Österreichischer Film
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N° 168
€ 0,—
AUSGABE APRIL / MAI 2018 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. | GZ 05Z036212 M
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Editorial No Wilhelm Scream
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Herausgeber Manuel Fronhofer, Martin Mühl Chefredakteurin Yasmin Vihaus Leitende Redakteure Manfred Gram, Thomas Weber Gestaltung Michael Mickl, Lisa Weishäupl
In Österreich wird gerne gesudert, die Filmlandschaft bildet keine Ausnahme. Aber wie schlecht ist es wirklich um die Förderlandschaft bestellt, wie schwierig ist es, eine Drehgenehmigung zu bekommen, wie überleben Filmschaffende und wie steht der österreichische Film und Österreich als Filmstandort international gesehen da? Mit diesen Themen und vielen interessanten österreichischen Produktionen beschäftigen wir uns in dieser Spezialausgabe. Ohne viel vorwegnehmen zu wollen: Der österreichische Film ist vom bekannten, wie abgedroschenen »Wilhelmsschrei«, der fast ausschließlich den Tod einer Figur vorhersagt, weit entfernt. Er ist lebendig und er schreit selbst oft genug auf. Das zeigt sich auch am Programm der diesjährigen Diagonale: Eine Vielzahl an Filmen bietet eine qualitativ ernsthafte Auseinandersetzung mit Themen, die sich nicht einfach erklären lassen, erzählt Geschichten, die hochpolitisch und nur schwer verdaulich sind. Bestes Beispiel dafür ist sicher der Eröffnungsfilm »Murer – Anatomie eines Prozesses«, der die Zusehenden nicht mit Unterhaltung ködert, sondern beschäftigt, zum Mitdenken und Nachdenken auffordert und nicht loslässt. Während der bekannte Wilhelm Scream zwar versucht zu fesseln, letztendlich aber so generisch ist, dass man ihn nicht ernstnehmen kann, schaffen Filme wie dieser fast mühelos, einen Hall zu produzieren, der viel länger wirkt, als der bekannte Schrei. Eine solche Auseinandersetzung ist anstrengend, aber notwendig – gerade jetzt. Um sie zu ermöglichen, braucht es eine Filmlandschaft, die fördert und fordert, die zusammenhält und die die Protagonisten keinen generischen Tod sterben lässt.
Yasmin Vihaus
vihaus@thegap.at • @yasmin_vihaus
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Autoren dieser Ausgabe Leo Dworschak, Barbara Fohringer, Michael Mazohl, Gabriel Roland, Dominik Oswald, Sarah Wetzlmayr Kolumnisten Illbilly, Therese Kaiser, Martin Mühl Fotografen dieser Ausgabe Michael Mazohl, Max Lottmann, Jana Sabo Cover istock.com/imaginima Lektorat Adalbert Gratzer, Katja Schiffereger Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Clemens Reichholf, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Pulverturmgasse 3, 1090 Wien Geschäftsführung Martin Mühl Produktion & Medieninhaberin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien Kontakt The Gap c/o Monopol Medien GmbH Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Monopol GmbH, Bank Austria, IBAN AT 54 1200 0515 8200 1929, BIC BKAUATWW Abonnement 10 Ausgaben; Euro 19,— www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
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Magazin 010
»Was ist das überhaupt, der österreichische Film?« Filmschaffende am Round Table
018 Hinter den Kulissen Atelierbesuch bei Katharina Wöppermann 022 Obduktion eines Schlächters Christian Froschs »Murer – Anatomie eines Prozesses« 026 »Kunst muss Fragen aufwerfen« Katharina Mückstein im Interview
030 Was Kino sein kann Norman Shetler im Porträt 032 Kunstgeld Leben und Überleben im Förderlabyrinth 036 Drehort Wien Marijana Stoisits im Interview 038 Österreichischer Film 2018 Filmkalender
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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS
GASTLAND: IRLAND 4.000 M2 BIERKULTUR EDLE SPIRITUOSEN
SOFA SURFERS
06.04.2018
KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at
11.–12. MAI 2018 | MARX HALLE, WIEN C RAFTBI ERFEST. AT © Harald Kienzl
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C RAFT B IERFEST
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L‘Animale von Katharina Mückstein
Auf der Diagonale 2018 Ab 16. März im Kino
022 Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Leitartikel 040 Gewinnen 041 Rezensionen 044 Termine
Kolumnen 009 Gender Gap: Therese Kaiser 007 Lokaljournalismus: Martin Mühl 050 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly
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Martin Mühl
Co-Herausgeber The Gap
Politische Entwicklungen und Fragestellungen sind immer wieder Prämissen und Thema in Filmen. Nicht zuletzt in Horrorfilmen und Krimis. Seit kurzem gibt es etwa den deutschen Film »Immigration Game« aus dem Jahr 2017 auf DVD. Ein Genrefilm mit klassisch reißerischer Grundlage: Europa nimmt darin quasi keine Flüchtlinge mehr auf – eine der wenigen Möglichkeiten für Einwanderer ist es, am Immigration Game teilzunehmen. In dem im TV übertragenen Spektakel werden Flüchtlinge am Rand von Berlin ausgesetzt und haben die Aufgabe sich zum Fernsehturm am Alexanderplatz durchzuschlagen. Auf dem Weg dorthin sind sie Freiwild und können von deutschen BürgerInnen nach Belieben drangsaliert und getötet werden. Wer überlebt, bekommt die Staatsbürgerschaft. Der Film konzentriert sich auf die Action: Ein Deutscher muss, nachdem er einem Flüchtling hilft, selbst an dem Spiel teilnehmen. Es kommt zu Allianzen und ein paar doch eher bemühten Wendungen. Ein Detail des Films ist, dass das Spiel nicht von Fernsehteams verfolgt und gedreht werden muss, sondern sich die TV-Bilder – nicht nur hier ist der Film inkonsequent – aus dem Bilderstrom öffentlicher Überwachungskameras und Sicherheitssysteme speisen. Überwachung ist in Film und Medien generell meist Teil einer als ungebührlich und ausufernd dargestellten Dystopie und einer repressiven Obrigkeit. Sie ist nicht Mittel eines für Sicherheit sorgenden Ordnungssystems, sondern eine Form der Unfreiheit und Unterdrückung. Und wenn in Christopher Nolans »The Dark Knight« Batman mithilfe einer lückenlosen
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Überwachung auf die Jagd nach Joker geht, so ist dies ein – eventuell auch missverständlicher – Teil von Batmans dunkler Seite, seinem Hang zu Rache, Law & Order und Selbstjustiz. Nolan spielt hier bewusst mit dem Thema Überwachung, so wie er im nachfolgenden TrilogieAbschluss den Aufstand der Armen gegen die Finanzoberschicht als Terrorgefahr inszeniert. Es gibt darüber hinaus angefangen bei den Literaturklassikern wie Kafka und Orwell – über Jahrzehnte in Film und Fernsehen bis zu Computergames – nur sehr wenige Beispiele, die einer Überwachung und deren technischem Fortschritt etwas Positives abgewinnen können. Finchers »Panic Room« ist hier als Ausnahme erwähnenswert, gerade weil er Überwachungskameras einsetzt. Allzu oft geht die Kritik an Überwachung aber mit einer allgemeinen Kritik an Technologie und Fortschritt einher. Digitalität und Technik sind aber natürlich im Alltag auch kompliziert und fehleranfällig. Das muss auch die österreichische Bundesregierung gerade feststellen. So ist sie etwa nicht in der Lage, die Infrastruktur für die aktuellen Volksbegehren sicher zu stellen. Ebenso hört man von massiven technischen Problemen, die die tägliche Polizeiarbeit erschweren und laut Interviews auf Ö1 »in sechs bis sieben Monaten behoben sein sollen«. Genau die gleiche Regierung will in ihrem Sicherheitspaket die technische Überwachung deutlich ausweiten, auf Vorrat Daten speichern, Systeme vernetzen … und den Einblick in ihr eigenes Handeln verschlechtern. Es ist ein kurzer Trost, wenn man sich vorstellt, sie könnte das – wie derzeit – in der Praxis einfach nicht hinbekommen. Statt-
dessen muss es unruhig machen, dass man ihnen im Umgang mit den gesammelten Daten in keinster Weise trauen kann. Darüber hinaus gehört schon viel dazu, es für eine gute Idee zu halten, mittels Software Geräte bewusst unsicher zu machen, um der Regierung Einblick in Privates zu geben. Und während auf der einen Seite derzeit offenbart wird, dass hier schlicht nötige Kompetenzen fehlen, soll auf der anderen Seite etwa die Aufzeichnung darüber beendet werden, wer Einblick in die Daten nimmt. Neben all diesen Fragen gibt es noch einen weiteren Punkt, den man in Mitteleuropa schon lange nur mehr aus der Fiktion kennt: In so genannten Sicherheitsforen werden die BürgerInnen an der Staatssicherheit beteiligt. Sie sollen helfen Straftaten aufzuklären und Fehlverhalten aufzuzeigen. Ein Alltag als Online-Forum? Ein Horror! muehl@thegap.at • @muehlmartin
Andreas Jakwerth
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Leitartikel Überwachung. Ein Horror!
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Design, Fotografie & Medienkunst Festival und Messe 09.–11. November 2018 The Gap 168 002-011 Splitter.indd 7
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Martin Mühl isst sich durch Wien
Charts Sebastian Höglinger TOP 10
Großartige Dorfdisco-/Dorffest-Tanzszenen im österreichischen Film 01 »Böse Zellen« von Barbara Albert (AT 2003) 02 »L’Animale« von Katharina Mückstein (AT 2018) 03 »Fallen« von Barbara Albert (AT 2006) 04 »Hotel« von Jessica Hausner (AT 2004) 05 »Siebzehn« von Monja Art (AT 2017) 06 »Talea« von Katharina Mückstein (AT 2013) 07 »In 3 Tagen bist du tot« von Andreas Prochaska (AT 2006) 08 »Ternitz, Tennessee« von Mirjam Unger (AT 2000) 09 »Richtung Zukunft durch die Nacht« von Jörg Kalt (AT 2002) 10 »Paradies: Hoffnung« von Ulrich Seidl (AT 2013)
Lokaljournalismus Roots: Einladung zur Recherche
TOP 03
Auch nicht schlecht: Fetzi (Cola-Rot)
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Sebastian Höglinger bestreitet gemeinsam mit Peter Schernhuber die Intendanz der Diagonale.
Charts Lisa Weishäupl TOP 10
Was man mit den vielen Feiertagen im Mai machen kann 01 30. April, 11. Mai und/oder 1. Juni freinehmen. 02 Die Freundin besuchen, die jetzt in Darmstadt/Berlin/Steyregg lebt. 03 Muttertag nicht vergessen! (12. Mai) 04 Spazieren, Wandern, Freeclimben. 05 Ein Buch von Marlen Haushofer/was zur politischen Lage lesen. 06 Lang schlafen, Familie besuchen, Kaffee trinken. 07 Dieses ewige Renovier-/Ausmistprojekt zum würdigen Ende bringen. 08 Bukarest/Venedig/Belgrad/Zürich/Krakau ansehen. 09 Ein Bild malen/ein Lied schreiben/einen Likör ansetzen. 10 Nichts.
TOP 03
Hilfreiche Filme bei Kater und Liebeskummer 01 Wayne’s World 02 Nacktschnecken 03 Wayne‘s World 2 Auch nicht schlecht: Kohlrabi Lisa Weishäupl ist Grafikerin bei The Gap und freut sich nach dem Layouten dieser Ausgabe umso mehr auf den nächsten Kinobesuch.
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Miki Apostolo, Adam Bencze und Marcus Walter kommen aus Italien, Ungarn und dem oberösterreichischen Salzkammergut und haben sich laut Erzählung in Wien kennengelernt und schnell beschlossen zusammen ein Lokal zu eröffnen. Gemeinsam betreiben sie an der ungarisch-slowakischen Grenze außerdem eine kleine Landwirtschaft, auf der sie mit Hühnern, Schafen und viel Gemüse und Obst vieles, das sie verarbeiten, selbst produzieren. Auch sonst scheint ihnen die Herkunft ihrer Zutaten wichtig und auch der Name des Lokals legt eine Identifikation mit Produktionsorten und Herstellern nahe. Im Ergebnis bietet das Roots damit eine großartige neue Küche in Wien und schafft eine begeisternde Balance zwischen Angebot und den sanft gehobenen Preisen. Die Speisekarte umfasst sechs Gänge plus Desserts, die in Menüs zu drei bis sechs Gängen gewählt werden können und saisonal zusammengestellt sind. Nach dem doppelten Gruß aus der Küche gab es zur Auswahl eine geräucherte Forelle mit Paprikasauce und Honigwaben oder Rote Rüben mit Zwiebel und Holunderessig. Die Blutwurst mit Kürbis überzeugte tendenziell scharf angebraten und mit einer ungewöhnlich intensiven Knoblauchnote. Die Polenta war wie angekündigt angenehm cremig und harmonierte mit dem Blauschimmelkäse und einer wunderbar klar schmeckenden, dicken Scheibe Kräuterseitling. Die Ravioli wurden von Mangalitza-Salami begleitet. Zum Hauptgang gab es ein Welsfilet mit Lauch und Karfiol oder ein dickes Stück Schweinebauch mit Sellerie-Kugeln und Schupfnudeln. Besonders hervorzuheben ist außerdem die außergewöhnliche Weinbegleitung. Die war nicht nur vergleichsweise leistbar, sondern setzte stark auf ungewöhnliche Weine aus Tschechien, Ungarn und der Slowakei, viele davon Bio, und manche maischevergorene Orange-Weine. Eine willkommene Gelegenheit zur Weiterbildung und Einladung zur Recherche. Der Preispunkt im Roots ist gehoben, gemessen am Gebotenen ist das aber eines der besten neuen Angebote der Stadt. muehl@thegap.at • @muehlmartin Roots, Schönbrunnerstraße 32, 1050 Wien Menüs 3 Gänge 39 Euro bis 6 Gänge 60 Euro, Weinbegleitung 22 Euro bis 39 Euro bistroroots.at
Andreas Jakwerth, Martin Mühl
Männer, die spinnen (Musikvideo-Edition) 01 Journey – Seperate Ways 02 Agnostic Front – Gotta Go 03 Guns N’Roses – November Rain
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Therese Kaiser
beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.
Pamela Rußmann
Rund um den Weltfrauentag passiert in Österreich ja so einiges: Feste werden gefeiert, Solidaritätsdemos abgehalten, es gibt Workshops, Konferenzen, mediale Berichterstattung zur Einkommensschere, Frauennetzwerktreffen, und währenddessen sammelt ein mittlerweile von über 200.000 Menschen unterschriebenes Frauen*volksbegehren mit Höchsteinsatz weitere Stimmen, um mit starkem Fundament in die Eintragungswoche zu gehen. ———— Irgendwo in meinem Facebook-Feed postet jemand entrüstet, erst jetzt wäre ihm aufgefallen, dass feministische Arbeit größtenteils ehrenamtlich geleistet wird, Skandal! Da diese Erkenntnis offensichtlich schon als Reality Check durchgeht, widme ich meinen Beitrag zum Weltfrauentag denen, die bei solchen Kommentaren gar nicht mehr wissen, in welche Richtung sie die Augen verdrehen sollen. Ja, wenn es darum geht, feministische Inhalte einer entsprechenden Öffentlichkeit zugänglich zu machen, oder sich für Frauenrechte einzusetzen, dann hagelt es unbezahlte Arbeit, die wenig überraschend wiederum größtenteils von Frauen getragen wird. Die Folgen: Erschöpfung, chronische Unterfinanzierung, schwimmende Grenzen zwischen Ehrenamtlichkeit und Erwerbsarbeit. Und wenn dann noch öffentliche Förderstrukturen für zivilgesellschaftliches Engagement immer unsicherer bzw. tatsächlich ausgesetzt werden, wie es derzeit zum Beispiel in Oberösterreich der Fall ist, dann bedeutet das für manche Initiativen entweder das Aus, oder noch mehr unbezahlte Arbeit, schlaflose Nächte und arbeitsintensive Wochenenden. Dabei geht es zu einem großen Teil um Initiativen, die öffentliche Gelder erhalten, um Beratung und Unterstützung für diejenigen zu leisten, die ansonsten komplett auf sich alleine gestellt wären. Wir sprechen also von Gemeinnützigkeit im engsten Sinne. Dass die Förderfundamente gerade auch für andere Bereiche wackeln und es natürlich um viel mehr geht als nur um feministische Arbeit, ist klar: Unzählige zivilgesellschaftliche Plattformen rund um Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik spüren einen politisch rauen Wind – aber das würde diesen Beitrag hier sprengen. Zurück zum Feminismus: Erwartungsgemäß wird die Struktur der Bundesförderungen
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ähnlichen Entwicklungen erliegen wie am oberösterreichischen Beispiel angeteasert, und die Situation wird sich nochmals verschärfen. Das ist so das Ding mit Förderungen: Es ist essentiell, dass es sie gibt, aber sie erschaffen auch ein politisches Abhängigkeitsverhältnis, wenn sie zu stark an Parteipolitik (und deren Interessen) gebunden sind. Und auch wenn Fördertöpfe zwei, drei Schritte weiter von der Regierung angesiedelt werden: Ihr Gesamtvolumen bestimmt immer noch dieselbige. Jedenfalls befürchten viele Initiativen in Österreich momentan, dass sie sich äußerst warm anziehen müssen und sie im schlimmsten Fall das Zeitliche segnen werden. Die gemeinsame Angst solidarisiert natürlich auch, ganz allein steht man nicht da – man hilft und unterstützt sich, wo man kann. Aber das Problem bei chronischer Unterfinanzierung und Nerven, die blank liegen, ist, dass auch die beste gegenseitige Unterstützung Teil des Problems ist. Irgendwann befindet man sich in einem Ökosystem aus lauter mehrfachbelasteten AktivistInnen, die mit minimalsten Ressourcen Bestmögliches auf die Beine stellen. Das kreiert in vielen Fällen eine Burn-Out-Spirale, die es vielen verunmöglicht, sich weiter zu engagieren. Wenig zuträglich sind dann auch systeminhärente Streitigkeiten, Spaltereien und die bekannten Diskussionen, wer nun den richtigen Feminismus vertrete, ganz nach dem Motto: Wer ist die beste Feministin im Land? Wer ist eigentlich politisch, wer unpolitisch? Wer ideologisch verbrämt, wer ein neoliberaler Fuzzi? Wer ist super, wer ist gschissn? Wer soll überhaupt die Pappn halten? Klar, wie in allen gesellschaftlichen Sphären – und überhaupt, wenn Menschen zusammenkommen – ist auch die feministische Szene nicht gefeit vor üblichen Mean-Girls-Dynamiken, vor Trollen und denjenigen, die aus Selbstzweck polarisieren wollen. Darüber hinaus sind wir Feministinnen alles andere als eine homogene Gruppe, und insbesondere Mehrfachdiskriminierung aufgrund von Klasse, Herkunft oder sexueller Orientierung lassen uns die Welt manchmal sehr unterschiedlich wahrnehmen. Diese Konflikte tragen nun Menschen aus, deren Existenz ohnehin schon bedroht ist, weil ihre Arbeit kaum
oder schlecht bezahlt ist, weil sie sich unermüdlich einsetzen. Lose-Lose-Situation, oder? Aber das ist nur ein Teil der Geschichte, die ich erzählen will: Auf der anderen Seite eröffnet feministische Arbeit auch einen unausgesprochenen Kodex. Gestritten wird nach innen, nach außen wird in den meisten Fällen nicht nur Solidarität gepredigt, sondern auch gelebt. Sonst hätte das Frauenvolksbegehren nicht schon 200.000 Unterschriften, sonst wäre der Aufschrei nicht so breit, wenn Initiativen aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen zu Grunde gehen. Sonst würden nicht unzählige Frauen und Männer auf die Straße gehen, um sich dem Women’s March anzuschließen, und sonst würden nicht alle mit anpacken, wenn sich irgendwo ein existenzbedrohendes Budgetloch auftut. Und wenn das nächste AktivistInnen-Burn-Out vermieden werden soll, dann muss die Frauenbewegung noch enger zusammenrücken, um das, was uns da in den nächsten Jahren politisch so entgegenwehen wird, auch abfangen zu können. Divide et impera, »teile und herrsche« – keine sonderlich innovative Strategie, wenn es darum geht, die Schlagkraft von Protest zu minimieren, aber anscheinend nach wie vor durchaus erfolgreich. Die Wienwahlen sind nicht mehr weit weg, und es bleibt zu hoffen, dass sich hier nicht bald die nächste fundamentale politische Veränderung auftut, die den Wien ansässigen Initiativen einen Strick drehen könnte. Ihr fragt euch, was ihr tun könnt? Verschiedene Initiativen und Oraganisationen regelmäßig unterstützen: denn wir sind hoffentlich nicht so deppert, uns divide et impera zu lassen, sondern klug genug, zu erkennen, wer die tatsächlichen Feinde feministischer Bestrebungen sind. kaiser@thegap.at • @thereseterror
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Gender Gap Erschöpft, pleite, dividiert: Happy Weltfrauentag 2018!
Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des feministischen Business Riot Festivals und vor allem auf Instagram anzutreffen. facebook.com / businessriot instagram.com / thereseterror
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Filmschaffende am ÂťWas ist das der Ăśsterreichische
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Paul Poet
Nina Kusturica
Miriam Unger
Stefan A. Lukacs
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Michael Mazohl
The Gap bat Mirjam Unger, Paul Poet, Nina Kusturica und Stefan A. Lukacs aka Istvan zum Gespräch über die Leidenschaft Film, die Herausforderung, Förderungen zu erhalten, Wünsche an die Kulturpolitik und Fragen nach Identität und Idealen. Wann wusstet ihr, dass ihr diesen Beruf ausüben möchtet? Gab es einen Film, der für euch Beweggrund dafür war, selbst Filme zu drehen? miriam unger: Ich war ungefähr neun oder zehn Jahre alt, als ich »Manche mögen’s heiß« von Billy Wilder gesehen habe. Ich konnte danach wochenlang nicht schlafen, so aufgeregt war ich. Ich wusste: Da ist irgendetwas, eine Faszination. paul poet: Ich wurde in Saudi-Arabien geboren und wuchs im Ausland auf, da mein Vater als Erdölingenieur arbeitete und wir viel reisten. Als ich nach Wien kam, sah ich irgendwann »Die Erben« von Walter Bannert im Fernsehen. Das ist dieser Schockfilm, der ein Vierteljahrhundert weggesperrt worden war, weil er eben den ganzen Rechtsruck und Rechtsterrorismus thematisiert und Pulp-Kino mit drastischer politischer Aufarbeitung und Schocks kombiniert. Ich sah ihn als Zwölfjähriger im Nachtprogramm, als ich mich ins Wohnzimmer geschlichen hatte. Mein Vater war schon eingeschlafen und hat nicht bemerkt, dass ich den Film unter dem Tisch sehen konnte. Ich war damals komplett weggeschossen. Diese Intensität und Aussagekraft kombiniert mit Gewalt und Sexualität; so ein Kino in Österreich zu machen – und das im ORF-Spätprogramm zu sehen – das hat mich weggeschossen für immer. nina kusturica: Mich hat kein bestimmter österreichischer Film inspiriert, aber ich wuchs in einer Theaterfamilie auf und wollte immer Theater machen. Meine Mutter und meine Tante waren Schauspielerinnen und
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mein Vater Dirigent. Ich sah mit 12 oder 13 »Fahrraddiebe« und dachte mir: Interessant, welche Mittel man beim Film hat. Es waren die italienischen Neorealisten, die mich faszinierten und begeisterten. stefan a. lukacs: Bei mir gab es nicht so einen ausschlaggebenden Moment, es war eher ein Prozess. Aber ich kann mich daran
spielerInnen vorantreiben. Das Problem ist, dass wir als RegisseurInnen nicht so oft zum Zug kommen, nicht so oft am Set stehen wie etwa SchauspielerInnen oder andere Teammitglieder. Aber man kann – und das ist die Herausforderung – immer an sich arbeiten, neue Kategorien finden, um sich etwas zu erschaffen: Ich unterrichte, ich arbeite mit jungen SchauspielerInnen, ich schreibe. sal: Das geht mir genauso. Ich finde das Warten furchtbar, es ist zermürbend. Es ist so befriedigend und es macht mich so glücklich, wenn ich arbeiten darf. Aber ich versuche mir immer einzureden, dass das auch Teil des Filmemachens ist: Das Warten. mu: Für mich ist die Lösung mittlerweile, diese Zwischenzeit mit Schreiben zu füllen. Ich schreibe ganz, ganz viel und mache auch sonst vieles gleichzeitig. Manchmal merke ich, dass meine Batterien leer werden, aber ich stehe gern unter Strom. Die Herausforderung beim Filmemachen besteht eben darin, viel Energie zu haben und zu behalten. pp: Auch um zu überleben, das ist ein wichtiger Faktor. Fad wird mir nicht. Ich entwickle momentan fünf Spielfilme, ein Theaterstück und einen Debütroman, aber finanziell zurechtzukommen in dieser Zeit
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Round Table überhaupt, Film?«
»Die Herausforderung beim Filmemachen besteht darin, viel Energie zu haben und zu behalten.« — Miriam Unger
erinnern, dass ich als Kind sehr viel mit meinem Vater ins Kino gegangen bin bzw. wir gehen noch immer regelmäßig. Das war für mich immer schon etwas ganz Besonderes. Einerseits, weil es mit meinem Vater zu tun hatte, und andererseits, weil ich das Kino als mystischen Ort empfand. Der Moment, wenn es dunkel und die Leinwand hell wird – das ist für mich immer noch der Moment, in dem ich ehrfürchtig werde. Mit welchen Herausforderungen seid ihr in eurer Arbeit konfrontiert? nk: Beim Filmemachen braucht man eine Umgebung, die mitarbeitet und für diese braucht man eine Finanzierung. Das ist oft schwierig. Denn man kann erst in der Arbeit das Handwerk präzisieren, die eigene Handschrift schärfen und die Arbeit mit den Schau-
ist schwierig – eben durch die langen Laufzeiten, die Unsicherheit der Förderungen und die mangelnde Kontinuität. Da bleibt man schnell komplett mittellos auf der Strecke. Ich habe meinen letzten Film fast ohne Förderungen realisiert, ich hatte grad mal 7.500 Euro für die Herstellung zur Verfügung. Das ging überhaupt nur, weil es ein InterviewFilm war, also sehr billig. Aber ich habe zwei Jahre selbst die ganze Festivalarbeit gemacht, die ganze Promotion, alles unbezahlte Tätigkeit. Ich war das letzte Mal vor acht Jahren auf einem Filmset.
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MIRJAM UNGER Wie zufrieden seid ihr als FilmemacherInnen mit der aktuellen Förderungssituation? mu: Ich habe mich gestern mit meiner Tochter unterhalten und sie erzählte mir von der derzeitigen Situation vieler junger SchauspielerInnen: Dass man für nichts oder für 500 Euro acht Wochen lang probt und dann alle Vorstellungen spielt – nur, damit man spielen kann. Da dachte ich mir: Okay, so schlecht geht es uns FilmemacherInnen auch wieder nicht. Trotzdem ist Geld natürlich immer ein Thema. Ich denke mir jedes Mal, dass es ein Wunder ist, dass ich durchkomme und dass alles so geht, wie es geht. Ich vertraue eben darauf, dass dies zukünftig so sein wird. Aber das geht nur, indem ich offen bin und sehr viele verschiedene Tätigkeiten ausübe. nk: Ich finde, dass die eigentliche Qualität der österreichischen Filme nicht genug gefördert wird. Es wird viel Geld in Industrie- und Genre-Filme gesteckt, die man schon Produkte nennen muss, da man sie wie solche behandelt. Die kleine Kunstförderung, die etwa im BKA angesiedelt ist, in deren Rahmen ganz tolle Filme realisiert werden – Filme, bei denen es eben ums Handwerk und um die Handschrift geht, Filme, die eine politische und gesellschaftliche Haltung aufweisen, Filme, die maßgeblich zum internationalen Erfolg des österreichischen Films beitragen – wird vernachlässigt. Ich denke, dass aufgrund altmodischer Produktionsstrukturen sehr viel Geld in große Produktionen gesteckt wird. Diese Produktionsstrukturen sollten aber den tollen, künstlerischen Filmen, die vielleicht schauen, was Kino überhaupt sein kann, gerechter werden. pp: Es herrscht ein komplett altmodisches Handwerksverständnis, wie Geschichten erzählt werden. mu: Wir leben in einer sehr schnellen Zeit, aber bis ein Film realisiert wird, dauert es eben Jahre. Schneller reagieren zu können, schneller zu arbeiten – auch in kleinen Teams – das wäre toll. Diese Behäbigkeit, diese Langsamkeit müsste hinterfragt werden. pp: Viele Stoffe sind auch feig. Deine Heiligsprechung des BKA teile ich da nicht.
Die Filmemacherin, Journalistin, Moderatorin und Fotografin Mirjam Unger begann ihre Karriere beim ORF, studierte später Regie bei Wolfgang Glück und Axel Corti an der Filmakademie Wien und präsentierte 2000 mit »Ternitz Tennessee« ihren ersten Spielfilm. Danach folgten unter anderem die Dokumentationen »Vienna’s Lost Daughters« und »Oh yeah, she performs«. 2016 eröffnete ihre Verfilmung des Christine-Nöstlinger-Romans »Maikäfer flieg« die Diagonale – der Film gewann mitunter den LEO-Kinder und Jugendpreis des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern. 2018 inszenierte sie die Gala des Österreichischen Filmpreises. Aktuell kuratiert sie etwa – gemeinsam mit der Regisseurin Anja Salomonowitz – die seit Ende Februar 2018 monatlich stattfindende Veranstaltungsreihe »Widerstandskino – film talk politics and music« im Stadtkino Wien.
Ich etwa hab in 25 Jahren Filmemachen von internationalem Ruf bislang keine einzige Herstellung vom BKA gefördert bekommen. Gerade beim ÖFI oder beim Filmfonds gibt es seit Jahren das relativ neue Bewusstsein, Genrefilme zu fördern, etwa auch Horrorfilme – ich bin ein großer Horrorfilm-Fan –, aber die Filme, die dann wirklich gefördert werden, funktionieren überwiegend nach komplett veralteten Rezepturen aus den 1990ern: 0815-Slasher, relativ gesichtslose Dutzendware. Die wenigen geförderten Filme, die sich da wirklich aus dem Fenster lehnen, wie etwa »Ich seh, ich seh«, haben dann oft den großen internationalen Erfolg, sowohl auf Filmfestivals als auch an der Ki-
nokasse. Veronika Franz und Severin Fiala drehen nicht umsonst gerade ihren ersten englischsprachigen großen Studio-Film in Montreal. Es ist borniert und fehlgeleitet von den Förderungen, nichts zu wagen. Zudem gibt es die ganzen einschränkenden Vorstellungen darüber, wann man als FilmemacherIn welchen Film realisieren darf, die ganzen versteckten Förderregeln – etwa, dass das Debüt ein Kammerspiel sein muss, das ganz wenig kostet. Historische Stoffe dürfen erst ab dem dritten oder vierten Film gedreht werden. Das ist alles idiotisch. Das geht an den Inhalten vorbei und zeugt nicht von Lebendigkeit. Welchen Stellenwert hat eurer Ansicht nach der österreichische Film im Ausland? sal: In Deutschland scheinen sie österreichische Filme zu lieben. Sie beneiden uns wahnsinnig um unsere Filmlandschaft. Das ist immer sehr lustig. nk: In Österreich hat man oft das Gefühl, dass die FilmemacherInnen eben so über die Runden kommen, aber im Ausland mehr Anerkennung erhalten. Wobei natürlich immer die Frage ist: Wie wird Erfolg gemessen? Sind das Zahlen oder Kritiken oder gesellschaftliche Veränderungen, die ein Film vielleicht mittragen kann?
Im Filmcasino diskutierten Mirjam Unger, Paul Poet, Nina Kusturica und Stefan A. Lukacs.
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»Das Interesse an österreichischen Filmen ist auch innerhalb des Landes stark gewachsen« — Nina Kusturica
mu: Im Ausland wird der österreichische Film immer mit viel Humor verbunden, gar nicht mal so sehr mit Adjektiven wie schwer oder dröge. nk: Das hat sich schon verändert in den letzten fünfzehn Jahren, seit den ersten großen Erfolgen von Seidl und Haneke. sal: Sogar Haneke hat jetzt Humor mit seinem neuen Film! Ich weiß nicht, aber der ist sehr lustig. nk: Große Wertschätzung kommt dem österreichischen Film auch aus anderen Ländern entgegen. Ich war kürzlich mit einem Film in London zu Gast und natürlich auch bei einigen Diskussionen. In Großbritannien beneiden sie uns um unser Finanzierungsgerüst. mu: Das Interesse an österreichischen Filmen ist auch innerhalb des Landes stark gewachsen: Man redet über die Filme, junge Menschen interessieren sich für sie. Ich habe wirklich das Gefühl, dass da etwas passiert ist. Besonders in den letzten ein, zwei Jahren. Es fühlt sich gut an. Welche Möglichkeiten seht ihr, um das Publikum für den österreichischen Film zu begeistern? mu: Der ORF spielt mittlerweile viele österreichische Filme um 20 Uhr 15. Da ist auch eine Bewegung drinnen, wobei harte Arbeit von uns FilmemacherInnen dahintersteckt. nk: Genau. Ich denke aber, dass wir uns damit messen müssen, was für uns realistisch ist. Jeder Film soll natürlich sein Potenzial ausschöpfen, die Frage ist aber immer: Haben wir die Möglichkeiten dafür? Gibt es Ideen? Gibt es eine Verleihstruktur, die das ermöglicht? Viele Verleihe können es sich schwer leisten, auf österreichische Filme zu setzen, weil sie ein Tagesgeschäft haben und bei österreichischen Filmen mehr Arbeit investieren müssten. mu: Aber die Presse spielt schon besser mit als früher. Wenn ein Film erscheint, werden nun vermehrt die FilmemacherInnen interviewt, es wird mehr zum Thema gemacht. pp: Die Medien spielen stärker mit, aber es lesen auch weniger Leute Medien.
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nk: Aber dafür gibt es nun soziale Netzwerke. Ich finde, es fehlen Initiativen, die die Medien- und Filmbildung auch schon in den Schulen integriert. Wir sehen den riesigen Bedarf, wenn wir unsere Filme bei Schulscreenings zeigen, es werden viele Fragen gestellt. Das müsste regelmäßig im Schulprogramm inkludiert werden. sal: Ich glaube, der Schlüssel ist die Zielgruppenarbeit. Das sieht man sehr gut zum Beispiel bei Marie Kreutzer, die eine Fanbase hat. Sie knackt regelmäßig die 40.000er-Marke, das ist ziemlich sensationell. nk: Es wird wohl aber auch am Cast und den AutorInnen liegen. sal: Ich denke, es gibt ein gewisses Potenzial bei FM4-HörerInnen und Der StandardLeserInnen, die sich eben auch einen Marie Kreutzer-Film ansehen und die man gut ins Kino locken kann. Vor allem, wenn man Themen bearbeitet, die aus deren Lebenswelt entspringen, wie es Marie Kreutzer macht. Bei »Die Migrantigen« hat das ebenso super funktioniert: Die haben klar ihr Publikum definiert. mu: Josef Hader ist auf jeden Fall der einzige österreichische Kinosuperstar. nk: Bei dem man sicher sein kann, dass seine Filme Erfolg haben werden. sal: Auf ihn können sich einfach alle einigen. mu: Bislang gab es meistens eine Person, meistens war es ein Mann, der Starqualitäten hatte. Da könnte es noch mehr geben. Wir sollten uns dafür öffnen, Stars zu haben und zu machen. pp: Das war immer der Traum, mit Josef Hader ein Starsystem ähnlich wie in Deutschland aufzuziehen, das hat bei uns bisher nur beschränkt funktioniert. mu: Michael Ostrowski ist ebenso jemand, der Menschen ins Kino bringen kann. pp: Ich glaube, das Wichtigste ist aber, jenseits von bekannten Namen, nicht allen Mustern zu entsprechen und sich eine gewisse Lebendigkeit und Authentizität zu bewahren. Das war für mich auch das Erfolgsrezept bei »Die beste aller Welten« – nicht umsonst neben meinem Favoriten »Hagazussa« der beste
PAUL POET Der Regisseur, Autor, Journalist und Medienwissenschaftler Paul Poet machte sich zuerst in der Wiener Punk- und Elektronikszene der 1990er als Promoter, Veranstalter, Kritiker und Sänger einen Namen und studierte Philosophie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Seinem Debütkurzfilm »Hoch Zeit« folgten weitere TV-Beiträge und Musikvideos, ehe er 2002 die Regie des Film- und Kunstprojektes »Ausländer raus! Schlingensiefs Container« übernahm. Der viel beachtete Film wurde unter anderem in Tel Aviv, Istanbul, London und New York gezeigt, 2018 wird er nochmals am Referenz-Filmfestival CPH:DOX in Kopenhagen zu sehen sein. Danach folgten etwa »Empire – Der Staat bin ich« (2011) und »My Talk with Florence« (2015). Aktuell arbeitet Paul Poet an verschiedenen Spielfilmen, zum Beispiel »Der Minusmann«, »Der Zögling« und »Weltschatten«.
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NINA KU STURICA Nina Kusturica studierte Regie und Schnitt an der Filmakademie Wien und realisierte seither verschiedene Spiel- und Dokumentarfilme, die bei zahlreichen Filmfestivals (wie etwa MaxOphüls-Preis, Mostra Internacional de Cinema Sao Paulo, IFF Sofia und Mumbai Film Festival) gezeigt wurden. Ihr Diplomfilm »Auswege« feierte seine internationale Premiere bei den Filmfestspielen von Berlin im Forum des Jungen Films und eröffnete 2003 die Diagonale. 2009 erschien ihr preisgekrönter Dokumentarfilm »Little Alien«. 2014 gründete sie zudem NK Projects und übernahm damit die Rechtsnachfolge der 2003 von ihr mitbegründeten Firma Mobilefilm Produktion. NK Projects realisiert Kino- und Kurzfilme sowie Werbe- und TV-Dokumentarfilme. Nina Kusturica lehrt auch an der Universität Wien. 2018 wird ihr neuer Film »Ciao Chérie« in die Kinos kommen.
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heimische Film des letzten Jahres. Beide abseits der üblichen Fahrwasser hergestellt. Es sollte eben mehr Filme geben, die abseits des Systems funktionieren. mu: Filme wie diese funktionieren gut, weil wir FilmemacherInnen eine Zeit lang – und das sind meistens mehrere Wochen – mehrere Stunden pro Tag aufwenden, um in die Presse zu kommen, auf Facebook alles abzuchecken und so weiter. Und das unbezahlt. Das ist auch energetisierend, spannend und toll. Wir sind voller Leidenschaft, aber eigentlich ist es eine Situation, die so nicht geht. nk: Es steckt sehr viel persönliches Engagement dahinter und man beginnt immer wieder bei Null. sal: Weiß jemand von euch, warum man so wenig Verleihförderung bekommt? Warum wird so wenig Geld für Verleihförderung, also genau für diese Arbeit, ausgegeben? Woran liegt das? Ich verstehe das nicht. nk: Ich möchte jetzt nicht die Argumente der Förderstellen wiedergeben. Es geht ja um die Fragen: In welcher Umgebung und Verwertungslandschaft leben wir? Hier geht es natürlich um Filmpolitik. Welche Strukturen möchte sie ermöglichen und schaffen? Welche Ideen gibt es? Da fehlen bisher echte Visionen. pp: Die Verwertungslandschaft ist eigentlich sehr mager. Das liegt daran, dass viele der Meinung sind, man mache erst Geld, wenn man 200.000 ZuseherInnen hat – und da waren wir alle noch nicht dort. Wir beide (deutet zu Nina Kusturica) sowieso nicht. Wie viele ZuseherInnen hattest du bei »Maikäfer flieg«, Mirjam? mu: So um die 80.000. pp: Das ist schon ordentlich, aber es ist noch immer nicht an dieser Schwelle. mu: Aber im Fernsehen waren es dann 800.000. Das ist ja Wahnsinn, was da noch gehen würde. pp: Klar, aber die Verleihe strengen sich nicht so an. Man hat eben einen gewissen Etat, den man ausschöpft und fertig. mu: Bei mir hat sich der Verleih sehr angestrengt, es war eine super Zusammenarbeit. nk: Die Frage ist größer als der Verleih. Ich glaube, es ist eine filmpolitische Frage: Was wird dem Verleih ermöglicht?
mu: Ich glaube sogar, dass sich wirklich viele bemühen. Wir bemühen uns eigentlich alle sehr und engagieren uns sehr. Im Verleihwesen trifft man viele Menschen mit Leidenschaft. Habt ihr Einschätzungen darüber, wie sich Österreichs Kulturpolitik durch die neue Regierung verändern könnte? nk: Der Kulturteil im neuen Regierungsprogramm ist sehr allgemein gehalten. mu: Ich denke, wir haben Aufgaben. Wir haben die Aufgabe, selbst Visionäre und Visionärinnen zu sein. sal: Ich würde mir nun wünschen, dass mehr Anreize für die Privatwirtschaft geschaffen werden, um in den Kulturbereich zu investieren. Ich möchte nicht alles schwarzmalen, es gibt auch Chancen mit der neuen Regierung. Ich hoffe, sie nehmen diese Chancen wahr. pp: Ich glaube, wir FilmemacherInnen sind relativ irrelevant für die Regierung. sal: Ich glaube ebenso, dass wir ein bisschen Glück haben, dass die Filmförderung erst relativ spät Thema für die Regierung sein wird. Die haben nun andere Schwerpunkte. Jetzt kommt einmal erst der ORF dran. Wobei uns das ja auch wiederum betrifft. pp: Wer da umgefärbt wird oder wer wen politisch manipuliert, das kann man noch nicht abschätzen, aber das ist natürlich alles möglich. Vorläufig stehen die Institutionen relativ stark für sich da und wurden noch nicht angegriffen, aber falls das passieren sollte, gibt es ja ein paar Leute, die sicher Position beziehen werden bzw. gab es ja letztens beim Österreichischen Filmpreis die #klappeauf-Aktion. Es ist eine wichtige Chance, sich nun für Privatfinanzierungen zu öffnen, die gibt es ja in anderen Ländern bereits. Im Prinzip wäre es ideal, eine Kombination aus Privatgeldern und staatlichen Geldern zu haben. Die Befürchtung ist eben nur: Wenn es sich jetzt Richtung Privatförderung öffnet, dass dann die staatlichen Gelder zurückgezogen werden. nk: Die Filmbranche muss sich auch die Frage stellen, wie gesellschaftlich relevant die geförderten Filme sind. Bisher spiegeln die durch Steuergeld geförderten Filme die
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In euren filmischen Arbeiten sind Spuren des Politischen zu finden. Inwiefern sind für euch und eure Arbeit Politik und Kultur verbunden? Kann das eine ohne das andere überhaupt existieren? nk: Der Film reflektiert die Gesellschaft, aber er reflektiert auch auf die Gesellschaft. Filme transportieren Geschichten, die uns wieder etwas glauben machen. Dadurch steckt automatisch eine politische Verantwortung dahinter. Es ist nur so: Wie geht man mit dieser Frage um? Jeder wohl auf seine eigene Art. Ich möchte mir diese Frage immer stellen. Ich finde, es ist ein Privileg, Filme machen zu dürfen, und ich möchte damit behutsam umgehen. mu: Sobald du mit Medien arbeitest, sobald du sendest, sendest du. Und das ist nicht von ungefähr, dass die technische Revolution, die Verfeinerung der Mikrofonie, des
Filmwesens, des Radios gleichzeitig in den 1930er Jahren mit dem Aufkommen der Nazis stattfand. Auch jetzt sind wir mit großen technischen Entwicklungen konfrontiert, wir können auf ganz andere Weise senden, jeder von uns. Das heißt: Wir FilmemacherInnen haben immer eine politische Verantwortung. pp: Es gibt kein unpolitisches Kino, auch eskapistische Unterhaltungs-Filme haben eine politische Position. Die Frage ist nur, ob
»Ich bin kein Patriot und ich würde nie auf die Idee kommen, dass ich österreichischer Filmemacher bin« — Stefan A. Lukacs
man den Film als Kampfmittel oder als aufklärerisches Mittel einsetzt. Es geht immer auch um eine persönliche Überzeugung, die enthalten ist, eine Beschäftigung mit der Welt, die automatisch politisch ist. Die Frage ist, ob man das offenlegt oder nicht. Ich mag es offengelegt.
