Vernissagen machten deutlich, wie groß und begierig die Wiener Kunstgemeinde ist«, so Dusini. Auch die Internetpräsenz des 21er Haus ist dem namensgebenden Jahrhundert würdig: Social Media wird gekonnt bespielt, Instawalks für reichweitenstarke Blogger organisiert, junge Zielgruppen angesprochen. Doch auch die besten Partys können nicht ganz vom Compliance-Skandal um Agnes Husslein-Arco ablenken. Wiewohl es vielen Beobachtern schwerzufallen scheint, zwischen Hussleins Verdiensten als Direktorin und ihren Verstößen zu differenzieren und diese nicht gegen einander aufzuwiegen, wird das Belvedere ab dem kommenden Jahr nicht mehr von einer Person geleitet, sondern von einer Doppelspitze. Die künstlerische Leitung übernimmt die bisherige Lentos-Direktorin Stella Rollig, die kaufmännische der bisheri-

ge Der Standard-Geschäftsführer Wolfgang Bergmann. Weiters steht das Winterpalais in der Himmelpfortgasse dem Belvedere aller Voraussicht nach ab 2018 nicht mehr als Ausstellungsraum zur Verfügung. Nach den vielbeachteten Ausstellungen von Ólafur Elíasson oder zuletzt von Sterling Ruby ein herber Verlust, vielleicht aber auch ein Schritt in Richtung der von Rollig angekündigten Klärung der Häuserzuständigkeiten.

The future is now Eine radikale Lösung für die Abgrenzungsproblematik hätte Dusini schon parat: Mumok vergrößern, Kunsthalle ins 21er Haus. Stella Rollig hingegen kommunizierte ihre Vision für das Haus im Schweizergarten uns gegenüber bisher eher vorsichtig wie etwa mit dem vagen Vorhaben, »die Besonderheit der Avantgarde in Österreich noch deutlicher herausarbeiten« zu wollen. Wie und wie schnell dieses Vorhaben konkret artikuliert zu Tage treten wird, entscheidet über die Zukunft des Hauses. Nach den negativen Schlagzeilen der letzten Monate und der Schließung des Winterpalais steht das neue Duo vor der denkbar schwierigen Aufgabe, Ruhe in den Betrieb zu bringen und das Haus gleichzeitig nach außen im Gespräch zu halten. Das 21er Haus hat seine Schonfrist hinter sich und kann sich nicht ewig als Teil des Stadtentwicklungsprojekts am Hauptbahnhof begreifen. Die vielen kleinteiligen Veranstaltungen und Positionen müssen in eine gemeinsame, klare Linie zusammenfinden, um langfristig das einzuhalten, was die spektakulären Eröffnungen und jüngsten Besuchererfolge verhießen. Solange die Konkurrenz in Mumok und Kunsthalle schläft, hat das 21er Haus darüber hinaus die Chance, jene Lücke zu schließen, die das Winterpalais bald hinterlassen wird: einzelne, aus dem zeitgenössischen Kunstbetrieb herausgegriffene Positionen publikumswirksam und spektakulär zu inszenieren. Den idealen Raum dafür hätten sie ja. Nikolaus Ganahl. Redaktionelle Mitarbeit: Gabriel Roland, Amira Ben Saoud

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Das 21er Haus – Museum für zeitgenössische Kunst hat im Schatten eines ComplianceSkandals und Führungswechsels seinen fünften Geburtstag gefeiert. Grund genug für Bestandsaufnahme und Ausblick. ———— Dass der Urwiener Taxifahrer bei den Stichworten »Museum« und »Hauptbahnhof« lieber beim Heeresgeschichtlichen Museum anhält und auch bei der Korrektur »Nein, ins 21er Haus, dieses Glasgebäude ums Eck« erst sein Navi bemühen muss, bestätigt einen Verdacht, der auch nach fünf Jahren 21er Haus nicht ganz von der Hand zu weisen ist: Das zeitgenössische Museum wirkt abgelegen, konnte sich erst schemenhaft in die Kulturidentität der Stadt Wien einschreiben. Das liegt einerseits an der isolierten Lage des gläsernen Quaders, der ursprünglich von Karl Schwanzer als österreichischer Pavillon für die Expo 58 konzipiert wurde, andererseits – und das ist wichtiger – gibt es inhaltliche Abgrenzungsprobleme zu anderen Institutionen: So hat das zentral gelegene Winterpalais mit seinen letzten Ausstellungen das 21er Haus oft überstrahlt und mit internationalen Zeitgenossen dem hauseigenen Mitbewerber Aufmerksamkeit genommen. Auch die Unterschiede zum Unteren Belvedere lassen sich nicht immer leicht festmachen. Gerade bei einer großen Museumsfamilie wie dem Belvedere, zu dem das 21er Haus seit 2011 gehört, wären scharfe Profile der einzelnen Häuser aber essentiell.

Ein bereits mit Agnes Husslein-Arco schriftlich geführtes Interview, das hier zusätzlich hätte stehen sollen, wurde vom Belvedere in letzter Minute zurückgezogen. Wir bedauern diese Entscheidung, respektieren sie aber. Wer die Umwälzungen im 21er Haus selbst verfolgen will, kann das täglich außer montags und dienstags in der Arsenalstraße 1 tun.

Wissenswertes rund ums 21er Haus Entworfen wurde das Gebäude vom Wiener Architekten Karl Schwanzer als Österreich-Pavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel. Von 1962–2001 wurde das 20er Haus – wie es damals noch hieß – als Museum des 20. Jahrhunderts genutzt.

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Seit November 2011 ist das nunmehr 21er Haus genannte Museum Teil des Belvedere. In diesem institutionellen Rahmen ist es profiliert als das Museum für österreichische Kunst ab der Nachkriegszeit im internationalen Kontext.

In den ersten fünf Jahren haben im 21er Haus insgesamt 68 Ausstellungen, 297 Performances, Talks, Vorträge, Lesungen und Konzerte, 131 Film-Screenings, 985 Führungen und Workshops sowie 772 Veranstaltungen der Kunstvermittlung für Kinder, Jugendliche und Familien stattgefunden.

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Wie sich ein Land erregte

1906

gründete Johann Schwarzer die erste österreichische Filmproduktionsgesellschaft SaturnFilm. Aufgrund der großen Nachfrage spezialisierte man sich auf erotische Kurzfilme, die – ganz dem Voyeurismus verschrieben – meist eine sich im Laufe der Handlung entblößende Frau zeigten. Schwarzer produzierte in den folgenden Jahren insgesamt 52 Filme, die 1911 allerdings aufgrund des freizügigen Bildmaterials von der Polizei beschlagnahmt wurden. Seine Stummfilmpornokarriere war hiermit beendet.

1945

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Nach dem Zweiten Weltkrieg fürchteten Kirche und Co. den moralischen Verfall der Gesellschaft in Österreich. Die Kampagne »Schmutz und Schund« sollte zwischen 1945 und 1965 mit Gesetzesverschärfungen und eigenen Kommissionen – wie die »Katholische Filmkommission« –entgegenwirken. Gegen die aufkommenden Swinging Sixties waren aber selbst die überzeugtesten Fanatiker machtlos und so verlief der Kampf gegen Unzucht und Unmoral im Sand.

Lust und Tabu, Revolte und Fanatismus – Pornografie war schon immer ein heißes Eisen in Österreich. Eine Historiografie. ———— Pornografie kann mehr sein als ein fünfminütiger Aufenthalt auf einer xxx-beliebigen Internetseite inklusive Cumshot-Finale. Zu beobachten ist das auch an der österreichischen Erotik-Landschaft, die facettenreich mit Film, Literatur, Print und Events ein breites Spektrum an erregendem Input liefert. Immer mit Tabuisierung und deren Bruch verbunden, entwickelte sich die Darstellung von Sexualität in den letzten 100 Jahren gemäß den internationalen Trends und in Relation zu den Grenzen der technischen Machbarkeit: Vom Stummfilmchen über das Schmuddelheft bis hin zum Internet. Juristisch gesehen lief es auf dem Gebiet der Pornografie im Gegensatz dazu leider immer schon recht österreichisch á la »Schau ma mal«-Leitsatz ab: Gesetze wurden oft erst Jahrzehnte später geändert, reformiert und dem bereits etablierten Mainstream angepasst. In Österreich ließen sich zum Glück aber nicht alle von der hinterherhinkenden Gesetzeslage entmutigen und sorgten damit für feuchte Träume abseits des kalifornischen Porn Valley. Michaela Pichler

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1906

erschien der anonyme Erotikroman »Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt«. Angeblich soll er aus der Feder des österreichischen Autors Felix Salten stammen, der vor allem für das unschuldigste Werk schlechthin bekannt wurde – »Bambi«. Der Mutzenbacher-Roman wurde bis 1990 wegen seines obszönen und teils pädophilen Inhaltes als jugendgefährdende Schrift eingestuft und löste im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder juristische Diskurse zwischen Kunst und Pornografie aus.

1968

Mit dem »Tapp- und Tastkino« sorgte Performance-Künstlerin Valie Export 1968 für Furore. Mit ihrer Installation präsentierte sie ihren eigenen nackten Körper als ersten »direkten Frauenfilm« in Fußgängerzeilen der Öffentlichkeit.

100 Jahre Porno in Österreich 30.11.16 16:53


2005

Filmarchiv Austria, Constantin Film, Künstlerhaus Wien, Arthouse Vienna

1970

kam der erste Teil der »Der Schulmädchen­ report«-Reihe in die österreichischen Kinos. Diese Kult-Schein-Doku von Regisseur Ernst Hofbauer, der den Film mit pseudowissenschaftlichen Kommentaren versah, avancierte zum Educational-Porn des Jahrzehnts. Kritik hagelte aus allen Richtungen, was dem Erfolg aber keinen Abbruch tat: Die bis 1980 entstandenen 13 Teile lockten weltweit 100 Mio. Neugierige in die Kinos, in Deutschland rangiert der erste »Schulmädchenreport« auf Platz 7 der erfolgreichsten deutschen Kinoproduktionen aller Zeit.

Im Dezember 1970 fand die erste Erotikmesse in Wien statt – die »Intim 70«. Sie sorgte erfolgreich für Neugier und Empörung und wurde 1971 mit der »Sexpo 71« im Künstlerhaus weitergeführt. Während die »Intim 70« als reine Verkaufsmesse von Dessous bis Sexspielzeug für Händler und Konsumenten interessant war, lockte die »Sexpo 71« hingegen vor allem Schaulustige an, die oft nur Augen für die LiveShows der extra eingeflogenen skandinavischen Erotik-Models hatten.

