The Gap 176

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AUSGABE AUGUST / SEPTEMBER 2019 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1052 WIEN, P.B.B. | GZ 18Z041505 M


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Freier Eintritt! The_Gap_176_001-068_Cover.indd BKW19_Anz_210x280_THE GAP.indd 21

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i e r e u a r B r e g n i r k a t t in der O Alle Infos zur Veranstaltung sowie den aktuellen Wochenplan gibt’s hier:

#BKW19 #GanzWien

www.ottakringer.at

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Editorial Anxiety Disclaimer

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Markus Raffetseder

Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher

Unser Themenspecial Bühne hat uns für diese Ausgabe einen kleinen Bildungsauftrag beschert. Wer sich nicht Theater- oder Performance-ExpertIn schimpft, hat sich sicher schon die eine oder andere Frage gestellt, die unsere AutorInnen auf den nächsten Seiten beantworten: Warum ist das Burgtheater so iconic? (Magdalena Hiller ab Seite 42) Mir fällt nie ein Tipp für meine Klagenfurter FreundInnen ein, was spielt’s da eigentlich? (Oliver Maus ab Seite 32) Und warum sind eigentlich echt ständig alle nackert? (Astrid Exner ab Seite 36)

Chefredaktion Theresa Ziegler

Wir haben uns für diese Ausgabe aber entschieden, noch einem anderen Thema eine große Bühne zu geben. Nämlich der Anxiety, die durch das Vergleichen mit anderen Kulturschaffenden entsteht, befeuert durch den Ausblick, dass einen der eigene Lebenslauf nicht als Overachiever qualifiziert. Im Zuge unserer Coverstory »30 über 30« haben wir zu Menschen, von denen wir schon vorher wussten, dass sie großartig sind und ebenso großartige Dinge tun, einen ganz eigenen Zugang gefunden. Es ging plötzlich darum, was eigentlich Erfolg sein soll, wie man Struggles übersteht, wie es wirklich aussieht, von Kulturarbeit zu leben, und wie man darüber ehrlich reden kann – in einer Branche, in der es sonst vor allem darum geht, die nächsten Projekte möglichst ganzheitlich zu promoten.

KolumnistInnen Astrid Exner, Illbilly, Gabriel Roland

Auch wenn unsere Auswahl an »30 über 30« versucht, einen Gegenpol zum Schnelligkeitsdiktum und zur Torschlusspanik der bekannten Listen zu schaffen, sind wir subjektiv. So wollen wir uns an dieser Stelle ganz unbedingt auch für alle Personen aussprechen, die mit ihrem Tun und Schaffen nicht die Anerkennung bekommen, die sie sich wünschen und die sie verdient haben – egal welchen Alters. Ohne das Fass der Diskriminierung gänzlich aufzumachen, steckt hier oftmals Strukturelles statt individuelles Ungenügen dahinter. Wir Medien vergessen außerdem auch leider manchmal, dass hinter jedem Projekt mindestens ein Mensch steckt. Aber eines kann einem wirklich niemand nehmen: den Hype, mit dem man sich selbst feiert.

Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien

Theresa Ziegler

Chefredakteurin • ziegler@thegap.at @raverresi

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Leitender Redakteur Manfred Gram Gestaltung Markus Raffetseder AutorInnen dieser Ausgabe Benji Agostini, Astrid Exner, Barbara Fohringer, Felicitas Freygöbl, Clara Gallistl, Pia Gärtner, Julia Gramm, Magdalena Hiller, Oliver Maus, Martin Mühl, Nadine Obermüller, Michaela Pichler, Sarah Wetzlmayr

FotografInnen dieser Ausgabe Fabian Gasperl, Jacqueline Neubauer, Nikolaus Ostermann Lektorat Jana Wachtmann Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Thomas Heher (Leitung), Martin Mühl Distribution Wolfgang Grob Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher

Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Raiffeisen Bank, IBAN: AT67 3200 0000 1160 0756, BIC: RLNWATWW Abonnement 6 Ausgaben; Euro 21,— www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der HerausgeberInnen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent / die Inserentin. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Magazin 012

30 über 30 Kulturschaffende in Österreich über selbst definierten Erfolg in jedem Alter

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Bald auf den Bühnen Die Theatersaison 2019/2020 Und plötzlich ist der BH weg und die Brüste können fliegen Nackte Körper im zeitgenössischen Tanz

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Im Sommer dann heim nach Linz Eine Theaterbegegnung zwischen Wien und Oberösterreich Gnädige Frau, ihre Karte bitte! Kleines Lexikon des Wiener Theaters

Theresa Rauter, Clemens Fantur, WikiCommons / Peter Wiegel, privat, Pia Gärtner

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Theresa Rauter, Clemens Fantur, WikiCommons / Peter Wiegel, privat, Pia Gärtner

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Jacqueline Neubauer Eigentlich gehört Jacqueline Neubauer auch auf unsere »30 über 30«-Liste. Die 36-jährige Fotografin aus Wien hat nämlich noch so einiges an spannenden Projekten vor sich. Zuletzt hat sie die 14 unserer 30, die ihr am Cover seht, in Szene gesetzt. Und momentan gründet Jacqueline zusammen mit der Kuratorin Alexandra-Maria Toth den Verein Spouse, der nationalen und internationalen Austausch zeitgenössischer Kunst fördern will. Ganz eigentlich würde sie aber gerne in Italien am Meer leben und jeden Tag rohen Fisch essen.

Benji Agostini

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Benji hat gerade sehr viel mit Musikvideos zu tun – als Moderator von Frames, der Kinoreihe für musikalisches Bewegtbild, oder auch selbst als Gesicht im letzten Werk von Anger. Seit seinem Praktikum bei uns 2012 schreibt er aber auch immer wieder seine Meinung zu Musik ohne Video auf. Die Deadline für seine Rezension hat er dieses Mal wegen eines Tattoo-Termins ein bisschen überzogen. Es sei ihm und seinen Schlangen am Brustkorb verziehen.

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Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Charts 044 Wortwechsel 046 Workstation: Studierende am Max Reinhardt Seminar Maja Degirmendzic 050 Prosa: Marc Carnal 052 Gewinnen 053 Rezensionen 058 Termine

Kolumnen

»The Cut« ist The Gaps Antwort auf den »Bravo Starschnitt« unserer Jugend. In dieser und den kommenden Ausgaben liefern wir euch einen Print des Künstlers Peter Phobia in vier Teilen. Ihr müsst diese nur gewissenhaft an der gekennzeichneten Linie ausschneiden und mit einem Klebemittel eurer Wahl zusammenfügen.

Teil 3: The Gap #177

Teil 4: The Gap #178

Peter Phobia ist in Deutschland aufgewachsen, studierte an der Angewandten in Wien und lebt mittlerweile in New York. Das Sujet »To Do #2« ist zentral in Peters Buch »Facts And Fiction«, das Fotos zu seinen aktuellsten Ausstellungen sammelt und bei Pool Publishing erschienen ist.

009 Einteiler: Gabriel Roland 010 Gender Gap: Astrid Exner 066 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly

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„CHUCKY IST ZURÜCK. SO SCARY WIE NOCH NIE.“ KINO&CO

Charts Friedrich Moser TOP 10

Bierstile 01 Sour Double IPA 02 Geuze 03 Double IPA 04 Rotes Zwickl 05 Bitter 06 Amber Ale 07 IPA 08 Pale Ale 09 Zwickl 10 Helles

TOP 03

Doku-Regisseure 01 Adam Curtis (»Hypernormalisation«, »The Century Of The Self«, …) 02 Errol Morris (»The Fog Of War«, »The Unknown Known«, »Tabloid«, …) 03 Asif Kapadia (»Senna«, »Amy«, »Maradona«, …) Auch nicht schlecht: Pop/Rock/Electronic-Bands aus Oberösterreich Friedrich Moser ist Filmemacher und Journalist. Seine neueste Doku »Bier! Der beste Film, der je gebraut wurde« läuft am 30. August in den Kinos an.

Charts Nadine Obermüller TOP 10

TOP 03

Originelle Babynamen 01 Mömax 02 Universal 03 home24.at Auch nicht schlecht: Knoblauch in allen Lebenslagen

www.constantinfilm.at

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Nadine Obermüller ist Ü30, schreibt gelegentlich für The Gap und führt einen leistungsdesorientierten Watchblog für betroffen machende Schaufenster.

Filmladen Filmverleih, privat

AB 18. JULI NUR IM KINO!

Guilty Pleasures 01 »Say What You Want« von Texas 02 »More Than A Feeling« von Boston 03 »Bellini« von Samba De Janeiro 04 »Feel« von Robbie Williams 05 »Everybody« von DJ Bobo 06 »Absolutely Everybody« von Vanessa Amorosi 07 »La Bomba« von King Africa 08 »Something« von Lasgo 09 »Endless Summer« von Scooter 10 »Rendez-Vous« von Culture Beat

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Congo Stars

Connected. Peter Kogler with ...

George Antheil with Friedrich Kiesler with Hedy Lamarr with Fernand Léger with museum in progress with Otto Neurath with Charlotte Perriand with Franz Pomassl with Winfried Ritsch with Franz West ...

Universalmuseum Joanneum

Kunsthaus Graz 28.06.–20.10.2019

Filmladen Filmverleih, privat

Lendkai 1, 8020 Graz, Di – So 10 – 17 Uhr www.kunsthausgraz.at

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PROMOTION

Grandoro – reine Genusssache!

Kein Scherz: Maschek-Satiriker Ulrich Salamun baut auf seiner eigenen Finca im Nebelwald Nicaraguas Kaffee an. Nach der Röstung im Burgenland kommt dieser unter der Marke Grandoro in den heimischen Handel.

Neben Bier ist Kaffee mit Sicherheit das Getränk, das es in den letzten Jahren geschafft hat, bei den KonsumentInnen ein breiteres Bewusstsein als nuancenreiches Genussmittel zu entwickeln. Spätestens seit mehr als ein Third-Wave-Coffeeshop pro Straßenecke aufgemacht hat, ist dieses Bewusstsein auch in Österreich angekommen. Die unterschiedlichen Anbau­ regionen und die Sortenvielfalt, aber auch die handwerkliche Perfektionierung aller Produktionsstufen – vom Anbau über die Ernte und die Trocknung bis hin natürlich zur Röstung – wirken sich auf den Geschmack von Kaffee aus.

Caffé Dolcevita

Ein Espresso-Cuvée aus den Arabica-Sorten Bourbon, Catimor und Caturra — erhältlich bei Merkur

Eine geradezu ansteckende Begeisterung für eben diesen Nuancenreichtum ist schon sehr früh, noch bevor es die neue »Röster­szene« in Wien gab, in Ulrich Salamun ausgebrochen. Dass es den Österreicher schließlich vor gut einem Jahrzehnt sogar in den Norden Nicaraguas verschlagen hat, um dort selbst als Kaffee­bauer aktiv zu werden, kann man aber als eher außerge-

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Kilambé BioNationalparkkaffee Von der Grandoro-Biosphären-Finca Los Alpes im Nationalpark Kilambé — erhältlich bei Denn’s und Reform Martin

wöhnlich beschreiben. War Salamun – nach einer ersten Karriere als Jurist im künstlerischen Bereich – hierzulande doch vor allem als ein Drittel der begnadeten »Drüber­ reder« Maschek auffällig geworden.

Aus Leidenschaft Politisches Kabarett und Kaffeeanbau – gibt es da eine Verbindung? »Ja, man braucht viel Kaffee, um politisches Kabarett zu machen«, so Salamun schmunzelnd, »weil alles immer sehr kurzfristig passiert und just in time produziert wird. Wenn wir uns treffen, um zu proben, nehme ich immer kiloweise Kaffee mit.« Dass seine Zeit für Maschek in den letzten Jahren etwas knapper geworden ist, liegt daran, dass die Kaffeeernte mit der Spielsaison im Theater zusammenfällt. Ursprünglich kam er in den Nullerjahren nach Nicaragua, um dort ein freies Radio aufzubauen, das es immer noch gibt, und er hat dabei Land und Leute kennen­ gelernt. Aus der Leidenschaft für Kaffee entwickelte sich vor Ort ein Interesse

am Anbau und daran, kleinbäuerlichen Kooperativen bei der Vermarktung unter die Arme zu greifen. Seit mehr als fünf Jahren produziert und vertreibt Salamun nun unter dem Namen Grandoro auf einem Teil des Weinguts seiner Freunde, der Topwinzer Gernot und Heike Heinrich selbst Kaffee auf höchstem Niveau – gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern Tobias Radinger, der mit der Kaffeefabrik in Wien für Qualität in Tassen und To-go-Bechern sorgt, und Fotograf Ingo Pertramer, dessen Genussaffinität durch die Foodie-Doku »Ochs im Glas« belegt ist. Das Mission Statement des Kaffeetrios: an die gute alte Zeit des Kaffees anschließen, als dieser noch als Luxusprodukt galt – als ein Produkt, das für ein gewisses Lebensgefühl stand. Mit den fast ausschließlich in Handarbeit und mit einem Augenmerk auf Nachhaltigkeit hergestellten Spezialitäten­kaffees von Grandoro gelingt das den dreien sehr gut. — www.cafegrandoro.com

Grandoro Volcán

Eine Arabica-Mischung mit einem Hauch Robusta aus Nicaragua — erhältlich bei Spar Gourmet

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Als ein Freund von mir vor Jahren von einer Studienreise nach Kirgistan zurückkehrte, hatte er nicht nur jede Menge seltene Vögel beobachtet, sondern war auch im Besitz einer neuen Kappe. Auf der Stirnseite der importierten Kopfbedeckung prangte inmitten ihres dreiblättrigen Signets stolz der Name einer der beiden kirgisischen Religionen: Adidas. (Die andere heißt Audi.) Diese Kappe war – wie aufgeweckte Leserinnen und Leser dieser Zeilen wohl schon vermutet haben – kein Fabrikat des Kolosses aus Herzogenaurach. Gleichzeitig war sie weit

Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

davon entfernt eine der ebenso plumpen wie unautorisierten Kopien zu sein, die man in den mehr oder weniger zwielichtigen Ecken dieser Welt manchmal angeboten bekommt. Nein, ganz in der Art der in Kirgistan traditionellen Mütze namens Kalpak bestand die neue Kappe meines Freundes aus gefilzter Wolle. Nun ist Adidas ja durchaus für innovativen Materialeinsatz bekannt und in der von Yohji Yamamoto für die Marke entworfenen Y3-Linie findet sich sogar tatsächlich ein Hut aus Filz, nichtsdestotrotz steht die kirgisische Kappe in ihrer Materialität vielmehr als stolze Eigeninterpretation denn als Knock-off da. Aber es geht weiter: So wie sich autochthone Herstellungsverfahren mit dem Repräsentationssystem Marke in Verbindung bringen, schlägt sich eine Brücke von der zentralasiatischen zur alpenländischen textilen Kultur. Schlüssel dazu ist die Wolle. Durch das Einwirken von Wärme, Feuchtigkeit, Seife und Reibung lassen sich die Haare des Schafs genauso wie die des Menschen zu einer kompakten Einheit verbinden. Diesen Effekt erlebt man nicht nur, wenn einem ein Wollpullover beim Waschen eingeht, er wird auch gezielt zur Veredelung aus Wollfasern bestehender Stoffe eingesetzt. Diese werden dadurch dichter, ro-

buster und wetterfester, was dem kirgisischen Kuhhirten ebenso zupass kommt wie der österreichischen Sennerin. Obwohl es alles andere als neu ist, dass sich die Schuppen tierischer Fasern unter bestimmten Umständen ineinander verkeilen lassen, ist der Prozess des Walkens selten geworden. Das Wiener Label Rudolf tritt dem entgegen und stellt neben einem wunderbar wolligen, beinahe selbst schafartigen Pullover die abgebildete Schirmmütze aus gewalktem Stoff her. Grundlage dabei sind die Produkte der Inzersdorfer Firma Fritsch, die im Bereich der industriell nutzbaren Pflanzenfärbemittel weltweit führend ist. Noch dazu hat sich das Label selbst einen Radius von 100 Kilometern gesteckt, innerhalb dessen seine gesamte Produktion geschieht. Dafür ist langwierige Recherche und oft mühselige Überzeugungsarbeit in den Kreisen einer gleichzeitig zerfallenden wie überlebenden Textilindustrie nötig. Dabei schärft sich aber auch der Sinn für die Feinheiten der technologischen Lösungen, die das Material und die Gegend hergeben. Das merkt man den Produkten gerade in ihren Details an. So ist etwa im Schirm des wollenen Kapperls die gewalkte Fülligkeit des Stoffes in Reinform zu erleben. Auf eine verstärkende Einlage aus Plastik wurde verzichtet. Die an den Stoffkanten aus dem Inneren des Textils hervortretenden weißen Fasern sind Gestaltungselement und gleichzeitig Zeichen dafür, dass Dank der Verfilzung der Fasern auf einen Saum verzichtet werden kann. Wie die kirgisischen Adidas-FälscherInnen schafft Rudolf es so, nicht einfach ein Schema nachzuarbeiten, sondern es neu zu denken. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab

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Einteiler Warmkapperl

Fabian Gasperl

Die Produkte von Rudolf sollte man sich in Wien bei Indie (Strobelgasse 2), bei den Öster­ reichischen Werkstätten (Kärntner Straße 6) oder im Sight Store (Neubau­gasse 46) genauer ansehen. www.rudolfvienna.com

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

Wie berichtet erklärte mir unlängst in Paris der Gründer eines Tech-Start-ups, er werde nie wieder eine Frau anstellen, weil die ja schwanger werden könne. Ich so: »Is u serious?« Er so: »Ja, das ist einfach meine Meinung und Gleichbehandlungsgesetze sind mir scheißegal.« (Sehr verkürzte Zusammenfassung; wer es genau wissen will, lese in The Gap 175 nach.) Ich vertraue darauf, dass es zumindest unter den geneigten LeserInnen von Genderkolumnen Konsens ist, dass es sich bei diesem Typen – der mit ziemlicher Sicherheit das Resultat einer für ihn so lästigen Schwangerschaft ist – um einen Deppen handelt und dass Weltanschauungen wie diese wirklich nirgendwo etwas zu suchen haben. Schon gar nicht in Branchen, die die Zukunft dieses Planeten mitgestalten.

tumbleweed.gif Bei den ZeugInnen des Wortwechsels im Pariser Meetingraum bin ich mir da leider nicht so sicher. Müsste ich die Situation mit einem GIF bebildern, wäre es der Strohballen, der in einer verlassenen Wildwestlandschaft durchs Bild rollt. Die Grillen zirpten metaphorisch. Kurz: Auf den elitären Meinungsdurchfall des dänischen Start-up-Kerls war keine unmittelbare Reaktion wahrzunehmen, sondern nur betretenes Schweigen. Es dämmerte mir langsam, dass wirklich niemand Position beziehen würde. Passend hätte ich zum Beispiel eine Wortmeldung gefunden wie: »Hier sitzen zur Hälfte Frauen am Tisch und wir halten uns in aller Regel selbstverständlich an Gesetze. Read the room.« Aber Fehlanzeige. Womöglich würde gar am nächsten Tag jemand auf die Idee kommen, mich für die unangenehme Situation verantwortlich zu machen. Vielleicht würde auch eine der unzähligen Variationen von »Du darfst nicht immer so frech sein« fallen. (Diese speziell für Frauen bestimmte gut gemeinte Empfehlung sichert demjenigen, der sie ausspricht, übrigens einen garantierten Platz in der Höl-

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le.) Besser also nichts mehr riskieren, dachte ich. Ich wandte mich dem beruhigenden Licht meines Bildschirms zu und versuchte mich mit Hunde-Memes auf Buzzfeed abzulenken. »25 cute doggos that will save your day« später war zwar der scharlachrote Schleier der Rage vor meinen Augen verblasst, vom Rest des Meetings hab ich dann aber nicht mehr viel mitbekommen.