STEFAN A . LUK AC S aka IST VAN Stefan A. Lukacs aka Istvan ist Filmregisseur und Drehbuchautor. Nach seinem Regie- und Drehbuch-Studium an der New York Film Academy realisierte er zuerst einige Kurzfilme wie etwa den 2012 erschienenen »Void« mit Laurence Rupp und Anton Noori, in dem er die Geschichte des von WEGA-Beamten misshandelten Asylwerbers Bakary J. verhandelt. »Void« lief auf verschiedenen Filmfestivals, unter anderem am IFF Sofia, This Human World und Festival Cannes Court Métrage. Sein Debüt-Langfilm »Cops«, für den er abermals Laurence Rupp und Anton Noori verpflichtete, wurde beim Filmfestival Max-OphülsPreis mit dem Publikumspreis Spielfilm und dem Preis für den gesellschaftlich relevanten Film ausgezeichnet, Anna Suk erhielt den Preis als Bester Schauspielnachwuchs (Nebenrolle).
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mu: Ich möchte zum Abschluss noch Folgendes anmerken: Ich habe irgendwie ein Problem mit dem Begriff österreichischer Film. Ich fühle mich am ehesten – wenn man es eingrenzt – als europäische Filmemacherin. Ich finde es sehr schwierig, das so national zu begrenzen, denn Film ist – ähnlich wie Musik – eine universelle Sprache. nk: Vor allem sucht man ja seine Geschichten nicht unbedingt in Österreich aus
oder mit in Österreich geborenen AkteurInnen. In meinem letzten Film »Ciao Chérie« wird fast gar nicht Deutsch gesprochen, es kommen keine weißen Menschen darin vor, aber es ist trotzdem ein Film, der in Ottakring spielt und als österreichischer Film gilt. Deswegen tu ich mich auch schwer damit: Was ist das überhaupt, der österreichische Film? sal: Ich fühle mich ebenso überhaupt nicht als österreichischer Filmemacher. Ich bin Österreicher und Filmemacher. Ich bin in vielen Dingen schon stolz auf unser Land, aber ich bin kein Patriot und würde nie auf die Idee kommen, dass ich österreichischer Filmemacher bin. Ich finde das auch nicht relevant. Es ist immer zu wenig, finde ich, wenn ein Film österreichisch ist, denn ein Film muss aus sich heraus irgendetwas Spezielles bieten, sodass er mich interessiert. Das reicht es mir nicht zu sagen: Das ist ein Film, der ist deswegen speziell, weil er aus Österreich kommt. Warum sollte das in irgendeiner Form speziell sein? Es ist ja auch nicht speziell, wenn ein Film aus Lettland, Island oder den USA kommt. mu: Weil du gerade Lettland ansprichst: Da erzählt mir jemand, der sich dort gut auskennt, von etwas, dass ich so nicht wissen kann. Auf diese Weise könnte ich mich noch eher damit identifizieren. nk: Vielleicht geht es mehr um Regionalität als um Nationalität. mu: Es wird ja auch immer gesagt: Mach Filme über Begebenheiten, die du wirklich kennst. Wenn ich Wienerin bin und hier mein Leben verbracht habe, dann kann ich gut Geschichten aus Wien erzählen. Aus diesem Blickwinkel kann ich mich dem Begriff österreichischer Film nähern. Das Großartige ist ja auch, dass du mit Filmen Grenzen sprengen kannst, indem du zum Beispiel mit Menschen zusammenarbeitest, die von überall sind. sal: Das stimmt. Barbara Fohringer nk: Kompromiss!
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gesellschaftliche Realität nicht wider. Es ist noch immer ein weißer, männlicher Film, der gefördert wird. Wien hat einen MigrantInnenanteil von 35%, dennoch werden Filme finanziell unterstützt, in denen nahezu ausschließlich ÖsterreicherInnen ohne Migrationshintergrund vorkommen. Wichtig ist ebenso die Frage: Wer darf sprechen? Wer darf überhaupt Filme machen?
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Atelierbesuch bei Katharina Wรถppermann Hinter den Kulissen
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Jana Sabo, Christian Schulz
»Wir sind sozusagen wie ein Sputnik außen rum, der alles vorbereitet und nachher natürlich auch alles ausräumen muss, wenn ein Drehort abgedreht ist.« — Katharina Wöppermann
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Schnitzelnachschub und Kutschenfahrten Als Hauptverantwortliche für alle Locations und Bauten ist Katharina Wöppermann während der Dreharbeiten dennoch im Dauereinsatz. »Ich bin fast immer, wenn es möglich ist, zu Drehbeginn vor Ort. Wenn ich dann das Gefühl hab, es läuft, kann ich das Set verlassen. Die Innenrequisite, mit einem Assistenten, kümmert sich vor Ort um die Ausstattung, um die Anschlüsse und darum, dass die Spielrequisiten da sind, zum Beispiel Zeitungen, die wir extra produziert haben, oder Lebensmittel, wenn es in der Szene etwas zu essen gibt.« Auch die vermeintlich unscheinbaren Details bedeuten einen enormen Aufwand und verlangen logistisches Kalkül: »Man muss darauf achten, dass im Glas immer richtig viel drinnen ist, muss drauf schauen, dass das Essen warm ist. Vorher wird besprochen, was gegessen wird und wie viel man davon sieht. Man muss den Ablauf genau besprechen – fängt man quasi bei einem frischen Schnitzel an, dann braucht man unter Umständen zehn Schnitzel für eine Person.« Zwei Monate lang wird in etwa gedreht, Katharina Wöppermann arbeitet allerdings
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Katharina Wöppermann ist vor allem dann am Set, wenn die Kamera es nicht ist und doch ist ihre Arbeit praktisch ständig sichtbar. Kürzlich wurde die Wienerin für das Szenenbild von »Licht« mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet – in ihrem Atelier spricht sie mit uns über ihre Arbeit. ———— In einem unscheinbaren Innenhof im sechsten Bezirk liegt das Atelier von Katharina Wöppermann. Hier feilt die langgediente, mehrfach preisgekrönte Ausstatterin am Szenenbild (vorwiegend) heimischer Kino- und TV-Produktionen. Ihr Schaffen ist in jeder Einstellung präsent, zugleich aber »nicht sichtbar«. »Das ist eigentlich der Witz bei Ausstattung«, erklärt die Wienerin, »sie darf sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängen. Es ist immer ein Balanceakt. Man versucht zwar, räumlich etwas Spannendes, Interessantes herzustellen, aber es soll nicht das Geschehen überlagern.« Daran liegt es auch, dass selbst fachkundige Filmfans, die gerne ausschweifend über Regie-Raffinessen und schauspielerische Höhenflüge sinnieren, meist nur eine vage Vorstellung vom Szenenbild haben. Das Szenenbild ist die gesamte Gestaltung des Filmraumes. »Das beinhaltet die künstlerische Gestaltung, die Drehortsuche, vom Finden der Locations, die man adaptieren muss, bis hin zu komplex gestalteten, gezeichneten und erfundenen Räumen und Orten, die man im Studio aufbaut. Und natürlich gehört auch die gesamte finanzielle und organisatorische Seite dazu«, so Wöppermann. Zu organisieren gibt es reichlich, beginnend mit dem umfangreichen Team, das unter Wöppermanns Ägide die Filmkulissen vorbereitet, anpasst oder selbst entwickelt. Vom Assistenten, dem Set Decorator, den Außen- und Innenrequisiteuren bis hin zu den Arbeitern der Baubühne umfasst die Mannschaft im Durchschnitt zehn bis zwölf Personen. Sie sind schon lange vor der ersten Klappe im Einsatz. Rücken schließlich die Kameras an, »muss alles stehen, und wir sind schon weg«. Vom Dreh selbst bekommt das SzenenbildTeam dabei nur wenig mit, wie Katharina Wöppermann erklärt: »Wir sind bis auf die Innenrequisite ja eigentlich fast nie direkt beim Drehgeschehen dabei. Wir sind sozusagen wie ein Sputnik außen rum, der alles vorbereitet und nachher natürlich auch alles ausräumen muss, wenn ein Drehort abgedreht ist.«
Zur Vorbereitung auf ihre Arbeit für Licht besuchte Katharina Wöppermann viele Schlösser und recherchierte in Bibliotheken und Museen.
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Große Filmszene, klein und kompakt: Im Atelier von Katharina Wöppermann finden sich viele Modelle von Filmschauplätzen.
fünf bis sieben Monate an einem Projekt. Nicht zuletzt, weil es die äußeren Umstände erforderlich machen können. »Ich habe immer das Gefühl, wir liefern quasi das Rohmaterial und dann geht im Schnitt erst die eigentliche Gestaltung des Filmes los«, meint die Ausstatterin. »Und dann kann es schon vorkommen [dass nachgedreht wird]. Manchmal weiß man schon im Vorfeld, zum Beispiel, wenn Jahreszeitensprünge sind, dass man bestimmte Dekorationen noch mal aufbauen oder sich bestimmte Elemente aufheben muss, weil dann zu einem späteren Zeitpunkt noch etwas nachdreht wird. Bei ›Licht‹ war zum Beispiel die Kutschenfahrt abgekoppelt. Da haben wir die Plates – was man sozusagen früher als Rückprojektionen gemacht hat, wenn an der Kutsche hinten die Häuser vorbeiziehen während der Fahrt – sehr viel später gedreht.«
Ausflug ins Rokoko Für Barbara Alberts Film »Licht« (2017) ließ Katharina Wöppermann das Wien des Jahres 1777 wiederauferstehen und wurde zum zweiten Mal – nach 2011 für »Women Without Men« – mit dem Österreichischen Filmpreis für das beste Szenenbild ausgezeichnet. In zweifacher Ausführung steht die Treppenhelix in einer Ecke des Ateliers, bescheiden sind die auffälligen Skulpturen platziert, haben aber doch einen Ehrenplatz erhalten. Die Preisträgerin sieht sie als Freude bereitende Wertschätzung, die ein kurzes Spotlight auf die Arbeit wirft. »Mir ist es immer wichtig, ich möchte das wirklich betonen, dass ich den [Preis] nicht alleine bekomme. Ja, man wird geehrt als Katharina Wöppermann, aber diese vielen Personen, die ich genannt habe, das ist nicht nur so dahin gesprochen, wir machen es gemeinsam.« Eine besondere Affinität für den histori-
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»Das Rokoko hat mich als Epoche nicht so interessiert, aber durch die Beschäftigung damit sind ganz andere Aspekte hervorgetreten.« schen Kontext von »Licht« war nicht vorhanden. »Das Rokoko hat mich als Epoche nicht so interessiert, aber durch die Beschäftigung damit sind ganz andere Aspekte hervorgetreten. Das ist das Spannende daran, dass man eintaucht in Zeiten, Lebensweisen und Gebräuche.« Für solche Projekte recherchiert Katharina Wöppermann unter anderem in Museen und Bibliotheken; neben Büchern sind vor allem Gemälde wichtige Quellen, weil durch die Malerei für sie etwas inspirierend Sinnliches überspringt. Zur Vorbereitung auf ihre Arbeit an »Licht« besuchte die Ausstatterin zudem viele Schlösser, um Motive zu suchen, aber auch um sich an realen Orten Inspiration zu holen, wie sie erzählt: »Wie hat das damals ausgeschaut? Welche kleinen Finessen hat man eingebaut? Wie schauen irgendwelche kleinen Fensterriegel aus? Das geht letztendlich bis in die kleinsten Details, mit denen man sich beschäftigt.« Einen Film in der Wirklichkeit der jeweiligen Zeit abzubilden, sei trotzdem illusorisch. Es bleibe bei einer Interpretation, in der immer auch die zeitgeistigen Aspekte aus dem Entstehungsjahr der Produktion einfließen würden, erklärt die Szenenbildnerin. Filme, die in der Gegenwart spielen, stellen dagegen eine ganz andere, nicht minder interessante Herausforderung dar: »Die
zeitgenössischen Filme – zum Beispiel von Jessica Hausner – das darf man nicht unterschätzen. Wenn man den Anspruch hat, einen bestimmten Look, oder einen bestimmten Aspekt der heutigen Zeit zu erzählen, da muss man eigentlich fast ähnlich vorgehen, damit es nicht beliebig ausschaut. Das ist fast noch schwieriger, weil man in dieser Zeit lebt, umgeben ist von all diesen Dingen. Ich finde das auch eine interessante und anspruchsvolle Aufgabe. Manchmal gelingt es, dass man trotzdem eine Gegenwart erzählt, die ihren eigenen Geschmack, ihre eigene Ausstrahlung hat. Das hat auch seinen Reiz.«
Blumen-Recherche und ein Gerichtssaal für die Diagonale Katharina Wöppermann stattete bereits vier Filme von Jessica Hausner aus (unter anderem »Amour Fou«, 2014; »Lovely Rita«, 2001) und arbeitet aktuell an einem Projekt der Filmemacherin, über das noch nicht allzu viel verraten werden darf. Aktuell recherchiert sie für die österreichisch-englische Koproduktion, die noch 2018 gedreht werden soll, über Blumen. Weniger blumig stellte sich ihre Arbeit für »Murer – Anatomie eines Prozesses«, dem Eröffnungsfilm der heurigen Diagonale, dar, für den Wöppermann einen eigenen Gerichtssaal gestaltete. »Mindestens drei Viertel des Films spielen in einem Gerichtssaal, den man so auch nicht bekommen kann, weil Gerichtssäle so lange nicht für Dreharbeiten zur Verfügung stehen. Deswegen haben wir den Gerichtssaal im Studio nachgebaut.« Wie ihre Arbeit auf der Kinoleinwand wirkt, davon kann sich Katharina Wöppermann erst zum Auftakt des Festivals überzeugen. »Ich habe den fertigen Film noch nicht gesehen und bin schon neugierig. Ich sehe ihn dann bei der Diagonale.« Leo Dworschak
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W E LC H E BA N D ! T L E I P S T E G I AM SZ
8. bis 15. August Aberand of Freedom«, wenn von »Isl zur der wie 8 um friedlich zu 201 h st wird auc tival zusammenkommen, Die Donauinsel in Budape n Ländern am Sziget Fes uns, heuer ene ied uen fre sch ver Gap t der The hun von ürlich die Musik. Wir tausende Menschen aus nat und r me stadt entsenSom upt Ha den t, die Vielfal Band in die ungarische e ein h euc mit feiern – das Miteinander, sam ein am Sziget Festival sehen? mit Radio FM4 und gem ihr auf der Europe Stage et erstmals in Kooperation cht mö s Act n rte inie der fünf nom den zu können. Welchen
ANGER
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In seiner Musik verhandelt das Duo Einsamkeit und Zweisamkeit. Dream-Pop, as dreamy as can be. Und ein bisschen funky auch.
ANK ATHIE KOI
Rockstar Photographers
Hüftschwingend mit den Fäusten in der Lederjacke – als stammte diese gewaltige ZuckersynthieWatschn direkt aus einem Tanzfilm aus den 80ern.
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Hitverdächtiges zwischen Indie-Pop, Garage-Punk und Surf-Rock – mal von tänzelnder Leichtigkeit, mal düster bis bedrohlich, immer gut.
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Obduktion eines Schlächters
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Ricardo Vaz Palma / Prisma Film
Der steirische Großbauer Franz Murer verantwortete die Vernichtung der Juden im Ghetto von Vilnius. In Graz wurde er 1963 dafür freigesprochen, der Freispruch von der Bevölkerung bejubelt. Christian Frosch seziert in »Murer – Anatomie eines Prozesses« einen Justizskandal, der die junge Zweite Republik hätte erschüttern sollen. ———— Die Fratze des Bösen hat viele Gesichter. Das Gesicht Franz Murers ist eines seiner hässlichsten. Murer, der Nazi. Murer, der Sadist, der seine Opfer quälte, erniedrigte und vor ihren Liebsten grausamst tötete. Murer, der »Schlächter von Vilnius«, der als Leiter des Ghettos Mensch um Mensch systematisch in den Tod trieb: 80.000 Juden lebten vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Vilnius – zur Auflösung des Ghettos 1943 waren es 600. »Es wäre mir lieber, wenn man das Gefühl hätte, das ist weite Vergangenheit und sich fragen kann: Was hat das mit uns zu tun? Ich finde es erschreckend, dass die erste Reaktion auf den Film meist ist, dass er so aktuell sei – und er eigentlich ja strikt historisch ist.« Christian Frosch schüttelt den Kopf und nimmt einen Schluck von seiner Melange im Cafe Rüdigerhof nahe des Wiener Naschmarkts. Er spricht leise und wohlüberlegt, wägt seine Worte genau ab. Eine angenehme Bescheidenheit und Zurückhaltung ist zu spüren. Frosch studierte an der Filmakademie Wien, beendete sein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Sein vorangegangener Spielfilm »Von jetzt an kein Zurück« erhielt den Österreichischen Filmpreis 2016 und den Publikumspreis der Diagonale 2015. 2018 ist
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»Murer – Anatomie eines Prozesses« Eröffnungsfilm der Diagonale. Man bekommt das Grauen nicht zu sehen, das man in »Murer – Anatomie eines Prozesses« erfährt. Man erfährt es aus der Perspektive eines Prozessbeobachters. »Die erste Entscheidung war, dass die Zuseher zu Zeugen des Prozesses gemacht werden. Jeder muss sich Verfahren selber vorstellen. Eine filmische Rückblende wäre ein Beweis, den es im Prozess nicht gegeben hat.« Verbrechen für Verbrechen, Mord für Mord wird Murer von den Zeugen vorgeführt. Doch sie werden nicht gehört, sie werden verhöhnt. Vom Publikum, darunter auch Murers Kinder – und von Murers Strafverteidiger. »Die Stimmung in der Bevölkerung war gegen diese Prozesse. Das war in Deutschland nicht anders, etwa bei den Auschwitz-Prozessen, die ein Jahr später stattgefunden haben«, ergänzt Frosch.
Befehl und Gehorsam Johannes Sachslehner ist Autor des Buchs »Rosen für den Mörder: Die zwei Leben des NS-Täters Franz Murer«, erschienen im Molden Verlag im Oktober des vergangenen Jahres. Er bekräftigt dies: »Die Atmosphäre im Prozess, die vom vorsitzenden Richter Peyer geschaffen wurde, war skandalös.« Sachslehner präzisiert zudem die juristische Problemstellung: »Die Gesetzeslage war nicht einfach. Man musste Murer einen Mord nachweisen. Er war Zivilbeamter, kein SS-Offizier – seine Rolle wurde von vielen nicht genau erfasst.« Ein Umstand, der sich im Film durch peini-
gende Befragungen der Zeugen der Anklage nach Details, wie der Farbe von Murers Uniform, zwanzig Jahre später widerspiegelt. Braun oder grün, heller oder dunkler? Oder gar schwarz? Die Verteidigung bringt die Zeugen aus der Fassung, verspottet sie und pocht auf Verwechslungen. Die Mutter des Wiener Schriftstellers Doron Rabinovici, Schoschana Rabinovici, überlebte das Ghetto von Vilnius und schilderte ihre Erinnerungen in ihrem Buch »Dank meiner Mutter«. Doron Rabinovici analysiert die Verteidigungsstrategie Murers: »Dieser Prozess hat erstens vorweggenommen, was später relevant geworden ist: die Art und Weise, wie sich Murer verteidigt hat. Sich auf Befehl und Pflicht auszureden. Er habe damit nichts zu tun gehabt – oder gab die Schuld jüdischen Funktionären im Ghetto.« Rabinovici führt fort: »Das Zweite: die Identifikation der Öffentlichkeit mit dem Mann in Uniform. Nicht alle waren Verbrecher, aber Murer wurde als einer der ihren verstanden, weil auch er eine Uniform getragen hat. Er hat sich ziemlich typisch verteidigt.« Selbst der ehemalige UNOGeneralsekretär und Bundespräsident Kurt Waldheim argumentierte mehr als zwanzig Jahre nach Murers Prozess teils so, als stünde er wegen Verbrechen vor Gericht, obgleich er im Grunde nur seiner Lügen und Ausreden wegen politisch kritisiert worden war.