1988

1981

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1970

gewann Renee Pornero den Eroticline Award in der Kategorie »Beste Darstellerin Europa«. Als bis dato erfolgreichste österreichische Pornodarstellerin mit über 200 Pornodrehs beendete sie 2008 ihre Karriere vor der Kamera und versuchte sich als Regisseurin.

2013

startete die »Ö3-Sexhotline«, eine Live-Talk­ sendung rund ums Thema Sex. Jeden zweiten Freitag Abend stellte sich ein fachkundiges Beratungsteam – allen voran die Wiener Psychotherapeutin und Autorin Gerti Senger – den Fragen und Problemen der Ö3-Zuhörerschaft. Die »Ö3-Sexhotline« entwickelte sich bis 1992, bis sie schließlich auslief, zu einer wahren Ratgeber-Institution.

Als »Pornojäger« machte sich der katholische Aktivist mit Rechtsdrall Martin Humer in österreichischen Medien einen Namen. Ab 1981 sagte er der Pornografie in all ihren Facetten den Kampf an, protestierte gegen Aufklärungsunterricht, Homosexualität, Abtreibung oder den Life-Ball und kassierte dabei insgesamt 22 Vorstrafen und zwei Gefängnisaufenthalte.

gründete Adrineh Simonian die Produktionsfirma Arthouse Vienna, die eine Alternative zum gewöhnlichen, männerdominierten PornoEinheitsbrei bieten will. Simonian, die sich als Opernsängerin europaweit einen Namen machte, möchte mit einem ästhetischen und feministischen Ansatz das Zerrbild der MainstreamPornografie aufheben.

1970

1997

2016

In den 1970er Jahren gründete Peter Janisch in Österreich das erste, sich europaweit etablierende Sexmagazin – das »Österreichische Kontaktmagazin«, kurz »ÖKM«. Vorgängerzeitschriften von anderen Herausgebern wie »Die Schlange«, »Pin-Up« oder »Liebes-Perle« fielen der Zensur zum Opfer und mussten schon nach wenigen Ausgaben eingestellt werden. Das »ÖKM« setzte sich aber durch und war neben dem Sex-Content vor allem für seine Kontaktanzeigen bekannt, die oft auch zur medialen Zufluchtsstätte für sexuelle Randgruppen wurden.

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Erst 1997 wurde § 220, der gleichgeschlechtliche Pornografie als Form der »Unzucht« strafbar machte, aufgehoben. Bis dahin war dargestellte Homosexualität nach österreichischem Recht mit Pädophilie und Sodomie gleichgestellt.

Die Internetplattform Pornhub veröffentlichte 2016 Statistiken über das weltweite NutzerVerhalten. Österreich stach vor allem in der Kategorie »am häufigsten angeklickt« hervor: »Mature« hat es den Österreicherinnen und Österreichern bei der Porno-Suche besonders angetan.

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Prosa — a my schu mer

Knapp vorbei am Arschgeweih US-Comedystar Amy Schumer hat eine Autobiografie geschrieben. Man munkelt, dass in der Übersetzung viel satirischer Biss verloren gegangen ist. Mag sein. »The Girl with the Lower Back Tatoo« gibt es jetzt jedenfalls auch auf deutsch und es ist trotzdem immer noch lustig.

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o f f e n e r br i e f a n m e i n e va gina rstens: Entschuldige. Zweitens: Gern geschehen. Ich weiß, dass ich dir eine Menge zugemutet habe. Ich hab dich von Fremden mit heißem Wachs übergießen und dir die Haare ausreißen lassen. Manche von diesen Fremden haben dich verbrannt, obwohl ich ihnen gesagt habe, dass du sehr empfindliche Haut hast. Aber ich bin ja selbst schuld, dass ich in diesen zwielichtigen Laden in Astoria, Queens, gegangen bin – du hast gleich gecheckt, dass das in Wirklichkeit so ein Laden ist, mit dem Drogengeld gewaschen wird. Wegen mir hast du dir Pilzinfektionen und Blasenentzündungen eingefangen, und ich hab zu oft Strumpfhosen mit zu viel Elasthan getragen, obwohl ich wusste, dass du davon Probleme kriegst. Und ich möchte mich für Brad vom Lacrosse-Team entschuldigen, der dich mit dem Finger bearbeitet hat, als würdest du ihm noch Geld schulden. Das war ätzend, und ich finde, du hattest allen Grund, sauer zu sein. Aber du hattest doch auch eine Menge nette Besucher, oder? Oder nicht? Gib’s zu, wir hatten eine Menge Spaß zusammen. Ich hab sogar dafür gekämpft, dich im Fernsehen » Pussy « nennen zu dürfen, weil ich weiß, dass du den Namen am liebsten magst. Als ich älter wurde, hab ich mich aufrichtig bemüht, nur noch Besucher zuzulassen, die nett zu dir sind, und ich bin der Meinung, dass ich das Nötige getan habe, um dich gesund zu halten. Ich weiß, manchmal habe ich Leute ohne Kondom in dich reingelassen, aber ich muss zu meiner Verteidigung sagen, dass sich das einfach besser anfühlt, und ich hab das ja auch nur bei denen gemacht, mit denen ich zusammen war und denen ich vertraute. Es tut mir auch leid für das eine Mal, wo ich mit meinem neuen Freund geschlafen hab und wir hinterher das Kondom nicht mehr finden konnten, bis ich drei Tage später merkte, dass es bei dir geblieben war, und ich musste pressen, um das Ding wieder aus dir rausfischen zu können. Muss ganz schön nervig für dich gewesen sein. Oder vielleicht war’s ja auch ganz lustig, so lange Besuch zu haben ? Egal – war mein Fehler !

E

Na, was meinst du ? Wollen wir ein Bierchen trinken gehen? Ja, okay, nichts mit Hefe. Aber du zahlst.

wa n n e s ok ay ist, d a ss ei n m a n n e in e r frau b e im sex k e in e n orga sm us v e rschafft • W enn sie eine Prostituierte ist und der nächste Freier schon wartet. Aber auch dann – vorher bei ihr nachfragen ! • Wenn sie es eilig hat und Ihnen sagt, dass sie keine Zeit hat. • Wenn Sie im Flieger oder irgendwo an einem öffentlichen Ort sind. Wenn Sie Sex in der Öffentlichkeit haben können, prima, dann stecken Sie ihn rein, und ziehen Sie ihn wieder raus. Aber sehen Sie zu, dass Sie sich um sie kümmern, sobald sie zu Hause sind. • Wenn Sie merken, dass gleich Ihre Kinder oder Ihre Eltern ins Zimmer kommen. Aber auch in diesem Fall gilt : Kümmern Sie sich später um sie. • Wenn Sie einen Krampf kriegt. Oder Hunger. Anmerkung: Es ist okay, wenn Sie einer Frau keinen Orgasmus beim Sex verschaffen, falls Sie ihr vorher einen verschafft haben. Ich gehöre zu den Frauen, die von der Penetration allein nicht wirklich kommen können. Also hoffe ich, dass Sie meiner Klit einen netten Besuch abstatten, bevor Sie zum Hauptteil übergehen!

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d i ng e, d i e m i c h r a s e nd m a c h e n

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finden, in dem sie ihn noch spielen, weil er mittlerweile fast überall durch diese grauenvolle Ausrede für Musik verdrängt wurde. Celebritys, die sich als DJs versuchen, und Köche, die einen auf Bad Boy machen. Questlove zählt nicht. Der ist Schlagzeuger und ein großartiger DJ. Erwachsene Frauen, die Jeansshorts in der Größe einer Windel tragen, weil ich die nicht im Traum tragen könnte. In solchen Momenten wünsch ich mir immer eine Jeansburka. Im Fahrstuhl mit Menschen reden, die ich nicht kenne. (Ich schätze, das zählt als Smalltalk, und ich habe ja schon mehrfach erwähnt, dass ich ihn verabscheue, aber in einem Fahrstuhl ist es noch schwerer zu ertragen, denn da sitzt man in der Falle.) Leute, die zum Schreiben zu Starbucks gehen. Iiih ! Leute, die ein Buch mit in eine Bar nehmen, gehören gesteinigt. Versucht doch nicht, geheimnisvoll und interessant zu wirken. Ihr lest in einer Bar. Leute, die sich hundertprozentig gesund ernähren. Fickt euch doch alle ! ! ! ! Die meisten Kinder, die nicht meine Nichte sind. Manche Kinder sind süß, aber die meisten sollten einfach mal ein bisschen vom Gas gehen. Typen, die einen anflirten, obwohl man verdammt noch mal klare Signale gegeben hat, dass man nicht interessiert ist. HÖRT EINFACH AUF ! ! ! ! Mädchen, die sich prüde geben. Wir sind alle schon mal unserem Blick im Spiegel begegnet, während wir uns Sperma von der Haut gewischt haben. Typen, die nicht oft Sex haben wollen. Zweimal die Woche ist Minimum, sonst könnt ihr gleich ein Haus weiterziehen. (Ich weiß, ich sollte Verständnis haben, aber dafür fehlt mir einfach die Geduld.)