Feel Good Inc. Erst als wir abends bei einem gemütlichen Dinner in einem kleinen Pariser Café-Restaurant zusammensaßen, war ich gezwungen, wieder ein paar Gedanken an den Tech Bro zu verschwenden. Dabei hätte der Abend so entspannt verlaufen können. Am gegenüberliegenden Tisch saß ein bekannter Künstler, alle würden daheim also etwas zu erzählen haben. Jede Speise zerging mehr auf der Zunge als die letzte. Es war insgesamt sehr #savoirvivre. Aber leider hatte sich der Start-up-Typ einen Platz schräg gegenüber von meinem ausgesucht und verstellte mir die sorgenfreie Sicht auf den einen von den Gorillaz, der nicht Damon Albarn ist. Schließlich drehte sich der Däne auch noch in meine Richtung und ließ die Worte »Ich denke, ich schulde dir eine …« aus seinem Mund purzeln. Einen Augenblick lang war ich überrascht: Will er sich jetzt bei mir entschuldigen? Das wäre ja total untypisch gewesen. Aber ihr ahnt schon, dass er seinen Satz natürlich nicht mit »Entschuldigung« beendete. Oh nein. Er war der fehlgeleiteten Ansicht, er schulde mir eine Erklärung. Seine Miene blieb dabei völlig ernst. Das war kein Scherz! Der Dude war so verblendet, dass er mir tatsächlich seine Genderdiskriminierung mansplainen wollte. Unfuckingfassbar. Mit dem Monolog, der mit Sicherheit gefolgt wäre, wollte ich nicht meine Zeit verschwenden, also lehnte ich sein Angebot so freundlich wie es noch ging ab: »Nein danke,

ich würde lieber den Abend weiter genießen.« Was man dem Start-up-Gründer zugutehalten muss: Er akzeptierte das Nein sofort und ließ mich tatsächlich in Ruhe. Nur leider währte die Entspannung nicht lang, denn in diesem Moment fühlte sich mein Sitznachbar in seiner Männlichkeit verletzt und klinkte sich in die Unterhaltung ein: »Das kannst du doch nicht machen! Du musst ihm eine Chance geben, sich zu rechtfertigen.«

Genug erklärt Okay. Erstens einmal hatte der Typ schon untertags genügend Zeit, sich zu erklären. Es hat ihn ja niemand unterbrochen, er hat sich ganz allein in den Schlamassel hineingeredet. Zweitens frage ich mich, wie eigentlich in so einem Moment ein bislang unbeteiligter Kollege auf die Idee kommt, dass es irgendwie okay sei, mir ungefragt Handlungsanweisungen zu geben. Und ob er das auch so selbstverständlich getan hätte, wenn ich nicht Astrid, sondern Anton gewesen wäre. Und drittens, und das ist am wichtigsten: Ich muss in meiner Freizeit gar nichts. Ich muss vor allem Scheiße keine Plattform geben. Ich muss niemandem zuhören, der Frauen aktiv diskriminiert und damit hausieren geht. Ich muss niemandem zuhören, wenn keine gemeinsame Basis da ist, bei der eine Diskussion überhaupt einmal beginnen kann. Wie etwa, dass Arbeitnehmerinnen die gleichen Chancen verdienen wie Arbeitnehmer. Ich muss Scheiße keine Plattform geben. Meine höchste Bewunderung gilt in aller Deutlichkeit jenen, die derartige Herausforderungen wieder und wieder annehmen, für das Wohl der Gesamtgesellschaft. Aber für meine ganz individuelle Psychohygiene ist es oft die um Welten bessere Wahl, mich umzudrehen und Distanz zur Situation zu schaffen. Es liegt auch Macht in der Entscheidung, jemanden einfach abprallen zu lassen. Genau deswegen gefällt sie den Erklärbären so selten. exner@thegap.at @astridexner

Michael Exner

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Gender Gap Ich glaube, ich schulde dir eine Erklärung

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Michael Exner

CHASTITY BELT(US) DAN MANGAN (CA) MARISSA NADLER (US) IRIS GOLD(DK) SHORTPARIS (RU) THE STROPPIES (AU) INA WEST (PL) PENELOPE ISLES (UK) WORLD BRAIN (FR) BEE BEE SEA (IT) DO NOTHING (UK) JOHN MOODS (DE) DAS MOPED (DE) PETROL GIRLS (AT) GOOD WILSON (AT) ALYONA ALYONA (UA)

THE MAGNETTES (SE) THE BLINDERS (UK) MNNQNS (FR) DRAHTHAUS (AT) TINTIN (DE) OEHL (AT) ONE SENTENCE. SUPERVISOR (CH) NOAIR (SI) PERFECT SON (PL) ANGER (AT) CASSIA (UK) SKETCHES ON DUALITY (AT) VERA JONAS EXPERIMENT (HU) …and many more Festival Pass €47 WWW.WAVESVIENNA.COM valid for all festival shows www.wavesvienna.com

26.-28.SEP.2019

Kultur

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In Österreichs Kulturlandschaft ist nicht nur Platz für KünstlerInnen, die schon in den Kinderschuhen alles ausverkaufen. Wir haben 30 Kulturschaffende ausgewählt, die zeigen, dass jeder Lebenslauf anders aussehen darf und es mindestens 30 verschiedene Arten gibt, »Erfolg« zu definieren. ———— Die jährlichen »30 unter 30«-Listen, zusammengestellt von welchem Medium auch immer, sind aus mehr als einem Grund mitunter toxisch. Wenn sie rauskommen, mischt sich Ungutes in die wohlwollende Neugier, in die ehrliche Bewunderung dessen und das Interesse daran, was KollegInnen leisten. Warum fährt der Anerkennungszug schon im willkürlichen Alter von 30 ab? Exzellenzlisten fetischisieren Hyper-Lebensläufe, und sie befeuern die Angst, es gäbe nur Platz für wenige Auserwählte – nach der überspitzten Devise: Wer mit 25 noch keinen Preis gewonnen hat, sei selbst schuld. Wir alle kennen diese Anxiety, Dinge nicht mehr tun und erreichen zu können, egal aus welchem Grund, den wir aus diesen Listen

als Symptom einer oft zitierten Leistungsgesellschaft interpretieren. Dieses Gefühl hat aber nichts mit dem realen Potenzial der Branchen zu tun: Es gibt auch im kleinen Österreich Platz für mehr als eine Filmproduzentin, mehr als eine Dragqueen, mehr als einen Quereinsteiger, und mehr als eine lustige Frau. Beim Auswählen dieser Liste wollten wir die Vielfalt des Kulturschaffens präsentieren – was unter anderem auch mit je circa einem Viertel Migrations- und LGBTIQ+-Anteil sichtbar wird. Herausgekommen sind 30 Menschen, die sich im Alter rund um 30 entweder um- oder neuorientiert haben, die spannende Dinge hinter, aber definitiv auch noch vor sich haben. Menschen, die nach ihrem 30. Geburtstag eine Solokarriere gestartet, ein erstes Buch geschrieben, eine Firma gegründet, ein Studium begonnen oder vielleicht auch erst mal gar nichts gemacht haben. Barbara Fohringer, Oliver Maus, Nadine Obermüller, Theresa Ziegler

Für das Covershooting diente die Galerie Sophie Tappeiner als Kulisse. Deren Besitzerin steht übrigens – Spoiler! – auch auf unserer Liste.

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Jacqueline Neubauer, Gregor Hofbauer, Johannes Siglär

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Kulturschaffende in Österreich über selbst definierten Erfolg in jedem Alter

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Jacqueline Neubauer, Gregor Hofbauer, Johannes Siglär

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Rumi von Baires Rumi von Baires ist 36, seinen ersten DJ-Mix lud er laut seiner Mixcloud-Seite vor sechs Jahren hoch. Seitdem hat sich für ihn sehr viel getan. Grundsätzlich spielt er alle Genres, seine Expertise und sein Herz liegen aber im House. Als Haus-und-Hof-DJ der Wiener Voguing-Szene hat er sein Wissen über die richtigen Knöpfe und Regler und über die Entstehung seiner musikalischen Bewegung of Choice schon in die unterschiedlichsten Gigs getragen – von der Sophienalpe des Hyperreality Festivals bis hin zur Donnerstagsdemo am Ballhausplatz, gleich nach den Vengaboys. Außerdem ist er Mitveranstalter der neuen Partyreihe A Party Called Jack und ganz außerdem habilitiert er untertags als Psychologe und Sozialwissenschaftler. Auf diesen Kontrast würden ihn viele anreden, doch DJing und Academia sind für Rumi selbst gar nicht so unterschiedlich: »In beiden Fällen braucht man einfach Neugier, Kreativität und die Freude dieses Wissen weiterzugeben (to educate!)«.

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Zwischen Malerei, Installation und Performance changiert der sympathische bildende Künstler Alfredo Barsuglia. Immer wieder macht er den öffentlichen Raum zum Schauplatz, um gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Wertvorstellungen zu reflektieren. »Ich möchte Menschen dazu anregen, über Sachverhalte, Gegebenheiten und die Realität nachzudenken.« So legte er bereits eine künstliche »Mariainsel« in Fürstenfeld an, errichtete einen »Social Pool« in der kalifornischen Wüste und baute ein öffentlich zugängliches kleines Häuschen in Innsbruck als »Hotel Publik«. Für die Zukunft wünscht er sich verpflichtende KünstlerInnenhonorare (»Pay the artist now!«) und für sein eigenes weiteres Schaffen »mehr institutionelle Ausstellungen, um abseits vom Kommerz einem Bildungsauftrag leichter gerecht zu werden.«

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Alfredo Barsuglia

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Claudia Bosse »Ich mache Kunst, Theater, Choreografie, Performance, weil Kunst Grammatiken erfinden kann, die die Gesetze des Alltags und der herrschenden Politik aushebeln können.« Das ist einer der vielen spannenden Sätze, die fallen, wenn man mit Claudia Bosse über ihre künstlerische Arbeit spricht. Seit 20 Jahren leitet sie die Produktionskompanie Theatercombinat und konzipiert Performances als Skulpturen im Raum, in der Zeit. Dabei sind ihre Arbeiten stets mit dem Ort, an dem sie stattfinden, eng verknüpft; um welchen Ort es dabei geht, variiert bei der Wien-basierten, international arbeitenden Künstlerin jedoch stark (die lange Liste der Aufführungsorte umfasst unter anderem Tunis, Kairo, Prag, New York und demnächst auch Jakarta). Konsequenterweise wünscht sich Bosse für die Zukunft, »dauerhaft ein transnationales, mehrsprachiges Ensemble verschiedener Disziplinen und Generationen aufzubauen, welches in Wien und international Archäologien der Gegenwart betreibt«.

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Denice Bourbon Wir haben Denice gefragt, was sie gerne über sich lesen möchte und sie meinte: »Denice Bourbon ist die lustigste Lesbe aller Zeiten!« Superlative sind gar nicht so unangebracht, wenn man bedenkt, dass sie, geboren im Finnland der 70er, Wien ganz schon umräumt – ob als Schauspielerin, Performerin, Musikerin, Anschläge-Kolumnistin, Buchautorin oder Kuratorin. Ihr Künstlerinleben habe aber erst mit 33 begonnen, »davor gab’s nur Proberäume und Dosenbier«. 2017 gründete sie zusammen mit Josef Jöchl den PCCC*, Wiens ersten queeren Comedy-Club. Trotzdem wird Denice nicht müde, neue Projekte zu sammeln wie andere Briefmarken. Ihr Podcast »Now Back To Me! With Denice Bourbon« setzt mit seinem Mission Statement »the norm is queer, the feminism intersectional and the jokes are punching up« alles durch, wofür Denice die letzten Jahrzehnte stand und stehen wird. Zu ihren Highlights zählt aber auch der hier vorliegende Text, der bedeutet, »endlich auf einer Liste zu sein«.

Günther Auer, Ari Yehudit Richter, Mario Kiesenhofer, Elsa Okazaki

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Günther Auer, Ari Yehudit Richter, Mario Kiesenhofer, Elsa Okazaki

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Vivien Sakura Brandl Den mutigen Schritt in die Selbstständigkeit hat Designerin Vivien Sakura Brandl 2007 gemacht, als sie sich den Traum eines eigenen Modeshops mit dem Sight Store erfüllte. Sobald sie sich mit ihrem Geschäft in der Modewelt etabliert hatte, widmete sich die Quereinsteigerin weiteren Herausforderungen. So gründete sie das eigene Label Sightline, für das sie nicht nur eigene Kollektionen designt, sondern seit 2015 auch einmal im Jahr einen Showroom österreichischer Designerinnen im Rahmen der Tokyo Fashion Week organisiert. Neben neuen Projekten, an denen Vivien Brandl gerade arbeitet – unter anderem einer nachhaltigen japanischen Denimkollektion – wünscht sie sich für die Zukunft keine Wiederholung der schwarzblauen Bundesregierung; ein Wunsch, dem wir uns voll und ganz anschließen.

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Jeanne Drach wird im August 33 und heißt eigentlich Nickels. Doch das ist egal, alle kennen sie ohnehin als Jeanne. In ihrem Podcast »Jeannes Heldinnen«, wo sie von der Investorin bis zur Kunsthistorikerin Frauen in allen interessanten Lebensrealitäten interviewt, und als Sängerin der expressiven Popband Kids N Cats, mit denen sie von Popfest bis Electric Spring, von Tokio bis Kiew so einige Bühnen besetzt, hören wir ihre Stimme in den unterschiedlichsten Alternationen und Intentionen. Jetzt, nach »vielen Krisen und Selbstzweifel« hat sie ein Unternehmen gegründet: Das Podcast-Label Oh Wow will deutschsprachige Podcasts mit hauptsächlich feministischen Inhalten fördern und zur Diskussionskultur beitragen. »Ich glaube auch, dass ich weiterhin auf der Bühne mit Tamponkostüm tanzen werde«, meint Jeanne. Das wollen wir auch schwer hoffen.

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Jeanne Drach

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Veronika Eberhart Für das, was sie macht, findet die transdisziplinär arbeitende Künstlerin Veronika Eberhart klare, wenngleich auch überraschende Worte: »Ich lerne.« Das dürfte Rezipierenden ihrer vielfältigen Arbeiten – seien es Video- oder Sound-Installationen, Performances oder Skulpturen – genauso gehen. Schließlich hat Eberhart erfolgreich eine klare Bildsprache aus stets feministischer Position entwickelt. Wobei sie selbst »Erfolg« eine schwierige Kategorie findet: »im Profisport vielleicht geeigneter«. Über anerkennende Auszeichnungen wie den Johanna-DohnalFörderpreis oder den Theodor-Körner-Preis hat sie sich aber schon sehr gefreut. Für die Zukunft wünscht sich Eberhart: »Gesundheit und noch möglichst viel lernen.« Und wir sehr gerne mit ihr!

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Es sei ihr egal, wo sie am Coverfoto steht oder sitzt, man soll nur jedenfalls die Socken von Dalia Hassan sehen können. »Bürgerkurator« Marlene Engel ist bekannt dafür, für alles, was sie gut findet, sichtbar Unterstützung zu zeigen. Meistens arbeitet die 34-Jährige im Kollektiv, auch beim letzten Großprojekt, dem Hyperreality 2019. Beim Aufstellen eines Teams sei ihr Authentizität am wichtigsten – »mit Liebe zum Detail und Größenwahn«. Authentisch ist Marlene selbst nicht nur als Veranstalterin, sie ist auch die Managerin des Beinahe-Eurovision-Acts Hyäne Fischer und möchte diese Art Arbeit in Zukunft weiter angehen. »Ich würde gern mehr Projekte außerhalb Österreichs machen. MusikerInnen, die hier leben, verstärkt helfen, auch international zu performen – womöglich im Rahmen solcher Projekte«, sagt sie. Erfolg ist für Marlene aber nicht nur, dass Hyperreality, Bliss und alle anderen Projekte funktionieren: »Ich hab mal einem Burschenschafter aufs Maul gehauen (glaub ich).«

Veronika Eberhart, Elsa Okazaki, Helmut Wimmer, Mavi Phoenix

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Marlene Engel

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Veronika Eberhart, Elsa Okazaki, Helmut Wimmer, Mavi Phoenix

Alex The Flipper 30 > 30

Milena Michiko Flašar Ihren Figuren, versucht Milena Michiko Flašar, »mit größtmöglichem Mitgefühl« zu begegnen. Konkret heißt das: »sie zwar bloßzulegen in ihren Befindlichkeiten, nicht aber bloßzustellen in ihrer Menschlichkeit«. Ein feiner Zugang, der beim Lesepublikum ankommt. Für den bisher größten Erfolg der 1980 in St. Pölten geborenen Schriftstellerin – ihr zweites Buch – sprechen nicht nur die Fakten (über 100.000 verkaufte Exemplare, Longlist des Deutschen Buchpreises), sondern auch das LeserInnenfeedback: »Bis heute – nach nun schon acht Jahren – bekomme ich positive Rückmeldungen zu ›Ich nannte ihn Krawatte‹, und gerade ist eine tschechische Übersetzung erschienen. Dass das Buch ›weiterläuft‹, es immer weitere Kreise zieht, ist eine unsagbare Freude für mich.« Erfolg bedeutet für Flašar, wenn das, was sie geschrieben hat, gelesen wird und im besten Fall: wenn es gerne gelesen wird. Wir glauben ihr das gerne und freuen uns auf viele weitere Bücher.

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Bei Alex The Flipper ist viel los. Zu sehen ist das an den gefühlt täglich wechselnden Domizilen auf seinem Instagram-Account. Nicht zufällig auf den Bildern zu sehen ist Mavi Phoenix, mit der er seit der Erfolgs-EP »Young Prophet« zur kongenialen TrackTaskforce verschmolzen ist (Label: LLT Records). Dabei ging es musikalisch interessanterweise mit dem Hip-Hop-Projekt Da Staummtisch los, mit dem der gebürtige Linzer zusammen mit seinem Bruder 2009 im Line-up des Donauinselfests spielte. Danach arbeitete der heute 30-Jährige poppiger, releaste erste Solotracks im Netz, die wiederum von Musikblogs aufgegriffen wurden. »Erfolg ist für mich, seinen individuellen Weg zu erkennen und zu gehen. Es sind eigentlich viele kleine Erfolge, die das Gesamte ausmachen«, sagt der Komponist und Produzent. Individuell, herzlich und zeitgeistig – das macht die Handschrift seiner Songs auch aus. Eine Mischung, von der wir noch viel hören werden.

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Gerade frisch 30 geworden, können wir es fast nicht aushalten, was bei Duffy Sylejmani in naher Zukunft alles abgehen wird. Vor 16 Jahren ist sie mit ihrer Familie aus dem Kosovo nach Linz ausgewandert, später studierte sie Kunst in Wien, wo sie das Kollektiv Femme DMC gründete, das sich seither als erste Anlaufstelle für feministischen Rap aus der Hauptstadt etabliert hat. Auf der EP »Qart« präsentiert sich Duffy solo als Dacid Go8lin und als die Ausnahmerapperin und -produzentin, die sie ist. Das sei aber alles nicht immer linear verlaufen: »Auf der Jagd nach Erfolg und Macht musste ich lernen, mein eigenes Ego zu töten, um eine gesunde Beziehung mit der Musik führen zu können. Dabei hab ich gelernt, dass ich meistens mein eigener Feind war und habe mir die Zeit genommen, meinen besten Freund in mir zu finden.«

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Florentina Holzinger »Ich beschäftige mich damit, Formen zu machen, die sich in Zeit und Raum bewegen, und damit, Körpersaft zum Fließen zu bringen«, so die selbst gewählte Tätigkeitsbeschreibung von Florentina Holzinger. Nicht zuletzt aufgrund einer hohen Experimentierfreudigkeit bezüglich des eigenen Körpers gilt die Choreografin als die extreme Nachwuchshoffnung der Performance-Welt – gar als »Galionsfigur der Tanzszene«, wie sie Der Standard bezeichnete. Entschieden unaufgeregter blickt die 1986 Geborene selbst auf ihre bisherigen Erfolge: »Das ist für mich nicht so punktuell zu sagen, weil ich mich eher nicht so erfolgreich fühle generell. Ich denke aber schon, dass ich in vielen Bereichen ur Glück hatte und es deswegen geschafft habe, den Schwindel nicht auffliegen zu lassen, dass ich ja eigentlich echt keine Ahnung hab, von dem, was ich mache.« Florentina, unsere Schwester in Sachen »Impostor-Syndrom«. Als Nächstes kommt bei ihr die Theaterbühne dran. Wir freuen uns.