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Michael Mazohl
»Ich finde es erschreckend, dass die erste Reaktion auf den Film meist ist, dass er so aktuell sei – und er eigentlich ja strikt historisch ist.« — Christian Frosch
Justizminister im Zwielicht Als Hauptangeklagter des Films könnte letztendlich nicht Murer verstanden werden, son-
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dern die gesamte, von Skandalen gezeichnete Nachkriegsjustiz Österreichs, die Entnazifizierung und alle ihre Inkonsequenzen. Eine Schlüsselperson: der ehemalige SPÖ-Justizminister Christian Broda. »Broda kommt im Film viel zu kurz, er wäre eine eigene Untersuchung wert, einen eigenen Film. Er war lupenreiner Antifaschist, im Widerstand aktiv, wurde von den Nazis fast umgebracht. Einer, der für Österreich viel geleistet hat. Das hätte einer von den wirklich Guten sein können«, so Frosch. Hat Christian Broda im Fall Murer eine Weisung an den Staatsanwalt zu Murers Gunsten erteilt? Broda, als ehemaliger Widerstandskämpfer, schützt einen der grausamsten Nazis? »Es war eine Zeit der großen Koalition. Die ÖVP stellte mit Alfons Gorbach den Kanzler. Broda war durch seine kommunistische Vergangenheit leicht erpressbar, die SPÖ war leicht erpressbar, weil sie selber Nazis in der Regierung hatte.« Frosch fährt fort: »Man wollte das Land als diplomatische OstWest-Drehscheibe etablieren und deshalb war es wichtig, Österreichs Legende als neutrales Naziopfer in die Welt zu setzen. Außerdem wollte die SPÖ ganz strategisch ehemalige NSDAP-Mitglieder als Wähler gewinnen.« Es waren 750.000 Österreicherinnen und Österreicher, die von der Entnazifizierung betroffen waren. »Die waren wahlentscheidend«, gibt Frosch zu bedenken. Broda intervenierte im Fall Heinrich Gross, etwa 20 Jahre später. Heinrich Gross war Leiter der Euthanasie-Klinik am Wiener
Spiegelgrund, missbrauchte und ermordete Kinder zu »Forschungszwecken«. Broda verhinderte eine Anklage – erst 2005 stand Gross vor Gericht, entzog sich aber einem Prozess durch sein Ableben. »Das Nazi-Problem wird sich biologisch lösen«, sagt Broda im Film. Frosch meint dazu: »Ich glaube schon, dass das in seinem Denken – ganz zukunftsoptimistischer Austromarxist – elementar war.« »Österreich würde heute anders aussehen, wenn man gesagt hätte: Ja, wir wollen das wirklich aufarbeiten. Es wäre ein anderes Land geworden.« Frosch nickt, nimmt einen Schluck Wasser, um fortzufahren: »Deutschland hatte eine 68er-Bewegung, die einen Bruch mit dieser Vergangenheit und ein anderes Bewusstsein manifestiert hat, und das gab es in Österreich nicht.«
Täter- trifft Opfervergangenheit am Set Die Wucht der Schilderungen der Zeugen der Anklage – etwa Caroline Koczan in der Rolle von Tova Rajzman oder Dov Glickman als Leon Schmigel – verlangt Schauspielerinnen und Schauspielern alles ab. Frosch erzählt: »Da sind zwei Sachen zusammengekommen: Die jüdischen Schauspieler haben ihre Familiengeschichte mitgebracht, österreichische Schauspieler haben ihren Täter-Background mitgebracht. Das ist auch permanent präsent gewesen.« Brilliant agiert Alexander E. Fennon als Murers Verteidiger Dr. Böck, dessen Kälte und herablassende Attitüde in den Zeugenbefra-
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gungen schwer zu ertragen sind. Die Schauspielerinnen und Schauspieler gingen an ihre Grenzen, Frosch fällt eine spezielle Begebenheit ein: »In einer Szene, in der Ursula OfnerScribano, die Murers Frau Elisabeth spielt, sich ganz ekstatisch freut – vor ihr sitzen die jüdischen Zeugen. Ursula hat unterbrochen und gesagt: ›Ich kann das nicht spielen. Mein Onkel war SS-Mann, mein Großvater war SSMann, da sitzen ihre Opfer.‹« Ob die Schwere des Stoffs Besetzung und Crew eine Last auf die Schultern gelegt hat?
aufzunehmen. Ich habe gehofft, dass es im Murer-Clan irgendwen gibt, der ein Bedürfnis hat, darüber zu sprechen. Ich habe niemanden gefunden. Da ist eine absolute Mauer.«
Am Ende bleibt die Schuld »Murer – Anatomie eines Prozesses« ist Anklage und Urteil zugleich. Denn was bleibt, ist die Schuld. Der Film lässt keinen Zweifel an Murers Schuld, keinen Zweifel an einem Versagen des Rechtsstaats, keinen Zweifel an politischer Mittäterschaft. Der Film trägt
Frosch winkt ab: »Die Stimmung beim Dreh war erstaunlich gelöst. Weil es eine große Identifikation gab von allen, die mitgemacht haben. Es waren wahnsinnig schöne Dreharbeiten muss ich – leider – sagen. Wenn man das Gefühl hat, man macht etwas Wichtiges, und das hatten viele, dann macht es das zu einer schönen Arbeit.« Doch über eines ärgert sich Frosch: »Ich bin kein Fan von MakingOfs. Das ist eigentlich immer langweilig. In dem Fall wäre es wirklich spannend gewesen, das habe ich wirklich groß bereut.« Was den Film stilistisch prägt ist die lauernde Kamera von Frank Amann. Christian Frosch dazu: »Ästhetisch setzt der Film auf eine ungewöhnliche Strategie. Wir fangen ganz groß, ganz nah an, man sieht ganz wenig Raum – und je länger der Film dauert, umso mehr Raum sieht man. Der Gerichtssaal am Anfang ist ein Meer von Gesichtern. Das Schnitttempo ist relativ groß. Deshalb fällt die fast ständige Bewegung der Kamera kaum auf.«
Murers Gräueltaten in die Welt hinaus. Doch kann der Film zu so etwas wie späte Gerechtigkeit beitragen? Frosch nimmt nach dieser Frage einen letzten tiefen Schluck Kaffee. Noch während er trinkt, schüttelt er den Kopf, schließlich sagt er knapp: »Es wäre eine große Anmaßung, das zu glauben. Ein Film ist ein Film. Man darf das nicht überschätzen.« Auch Doron Rabinovici verneint diese Frage: »Nein, der Film schafft etwas anderes. Der Film schafft eine Spiegelung der Ungerechtigkeit, die nach 1945 dieses Land prägte. Dieses Land hat wirtschaftlich wundervolle Zeiten erlebt, und ein großer Teil hat zu tun mit der Beraubung von vielen Menschen, nicht nur den jüdischen. Man hat es sich in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg sehr Michael Mazohl gemütlich gemacht.«
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»Man musste Murer einen Mord nachweisen. Er war Zivilbeamter, kein SS-Offizier – seine Rolle wurde von vielen nicht genau erfasst.« — Christian Frosch
Die absolute Mauer »Ich war in Vilnius und bin als Tourist in das Jüdische Museum gegangen, und sehe dort eine große Schau: Franz Murer – der Schlächter von Vilnius. Und denke mir: Komisch, warum kenne ich den nicht. Berühmt im Ausland und unbekannt in Österreich – das gibt es nicht so oft.« Die Idee zum Film ist langsam, aber beständig in Christian Frosch gereift. Recherchen und Drehbuch erstreckten sich über mehrere Jahre. Franz Murer zog sich nach dem Prozess weder zurück noch bereute er seine Taten. Im Gegenteil: Er lebte als angesehener Großbauer und ÖVP-Lokalpolitiker in Gaishorn am See (Bezirk Liezen, Steiermark), zuletzt war er als Bezirksbauernvertreter tätig. Sein Sohn Gerulf Murer war Staatssekretär unter Sinowatz/Steger und Nationalratsabgeordneter der FPÖ in den 90er Jahren. Christian Frosch bemühte sich um Gespräche mit der Familie: »Ich habe versucht, mit den Murers Kontakt
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»Kunst muss Fragen aufwerfen« Katharina Mücksteins Film »L’Animale« erzählt von Figuren zwischen Angst und Mut, inneren Widerständen und dem Schein und Sein menschlicher Lebens- und Beziehungsentwürfe. The Gap traf die Regisseurin und Drehbuchautorin zum Gespräch. ———— Es brummt, kracht und rattert mitunter in Katharina Mücksteins neuem Film »L’Animale«, wenn Mati, gespielt von Sophie Stockinger, und ihre besten Freunde auf getunten Mopeds die Landschaft hinter sich lassen. Ansonsten bewegt sich Matis Leben zwischen Matura-Stress, Nächten in der Dorfdisco und Tagen, die geprägt von Anforderungen ihrer Mutter, der Tierärztin Gabi (Kathrin Resetarits), und dem Erkunden eigener Lebenspfade sind. Als Clara (Julia Franz Richter) in Matis Leben tritt, ist sie gezwungen, ihre Stelle in der Burschen-Clique zu hinterfragen. In der Zwischenzeit stehen auch ihre Eltern vor der Frage, in welche Richtung sich ihre Beziehung entwickeln soll. Mit The Gap hat Katharina Mückstein unter anderem über ihre wiederholte Zusammenarbeit mit der Hauptdarstellerin Sophie Stockinger, das Motiv der Tiere und der Natur im Film sowie über Frauen in der österreichischen Filmbranche gesprochen. Du meintest einmal: »Als Autorin interessiert mich das Mensch-Sein an jenen Stellen, an denen Wollen und Sollen aufeinanderprallen und Figuren, die zwischen Angst und Mut schwanken.« Wie zeigt sich dies in »L’Animale«? katharina mückstein: In »L’Animale« trifft dieses Statement auf jede meiner Figuren zu, da sie alle zwischen Vorgaben der Gesellschaft und eigenen Vorstellungen darüber, wie ihr Leben auszusehen habe, schwanken. Mut und Angst sind meiner Meinung nach das klassische Paar für Emanzipation. In »Talea« hast du bereits mit Sophie Stockinger zusammengearbeitet. Was macht ihr Schauspiel für dich so besonders? Sophie war bei »Talea« 14 und bei »L’Animale« 18, aber bereits bei meiner ersten Zusammenarbeit mit ihr habe ich in ihr schnell eine vollständige Schauspielerin gesehen. Sie lässt sich total ein, bereitet sich sehr gut vor und ist zudem sehr intelligent. Sie versteht Szenen, ist aber ebenso sehr offen in ihren Gefühlen. Sie gibt sich einfach für eine Rolle her und ist dabei so arbeitswillig wie eine Erwachsene.
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Katharina Mückstein im Interview 06.03.18 21:00
Maximilian Lottmann, Polyfilm
Gab es Vorbilder für die Figur der Mati? Welches Frauenbild wolltest du transportieren? Eigentlich nicht. Für mich war der Kern dieser Figur immer, dass sie zwar den Anforderungen ihres Umfelds gerecht wird, jedoch innerlich einen gewissen Widerstand spürt. Je mehr sie im Laufe der Geschichte ihrer Intuition folgt, desto mehr tut sie das Richtige. Das ist auch ein Aspekt meines Lebens, denn als Heranwachsende hatte ich immer das Gefühl, dass es ja nicht von mir verlangt werden könne, auf diese und jene Art und Weise eine Frau zu sein. Es gibt also diesen inneren Widerstand, den viele in sich spüren, aber ebenso den gesellschaftlichen Druck, in ein bestimmtes Umfeld zu passen. Mein Wunsch ist, Menschen Mut zu machen, diesem Widerstand nachzugehen. Zudem wollte ich eine Geschichte über eine zeitgemäße Mutter-Tochter-Beziehung erzählen, die einen gewissen Coming-of-Age-Aspekt in sich trägt. Über Väter und Söhne wurde schon viel erzählt, Frauenbeziehungen wurden bisher in unserer Kultur nicht so ernst genommen. Tiere sind besonders bedeutend in »L’Animale«. Matis Mutter ist Tierärztin, es gibt die Szenen im Stall oder mit Carlas Katze. Sophie Stockinger meinte in einem Interview, dass auch die Motorräder etwas
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»Gibt es für uns Menschen so etwas wie einen Naturzustand?«
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Sophie absolvierte sowohl Körpertraining als auch Dialektcoaching und Mopedtraining. Wie seid ihr an die Erarbeitung der Figur – besonders in Hinsicht auf deren Mimik und Gestik – herangegangen? Es war von Anfang klar, dass die Rolle der Mati sehr weit weg ist von Sophie als Person, daher war es war für mich eine besondere Herausforderung, mit einer Schauspielerin eine Rolle zu erarbeiten, die eben so gar nicht an ihr eigenes Leben anknüpft. Bezüglich der Körperlichkeit der Rolle: Es war klar, dass Mati ein Mädchen ist, das Motocross fährt, das viel mit Jungs unterwegs ist, das einen »maskulinen« Habitus hat. Daher haben wir mit der queeren Performance-Künstlerin Stefanie Surreal zusammengearbeitet, da sie sehr gut zeigen kann, wie sich männliche Körpersprache manifestiert. Außerdem gab es eine Art Kampftraining, bei dem es auch darum ging, einen Kontakt zur eigenen Aggression und Macht zu finden. Ich wollte ein Mädchen zeigen, das sich körperlich Platz nimmt.
Animalisches an sich haben. Woher kommt dieser Tier-Aspekt für dich und war er von Anfang an vorhanden? Der Aspekt war immer da und in den ersten Drehbuchentwürfen sogar noch ausgeprägter. Mir ging es darum, anhand des Bildes von Tieren die Frage der Natürlichkeit zu verhandeln: Gibt es für uns Menschen – besonders in Bezug auf Geschlechterrollen – so etwas wie einen Naturzustand? Als Gesellschaft empfinden wir zwar die ungleiche Stellung von Männern und Frauen als ungerecht, wenn wir jedoch nicht weiterwissen, fallen weiterhin Argumente, wie die, dass es in der Natur liege, dass Männer führen und Frauen schwach seien und daher gerne bei den Kindern bleiben. Ich denke, wenn man über Natur nachdenkt, dann sollte man auch über anderes nachdenken: Über Intuition, darüber, was in uns steckt – jenseits von gesellschaftlicher Prägung. Wenn wir über Instinkt sprechen, dann bemerken wir, dass wir eben nicht Opfer unserer Hormone sind; wir bemerken, dass Vernunft durchaus einen Teil unseres Instinkts ausmacht. Zudem geht es in »L’Animale« auch sehr stark um Männlichkeit, genauer gesagt um eine toxische Form von Männlichkeit, die sich bei Paul und auch bei Matis Freunden zeigt. Das ist ein Abbild davon, wie Männlichkeit in unserer Gesell-
schaft gesehen wird, und wie schädlich diese Form von Männlichkeit ist – etwa in Form von Geschlechterstereotypen, die Männern genauso schaden wie Frauen. Sowohl »Talea« als auch »L’Animale« können als Coming-of-Age-Filme bezeichnet werden. In einem Interview meintest du einmal, dass dich das Genre ursprünglich gar nicht so interessiert habe. Woher kam der Sinneswandel? Dass »L’Animale« als Coming-of-AgeFilm wahrgenommen wird, liegt am Alter der Darsteller, das empfinde ich jedoch als einschränkend, denn die Geschichte der Eltern ist ebenso präsent und alle Figuren haben mit universellen Problemen zu kämpfen. Wenn ich also ein Genre für meine Filme finden könnte, dann würde ich es Coming-of-Awareness nennen. Die Orte in »L’Animale« tragen meinem Eindruck nach einen gewissen Eskapismus in sich: Die Szenen in der Dorfdisco, in denen die Jugendlichen vor dem Alltag fliehen, die langen Straßen, die ins Nichts zu führen scheinen, die Insel, auf die Paul flüchtet, überhaupt der Wald. Wie hast du diese Orte gefunden und was war dir bei
Sowohl die Jugendlichen als auch die Erwachsenen kämpfen in L‘Animale mit festgeschriebenen Normen.
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Das Chanson »L’Animale« spielt im Film eine bedeutende Rolle. Wie bist du darauf gestoßen? Ich kannte Franco Battiato als Sänger schon sehr lange und als ich beim Schreiben das Lied einmal gehört habe, fand ich die Lyrics sehr interessant, und ich dachte mir schnell, dass dieser Song die Stimme meiner Figuren sein könnte. In dem Lied geht es um das Tier, das der Sänger in sich trägt, das ihn ständig stört, da es ihn nie in Ruhe lassen kann. Das hat mir sehr gut gefallen, auch die Vorstellung, dass dadurch ein poetischer Moment im Film gestaltet werden kann, der eventuell etwas abgehoben ist vom Rest des Films, der dadurch aber eine weitere Ebene eröffnet.
Die Hauptrolle der 18-jährigen Mati schrieb Katharina Mückstein eigens für Sophie Stockinger, die ihr Filmdebüt in »Talea« gab Du bist seit 2011 Vorstandsmitglied des Vereins FC Gloria – Frauen Vernetzung Film. Wie siehst du das österreichische Kino in Bezug auf Frauen in der Filmbranche und Frauenfiguren? Grundsätzlich hat sich in Bezug auf das Bewusstsein für die Ungleichheit der Geschlechter in unsere Branche irrsinnig viel getan – nicht zuletzt etwa durch #metoo in den letzten Monaten. In Österreich gibt es aktuell politische Maßnahmen zur Stärkung von Frauen in der Filmbranche, dennoch sind – wie in anderen Bereichen unserer Gesellschaft, in denen Geld und Anerkennung eine große Rolle spielen – in der Filmbranche Frauen noch immer unterrepräsentiert. Ich denke, es wird noch dauern, bis sich das ändert. Trotzdem haben wir sehr gute und sehr spannende Regisseurinnen. Die Frage ist ja nicht nur, ob Frauen Filme machen, sondern auch, ob und wie diese Filme rezipiert werden und ob und wie ernst sie genommen werden. Ich glaube aber, dass wir uns auf einem guten Weg befinden, da sich Frauen meiner Generationen und ebenso jüngere Frauen vieles einfach nicht mehr gefallen lassen.
Auf der Diagonale 2017 meintest du, dass sich auch in der Filmbranche ein gewisses Effizienzdenken breit gemacht habe und dass sich deiner Ansicht nach FilmemacherInnen mehr Gedanken darüber machen sollten, welche gesellschaftliche Relevanz ihre Filme besitzen. Welche Filme zu welchem Themen würdest du daher gerne vermehrt im österreichischen Kino sehen? Meiner Ansicht nach sollte das staatlich geförderte Filmemachen eine Kunstform bedienen, die schon unterhaltsam sein kann, bei der jedoch der künstlerische Ausdruck im Vordergrund bleiben sollte. Bezüglich der Themen, die mich interessieren: Ich finde es schade, dass Streaming-Dienste mittlerweile teilweise progressivere Inhalte bringen als das europäische Kino. Das liegt eben genau daran, dass in der Filmbranche viel zu oft auf den kommerziellen Erfolg geachtet wird, zu oft scheint der Gedanke zu sein, einfach dieselben Inhalte wie das Fernsehen zu bringen, um eine breite Masse zufriedenzustellen. Ich glaube aber, die Aufgabe der Kunst ist es nicht, zufriedenzustellen, sondern Fragen aufzuwerfen. Für uns RegisseurInnen sollte letztlich das Ziel sein, das Kino als Kunstform zu erhalten. Das Kino hat Qualitäten, die die Streaming-Dienste nicht haben und nie haben werden. Daher wäre jetzt der Zeitpunkt, die Qualitäten des Kinos hervorzuheben und daran zu arbeiten, dass diese blühen können. Barbara Fohringer
»L’Animale« ist ab 16. 03. 2018 in den österreichischen Kinos zu sehen.
»Wenn ich also ein Genre für meine Filme finden könnte, dann würde ich es Comingof-Awareness nennen.«
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Ingo Pertramer, Maximilian Lottmann
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der Auswahl wichtig? Die Motivsuche bei diesem Film war sehr aufwendig, denn ich wollte Orte finden, an denen sich die Spuren der Zivilisation und der Natur treffen. Dabei ging es mir auch darum, diese aktuelle Sehnsucht nach einem Zurück zur Natur zu verhandeln. Wie das Motiv der Tiere hat auch jenes der Natur etwas Bedrohliches an sich. Es gibt diese Situationen im Film, in denen Mati aus dem Haus kommt und in den dunklen Wald starrt. Das ist ein bisschen wie in das eigene Unterbewusstsein zu blicken – du weißt nicht, was dich dort erwartet, es ist unheimlich, aber du weißt ebenso: Du musst dich damit beschäftigen. Der Film wäre auch ein komplett anderer, wenn er in der Stadt spielen würde. Meiner Ansicht nach haben die Ausläufe der Stadt immer etwas Verheißungsvolles an sich, sie versprechen den Sehnsuchtsort Stadt, ein Ort, an dem jeder leben kann, wie er will.