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• L eute, die Berge runterrennen. Waren Sie schon mal beim Wandern und haben erlebt, wie beim Abstieg jemand an Ihnen vorbeirennt? Insgeheim wünsche ich mir immer, dass sie stolpern und sich den Hals brechen – meiner Meinung nach keine Minute zu früh. • Mädchen, die im Fitnessstudio ihre Haare offen tragen. Wenn Sie nicht gerade schreckliche Verbrennungsnarben haben, dann machen Sie sich gefälligst einen Zopf. • Paare, die zusammen Sport machen, sind einfach widerwärtig. Könnt ihr nicht mal eine Stunde getrennt verbringen? Und ich könnte kotzen, wenn ein Typ seinem unterwürfigen Mädchen zeigt, wie man die Übungen richtig macht. • Leute, die sich im Fitnessstudio so jovial aufführen, als wären sie der Bürgermeister. Ich lächle nicht mal die Leute an, die ich kenne, weil ich im Grunde nur nach Hause will. Wenn ich Blickkontakt mit jemanden habe, den ich kenne, und derjenige schaut sofort weg, weiß ich, dass es ein toller Mensch ist, und fühle mich ihm sehr nahe. • Natürlich das Fitnessstudio und alle Arten von Sport, wie man den ersten vier Punkten auf dieser Liste entnehmen kann. • Leute, die Jim heißen. Weil es sich so anhört wie »Gym«. • Leute, die »You’re fat« schreiben, wenn sie mir eigentlich »You’re fast« schreiben wollten. • Menschen, die sich zu nahe an einen hinstellen, wenn man irgendwo Schlange steht. Ich wünschte, die Leute könnten grundsätzlich eine Football-Spielfeldlänge Abstand zu mir halten, aber ich sehe natürlich ein, dass das nicht geht, also bitte … gebt mir fünfzehn Zentimeter. Dreißig wären noch besser. (An dieser Stelle bitte keine Peniswitze.) • Glasklare Katalogfrauen-Situationen, wenn der Typ völlig abstoßend ist und die schöne Frau ganz offensichtlich in der Falle sitzt. Ich bete immer, dass diese Frauen irgendwie einen Weg finden, ihm sein Geld zu stehlen und damit durchzubrennen. • Radiowerbung. Ausnahmslos. • Leute, die sagen : »Ich esse, um zu leben. Ich lebe nicht, um zu essen.« Denen wünsche ich alle zehn biblischen Plagen an den Hals. • Typen, die nicht dafür sorgen, dass das Mädchen auch kommt. • Richtig besoffene Menschen. Jetzt denken Sie sich vielleicht: Amy, du Scheißheuchlerin. Aber ich heuchle gar nicht. Ich trinke für mein Leben gern, aber dass ich mich bewusstlos saufe, kommt fast gar nicht mehr vor. Jedenfalls nicht mehr seit dem College. Und wenn ich mich im College bewusstlos gesoffen habe, hat es niemand gemerkt. Ich hab dann bloß ein bisschen schleppend gesprochen. • Okay, Sie hatten recht. Punkt 13 hätte ich mir echt sparen können. Ich betrink mich immer noch. Aber Sie sollten es trotzdem lassen. • Brunnenkresse. • Leute, die an die Decke schauen, während sie reden. Wenn nicht gerade eine Taube auf dem Kronleuchter über meinem Kopf gelandet ist, schau hier unten hin. • Vögel in Gebäuden. Vögel im Flughafen oder im Einkaufszentrum oder was-weiß-ich-wo machen mich wahnsinnig. • Selektive Empörung. • Fahrer, die das Gaspedal durchtreten, wenn es grün wird, und dann an der roten Ampel voll auf die Bremse steigen. Ich lüge Taxifahrer oft an und behaupte, ich sei schwanger, damit sie vorsichtiger fahren. Sie wissen ja nicht, dass ich es nicht bin, und im Grunde weiß ich es ja auch nicht. Es könnte ja sein. • Leute, die mich als Sünderin verurteilen. Leckt mich doch alle. • Hotelzimmerbedufter. Sie schalten solche Riesenapparate ein, die alle Räume mit dem gleichen Duft einnebeln, irgendwas zwischen Babypuder und Beerdigungen, wovon einem die Augen tränen und die Haut juckt. • Leute, die in der Öffentlichkeit zu laut reden. Da hab ich schon Fremde angeschrien. Ich sage energisch »Pschscht «, und niemand ist vor mir sicher. Ich hab auch Vin Diesel schon mal niedergezischt. • Leute, die so ein Riesen-Ego haben, dass sie die Wahrheit nicht anerkennen können. • Schwarze Geleebohnen. Schwarze Lakritze macht mich zwar irgendwie auch wütend, aber nicht rasend. • House. Schlimmer geht’s nicht. Ich gehe so gern weg und tanze zu HipHop, aber es ist fast unmöglich geworden, noch einen Club zu

Amy Schumer Amy Schumer zählt zu jener Garde Humoristinnen aus dem US-Showbiz, die mit intelligent gespielter Derbheit, bissigen Pointen und absoluter Offenheit den Männerbetrieb zurechtstutzen. Das Time Magazine zählt sie übrigens zu den 100 einflussreichsten Künstlern der Gegenwart. Und ja, Schumers Witz, ihre Themen und ihre Agenda wird gerne kopiert. Nun liegt seit einiger Zeit ihre Autobiografie »Inside Amy Schumer – Aus meinem Leben« (Piper Verlag, 2016) vor, das ganz im Sinne moderner Künstlerbiografien die Grenze zwischen Kunstfigur und Mensch verschwimmen lässt. Ob als Kalkül oder als Schnellschuss erschließt sich leider nicht immer. Unterm Strich bleibt aber ein durchaus amüsantes Buch stehen, das stilpluralistisch literarischen Kurzformen frönt. Vom offenen Brief, Listicles, Tagebucheintragungen, die kommentiert werden und mehrseitigen Erinnerungsstücken, die Biografisches aufwühlen, ist alles dabei.

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Barbara Kattavenos

Marlene Mautner

Workstation Menschen am Arbeitsplatz

DDr. Anna Ehrlich, 73, Historikerin, Autorin, Juristin und Fremdenführerin »Ich schau’ nie zurück, hab’ meinen Fokus immer nach vorne gerichtet!« – für eine Historikerin trifft diese Aussage ja nicht ganz zu, für den Menschen Anna Ehrlich schon. Sie promovierte in den Fächern Geschichte und Psychologie sowie Rechtswissenschaften, spricht fünf Sprachen und erwarb während des Studiums auch die Konzession als Fremdenführerin – welche ihr ermöglichte, ihr breites Wissen weiterzugeben. Ihre Leidenschaft gilt dabei den Randgebieten der Kulturgeschichte, beispielsweise der Sittengeschichte Wiens, die sie für die Tour rund um die Geschichten der fiktiven Dirne Josephine Mutzenbacher mit ihrem Wiener Schmäh aufbereitet hat. Porzellanfuhren, Grabennymphen und Gürtelrosen sollen hier nur einige Schlagwörter sein. Anna Ehrlich hat sich mittlerweile, wie sie selber sagt, »vom Straßen-Mädchen-Dasein« zurückgezogen und jüngeren Fremdenführerinnen den Vortritt gelassen. Sie kümmert sich um das Management des Teams von Wienführung und schreibt Sachbücher, die einen tatsächlich amüsieren können. wienfuehrung.com

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Sebastian Rahs, 32, und Rainer Wachter, 35, Gründer der Firma Woodsaw Eine 80 cm große Schaumstoff-Muschi, die als Guckloch dient und Dildos, die von der Decke hängen, erwartet man vielleicht in einem Puff, nicht aber in einem Workshop der Woodsaw-Jungs – ein Innenraumgestalter und ein Tischler, die von der Idee über Planung und Ausfertigung ihren Kunden das Endprodukt quasi schlüsselfertig liefern. Überlegt man aber genauer, wundert es überhaupt nicht, dass gerade die beiden unter die Dildoschnitzer gegangen sind. Denn genauso extraordinär wie ihr Firmenkonzept – beispielsweise haben sie ihre Firma mit quasi 0 Geld gegründet, nützen Zipcars für den Transport ihres Werkzeugs und pfeifen auf Blaumänner – ist auch ihre neue Workshopreihe »Billy betrayed you?«, die den Teilnehmern grundlegende, handwerkliche Skills vermitteln will. Im ersten Workshop kann man sein eigenes Sexspielzeug produzieren, sich mit Themen wie Upcycling, Konsumkritik, gegebenenfalls mit seiner eigenen Prüderie auseinandersetzen und danach entspannt sagen: »Fuck you, Billy, ich bau’ mir meine Regale und Dildos selbst!« woodsaw.at

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Gewinnen thegap.at/gewinnen

Daniela Paradeis »Bon Bondage Harness«

Sudio Earphones

Der »Bon Bondage Harness« von Daniela Paradeis als Fashion-Accessoire: als Unterwäsche, Freizeitkleidung oder um anderen Kleidungsstücken in Kombination einfach einen neuen Look zu geben. Produziert wird das Stück übrigens aus tierfreien Materialien europäischer Herkunft, eingefüttert wird mit Bio-Baumwolle und die Verschlüsse, Ringe und Schieber sind komplett nickelfrei. Wir verlosen ein Exemplar.

Angetrieben und inspiriert vom lebendigen, kreativen Umfeld in Stockholm stellt Sudio Design-Kopfhörer mit hohem Anspruch an die Klangqualität her. Etwa »Klang«, ein Modell mit besonders langem Kabel, welches auch das Gewicht der Kopfhörer stützt. Oder »Vasa Blå«, ein Bluetooth-In-Ear-Modell, sowie »Två« mit seiner besonderen Leichtbaukonstruk­tion. Wir verlosen jeweils zwei Stück der genannten Modelle.

»Wiener Dog«

den vielen oft guten Comicverfilmungen ebenbürtig ist. Regie führte Justin Kurzel, der mit »Snowtown« 2011 ein eindringliches Indie-Debüt gegeben und zuletzt »Macbeth« neu verfilmt hat. Der Film startet am 27. Dezember 2016 in den heimischen Kinos, wir verlosen zwei Fan-Pakete bestehend aus PS4-Spiel »Assassin’s Creed – The Ezio Collection«, Game-Soundtrack, Cap und Schlüsselanhänger.

Todd Solondz ist nicht dafür bekannt, mit seinen Filmen ein Gefühl von Glück zu vermitteln – und selbst wenn »Wiener Dog« seine witzigen Momente hat, werden auch hier die Unsichtbaren und Einsamen vor die Kamera gebeten. Der titelgebende Dackel verbindet die vier Episoden des Films. Wir verlosen drei DVD-Exemplare von Todd Solondz’ neustem Film, bei dem unter anderem Greta Gerwig mitspielt.

»Der Nachtmahr« Horror, ganz anders. Auch wenn es anfangs nicht so klingt. Die 17-jährige Tina verbringt ihre Nächte auf den Tanzflächen der Berliner Clubs – und bricht eines Tages zusammen. Danach ist für sie nichts mehr, wie es war: Sie wird von einer unheimlichen Gestalt heimgesucht. Horror, der mit Symbolen und Bildern spielt und mehr sein will als der wohlige Schreck zwischendurch. Wir verlosen drei DVDs.