Muharrem Karakus, Apollonia Bitzan

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Muharrem Karakus, Apollonia Bitzan

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Über Tonica Hunter könnten wir nicht nur diesen Absatz, sondern eine ganze Forschungsarbeit schreiben. Research macht sie nämlich auch – als Beraterin für Kulturen in Bewegung und Kommunikationsexpertin der Nationalbibliothek. In allem, was sie tut, ist Tonica Aktivistin – am liebsten in tausend Kollektiven. Mitbegründet hat sie sowohl Sounds Of Blackness als auch Series: Black. Und sie ist damit sowohl in der Musik- und Tanzszene, als auch im Film und der visuellen Kunst aktiv. Diese vielen verschiedenen Bereiche machen für Tonica aber genau Erfolg aus. »Meine Karriere heute ist so divers wie meine Interessen und trotzdem komplimentierend und ineinander verwoben genug, um einen positiven Einfluss zu haben«, sagt Tonica. So umtriebig wie als Kuratorin ist sie auch als DJ – ein Forschungsfeld, das sie erst nach ihrer Migration nach Wien für sich entdeckt hat. Für die Zukunft wünscht sie sich, »dass es für die Leute immer schwieriger wird, mich in eine Schublade zu stecken«. Bei unserem Shooting trägt sie eines ihrer liebsten Wiener Labels: We Bandits.

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Josef Jöchl Josef Jöchl ist ein extrem lustiger Mensch. Dabei sei es ihm gar nicht so wichtig, dass alle immer seine Witze verstehen. »Alternative Comedy« nennt er selbst das, was er macht. PCCC* (Politically Correct Comedy Club), nennen es alle anderen. Mit 30 begann Josef, geboren in Kitzbühel, ein Drehbuchstudium in München. Später gründete er mit Denice Bourbon den oben genannten ersten queeren Comedy Club Wiens, der heuer eines der Highlights im Popfest-Programm stellt und im kommenden Jahr erste Steps raus aus der Stadt wagt. Erfolg und »ziemlich priceless« ist für den 38-Jährigen zum Beispiel die Vorstellung, dass seine Eltern auf einem Tablet ein Video eines seiner Auftritte ansehen. Auch ein kleines Shitstörmchen anlässlich seines »Game Of Thrones«-Diss’ macht Josef happy. »2004 wollte ich Shouter in einer Electroclash-Band werden, 2007 wollte ich in der Werbung arbeiten. Meine Wünsche für die Zukunft werden also zunehmend vernünftiger«.

Cam Konkwo, Ari Yehudit Richter, Valérie Kommer, Ingo Pertramer

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Tonica Hunter

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Cam Konkwo, Ari Yehudit Richter, Valérie Kommer, Ingo Pertramer

Letztens noch bei den 43. Tagen der deutschsprachigen Literatur ausgezeichnet, nun bei den »30 über 30« vertreten: Julia Jost. Die Theaterregisseurin und Autorin, die ihre Tätigkeit gegenüber The Gap mit »Ich fange Fische« beschreibt, konnte mit ihrem Text »Unweit vom Schakaltal« überzeugen. Fische hat sie beim Ingeborg-Bachmann-Preis wohl keine gefangen, aber der Kelag-Preis ist ja auch nicht schlecht. Jost war Regieassistentin am Thalia Theater und entwickelte außerdem die Hallo Festspiele mit. 2017 inszenierte sie Josef Winklers »Roppongi« am Landestheater Niederösterreich. »Rechtzeitig vorm Sonnenbrand in den Schatten zu wechseln«, so definiert Julia Jost Erfolg. Über sich selbst würde sie gerne Folgendes lesen: »Zig mal getroffen, aber nie wiedererkannt.« Das könnte sich bald ändern.

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Julia Jost

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Voodoo Jürgens Dass der angestaubte Wiener Schmäh in der Popmusik in den letzten Jahren hochdruckgereinigt wurde, haben wir zu ganz großen Teilen diesem Mann zu verdanken. 2016, als Voodoo 33 war, gab es am Album »Ansa Woar« kein Vorbeikommen – für Voodoo selbst jedoch nicht zwingend ein Grund, jenes als seinen bisher größten Erfolg anzusehen: »Die Silbermedaille im Schlagballwerfen in der dritten Volksschulklasse war eins meiner Highlights. Erfolg im künstlerischen Bereich kann man, glaub ich, nicht erzwingen. Manche Dinge gehen einem auf, andere eben nicht. Auf der neuen Platte gibt’s die Textzeile: ›Auf muaß geht gor nix, es muaß si ergeben, und manchmoi muaßt eifohrn, des is so im Lebn, ollas hoib so wüd.‹« Es ist diese Realitätsnähe im Dialekt wie im Künstlerischen, die so zu verzaubern vermag – Voodoo halt. Und was kommt als Nächstes? »Naja, jetzt mal vagabundierend von Stadt zu Stadt ziehen mit neuen Liedern auf den Lippen. Suchend und offen für Neues bleibend, dann passt das schon.« Freude!

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Ian Kaler Für die Tanzbranche, in der alle sehr jung anfangen, sei er schon sehr spät dran gewesen, meint Ian Kaler bei der Pressekonferenz des Impulstanz Festivals. Zusammen mit Jam Rostron wird hier Kalers Reihe »o. T.« mit »Raw Practice« fortgesetzt. Zuerst hat Ian, geboren in Wien, an der Angewandten studiert. Danach erst am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin. Beide Blickwinkel sind immer noch präsent in Ians Schaffen – auf der Bühne, in Videoarbeiten und visuellen Medien. Das meiste KritikerInnenlob bekam er bisher wohl durch seine Choreografie beim Stück »On The Cusp (An der Schwelle)« mit der schwedischen Company Cullbergbaletten, das im Tanzquartier uraufgeführt wurde. In Zukunft sollen noch mehr TV- und Filmformate dazukommen. »Ich habe mich ab einem Alter von 27 Jahren bereits richtig darauf gefreut endlich 30 zu werden und jetzt, zehn Jahre später, bin ich eigentlich noch begeisterter von den 30+ Jahren an Erfahrung. Alter ist sehr relativ für mich – als Transmann bin ich gerade mal fünf Jahre jung«, sagt Ian.

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»Erfolg bedeutet für mich, dass ich, nachdem ich zehn Jahre als Altenbetreuerin gearbeitet habe, als jemand mit Working-Class-Background, nun auf der Uni unterrichte und aufregende Einladungen zu Ausstellungen bekomme«, sagt die Wiener Künstlerin, die textuelle Bildhauerei und Mode studierte und nun auf der Akademie der bildenden Künste in der Lehre tätig ist. 1970 geboren, nahm sie später die Namen ihrer Großeltern an, und glänzt sonst vor allem durch ihre Lust am Fortschritt: »Ich mache derzeit eine Ausbildung zum Life Coach und bin sehr neugierig, was sich dadurch ergibt. Ich sehe dies auch als politisches Feld.« Außerdem entwickle sie ihre Methoden weiter – Wandteppiche, Puppenskulpturen, Schmuck als Körperskulptur – und bereite eine Arbeit für die Biennale von Lyon vor. »Mir ist ein Bewusstsein für die Endlichkeit wichtig. Das Leben wahrzunehmen. Risiken eingehen. Bewegung und Veränderung.« Auf ganzer Linie inspirierend, danke!

Lisa Edi, privat, Kerstin Musl, Ina Aydogan

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Jakob Lena Knebl

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Lisa Edi, privat, Kerstin Musl, Ina Aydogan

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Ankathie Koi Auch wenn sie es selbst wohl nicht mehr hören kann: Kennengelernt haben wir Ankathie Koi zu Zeiten, als sie zusammen mit Judith Filimónova als Fijuka unterwegs war. Mit 30 brachte Ankathie dann ihre erste Solo-EP raus und mit »Kate, It’s Hunting Season« gleich eine Ansage, die sich bis jetzt nicht verneinen lässt. »Ich verstreue hedonistisches Gedankengut für die sexpositive Generation, eingewickelt in neuzeitlichem Diskogewand«, sagt Koi im Bezug auf ihre Musik, die im September das zweite Album füllen wird (siehe auch Seite 56). Dabei zimmert sie sich gerne ihre eigene Schublade, statt sich von außen in eine stecken zu lassen – es soll eben nach Koi klingen. Post-Gender, Post-Genre ist da, wo Ankathie sich wohlfühlt. Und in Zukunft? »Mehr Konzerte. Größere Bühnen. Ich hätte auch gern noch ein Kind!? Die nenne ich auch Kathie. Ob sich das alles ausgeht? Fix!«

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Zugegeben, es wäre eine eklatante Lüge zu sagen, Mira Lu Kovacs hätte erst mit 30 den Grundstein für ihre Musikkarriere gelegt. Spätestens mit Schmieds Puls’ LP »I Care A Little Less About Everything Now« im Jahre 2015: Mira stepped on the scene. In letzter Zeit nimmt die Kovacs allerdings noch mal einiges an Fahrt auf. »Ich liebe die künstlerische Freiheit, die ich mir erarbeitet habe. Dadurch darf ich viele verschiedene Dinge tun, mehrere Personae verkörpern und nicht nur einen Beruf haben«, sagt die Popfest-Co-Kuratorin und Band-Multitaskerin. Sie selbst bezeichnet sich als »lucky hustler«, hinter ihrem Schaffen steht aber noch viel mehr als Glück und harte Arbeit: Mira Lu Kovacs ist bei sich und gut zu sich – and it shows. In Zukunft soll das nicht anders sein: »Ein bissi weniger Hustle und mehr Sicherheiten. Klingt fad, stell ich mir aber fantastisch vor. Es hat wohl was mit dem 30-Sein zu tun, dass mir Sicherheit jetzt so geil vorkommt.«

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Mira Lu Kovacs

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»Mit Bildern, Strukturen und konzeptionellen Methoden Fragen zu stellen und Erfahrungen zu generieren«, so beschreibt der Experimentalfilmemacher Johann Lurf gegenüber The Gap seine Arbeit. Er studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien und produzierte einige Kurzfilme (wie etwa »Cavalcade« oder »Vertical Rush«). Sein Kurzfilm »★« erhielt den Diagonale-Preis für Innovatives Kino; 2019 gestaltete er deshalb den Diagonale-Trailer mit dem Titel »Nationalismus ist Gift für die Gesellschaft«. Sein größter Erfolg bisher? »Gerade vor zwei Wochen beim Midnight Sun Film Festival, welches das erste Mal experimentellen Filmen größere Aufmerksamkeit schenkt, meinen ›★‹-Film gemeinsam mit 500 Leuten zu sehen und deren Begeisterung zu spüren.« Er wolle weiterhin fokussiert arbeiten, so Lurf.

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Tamara Mascara Als Kind war Raphael in der Ballettschule der Wiener Staatsoper, später besuchte er die Modeschule Hetzendorf. Über Jahre hinweg machte sich Tamara Mascara einen Namen in der Szene, anfangs noch plus Brotjob im Verkauf bei Zara. Erst mit einer sicheren Bank an Aufträgen im Rücken machte sich Tamara selbstständig. 2017, mit knapp 30, repräsentierte sie Österreich auf der Pride in Tokio. Ihren größten Erfolg bisher nennt sie die offizielle Afterparty der Europride 2019, »die größte Gay Party, die Österreich jemals gesehen hat«. Dabei ist Tamara bekanntlich nicht nur Veranstalterin, vor allem der Partyreihe The Circus, sondern auch DJ und Modedesignerin (Amanda Lepore soll eines ihrer Stücke besitzen). Seit Kurzem verkauft sie ihre eigene Wimpernkollektion: Tamara Mascara Luxury Eyelashes. »Dragqueens stehen für etwas sehr Aktuelles: Egal wer du bist oder wie du aussiehst, du kannst dich neu erfinden und deine Träume leben«, sagt sie.

Marcin Lewandowski, Tamara Mascara, Magdalena Blaszczuk, Elsa Okazaki

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Johann Lurf

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Katharina Mückstein

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Sudabeh Mortezai Die Filmemacherin und Mitgründerin der Produktionsfirma Freibeuterfilm konnte zuletzt mit ihrem zweiten Spielfilm »Joy« (der nun von Netflix gekauft wurde) reüssieren. Dieser feierte seine Premiere letztes Jahr im Rahmen der 75. Filmfestspiele von Venedig und wurde mit einigen Preisen ausgezeichnet. Sozialkritische Themen liegen ihr – Jahrgang 1968 – sehr am Herzen: »Soziale Themen und Menschen an den Rändern der Gesellschaft interessieren mich besonders.« Auszeichnungen und Lob haben auch für sie weniger Bedeutung als die eigene kreative Integrität, so Mortezai weiters: »Erfolg ist, wenn man für das gesehen und anerkannt wird, was einem wirklich was bedeutet. Wenn man seinen eigenen Weg gehen darf, die eigene Integrität und künstlerische Vision bewahrt und damit andere Menschen anspricht.« Ihr Wunsch u. a.: »spannende kreative Abenteuer«.

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»Ich mache Kino und bin dabei hedonistisch und politisch, unterrichte Film und schreibe, und ich mache Kulturpolitik, wenn es sein muss«, so beschreibt Katharina Mückstein ihre Arbeit. Sie machte mit »Talea« auf sich aufmerksam, 2018 war »L’Animale« im Rahmen der Berlinale zu sehen. Das in »L’Animale« vorkommende Motto »Zweifle. Aber hab keine Angst. Brenne. Und ergib dich nicht.« dürfte auch für Mückstein selbst gelten; zumindest Angst vor Kritik scheint sie nicht (mehr) zu haben: »Mein größter Erfolg ist, dass mir seit einiger Zeit ziemlich egal ist, was andere von mir und meiner Arbeit halten.« Sie wünscht sich »weiterhin den internationalen Austausch über das Filmemachen« und »dass mein Hirn fresh bleibt, der Körper gesund und das Herz offen«. Wir wünschen uns das auch.

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Marcin Lewandowski, Tamara Mascara, Magdalena Blaszczuk, Elsa Okazaki

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»Ich wurde unlängst 63 und wünsch mir noch ein paar Jährchen als emphatisches Trüffelschwein« – diesen Hang zur klugen Pointe kennen wir gut von dem gebürtigen Burgenländer. Seit mindestens zwei Jahrzehnten, genauer gesagt seit 1995, dem Geburtsjahr von FM4, versprüht er jenen als Sendungsgestalter zusammen mit Thomas Edlinger »Im Sumpf« bzw. in der »Grauen Lagune«. Die Augen der Fans der ersten Stunde leuchten spätestens jetzt – und auch off air wird die Liste der sympathischen Projekte nicht kürzer: Seit 2012 ist der Autor, Performer, Musiker und Kurator der künstlerische Leiter der Schule für Dichtung. Und dennoch habe er nie in Erfolgskategorien gedacht, sagt Ostermayer. Man glaubt es ihm sogar, merkt ihm diese Freiheit an. Diese Freiheit, mit der er auf die Frage, was noch wichtig wäre, über ihn erwähnt zu haben, entgegnet: »Zu allem Überfluss hat der Dilettant nun auch noch einen Roman geschrieben. Und man muss zugeben: einen grandiosen.«

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Martin Peichl »Ich schreibe, das heißt: Ich setze mich einer Einsamkeit in der Einsamkeit aus«, so beschreibt Martin Peichl sein Schaffen. Peichl, der auch Deutsch, Englisch und wissenschaftliches Schreiben unterrichtet, kann Preise wie Stipendien vorweisen (u. a. das Wiener Literaturstipendium 2019 und das Hans-WeigelLiteraturstipendium 2018). 2019 erschien sein erstes Buch »Wie man Dinge repariert«. Auf die Frage, was ihm Erfolg bedeute, antwortet er: »Für mich persönlich ist Erfolg immer auch verbunden mit einem Windmühlenkampf gegen die eigenen Erwartungen.« Er arbeite gerade an nächsten Projekten und wolle nicht auf die durch die Literatur in sein Leben getretenen Menschen verzichten; wenn andere sich mit seiner Sprache auseinandersetzen, sei das für ihn die schönste Form der Wertschätzung.

Magdalena Blaszczuk, Alexander Lausch, Andreea Sasaran, Cäcilia Brown

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Fritz Ostermayer

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Magdalena Blaszczuk, Alexander Lausch, Andreea Sasaran, Cäcilia Brown

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Ein Kino ist viel Arbeit, doch eines ist Wiktoria Pelzer nicht genug: Sie kuratiert die Programme im Gartenbau- und im Stadtkino in Wien. Dabei hat sie auch Verantwortung für den hauseigenen Filmverleih und mischt bei Filmfestivals wie dem Crossing Europe mit. Persönliche Highlights bisher waren, Zero-WastePionierin Bea Johnson und Songwriting-Stern Chilly Gonzales in ihre Spielstätten zu holen. Wiktoria lebt also ihren Film und wenn es stressig wird, helfen ihre Unnachgiebigkeit und ihr Optimismus. Dabei verliert sie die Mission nicht aus den Augen: »Ich möchte gerne verbindend arbeiten und in unserer kleinen Szene nicht noch mehr Konkurrenz aufbauen, sondern auf Zusammenarbeit und Kooperation setzen. Jeder und jede muss sich mit eigenen Ideen und Innovationen durchsetzen und sich ein Profil erarbeiten, aber das geht auch, wenn man miteinander spricht.«

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Maruša Sagadin Maruša Sagadin weiß, wie es ist, wenn zwischen Erfolg und Misserfolg nur wenige Punkte und Sekunden liegen. 13 Jahre lang war sie als Profisportlerin tätig – zuerst im alpinen Skisport Sloweniens, dann in der österreichischen Nationalfrauschaft im Basketball. Erst danach studierte sie Architektur in Graz und Bildhauerei in Wien. »Bei der Kunst ist es relativ. Arbeiten, die länger halten, von denen es mir also auch nach Jahren nicht peinlich ist, sie wieder zu zeigen. Alles was nicht nur im Moment, wenn es frisch ist, für Zufriedenheit sorgt«, definiert Maruša Erfolg für sich. Für Herausforderung sorgen Popkulturreferenzen, Genderfokus und performative sowie architektonische Elemente in ihren Skulpturen und Installationen. Als Konstante zieht sich die Verwendung von Farbe durch Marušas Kunst – für die Zukunft wünscht sie sich: »dass ich mir keine Sorgen mache, ob der Lack auf meinen Skulpturen hält, sondern ob das, was dahinter ist, stimmt«.

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»Ich liebe Film und entwickle und produziere diesen mit großer Leidenschaft, sowohl fürs Kino als auch fürs Fernsehen, mit dem Ziel, mit meinen Geschichten das Publikum zu unterhalten und zu berühren«, erklärt uns Constanze Schumann. Dies setzt sie u. a. mit Thomas W. Kiennast und der gemeinsam gegründeten Rundfilm um. »Inside America« von Barbara Eder, ihr erster preisgekrönter Spielfilm, sei dabei das Projekt, das sie bis dato mit dem größten Stolz erfülle. Mit Kolleginnen habe sie zudem Film Fatal gegründet, mit dem Ziel, so Schumann, »Frauen in der Filmbranche zu vernetzen, uns gegenseitig zu stärken und die Arbeitsbedingungen von Frauen zu verbessern«. Aktuelles Projekt: die Implementierung eines Inclusion Riders für mehr Gleichstellung bei Filmproduktionen.

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Sophie Tappeiner Bittet man die Galeristin Sophie Tappeiner, in einem Satz zu beschreiben, was sie macht, antwortet sie: »Durch die Ausstellungstätigkeit das Publikum zu animieren, Dinge und sich selbst zu hinterfragen«, aber auch »den KünstlerInnen, mit denen ich arbeite, auf internationaler Ebene Visibilität, Kontext und Unterstützung zu bieten«. Damit stellt sie gleich jene Menschen in den Vordergrund, die sie in ihrer Galerie im ersten Wiener Gemeindebezirk (An der Hülben 3) ausstellt. Unter anderem diente ihre Galerie auch unserem Covershooting als Kulisse. Tappeiner ist jedenfalls sehr dafür zu danken, einen so spannenden Raum geschaffen zu haben, der kritisch und engagiert Kunstschaffen aus dem Blickwinkel des intersektionalen Feminismus in den Fokus nimmt. Darin dürfte nicht zuletzt ein Teil ihres Erfolgs verankert sein: dass sie die gesellschaftliche Verantwortung des Kulturbetriebs stets im Blick behält.

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Constanze Schumann

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Nikolett Kustos, Sophie Tappeiner

Haltungsübung Nr. 2

Mund aufmachen. Übung macht den Meister. Das gilt auch für unseren Kopf. Wir empfehlen dazu tägliche Haltungsübungen. Zum Beispiel: den Mund aufmachen. Immer und immer wieder. Wir üben das seit 1988. derStandard.at

Der Haltung gewidmet.