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er studieren oder auf die Filmakademie gehen sollte, um eigene Filme zu machen, waren für ihn Ideen, die von anderen an ihn herangetragen wurden und gegen die er sich entschied. Seine Filmsozialisation hatten viele Besuche im Wiener Filmmuseum in den späten 80er und frühen 90er Jahren intensiviert: »Das war ein Triumvirat aus Viennale, Filmmuseum und Videothek, aus dem ich meinen Filmkonsum zusammengestückelt habe und das meinen breit gefächerten Geschmack und meine Liebe und meine Sehnsucht zum Film beeinflusst hat.« Die Videothekenbetreiber erkannten früh, dass das Alphaville als Videothek so nicht ewig existieren kann und so hat sich Norman, der bereits zuvor Kontakte zur Viennale und zum Gartenbaukino hatte, um die Nachfolge der damaligen Gartenbau-Geschäftsführerin beworben. Der Wechsel ging rasch vonstatten, die erste Zeit dort war jedoch nicht einfach. Denn trotz Geschäftssinn und bereits vorhandenem Einblick war es sein erster direkter Kontakt mit der Kulturpolitik: »Genau in der Woche, in der ich begonnen habe, kam der Bericht des Kontrollamts zur Situation des Gartenbaukinos und ich musste mit vielen mir völlig neuen Themen zurechtkommen. Das erste Jahr war hart, dann ging es besser.«
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Norman Shetler im Porträt Gartenbaukino
Was Kino sein kann
Norman Shetler ist als Geschäftsführer des Gartenbaukinos und seit Herbst 2017 auch des final ins Künstlerhaus übersiedelten Stadtkinos und dessen Verleih eine der prägenden Persönlichkeiten des heimischen Kino- und Filmbetriebs. Seine Zugänge und Einstellungen zum Thema Film forcieren dabei in den letzten Jahren einen offener werdenden Dialog, seine Ideen werden auch von anderen Kinos gerne aufgenommen. ———— Während der Schule hatte der Filmfan begonnen bei Pickwick‘s in der Marc-AurelStraße zu arbeiten und sich dann schnell für die Arbeit in der eigenen Videothek, im Alphaville, entschieden: »Ich hab zu studieren begonnen, aber nicht verstanden, wieso es mein Lebenskonzept sein soll, nach dieser ›Höheren Bildung‹ zu streben. Ich wollte nicht viereinhalb Jahre studieren, nur um studiert zu haben. Lieber hab ich mich auf die Suche begeben – ich habe geschrieben, mich früh mit IT beschäftigt, war Teil der Blackbox-Community oder habe mich auch ab 1994 mit dem Online-Auftritt der Viennale beschäftigt. Und dann habe ich zehn Jahre aktiv und insgesamt 13 Jahre das Alphaville betrieben«, beschreibt Norman seine Zeit vor der Leitung des Gartenbaukinos. Das Alphaville war eine wichtige Videothek in der Wiener Schleifmühlgasse, die von Norman gemeinsam mit Georg Schneider betrieben wurde und in der es in erster Linie fremdsprachige Filme gab. Filme, die man Arthouse nennen konnte, aber auch US-Serien, bevor der Streamingmarkt alles verändert hat. Das Alphaville war durchaus auch so etwas wie ein Szenetreffpunkt. Dass
Öffnung Kontakt zu Kultur hatte Norman schon im Elternhaus. Seine Eltern sind aus den USA nach Österreich gekommen – sein Vater als Konzertpianist. In Wien geboren ist Norman
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zweisprachig aufgewachsen und profitiert davon bis heute – etwas, das er seinen drei Kindern auch weitergeben will. Wenn er über die Zeit im Alphaville spricht, dann erinnert er sich an die Leute, mit denen er dort gearbeitet hat, aber auch an das bunte Miteinander der Kunden: »Da waren Mistkübler, genauso wie Adelige oder auch Künstler.« In den letzten neun Jahren fällt im Gartenbaukino auch eine Öffnung in Richtung neuer Zielgruppen auf. Die Reihe »Schinken« feiert das große alte
die vielleicht gar nicht dezidiert Kinderfilme sind. Auch mein 6-jähriger Sohn versteht sofort den visuellen Humor von Jacques Tati.« Und selbst die 80er-Filmreihe kommt ohne Klischees und »Wickie, Slime und Paiper«Feeling aus: »Das ist wichtig, es ist ironiefrei. Das sollen keine guilty pleasures sein. ›Ferris Bueller’s Day Off‹ ist einfach ein wahnsinnig guter Film. Punkt. Und das kann man kollektiv im Kino gemeinsam zelebrieren. Man mag von ›Dirty Dancing‹ halten, was man will,
ben inhaltlichen auch organisatorische und unternehmerische Aspekte: »Es ist wohl nicht so romantisch, wie man sich das vielleicht vorstellt. Es ist ein Betrieb wie jeder andere mit Marketing, Personal und Budgets. Als geförderter Betrieb hat man den Luxus, inhaltlich mitunter Dinge tun zu können, die andere vielleicht nicht machen würden.« Als Beispiel nennt er die John-Carpenter-Schau 2016, die sich ökonomisch nicht rentiert hat. Das Gartenbaukino ist als Unternehmen eine Tochter
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»Es gibt in diesem Land so viele veraltete Strukturen, zum Beispiel die Nominierung von Michael Haneke für den Auslandsoscar – da hätte man ›Die beste aller Welten‹ nominieren müssen.« — Norman Shetler
Kino und seine Filme, »Strahler 80« bringt uns in die eigene Jugend zurück – mit Filmen, die wir damals vielleicht nicht im Kino gesehen haben. Eine andere Reihe bringt Kinderfilmklassiker wieder ins Kino. Es sind Reihen, die oft nicht nur kommerziell gut funktionieren, sondern auch für emotionale Höhepunkte sorgen. Eine Öffnung weg von einer – zumindest österreichischen – Vorstellung von Programmkino. »Meine Sozialisation ist hier sehr amerikanisch geprägt und ich mag die selbstverständliche und viel freiere und ungezwungenere Form der Cinephilie in diesem Kulturkreis. Deswegen muss auch nicht jeder Film, den wir zeigen, als Empfehlung gelten. Filme können auch in ihrer Zeit einfach Relevanz haben oder eine Haltung vertreten.« Es gibt hier dementsprechend auch Retrospektiven – so wie im März aktuell das Gesamtwerk von Guillermo del Toro –, die es in anderen Kinos vielleicht nicht gegeben hätte: »Es geht mir hier schon darum eine Nische zu finden und Namen zu nehmen, die vielleicht populärer sind, aber deswegen nicht weniger interessant oder relevant. Und bei den Kindervorstellungen geht es mir um Filme für Familien,
aber wenn 700 Leute aufstehen und mitsingen, dann ist das ein Erlebnis.« Norman Shetler gestaltet hier im Kino etwas mit, das parallel auch in der Musik stattfindet, wo seit Jahren U- und E-Zuschreibungen aufbrechen und sich etwa das Konzerthaus für Songwriting und Popmusik öffnet: »Das ist einfach zeitgemäß und auch das Slash/ ist ein Beispiel für Arbeit zwischen Trash und Kunstfilm. Das funktioniert und damit kann ich auch etwas anfangen.«
Prägende Erlebnisse Schwer fällt Norman Shetler die Antwort auf die Frage, was ein Film haben muss, um ihn zu begeistern: »Wenn ich die prägenden Erlebnisse durchgehe, gehören dazu ›Die 7 Samurai‹ im Original ohne Untertitel auf Holzstühlen im Österreichischen Filmmuseum, aber auch ›Attack of the Killer Tomatoes‹ auf einer VHS-Kassette, bei der die letzten 15 Minuten fehlten. Ebenso der Moment, als ich Kubelka gesehen habe – ›Arnulf Rainer‹ und die Reihe ›Was ist Film‹ – und sich ein völlig neuer Bereich geöffnet hat.« Er kann sich aber auch noch über Star Wars- und Marvel-Filme freuen. Die Arbeit im Gartenbaukino hat ne-
der Viennale GmbH und bekommt eine seit 2005 nicht mehr veränderte Betriebssubvention von 400.000 Euro pro Jahr. Diese Förderung schließt andere Förderungen aus. Alles darüber hinaus muss über Ticketverkäufe, Vermietungen für Events und Partys, aber auch lukrative Eigenveranstaltungen wie die Stand-Up-Comedys finanziert werden. Beim Kinoprogramm gibt es rund 400 Filme, die Verleihe pro Jahr in Österreich ins Kino bringen – die meisten davon scheiden aus Qualitätsgründen aus. Von den 50 interessanten bleiben vielleicht 15 neue Filme, die dann im Gartenbaukino jährlich starten. Im Herbst 2017 wurde Norman Shetler von Viennale-Geschäftsführerin Eva Rotter auch die Führung des Stadtkinos im Künstlerhaus, das gerade umgebaut wird, angeboten, die er seitdem zusätzlich übernommen hat. Gründe dafür waren Einsparungsmaßnahmen, um den Betrieb weiterführen zu können. Zum Stadtkino gehört neben dem Kino auch ein Verleih, der für Shetler eine spannende Aufgabe darstellt. Beiden Kinos gemeinsam ist, dass ihre Historie gepflegt werden will, während sie sich auch permanent sanft erneuern müssen.
Inhaltliche Arbeit
Das Stadtkino ist ins Künstlerhaus gesiedelt und etabliert sich dort mit Gastronomie und Reihen wie dem neuen »Widerstandskino«.
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In der Konkurrenz um Aufmerksamkeit, Zeit und Budget der Gäste sind auch Kinos gezwungen, den Kinobesuch zum Event hochzukochen, weswegen immer mehr Kinos auf Reihen und Specials setzen: »Ich bin aktuell auf der Suche, ich möchte auch im Stadtkino Neues probieren und setze unter anderem auf eine inhaltliche Arbeit wie die Nachhaltigkeit in #kinodenktweiter im Gartenbaukino, oder im Stadtkino die Reihe ›Widerstandskino‹.« Das bringt neue Kontakte und ganz neue Kooperationen. Und während das Gartenbaukino kein dezidiert politischer Raum ist, soll dies im Stadtkino eine Rolle spielen. Im Stadtkino gibt es die funktionierende Reihe »Frühstückskino« in Zusammenarbeit mit dem beliebten Lokal »Ludwig und Adele« im Kinofoyer, im Gartenbaukino bleiben »Schinken« und »Strahler 80« auf dem Programm.
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Kunsthalle Wien
Das 1960 gebaute Gartenbaukino ist Wiens großes Premierenkino. Der Saal fasst 736 Sitzplätze und man spielt bis heute mitunter von 70mm.
Veraltete Strukturen Zum österreichischen Film hat Shetler kein anderes Verhältnis als zu Filmen aus anderen Ländern. Es gibt für ihn keine Vorab-Umarmung, aber auch keine per se kritische Haltung – abgesehen davon, dass er den Begriff eines Nationalkinos an sich als schwierig empfindet. Über die Premieren im Gartenbaukino entstehen viele Kontakte, zudem ist Shetler nachhaltig geprägt von Haneke und Seidl und gerät bei manchen aktuellen Filmemachern geradezu ins Schwärmen. Was Shetler aber wichtig ist: »Es gibt in diesem Land so viele veraltete Strukturen! Als Beispiel sei die Nominierung des letzten Films von Michael Haneke für den Auslandsoscar genannt. Das ist eine kurzsichtige Haltung, da hätte man ›Die beste aller Welten‹ nominieren müssen. Der Film ist seit Berlin ein Hype, die Leute lieben ihn und Adrian Goiginger hat ihn außerhalb der großen, etablierten Produzentenstrukturen in die Welt gesetzt. Den Mut hätte man haben müssen und dieser Film wäre international auch verstanden worden. Es ist nichts gegen Haneke und ›Happy End‹ einzuwenden, aber das ist eine vertane Chance. Da muss man sich fragen, wer
von persönlichen Werken, von Ludwig Wüst, dessen Roadmovie »Aufbruch« gerade auf der Berlinale Weltpremiere feierte und mit dem er sich auch über den Stadtkino-Verleih auseinandersetzt. Filmisch ist ihm das wichtiger als die größeren, heimischen 3-, 4-MillionenEuro-Produktionen. Er spricht begeistert von FilmemacherInnen, die »vielleicht auch nichts anderen können und einfach Filme machen müssen«. Dazu gehört für ihn auch Ruth Kaaserers »Gwendolyn«, eine dokumentarische Annäherung an eine krebskranke Gewichtheberin, die »sich als Film vollkommen dem Subjekt unterordnet – einer der tollsten Dokumentarfilme der letzten Jahre.« Er sieht sich mit dem Stadtkino im Dienste der FilmemacherInnen und nicht einer Industrie oder Struktur – aber auch nicht als Auffangbecken für Filme, die sonst keiner will. Für die Leitung der Viennale hat er sich übrigens, auch aus familiären Gründen, nicht beworben – obwohl dies für ihn in früheren Zeiten ein naheliegendes Ziel war. Shetler freut sich auf die neue Leitung von Eva Sangiorgi, die unter anderem Kategorien wie Spielfilm oder Dokumentarfilm auflösen will: »Es braucht die Labels, die immer mehr verschwimmen, nicht mehr.« Und er selbst
Stadtkino, Olah
»Man mag von ›Dirty Dancing‹ halten, was man will, aber wenn 700 Leute aufstehen und mitsingen, dann ist das ein Erlebnis.« das entscheidet und welche Interessen hier vertreten werden. Jedenfalls nicht die eines modernen, jungen, aufstrebenden österreichischen Films.« Ihm fehlt die Aufmerksamkeit für die jungen FilmemacherInnen oder auch für die Avantgarde, er beobachtet aber eine Bewegung, die sich losgelöst hat: »Vielleicht geht da nun was los, nachdem die Diagonale oder auch das Filmmuseum und bald die Viennale jung besetzt sind.« Shetler schwärmt
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hätte in der Position eventuell auch seinen Hang zur Hands-On-Arbeit, in der er in den Kinos schon mal Kabel verlegt, vielleicht vermisst. Und während er so über seine Tätigkeiten spricht, merkt man ihm die Freude an seiner Arbeit an und die Möglichkeiten der beiden sich ergänzenden Häuser. Die ergeben für Norman Shetler durchaus »ein großes Bild dessen, was Kino sein kann«. Martin Mühl
Karlsplatz #GuyMees 1/2 – 29/4 2018 Der belgische Künstler Guy Mees war seit den 1970er Jahren eine zentrale Figur der international stilprägenden Antwerpener Kunstszene. Zum ersten Mal in Österreich widmet sich eine Ausstellung seinem selten gezeigten Werk. Guy Mees’ Fotografien und Videos, vor allem aber seine fragilen Papierarbeiten charakterisiert formale Strenge bei gleichzeitiger Sensibilität und Empfindsamkeit. Er hinterließ mit seinen Grenzgängen zwischen geometrischer Abstraktion, Minimal Art, Konzeptkunst, Kinetismus und angewandter Kunst ein herausragendes Œuvre. Mit emblematischen Werkbeispielen aus den wichtigsten Schaffensphasen zwischen den 1960er und 2000er Jahren, ergänzt um ausgewähltes Archivmaterial aus seinem Nachlass, erschließt die Ausstellung die anhaltende Bedeutung des Künstlers, der zuletzt zu einer wichtigen Referenzfigur für eine jüngere Künstler/innen-Generation geworden ist. Jeden Dienstag, 18 Uhr: Führung durch die Ausstellung www.kunsthallewien.at Guy Mees, Portraits (Level Differences), 1970, Courtesy Estate of Guy Mees, Acknowledgements to Lotte Boogh Mees & Micheline-Martha Tob-Szwajcer.
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Ku Le n im be stg e n Fö u ld rd nd er Ü la b by er ri leb nt e h n
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Mag. Werner Zappe ist am Österreichischen Filminstitut unter anderem auch für die Nachwuchsförderung zuständig.
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Es gibt wohl einige österreichische Filmschaffende, die mittlerweile ihr eigenes »Förderdschungelbuch« schreiben könnten. Wir haben uns zu diesem Thema sowohl mit der Seite der Filmschaffenden als auch mit jener der Fördereinrichtungen beschäftigt. ———— Aus dem Nest der Filmhochschule gestoßen, finden sich viele junge Filmschaffende erstmal am Boden des Förderdschungels wieder. Schließlich braucht es meist eine kleine Startrampe, um mit einem Projekt abheben zu können und ins Fliegen zu kommen. Dieser Startschuss wird meist durch einen oder mehrere Vorschüsse befeuert, die Filmförderstellen an ausgewählte Projekte vergeben. In Österreich ist es vor allem das Österreichische Filminstitut (ÖFI), eine bundesweite Institution, die österreichische Kinofilme und diesen gleichgestellte Koproduktionen – also Spiel- und Dokumentarfilme mit einer Mindestlänge von 70 Minuten – fördert. Förderentscheidungen werden von einer Projektkommission getroffen, die mindestens vier Mal im Jahr tagt. Innerhalb dieses Systems sollen sowohl das künstlerische als auch das wirtschaftliche Ende abgebildet werden. »Der wirtschaftliche Erfolg wird anhand der verkauften Kinotickets in Österreich, der künstlerische Erfolg anhand der Bewertung von Festivalteilnahmen und Auszeichnungen bemessen. Die Festivals werden dabei einer jährlichen Evaluierung unterzogen. Gleiches müsste man eigentlich auch bei der Bewertung des wirtschaftlichen Erfolges tun. Im Idealfall gelingen Projekte, die sowohl künstlerisch anspruchsvoll als auch wirtschaftlich erfolgreich sind«, so Werner Zappe, der am ÖFI unter anderem auch für die Nachwuchsförderung zuständig ist. Im Bereich der regionalen Förderungen sticht der Filmfonds Wien als größte heraus. Der Fonds wird jährlich mit rund 11 Millionen Euro von der Stadt Wien finanziert. Als Kriterien für eine Förderung wird sowohl die künstlerische und kulturelle als auch die wirtschaftliche Be-
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deutung des Projekts herangezogen, wobei letztere am Wiener Filmbrancheneffekt gemessen wird. Dieser stellt die klare Richtlinie auf, dass »bei der Durchführung des Vorhabens mindestens 100 Prozent der gewährten Fördermittel der Filmwirtschaft in Wien und Umgebung zugutekommen«, so nachzulesen auf der Website des Filmfonds. Viele der anderen regionalen Förderstellen sind direkt bei den Kulturabteilungen der jeweiligen Landesregierung angesiedelt.
ÖFI, Marlene Mautner, istock.com/samolevsky
Faktor Zeit Wie lange es von der Einreichung des Projekts bei der jeweiligen Förderstelle bis zur tatsächlichen Umsetzung dauert, »hängt immer von der Komplexität des jeweiligen Projektes ab. Je weniger Finanziers mit an Bord sind und je überzeugender das eingereichte Projekt ist, desto schneller erfolgt die Umsetzung. Bei einer rein nationalen Produktion kann man das in wenigen Monaten realisieren, bei größeren internationalen Koproduktionen kann das eineinhalb Jahre und mehr dauern«, so Werner Zappe. Dabei muss man als Filmschaffender und Filmschaffende darauf achten, dass der Zahn der Zeit nicht zu sehr am eigenen Projekt nagt. Gerade beim Dokumentarfilm kann es leicht passieren, dass der Stoff plötzlich nicht mehr relevant genug ist. Ein Weltrekord, der vor einem Jahr aufgestellt wurde, kann kurze Zeit später schon wieder überboten oder ein Extremsport plötzlich von einer anderen Sportart in den Schatten gestellt worden sein. Das kann auch der 33-jährige Regisseur Sascha Köllnreiter nur bestätigen, der 2014 den Dokumentarfilm »Attention – A Life in Extremes« herausbrachte und sich darin mit dem Leben von drei Extremsportlern auseinandersetzte: »Ich glaube, dass es diesen Film in besonderem Maße betroffen hat, weil es sich dabei ja um einen Dokumentarfilm gehandelt hat und die Realität ihr eigenes Süppchen stets weiterkocht. Das betraf aber immer nur einzelne, kleinere Erzählstränge. Solang die übergeordnete Idee und die ursprüngliche Aussage bestehen bleiben, kann eigentlich nichts passieren.« Allerdings kann das den Spielfilm in gleichem Maße betreffen, führt die junge Regisseurin Jasmin Baumgart-
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WO WIRD GEFÖR DERT? Grundsätzlich wird zwischen nationalen und regionalen Filmförderungen unterschieden, wobei nationale Förderstellen in etwa zwei Drittel an Mitteln auszahlen und die Länderförderungen circa ein Drittel davon tragen. Insgesamt sind in Österreich 19 filmfördernde Institutionen tätig, fünf Einrichtungen auf nationaler Ebene und 14 in den Bundesländern. Auf nationaler Ebene ist das Ö STERREICHISCHE FIL MIN STITUT die größte Fördereinrichtung des Landes. Eng damit in Zusammenhang steht das FIL M /FERNSEHABKOMMEN des ORF. Hierbei werden Projekte kofinanziert, die bereits Förderzusagen des Österreichischen Filminstituts erhalten haben. Zur Herstellung von Fernsehfilmen und deren Verwertung stellt der FERNSEHFONDS AU STRIA eine Fördersumme von jährlich 13,5 Mio. Euro zur Verfügung. Das Förderprogramm FISA – FIL MSTAND ORT AU STRIA unterstützt seit 2010 nationale Produktionen, Koproduktionen und Kofinanzierungen im Rahmen der Herstellung. Auch
die KUNSTSEKT IO N DES BUNDESK ANZLE RAMT ES trägt zur Filmförderung bei und unterstützt innovative Projekte in den Bereichen Spiel-, Dokumentar-, Animations- und Experimentalfilm. Auf regionaler Ebene werden in allen neun Bundesländern Filmförderungen über die Kulturabteilungen der Landesregierungen abgewickelt. In der Steiermark, wie auch in Tirol und Wien gibt es außerdem auch spezialisierte Fördereinrichtungen: den FIL MFONDS WIEN, der auch die größte regionale Förderstelle Österreichs ist, die CI NE T IRO L FIL M CO MMI SSIO N und die CINEST Y RIA FILMCOMMISS ION & FONDS. In den vergangenen Jahren kamen noch die VORARL BERGER FILMFÖ RDERUNG und die CARINT HIA FIL M COMMISSIO N dazu.