»Assassin’s Creed« Mit der Verfilmung der Spielereihe »Assassin’s Creed« mit Michael Fassbender startet Ubisoft gemeinsam mit 20th Century Fox den Versuch, den vielen meist schlechten Videospielverfilmungen etwas entgegenzusetzen, das

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»Outcast – Season 1« Dämonen, Besessene und die Kirche. Nach einer Comicvorlage von Robert Kirkman (»The Walking Dead«) und Paul Azaceta versetzt diese Serie den Zuseher in eine Kleinstadt. Der von Kindheit an besessene Kyle soll dem Priester dort bei Exorzismen helfen. Schon bald macht Kyle Entdeckungen, die nicht nur sein Leben verändern. Wir verlosen zwei DVDs.

»Independence Day: Die Rückkehr« 20 Jahre nach Roland Emmerichs Angriff auf die Erde durch böse Aliens kehren diese zurück – und haben neue Technologie mitgebracht. Die Menschen – allen voran Bill Pullman und Jeff Goldblum – müssen wieder alle Kräfte vereinen, um sich zu wehren. Das Design der Raumschiffe und Schauplätze stammt diesmal übrigens teils aus Wien. Wir verlosen zwei DVDs.

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Rezensionen Musik Sohn

Etwas mehr als zwei Jahre hat es gedauert – nun kehrt der britisch-österreichische Produzent Sohn mit einem zweiten Album zurück. Nach seinem Debüt, das zuerst gespannt herbeigesehnt und später unglaublich gefeiert wurde, ist die Erwartungshaltung erneut groß. Für den Produzenten – nach dem Trubel um seine ersten Tracks und »Tremors« – wohl keine neue Erfahrung. Im Anschluss an seine Welttournee hat sich Sohn ein Monat lang mit seinem gesamten Equipment in einer entlegenen Gegend in Nordkalifornien zum Produzieren zurückgezogen. Von Selbstzweifeln, so sagt er, habe er versucht, Abstand zu gewinnen. Während um die Kreation des Musikprojekts Sohn fast ein Geheimnis gemacht wurde, einzelne Tracks die Spannung für das Album aufbauten und der Künstler anfangs bei Konzerten durch Kapuze im Gesicht selbst kaum identifizierbar war, konnte man bei seiner Tour im Sommer bereits erahnen, dass sich etwas verändert hat: Vor bewusst klein gewähltem Publikum tauschte Sohn Kapuze gegen Hut, räumte seiner Band mehr Präsenz als der Lichtshow ein und wirkte auch sonst deutlich offener. Seiner Musik hat das offensichtlich nicht geschadet, auch wenn das neue Album seine Veränderung ganz klar widerspiegelt. »Rennen« ist keine Fortsetzung seines Debütalbums »Tremors« und versucht auch nicht, eine zu sein. Viel mehr entwickelt der Produzent seinen speziellen Sound in verschiedenste Richtungen weiter. Während er bei Tracks wie der bereits vorab veröffentlichten Nummer »Signals« an den Stil des ersten Albums anknüpft, zeigt er etwa bei »Hard Liquor« eine andere Seite und kreiert seine eigene, düster drückende Interpretation von R&B. Im Vergleich zu »Tremors«, das als gesamter Klangteppich wahrgenommen werden kann und bei dem die Übergänge zwischen den einzelnen Songs fast verschwimmen, grenzen sich die Tracks des neuen Albums deutlicher voneinander ab. Die verspielte Melancholie bleibt auch bei »Rennen« ein zentrales Element, die unverwechselbare Stimme und das virtuose Spiel mit Synths und Loops können weiterhin als die Königsdisziplin des Produzenten bezeichnet werden. (VÖ: 13. Jänner 2017) Yasmin Vihaus

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Phil Knott

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Rennen — 4AD

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Rezensionen Musik

Bruch

Klez.e

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Sagen wir, es treffen sich die Flying Lizards und Roy Orbison in einer Bar und nehmen gemeinsam Steroide. Und sagen wir, die Bar ist der Titty Twister aus dem Film »From Dusk Till Dawn«. »Egg Shaped Moon«, »The Brood«, »The Jester’s Crown« oder das Futurisk-Cover »Meteorite« hätten den Laden zerlegt, noch bevor George Clooney und sein Tribal-Tattoo einen Fuß hätten hineinsetzen können. Bruch ist die dunkle, abgründige Seite von Rock ’n’ Roll – mit anderen Mitteln. Essenzieller Bestandteil der musikalischen Posen, mit denen der Wiener Musiker fabelhaft spielt – kokett aber nie ziellos –, ist sein unverwechselbares Timbre. Manchmal ganz Crooner-Dandy wie auf dem zärtlich seinsvergessenen »To My Sanity«, manchmal mehr SugarDaddy wie auf dem getriebenen »Hunger«. Zur großen Kunst wird das dann, wenn er es nutzt, um damit Thematiken zu erschließen, die man als Allerletztes mit der grummeligen Stimmgewalt in Verbindung bringen würde: etwa in den Öffis über Haarausfall nachzudenken, während einem Studenten ihren Sitzplatz anbieten und Mitfahrende viel zu laut und immer wieder ankündigen, die Stadt niederzubrennen (meine Vermutung: 13A oder U6); oder darüber zu resümieren, dass das Frühstück aus drei Pillen bestand, Fiktion und Realität nur mehr schwer zu trennen sind und man auch nicht mehr so recht weiß, ob man das System oder das Hotelzimmer zerlegen soll. Nicht nur textlich, sondern auch musikalisch setzt sich das unschuldig-poppig daherkommende »The Lottery« von vielen der anderen Songs ab. »Philipp Said« wird von derselben existenziell-zurückgelehnten Stimmung getragen und ist ein ähnlich bezauberndes Pop-Kleinod. »Dancing On My Grave« geht dagegen in eine ganz andere Richtung – aber vor allem nach vorne. Ein Fiebertraum im Angesicht KLFs. Das Fazit zur Platte croont Bruch schon selbst auf den letzten Zeilen der letzten Nummer, »Warm Ice«: »I’m fading away in rapture / I’m fading away in ecstasy.« »The Lottery« ist kein Glückspiel – am Ende gewinnen alle. Es ist vielmehr ein Pyramidenspiel: Schnell, erzähl deinen fünf besten Freunden davon! (VÖ: 9. Dezember 2016) Werner Sturmberger

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Desintegration — Staatsakt / Caroline Der Albumtitel kommt einem bekannt vor: Wer »Disintegration« von The Cure nie gehört hat, hat die 80er auch nie verstanden. Desillusionierter und authentischer hat das viel zu bunte Jahrzehnt nie geklungen. Viele Bands hätten es ohne den 1989er-Monolith nie gegeben. Tobias Siebert, Mastermind von Klez.e und in den letzten Jahren Produzent von vielen Künstlern unterschiedlicher Qualität wie Juli, Kettcar oder der Gruppe Sport, war damals noch auf der vermeintlichen Dark Side of the Mauer, tief im Osten. Seine Band wurde 13 Jahre später gegründet. Sie macht Musik, die man damals wohl Independent genannt hätte, und kommt sieben Jahre nach dem großen Vorgänger »Vom Feuer der Gaben« wieder an die Oberfläche – nur um gleich einmal vieles in den Schatten zu stellen, was der deutsche Indie-Pop bislang in Richtung vielschichtige Melancholie versucht hat. Schwarz, bis es was Dunkleres gibt. Textlich zeigt sich die Band auf »Desintegration« – das, so kitschig es auch sein mag, tatsächlich einmal das deutsche »Disintegration« sein könnte – reduziert, bedacht und in Einklang mit Atmosphäre und Instrumentierung. Mit luzid-aufgeräumten sowie sphärischen Gitarren und druckvoll-einnehmendem Schlagzeug erzeugt das Kopfkino mit dystopisch-düsteren Versatzstücken. Isolation als Schicksal, Schwermut als Hoffnungsschimmer in langen In- und Outros. Sätze wie »So trägt ein fettes Herz kranke Kinder in die Welt« untermauern Stimmungsbild und Bildungsauftrag: den Bericht von ebenjener Auflösung der Gesellschaft, von der Ablehnung, überhaupt so sein zu wollen, wie wir erwarten, dass andere sein sollen. Das funktioniert nur ohne moralinsauren Zeigefinger, an den Klez.e auch nicht denken. Mitgedacht haben sie aber sehr, denn nur so ist ein Konzeptalbum machbar, dessen Sinn und Sinnlichkeit fernab jeglichen Zwangs zum Single-Hit erstrahlt. »Desintegration« ist ein Album, das vor allem in seiner eigentlichen Form gehört werden sollte, ohne Desintegration des Selbst. Ein Album, so wahrhaftig wie kaum ein deutsches Werk mit sphärischem Pop. Weil wahre Schönheit oft nur aus Düsterheit entsteht. (VÖ: 13. Jänner 2017) Dominik Oswald

Florian Tremmel, Andreas Hornoff, Renata Raksha, Fischer Film

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The Lottery — Cut Surface

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Rezensionen Musik

Austra

Future Politics — Domino

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Austra haben mit ihrem neuen Album womöglich auch gleich ein neues Genre geschaffen: Future Politics. Das Ganze klingt genau so. Nach Politik für die Zukunft. Nach Zukunftsmusik. Nach Utopie im besten Sinne. Ihrem Namen – Austra heißt in der lettischen Mythologie die Göttin des Lichts – will die Formation jetzt auch gerecht werden: Licht- oder zumindest hoffnungsbringend wenden sich die Kanadier um Frontfrau Katie Stelmanis mit neuem Material an verzweifelte 21st century kids und schaffen es – wie schon bei ihrem zweiten Album »Olympia« – ein inhaltliches Thema konsequent durchzuziehen, während die Songs doch überraschend divers sind. Ging es beim angesprochenen Vorgänger noch eher um individuelle Probleme wie Identitätsfindung und um persönliche Tragödien, beschäftigt sich das neue Werk mit dem größeren Ganzen. Wie kann man 2016 auch kein Album machen, das unsere beschissene kollektive Lage thematisiert? Vor Pathos strotzende, philosophische Verse und mythologische Referenzen, von düsteren Bässen und kühlen Eighties-Synths unterlegt – das kennt man von Austra. Aber statt, wie zu erwarten, die Apokalypse zu prophezeien, liefert Stelmanis mit ihrer unverkennbaren Opernstimme einen Appell in elf Akten – zur radikalen Mitgestaltung einer besseren Zukunft. Außerdem gibt es eine glasklare Utopie, die nach tanzbarem Elektro-Pop mit fast optimistischer Grundstimmung klingt. Schon der Opener »We Were Alive« – ein reduziertes Stück – bricht aus. Raum für »Deep Thought« über Mutter Erde, Gesellschaft und Existenz gibt es dann während des gleichnamigen einminütigen Harfenintermezzos. Die Songstrukturen funktionieren auch losgelöst von den visionären Texten, wären ohne diese und ohne Stelmanis Stimme vielleicht ein wenig austauschbar – ein kleiner Makel des Albums. Mit »Future Politics« zeigen Austra aber, wie gut Nachdenken über die Welt und ihre steilen Sounds zusammenpassen, und ermutigen zu Tanz und Taten. Quasi ein Neujahrsvorsatz in Albumform. Ein gelungenes Narrativ, das man hören kann, während man sich auf die Zukunft vorbereitet – egal ob diese düster oder ideal wird. Sie klingt jeden­ falls schön. (VÖ: 20. Jänner 2017) Pia Gärtner

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Weihnachtskino Attack Of The Lederhosen Zombies

ne

Gewin

75 k�e t2s

In Dominik Hartls tiefergelegter Zom-Com kommt zusammen, was zusammengehört: Zombiefilm und alpiner Skizirkus. Saftige Dialogwuchteln, c Ti groß aufspielende österreichische Schauspielstars (Margarethe Tiesel, Karl Fischer) und eine muntere Truppe internationaler Jungtalente, die sich durch Zombiehorden in Dirndl, Lederhosen und Tirolerhut kämpfen müssen – während die Körperteile zum Donauwalzer durch die Luft segeln.