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Cornelia Dorfer, »Albastru«, seit 2016 / 17. Foto: Cornelia Dorfer The_Gap_176_014-051_Story_BBA_MF_KORR.indd 31

Plastik ist böse, Plastik ist auch gut. Aber vor allem: allgegenwärtig. In der Ausstellung »Dein Sandwich ist meine Semmel: A Thousand Commitments To Super Glue« werden unterschiedliche Positionen zum Material beleuchtet. ———— Kunststoffe sind überall zu finden: Im Meer, in menschlichen Körpern, in den entlegenen Gebieten der Alpen. Die Menge an Mikroplastik, die ein Mensch im Schnitt wöchentlich zu sich nimmt, liegt bei fünf Gramm – das entspricht einer ganzen Kreditkarte, offenbarte kürzlich ein Forschungsteam der University of Newcastle, Australien. Das bekommt nicht gut. Plastik kann in anderen Kontexten aber auch ganz anders konnotiert sein. Es kann nützlich sein und sogar lebenswichtig. Es kann in Form von Musikinstrumenten oder Spielzeug einfach Spaß machen. Klar ist: Die postindustrielle und kapitalistisch geprägte Erde ist ein »Plastic Planet«, wie Werner Boote 2009 mit seiner gleichnamigen Doku proklamierte. Alltag bedeutet Plastik. Die beiden KünstlerInnen Cornelia Dorfer und Edward E. Kijowski alias Lily Lake sind beide Teil dieser globalisierten Welt. Obwohl sie auf unterschiedlichen Kontinenten zu Hause sind (Wien und New York), ist das Leben beider ganz eindeutig vom vielseitigen Mainstream-Material geprägt. Das spiegelt sich auch in den Zugängen zu ihren jeweiligen Arbeiten wider, in denen sie plastikbedingte Phänomene und deren Auswirkungen auf die Menschheit betrachten und multimedial bearbeiten. Die Idee ihrer gemeinsamen Ausstellung »Dein Sandwich ist meine Semmel: A Thousand Commitments To Super Glue«, die im September in der Galerie 12-14 Contemporary zu sehen sein wird, ist Vermischung und Transformation. Typisch Globalisierung: Eins nimmt vom anderen, vermischt sich und gibt – mal mehr oder weniger verändert – wieder zurück. Durch das Verschieben und Verändern von Kontexten entwerfen die KünstlerInnen Zukunftsvisionen und visualisieren Unsichtbares. Dabei nehmen sie gern Bezug auf ihre eigenen biografischen Hintergründe, wie etwa Fernseherinnerungen aus der Kindheit. Außerdem werden Zusammenhänge von Technologie und sozialer Manipulation thematisiert. Wo Plastik, da Trash nicht weit. Dorfer findet (American) Trash Culture spannend – für sie eine interessante Form einer Idee von Zivilisation und Kultur: »Kaum sonst wo gibt es so viele Hoffnungen, Träume, so viele Gegensätze, so viele Übertriebenheiten, so vieles, was geht – und schief geht, wie in den USA.« In diesem Kontext stellt sie auch moralische Fragen zu Plastik: Was passiert, wenn all das, was wir jetzt kennen und nutzen, längst vorbei sein wird? Werden sich gängige Praktiken der Wegwerfgesellschaft völlig verändern und in 200 Jahren als moralisch verwerflich oder sogar als Verbrechen gesehen werden? Und: Wer darf Plastik? Der Bergiff meint hier also nicht nur das Material, sondern ist auch als Symbol zu verstehen. Alltägliche Situationen (und Materialien) dienen als Quelle ihrer multimedialen Arbeiten. Fast beiläufig und unbeabsichtigt entstehen Skulpturen, zufällig Nebeneinandergelegtes wirkt plötzlich inszeniert. Die Arbeit »Albastru« ist so eine »Zufallsassemblage«: Eine Plastikblume liegt auf blau eingefärbter Schokolade – Farbe ist neben der Beziehung zu Kunst(stoff ) ein weiterer Berührungspunkt der beiden Pia Gärtner KünstlerInnen.

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Cornelia Dorfer: Alltagsassemblage mit Schokolade Wer darf Plastik?

Die Ausstellung »Dein Sandwich ist meine Semmel: A Thousand Commit­ments To Super Glue« ist von 5. bis 27. September in der Galerie 12-14 Contemporary (Schleifmühlgasse 12–14, 1040 Wien) zu sehen.

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Die Theatersaison 2019/2020 Bald auf den Bühnen Die Theater- und Schauspielhäuser Österreichs nutzen die Sommerpause, um sich für die nächste Spielzeit auf Hochtouren zu proben. Wir haben die Programmvorschauen für 2019/2020 durchstöbert und spannende Theaterinszenierungen und Performances herausgesucht, die ab Herbst auf den Bühnen Österreichs zu sehen sind. Dabei sind wir auf Projekte gestoßen, die politischen Diskurs und gesellschaftlichen Aktivismus verhandeln, an der Schnittstelle von Theaterbühne und Digitalität stehen und solche, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich ein Publikum aktivieren lässt.

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Produktionsabläufe und das Selbst im Brux – Freies Theater Innsbruck

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Im Klimadiskurs am Landestheater Vorarlberg »2 Personen. 1 Bühne. 17 Ziele. 1 globale Klima- und Vermüllungskrise, die kaum mehr zu bewältigen ist.« – In Bregenz widmet man sich in der kommenden Spielzeit am Landestheater Vorarlberg sehr ausführlich den Folgen des Klimawandels. Die Thematik Umweltschutz soll vor allem im Hinblick auf mögliche Zukunftsperspektiven diskutiert und ausverhandelt werden. »Who Cares? Welche Krise?« so der Titel dieser Theaterperformance von Daniela Egger, die als begleitende Aufführung zur Zukunftskonferenz »My Future – Who Cares?« stattfinden wird. In Zusammenarbeit mit SchülerInnen und Lehrlingen soll in Workshops, Vorträgen und Aktionen – innerhalb und außerhalb der Theaterräume – Fragen der Nachhaltigkeit nachgegangen werden. Theater als Ort für politischen Diskurs. »My Future – Who Cares?« Projektzeitraum: September 2019 bis Februar 2020 »Who Cares? Welche Krise?« Performance: 4. Februar 2020 Landestheater Vorarlberg, Bregenz

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Das Brux in der Wilhelm-Greil-Straße 23 hat es sich zur Aufgabe gemacht, Infrastruktur – sei es zum Proben oder Aufführen – für die freie Theaterszene in Innsbruck zur Verfügung zu stellen. Speziell mit der Programmschiene »Vorbrenner«, einem Versuchsformat für zeitgenössische Kunst, werden Fördermittel lukriert und interdisziplinäre Projekte von Konzeption bis Umsetzung unterstützt. Im Zusammenhang mit diesem Segment steht auch »How To Protect Your Internal Ecosystem?«, konzipiert von der Medienkünstlerin und Regisseurin Miriam Schmidtke. An der Schnittstelle zwischen Choreografie, Video und Sound Art sollen hier die Produktionsabläufe bei der Erstellung von Computerchips mit der Verortung des Selbst in der Gesellschaft verglichen werden. Damit ist das Posen im alltäglichen Leben gemeint, das einem »Selbstverwirklichungsimperativ« unterliege und als performativer Akt zu einer Art Fließbandarbeit werde. »How To Protect Your Internal Ecosystem?« Projektzeitraum: 3. bis 13. Oktober 2019, Vorstellungen: 11. und 12. Oktober 2019 Brux – Freies Theater Innsbruck

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Lamm-Gottes-Kult am Schauspielhaus Salzburg

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Schriftsteller Michael Köhlmeier hat im letzten Jahr für ein breites Medienecho und reichlich Diskussionsstoff gesorgt, als er beim Gedenkakt des Parlaments an die Verfolgung der JüdInnen zur Zeit des Nationalsozialismus die Heuchelei seitens der FPÖ, die sich gerne als »Beschützer vor Antisemitismus« aufspielt, mit klaren Worten bedachte: »Wer das glaubt, ist ein Idiot.« Im Auftrag des Schauspielhauses Salzburg hat Köhlmeier für die nächste Spielzeit »Lamm Gottes« geschrieben, einen Theaterabend, der nach Vorbild eines Triptychons durch drei in sich geschlossene Geschichten gestaltet ist. Diese sind als Märchen und Parabeln aufgebaut und sollen zu einem Weiterdenken anregen, sodass beim Publikum neben den drei Bildern des Triptychons ein viertes im Kopf entsteht. »Lamm Gottes« ist zudem eine Koproduktion mit dem Kosmos Theater in Bregenz und wird dort bereits im November zu sehen sein. »Lamm Gottes« Premiere: 2. April 2020 Schauspielhaus Salzburg

Oliver Maus

Anja Köhler, Chris Rogl, Offenes Haus Oberwart

Grand Hotel Abyss beim Steirischen Herbst

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Jährlich zwischen September und Oktober findet in Graz der Steirische Herbst, ein Festival für zeitgenössische Kunst, statt. Dieses Jahr wurde das metaphorische Bild des »Grand Hotel Abyss« als Titel gewählt, entlehnt vom Philosophen George Lukács. An Lukács und der kritischen Theorie der Frankfurter Schule wurde bemängelt, sie würden eine Art bürgerlichen Realismus repräsentieren, abseits von jedweder politisch-revolutionären Praxis. Lukács fasste diesen Umstand zusammen: Er stehe mit seinen MitstreiterInnen am »Grand Hotel Abgrund«, von dessen Terrasse sich beim Aperitif das Elend der Welt betrachten lasse. Keti Chukhrov hat für den diesjährigen Steirischen Herbst »Global Congress Of Post-Prostitution« geschrieben, eine Satire auf akademische und aktivistische Kongresse und eine globale NGOKultur, die im Vorbeigehen kurz die Misere marginalisierter Gemeinschaften hervorhebt. »Is any sex needed from me today?« – »No, my post graduate assistants Nicky and Micky have already licked my ass.« Steirischer Herbst 19. September bis 13. Oktober 2019, verschiedene Spielstätten »Global Congress Of Post-Prostitution« 20. und 21. September 2019 Orpheum, Graz

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30 Jahre Politik und Kultur im Burgenland beim Offenen Haus Oberwart

Das Burgenland ist vor allem dafür bekannt, eine Vielzahl mal mehr und mal weniger fürchterlicher Festivalsommer und Seefestspiele auszutragen. Dazu gibt es glücklicherweise eine recht standhafte Alternative: Das OHO – Offenes Haus Oberwart. Als autonomes Kulturzentrum ist es ein Fixpunkt der freien Kunst- und Theaterszene des Burgenlands. Als Philosophie erklärt das Haus, »den restaurativen Tendenzen des Kulturbetriebes die Vitalität jetztzeit-bezogener Lust am durchtriebenen Blick entgegenzusetzen und der zeitgenössischen Kunst eine Bresche zu schlagen«. Vom 28. August bis 1. September wird die 30-jährige Geschichte des Hauses als »Open Source Archiv« ausgestellt – »so etwas wie ein öffentlich zugängliches Archiv mit Bildern, Artefakten und Videoausschnitten«. Schwerpunkt bildet dabei unter anderem das Format »Junge Kunst im OHO«. »Open Source Archiv« 28. August bis 1. September 2019 OHO – Offenes Haus Oberwart

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Zum Begriff Heimat im Werk X

Aktivierung des Publikums am Landestheater Niederösterreich

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Das Werk X in der Oswaldgasse 35A im zwölften Wiener Gemeindebezirk hat seiner neuen Spielzeit den klingenden Titel: »Heimat und Arschloch« gegeben. »Wo die Madln schoarf sind, wo der Mann noch Herr im Haus ist, wo ›Gutmenschen‹ nichts zu sagen haben und die Welt des chauvinistischen Arschlochs ganz allgemein noch in Ordnung ist: Da ist Heimat.« In der neuen Spielzeit inszeniert unter anderem das internationale Performancekollektiv Gintersdorfer/Klaßen und bringt Ödön von Horváths »Geschichten aus dem Wiener Wald« auf die Meidlinger Bühne. Beteiligt daran ist zudem niemand geringerer als Der Nino aus Wien. Ein Ausblick: »Gintersdorfer/Klaßen werfen frei nach Thomas Bernhard einen Blick ins bräunlich stinkende Innere des Punschkrapfens.« »Geschichten aus dem Wiener Wald« Premiere: 10. Oktober 2019 Werk X, Wien

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In St. Pölten beschäftigt man sich am Landestheater Niederösterreich mit der Frage, wie sich ein breites Publikum ansprechen lässt. Ein BürgerInnentheater als Veranstaltungsreihe ist immer auch der Versuch, an die Menschen einer Stadt heranzutreten und sie mitentscheiden zu lassen, was Theater bedeuten kann. Am Landestheater Niederösterreich tut man genau dies unter dem Titel »Eine Stadt sucht ihr Theater« als eine Recherchereise zu den Ursprüngen des St. Pöltner Theaters. Unter der Leitung von Bernhard Studlar soll aus Anekdoten, Briefen, Zeitungskritiken, Programmzetteln und erfundenen Geschichten ein Gründungsmythos entstehen, der als Gemeinschaftsarbeit im Mai 2020 zur Aufführung gebracht wird. »Eine Stadt sucht ihr Theater« Werkstatt ab 28. November 2019 Landestheater Niederösterreich, St. Pölten

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Die Theaterhalle 11 ist eine Spielstätte des freien Theaterhauses Klagenfurter Ensemble. Nach Selbsteinschätzung sieht man sich »in Kärnten abseits des Theatermainstreams als Arche des kreativen Widerstands im zeit- und vorzeitgeistlichen Kulturfahrwasser festgemacht«. Im September ist die Theaterhalle 11 einer von sieben Orten, an denen das Pelzverkehr Festival für zeitgenössischen Tanz stattfindet. Hervorgegangen aus einer Gastspielreihe gibt man sich in Programmgestaltung und hinsichtlich der ZuschauerInnenschaft kosmopolitisch als Veranstaltung »für die Menschen, die hier leben, für Durchreisende und für Gäste«. Pelzverkehr Festival 17. bis 27. September 2019 Klagenfurter Ensemble

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Theater in der Virtual Reality am Schauspielhaus Linz

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»Cyberräuber – Theater der virtuellen Realität« – ein Performancekollektiv, das in Virtual Reality die Technologie der Zukunft sieht. Nach eigenen Angaben lieben dessen Mitglieder das Theater, aber erklären die Zeiten des bürgerlichen Leitmediums für vergangen. Um ein breites Publikum anzusprechen, sehen sie im Einbeziehen dieser Technologie eine Chance. Als Koproduktion mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe wird im Dezember »Prometheus Unbound« am Schauspielhaus Linz im Rahmen des Projektes »Social Virtuality – Theater in der digitalen Realität« inszeniert. Das Inszenieren der Prometheus-Legende hat dabei eine gewisse Doppelbödigkeit, geht es in diesem griechischen Mythos schließlich ebenfalls um die Macht des Fortschritts. »Prometheus Unbound« Premiere: 14. Dezember 2019, Studiobühne Promenade Schauspielhaus Linz

Alexi Pelkanos, Sigrid Rauchdobler

Zeitgenössischer Tanz in der Theaterhalle 11

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S T R E E T. L I F E . PHOTOGRAPHY Axel Schön, Ohne Titel / Untitled, aus der Serie: / from the serie: Feuer, Novgorod, 1993 © Courtesy: Axel Schön

Street Photography aus sieben Jahrzehnten

Alexi Pelkanos, Sigrid Rauchdobler

11.09.19–16.02.20

Eine Ausstellung des Hauses der Photographie/Deichtorhallen Hamburg u.a. mit Werken aus der Sammlung F. C. Gundlach, Hamburg in Kooperation mit dem KUNST HAUS WIEN.

Untere Weißgerberstraße 13 | 1030 Wien | Täglich 10:00-18:00 | www.kunsthauswien.com

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Nackte Körper im zeitgenössischen Tanz

Andrea Salzmann The_Gap_176_014-051_Story_BBA_MF_KORR2.indd 37

Wer nicht oft ins Theater geht, ist schnell einmal überrascht, wenn sich dort plötzlich alle ausziehen. Doch in Zeiten, in denen der Körper zur Bühne der Selbstinszenierung geworden ist, zeichnet sich ab: Nackte im Theater und auf Performancebühnen sind kein bloßer Trend, sondern gekommen, um zu bleiben. Nicht immer ist der Grund für die nackten Dauergäste auf den ersten Blick ersichtlich. In den Stücken der oberösterreichischen Choreografin Doris Uhlich hat die Entblößung allerdings Hand und Fuß. Manchmal auch Hand und Rollstuhl. Gemeinsam mit Bettina Kogler, der künstlerischen Leiterin im Tanzquartier Wien und langjährige Wegbegleiterin Uhlichs, erklärt sie im Interview ihre Herangehensweise wie Beweggründe und spricht über ihr nächstes Stück. ———— Der Kern der Sache liegt im Unterschied zwischen »Ich präsentiere mich nackt« und »Ich bin nackt«. Was Doris Uhlich interessiert, ist nicht das Zeigen, sondern das Sein. In ihren Arbeiten fragt sie sich: »Was entsteht aus so einem nackten Sein? Welche Bewegungen machen nur Sinn, weil man nackt ist? Was bedeutet es, mein Fleisch und mein Fett zu tanzen?« Aus diesen Überlegungen heraus entwickelte sie jene Fetttanztechnik, die sie auch in Workshops lehrt. »Die macht nackt mehr Sinn, weil man dann die schönen Wellen und Vibrationen besser sieht. Du kehrst plötzlich eingeschriebene ästhetische Vorstellungen um, weil die Fetttanztechnik umso cooler ist, je mehr Fleisch du hast.« Mit welchem Wunsch Menschen also in Uhlichs Workshops kommen, liegt nahe: »Den Körper so zu feiern, wie er ist. Und zwar nicht nur oberflächlich, sondern von den Knochen bis

zur Haut.« Unter dem Motto »Let’s party our body« arbeitet Uhlich mit TeilnehmerInnen daran, ein Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln. »Es gibt in den Kursen den Moment, in dem sich eine Zufriedenheit mit dem Jetzt-Zustand entwickelt, ohne den Wunsch, dass etwas besser oder schöner wäre.« Diese Zufriedenheit spricht sich herum; die Nachfrage ist groß. Für das nächste Stück im Tanzquartier wurden 120 Mitwirkende gesucht und in Rekordzeit gefunden, wie Bettina Kogler verrät: »Dieses Bedürfnis, das selbst machen zu wollen, gibt es bei Menschen ganz unterschiedlichen Alters, bei Männern und Frauen.«

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Und plötzlich ist der BH weg und die Brüste können fliegen

120 Nackte, die am Boden ruhen Das Projekt, an dem Uhlich und Kogler gerade arbeiten, steht am 25. und 26. Oktober in der Halle E im Museumsquartier auf dem Spielplan. Für »Habitat / Halle E« entwickelt Uhlich derzeit eine Choreografie für die mehr als 120 Menschen, die auf den Call reagiert haben. Nach den Vorgänger-Performances beim Donaufestival und Impulstanz 2017 mit je ungefähr 40 TänzerInnen ist das kommende Stück von der Menge an Mitwirkenden her ihr bisher größtes Projekt. Inhaltlich wird es auch um kollektive Ruhe gehen: »Es macht einen Unterschied, ob ein Mensch am Boden ruht oder 120 Menschen die Energie zum Ruhen bringen.« »Habitat / Halle E« ist eine logische Weiterentwicklung der Zusammenarbeit von Uhlich und Kogler. Schon von Anfang an begleitet die beiden das Interesse an Körpern, die nicht der Norm entsprechen. Uhlichs

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erste Bühnenarbeit beschäftigte sich mit älteren und fragilen Menschen. Kogler, die den Impuls zur Arbeit gegeben hatte, erinnert sich noch heute gern daran: »Das war total schön. Ein Mensch über 80 läuft, das sieht man so selten. Mit voller Kraft!« Das Nachdenken über Begriffe wie Kraft und Agilität »hat sich so entwickelt, dass jetzt auch Menschen in Rollstühlen in meinen Arbeiten nackt performen«, so Uhlich. Für die Performance »Ravemachine« (2016) hat die Choreografin gemeinsam mit dem Tänzer Michael Turinsky den Nestroy-Spezialpreis für Inklusion auf Augenhöhe gewonnen.