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»Man muss mitbedenken, dass sich der Zeitgeist oft sehr schnell ändert.« — Sascha Köllnreiter
ner weiter aus: »Wenn man einen Stoff hat, der eine Art von Gegenwart beansprucht, dann muss man immer mitbedenken, dass es doch einige Jahre dauert, bis der Film schließlich auch wirklich fertig ist, und sich der Zeitgeist oft sehr schnell ändert.« Prognosen zu stellen, welcher Film zu welchem Zeitpunkt mehr oder weniger Förderanspruch hat, sei kaum möglich, fügt Baumgartner hinzu. »Letztlich kann man nur mit bestem Wissen an einem Stoff arbeiten und hoffen, dass er zeitgemäß ist und situationsbedingt gut passt.« Die Frage nach allgemeinen Ratschlägen für andere Nachwuchs-Filmschaffende, wenn es nach dem Absprung aus dem Nest plötzlich darum geht sich im Förderdschungel zurechtzufinden, beantworten Sascha Köllnreiter und Jasmin Baumgartner beinahe unisono: »Förderabsagen beschäftigen natürlich schon sehr. Gerade auch weil sich vollkommene Transparenz und Nachvollziehbarkeit hier einfach nicht herstellen lassen«, so Köllnreiter. »Das erste Mal eine Förderabsage zu bekommen, war
Jasmin Baumgartner hat an der Filmakademie studiert und arbeitet gerade an ihrem Debütfilm.
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Eine Absage ist kein Abgesang auf den Stoff Obwohl vor allem in der jüngeren Vergangenheit häufig zu lesen war, dass sich deutsche Filmschaffende oft fühlen, als würden sie bis zum Hals im Sumpf des psychologischen Realismus stecken, während in Österreich der künstlerische Imperativ regiert, lässt sich das nicht auf einen solch pauschalen Vergleich herunterbrechen und muss in einem etwas weiter gefassten Kontext betrachtet werden. Im deutschen Fördersystem spielen nämlich die Fernsehsender eine deutlich größere Rolle und tragen Projekte finanziell mit. »In Österreich gibt es zwar schon das Film/Fern-
»Es gibt Leute, die ihren ersten Film machen wollen, der aber eigentlich eher der bessere zweite oder dritte Film wäre.« — Jasmin Baumgartner
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sehabkommen des ORF, aber in Deutschland ist bei jeder großen Spielfilmproduktion ein Redakteur dabei. Das ist automatisch eine kommerzielle Komponente, die dadurch, dass das Fernsehen involviert ist, eben gegeben sein muss«, erklärt Baumgartner den Unterschied. Hinsichtlich seiner Förderpolitik versucht das ÖFI einen mitunter oft schwierigen Spagat zwischen der kommerziellen und der wirtschaftlichen Seite zu unternehmen. »Ich denke nicht, dass sich die Filmförderung zum Ziel gesetzt hat, den kommerziellen Erfolg als Parameter kategorisch auszuschließen. Es geht darum, ein ausgewogenes Portefeuille an kulturell ansprechenden und wirtschaftlich erfolgreichen Filmen zustande zu bringen«, fasst Zappe zusammen. Sarah Wetzlmayr
Sascha Köllnreiter gewann für seine Doku »Attention – A Life in Extremes« den Titel des besten Nachwuchsregisseurs beim FFKB (Filmfestival Kitzbühel).
WIE WIRD GEFÖRDERT? Grundsätzlich kann zwischen fünf verschiedenen Förderstufen unterschieden werden, wobei sich vier davon an Filmschaffende und eine an Institutionen wenden. In der Stufe der STOFFE NT WICKLUNG werden Drehbuch- und Konzeptentwicklung gefördert. Hier fällt sowohl das Verfassen von Drehbüchern (Spielfilm) als auch von Drehkonzepten (Dokumentarfilm) hinein. Die PRO JEKTE NT W ICK LUNG fördert sämtliche Maßnahmen, die noch vor den Dreharbeiten abzuwickeln sind. Hierzu gehören die Zusammenstellung des Stabs, Castings, Motivsuche, die Arbeit an der Letztfassung des Drehbuchs und erste Maßnahmen im Bereich des Marketing. 2016 wurden knapp über 2,5 Mio. Euro für Stoff- und Projektentwicklungen ausbezahlt. Die umfangreichste Förderung betrifft immer die HER STELLUNG. Hier werden abendfüllende österreichische Kinofilme (ab 60 Minuten) und Fernsehfilme (ab 23 Minuten) unterschiedlicher Genres gefördert. 2016 erhielt der Kinofilm 64,3% der Herstellungsförderungen und wurde zum Großteil vom Filminstitut (38%), dem ORF Film/Fernsehabkommen (25%), dem Filmfonds Wien (19%) und der FISA – Filmstandort Austria (14%) getragen.
In der letzten Förderstufe für Filmschaffende geht es um Maßnahmen zur VERWERT UNG DE R F IL ME , zu denen der Kinostart aber auch die Teilnahme an Festivals und Messen zählen. Für Verwertungsmaßnahmen meldeten die Förderstellen im Jahr 2016 Auszahlungen in der Höhe von knapp über 2,4 Mio. Euro. Die Förderungen für INST IT UT IONE N UND INFRAST RUKTUR stellen mit 18,6% der Auszahlungen bzw. 13,5 Mio. Euro nach der Herstellung den zweitgrößten Förderbereich dar. Dazu zählen Kinos, Festivals und Sommerkinos, Aus- und Weiterbildung, aber auch Institutionen, wie u.a. das Österreichische Filmmuseum. Während die Herstellung von allen Förderstellen unterstützt wird, werden Stoff- und Projektentwicklung nur von einem Teil der Förderstellen übernommen. Förderungen zur Verwertung werden zwar auch nicht von allen, aber von einem Großteil der Stellen gefördert.
Wolfgang Zac
schon hart für mich. Und ich glaube, dass man das einfach irgendwie in den Gesamtablauf des Filmemachens inkludieren muss. Vor allem sollte man sie nicht persönlich nehmen. Man darf sich dadurch keinesfalls den Stoff schlecht reden lassen. Es kann ja auch ein richtig toller Stoff sein, der zum Beispiel für ein Debüts zu teuer zu verfilmen oder auch einfach zu groß oder zu klein ist. Es gibt Leute, die ihren ersten Film machen wollen, der aber eigentlich eher der bessere zweite oder dritte Film wäre«, ergänzt Baumgartner. Wie sie ebenfalls betont, spielen hier aber auch bereits erworbene Erfahrungen eine wichtige Rolle: »Ich kann das – als Nachwuchsfilmschaffende, die gerade versucht in diesem Fördersystem zu überleben – nur aus meiner Perspektive sagen. Jemand, der schon sehr lange in diesem Fördersystem lebt, sieht einige Dinge bestimmt ein wenig anders.«
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Wir schreiben weiter Die Welt ist in Aufruhr, alte Konfliktherde lodern auf, neue Wirtschaftsmächte erheben sich, der Klimawandel stellt uns vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Seit 170 Jahren schreiben wir über Ereignisse und Entwicklungen, die uns alle betreffen und bewegen. Wir informieren, analysieren, kommentieren und geben Denkanstöße. Was auch kommt, wir schreiben weiter – DiePresse.com
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Für die sechsteilige SuperfilmMiniserie »M – eine Stadt sucht einen Mörder« wurde gleich an mehreren Schauplätzen in Wien gedreht.
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Der erste Bezirk ist nicht nur bei internationalen Produktionen beliebt. Für die österreichische Produktion »Der Trafikant« wurde der Albertinaplatz kurzfristig gesperrt.
Drehort Wien Marijana Stoisits im Interview Seit neun Jahren vertritt die Vienna Film Commission den Filmstandort Wien nach außen, wirkt als Vermittlungsstelle und ist Ansprechpartner für alle, die in Wien drehen wollen. Geschäftsführerin Marijana Stoisits spricht im Interview über Herausforderungen bei internationalen Produktionen, Kürzungen im Budget und die Zusammenarbeit mit der Stadt Wien. Sie kommunizieren mit mehreren Stellen und haben eine Vermittlungsfunktion – warum braucht es eine solche Stelle und wie kann man sich den Ablauf ungefähr vorstellen? marijana stoisits: Man braucht eine Filmkommission, um Abläufe bei Dreharbeiten zu vereinfachen. Wenn jemand bei uns um eine Drehgenehmigung ansucht, schauen wir zuerst, wer zuständig ist. Alles, was der Stadt gehört, läuft über uns. Es gibt auch ein paar ausgegliederte Organisationen, wie zum Beispiel Wiener Wohnen, den KAV (Anm.: Krankenanstaltsverbund) oder die Via Donau. Wir machen eine Art Vorprüfung, wir schauen uns an, wer zuständig ist, stellen dann ein Empfehlungsschreiben aus und schicken das an die jeweiligen Behörden und auch an den/die AntragstellerIn. Der Drehvertrag wird direkt zwischen den beiden Parteien
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lung und der Filmfonds insbesondere deshalb, weil viel Geld für Dreharbeiten zu Verfügung gestellt wird und es absurd ist, wenn man das, was man vorher fördert, vor Ort nicht wirklich umsetzen kann. Die Wirtschaftsagentur, weil es für den Standort wichtig ist, der Wien Tourismus wegen der enormen filmtouristischen Effekte und die Wirtschaftskammer wegen der hohen Wertschöpfung der in Wien realisierten nationalen und internationalen Produktionen.
Im Filmbereich wird immer wieder gekürzt, trifft Sie das ebenfalls? Leider ja, in diesem Jahr sind wir auch davon betroffen. Die Wirtgeschlossen. Die Vienna Film schaftskammer Wien hat ihren Commission ist vor allem eine Beitrag um 60 Prozent gekürzt, mit der Begründung, dass die Ermöglicherin oder Mediatorin. Es gibt schon immer noch Stellen, ursprüngliche Vereinbarung als Anschubfinanzierung gedacht wo es manchmal schwierig sein war. Das ist aber ein nicht nachkann zu drehen – weniger bei der vollziehbares Argument, weil Stadt Wien, eher im Bereich des Bundes. Da telefoniert man dann wir eine Non-Profit-Organisatischon mal wochenlang hin und on sind, die jeder Filmprodukher, bis es endlich funktioniert. tion kostenfreies Service bietet. Aber mir macht das auch Spaß, Wenn man aber weniger Geld zur Verfügung stellt, bedeutet die Leute davon zu überzeugen, Marijana Stoisits ist das auch weniger Service. Wir dass Dreharbeiten sinnvoll und Geschäftsführerin gut sind. haben aber, und das war sehr der Vienna erfreulich, beim Kampf um die Film Commission Wie ist die Vienna Film ComFinanzierung sehr viel Untermission organisiert? stützung vonseiten der ProduDie MA7, der Film Fonds Wien, die Wirt- zentInnen bekommen. Sie sind auch diejeschaftsagentur, die Wirtschaftskammer Wien nigen, die am meisten von unserer Arbeit und der Wien Tourismus haben 2008 be- profitieren. Ich hoffe sehr, dass die Wirtschaftskammer Wien für 2019 wieder zur urschlossen, eine Filmkommission zu gründen und sie gemeinsam und zu gleichen Teilen sprünglichen Vereinbarung mit den anderen zu finanzieren. Wir sind eine gemeinnützige Finanzierungspartnern zurückkehrt. GmbH im Besitz der Kulturabteilung (MA7) – die Vienna Film Commission ist die Films- Wie attraktiv ist Wien international gesetandortagentur der Stadt Wien. Alle Finan- hen? Warum wird hier gedreht? Es gibt verschiedene Gründe, warum zierungspartner waren sich einig, dass sie alle was davon haben, wenn Dreharbeiten in Wien so attraktiv ist: Einer ist sicher, dass Wien besser funktionieren: Die Kulturabtei- Wien einfach eine schöne Stadt mit viel Kultur
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FACTS
WIE L A NGE DAUERT ES, BIS MAN EI NE DREHG ENEHM IGUNG BEKOMMT ? Die Dauer ist abhängig von Location und Aufwand, für Straßen und Plätze ohne größere Absperrungen wird üblicherweise innerhalb von ein bis zwei Wochen eine Genehmigung erteilt.
WO WIRD A M HÄU FIG STEN G E D REHT ? Am beliebtesten sind Wiens Parks und Gärten, international gesehen ist vor allem der erste Bezirk besonders frequentiert. A N WE N KA NN MAN S ICH WE ND E N? Die Vienna Film Commission ist die erste Anlaufstelle und berät Filmschaffende bei Drehgenehmigungen aller Art und vermittelt zwischen verschiedenen Stellen.
ist, die viel hergibt. Nach Wien kommt man nicht, weil man zwischen Wolkenkratzern oder in futurstischem Ambiente drehen will. Die meisten kommen wegen der klassischen, imperialen Architektur, die Wien bietet. Das ist auch vollkommen in Ordnung, obwohl wir genau das andere zum Beispiel auch mit dem WU-Campus hätten, sofern es möglich wäre, dort zu drehen. Wir versuchen immer, andere Seiten der Stadt zu präsentieren. Ein anderer Grund ist, dass wir hier hervorragende Filmschaffende haben. Man bekommt bei uns sehr gute Crews, es gibt hier sehr erfahrene Leute, und sie sprechen alle Englisch. Das ist ein ganz zentraler Punkt für internationale Produktionen. Außerdem hat Wien eine gute Größe. Die Wege sind nicht zu lang, man kann in Wien sehr gut »on location«, also an Originalschauplätzen, drehen. In München etwa gibt es eine Liste von Plätzen, wo grundsätzlich nicht gedreht werden darf, in Zürich gibt es ebenfalls einen ganzen Katalog von Orten, wo nicht gedreht werden kann. Als wir in Wien mit der Film Commission begonnen haben, habe ich ganz klar gesagt: »Wenn man A sagt, muss man auch B sagen«. Als wir dann bei Mission Impossible beim Locationscouting durch die Stadt gegangen sind, wurde immer gefragt: »Kann man da drehen?« und »Kann man dort drehen?«, und ich habe gesagt: »Man kann überall drehen«, um sie nach Wien zu locken. Damit das dann auch wirklich funktioniert, muss man natürlich mit dem Magistrat im ständigen Austausch sein. Welche Nachteile bestehen? Ist Wien auch die Kosten betreffend konkurrenzfähig? Im Vergleich zu Städten im Osten, etwa Budapest oder Prag, sind wir fast gleich auf. In Rumänien oder in den baltischen Staaten ist es natürlich nach wie vor günstiger. Das Ganze steht und fällt allerdings mit Incentives, die für Film- und TV-Produktionen zur Verfügung gestellt werden. Solche An-
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Für eine Verfolgungsjagd in »Die Hölle« wurde der Bereich zwischen dem Stadtpark und dem Schwedenplatz gleich mehrere Nächte abgesperrt.
reize bieten mittlerweile auch Länder wie Deutschland, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien etc. Unsere Incentives sind dürftig. Es gibt genau 1,5 Millionen Euro für internationale Produktionen – das ist grotesk wenig und die Anforderungen, die man erfüllen muss, um antragsberechtigt zu sein, sind schlicht nicht zeitgemäß. Antragsberechtigt sind ausschließlich Kinospielfilme. Das bedeutet, alles, was fürs Internet produziert wird, fällt hier raus. Ich habe regelmäßig Anfragen für Serien, zum Beispiel im Dezember eine von Amazon, oder kürzlich für eine vierteilige UK-Fernsehproduktion. Für solche Produktionen gibt es kein Geld bei uns und deshalb machen die einen großen Bogen um Österreich. Jay Roewe, Head of Physical Production von HBO, hat mir gesagt, dass sie Länder, in denen es keine Incentives gibt, grundsätzlich als Drehorte ausschließen. It’s all about the money! Und Österreich ist da schlicht nicht auf der Höhe der Zeit!
Das heißt, Produzenten entscheiden sich dann eher für andere Schauplätze … In Niederösterreich oder in der Steiermark ist es natürlich wunderschön, aber in Slowenien schaut es auch nicht viel anders aus. Der Unterschied ist: In Slowenien bekommt man 25 Prozent Cash Rebate. Es ist total grotesk, dass die Politik nicht versteht, wie viel Geld und wie viel an Wertschöpfung für das Land uns da durch die Lappen geht. Aber es geht auch darum, dass österreichische Filmschaffende Arbeit vor Ort finden und Erfahrungen bei internationalen Produktionen sammeln können. Obendrauf kommen die filmtouristischen Effekte hinzu. Es ist mir unverständlich, dass die Politik da nicht reagiert. Wenn jemand kommt und sagt: Wir geben bei euch zwei Millionen Euro aus, wenn ihr 25 Prozent beisteuert, dann hat man 1,5 Millionen gewonnen, die hier nicht ausgegeben worden wären. Eine wirklich sehr einfache Milchmädchenrechnung! Es besteht definitiv sehr dringender Handlungsbedarf! Yasmin Vihaus
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WANN B RAU C HT MAN EI NE DREHG ENEHM IGUN G ? In Wien braucht man grundsätzlich für alle Dreharbeiten eine Genehmigung. Für Drehs mit maximal fünf Personen werden eingeschränkte Bewilligungen innerhalb weniger Stunden erteilt.
FILM COMMIS SION S Eine Filmkommission gibt es nicht nur in Wien, auch andere österreichische Bundesländer bieten ähnliche Servicestellen. In Niederösterreich kümmert sich die Lower Austrian Film Commission um die Beratung und Begleitung inter-/nationaler Filmproduktionen und bietet eine Motiv-, Branchenund Projektdatenbank an. In der Steiermark ist die Cinestyria Filmcommission and Fonds eine nationale und internationale Schnittstelle für Filmförderung, Information und Service und
zudem zentrale Anlaufstelle für alle Film- und TV-Angelegenheiten der Steiermark mit Augenmerk auf die internationale Verwertung und die touristische Wertigkeit. In Tirol kümmert sich die Cine Tirol Film Commission um Angelegenheiten, die mit der Realisierung von Spiel-, Dokumentar- und Werbefilmen zusammenhängen. In Salzburg ist die Standortagentur Salzburg als Service- und Beratungsstelle in Sachen Film tätig und kümmert sich zudem um die Bewerbung des Filmstandorts Salzburg.
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Alles öko? Wie fair wurde wirklich gehandelt und wie nachhaltig arbeiten Konzerne, die sich nachhaltig positionieren? In seinem neuen Dokumentarfilm schaut Werner Boote Großkonzernen auf die Finger, begibt sich dabei auf eine Reise durch die ganze Welt und holt sowohl Palmöl-Industrielle als auch Globalisierungskritiker wie Noam Chomsky vor die Kamera.
Juri Rechinsky zeigt in seinem Debüt zwei Menschen, erzählt Geschichten ohne viele Worte und zeichnet verstörend schöne Bilder: Eine schreiende, sich windende Frau, ein Boot am Neusiedlersee, ein Krankenhaus in der Ukraine. Ein brennendes Feld. Eine Liebesgeschichte. Eine Krankheit und das große Vergessen. Irgendwo wartet der Tod. Und das Leben.
Das Coming-Of-Age-Drama von Regisseurin Katharina Mückstein begleitet die 18-jährige Mati auf ihrer Suche nach Freiheit und Identität. In einer Welt, geprägt von festen Normen und Rollenbildern, neuen Freundschaften und alten Cliquen gestaltet sich das allerdings weder für sie, noch für die Erwachsenen um sie herum als einfach.
L‘Animale
Die letzte Party deines Lebens Die Matura ist für viele SchülerInnen von Schrecken geprägt – in Dominik Hartls neuem Horrorfilm ist es aber die Maturareise, die zum Ort des Grauens mutiert. Nach »Angriff der Lederhosenzombies« der zweite Film zum Fürchten von einem Regisseur, der eigentlich Angst vor Horrorfilmen hat.
Basierend auf orginalen Gerichtsprotokollen erzählt Regisseur Christian Frosch den Prozessverlauf gegen Franz Murer, einem angesehenen Lokalpolitiker, nach und thematisiert filmisch einen der größten Justizskandale der Zweiten Republik.
23. März
»Schön is sie net, aber schnell is sie halt!« – Wenn eine Profiskirennläuferin und mehrfache Gewinnerin plötzlich bei einem Dopingtest erfährt, dass sie eigentlich ein Rennläufer ist, werden Presse und System, die zuerst fast freundlich unterstützend wirkten, plötzlich zum größten Gegner.
Erik & Erika
2. März
Murer – Anatomie eines Prozesses
16. März
KGP, Allegro Film, Tivoli Film – Wolfgang Amslgruber, FIlmdelights, Constantinfilm, Thim Film Novotny Novotny Film, Filmladen Filmverleih, Polyfilm, Ricardo Vaz Palma / Prisma Film, Thim Film
The Green Lie
16. März
Nach »The King‘s Speech« will sich Co-Regisseurin Birgit Gohlke dem Thema Stottern erneut stellen – und hält das auch filmisch fest. Sie konfrontiert sich selbst und andere mit dem Thema, versucht herauszufinden, warum Stottern Menschen trennt und was stotternde Menschen verbindet.