Do, 22. Dezember 2016 Votivkino Währinger Straße 12, 1090 Wien Wir verlosen 75 � 2 Tickets für das Pre-Screening von »Attack Of The Lederhosen Zombies«. Der Film wird in englischsprachiger Original­ version mit deutschen Untertiteln gezeigt. Zur Teilnahme am Gewinnspiel einfach bis 15. Dezember 2016 ein E-Mail mit dem Betreff »Hütt’ngaudi« an premiere@thegap.at schicken.

In Kooperation mit

Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich per E-Mail erfolgen. Die Teilnehmer werden im Falle eines Gewinns bis 19. Dezember 2016 per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist aus­ geschlossen. Mitarbeiter des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.

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Rezensionen Musik

Verschiedene Interpreten

Ana Threat

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Das Internet hat unser Leben zerstört, uns entromantisiert. Die erhabenste Kunstform, die uns genommen wurde, ist das Mixtape. Eine schnöde Spotify-Playlist kann dessen aufgeladener Fitzelei und Detailverliebtheit niemals gerecht werden. Ein Mixtape ist nicht nur die Zusammenstellung geliebter Hits, durch die sich – meistens – jemand anderes verlieben soll. Es folgt ganz klaren Regeln. Beim Labelsampler ist es ähnlich. Songs, die das Label liebt, in denen das ganze Herzblut steckt, werden zusammengestellt, um Leute zu erreichen, die sonst viele dieser wunderbaren Künstler nie entdeckt hätten. Die Regeln dafür? Zuerst einmal braucht es die Cashcows, quasi die Ankermieter in der Gestaltungsarchitektur eines Samplers. Sie spülen andere Bands auf die Plattenspieler und in das Hörbewusstsein. Siluh, Wiener Label größter Bedeutung, greift auf seiner zweiten Zusammenstellung auf eigene Stars (Mile Me Deaf, Sex Jams, Vague) und den erweiterten Dunstkreis zurück: Ja, Panik und Chartstürmer Voodoo Jürgens präsentieren bislang unveröffentlichte Stücke oder Versionen. Dann braucht es eine ideologische Klammer, idealerweise Songs, die erklären, worum es hier geht. Mixtapes bestehen ja auch aus Lieblings- und Liebesliedern. Diese Klammer stammt im vorliegenden Fall von Clemens Band Denk (Foto), deren titelgebender und eigentlich bereits 2014 erschienener Kleinsthit »Aber der Sound ist gut« in zwei Remixes darlegt, dass technisches Können niemals musikalische Qualität garantiert, ihr vielleicht sogar im Wege steht. Etwas, das viele Künstler auf dem Sampler eint. Und, vielleicht das Wichtigste auf jedem Mixtape: Es braucht Künstler, die entdeckt werden wollen, die der Distinktion dienen. Im Fall von »Aber der Sound ist gut« könnte man über viele davon auch schon im Programmheft eines Wiener Gürtellokals gestolpert sein. Die Qualität, die dabei geboten wird, ist so vielfältig wie die musikalische Ausrichtung dieses Samplers. Wobei Bruch & Anna Pü, Tommy Moonshine und die schon des Öfteren hochgelobten Sluff nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Mehr geht natürlich immer, aber es stimmt schon: Der Sound ist gut. (VÖ: 25. November 2016) Dominik Oswald

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Cold Lve — Cut Surface Ein Phantom der heimischen Underground-Szene, eine Kunstfigur mit Wrestling-Maske – Ana Threat, das Alter Ego von Kristina Pia Hofer, geistert schon länger durch die Clubs und Kaschemmen des Landes. Im Duo The Happy Kids zelebriert sie gemeinsam mit Trash-RockChefarchivar Al Bird Dirt rauschende Garage-Auftritte, bei Kristy And The Kraks frönt sie zusammen mit Kate Kristal kühnsten Sixties-Tunes à la The Shangri-Las. Solo, als 1-Kid-Kombo, wie sie es selbst nennt, legt sie nun mit »Cold Lve« – endlich! – ihr Debütalbum vor. Angepriesen wird das gute Stück als Soundtrack für einsame Schlafzimmerpartys. Und beim Anhören der Platte ist die Vorstellung einer sich im Bett verschanzenden Ana Threat inklusive E-Gitarre, Fuzz-Pedal und Vierspurgerät auch nicht so weit hergeholt. Nach viel Ausprobieren und Austoben hören sich die zehn Nummern an, denen trotz Garage-artigen Klangverschmelzungen eine gewisse Reduktion zugrunde liegt. Der Sound, dem Ana Threat auf »Cold Lve« nachjagt, klingt wie eine Obsession, aufgespart für das erste große Soloding. Ein bisschen Exotica, ein bisschen Voodoo (aber ohne Jürgens) – manchmal klingt das dann nach brüllenden Affen, denen man vergessen hat, Zucker zu geben. Wie beispielsweise bei »House Of Wired«. Der an ein Megaphon erinnernde Stimmeffekt, Ana Threats bester Freund und Helfer, rückt dabei nicht von ihrer Seite. Es legt sich über den Affenzirkus mit repetitiven Lo-FiVerschnörkelungen und versüßt den durchtränkten Twang-Gitarren-Sound des Albums. Collagenhaft bastelt Threat die Songs zusammen, wie es ihr gefällt, wodurch nostalgische Hommagen wie »Clap Clap« entstehen, die die Geister der längst verschollenen Eighties-Gruppierung The Belle Stars beschwören. Zwischendurch klingt es dann aber doch auch wieder nach großer Rock-’n’-Roll-Attitüde, wie bei »The Walk Pt. 1«, die sich mit der vermeintlichen Rückkehr der wildgewordenen Affen schließlich in rauer Ausgelassenheit auflöst. Auf der Bühne kommt dieses ungestüme Wesen sicher gut, auf die Live-Umsetzung von »Cold Lve« darf man jedenfalls gespannt sein. (VÖ: 25. November 2016) Michaela Pichler ANA THREAT COLD LVE

A CHOP CHOP (1:48) COLD LVE (3:41) JOHNNY JOHNNY (3:41) CLAP CLAP (2:21) SLEEP SLEEP (4:53)

B HOUSE OF WIRED (4:08) PENETRATION (2:51) THE WALK, PT. I (2:34) DEAD MOVED (3:45) THE WALK, PT. II (4:01)

eSeL.at, Thomas Lieser

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Aber der Sound ist gut — Siluh

All songs written, arranged and performed by Ana Threat in January 2016, except Clap Clap (comp. Chase/Kent/McCarthy) and Penetration (comp. Leonard). Recorded, mixed and mastered by Florian Tremmel. Cover photos by Eva Mühlbacher (instant stories) and unknown artist (Trash Rock Archives). Image editing by Siegfried Füreder. Artwork by Kate Kristal. Consultant: Philipp Hanich. This album is dedicated to The Happy Kids (1969 – 1976) and Totally Wired Records (2012 – 2016). May we go on forever.

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Rezensionen Musik

Yasmo & Die Klangkantine — Ink

Voyager — Clivage / Caroline

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Es ist wieder Musik. Musik, die am Herzen liegt. Yasmo ist auch auf ihrem neuesten Werk »Yasmo & Die Klangkantine« keine Künstlerin geworden, der es reichen könnte, Songs zu schreiben, die einfach nur eingängig und gut klingen – man hätte es auch gar nicht anders haben wollen. Beim Hören des neuen Albums eröffnet sich einem wieder diese Art von superhumanistischer Soundwelt, das Yasmo-Universum, das sich vorgenommen hat, Körper und Geist gleichermaßen zu bewegen. Wie schon beim Vorgänger aus dem Jahr 2013, »Kein Platz mehr für Zweifel«, kann vermeldet werden: Mission accomplished! Anders als bei ihrem Debütalbum »Keep It Realistisch« aus dem Jahr 2011 und dem angesprochenen Zweitling kommt Yasmin Hafedh aka Yasmo dieses Mal mit Verstärkung. Getragen werden ihre inklusiven Lyrics auf der neuen Platte von der wunderbaren Klangkantine. Passend zur Aufbruchsstimmung, von der Yasmos Sprechgesang durchzogen ist, machen die Bläser immer wieder einen Schritt nach vorne, fordern quasi zum Tanz mit der Welt auf, unterstreichen die kleinen und großen besungenen Kämpfe. Yasmo zeigt aufs Neue, wie sich Jazz und Rap zusammen ausgehen – wie sich eigentlich alles ausgeht, wenn man nur will. Ob auf individueller Ebene oder auf kollektiver, bei zwischenmenschlicher Kommunikation oder beim Feminismus. Im Zeichen dessen bringt es die 26-Jährige Wienerin auf den Punkt, wenn sie in »Girls Just Wanna Have Fun« sagt, dass es nicht darum geht, jemandem etwas wegzunehmen, sondern eben darum, künftig »den Kuchen gemeinsam zu servieren«. Auch die bekannte Poetry-Slam-Zweitnatur Hafedhs kommt zum Vorschein – im Song »Salzwasser«, bei dem die erste Minute von einem Narrativ dominiert wird. »Es ist nichts peinlich, wenn es dir nicht peinlich ist. Das ist kein Rouge, haha, sondern mein hoch­ rotes Gesicht.« Sich von der eigenen Hemmschwelle nicht aufhalten zu lassen, das ist etwas, das man aussprechen kann und soll. Am besten eben so wie Yasmo – irgendwo zwischen Humor und entwaffnender Ehrlichkeit. (VÖ: 6. Jänner 2017) Nadine Obermüller