»Man weiß, alle können so weit gehen, wie sie sich wohlfühlen, ohne dass das den oder die andere stresst. Das ist echt eine hohe Kunst.« — Bettina Kogler 038

Uhlichs Stücke wie »More Than Naked« werden mittlerweile auch in universitären Kontexten verhandelt.

Obwohl die beiden oft im Austausch stehen, hat Bettina Kogler selbst noch nie an einem Nacktworkshop bei Doris Uhlich teilgenommen. »Ich tanze grundsätzlich nicht. Aber ich war bei der Nacktparty im WUK, die sicher zu meinen lustigsten Party-Erlebnissen zählt.« Bei der Dernièren-Feier von »More Than Naked« dürfte es heiß hergegangen sein. »Ich würde sagen, ich habe nicht mehr viel angehabt. Es war nicht ausgesprochen, dass man nackt sein soll – das hat sich ein bisschen verselbständigt. Es war total befreiend und überhaupt nicht sexuell aufgeladen.« Weil es eben nicht darum ging, sich sexy zu bewegen, bezeichnet Uhlich das Erlebnis als ein existenzielles: »Man hat das gute Gefühl, seinem Körper näher zu kommen. Und plötzlich ist der BH weg und die Brüste können fliegen. Oder die Unterhose ist weg und der Popo bewegt sich anders. Man lässt los, wie alles zu sitzen und zu sein hat. Über das Gewandablegen wirst du auch gesellschaftliche Codes los.« Ein ursprünglicher Zustand lässt sich dennoch nicht erreichen. »Der nackte Körper hat auch seine Codes. Du bist tätowiert oder nicht, hast Piercings oder nicht, bist unter den Achseln rasiert oder nicht. Auch wie du deine Schamhaare rasierst, ist Mode.«

Wellen der Nacktheit Gerade, weil der Körper für sie so besonders ist – »Ohne meinen Körper könnte ich nicht

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einmal ein SMS schreiben oder dich anschauen« – ist es Uhlich ein Anliegen, mit vielen unterschiedlichen Körperformen zu arbeiten. Ihr geht es darum, »Sympathie zum eigenen und auch zu anderen Körpern zu entwickeln, egal welche Größe ein Körper hat und aus welchem Kulturkreis er stammt. Für mich ist der Körper nackt auch ein ziemlich politischer Motor.« Allein im 20. Jahrhundert habe es viele interessante Nacktbewegungen gegeben – und die kamen nicht von ungefähr. Uhlich nennt hier die nackte Gymnastik der 20er-Jahre, die FKK-Kultur, die 68erBewegung, sowie auch das Musical »Hair«. »Nacktheit ist immer wieder dort, wo man etwas ins Rollen bringen möchte. Der nackte Körper hat eine richtig emanzipatorische Kraft, etwas zu erzählen, zu wollen und zu wünschen«, sagt sie. Zwar ist Entblößung als Stilmittel im Theater ein jüngeres Phänomen als etwa in der bildenden Kunst, wo es seit Jahrhunderten vor nackten (vor allem Frauen-)Körpern nur so wimmelt. Doch in ihrer Dissertation »Theater der Nacktheit« zeichnet die Autorin Ulrike Traub nach, dass sie schon länger, als gemeinhin angenommen, eingesetzt wird. Stand sie im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik im Zeichen der von der Naturheilkunde ausgehenden »Lebensreformbewegung«, erlebte Nacktheit ab den späten 60er-Jahren einen weiteren Höhe-

punkt. Die kommerzielle Verwertung der Sexualität ging einher mit der Erkenntnis, dass das Private politisch sei. In diese Zeit fällt sowohl das von Uhlich angesprochene Musical »Hair« als auch der Wiener Aktionismus. Seit der Jahrtausendwende ortet Traub eine dritte Welle der Nacktheit in der Bühnenkunst. Ihr liegt ein anderes Körperverständnis zugrunde: Das Private sei zum Konsumgut geworden, das nicht mehr von moralischen, sondern ästhetischen Maßstäben definiert wird. Das Theater der Gegenwart reagiert auf den körperlichen Leistungszwang, indem es dieser Tendenz den explizit unperfekten Körper entgegensetzt und die Individualität betont. Auf die Frage, wie Doris Uhlichs Arbeiten zuzuordnen sind, stellt Bettina Kogler fest: »In dieser Form tut das sonst niemand.« Einordnen ließen sich die Werke am ehesten noch über den angesprochenen politischen Ansatz, der vielen Nacktbewegungen innewohnt. Uhlich selbst ergänzt: »Wenn die Körper aneinanderkleschen und -klatschen, dann bin ich schon inspiriert von Abramovic und Ulay.« Marina Abramovic, die wohl bekannteste Performance-Künstlerin der Gegenwart, spricht in ihrer Autobiografie »Durch Mauern gehen«, ähnlich wie Uhlich, vom Klang der Kollisionen. Sie erinnert sich etwa an die 58-minütige Performance »Relation In Space« mit ihrem damaligen Partner

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» Der nackte Körper hat auch seine Codes. Du bist tätowiert oder nicht, hast Piercings oder nicht, bist unter den Achseln rasiert oder nicht. Auch wie du deine Schamhaare rasierst, ist Mode.« — Doris Uhlich

Universitäten und Porno-Plattformen

Andrea Salzmann, Theresa Rauter,

Der Einfluss der Arbeiten Uhlichs schlägt sich mittlerweile auch in der akademischen

»Habitat« ist laut Pressetext eine »schamlose, aber auch schambefreite Hymne auf einen nackten Körper«. Hier wird diese Hymne in der Dominikaner Kirche Krems aufgeführt.

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Welt nieder. Über ihre Arbeiten »More Than Naked« und die Serie »Habitat« werden Diplomarbeiten geschrieben, unlängst etwa in Frankfurt. »Das macht mir Spaß, weil ich mich selber mehr artikulieren lernen muss«, sagt sie dazu. Die Begriffe Fleisch, Körper und Fett sind dabei wichtig in der Terminologie: »Der Körper ist für mich das Gesamte. Er ist das Auto, das mein Leben fährt. Im Körper drinnen ist das Fleisch, das Fett, die Muskulatur. Wenn ich vom Fleisch spreche, meine ich die Weichteile, die mehr vibrieren und pulsieren können und wo sich für mich auch sehr viel einlagert.« Doch nicht nur Universitäten zeigen Interesse. Eine ganz andere aufmerksame ZuschauerInnenschaft versammelt sich online. Googelt man »doris uhlich naked«, erscheinen Trailer zu ihren Stücken auf bekannten Pornoseiten wie »Xhamster« mit dem Titel »Free Art Porn«. Wie findet sie das? »Am Anfang war ich geschockt. Aber ich schüttle das ab. Das Internet ist zu einer Verbreitungsmaschine geworden, leider auch für Scheiße. Aber da lässt sich eigentlich kein Riegel vorschieben.« Die einzige Möglichkeit sei, in Stücken immer auf das Fotoverbot hinzuweisen und so Grenzen zu ziehen. Auch die Algorithmen des Social-MediaTankers Facebook verwechseln Kunst immer wieder mit Pornografie. So wurde unlängst die Präsenz des internationalen Wiener Tanzfestivals Impulstanz wegen eines Trailers kommentarlos gesperrt, obwohl die Gemeinschaftsstandards der Plattform künstlerische Nacktdarstellungen erlauben. Dass das bloße Vorhandensein von Nacktheit der Hauptgrund für manche BesucherInnen ist, sich ein Stück auch vor Ort anzusehen, kennt Bettina Kogler aus langjähriger Erfahrung. Was tun, wenn im Publikum jemand sitzt, der sich ganz offensichtlich an dem Gezeigten aufgeilt? »Ich hab am Anfang sehr große Bedenken gegenüber diesem hauptsächlich

männlichen Publikum einer bestimmten Altersgruppe gehabt. Wenn sie dann aber da sind, kriegen sie gar nicht das, was sie sich erwarten. Es ist ja keine Peepshow. Sie kommen aber trotzdem, und sie kommen manchmal auch regelmäßig. Insofern hab ich Frieden mit ihnen geschlossen, weil sie sich ja trotzdem Kunst anschauen.«

Perverse Kamera Von Fragen wie »Wann ist bei Ihnen der Hardcore-Sextanz?« bis hin zu schlecht vorgetäuschten Fußleiden als Begründung für den Wunsch, in der ersten Reihe zu sitzen, haben Kogler und Uhlich einige Anekdoten zu erzählen. Einmal sei sogar jemand in Ohnmacht gefallen, nachdem ihm das Handy weggenommen wurde. Wirklich lustig finden sie derartige Situationen allerdings verständlicherweise nur selten. »Das Problem ist, dass diese Menschen oft egoistisch sind und kein Gefühl dafür haben, dass diese Kamera total pervers ist, eine schlechte Stimmung macht und dich vom Spielen abtörnt. Sie respektieren in diesem Moment Bühnenkunst nicht«, so Uhlich. Die unerwünschte Machtposition, die eine solche Kameralinse mit sich bringt, empfindet sie als Übergriff. »Du bist so verletzlich auf der Bühne. Er sitzt im Dunklen. Er glaubt, er ist verdeckt. Aber die Tänzer bekommen es mit.« So unreflektiert die Reaktionen mancher sind, so sanft geht Uhlich mit ihren Workshop-TeilnehmerInnen um, berichtet Kogler: »Die Arbeiten von Doris sind wirklich sichere Orte. Es ziehen sich nur die aus, die sich ausziehen wollen, und auch nur so weit, wie sie wollen. Man weiß, alle können so weit gehen, wie sie sich wohlfühlen, ohne dass das den oder die andere stresst. Das ist echt eine hohe Kunst.« Astrid Exner

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Ulay, die 1976 bei der Biennale in Venedig gezeigt wurde. Abramovic erzählt vom Kollidieren und Abprallen und davon, wie Fleisch gegen Fleisch klatscht. Sie charakterisiert das daraus entstehende Geräusch als Musik mit Rhythmus. Damit kann Uhlich viel anfangen, obwohl die bewusste historische Einordnung in eine Kontinuität erst nach der Praxis kam. »Schon während meiner Zeit im Theatercombinat (einer Kompanie zur Produktion unabhängiger Kunst-, Performance- und Theaterarbeiten; Anm. d. Red.) haben wir uns aneinandergeklatscht. Dem Körper diese Stimme zu geben ist für mich ein total schöner Text. Wenn man schwitzt, klingt es anders, als wenn man nicht schwitzt.«

In »Ravemachine« verhandelt Uhlich die Körperlichkeit von physischer Einschränkung und menschlichmechanischer Energie.

»Habitat / Halle E« wird am 25. und 26. Oktober in der Halle E im Museumsquartier von Doris Uhlich und 120 nackten TeilnehmerInnen aufgeführt.

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Beim Roundtable-Gespräch zwischen den Schwestervereinen Neue Wiener Theaterkritik und Neues Linzer Theater fällt eines auf: Wien ist die kulturelle Hauptstadt Österreichs. Aber zum Theatermachen bieten sich die Bundesländer mehr als an. ———— Im Wiener Schönbornpark sitzen Julia Gramm und Verena Strasser von Neue Wiener Theaterkritik, Wiens erstem, unabhängigem Publikumsverein, dessen Mitglieder nicht nur gemeinsame Theaterbesuche und Stammtische organisieren, sondern auch Theaterkritiken auf Augenhöhe schreiben. Sie skypen mit Aziz Yusofi und Clara Gallistl, die sich derzeit in Wels befinden. Yusofi und Gallistl arbeiten am Projekt »Stahlstadt.online«, das auf mehreren Ebenen die Innovationsmöglichkeiten von Theater auslotet. Mittlerweile hat die Idee der Neuen Wiener Theaterkritik auch nach Linz expandiert und den Schwesterverein Neues Linzer Theater gegründet. Es ist heiß, aber das Internet hält stand. gramm: Schön, dass das heute klappt! Ihr seid ja mitten im Proben, nehme ich an? yusofi: Ja. Aber wir müssen ja auch andere Dinge tun, neben Theater spielen. Arbeiten zum Beispiel oder Ausbildungen machen. Und ein Interview zu geben ist auch schön! gramm: Du bist einer der wenigen, die bei allen Theaterprojekten von Neues Linzer Theater bisher mitgemacht haben. Was macht dir Spaß daran? yusofi: Ich bin eigentlich kein Schauspieler. Obwohl, jetzt bin ich schon einer (lacht). Ich bin ganz zufällig zum ersten Projekt »Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich« gekommen. Eine Frau, die mir geholfen hat, als ich neu nach Österreich gekommen bin, hat mich auf das Projekt aufmerksam gemacht. Das Spielen auf der Bühne habe ich mich am Anfang nicht getraut. Ich hab gedacht, das mache ich nie. Aber die Community war so super. Jetzt macht es mir sehr viel Spaß. strasser: Gehst du auch gern ins Theater? yusofi: Ich war nur einmal. Mit Clara und der Gruppe von Neues Linzer Theater. Da war ich im Theater Phönix. Das war lustig. Aber lieber spiele ich selbst. gramm: Clara, du hast viel Erfahrung mit Theaterprojekten in Wien und in Oberösterreich. Wo liegen für dich die Unterschiede?

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Aziz Yusofi und Clara Gallistl vom Verein Neues Linzer Theater sind auf der anderen Seite der Leitung und bereiten gerade von Wels aus ihr kommendes Stück, das rund um Linz stattfindet, vor.

gallistl: Ich empfinde die Förderstruktur in Wien transparenter. Mir ist klarer, wo ich mich für was bewerben kann. Da kommt man als Kulturprojekt nicht in die Bredouille, dass sich während eines Projekts die Finanzen immer wieder ändern. An Oberösterreich finde ich cool, wie viele KooperationspartnerInnen man findet. Bei unserem aktuellen Projekt »Stahlstadt« war es so leicht, auf Leute zuzugehen: Die Ars Electronica war begeistert und hat gleich geschaut, wie man sich gegenseitig unterstützen kann. Das Landestheater Linz macht einen Schauspielworkshop mit den Jugendlichen. Und ich beginne erst jetzt richtig mit der Suche nach ProjektpatInnen, die uns in der Erzählung unserer Story via Instagram unterstützen werden.

strasser: Das ist spannend. Ich habe den Eindruck, dass man sich in Wien zum Teil stärker voneinander abgrenzen muss. Es gibt derart viele Kunst- und Kulturprojekte, dass man sich gegenseitig auf die Zehen steigt. gramm: Fällt das Vernetzen außerhalb von Wien leichter? gallistl: Das glaub ich schon. Vor allem, wenn man von dort kommt. Ich gehe unglaublich gerne in Wien ins Theater. Aber zum Theatermachen komme ich gerne wieder heim. Linz ist kleiner und es gibt in Wahrheit so vier Lokale, wo Kunst- und Kulturinteressierte hingehen. Da weiß man voneinander. Ich arbeite gern mit anderen Leuten zusammen. gramm: »Stahlstadt« ist ein freies Projekt.

Neues Linzer Theater, Neue Wiener Theaterkritik

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Eine Theaterbegegnung zwischen Wien und Oberösterreich

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Neues Linzer Theater, Neue Wiener Theaterkritik

Verena Strasser (l.) und Julia Gramm (r.) von Neue Wiener Theaterkritik skypen mit ihren KollegInnen aus dem Schwesterverein in Linz.

Wo seht ihr den Vorteil, ein Theaterprojekt ohne Institution aufzuziehen? strasser: Der Vorteil, wenn man ein Projekt an ein fixes Haus koppeln würde, wäre, dass es da jemanden gibt, der hinter dir steht: Du kannst auf bestehende Ressourcen zurückgreifen und musst dir nicht alles neu organisieren. gallistl: Man könnte auch von einer etablierten Marke aus kommunizieren: Das muss ich für dieses Projekt alles neu aufbauen. Der

denen wir selbst entscheiden, welche LeiterInnen wir haben und was wir lernen wollen. gallistl: Mir ist wichtig, dass es den Leuten, die bei dem Projekt mitmachen, gut geht und sie etwas davon haben. Wie viele BesucherInnen dann kommen, ist für mich nicht so wichtig. Ich messe unseren Erfolg daran, dass die TeilnehmerInnen für sich etwas mitnehmen können und da hab ich die Freiheit, dass ich entscheide, wie unsere Evaluierung aussieht.

Im Sommer dann heim nach Linz Vorteil daran ist, dass wir »Stahlstadt« von Anfang an nach unseren Vorstellungen und den Vorstellungen der TeilnehmerInnen entwickelt haben und uns sonst mit niemandem abstimmen müssen. Das betrifft beispielsweise auch den Umgang mit unseren TeilnehmerInnen: Es gibt niemanden, der uns plötzlich aufträgt, dass wir bei der Verpflegung der Laien Geld sparen müssen. yusofi: Im Gegenteil. Wir feiern eine coole Party als Abschluss des Projekts. Das wird super. Außerdem machen wir Workshops, bei

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strasser: Das wäre völlig anders, wenn »Stahlstadt« ein Kulturvermittlungsprojekt an einem großen Theater wäre. Dann würde dieses wohl vorgeben, was zu evaluieren ist – vermutlich BesucherInnenzahlen. In Wien gibt es einfach auch viel mehr Theaterhäuser. gramm: Ich finde das super! Wenn ich mir denke, ich möchte heute eine feministische Performance sehen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich das kann. gallistl: Das ist in Linz sicher nicht so. Strasser: Das Linzer Publikum hat sicher auch

einen anderen Geschmack. Es wäre spannend, das mal zu untersuchen. gramm: Könnt ihr kurz erklären, was »Stahlstadt« eigentlich ist? Ich kann mir das schwer vorstellen. gallistl: »Stahlstadt.online« ist ein immersives Theaterprojekt, ein AlternativeReality-Game, das im September fünf Tage lang erzählt wird. Betreut wird es neben mir von Verena Humer und Philipp Ehmann sowie vielen anderen, die während des Projekts dazugekommen sind. Es machen vor allem geflüchtete Jugendliche mit, die zusammen diese alternative Realität entwickeln. Stahlstadt ist der Name von unserem alternativen Linz – das ist ein Linz für alle. Die Geschichte wird über den Instagram- und den YoutubeAccount »Linzliebe« erzählt. Im September werden in ganz Oberösterreich »magische« Portale auftauchen. yusofi: Man kann entweder zur Ars Electronica Anfang September nach Linz kommen und selber mitspielen oder man schaut uns einfach auf @linzliebe zu. Ich werde auch mitspielen. Das Coole ist, dass wir den Youtube und Insta-Account nach dem Projekt weiter nutzen werden. Linz ist so eine coole Stadt. Das zeigen wir gern her! gallistl: Ziel des Projekts ist es, dass die Jugendlichen selbst an ihre Peers Infos weitergeben können, die sie betreffen. Das sind Themen wie Liebe und »Was kann ich in Linz erleben«, aber auch »Wie finde ich eine Arbeit oder eine Ausbildungsstelle«. Von der Integrationslandesstelle Oberösterreich gibt es tolle Broschüren, aber wir denken, dass man über Instagram und Youtube die Jugendlichen besser erreicht. Vor allem, wenn sie selber sprechen. Clara Gallistl und Julia Gramm

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» In Wien gibt es derart viele Kunst- und Kulturprojekte, dass man sich gegenseitig auf die Zehen steigt.« — Verena Strasser, Neue Wiener Theaterkritik

Der Verein Neue Wiener Theaterkritik trifft sich einmal im Monat zum offenen Stammtisch. Alle Termine finden sich auf www. neuewiener.at. »Stahlstadt.online« startet im September in ganz Linz, anderen Teilen Oberösterreichs und im Internet.

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Gnädige Frau, ihre Karte bitte!