In der Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Stefan Vögel geht es um die Begegnung zweier völlig verschiedener Menschen, die eines vereint: der Wunsch zu sterben. Mit viel schwarzem Humor und klugen Dialogen gehen Arthur (Josef Hader) und Claire (Hannah Hoekstra) dem Sinn des Lebens auf den Grund.
Nach der Adaption von »Gut gegen Nordwind« und »Alle sieben Wellen« in den Wiener Kammerspielen wagt sich Regisseur Michael Kreihsl an Daniel Glattauers nächstes Werk: In »Die Wunderübung« kämpf ein Ehepaar zuerst mit sich, letztlich aber dann doch auch im Team gegen den engagierten Paartherapeuten.
9. März
Mein Stottern
23 Februar
Arthur & Claire
16. Februar
Die Wunderübung
2. Februar
Die österreichischen Filmschaffenden waren nicht untätig. Eine Auswahl von Filmen, die dieses Jahr im Kino zu sehen sind.
Ugly
2. März
Der französische Dokumentarfilmer Robert Bober begibt sich auf die Suche nach seinen jüdischen Verwandten in Wien und setzt sich filmisch mit dem kulturellen Stadtleben vor dem Zweiten Weltkrieg auseinander.
Wien vor der Nacht
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Doku Spielfilm
Filmkalender 2018
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Der 80-jährige Ali Ungàr wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert und beschließt nach Wien zu reisen, um den mutmaßlichen Mörder seiner Eltern zur Rede zu stellen. Der Film erzählt von einer Reise in die nationalsozialistische Vergangenheit, von einem Slowaken mit jüdischen Wurzeln und einem Österreicher, der plötzlich mit den Handlungen seiner Eltern konfrontiert wird.
Dolmetscher
29. September
Vier Menschen haben sich entschlossen, Wege jenseits von Gier und Profitstreben zu gehen und dabei viel gelernt. Eine Entdeckungsreise zu den »Einsteigern« einer neuen Gesellschaft soll aufzeigen, wie 1,5 Millionen Menschen mit regionaler, frischer Biokost versorgt werden, wie urbanes Wohnen mit wenig Energie möglich wird oder wie Smartphones fair produziert werden könnten. Alles nur Utopie? Nicht ganz.
Sebastian Brauneis kreiert in seinem Erstlingswerk einen vielschichtigen und emotionalen Film zwischen Thriller und Märchen. »Zauberer« erzählt die Geschichte rund um einen Jungen, der verschwindet und wieder auftaucht. Im Rahmen der Erzählung wird der Zuschauer Teil einer voyeuristischen Reise in die Abgründe einer zwischen Ohnmacht, Manipulation und Ermächtigung gefangenen Psyche.
im Herbst
Zeit für Utopien
20. April
Zauberer
20. April
Nach ihrem mehrfach ausgezeichneten Langfilm-Debüt »Women Without Men« nimmt sich Regisseurin und Drehbuchautorin Shirin Neshat erneut einer starken Frauenfigur an und beschäftigt sich mit der iranischen Künstlerin Mitra, die im Exil zwar Ruhm und Erfolg erlangt hat, nun jedoch nicht mehr in den Iran zu ihrer Familie zurückkehren kann.
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scheinung, wie man in »Waldheims Walzer« deutlich sieht. Ruth Beckermanns kürzlich ausgezeichnete doku-essayistische Aufarbeitung beschäftigt sich mit der WaldheimAffäre. Der Film über Lüge, Wahrheit und »alternative Fakten« ist fast ausschließlich aus Archivmaterial entstanden und analysiert Mechanismen der Mobilisierung hetzerischer Gefühle.
nicht wirklich gesehen: Wohnungslose Menschen sind teilweise fast unsichtbar für den Rest der Welt – in der Langzeitdokumentation werden obdachlose Menschen porträtiert, um ihr ungeschütztes Leben auf den Straßen erfahrbar zu machen.
Waldheims Walzer Zu ebener Erde Auf der Suche nach Oum Kulthum »Fake News« sind keine neue ErSie werden beobachtet und doch
15. Juni
Der Schwarz-Weiß-Film von Emily Atef lässt die ZuseherInnen eindrucksvoll an einem Lebensausschnitt der späten Romy Schneider, gespielt von Marie Bäumer, teilhaben, die gemeinsam mit ihrer Jugendfreundin Hilde, gespielt von Birgit Minichmayr, an einem Fluchtort am Ende der Welt mit einem Reporterduo spricht.
Über ein Jahr lang begleitet der Dokumentarfilm drei Familien mit neugeborenen Babys und zeigt ohne viele Worte unterschiedliche Herausforderungen in der Kommunikation zwischen Kind und Eltern auf: Levi wurde ohne Schlaf-WachRhythmus geboren, Konrad ist ein sogenanntes »Schreibaby«, Lotta tendiert zur Selbstverletzung.
im Juni
3 Tage in Quiberon
13. April
Nicht von schlechten Eltern
23. März
Mit der Liebe ist das nicht so einfach: Das erfährt auch der 17-jährige Trafikanten-Lehrling Franz. Sein Kunde, der 82-jährige Sigmund Freud, steht ihm zwar mit Rat und Tat zur Seite, kann das weibliche Geschlecht jedoch selbst oft nicht so ganz verstehen. Eine leichtfüßig poetische Geschichte über die Liebe und ihre Tücken.
Der Trafikant
2. November
Regisseur Hüseyin Tabak begibt sich auf eine umfassende Recherchereise und zeichnet ein dokumentarisches Porträt des kurdischen Regisseurs, Schauspielers und politischen Aktivisten Yılmaz Güney, der international durch Filme wie »Yol« oder »Sürü« bekannt wurde. Wer war der visionäre, rätselhafte und revolutionäre Künstler? Wer war der hässliche König?
Die Legende vom hässlichen König
25. Mai
Filmladen Filmverleih, Filmladen Filmverleih, Superfilm, Langbein & Partner Media, Aichholzer Film, Barbora Jančárová,Titanic, InFilm, coop 99, Filmladen, Ruth Beckermann FIlm, Stadtkino Film, Epo Film, Glory Film, Petro Domenigg
KGP, Allegro Film, Tivoli Film – Wolfgang Amslgruber, FIlmdelights, Constantinfilm, Thim Film Novotny Novotny Film, Filmladen Filmverleih, Polyfilm, Ricardo Vaz Palma / Prisma Film, Thim Film
d.signwerk linz / foto gerhard wasserbauer
Gewinnen thegap.at/gewinnen Die beste aller Welten Adrian Goigingers Film, in dem er seine eigene Kindheit mit einer drogenabhängigen Mutter zum Thema macht, wurde nicht nur beim Österreichischen Filmpreis mehrfach ausgezeichnet, sondern wird auch sonst allerorts vollkommen zu Recht gefeiert. Wir verlosen 3 DVDs.
Justice League Mit »Justice League« hat DC nun endlich das große Pendant zu den Avengers auf die Leinwand gebracht. Batman, Superman, Wonder Woman und andere Superhelden treten gemeinsam gegen den Widersacher Steppenwolf an. Wir verlosen 2 Blu-rays.
The Handmaid’s Tale Staffel 1 filmfestival linz // 25 – 30 april 2018
www.crossingEurope.at
Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden GenmbH
Die Nile Hilton Affäre In dem in Ägypten spielenden Krimi muss sich ein korrupter Polizist entscheiden, ob er weiterhin seinen zwielichtigen, aber lukrativen Weg gehen will oder sich gegen die Kollegen stellt. Der Film spielt vor dem Hintergrund der Revolution 2011. Wir verlosen 3 DVDs.
Fargo Staffel 3
Wir vertreten die Rechte von Regie, Kamera, Filmschnitt, Szenenbild, Kostümbild & Schauspiel. vdfs.at
Collecting Society of Audiovisual Authors
Margaret Atwoods Roman aus dem Jahr 1985 wurde hier in eine dystopische Sci-fi-Serie verwandelt: Frauen werden in dieser Zukunft gnadenlos unterdrückt und müssen ihren Herrschaftshäusern als Gebärmaschinen zur Verfügung stehen. Wir verlosen 3 DVDs.
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In der dritten Staffel der Anthologie-Serie »Fargo« übernimmt Ewan McGregor eine Doppelrolle und tritt gegen den großartigen David Thewlis an. Abermals geht es um Verbrechen, die außer Kontrolle geraten und andere Bösartigkeiten. Besonders gelungen in dieser Staffel sind auch die Musik und der Zitatreigen. Wir verlosen 3 DVDs.
Network Sidney Lumets Film ist eine der großen Satiren auf die Medienwelt, in der ein gefeuerter Sprecher mit Selbstmorddrohungen und Beschimpfungen Aufmerksamkeit und Quoten auf sich zieht. Wir verlosen 3 DVDs.
American Assassin In dem modernen US-Agentenfilm wird die Freundin von Mitch Rapp während eines Urlaubs getötet – woraufhin der Linguistik-Student beschließt, sich zum CIA-Kämpfer ausbilden zu lassen. Wir verlosen 2 Pakete bestehend aus Steelbook-DVD, Buchvorlage und Poster.
What Happened to Monday? In einer Zukunft mit totalitärer Einkindpolitik müssen Siebenlinge im Geheimen leben. Mit Noomi Rapace, Glenn Close und Willem Dafoe. Wir verlosen 2 limitierte Steelboxen.
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Rezensionen Musik Mickey
Daniel Angermayr
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Wenn nichts mehr geht, gibt es keine Erwartungen zu erfüllen und alles was zählt ist die gute Zeit, die Freude am Tun. Der eigenen Fama nach sind Alex Konrad und Klemens Wihlidal Ende 2016 genau da gelandet: Freunde und Partner sind weg und das Konto macht das Überleben schwer. Also rein in den alten Bandbus und ab nach Uhliská im Norden der Slowakei. Binnen kürzester Zeit entstehen dort Songskizzen, die gar keiner großen Bearbeitung mehr bedürfen. Das Wichtigste dabei: Alles ist erlaubt. Anspielungen können gar nicht zu billig und peinlich sein, Pop darf in seiner ganzen Bandbreite quietschen, die ein oder andere Spielweise von Hip-Hop und R’n’B gern mit von der Partie sein. Aus den Texten müssen sich klare Bilder ergeben, sie müssen nichts bedeuten – Slogans aus der Warenwelt werden neu zusammengesetzt und sind am Ende doch mehr als bedeutungslose Worthülsen. An dieser Stelle kurz der Hinweis, den sich Konrad und Wihlidal mitunter sparen: Die beiden machen schon seit vielen Jahren gemeinsam Musik – bei Gin Ga, der großartigen Wiener Band, deren Musiker in den letzten Monaten eigene Wege gegangen sind. Drummer Matias Meno veröffentlichte erstmals 2016 als Meno Synthie-Pop, Violinist Emanuel Donner folgte 2017 als Eugene Delta mit der EP »Black Dogs«, deren gekonnt geschriebene Songs ob des streckenweisen Songwriter-Sounds dazu neigt unterschätzt zu werden. Und nun eben Konrad und Wihlidal als Mickey. Die beiden Kunststudenten beherrschen das humorvolle Spiel zwischen Ernsthaftigkeit und höherem Blödsinn nach wie vor. Und wer wollte noch nicht einen Song machen, in dem mit den Lippen Motorengeräusche nachgeahmt werden wie in »Drive«. Dazu ein optisch durchdachter Auftritt mit Fokus auf Instagram und Videos zwischen No Budget und ästhetischem Gesamtkonzept – wie im fast schon modischen »Horizon«. Man kann das einfach Style nennen – und davon haben die beiden mehr als genug. »Overtime« ist ein großer Spaß, der es einem einfach macht, sich mit Mickey an der Musik zu freuen. (VÖ: 16. März) Martin Mühl
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Overtime — Ink
Termin: 24. März, Wien, Porgy & Bess
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Rezensionen Musik
Crush
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Vor allem bei langen Zugfahrten oder einsam im vollgestopften Reisebus neigt man dazu, wichtige Episoden des eigenen Lebens mit Bedeutung von der Tiefe eines Bergsees aufzuladen. Bei gleichzeitiger Klarheit, versteht sich. Das Ganze verwandelt sich dann, ab der nächsten Station, in einen gleichsam tragischen wie komischen Coming-of-Age-Film des eigenen Lebens, der vor allem von verpassten Chancen getragen wird. Den perfekten Soundtrack dazu liefert die fünfköpfige Grazer Formation Crush, deren Bandname sie ja eigentlich schon automatisch für den möglichen eigenen Auf- und Ausbruchsfilm qualifiziert. Natürlich ist das alles nicht real. Es wird nie einen Film geben und auch wenn es ja oft heißt, dass wahre Schönheit und Tiefgründigkeit im scheinbar Banalen zu finden sind, reichen die eigenen Banalitäten, wie diese eine Fahrt mit dem Bus, nicht aus, um gleich einen Spielfilm daraus zu machen. Wer sich allerdings schon spielt, ist die Band Crush – und zwar mit den schönsten Facetten des Dream Pop und den tiefgründigsten Banalitäten des Lebens – mit der Liebe zum Beispiel oder mit der Schönheit des Aufgebens, ohne sich selbst damit aufzugeben (»Giving Up«). Songs wie »Quicksand« oder »Pour Me« lassen mit ihren nostalgisch-melancholischen Momenten Erinnerungen an heftige Beach-House-Phasen wieder hochköcheln – nur dass der erste Longplayer der Grazer Band die Melancholie unter der stets sehr hoch stehenden Sonne beinahe zerschmelzen lässt. Dem titelgebenden »Sugarcoat« kann das nicht passieren, denn er überzieht alle Songs auf süße, aber unaufdringliche Weise. Obwohl ein Crush ja eine eher heftige Gefühlsreaktion beschreibt, hat man es hier mit einer Band zu tun, die langsam das Herz erwärmt und dafür sorgt, dass man hin und wieder tatsächlich glaubt, dass das eigene Leben einen ganz guten Film abgeben könnte. (VÖ: 27. April) Sarah Wetzlmayr
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Wenn sich eine Band in ihrer Besetzung verändert, ist nur selten der Ennui dafür verantwortlich. Dass sich Wege trennen, liegt meist an persönlichen Ressourcen, am Wegfahren, am Sich-Weiterentwickeln. Wenn sich eine Band fast auflöst, wenn sich etwa innerhalb von einem Jahr drei Mitglieder verabschieden, ist das Fortbestehen unter selbem Namen oftmals unklar. Paul Plut, der 2017 mit seinem Soloalbum für reichlich Furore sorgte, hat sich aber dafür entschieden. Seine Gruppe Viech gibt es weiterhin. Reduzierter, fokussierter, zu dritt statt zu fünft. Die musikalischen Mittel sind andere geworden. Keine elaborierten Blechbläser mehr, alles etwas geradliniger. Aus tanzbarer, verträumter und groß angelegter Popmusik, die sich nach entbehrungsreichen Grabungen im Schacht des sträflich vernachlässigten Erstlings vor allem auf dem zweiten Album »Yeah« herauskristallisierte, ist jetzt nicht minder tanzbare, aber etwas mehr desillusionierte, vom Träumen müde, gar klassische Rockmusik mit Schlagzeug, Gitarre, Bass geworden. Das ist schroff, das ist treibend, das ist alles andere als schlecht: Der »erdige« Ansatz konterkariert Pluts Stimme nicht, sondern lässt sie sich entfalten und die weniger abstrakte Poesie von »Heute Nacht nach Budapest« gut rezitieren. In besonders schöner Ausprägung erlebt man musikalisches und textliches Geschick bei »Schöne Schuhe«, mit für österreichische Verhältnisse äußerst untypisch gutem Twang heißt es da: »Beim Bäcker, da gibt’s Milchkaffee / In der Frühbar gibt’s den auch / Dass ich dich dort am Morgen treff’ / Das war ja wieder klar«. Viech erzählen ohne Umschweife, ohne unnötige Metaphern von Typen, von Juwelendiebinnen, von nostalgischen Gastarbeitern, von allerhand finsteren Gestalten. Dass eine Zäsur in der Bandbesetzung stilistische Anpassungen hervorruft, ist nicht zu vermeiden – und zeitigt in diesem Fall durchaus erfreuliche Ergebnisse. (VÖ: 6. April) Dominik Oswald
Termine: 31. März, Wr. Neustadt, Triebwerk — 1. April, Wolfsberg, Container 25 — 27. April, Graz, Forum Stadtpark — 19. Mai, Oberwart, OHO — 22. Juni, Linz
Termine: 5. April, Innsbruck, PMK — 6. April, Bludenz, Remise — 7. April, Schladming, Klangfilmtheater — 13. April, Wien, Sargfabrik — 20. April, Graz, Orpheum Extra — 21. April, Villach, Kulturhofkeller.
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Heute Nacht nach Budapest — Phonotron
Gabriel Hyden, Lucas Gerstgrasser, Philipp Friedrich
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Sugarcoat — Numavi
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Rezensionen Musik 11. – 14. 4. 2018 Frankfurt am Main
ts sichern, Online-Ticke sparen: bis zu 25 % se.com e musikm s
Young Krillin & Crack Ignaz Bullies in Pullis II — Hector Macello
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»Was soll ich euch erzählen? Things are changing. Die Welt dreht sich nun mal«, erklärt der von FKN SKZ gesprochene Charakter Korinski im zweiten Teil der Rahmenhandlung (»Intermezzo II«) von »Bullies in Pullis II«. Und da er der Gegenspieler von Young Krillin und Crack Ignaz ist, gibt er damit dem neuen Album der beiden Salzburger Rapper gewissermaßen sein antagonistisches Motto – etwas, gegen das man sich stemmt. 2012, das Erscheinungsjahr von »Bullies in Pullis I«, ist schon weiter weg als man auf den ersten Blick für möglich halten würde. Deutsch-Rap und Hip-Hop als Ganzes scheinen in einer hektischen Innovationsschleife gefangen zu sein und wir haben alle mehr gesehen, als wir sehen wollten. Aber wurscht, Krillin und Ignaz haben eine Botschaft für uns: Es ist alles bald wieder gut (»Harakiri Pt. 7«). In den Intermezzi mimen die Rapper zwar die titelgebenden Bullies in Pullis, skrupellose und mit Tigersinnen ausgestattete Gangster, die eigentliche Mission der beiden ist aber nicht ihre persönliche Bereicherung – auch wenn sie das des Öfteren betonen –, sondern eher so etwas wie der Versuch einer Entschleunigung, einer Besinnung. Man könnte beinahe sagen, »Bullies in Pullis II« ist ein im besten Sinne konservatives, wenn nicht sogar wehmütiges Album. Möglich wird das einerseits durch die in entspannter Unaufgeregtheit funkelnden Beats von Fid Mella und Clefco, andererseits durch den ungebrochenen Wortwitz und die Verve von Young Krillin und Crack Ignaz. Die größte Qualität des Albums ist aber, dass – bei allem Bestreben, das wohlige Strahlen eines Augenblicks österreichischen Raps wie in Bernstein eingegossen aufzubewahren – nie auch nur der Verdacht auf verknöchertes Realkeepertum aufkommt. (VÖ: 9. März) Gabriel Roland
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Termine Musik
Red Bull Music Festival Am Riesenradplatz im Wiener Prater will man am 9. Mai Genregrenzen verschwinden lassen – rund 30 österreichische Artists teilen sich drei Stages und 15 Waggons in der Luft. Main-, Hip-Hop- und Electronic-Stage sind für Live-Acts reserviert, ein diverses DJ-Line-up wird ergänzend in den Club-Waggons geboten. »Musik für alle« scheint das Motto zu sein: Der Nino aus Wien neben den Wiener Sängerknaben, Mavi Phoenix (Foto) neben Granada, Money Boy neben Klaus Eberhartinger. Gespannt? Wir auch! 9. Mai Wien, Prater
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Viktoria Kirner
Nach vier Jahren unerträglich langer musikalischer Abstinenz melden sich Kreisky zurück und veröffentlichen am 17. März ihr fünftes Album »Blitz«. Im Gepäck gewohnt bittersüß-bissiger Pop, der lebendiger klingt als je zuvor. Wer das Warten bis zum lang ersehnten Tourauftakt nicht mehr durchhält, hat zuvor noch die Gelegenheit, die Jungs im Theaterstück »Viel gut essen« in Wien oder Salzburg zu erleben. 12. April Graz, PPC — 13. April Innsbruck, PMK — 14. April Linz, Stadtwerkstatt — 19. April Wien, WUK
Ingo Pertramer, Lukas Gansterer, Alexander Schneider, Phil Knott, Barracuda Music, Ebru Yildiz, Jamie-James Medina
Kreisky
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Termine Musik Nils Frahm
highlights Do. 05.04 // 20:00 TanzTage 2018
Der unkonventionelle Komponist, Pianist und Producer kommt nach Österreich. Sein Markenzeichen ist die abenteuerliche Verschränkung von zeitgenössischer Klassik mit minimalistischen Elektroklängen. Zarte Melodien treffen auf schneidende Beats, eine einzigartige Mischung aus akustischen und elektronischen Sounds. 28. April Linz, Posthof — 30. April Wien, Konzerthaus
National Dance Company Wales ..................................................
Sa. 14.04. // 20:00 Literatur
Uli Brée zu Gast im LiteraturSalon ..................................................
Sa. 21.04. // 20:00 Indiepop
Shout Out Louds ..................................................