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Vieles hat sich geändert, seit Vitalic mit der damals wie heute zeitlosen EP »Poney« die Clubs der frühen 2000er im Sturm eroberte: Von kompromisslosem Techno hat sich sein Sound mehr und mehr hin zu Electro(-Pop) entwickelt, von EPs für glühende Morgenstunden zum Album als Königsformat – an dem viele Techno-Producer scheitern. Mit »Voyager« kommt 2017 bereits das vierte Studioalbum des Franzosen, und wieder einmal hat sich Vitalic gewissermaßen neu erfunden. Das Rahmengerüst des Albums ist Disco, Vitalic borgt aber von anderen Genres und spielt auch mit seiner eigenen musikalischen Vergangenheit: beinah rockige Gitarren hier, unerwartet brachiale Abrissstimmung da. Für die Extraportion Pathos auf »Eternity« dürfen es sogar Flöte und Piano sein. Das auf den ersten Blick eher wahllos zusammengefügt wirkende musikalische Konstrukt präsentiert sich facettenreich und zeitweise überwältigend, fast konfus – aber dann plötzlich ist er da: dieser einzigartige Sound, mehr ein Gefühlszustand eigentlich, der sich seit 15 Jahren als immer wiederkehrendes Motiv durch die Musik von Vitalic zieht und schon lange zu seinem Markenzeichen geworden ist. Über hemmungsloser Ekstase hängt bedrohlich nahe unendliche Schwermut, auf Dur folgt Moll – und Gänsehaut. Rave mit bittersüßem Nachgeschmack. Euphorie und Melancholie, gleißende Glückseligkeit und alles erdrückender Weltschmerz – wie Licht und Schatten treten diese Superlative sonst erst durch ihre Gegenstücke in Erscheinung, in der Musik von Vitalic existieren sie gleichzeitig und nebeneinander. Einen beeindruckenden Höhepunkt findet dieser Dualismus der Extreme im Meisterwerk »Hans Is Driving«, das nach dem unbeirrbar dahinstampfenden »Levitation« wohltuend zart mit sphärischer Schwerelosigkeit einlullt. Mit majestätischen Synth-Flächen und gehauchten Chören, getragen von hypnotisierenden Arpeggios, aber kontrapunktiert von verzerrten, monotonen Computerstimmen. Das Rundherum mag sich geändert haben, aber Vitalic präsentiert auf »Voyager« erneut, was er beherrscht wie kein anderer: Rave mit Gefühl. (VÖ: 20. Jänner 2017) Jakob Bouchal

Lars Homann, Charlie Le Mindu / David Hugono Petit

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Yasmo & Die Klangkantine Vitalic

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Was man in den 80ern unter DÖF verstanden hat, interpretieren Half Girl ein wenig um: Aus dem deutschösterreichischen Feingefühl wird der deutsch-österreichische Feminismus. Als Riot-Band aus Wien und Berlin mit deutschen und englischen Texten mischen sie auf »All Tomorrow’s Monsters« den Noise-Rock und -Pop ordentlich auf. Julie Miess (Britta), Vera Kropf (Luise Pop), Anna-Leena Lutz (Die Heiterkeit) und Gwendolin Tägert (Mondo Fumatore) haben sich jeweils schon einen Namen gemacht und müssen sich gemeinsam nichts mehr beweisen. So können sie der »Fuck you!«-Attitüde freien Lauf lassen – bis »ihr Schlagzeug brennt«. 13. Jänner Wels, Alter Schlachthof — 14. Jänner St. Pölten, Vinzenz Pauli — 15. Jänner Feldkirch, Graf Hugo — 16. Jänner Innsbruck, Weekender — 17. Jänner Graz, Sub — 18. Jänner Wien, Rhiz

Ja Ja Ja Festival Eigentlich müsste es vier Mal Ja heißen, denn jede einzelne Band im Line-up des skandinavischen Showcase-Festivals fordert freudige Zustimmung. Have You Ever Seen The Jane Fonda Aerobic VHS? aus Finnland spielen Garage-Rock mit Orgel statt Gitarre, Chinah (Foto) klingen nach dänischen Aluna George, Gundelach aus Norwegen machen melancholisch-optimistischen Electro-Pop und mit dem Isländer Axel Flóvent ist die Singer-Songwriter-Fraktion in guter Qualität vertreten. Skandinavien zeigt, wieder mal, dass es viel mehr kann, als nur den Songcontest gewinnen. 27. Jänner Wien, WUK

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Theresa Ziegler

Half Girl

Siluh Records, Jonas Fogh, Adrià Cañameras, Arcadia Agency, Elisabeth Anna Photography, Nonesuch Records, Sandro Baebler

Termine Musik

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Termine Musik John Talabot Wie schnell der Hype kommen kann, davon weiß John Talabot ein Lied zu produzieren – singen tut er ja nicht. 2009 veröffentlichte er als unbekannter Produzent »Sunshine« und wurde über Nacht zu einem der vielversprechendsten DJs Spaniens. 2013 spielt er einen Mix für die »DJ-Kicks«-Reihe ein. Spätestens da war klar, dass er sich noch länger in den Clubs der Welt die Ehre geben wird. 10. Dezember Wien, Pratersauna

Granada

highlights Mi. 07.12. // 20:00 LiteraturSalon

Ludwig Laher: Überführungsstücke

Do. 08.12. // 20:00 Electronic

Waldeck

Fr. 09.12. // 20:00 Theater

Maxi Blaha: Bachmann | Jelinek

Fr. 09.12. // 20:00 HipHop

Mynth

FIVA × JRBB

Bild: Rainer Maria Jilg

Dass Effi eine neue Band hat und österreichisch singt, hat sich schon rumgesprochen. Mit »Pina Colada« und »Palmen am Balkon« nehmen uns Granada auf einen sonnigen Power-PopKurzurlaub mit – ungeachtet der Jahreszeit. 12. Dezember Graz, PPC — 13. Dezember Wien, WUK — 14. Dezember Linz, Posthof — 15. Dezember Dornbirn, Conrad Sohm — 16. Dezember Innsbruck, Weekender — 17. Dezember Salzburg, Rockhouse

Treibende Beats, hauchig-klarer Gesang und geheimnisvoller Synthie-Vorhang – Mynth willst du hören, wenn du dein Leben gerade nicht verstehst, es aber trotzdem magst. Electro-Pop mit verschiedenen Ebenen, auf denen sich die Zwillinge Mario and Giovanna Fartacek gegenseitig musikalisch die Bälle zuwerfen. Bei diesem Familienfest hat auch das Publikum was davon. 19. Dezember Wien, Radiokulturhaus

Sa. 10.12. // 20:00 HipHop / Brass

Moop Mama

Mi. 14.12. // 20:00 Pop

Granada

Mi. 14.12. // 20:00 Kabarett

Gregor Seberg

Conor Oberst

Fr. 16.12. // 20:00 Kabarett

Die Tour mit seiner Punkband Desaparecidos musste BrightEyes-Mastermind Conor Oberst letztes Jahr wegen Erschöpfung absagen. Konsequenterweise nahm sich der Songwriter eine Auszeit und verbrachte den Winter in seiner Heimatstadt Omaha, Nebraska. Dabei ist ein Album von seltener Verletzlichkeit entstanden – so gut war Oberst jedenfalls schon lange nicht mehr. 19. Jänner Wien, Museumsquartier

Christian Springer Mo. 19.12. // 20:00 Punkrock

Against Me! / Milk Teeth / Mobina Galore

Di. 10.01. // 20:00 Kabarett

Harry G

Sa. 14.01. // 20:00 Indierock

Dass sich der schwedische Singer-Songwriter für seine Soloalben etwas mehr Zeit lässt als andere, ist Fans schon seit »Veneer« aus dem Jahr 2003 bekannt. Deshalb tourt José González auch diesen Winter noch mit dem 2015er-Album »Vestiges & Claws« durch die Lande. Für dieses hat er bewusst auf Produzenten verzichtet, damit der Sound nicht zu poliert klingt. Noch nahbarer ist dann nur live. 28. Jänner Wien, Gasometer

Polkov

Vague

Rae Sremmurd

Gegen alle Widerstände leben Polkov den amerikanischen Traum. Americana mit Haltung – so kennt man die Grazer Band. Fürs zweite Album »Closer«, das Ende November erschienen ist, kommt ein bisschen 80er-Springsteen-Spirit dazu und man denkt endlich wieder an die schönen Seiten der USA. 6. Dezember Wien, Chelsea — 8. Dezember Graz, Postgarage

Komm, süße Melancholie! Vague haben 2016 mit »In The Meantime«, ihrem ersten Album, ein kleines IanCurtis-Revival inszeniert. Unaufgeregt und dabei fesselnd. Mit sanften Vocals und verträumten Gitarren bewaffnet, zeigen uns die fünf Wiener, wie tiefgründig Post-Punk sein kann. Geht ans Herz. 14. Dezember Wien, WUK — 17. Dezember Linz, Kapu

Dass die beiden Rapper aus Atlanta »No Type« haben, dürfte mittlerweile weitläufig bekannt sein. Brüder sind sie nicht nur im Trap, sondern auch von Verwandtschaft her. Deshalb werden sie sich die Feature-Parts wie den von Gucci Mane bei der Live-Performance wohl auch brüderlich aufteilen. 31. Jänner Graz, PPC — 1. Februar Wien, Flex