Bernhard, Thomas der (1931–1989) Der Säulenheilige der österreichischen Literaturszene der seinen nicht enden wollenden Grant in viel Papier (darin unzählige Sudermonologe) goss und auch eine besonders große Nase für das Drama im engeren und weiteren Sinne hatte. ( Heldenplatz) In Claus Peymann fand er einen bilderstarken und ebenso skandalwilligen Partner, der Stücke wie »Ritter, Dene, Voss« und »Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen« in jahrzehntelang gültige und gespielte Inszenierungen verwandelte. Peymanns aufsehenerregende Ankunft in Wien wurde von Bernhard auch in seinem Roman »Holzfällen« verarbeitet. Nachhaltig wirkt, neben seinen nostradamischen (aber sich mittlerweile bewahrheitet habenden) Äußerungen über die politischen Gesinnungen von Herrn und Frau ÖsterreichIn auch sein Liebe zur österreichischen Kaffeehauskultur. Letzterem kann man in seinem Stammkaffeehaus, dem Café Bräunerhof, nachspüren und nachher eine Bernhard’sche Suada über den labbrigen Muckefuck, der dort als Kleiner Brauner verkauft wird, loslassen. Berliner Theatertreffen, das Ein Theaterabend ist nie nur »gut« oder »schlecht« und im besten Falle ist er »bemerkenswert«. Die zehn »bemerkenswertesten« Inszenierungen des Jahres aus dem DACH-Raum werden jeden Mai

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Burgtheaterdeutsch, das Die manierierte Bühnensprache des Burgtheaters, die sehr wenig vom Meidlinger Zungenschlag und recht viel vom näselnden Hietzinger Elitarismus in sich trägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweise verpönt, da von den Nazis instrumentalisiert, wurde der pathetische Sprachsingsang von Epigonen wie Oskar Werner und Alma Seidler zu neuer Blüte gebracht, bevor er unter Claus Peymann durch den Einzug bundesdeutscher SchauspielerInnen viel beweint zunehmend einem uniformen Theaterdeutsch wich. Wobei auch PeymannSchauspieler wie der große, aus Wuppertal stammende Ignaz Kircher sich der Pflege des Burgtheaterdeutsch annahmen. Als zeitgenössische Großmeister gelten weiters der kürzlich verstorbenen Peter Matic, sowie die Deutsche Kirsten Dene (  Bernhard, Thomas) und Klaus Maria Brandauer (  Die/Der). Clan, der Der österreichische Theaterclan schlechthin sind bis heute »die Hörbigers« (  Die/Der). Begründer der Dynastie sind die Brüder Paul und Attila Hörbiger. Beide Mitglieder des Burgtheater-Ensembles, ging Paul vor allem als Filmstar unter anderem an der Seite Hans Mosers in die Annalen ein und hatte auch in »Der dritte Mann« eine kleine Nebenrolle. Bruder Attila war in Max Reinhardts Augen der beste »Jedermann«, der je den Domplatz betrat und mit seiner Frau Paula Wessely zudem ein astreiner Sprecher des mystischen  Burgtheaterdeutsch. Attilas älteste Tochter Elisabeth Orth ist  Ehrenmitglied des Burgtheaters; seine jüngere Tochter Christiane Hörbiger bestreitet seit Urzeiten quasi alleine das Vor- und Hauptabendprogramm auf ORF 2. Der Sohn Elisabeth Orths, Cornelius Obonya, trat mit der Verkörperung des Jedermann von 2014 bis 2016 in die großväterlichen

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Abo, das Philharmoniker Musikvereins-Abo (Sonntagsmatinée natürlich), Burgtheater-Abo, und Staatsopern-Abo sind die Trias des Wiener Bildungsbürgertums. Mindestens so begehrt wie die Friedenszinswohnung von Tante Mitzi (Gott hab sie selig) ist ihr Burgtheater-Abo (Parterre-Loge, erste Reihe), das ebenso wie die Wohnung seit der Zwischenkriegszeit der größte Familienstolz ist. KlugscheißerInnen-Info für die ganz Eifrigen zur K.-u.-k.Variante des Binge-Watchings: Bis nach dem ersten Weltkrieg wurden nicht Abos im eigentlichen Sinne, sondern sogenannte Stammsitzkarten verkauft, mit denen man jeden Tag bzw. jeden zweiten (»Halbabo«) oder vierten (»Viertelabo«) Tag ins Theater gehen konnte.

zum Berliner Theatertreffen eingeladen – eine Mischung aus den Oscars und dem größten Klassentreffen der Szene, anhand dessen man die Bedeutung einer jeweiligen Bühne mit gewissen Schwankungen ganz gut ablesen kann. Die Zehnerauswahl erfolgt durch eine Jury bestehend aus TheaterkritikerInnen, der unter anderem derzeit die österreichische Kulturjournalistin Margarete Affenzeller angehört. Aus Wien wurden zuletzt etwa die BurgtheaterProduktion »Hotel Strindberg« in der Regie von Simon Stone und »Die Welt im Rücken« nach dem Roman von Thomas Melle (Regie: Jan Bosse) eingeladen.

Magdalena Hiller

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Die Welt des Wiener Theaters ist ein Paralleluniversum, in dessen Zentrum das Burgtheater steht. Hier wird in Codes gesprochen und gehandelt, die seit den Zeiten von Joseph II. von Generation zu Generation weitergeben werden. Eine Einführung in die wichtigsten Schlagwörter der hiesigen Theaterlandschaft. ————

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Magdalena Hiller

Fußstapfen bei den Salzburger Festspielen. Aus der PaulHörbiger-Linie sind heute vor allem »Bullyparade«-Star Christian Tramitz und Mavie Hörbiger ein Begriff. Andere bedeutende Theaterclans sind/waren die Bleibtreus, die Mankers und die Thimigs. Die/Der Ehrenmitgliedschaft hin oder her, der wahre Ritterschlag für eine/n SchauspielerIn ist es bis heute, wenn der Vorname vom Wiener Publikum durch einen bestimmten Artikel ersetzt wird. Aktuelle Mitglieder dieser exklusiven Riege sind Birgit Minichmayr (»die Minichmayr«) und Nikolaus Ofczarek (»der Ofczarek«). Ehrenmitgliedschaft, die Ehrenmitgliedschaften gibt es auch an anderen Häusern, am Burgtheater gibt es hierzu natürlich die schönsten Traditionen. Personen, die sich um das Haus besonders verdient gemacht haben, bekommen nicht nur ihren Namen auf der Feststiege in Marmor gemeißelt, sondern haben auch die Chance auf ein Ehrenbegräbnis, anlässlich dessen der Sarg einmal um das Theater herumgetragen wird. Traditionell werden neben langgedienten Ensemblemitgliedern auch die jeweiligen DirektorInnen zu Ehrenmitgliedern ernannt – die Ehre wurde bislang nur Mathias Hartmann verwehrt, während dessen Amtszeit das Theater in einem Finanzskandal versank. Ehrenmitglieder sind derzeit unter anderem Elisabeth Orth (  Clan) und Claus Peymann, auch die scheidende aktuelle Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann wurde schon aufgenommen. Fellner & Helmer Ende des 19. Jahrhunderts kam es in Deutschland und Österreich zu einem Theaterbauboom, der einerseits durch die strengeren Brandschutzbestimmungen seit dem Brand des Ringtheaters 1881 ausgelöst wurde; andererseits durch ein Erstarken der BürgerInnenschicht, die abseits der omnipräsenten Hoftheater nach Bühnen für volksnähere Belustigungen gierte. Ein großer Teil der Nachfrage wurde vom Architekturbüro von Ferdinand Fellner und Hermann Helmer befriedigt, die ganz gerne nach dem Copy-and-Paste-Prinzip arbeiteten. So hat das Wiener Volkstheater eine fast baugleiche Schwester im Hamburger Schauspielhaus. In Wien stammen zudem das Ronacher und das Konzerthaus aus der Feder von Fellner & Helmer; zudem zeichneten sie für den Umbau des Theater an der Wien verantwortlich.

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Heldenplatz, der 1988 wurde anlässlich des 50-jährigen Jahrestages des Anschlusses, sowie des 100-jährigen Bestehens des Burgtheaters vom damaligen Burgtheater-Direktor Claus Peymann ein Stück bei Thomas Bernhard in Auftrag gegeben. Im Vorfeld der Uraufführung von »Heldenplatz« kam es im Herbst 1988 zu einem der größten Theaterskandale der österreichischen Theatergeschichte. In dem Stück erzählt der Bruder des verstorbenen Universitätsprofessors Josef Schuster, der kurz zuvor durch ein Sprung aus den Balkon auf den darunterliegenden Heldenplatz Selbstmord begangen hat, von den Verwicklungen der Wiener Gesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus; in Berhard’scher Manier naturgemäß ohne ein Blatt vor den Mund und beiläufig der damals noch gern erzählten Mär von der »Besetzung Österreichs durch die Deutschen« die letzte Luft zu nehmen. Zu viel für die damalige Öffentlichkeit, die gerade erst dabei war, die Causa Waldheim zu verarbeiten. Trotz wochenlangen medialen und politischen Protesten unter reger Beteiligung der Kronen Zeitung sowie Beiträgen von Granden wie Jörg Haider und Bruno Kreisky (»Das darf man sich nicht gefallen lassen!«) wurde die Premiere am 4. November 1988 ein voller Erfolg – wenn auch begleitet von unzähligen Buhrufen, unter anderem aus der Kehle von einem gewissen Ex-Vizekanzler. In den nachfolgenden Jahren wurde »Heldenplatz« zu einem der meistgespielten Stücke am Burgtheater und ein Symbol für Österreichs konfliktbehafteten Umgang mit seiner Vergangenheit.

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Kleines Lexikon des Wiener Theaters

Kusej, Martin A name to remeber, denn mit dem Kärntner Slowenen, der zuletzt das Münchner Residenztheater leitete, übernimmt ab kommender Saison einer der profiliertesten österreichischen Theatermacher das Burgtheater. Eine seiner ersten Taten: Zehn Euro Strafzahlung für all jene, die in seiner Gegenwart den ehrwürdigen Kulturtanker mit dem Kurznamen »Burg« bezeichnen. Wiener Schluss, der Unter Kaiser Joseph II. gab es sogar für Romeo und Julia ein Happy End. Per Dekret und zum Schutze des vermeintlich zartbesaiteten Wiener Publikums musste allen Stücken ein harmloses Ende verpasst werden. Mit dem Tod Josef II. 1790 war Schluss mit dem Wiener Schluss und Julia durfte wieder den Tod durch den Dolch sterben.

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Wortwechsel Wie viel institutionalisiertes Geld braucht und verträgt die Freie Szene?

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Stadtrat in Graz

Staatliche Kunst- und Kulturförderung als Pflicht der Gemeinschaft ———— Die Kreativität, Innovationskraft und auch die kritische Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen durch die Kunst sind unverzichtbarer Hygienefaktor für eine aufgeklärte Gesellschaft. Die Kunst- und Kulturförderung, wie auch die Wissenschaftsförderung und die Förderung von Design und Innovation sind also staatliche Pflichtaufgabe und daher auch von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinschaftlich zu leisten. Die Kulturpolitik der Stadt Graz ist von ihrer Grundausrichtung sehr stark darauf fokussiert, einen fairen Ausgleich zwischen öffentliche Einrichtungen und »freier Szene« zu schaffen, die Nachwuchsszene und die Schöpfung eigenständiger und innovativer künstlerischer Positionen bestmöglich zu unterstützen – und das seit vielen Jahren in mehrfacher Weise, durch: • Geldförderungen in Form von Projektförderungen und durch Abschluss von Mehrjahresförderverträgen mit rund 80 Kulturschaffenden • Sachförderungen (z. B. durch mietkostenfreie Tage in diversen öffentlichen Aufführungsorten)

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• Stipendien und Förderungspreise für NachwuchskünstlerInnen und -wissenschafterInnen • finanzielle Infrastrukturunterstützungen von Kultureinrichtungen • Unterstützung bei Werbung und Kommunikation von Kunst- und Kulturveranstaltungen • Beratung der Kunst- und Kulturschaffenden durch die Fachabteilung (Kulturamt) • Kooperationsprojekte und Stiftung von Förderpreisen der Stadt Graz für Studierende der Kunstuniversität, der Ortweinschule und freier Kulturschaffender • Schaffung und Finanzierung von freien Atelier- und Probehäusern Alle diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Situation von KünstlerInnen und Kulturschaf-fenden kontinuierlich zu verbessern und Graz als Innovations-, Wissenschaftsund Kultur-kraftfeldes weiter auszubauen. Es ist mir ein Anliegen zu betonen, dass mir die oftmals prekäre Lage von Kunst- und Kulturschaffenden bewusst ist. Wir müssen bestmöglich die künstlerische und wissenschaftliche Arbeit unterstützen, nicht nur durch Geld, sondern insbesondere auch durch Infrastruktur­förderungen. Eine darüber hinausgehende Reglementierung lehne ich ab und würde ein über die beschriebenen Maßnahmen hinausgehendes Einschreiten des Staates für kontraproduktiv halten.

Dr. Günter Riegler ist Stadtrat in Graz und dort Stadtsenatsreferent für Kultur, Wissenschaft und Finanzen.

Theresa Ziegler

Dr. Günter Riegler

ApolloniaTheresaBitzan, DARUM, Irene Waltersdorfer, Erich_Leonhard, Stadt Graz / Foto Fischer

Wie frei ist die Freie Performance- und Theaterszene? Inhaltliche Selbstbestimmung gilt als Maß der Dinge, zwischen Förderungen und nicht-prekärem Überleben, für monetäre Freiheit und gegen kommerziellen Zwang zu wandeln. Doch was genau ist in der Freien Szene ein Zuwenig und ein Zuviel an Förderung? Geht es um die Qualität des Finanzierungsmodells? Wäre nur ein gänzlich nicht-finanzierbares Projekt wirklich frei? Und wie sehen FördergeberInnen ihre Verantwortung gegenüber dem Selbstbestimmungsprinzip?

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ApolloniaTheresaBitzan, DARUM, Irene Waltersdorfer, Erich_Leonhard, Stadt Graz / Foto Fischer

Theresa Ziegler

Sara Ostertag

»Darum. Darstellende Kunst und Musik«

Inge Gappmaier / Ulrike Kuner

The only way is up! ———— Österreich betreibt ein Modell des Freien Theaters, das minimalste Produktionsstrukturen befördert – im Gegensatz zu gewachsenen Strukturen in Belgien und den Niederlanden. Dort werden statt den Institutionen die Gruppen und Kompanien hochdotiert gefördert. In Österreich wird vor allem den sogenannten HochkulturproduzentInnen enorme finanzielle und infrastrukturelle Macht geben (z. B. den Bundestheatern). Aber auch im freien Bereich erhalten die Koproduktionshäuser hier im Vergleich zu den produzierenden Gruppen einen enorm größeren Etat. Das macht die Kunst, bzw. die KünstlerInnen zu BittstellerInnen der Institution. Anders hingegen in Flandern, wo die Gruppen durch ihre finanzielle und künstlerische Wirkungsmacht definieren, wo sie spielen und touren. Dieses Prinzip ermöglicht eben auch großflächiges Touring. Durch chronische Unterfinanzierung bewegen sich viele österreichische Arbeiten nicht wirklich auf dem nationalen Markt und schaffen es erst gar nicht auf den internationalen. Kulturinstitutionen und Räume müssen vielen Kunstschaffenden zugänglich sein. Auch das ist ein großes Thema für Wien. Durch den massiven Pay-Gap zwischen Stadttheater und Freier Szene in der strukturellen Förderung, den Arbeitsbedingungen, befinden sich viele KünstlerInnen und Gruppen konstant in einer Form des institutionalisierten Prekariats und einer geduldeten Illegalität. Die großen, langfristig gut finanzierten Kulturinstitutionen sind mit Männern an der Spitze besetzt. Die freien, massiv unterfinanzierten Koproduktionshäuser mit prekären Arbeitsbedingungen – die aber den größten international tourenden Output in der darstellenden Kunst kreieren – sind hingegen mit Frauen an der Spitze besetzt, die durch die niedrigen Budgets wesentlich weniger Wirkungsmacht erlangen. So bleibt die Freie Szene politisch ein Feigenblatt, obwohl sie seit Langem die Impulsgeberin für innovative Vorgänge in der Kunst ist. Die Kulturpolitik muss sich langfristig überlegen, was sie sein möchte: Archivarin des Patriachats in antiquierten Strukturen oder Kreateurin offener, diverser Orte kollektiven Zusammenhalts. Da ist Luft nach oben.

Zu viel? Gibt’s nicht! ———— Ja, sicher: Geld allein macht noch keine spannende Kunst, erzeugt nicht automatisch zusätzliche, gut ausgestattete Spielorte mit fairen Koproduktionsbedingungen, stampft keine Probenraumund Büroinfrastruktur aus dem Boden. Ohne Geld aber bleiben all die guten, längst vorhandenen und ausformulierten Überlegungen lediglich Ideen, für die die Ressourcen fehlen. Eine alte Leier, die eigentlich mittlerweile alle Seiten gleichermaßen anöden sollte: Zeit, Fakten zu schaffen. Der Vorwurf an die KünstlerInnen, sich schließlich selbst chronisch unter Wert zu verkaufen, ist im Angesicht mangelnder Alternativen zynisch: Wer Kunst macht, macht dies aus Leidenschaft, der freiwillige Arbeitsverzicht aufgrund zu schlechter Bezahlung tut daher doppelt weh. Kaum weniger problematisch ist es daher, angesichts eines derart eklatanten Fördermittelmangels über ein mögliches »Zuviel« an Förderung nachzudenken: Außer den politisch Jenseitigen spricht auch niemand von einem »Zuviel« an gesetzlicher Krankenversicherung, an Mindestsicherung oder an gefördertem Wohnbau. Staatliche Mittel stellen die (Über-)Lebensgrundlage darstellender KünstlerInnen in Österreich dar, künstlerische Freiheit und Selbstbestimmung entstehen durch soziale Sicherheit und die Gewissheit, kontinuierlich arbeiten und auch mal scheitern zu dürfen, ohne das nächste Projekt (und das eigene Auskommen) zu gefährden. Fördergremien, die genügend Mittel für alle zu verteilen haben, könnten überdies von verhasst-gefürchteten, aber letztlich hilflosen Gerichten über Kunstleben und Stop-and-Go-Arbeitslosigkeit zu PartnerInnen auf Augenhöhe werden: inspirierend und (unverbindlich!) kuratorisch beratend. Keine Frage: Auch wir Kunstschaffenden müssen ein scharfes Bewusstsein für unsere eigene Rolle im Kontext politischer und ökonomischer Strukturen entwickeln und unsere Forderungen nach signifikanten Verbesserungen konsequent und untereinander solidarisch nach außen tragen. Um die prekäre Lage von KünstlerInnen zu verbessern, bedarf es jedoch vor allem eines reformwilligen Problembewusstseins seitens der Politik, das die Komplexität dieser Herausforderungen in einer kulturpolitischen Strategie mitdenkt.

Selbstbestimmte Kunst – Arbeitsstrukturen und soziale Sicherheit. ———— Die Freie Szene braucht genau so viel an Förderungen, dass die soziale Sicherheit der Kunstschaffenden und damit deren selbstbestimmtes Arbeiten gewährleistet ist. Obwohl die freie Theater-, Tanz- und Performanceszene seit mehr als 40 Jahren (und länger) existiert, befinden sich die Beschäftigungsformen in einem Graubereich, um den auch die FördergeberInnen wissen. Die Begrenzungen, in denen die Freie Szene arbeitet, beruhen daher auf der Abhängigkeit von Zweitjobs, zeitlich begrenzten Förderungen, geringer medialer Präsenz und wenigen Arbeits- und Spielstätten. Die momentanen Förderhöhen erlauben kaum Gagen oberhalb der Armutsgrenze. Durch die Selbstständigkeit gibt es weder Arbeitslosengeld zwischen den Projekten noch Krankenstand. Dennoch ist es die Selbstständigkeit, die den Kunstschaffenden im Rahmen von Werkverträgen bisher erlaubt hat, trotz geringer Mittel, Projekte überhaupt zu realisieren. Die Konsequenzen aus der Praxis von niedrigen, unregelmäßigen Löhnen zeigen sich nun jedoch bei der Berechnung von Pensionen, die kaum die notwendige Untergrenze von ca. 930 Euro erreichen. Die Freiheit einer Szene artikuliert sich nicht nur über inhaltliche, sondern insbesondere über organisatorische Selbstbestimmung. Spätestens seit 2017 hat sich die Lage der freien Kunstschaffenden jedoch massiv geändert, da die Sozialversicherungsanstalten alle Beschäftigungsverhältnisse prüfen und viele Vereine nun Nachzahlungen an die Sozialversicherung tätigen müssen. Die Praxis zeigt, dass derzeit eher Anstellungsverhältnisse (und die damit verbundenen Abgaben) die Gefahren von Altersarmut und beschäftigungslosen Zeiten abfangen können, bzw. dass eine adequate Anpassung der Honorare bei Werkverträgen vonnöten ist. Dies ist teuer, und darum wissen auch die fördergebenden Stellen. Warum sollen in der Freien Szene nur die künstlerischen Anteile einer Produktion durch »Zuschüsse« gefördert werden, wenn für alle anderen SubventionsempfängerInnen – die etablierten Theater, Festivals, Häuser – Sozial­ versicherungsbeiträge einen selbstverständ­ lichen Anteil der Förderungen darstellen?