Sohn
Sa. 21.04. // 20:00 TanzTage 2018
Nachdem sich der aus London stammende frühere Wahlwiener mit der unter die Haut gehenden Debüt-EP »The Wheel« und dem Album »Tremors« blitzschnell internationale Aufmerksamkeit sicherte, tourt er nun mit seinem aktuellen Album »Rennen«. Eindringliches aus den tiefen Welten von Electronica und PostDubstep. 3. Mai Dornbirn, Spielboden — 4. Mai Linz, Posthof
São Paolo Dance Company ..................................................
Do. 26.04. // 20:00 TanzTage 2018
Hofesh Shechter Company II
Mit 24 Jahren ist die Britin bereits eine fixe Größe am Hip-HopHimmel. Sie nennt ihre Musik Experimental Rap, der neben HipHop auch im Grime verwurzelt ist und Einflüsse wie Jazz oder Klassik durchscheinen lässt. Auf ihrem aktuellen Album »Stillness In Wonderland« rappt sie gegen ihre Ängste und Zweifel, allen voran aber gegen die Welt an. 9. Mai Wien, Flex
Bild: Rahi Rezvani
Little Simz
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Fr. 27.04. // 20:00 Kabarett
Cigarettes After Sex Kaum zu glauben, dass die 2008 gegründete Ambient-Pop-Band erst letztes Jahr ihr Debütalbum veröffentlichte, touren die Vier doch bereits seit 2015 äußerst erfolgreich um die ganze Welt. Wie das? Drei Jahre verspätet bescherte eine bis dahin eher unbeachtete EP aus 2012 der Band mehrere Millionen Youtube-Klicks und plötzliche Berühmtheit. 15. Mai Wien, Gasometer
Hagen Rether ..................................................
Sa. 28.04. // 20:00 Neo-Klassik
Nils Frahm ..................................................
Sa. 28.04. // 20:00 HipHop / Brass
Dicht & Ergreifend ..................................................
So. 29.04. // 20:00 Punk / HipHop
Sleaford Mods
Kamasi Washington Bild: Roger Argent
Nach umtriebiger musikalischer Zusammenarbeit des US-Saxofonisten mit Künstlern wie Kendrick Lamar oder Snoop Dogg, lieferte der Neffe der Jazz-Legende Alice Coltrane 2015 ein radikales 3-Stunden-Debütalbum, das als Ode an den Free Jazz der 60er Jahre gefeiert wurde. Derzeit tourt er mit Album Nummer zwei »Harmony Of Difference«. 19. Mai Wien, Konzerthaus ..................................................
Fr. 04.05. // 20:00 Electronic
Sohn ..................................................
Do. 17.05. // 20:00 Kabarett
Gengahr
Shame
Bonobo
Die Londoner Indie-Rocker, deren Name von einem Pokémon inspiriert ist und die nach ihrem hochgelobten Debüt mit Bands wie Deerhunter oder MGMT verglichen wurden, legen am 9. März mit ihrem zweiten Album »Where Wildness Grows« nach und läuten damit ihre Europatour ein. 9. April Wien, Grelle Forelle
Die fünf in London lebenden Jungs von Shame haben im Jänner diesen Jahres ihr Debütalbum »Songs Of Praise« veröffentlicht und liefern damit einen erfrischend rohen und ungestümen Old-School-Post-Punk, der erahnen lässt, dass sie ihrem Ruf als mitreißende Liveband gerecht werden könnten. 8. Mai Wien, Chelsea
Bonobo ist eigentlich Simon Green, der seit Jahren als Musiker, Produzent und DJ die elektronische Musikszene aufmischt. Ob Soundtracks für Film, Serie oder Werbung, Live-, Video- oder Studioalben, ob solo als DJ oder auf Tour mit seiner Liveband, Bonobo hat all das und noch mehr im Repertoire. 24. Mai Wien, Arena
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Florian Scheuba: Folgen Sie mir auffällig! ..................................................
Do. 24.05. // 20:00 Singer / Songwriter
Scott Matthew ..................................................
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Termine Kunst
Tom Jacobi
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Mit den Fotos seiner letzten Bilderserie »Grey Matter(s)« begab sich der Fotograf Tom Jacobi ausschließlich in fotografische Graubereiche, die es ihm gelang mit Abenteuer und Reiselust aufzuladen. Häufig an der Schwelle von Nacht zu Tag fotografiert, erheben sich in seinen Bildern oft nur schwach konturierte Naturgewalten aus ihrer gleichsam dunklen wie düsteren Umgebung. Seine Fotos sind in der Regel menschenleer und lassen deshalb mehr Raum für Natur, die diesen auch, auf oft surreal wirkende Weise, ausfüllt. Ein schöner Beweis dafür, dass sich die Farbe Grau aus ihrem üblichen Bedeutungskorsett herauslösen lässt, um auf faszinierende Weise die Vielfalt der Natur und die Lust am Reisen zu transportieren. Ab 18. März Wien, Galerie Ostlicht
Rachel Whiteread Mit ihren Plastiken versucht die britische Künstlerin Rachel Whiteread Leere greifbar und damit auch irgendwie begreifbar zu machen. Als erste Frau gewann sie den prestigeträchtigen Turner-Preis und vertrat 1997 Großbritannien bei der Biennale in Venedig. Das Belvedere 21 lässt die Besucher erstmals auch in Österreich einen Querschnitt ihrer bisherigen Arbeiten erkunden, mit denen sie eine faszinierende Welt des poetischen Minimalismus auszumachen versucht. Meist sind es industrielle Materialien wie Gips, Beton, Harz, Gummi, Metall und Papier, die Whiteread für ihre ebenso intimen wie monumentalen Abgüsse von Leerräumen verwendet. Ein besonderer Ausstellungsschwerpunkt liegt auf dem Holocaust-Mahnmal, das im Jahr 2000 auf dem Judenplatz in Wien enthüllt wurde. Bis 29. Juli Wien, Belvedere 21
Keith Haring Oft unbemerkt, aber stets präsent begleiten Keith Harings Figuren jeden, der sich mit zumindest halboffenen Augen durch amerikanische und europäische Großstädte bewegt. Niemals mit erhobenem Zeigefinger, aber immer mit eindeutigen und aussagekräftigen Gesten weisen sie auf soziale Ungerechtigkeiten hin und halten zu Veränderung an. Sein Einfluss ist jedoch nicht nur räumlich zu spüren, sondern schlägt sich auch in den Arbeiten seiner ZeitgenossInnen und jenen der nachfolgenden Künstlergenerationen nieder. 2018 wäre Haring 60 Jahre alt geworden – zu diesem Anlass widmet ihm die Albertina eine umfassende Einzelausstellung, die den gewichtigen Titel »The Alphabet« trägt. Ab 16. März Wien, Albertina
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The Last Day Aus dem Titel geht bereits hervor, dass »Ganymed Nature«, siebter Teil der Ganymed-Serie des KHM, die Natur in den Fokus rückt. Dafür lässt der Fotograf Helmut Wimmer in seinem Teil der Ausstellung, der Fotoausstellung »The Last Day«, die Natur auf künstlerische, beinahe schon poetische Weise über die Kunst und das Kunsthistorische Museum hereinbrechen. Obwohl sich in der allgemeinen Auffassung Kunst und Natur diametral gegenüberstehen, prallen sie bei Wimmer dennoch nicht im Streit aufeinander, sondern treten in einen Dialog, bei dem es auch um Umweltkatastrophen geht. Wenn plötzlich Erde und Wasser die Säle des KHM bedecken und Gehölz antike Büsten einnimmt, wird der Kultur- plötzlich zum Naturraum und der Museumsbesuch zu einem Moment der Stadtflucht. Bis 31. Dezember Wien, Kunsthistorisches Museum
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Termine Festivals
2006
…fand die erste Maker Faire statt. Und zwar im kalifornischen San Mateo. Zehn Jahre später war es dann auch in Wien soweit und die erste Maker Faire Vienna ging über die Bühne. 2018 öffnet die Maker Faire Vienna in der METAStadt ihre Pforten. 5. bis 6. Mai Wien, Metastadt
Wenn eigenwilliges, zeitgenössisches und gesellschaftspolitisches AutorInnenkino aus ganz Europa in Linz zur Hauptsache wird, dann findet – wie immer im April – das Crossing Europe Festival in der oberösterreichischen Landeshauptstadt statt. Seit 2004 hat sich das Festival der Vielgestaltigkeit des europäischen Kinos verschrieben und geht damit auch das Versprechen ein, Filmen, die im allgemeinen Kinobetrieb oft keinen Platz finden, eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Das Crossing Europe Festival will dabei nicht nur ein außergewöhnliches Filmevent von überschaubarer Größe sein, sondern auch Filme präsentieren, die eigentlich nicht übersehen werden sollten. Die Festivalleitung liegt, wie in den vergangenen Jahren auch, bei Christiane Dollhofer. 25. bis 30. April Linz, verschiedene Festivalorte
Let’s Cee Filmfestival
Sarah Wetzlmayr
Helmut Wimmer, Christoph Thorwartl, Tristram Kenton
Obwohl man aufgrund der historischen und geografischen Nähe etwas anderes vermuten würde, finden Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus Zentral- und Osteuropa in den heimischen Kinos nur sehr wenig Platz. Dieser Lücke hat sich das Let’s Cee Filmfestival angenommen und verfolgt deshalb das Ziel, gerade diese Filme zu verbreiten und damit zu größerer internationaler Akzeptanz zu führen. Darüber hinaus versteht es sich auch als Forum für Diskussion und Austausch. 13. bis 22. April Wien, verschiedene Kinos
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Crossing Europe
Forward Festival Jahr für Jahr werden auf den Forward Festivals nicht nur Erfolgsgeschichten geschrieben, sondern diese auch nacherzählt und diskutiert. Die weltweit besten Köpfe aus Design, Kreativität und Kommunikation teilen ihre Erfahrungen mit den BesucherInnen, die in Workshops und Talks auch diskutiert werden können. In diesem Jahr unter anderem mit Paula Scher, Snøhetta, Matt Lambert und Gavin Strange.Von 26. bis 27. April Wien, verschiedene Locations
Wiener Festwochen Die Wiener Festwochen schaffen es Tradition zu haben, aber so geschickt damit zu spielen, dass sie Jahr für Jahr den Begriff von seiner Verstaubtheit befreien. Unter der Leitung von Tomas Zierhofer-Kin, die er im letzten Jahr von Markus Hinterhäuser übernahm, wurde selbst das letzte Staubflankerl von Programm und Ausrichtung der Festwochen geblasen. Dabei soll es nie darum gehen, die Welt zu verstehen, sondern die Bühne als ein Ort verstanden werden, der parallele Welten möglich macht und es damit erlaubt Utopien zu entwickeln, die tradierte Normen in Frage stellen. Das soll aber nicht innerhalb fixer Genregrenzen passieren, sondern auch Platz für Musiktheater, Performance, Bildender Kunst, Musik, Medienkunst und Film schaffen.11. Mai bis 17. Juni Wien, verschiedene Locations
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C’est la Mü Festival Das C’est la Mü Festival ist der beste Beweis dafür, dass ein gutes Glas burgenländischer Rotwein der Beginn von etwas völlig Neuem sein kann. So ist nämlich auch dieses Festival entstanden, das 2015 erstmals über die Bühne der burgenländischen Cselley Mühle in Oslip ging. Nicht nur Musik, sondern auch Literatur und Kleinkunst finden hier einen Platz. 26. Mai Oslip, Cselley Mühle
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Termine Kino I, Tonya Regie: Craig Gillespie Die Eiskunstläuferin Tonya Harding war in Ungnade gefallen, nachdem ihr Mann gemeinsam mit ein paar bezahlten Schlägern ihrer Konkurrentin Nancy Kerrigan ein Bein gebrochen hatte. Die Autobiografie mit Margot Robbie erzählt von einem tragischen Leben und einer Frau, die eigentlich nur einen Traum hatte. Start: 23. März
Loveless
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Lady Bird Regie: Greta Gerwig ———— Sie öffnet die Tür und lässt sich während der Fahrt hinausfallen, die Lenkerin beginnt zu schreien. Das ist nur eine der vielen Szenen, in denen sich sowohl Christine McPhersons (Saoirse Ronan) Exzentrik als auch die Beziehung zu ihrer Mutter Marion (Laurie Metcalf) gut zeigen. Dem Vorfall ist ein Gespräch über die Perspektiven der jungen Frau, die rote Haare trägt und sich selbst den Namen Lady Bird gegeben hat, vorausgegangen. Die Tochter will an der US-Küste leben, sie will Kultur und nicht mehr die katholische Highschool, die sie besucht, erleben. Die Mutter will Stabilität, Sicherheit und weniger Drama. Greta Gerwig, die bereits als Schauspielerin in Filmen wie »Frances Ha« ihr Talent bewies, konnte mit ihrem (alleinigen) Regiedebüt »Lady Bird« Kritik und Publikum gleichermaßen begeistern. Start: 19. April
Regie: Andrey Zvyagintsev Als ihr gemeinsamer Sohn, der verschlossene Alyosha (Matvey Novikov), verschwindet, müssen Boris (Alexey Rozin) und Zhenya (Maryana Spivak), deren Ehe kurz vor dem Aus steht, zusammenarbeiten und sich auf die Suche nach ihm begeben. »Loveless« gewann 2017 den Preis der Jury in Cannes. Start: 29. März
Lucky Regie: John Carroll Lynch Der betagte Lucky (Harry Dean Stanton) liebt es, alleine zu sein und jeden Tag seiner Routine nachzugehen. Nach einem Schwächeanfall beginnt er, vermehrt über den Tod nachzudenken. David Lynch ist in der Rolle des Weirdos Howard zu sehen, für Harry Dean Stanton war es eine seiner letzten Rollen. Start: 6. April
Stronger Regie: David Gordon Green Basierend auf dem gleichnamigen Roman wird die wahre Geschichte von Jeff Bauman (Jake Gyllenhaal) erzählt, der bei dem Bombenangriff auf den Boston-Marathon beide Beine verlor und anschließend zu einem Symbol für Hoffnung wurde. Gyllenhaal wurde für diese Rolle mit dem Hollywood Actor Award ausgezeichnet. Start: 20. April
Regie: Wes Anderson ———— Wes Anderson ist auf den Hund gekommen. Auf animierte Hunde eigentlich, die die ProtagonistInnen von »Isle Of Dogs« sind. Als Eröffnungsfilm der Berlinale bescherte er Anderson den Silbernen Bären für die Beste Regie. Anderson betrat 2009 Animationsgefilde und brachte in »Fantastic Mr. Fox« Füchse auf die Leinwand. Bekannt ist der studierte Philosoph einerseits als Ästhetikaficionado, andererseits sind es die berühmten Namen, die öfters in seinen Projekten auftauchen. Auch dieses Mal sprechen (im Original) Langzeitkreativpartner wie Bill Murray und Edward Norton Rollen, aber auch Scarlett Johansson und Greta Gerwig. »Isle Of Dogs« erzählt, wie Atari Kobayashi (Koyu Rankin) seinen Hund auf der Insel Trash Island, auf die nach einer Epidemie alle Hunde der Stadt verbannt wurden, sucht. Start: 4. Mai
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Solo: A Star Wars Story Regie: Ron Howard 41 Jahre nach »Krieg der Sterne« und knapp zwei Jahre nach »Rogue One: A Star Wars Story« läuft nun der zweite Ableger der »Star Wars«-Filmreihe an. Erzählt werden die Abenteuer des jungen Han Solo (Alden Ehrenreich) – natürlich auch mit Chewbacca (Joonas Suotamo) und Lando Calrissian (Donald Glover). Start: 24. Mai
Barbara Fohringer
Isle Of Dogs
Regie: Christian Petzold Soeben noch auf der Berlinale zu sehen, kommt »Transit«, der Flucht und Migration verhandelt, im Mai auch bei uns in die Kinos. Georg (Franz Rogowski) flieht vor den deutschen Truppen nach Marseille, doch hier kann er nur kurz bleiben. Die Adaptierung eines Romans von Anna Seghers ist aktueller denn je. Start: 4. Mai
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Illbilly
frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus
Es ist schon einige Jahre her, so um 2002 herum, da verdingte ich mich in einem sehr bekannten Wiener Programmkino als Billeteur. Da es das Kino noch gibt und es auch sehr gut läuft, ist es besser, über Details den Teppich des Schweigens auszubreiten. Es war das Votivkino. Eben habe ich überlegt, ob »unter den Deckmantel kehren« schöner gewesen wäre als der »Teppich des Schweigens« – nun, ich kann es nicht sagen. Was ich aber mit Bestimmtheit weiß, ist, dass ich mir die Stunden meiner Billeteurschichten oft auch damit vertrieb, Stilblüten und Bildbrüche zu fabrizieren. Zu meiner persönlichen und ganz privaten Erheiterung freute ich mich über jeden Funken, der das Fass zum Überlaufen brachte. Weil, in der Retrospektive muss man schon sagen: So richtig herausfordernd ist es nicht gerade Karten abzureißen, Plakate auf- und umzuhängen und ein bisschen Lautstärke im Saal zu pegeln. Ja selbst die Erniedrigung, die ich in mir spürte, wenn ich nach den Vorstellungen mit Bartwisch, Besen und Schaufel durch die Reihen ging, um das verfickte Popcorn von den ganzen Dreckswichsern wegzukehren, die es anscheinend nicht schaffen es unfallfrei in ihre dummen Mäuler zu stopfen, legte sich mit der Zeit. Auch weil ich schnell merkte, dass es mitunter genügt, die weißen Störenfriede mit Beinarbeit unter die Sitze zu spitzeln. Ich war, was soll man sagen, sicher nicht der beste Billeteur, aber ich hatte so meine Tricks, um den Schein zu wahren. Zur intellektuellen Stimulation durfte ich mir damals jedenfalls die schönsten und besten Programmkinofilme reinpfeifen und ähnlich oft war ich nur noch im Kino, als ich eine Zeit lang ziemlich häufig über Filme schreiben durfte und zu Pressevorführungen eingeladen wurde. Aber die waren leider immer vormittags und die Journalisten und Filmkritiker, die sich dort einfinden, sind eine verschworene Gemeinde, die fast ausschließlich aus Lurchen besteht. So
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etwas will man sich auch nicht unbedingt öfter als nötig aussetzen. Verschroben at its worst! Wobei, nichts ist so schlimm wie jener Schlag Kinobesucher, der beim Kartenkauf grundsätzlich verweigert, den Titel des Films, in den er gehen möchte, zu nennen. Stattdessen wird der Name des Regisseurs gedropt. »Ein Mal Chabrol bitte.« »Gibt’s für den neuen Haneke noch was im hinteren Drittel an Seite?« »Ist die Glawogger-Doku eh noch nich ausverkauft?« »Malick!!« Ja so was hörte ich oft und da ist es nicht einfach innere Ruhe und Gleichmut zu bewahren. Zum Glück hatte ich aber sehr sympathische und liebe Kollegen, die für kleinere Scherze, die wir auf dem Rücken des Publikums austrugen, stets offen waren. Unvergessen etwa unser heiteres Spielchen »Pipi-Bingo«, bei dem wir darauf setzten, wer die Harnblasenschwächlinge im Saal sind und sicher im Laufe des Films einmal kurz raus müssen. Dasselbe Spielprinzip wie beim »Tränen-Lotto« übrigens, bei dem wir darauf wetteten, wo denn die Heulsusen sitzen, wenn so mancher Film zu seinem todtraurigen Ende geführt wird. Ich schrammte auch einmal ziemlich knapp am hochkantigen Rauswurf vorbei. Im Rahmen eines Filmfestivals nämlich, von dem ich leider nicht mehr weiß welches, wurden kartonweise chinesische Glückskekse angeliefert, in denen berühmte, aber auch lahme und ausgelutschte Filmzitate steckten. Zum Beispiel irgendwas von Woody Allen oder Clint Eastwood oder Charlie Chaplin und so. Ich sah es als meine Pflicht an, in einige dieser Glückskekse Zettelchen mit besseren Sprüchen zu stecken. Tja, diese Art von Pflichtbewusstsein sorgte für Kontroversen, als sich die ersten Festivalbesucher über die kleinen Spruchbänder in den Keksen beschwerten, auf denen dann Sachen wie das da stand: »Es ist kein Zufall, dass die mit den großen Köpfen immer vor Ihnen sitzen.« Oder das da: »Sie werden diesen Film
niemals verstehen.« Oder auch so was: »Hör auf mit dem Popcorn und/oder Sportgummi zu rascheln, du Sau!« Weniger gefährlich für den Job, aber genau so lustig, war die Liste, die wir führten, auf der vermerkt wurde, wenn jemand einen Film falsch aussprach. Einfach, weil es so oft vorkam. Für Pedro Almodovar »Habla con ella!« konnte man etwa die Tickets falsch auf Spanisch (»Habla con echa!«) oder auch auf Deutsch (»Sprich mit mir!«) kaufen. Der Film, der aber definitiv am öftesten von Kinogängern einen neuen, aber falschen Titel verliehen bekam, war Michael Moores Anti-NRA-Film »Bowling for Columbine«. Aus Gründen der Fluffigkeit seien hier die häufigsten Fehlleistungen bei diesem oscarprämierten Doku-Erfolg in Form einer Liste angeführt. Diese Liste soll als Abspann dienen, denn die Kolumne ist hier jetzt aus. Bowling for Columbia Bowling for Colombo Bowling for Columbo Bowling for Colon Bowling for Columbus Bowling for Kolumbien Bowling for Colorado Bowling for Colonists Einmal die Doko von Roger Moore Einmal die Doko von Dieter Mohr. www.facebook.com / illbilly
Jakob Kirchmayr
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