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Steaming Satellites

Mi. 25.01. // 20:00 Songwriter

Tex solo

Mi. 25.01. // 20:00 Kabarett

Andreas Vitásek: Grünmandl

Bild: Udo Leitner

José González

Mo. 30.01. // 20:00 Kabarett

Nico Semsrott

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at

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Termine Festivals

3 Fragen an die Kuratorinnen des Heroines of SoundFestival

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Bettina Wackernagel, Sabine Sanio und Mo Loschelder präsentieren die Pionierinnen der elektronischen Musik und Frauen der aktuellen Musikszene in Berlin. Das Heroines of Sound-Festival lädt unter anderem zu einem Symposium ein. Was sind die aktuellen, zentralen Fragen der weiblichen elektronischen Musik, die gestellt werden müssen? Einerseits stellt sich die Frage nach der Geschichte der weiblichen elektronischen Musik und somit zugleich auch nach weiblichen Vorbildern in der Vergangenheit. Wir wollen zum anderen aber auch zentrale musikalische Fragen aus weiblicher Perspektive, die ein Thema völlig verändern können, diskutieren. Beatriz Ferreyra und Christine Groult haben bei der Entwicklung der elektronischen Musik eine wesentliche Rolle gespielt und sind noch immer Geheimtipps. Welche Gründe hat es, dass sich Männer diese Kunstsparte einverleibt haben? Wenn man diese Gründe so klar benennen könnte, wäre alles viel einfacher. Auffällig ist aber, dass sich in vielen Künsten, die im 20. Jahrhundert neu entstanden sind, anfangs sehr viele Frauen betätigen. Sobald dann eine Tradition entstanden ist, sind die Männer wieder stärker präsent. So als wäre eine Kunst für Männer nur dann interessant, wenn es eine Tradition gibt, in die man sich einreihen kann. Aber das ist natürlich nur eine Vermutung. Könnte das Festival in 20 Jahren obsolet geworden sein? In der elektronischen Musik hat die Reflexion über die herrschenden Geschlechterverhältnisse gerade erst begonnen. Selbst wenn in 20 Jahren keine Rede mehr von gesellschaftlicher Benachteiligung von Frauen sein sollte, erwarten wir daher nicht, dass dieses Thema dann auch in der elektronischen Musik bereits ausgestanden sein wird. 8. bis 12. Dezember HAU, Berlin

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Roboexotica Einen rein technisch gesehenen Rausch vom Feinsten kann man sich auch dieses Jahr wieder auf der Roboexotica holen. Mittlerweile ist das Festival rund um cocktail-servierende Roboter fast schon normal, denn wie jedes Jahr präsentieren techaffine Köpfe ihre neuesten humanoiden Roboter namens Robomoji, Snake Shake oder Schnapsorgel. Die Integration technologischer Innovationen in unserer Lebenswelt scheint also geglückt, denn mit diesem Bestreben wurde die Idee vor fast 20 Jahren von den Leuten von Monochrom – ein bekanntes Kunst-Technologie-Philosophie-Kollektiv rund um Johannes Grenzfurthner – ins Leben gerufen. Die Frage »Darf’s ein bisserl mehr sein?« wird man ob der unmenschlich genauen Programmierung zwar nicht zu hören bekommen, dafür gibt es aber genügend Raum für Mensch-Maschinen-Diskurse. 8. bis 11. Dezember Moë, Wien

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Termine Festivals

… Tage lang kann im Museumsquartier bei winterlichen Lichtinstallationen, nonkonformistischer Weihnachtsmusik und in Pavillons aus Eis gepunscht, geglüht und gekekserlt werden, bis es weihnachterlt. 3. November bis 23. Dezember MQ Wien

Buchquartier

»Wasser – still oder prickelnd« – unter diesem Motto findet das Kunstfestival in den Alpen zum sechsten Mal statt. Denn Wasser in den unterschiedlichen Aggregatzuständen stellt den wichtigsten »Baustoff« der Künstler dar. Die Leute von »Soma. Vision« toben sich wieder aus, Simon Beck macht sich mit seinen Schneeschuhen und einer Skizze auf, um überdimensionale Muster in den Schnee zu zaubern, Workshops, »Glow in the Dark«-Fotoausstellung u.v.m. 28. Jänner bis 3. Februar Gastein

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Heroines of Sound, Pia Streicher, Marlene Karpischek, Gasteiner Tourismus GmbH Barbara Kattavenos

Art on Snow

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Fernab von neongelb blinkenden Bestseller-Ranglisten, promotet durch große Verlagskonzerne, kann man auf der jährlichen Buchmesse im Museumsquartier wieder in den Schätzen der vorrangig heimischen Autorenszene schmökern. Der Markt der Independent- und Kleinverlage lädt bei freiem Eintritt auch zu Lesungen und Gesprächen mit den Schriftstellern und Verlegern ein. 10. bis 12. Dezember MQ Wien

CTM Festival Experimentelle Elektro-Mukke, Partys, Workshops etc. Zum Thema Angst, Zorn, Liebe – sprich Emotionen aller Art – wird experimentiert, interpretiert und vertont, was Victor Hugo immer schon wusste. Das Berliner »CTM - Festival for Adventurous Music and Arts« findet wie jedes Jahr in Kooperation mit der Transmediale in Berlin statt. 27. Jänner bis 5. Februar diverse Spielorte, Berlin

Bock auf Kultur Das »Bockwerk«, ein Projekt, das Christian Penz vom Verein Ute Bock ins Leben gerufen hat und das Flüchtlingen erfolgreich eine neue Perspektive gibt, feiert sein erstes Geburtstagsfest. Das wird mit einem Line-up von Dunkelbunt, Coffeshock Company, Edgar Tones & TheSu‘sis und einem Überraschungs-Act zelebriert. 22. Dezember Wuk, Wien

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Generell nicht viel, daneben viel Kälte und noch mehr Dunkelheit. Außerdem Sunrise Avenue. All diese Dinge gibt es in Finnland und all diese Dinge sind nichts, was man auf der Pro-Seite einer Pro-undContra-Liste für Finnland finden würde. Dort steht nämlich an erster Stelle die aus Helsinki stammende Fotografin Elina Brotherus. Warum sie sich diesen Platz verdient, kann man sich bald hier ansehen. Eröffnung: 24. November, 19.00 Uhr. Dauer: 25. November bis 21. Jänner. Salzburg, Fotohof

Elina Brotherus

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Termine Kunst

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Termine Kunst Von Poussin bis David Grab ’em by the Poussin! In der Albertina verschreibt man sich Anfang 2017 erst mal den französischen Welten des Barock und Rokoko. Mit dabei sind: Malerische Landschaftsstudien, poetische Liebesgeschichten und ein eigener Hashtag (#PoussinbisDavid). Wer schon immer mal durch eine Ausstellung schlendern und dabei verliebt »Oh, sehr pittoresk« säuseln wollte, der ist hier richtig aufgehoben. 25. Jänner bis 23. April. Wien, Albertina

Jana Sterbak Was Jana Sterbak macht, ist nicht gerade einfach zu erklären. Da geht es viel um Materialität, Prozesshaftigkeit, diese Dinge. Müssten wir uns jedoch aus unerfindlichen Gründen auf drei Worte beschränken, um Jana Sterbaks Werk jemandem zu erklären, der vorher noch nie etwas von der tschechisch-kanadischen Künstlerin gehört hat, es wären die drei schönsten Worte der Welt: Lady Gaga Fleischkleid. Eröffnung: 2. Dezember, 19.00 Uhr. Dauer: 3. Dezember bis 1. Februar. Innsbruck, Galerie im Taxispalais

Elina Brotherus, Albertina, Jana Sterbak, Michael Horowitz, Babette Mangolte, Marina Faust, Bildrecht Wien 2016 058-068 The Gap 160 Termine.indd 63

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Michael Horowitz 1966 begann Michael Horowitz damit, Porträts zu fotografieren. John Lennon, Andy Warhol, der ganz normale Alltags-Österreicher – sie alle schafften es in seinen Bildband. Ein halbes Jahrhundert später feiern wir »50 Jahre Menschenbilder« und damit irgendwie auch ein Stück dokumentierte Zeitgeschichte. Und wenn man sich den Nachnamen mit Cher aus »Clueless« teilt, hat man eigentlich schon gewonnen. 2. Dezember bis 28. Mai. Wien, Jüdisches Museum

Babette Mangolte Mit Babette Mangolte gibt sich eine echte französische Ikone die Ehre. Seit den 70ern macht sie mit Experimentalfilmen von sich reden. Ihr bisheriges Oeuvre reicht von Dokumentationen über die Theaterszene bis hin zu Fotoarbeiten, 2007 gesellte sich ein Marina Abramovic-Filmchen dazu. Einen Ausstellungstitel, der mit Homophonen spielt, hatten wir auch schon länger nicht mehr (»I = Eye«). Ei, ei. 18. Dezember bis 12. Februar. Wien, Kunsthalle

Franz West Nach seinem Tod im Sommer 2012 gab es viel von Franz West, das blieb. Zum Beispiel eine nicht zu füllende Lücke in der heimischen Kunstlandschaft. Aber auch ein jahrelanger Streit um seinen Nachlass. Nachdem letzterer endlich beendet wurde, ist es nun wieder an der Zeit, sich daran zu erinnern, wer Franz West war: Einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler, den Österreich je gesehen hat. 14. Dezember bis 23. April. Wien, 21er Haus

Stefan Heizinger Wenn er nicht gerade Vermeers »Mädchen mit dem Perlenohrring« in Ölfarbe ertränkt, liebt Stefan Heizinger das Internet ein bisschen zu sehr. Das macht ihn zu einem von uns. Neben Vermeer kombiniert der geborene Linzer auch Meisterwerke von Caravaggio und Velazquez mit Fotografien und Drucken aus dem Google-Sumpf. Wie eine Cover-Version, die nicht mehr nach dem Original klingt – weil sie nicht soll. Eröffnung: 13. Dezember, 19.00 Uhr. Dauer: 14. Dezember bis 24. Jänner. Wien, Bildraum 07

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Der große Poster-Wettbewerb von

Mitmachen und gewinnen! Gesucht wird dein Design für das Veranstaltungsposter zum Indie Label Market als Teil des Vinyl & Music Festivals Anfang März 2017 in der Otta­kringer Brauerei in Wien. Das Siegersujet wird in einer limitierten Edition im Siebdruckverfahren während des Vinyl & Music Festivals live gedruckt und überdies als Veranstaltungsposter in Wien plakatiert. Den Teilnehmern winken attraktive Sachpreise: Getränke aus der Ottakringer Brauerei, Craft-Bier aus dem Brauwerk, Plattenspieler, Kopfhörer – und natürlich Dreitagespässe für das Festival. Die Ermittlung des Siegersujets erfolgt durch eine Jury, bestehend aus Vertretern von The Gap, dem Vinyl & Music Festival, der Ottakringer Brauerei und Zellerluoid, unserem Siebdruck-Partner. Deadline für die Einreichung ist 31. Dezember 2016, 23:59 Uhr. Alle Details unter thegap.at/posterwettbewerb

Das Vinyl & Music Festival inklusive Indie Label Market, Poster Artist Show, Live-Acts, Foodtrucks und vielem mehr findet von 3. bis 5. März 2017 in der Ottakringer Brauerei statt.