Das freie Performancekollektiv Darum. Darstellende Kunst und Musik wurde 2018 von den sich seit Jahren im Spannungsfeld zwischen freier und institutioneller darstellender Kunst bewegenden Kunstschaffenden Laura Andreß, Victoria Halper und Kai Krösche gegründet.

Inge Gappmaier arbeite als freie Choreografin, Tanzpädagogin und Tanzwissenschafterin und ist sie Vorstandsmitglied der IG Freie Theaterarbeit. Ulrike Kuner ist die Geschäftsführerin der IG Freie Theaterarbeit und Vorstandsmitglied im Kulturrat Österreich.

Sara Ostertag ist Theatermacherin, Kuratorin und Mitbegründerin des Kollektivs Makemake Produktionen. 2018 wurde sie vom Wiener Bühnenverein mit dem Nestroy-Theaterpreis für die beste Off-Produktion (»Muttersprache Mameloschn«) ausgezeichnet.

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IG Freie Theaterarbeit

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Makemake Produktionen

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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Nikolaus Ostermann

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Theresa Ziegler

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Studierende am Max Reinhardt Seminar

Derzeit 1. Jahrgang der Studienzweige Schauspiel und Schauspielregie Was ihr hier seht, ist die Schauspiel- und Regie-Zukunft in der letzten Woche ihres ersten Ausbildungsjahres. Den Alltag am MRS hatten sie sich im Vorfeld etwas anders vorgestellt. Das Klima sei »unerwartet familiär« gewesen, es herrsche eine große Nähe zu den DozentInnen. Man sieht, dass diese Gruppe viel Zeit miteinander verbringt. Wäre eine eingeschworene Dynamik in dieser Intensität überhaupt spielbar? Selbst an einer renommierten Schauspielschule? Das sind allerdings nicht die Fragen und Themen, die den Jahrgang beschäftigen. Die sind eher größerer Natur: »Wie können und wollen wir uns begegnen? Stagnation, Politik, Wahrheitsfindung und Liebe. Die Verantwortung von KünstlerInnen in der Gesellschaft und die Verantwortung als Privileg. Wir wollen Strukturen verändern, Utopien verwirklichen, außerdem den Konkurrenzgedanken hinter uns lassen.« Neben so viel Selbstreflexion und Bewusstsein für ihr Tun in Gegenwart und vor allem in Zukunft hat die Klasse auch eine konkrete Vorstellung einer idealen Bühne: auf ihr soll etwas riskiert werden dürfen.

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Maja Degirmendzic God’s Entertainment

Vor elf Jahren hat das Performance-Kollektiv sein Büro auf der Liechtensteinstraße für die Öffentlichkeit geöffnet. »Als Nicht-Ort der Versöhnung und Gewissheit, als Nicht-Teil der Ordnung und als Forschungslabor des Nicht-Wissens«, sagen God’s Entertainment. Das Bild zeigt Gründungsmitglied Maja Degirmendzic mit einer der vielen Requisiten, die im Büro lagern. Doch in erster Linie dienen die Räume zur Vorbereitung kommender Produktionen. Als nächste: God’s Entertainments »Tarzan«, im Rahmen des Impulstanz Festivals. Dafür wird in der Döblinger Zacherlfabrik eine eigene Bühne gebaut. Ein Gebäude, das selbst kolonialzeitliche Historie hat – der ideale Platz, um über eine der bekanntesten Figuren im Kontext von White Supremacy zu reflektieren: »Wir suchen nach einem konkreten Ort, an dem wir das Projekt so gut wie möglich umsetzen können, oder der Ort selbst gibt uns die Idee dafür und die Form der Aufführung. Hierzu muss die Bühne im Sinne von God’s Entertainment als Handlungsort genutzt und verstanden werden. Und erst als handlungsfähig wird sie für uns interessant.«

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PROSA — MARC CARNAL

SEVEN UP! Sieben ist eine mythenumrankte Zahl, die einiges hergibt und somit ein gefundenes Fressen für den Autor Marc Carnal. In seinem neuesten Buch »Die 7 Säulen des Glücks« befasst er sich intensiv mit der Zahl. Intensiv heißt in diesem Fall übrigens locker, amüsant und erbaulich. Anbei eine Kostprobe.

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SIEBEN METHODEN, UM SPEISERESTEN AUS FREMDEN MÜNDERN ZU ENTFERNEN Ist man mit einem Gegenüber konfrontiert, das Schnittlauch zwischen den Schneidezähnen hat, möchte man es von seinem Makel befreien. In Benimmbüchern steht geschrieben, dass es durchaus höflich und angebracht ist, auf den Speiserest hinzuweisen. Wirklich noble und anständige Menschen (wie z. B. ich) würden das jedoch niemals tun. Man möchte das Gegenüber ja nicht in Verlegenheit bringen! Es gilt also, den Speiserest aus den Zahnzwischenräumen zu entfernen, ohne dass es vom anderen bemerkt wird. Um das zu bewerkstelligen, gibt es mehrere bewährte Methoden:

1. Anbandeln Die für beide Seiten angenehmste Weise der SpeiserestEntfernung ist der Flirt. Man umschmeichle das Gegenüber mit kühnen Komplimenten, bedenke es mit Geschmeide exotischer Provenienz – Juwelen, Elfenbein, Myrrhe und Konfekt. Das verwirrte Herz ist bald erobert, nun dringe man mit Raffinesse weiter vor, verstricke die Zielperson in hintergründiges Reden, reiße anzügliche Possen, verwirre sie mit unkeuschen Zoten und deute ideenreich Handfestes und Sinnliches an. Wenn sie sich endlich zum Schmusen anschickt, dabei die Augen schließt und den Mund öffnet, lecke man ihr wie ein Chamäleon den Speiserest aus dem Maul, ohne dass sie etwas davon bemerkt.

2. Lügen Leider gibt es auch Menschen, die man nicht verführen möchte. Auch für diesen Fall gibt es praxistaugliche Methoden. Hat man das Gegenüber gerade erst kennengelernt, kann man sich als Zahnarzt vorstellen. Bald denkt es: »Geil, ein Dentist! Der wird mir doch sicher mal gratis in meinen Suppenschlitz schauen!« Man wird also bald darum gebeten, das Gebiss zu kontrollieren. Wenn man sich mit der neuen Bekanntschaft an einen diskre-

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ten Ort zurückzieht und sie dort ihren Schlund aufreißt, kann der Speiserest in Ruhe entfernt werden. Abschließend muss man natürlich noch die Makellosigkeit der Zähne bestätigen.

3. Wette Ist man mit dem Speiserest-tragenden Gesprächspartner allerdings schon länger bekannt, empfiehlt es sich, keinen Beruf zu erfinden, denn das wäre durchschaubar. Vielmehr sollte man immer eine Packung Zahnstocher mit sich führen. Entdeckt man einen Speiserest im gegenüberliegenden Mund, wettet man, wer sich mehr Zahnstocher zwischen die Zähne stecken kann. Bald packt das Gegenüber der Ehrgeiz und aus seinem Mund ragen Dutzende kleine Holzstücke. Die Wahrscheinlichkeit, dass mit einem davon der Essensrest unabsichtlich entfernt wird, ist sehr hoch!

4. Brand Sollte die Zahnstocher-Wette nicht angenommen werden, ist es kaum zu vermeiden, einen Brand zu legen. Natürlich sollte man dabei achtsam vorgehen, denn ein Stückchen Schnittlauch zwischen den Schneidezähnen rechtfertigt nicht, die halbe Stadt niederzubrennen. Das eine oder andere Möbelstück sollte man allerdings einrechnen, damit die Maßnahme auch funktioniert. Wenn das heimlich gelegte Feuer nämlich hinreichend lodert, bricht Panik aus. Das ist der richtige Moment, einen Feuerlöscher zu zücken und damit den Brand zu ersticken. Zwischendurch fingiert man aber eine kleine Ungeschicklichkeit und lenkt den satten Strahl des Feuerlöschers für einige Sekunden in den Mund des vor Angst schreienden Gegenübers. Der Druck der Löschpistole ist groß genug, um die Zähne in Windeseile zu reinigen. Das vermeintliche Versehen wird natürlich verziehen, weil es schließlich Leben zu retten galt. Man wird also fortan bewundert und hat gleichzeitig den Essensrest beseitigt.

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5. Bonbon Kostenärmer ist es, dem Gegenüber ein Lutschbonbon anzubieten. Man händigt ihm jedoch heimlich ein Kukident aus, das in Zuckerlpapier eingewickelt ist! Das Gegenüber ist ob des Blubberns in seinem Mund sehr erfreut und wundert sich höchstens über den seltsamen Geschmack. Das Kukident zersetzt verlässlich den Speiserest und alle Beteiligten sind glücklich.

6. Schlechtwetterprogramm Regnet und stürmt es draußen, lädt man das Gegenüber auf einen spontanen Rafting-Ausflug ein. Die tosenden Wassermassen werden das Schlauchboot rasch kentern und das unerfahrene Gegenüber beinahe ertrinken lassen. Aber nur beinahe! Der reißende Fluss hat den hartnäckigen Speiserest wie von Zauberhand aus dem Maul gespült und das Gegenüber ist um eine coole Erfahrung reicher.

lebt in Wien. Zu Hause ist er übrigens auch in so ziemlich jeder Textsorte, aus der sich etwas Lustiges und Amüsantes machen lässt. Der 33-Jährige hat es so in den letzten Jahren auf einen ansehnlichen Output an Glossen, Romanen, Theaterstücken, Hörspielen, Gedichten und Witzen gebracht. Unter anderem auch fürs Fernsehen (»Willkommen Österreich«), fürs Radio und fürs Internet. Sein aktuelles Buch »Die 7 Säulen des Glücks« (Milena) ist eine Sammlung gelungener Kurztexte der letzten Jahre. Allen gemein ist neben Mut und Zug zur Pointe vor allem eine unübersehbare Liebe zur Sprache und der Komik, die aus ihr wächst. Unterhaltungsliteratur im allerbesten Sinne.

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Marc Carnal

7. Gewalt

Lisa Edi

Pflegt man zum Gegenüber eine Hassliebe – liebt es also genug, um es von einem Essensrest befreien zu wollen, hasst es aber gleichzeitig auch – schlägt man ihm einen der betreffenden Schneidezähne aus. Der neu entstandene Zahnzwischenraum ist breit genug, dass künftig nur noch sehr große Speisen darin stecken bleiben. Eine Alternative dazu stellt der feste Schlag auf den Hinterkopf dar. Der Schlag muss so fest sein, dass der Essensrest aus dem Mund geschleudert wird. Gelingt dies nicht, ist das Gegenüber zumindest ohnmächtig. In diesem Fall kann der Schnittlauch in aller Ruhe entfernt werden, bis es wieder aufwacht.

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Rezensionen Musik

5K HD

Clemens Fantur

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Die erste Vorabsingle »In, Out« hat überrascht, obwohl wir nichts anderes als Überraschendes erwartet haben. Das explizite Jazz-Erbe der Supergroup ist darin etwas gewichen, das Spiel mit anderen Produktionsstilen, wie etwa dem von Sophie, lässt sich hineininterpretieren. Auf dem Rest des Albums tritt diese – im besten Sinne – Brachialität von »In, Out« nirgends mehr so explizit in Erscheinung. Von weit hergeholten Vergleichen bleibt schließlich nur noch die Stimmzwillingschaft von Mira Lu Kovacs mit Caroline Polachek. Generell haben wir also ein brachialeres Album erwartet. Einen stärkeren Drang, eine wummerndere Sound-Unit. 5K HDs Debüt, das laut Aussagen der Band in einem »Vulkanausbruchverfahren« entstanden sei, hatte bei aller musikalischen Expertise im Vordergrund auch immer ganz zentral eine starke Verletzlichkeit, nahezu Reduziertheit – trotz aller Komplexität. Für das zweite Album ist mehr davon geblieben, als »In, Out« hatte vermuten lassen, auch wenn die fünf BerufsmusikerInnen in der glasigen Zartheit auf eine unheimlichere Zerbrechlichkeit frei nach Smerz umgestiegen sind – im ungeraden Takt, der ohne Diplom unmöglich zu benennen ist. »High Performer« ist dem illustrierten Afghanischen Windhund auf seinem Cover sehr ähnlich: majestätisch, alienhaft, weird, etwas für fortgeschrittene HundehalterInnen (respektive MusikkonsumentInnen), und gleichzeitig eine klassische Schönheit. Außerdem ist das Album auch eine Lehrveranstaltung: Wenn 5K HD zeigen, wie Stimmverzerren nach unten (»Crazy Talk«) und oben (»How Can I Be«) einen subtilen Einsatz findet; wenn sie in »10:15« präsentieren, dass eine Hook in Komplexität nicht kompliziert klingen muss; wie man vergebliches Verlangen unpeinlich musikalisiert (»Boulevard«); und schließlich: Wie bringen wir die ZuhörerInnen dazu, ein paar Minuten lang den Einserschlag des Songs zu suchen und dabei Spaß zu haben (»I Am Emotional«)? 5K HD sind und bleiben eine der besten und professionellsten Bands des Landes. Und vielleicht lernen wir beim nächsten Release, wie schwierig es ist, eine Single zu produzieren, die ein ganzes Album repräsentieren soll. Oder soll sie überhaupt? (VÖ: 6. September) Theresa Ziegler

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High Performer — Five K Records


www.popfest.at

Gestaltung: Alexander Ach Schuh, Illustration: Monika Ernst

25-28 Juli Karlsplatz

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at

Bad Weed

Bad Weed — Siluh Records

Siluh Records

07

Mitte der Nullerjahre, als man gerade den »Glamorous Indie Rock & Roll« besang, verwurschtelte die Wiener Band Go Die Big City! die damaligen Genrekonvention zu einem Potpourri aus Blockflöten, zuckersüßen Melodien und Punk-Attitüde. Es war die Antithese zu den Franz Ferdinands und Killers – und gerade deswegen so erfrischend. Rudi Hebenstreit, das Mastermind hinter der leider sehr kurzlebigen Band, war seither in mehreren, meist sehr undergroundigen Projekten aktiv und veröffentlicht nun gemeinsam mit seiner aktuellen Gruppe Bad Weed – neben Hebenstreit noch Bernhard Hussek und Arno Dreschnig, allesamt recht umtriebig in der heimischen DIY-Szene – deren Debütalbum auf Siluh Records. Die Blockflöten sowie der kindliche Gesang sind gestrichen und gegen krachende Gitarren getauscht worden. Geblieben ist die widerspenstige Attitüde. »Bad Weed« strotzt nur so vor Energie, Verschnaufpausen sind Mangelware, die Gitarrenverzerrer auf Anschlag. »I wanna delete me completely« wird da gejohlt. Drummer Dreschnig macht währenddessen seinem Nachnamen alle Ehre und bearbeitet sein Instrument mit einer Intensität, die sofort ins Moshpit lockt. Die Band bleibt trotz aller Punk-Anleihen bei eingängigen Melodien. Das macht in erster Linie einfach Spaß, auf Tiefgründigkeit erhebt hier bestimmt niemand Anspruch – was ja auch nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss. Als Liveband machen sich Bad Weed sicher hervorragend, sämtliche Songs ihres Debüts sind auf Anhieb zugänglich, befreit von jeglicher Tristesse und lockern jedes noch so träge Tanzbein. Leider aber werden die Referenzen hier etwas gar deutlich hochleben gelassen, sodass man sich das eine oder andere Mal fragt, ob man diese Melodie nicht so schon einmal irgendwo gehört hat. Regelmäßig zu dieser Platte greifen werden aber sehr wahrscheinlich eh vor allem die Garagenrock-Enthusiasten, die – wie wohl die Bandmitglieder – auch die Black Lips, Ty Segall oder Thee Oh Sees im Regal stehen haben. (VÖ: 20. September) Benji Agostini Live: 3. Oktober, Wien, Fluc

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AB 15. AUGUST IM KINO www.sonypictures.at

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Rezensionen Musik

Ankathie Koi

Amadeus — Public Possession & Live From Earth

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Mut kann man bekanntlich nicht kaufen. Außer man erwirbt ihn in Form von Hoch- oder zumindest Mittelprozentigem. Darüber hinaus gibt es aber auch noch eine andere, deutlich vernünftigere Ausnahme – Mut kann nämlich auch erhört werden. Und nein, wir driften an diesem Punkt nicht plötzlich in religiöse Sphären ab. Ganz im Gegenteil, denn es geht hier um ein Album, auf dessen Cover 35 nackte und ineinander verschlungene Menschen zu sehen sind. Es geht um »Prominent Libido«, das zweite Album der oft als »Glam-Pop-Queen« bezeichneten Ankathie Koi, mit dem es der extrovertierten Sängerin gelungen ist, Arschtritte des Lebens in funkelndes Soundgewand zu verpacken. Es ist ein Album, das Mut macht – oder gut versteckten Mut mit flirrenden, an die Achtziger und Neunziger erinnernden Beats wieder aus einem herauskitzelt. Am Weg zum Bewerbungsgespräch zum Beispiel. Oder zum ersten Date. Auf die eben genannten Jahrzehnte lässt sich Ankathie Koi auf ihrem neuen Album aber gar nicht so leicht reduzieren, wie es auf den allerersten Blick scheint. Zu viel musikalische Feinarbeit steckt in den Songs. Zu viel Pop, der genauso gut auch in die Nullerjahre passen könnte. Die erste Albumsingle »Royal Boy« ist ein Beispiel dafür, dass sich Ankathie Koi nicht in eine Schublade stecken lässt, ohne dass da nicht noch eine ihrer Haarsträhnen herauslugen würde. Gegenbeispiele dazu gibt es aber natürlich auch – so lassen sich bei »Viktoria« die Einflüsse eines gewissen Michael Jackson nicht verleugnen. Reduktion, das muss an dieser Stelle festgehalten werden, ist Ankathies Sache nicht. Das führt unter anderem auch dazu, dass sie auf »Prominent Libido« nur selten alleine unterwegs ist. Die schon genannte Viktoria, aber auch Anna, Adriana und Meilin (»Shanghai Mazes«) begleiten sie durch ihre Songs. Eine Gang aus Sinnbildern, Personae und Verbündeten. Jedenfalls eine Gang, die Mut macht. Spaß macht »Prominent Libido« sowieso. Das muss wohl nicht extra erwähnt werden. (VÖ: 13. September) Sarah Wetzlmayr Live: 27. Juli Wien, Popfest — 16. August Eisenerz, Rostfest — 24. August Schwarz, Woodlight Festival — 26. September Graz, Postgarage

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Mit »Scirocco« startet Wolfram sein zweites Album »Amadeus« durchaus persönlich. Immerhin ist er nicht nur für seine liebevoll ausgewählten ausgefallenen Pullover, sondern auch für seine Vorliebe für mitunter kleidsame Motorsport-Assoziationen und – bei der Autowahl – für VWs Sportcoupé bekannt. Im Sound legt die Nummer eine falsche Fährte: vereinfacht gesagt, in Richtung Chromatics oder Cliff Martinez. Bei den weiteren neun Stücken beweist Wolfram nicht nur eine weitaus größere Bandbreite innerhalb seines Discosounds und wieder einmal eine Menge Humor, sondern auch seine nach wie vor glückliche Hand bei der Wahl der KollaborationspartnerInnen und Gaststimmen. Da mag Haddaway zwar nur bedingt überraschen, er kann dann aber in erster Linie mit seiner Stimme und nicht als bloße Referenz überzeugen. Pamela Anderson ist ein illustrer Name in der Liste, auch wenn sie beim Sprechen bleibt, und Yung Hurn darf in »Rein« geradezu explizit im eigenen Klischee baden – nicht stimmlich, sondern weil es natürlich um Clubs und Drogen geht. Die größte Überraschung gelingt bei »Automatic« mit Peaches, die hier eine von ihr so nicht gewohnte Popstimme zelebriert: »Longing to be touched, longig for a kiss« oder auch »See me, feel me, hear me, love me, touch me« heißt es da gar nicht unschmalzig. Falcos »Amadeus« findet auf dem Album eine durchaus eigenständige Bearbeitung – die Aufgrund der Referenzgröße und Falcos Stimme aber trotzdem irgendwie aus dem Rahmen fällt. Rein musikalisch gelingt Wolfram die Balance zwischen dem Abrufen eines Sound-Referenzraums, der ganz klar Stimmungen und Atmosphäre vergangener Jahrzehnte ins Spiel bringt, und dem dann doch bedingungslosen Herausarbeiten eines druckvollen Vorwärtsdrangs. Wolfram begnügt sich bei allen Anspielungen, Gastnamen und mitunter blöden Witzen eben nicht mit diesen Verweisen, sondern arbeitet hörbar die Details seiner Nummern heraus. Diese Beats und Sounds wollen mitreißen und in Bewegung versetzen. (VÖ: 13. September) Martin Mühl