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Termine Kino Rogue One: A Star Wars Story Regie: Gareth Edwards »Star Wars«-Fans können sich freuen: Der erste Film der Anthology-Reihe der Saga kommt endlich in die Kinos. Dieser soll brutaler ausfallen, als man es gewohnt ist – mehr Wars, weniger Star quasi. »Rogue One« ist zwischen den Episoden III und IV angesiedelt, die Regie hat Gareth Edwards übernommen. Weitere eigenständige Filme aus dem »Star Wars«-Universum – etwa einer zu Han Solo – sind in Planung. Start: 16. Dezember

Regie: Ruth Beckermann ———— »Sind wir nur die Geträumten?«, fragt Ingeborg Bachmann Paul Celan in einem Brief. Die beiden Schriftsteller und ihre Liebe waren schon Gegenstand des Buches »Herzzeit«, in dem ihr Briefwechsel publiziert wurde. Auf diesem basiert nun der Film »Die Geträumten« von Ruth Beckermann. Musikerin Anja Plaschg (Soap & Skin) und Laurence Rupp spielen sich in dieser Mischung von Spiel- und Experimentalfilm selbst, sie lesen einander die Briefe im Wiener Funkhaus vor. Dazwischen zeigt Beckermann improvisierte Aufnahmen, Plaschg und Rupp sinnieren über das Leben, die Liebe zwischen Bachmann und Celan, aber auch über ihre eigene Situation. Die Lyrik von Bachmann und Celan verhandelt Themen wie Liebe, Tod, Zweifel und Kunst. Ein Film über Zuneigung und Poesie, ein Einblick in das Leben von vier Künstlern. Start: 16. Dezember

Regie: Dominik Hartl Wem Lederhosen per se nicht gruselig genug sind, dem oder der wird bei diesem österreichischen Film eine Portion Schauder und viel, viel Spaß geboten. Der Profi-Snowboarder Steve (Laurie Calvert) und seine Freundin werden in den Bergen zurückgelassen und finden Obdach bei einer Après-Ski-Party. Bester Horror-Trash aus und in den Alpen. Start: 23. Dezember

Einfach das Ende der Welt

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Die Geträumten

Angriff der Lederhosenzombies

Regie: Xavier Dolan Der Schriftsteller Louis (Gaspard Ulliel) stattet nach zwölf Jahren seiner Familie einen Besuch ab und jeder Verwandte erhebt ihm gegenüber Vorwürfe. Der auf Jean-Luc Lagarces gleichnamigem Theaterstück basierende Film stellt Xavier Dolans achte Regiearbeit dar und feierte in Cannes seine Premiere. Start: 30. Dezember

Barbara Fohringer

Stadtkino Filmverleih, Carole Bethuel

Die Blumen von gestern

Personal Shopper Regie: Olivier Assayas ———— Zwischen Horrorfilm, Thriller und Coming-ofAge-Drama wandelt Olivier Assayas neuer Film »Personal Shopper«, für den der französische Regisseur nach »Die Wolken von Sils Maria« abermals Kristen Stewart gecastet hat – wieder in der Rolle einer persönlichen Assistentin. Dieses Mal steht sie aber im Mittelpunkt des Films und zwar als persönliche Einkäuferin Maureen, die zwar ihren Job und ihre Chefin Kyra (Nora von Waldstätten) hasst, jedoch in ihrer Situation gefangen bleibt, da sie noch immer auf ein Zeichen ihres verstorbenen Zwillingsbruders wartet. Maureen ist nämlich ein Medium. Merkwürdige Begebenheiten lassen da natürlich nicht lange auf sich warten. Für »Personal Shopper« erhielt Assayas den Best Director Award in Cannes. Start: 27. Jänner

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Regie: Chris Kraus Holocaust-Forscher Totila Blumen (Lars Eidinger) ist Nachfahre prominenter NS-Täter. Er leidet an seiner Herkunft, seiner Karriere und an der Welt an sich. Dann trifft er auf seine neue Assistentin Zazie (Adèle Haenel), deren Großmutter in Ausschwitz ermordet wurde und die ihn herausfordert. Start: 13. Jänner

La La Land Regie: Damien Chazelle Ryan Gosling und Emma Stone geben nach »Crazy, Stupid, Love« wieder ein Paar – und dieses Mal wird gesungen. Ja, der neue Film von Damien Chazelle ist ein Musical. Und wer Ex-Mickey-Mouse-Clubber Gosling und Stone schon immer mal trällern hören wollte, der oder die sollte sich »La La Land« keinesfalls entgehen lassen. Ein ziemlicher Spaß! Start: 13. Jänner

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Illbilly

frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus

Ich fühle mich gerade wie ein Diabetiker, dem ein All-you-can-eat-Gutschein in einer Nobelkonditorei geschenkt wurde. Wahlweise auch wie ein Kannibale, dem man einen Säugling darbringt oder ein Sadomasoheinzi am Sklavenmarkt. Ich soll nämlich dezidiert über Sex schreiben. Das krieg ich hin, bei dem Thema kenne ich mich nämlich aus. Sollte man meinen. Einfach ist es nämlich nicht, vor allem weil in der letzten Zeit auf allerhand Kanälen immer über die Zukunft des Sex die Rede war. Man kann übrigens auch die Zukunft des Sexes sagen, das ist genetivtechnisch ok, klingt aber auch irgendwie komisch, weshalb man besser »Future Sex« sagt, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie man demnächst pudert oder auch nicht pudert. Wer will, kann natürlich auch »Fickifickitwentytwenty“« oder »Blunziblasinmundspritztwentysixtynine« sagen, doch das ist sehr infantil. Aber ganz ehrlich – Grundlegendes wird sich wohl so schnell ohnehin nicht ändern. Ein ordentlich steifer Beidl, der stramm und glänzend steht und eine Muschi, die richtig feucht und schlüpfrig ist, sollten auch fürderhin im Liebesspiel dabei sein. Da ist der Mainstream echt durch einige Jahrmillionenen an Evolution ziemlich gefestigt, finde ich. Nichtsdestoweniger gibt es einiges an interessanten Neuerungen zu vermelden. Virtual RealityBrillen und Virtual Reality Suits befeuern die Fantasien vor allem im Masturbationsbereich und: Die Sex-Roboter kommen! Roboter sollen nämlich bald so lebensecht sein, dass sie nicht nur den Vibrator für die Ladys und die Gummipuppe für Boys ersetzen, sondern auch gleich die ganze Prostitution revolutionieren werden. Ich weiß nicht, wie sehr gut ich das finden soll. Ich glaube jedenfalls, bei einer Roboterhure braucht man dann nimmer

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extra zahlen, wenn man mal den Wauz ohne Kondom Gassi führen will. Aber was weiß man, was es in 30 Jahren Neues am Geschlechtskrankheitenmarkt gibt. Sprachlich, vor allem im Bereich der Malediktionen, wird es jedenfalls sicher knusprig werden, wenn geklärt sein wird, ob man nun »Fick dich, du Hurenrobotersohn!« oder »Fick dich, du Roboterhurensohn!« sagt. Ich glaube Zweiteres, aber egal. Wenn ich an Future Sex denke, lege ich den Reflexionsprozess ohnehin eher kurz- als langfristig an und habe dann üblicherweise schon viele Schmetterlinge in der Eichel. Oder etwas vulgärer: Wenn der Glavinic gemolken und entsaftet werden will, respektive der Nico Rosberg mal wieder über den Randstein grinden soll, also alles quasi danach verlangt, eine Wasserstandskontrolle durchzuführen, dann ist das eher nicht auf die lange Bank ins Jahr Zweitausendfickdich zu schieben. Und ich bin da anscheinend nicht ganz alleine, wie eine kurze Recherche auf Instagram ergab. Unter dem Hashtag »Datenight« zeigen Pärchen, meistens kennen sie sich schon etwas länger, womit sie ihre Beziehung so pflegen. Und ich glaube, dass mit »Datenight« durchaus gemeint ist, dass man nach einem schönen Abend im Kino oder beim Essen eine kleine Runde Rammelrumble angeht. Bei Rendezvous scheinen momentan Burger und Craft-Bier sehr en vogue zu sein. Aber das kann sich bald wieder ändern. Ich für meinen Teil muss schon sagen, dass ich mittlerweile echt wieder viel lieber zum McDonald’s gehe, als mir von irgendeinem studierten Trottelsoziologen, der einen auf Gastro-Start-up macht, auf der Speisekarte seine Burgerphilosophie erklären zu lassen. Dennoch will ich an dieser Stelle das Wiener Burger- und Craft-Bier-Lokal

»Beaver Brewing Company« kurz vor dem Vorhang holen. Erstens, weil dort unheimlich viele Datenights über die Bühne zu gehen scheinen, zweitens, weil das Wörtchen Beaver perfekt in eine Sex-Kolumne der alten Schule passt. Ist doch das lustige Nagetier Biber im Englischen ein umgangssprachliches Synonym für das weibliche Geschlechtsorgan. So wie im Deutschen zur Muschi auch Bär gesagt werden kann. Aber das machen eigentlich nur noch ältere Semester. Vorwiegend Männer, die vor Internetzeiten frivole Heftchen am Bahnhofskiosk kauften, oder abends am Nachhauseweg von der Arbeit ein bisschen in einen Busch hinein onanierten. Dazu ein anderes Mal mehr, wenn es um Nostalgie und Retrosexualität geht, also um die Vergangenheit des Sexes. Und drittens gehört das Lokal »Beaver Brewing Company« hier erwähnt, weil es sich freiwillig und ohne Zwang »BBC« nennt. Und jeder, der ein bisschen mit Sex zu tun hat weiß, dass BBC nicht nur ein öffentlich rechtlicher Nachrichtensender ist, sondern auch die Abkürzung für Big Black Cock. Ich bin mir bis heute nicht ganz sicher, ob die sexuellen Anspielungen Zufall oder Absicht sind. Aber ich bin gerade dabei, das auszutesten. Mit einer Datenight im BBC. Da rinnt mir jetzt schon das Wasser im Munde zusammen. facebook.com / illbilly

Jakob Kirchmayr

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Know-Nothing-Gesellschaft Die Zukunft des Sexes

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