Johannes Jelinek, Rose McOwan

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Prominent Libido — Radicals

Wolfram

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Johannes Jelinek, Rose McOwan

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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

LOU ASRIL 24.09.2019 KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

Waves Vienna Mit dem Waves Vienna verbindet uns nicht nur die Liebe zu feiner Popmusik, sondern auch ein gemeinsames Büro (full disclosure). Auch im neunten Jahr fährt das Showcase-Festival schwere Geschütze auf, um Acts aus Österreich und Europa eine mitunter erste größere Bühne zu geben. Mit den Gastländern Schweden und Ungarn ist die Ost-West-Vielfalt bestens abgedeckt. Und Gesichter wie jene von Anger (Bild), Oehl, Pippa und On Bells präsentieren Österreich außerdem sehr anständig. 26. bis 28. September Wien, diverse Locations

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Courtney Barnett Courtney Barnett wollte eigentlich Tennisspielerin werden. Heilfroh sind wir, dass sie dann doch irgendwann zur Gitarre gegriffen hat und nun gefühlt seit Jahrhunderten, aber in echt erst seit 2013, unseren Soundtrack fürs süße Loslassen liefert. Auch wenn sich ihre Musik nach Sonntag anhört, hatte Courtney selbst wohl schon lange keinen freien Tag mehr. Mal mit The National in Indianapolis, mal in Peking, tourt sie quasi nonstop. Wir hoffen, sie kann sich auch mal hinsetzen und denken, oder auch einfach nur sitzen. 4. September Wien, Flex

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Felicitas Freygöbl

Stefan Plank, Pooneh Ghana, Reinhold Seyfriedsberger,

© Laurenz Hyer


Termine Musik Felix Kramer Gefühlt empfehlen wir Felix Kramer an dieser Stelle in fast jeder Ausgabe. Tatsächlich verdient er mit seinem Handwerk aber eh einen Fixplatz im modernen Wienerlied. Sein Album »Wahrnehmungssache« und dessen Kritiken sprechen für sich. 18. August Wien, Theater am Spittelberg — 29. August Schlierbach, OÖ Literaturfestival — 12. September Weiz, Volxhaus — 13. September Vöcklabruck, OKH

Jazzfestival Saalfelden Ein geteiltes Leid vieler Jazzfestivals ist es, für sich selbst Grenzen dafür zu setzen, wie umfassend man den Jazzbegriff versteht und ob man sich dabei auch an Pop-Spielarten anlehnt. Das Jazzfestival Saalfelden hat seine Brand dahingehend konsequent definiert. So stecken sie unter anderem mit Lylit, Cid Rim und Lukas König (übrigens auch neu als Artist in Residence) den Rahmen. ab. 22. bis 25. August Saalfelden, diverse Locations

Ariana Grande Nicht ganz unkontrovers ist Ariana Grande eine der wohl größten Pop-Ikonen ihrer Generation. Mit 160 Millionen Followern erreichen von ihr gepostete Fotos von Hunden, die Schnürsenkel beißen, eine schier unglaubliche Zahl an Menschen. Dennoch gilt Ari auch als Advokatin gesunder Self-Care und als Vorbild für Traumabewältigung. Es wird in jedem Fall eine Riesenshow. 3. September Wien, Stadthalle

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inkl. Versand

Signale 19 Da die ersten Signale im letzten Jahr so viel Positives bewirkten, können wir heuer gemeinsam wieder »Musik politisch machen«. Alle Einnahmen der Signale 19 kommen auch wieder Initiativen zugute, die durch Budgetkürzungen ums Bestehen kämpfen. Dabei helfen Popfest-Alumni Madame Baheux, Postpunk von Lonesome Hot Dudes und Hip-Hop-Rising von Zion Flex und DJ Yomomma (Bild). 26. September Wien, Arena

Felicitas Freygöbl Stefan Plank, Pooneh Ghana, Reinhold Seyfriedsberger, Moritz Bichler, Dave Meyers, Samir Novotny, John Maher

Edwyn Collins Zehn Jahre nach seinem Welthit »A Girl Like You« erlitt Edwyn Collins zwei Schlaganfälle. Trotzdem veröffentlicht er standhaft weiter gute Alben. Jüngst in Kooperation mit dem Film »Sometimes Always Never«, für den er den Soundtrack co-komponierte. 26. September Innsbruck, Treibhaus — 27. September Salzburg, Rockhouse — 28. September Linz, Posthof – 30. September Wien, WUK

Progress #11

Rostfest

Yeasayer

Das KünstlerInnenkollektiv Subetasch bespielt seit Jahren das Wald4tler Hoftheater für ihr Performance-, Kunst-, und Musikfestival Progress. Mit dabei heuer: Therese Terror, Ana Threats neues Projekt The Boiler und Jazz-Techno von Philipp Quehenberger. bis 1. September Pürbach, Wald4tler Hoftheater

Ein Riesenspaß für die ganze Familie und dabei trotzdem kein Kinderspektakel: das Rostfest. Kuratiert wird das Hauptprogramm nämlich für erwachsene Gäste. Wenn sich Alicia Edelweiss, Ankathie Koi, Pabst und Das Planetenparty Prinzip Hallo sagen, sagen wir nicht Baba. 16. und 17. August Eisenerz, diverse Locations

Es sei ihre »classic rock record«, das fünfte Studioalbum. Tatsächlich haben sich die drei New Yorker auf »Erotic Reruns« viele klassische Songwriting-Kniffe aus vergangenen Ären erlaubt – die Form ist dichter, die Hooks kommen schneller. Das geschulte Ohr hört das auch Iive raus. 11. August Wien, Grelle Forelle

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Termine Festivals

3 Fragen an Markus Keuschnigg

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Slash – Festival des Fantastischen Films

Heuer geht das Slash Festival in die zehnte Runde. Was könnt ihr uns zum Programm der Jubiläumsausgabe bereits verraten? Prinzipiell legen wir die zehnte Festivalausgabe nicht anders an als die vorigen. Es wird also kein Abfeiern von uns selbst geben, das fänden wir unschicklich. Stattdessen machen wir das, was wir gut können: Die besten Fantastischen Filme des Jahres bestmöglich präsentieren. Ein historischer Schwerpunkt liegt heuer auf Horrorfilmen von Regisseurinnen: Die britische Filmwissenschaftlerin Alison Peirse hat ein Sonderprogramm mit dem Titel »Female Terror« kuratiert, in dem über ein Dutzend Arbeiten von Mary Lamberts »Pet Sematary« über Věra Chytilovás »Wolf’s Hole« und Barbara Peeters’ »Humanoids From The Deep« hin zu »Office Killer« von Starfotografin Cindy Sherman gezeigt werden. Wird es heuer – wie erstmals im Vorjahr – wieder drei Spielorte geben? Das Festival läuft auch dieses Jahr wieder im Filmcasino und im Metro Kinokulturhaus. Die Eröffnung findet mit »The Lodge« von Veronika Franz und Serverin Fiala am 19. September im Gartenbaukino statt. Dass wir letztes Jahr die zwei Säle des Metro Kinokulturhauses mitbespielt haben, hat unserem Publikum gut gefallen und uns neue Möglichkeiten eröffnet. Wir konnten deutlich mehr Filme zeigen und auch einige Wiederholungen. Fix dabei ist auch wieder das Festivalzentrum, das wir dieses Jahr als Begegnungsraum für unsere Fans nutzen wollen – etwa durch Talks mit FilmemacherInnen. Poster mit dem Slash-Festivalsujet sind alljährlich heiß begehrt. Wer zeichnet dafür verantwortlich und was zeigt euer Sujet heuer? Das Festivalsujet stammt von André Breinbauer und zeigt das Tor zur Unterwelt: Wir laden das Publikum zu einer Reise ins Innere ein, um wie mit Vergil durch die zehn Kreise – oder zehn Festivaltage – zu wandern. Andererseits kommen Höllenkreaturen durch das Tor hinaus. Wie es schon bei Romeros »Dawn Of The Dead« heißt: »When there’s no more room in hell, the dead will walk the earth.« Und dieses Jahr haben wir wieder einige großartige Monster und Albtraumvisionen für unser Publikum. 19. bis 29. September Wien, diverse Locations

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Ars Electronica Die Ars Electronica, von Locals liebevoll »die Ars« genannt, feiert heuer mit dem Motto »Out Of The Box« ihr 40-jähriges Bestehen. Was in Österreich oft unter dem Radar bleibt, ist das internationale Renommee, das das Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft mit sich trägt. In Zukunft sollen die ganzjährige Präsenz in Japan und langfristige Initiativen im Silicon Valley ausgebaut werden. Die Homebase Linz wird erstmals mit einem europäischen Festival für AI und Musik bespielt, das unter anderem von den Chefdirigenten des Bruckner Orchesters und der Philharmonie Brünn kuratiert wird. Außerdem neu: die Dauerausstellung im Ars Electronica Center und ein weiterer Preis, der in zwei neuen Altersgruppen verliehen wird. 5. bis 9. September Linz, diverse Locations

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Termine Festivals

Felicitas Freygöbl

Steirischer Herbst Das »Grand Hotel Abyss« ist eine Metapher des Philosophen Georg Lukács, die das Liebäugeln der europäischen Intellektuellen mit Konservatismus hinter der Folie des Hedonismus beschreibt. Heuer ist das Hotel auch Motto des Steirischen Herbstes, Europas ältestem interdisziplinärem Festival für zeitgenössische Kunst – ohne darauf zu vergessen, wie eine Vermischung von (privatem) Genuss und Politik eine Staatskrise auslösen kann. Unter den teilnehmenden KünstlerInnen finden sich Elmgreen & Dragset (Bild) und Jakob Lena Knebl. 19. September bis 13. Oktober Graz, diverse Locations

Who Cares For Beer Festival Bier, Livemusik und ein Zirkuszelt – if paradise is half as nice! Beim Sommerfest der Brauerei Bevog versammelt sich die Elite der Craft-Bier-Brauereien aus der halben Welt. Von Russland über Estland bis Frankreich: das Getränke-Line-up verspricht so einiges. Anreise aus Wien am besten mit dem Beerlovers-Bus. We care for beer! 24. August Bad Radkersburg, Brauerei Bevog

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Slash Festival, Ars Electronica / Robert Bauernhansl, Elmgreen Dragset, Katarina Šoškić / Bueronardin, Vienna Design Week

Jahre alt wird die Shortynale. Das Festival, das den Kurzfilm liebt und feiert, bereitet ihm erneut den niederösterreichischen roten Teppich. Dabei lässt sich die Shortynale traditionsgemäß auf jedes Genre ein und gibt mit Workshops, Afterpartys und einer Virtual-Reality-Lounge genug Platz für Diskurs und Fun. 13. bis 18. August Klosterneuburg, Babenberger Halle

Volksstimmefest Schon zum 73. Mal besetzt die Wiener Linke die Jesuitenwiese. Auf dem programmatischen Traditionsfest findet sich im höchstpolitischen Musikund Kulturprogramm auch wieder die Lesereihe Das Linke Wort, seit 1974 fixe Größe am Volksstimmefest. Heuer wird unter anderem Drehbuchautorin Barbara Eder vortragen. 31. August bis 1. September Wien, Jesuitenwiese

Sorority Feministival Das branchenübergreifende Frauennetzwerk Sorority wird fünf Jahre alt. Mit einem fulminanten Sommerfest wird das Diskursschaffen des Vereins gebührlich gefeiert. Auf das genaue Kultur-, Diskurs- und Party-Programm dürfen wir noch gespannt sein. Man munkelt, dass unter anderem unsere Chefredakteurin Raver Resi auflegen wird. 13. September Wien, Brotfabrik

Vienna Design Week

MQ Vienna Fashion Week

Bei Österreichs größtem und internationalstem Designfestival weiß man, was man kriegt: A City Full Of Design. Jedes Jahr wird mit Spannung erwartet, worauf sich das Organisationsteam bei Fokusbezirk und Gastland festgelegt hat. Dieses Mal: Alsergrund und Finnland. Als Festivalzentrale wird das Althan Quartier am Franz-Josefs-Bahnhof zwischengenutzt. Das Gastland wird sich unter anderem mit der Ausstellung »Wild At Heart« zu zeitgenössischem finnischem Design, kuratiert von Designer Tero Kuitunen, zeigen. 27. September bis 6. Oktober Wien, diverse Locations

Im Museumsquartier zeigt Wien mit seiner very own Fashion Week, wie Mode aus der Hauptstadt aussieht. Rund 65 DesignerInnen präsentieren ihre Kollektionen und die Tatsache, dass High Fashion aus Vienna nicht unbedingt Hoermanseder heißen muss. Außerdem kann mitunter direkt vom Runway geshoppt werden. 9. bis 15. September Wien, Museumsquartier

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Der öffentliche Raum als Shooting-Sujet, ungesehene Öffentlichkeiten sichtbar machen und Momente des Alltags einfangen – in Mittelformat, auf 35-mm-Film oder mit dem Smartphone: Das Kunst Haus Wien widmet sich der Street Photography in einer Gruppenausstellung. Hier wird ein breites Spektrum des Urban-Space-Genres einer Öffentlichkeit im institutionellen Kunstraum präsentiert. 52 Positionen mit rund 320 Werken – neben Ikonen wie Diane Arbus oder Lee Friedlander finden auch junge VertreterInnen aus der zeitgenössischen Street-Photography-Szene wie Mohamed Bourouissa, Harri Pälviranta, Alex Dietrich und Lies Maculan in der Ausstellung ihren Platz.. 11. September bis 16. Februar Wien, Kunst Haus Wien

Street. Life. Photography

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Termine Kunst

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Termine Kunst Come On! Dance With Me Die Wiener Sommerluft ist auch heuer wieder geschwängert von Tanz und Performance, wenn das Impulstanz-Festival seine Pforten öffnet und zu Performance-Art, Workshops und Partys lädt. Neben diesen Programmpunkten kann man sich der performativen Thematik in der Galerie Ostlicht auch in 2D nähern: Das Fotografinnenduo Karolina Miernik und Emilia Milewska / yako. one präsentieren in der Ausstellung »Come On! Dance With Me« ihre Dokumentation der letzten Impulstanz-Jahre. bis 11. September Wien, Ostlicht

Land Art Weg vom White Cube, raus ins Grüne, Weitläufige und Reale: Die Land Art als Kunstströmung des 20. Jahrhunderts bestimmte die Natur als künstlerischen Rahmen und Galerieraum, KünstlerInnen tauschten Pinsel und Leinwand gegen Bulldozer und gruben ihre temporären Werke in die Landschaft. Zum 50. Geburtstag des Land-Art-Begriffs werden nicht nur US-amerikanische Pionier­positionen in Krems gezeigt, sondern auch Arbeiten von zeitgenössische VertreterInnen aus Österreich wie etwa Josef Trattner. bis 3. November Krems, Kunsthalle

Der israelische Videokünstler und Regisseur Omer Fast ist Meister des dokumentarischen und fiktiven Hybrids, das er dementsprechend gekonnt in seinem Film-Œuvre als konzeptionelle Grundlage einsetzt. Der Salzburger Kunstverein widmet sich dem Künstler mit drei seiner Filme: »The Invisible Hand«, »August« und »Der Oylem iz a Goylem« – Fasts neuestes Werk, das in der Ausstellung in »einer medizinisch konstruierten Umgebung« uraufgeführt wird. bis 6. Oktober Salzburg, Salzburger Kunstverein

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Omer Fast. Der Oylem iz a Goylem

Radical Self Love

Michaela Pichler William Klein, EmiliaMilewska, Josef Trattner, Omer Fast, Zadie Xa & Agustina Ferreyra, Parallel Vienna, Henrike Naumann

In der Popwelt hört man es mit VertreterInnen wie Lizzo schon längst aus den Streaming-Playlists dröhnen, Instagram ist mit Hashtags voll und TED-Talks zum Thema »Selbstliebe« finden sich in Unmengen auf Youtube: Im Herbst bedient sich auch die Galerie Sophie Tappeiner dem populären Konzept und lockt mit plakativem Titel. Mit »Radical Self Love« bedienen Sagg Napoli, Tabita Rezaire und Zadie Xa das Internet- und Healing-Phänomen mit ihrer künstlerischen Praxis. 13. September bis 12. Oktober Wien, Sophie Tappeiner

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Parallel Vienna Ein leerstehender Wilhelm-Holzbauer-Bürokomplex und die zukünftige Hautevolee der österreichischen Contemporary-Art-Szene in Wien: Die Parallel Vienna bespielt auch heuer wieder ein ausrangiertes Gebäude im Zwischennutzungsstil mit talents to watch, etablierten Galerien, Rundgang-Flair und Off-Spaces jeglicher Art. Eine Woche lang kann man dem alternativen Messenspektakel frönen, das dieses Jahr in seiner siebten Edition stattfindet. 24. bis 29. September Wien, Lassallestraße 5

Henrike Naumann Born and raised im ostdeutschen Zwickau, wurde Henrike Naumanns künstlerisches Schaffen vom Zerfall der DDR und von Rechtsextremismus zwischen 90er-Jahre-Jugendkultur und der Terrororganisation NSU mitgeformt. In ihren von Alltagsarchitektur geprägten Rauminstallationen, die 2018 beispielsweise beim Steirischen Herbst zu sehen waren, wirft Naumann Fragen zu Ästhetik, Hedonismus und Ideologie auf. Dabei werden Wohnzimmerlandschaften zu interdisziplinären Sozialstudien. 26. September bis 12. Januar Wien, Belvedere 21

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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik »The Cut« findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5.

Termine Kino Child’s Play Regie: Lars Klevberg ———— »Are we having fun now?«, fragt Chucky, die mit AI ausgestattete Puppe, die Karen (Aubrey Plaza) ihrem Sohn Andy (Gabriel Bateman) geschenkt hat. Spaß haben die beiden nicht, entwickelt Chucky doch mörderische Züge. Das Remake des 1988er-Kultfilms besticht mit dunklem Humor, dem Knacken brechender Knochen und jeder Menge Kunstblut. Start: 18. Juli

Der unverhoffte Charme des Geldes

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Once Upon A Time In Hollywood Regie: Quentin Tarantino ———— Tarantino is back und stellt in seinem neuen Film »Once Upon A Time In Hollywood« ein Ereignis in den Fokus, das die Welt auch nach 50 Jahren noch in Atem hält: Die Morde der Manson-Familie, die 1969 das Ende der unschuldigen Hippie-Ära mit sich brachten. In seinem neuen, mit vielen Stars (Leonardo DiCaprio! Brad Pitt! Margot Robbie! Al Pacino!) besetzten Film trifft Drama auf Crime und wir auf den Glamour des alten Hollywoods, wenn im Los Angeles der 1960er der ehemalige TV-Westernstar Rick Dalton (DiCaprio) und sein Stuntdouble Cliff Booth (Pitt) versuchen, in der Filmbranche Fuß zu fassen, während die Morde der Manson-Familie die Stadt erschüttern. Dieses Mal nicht mehr von der Weinstein Company, sondern von Sony produziert, scheint Tarantino erneut ein großer Wurf gelungen zu sein. Start: 15. August

Regie: Denys Arcand ———— Money makes the world go round, so sagt man, doch wohin damit, das fragt sich Kapitalismusgegner Pierre-Paul Daoust (Alexandre Landry), als er Zeuge eines Raubüberfalls wird und unverhofft zu Schwarzgeld kommt. Die neue französische Komödie des Oscar-Preisträgers Denys Arcand fragt, welche Werte zählen. Start: 9. August

Flatland Regie: Jenna Bass ———— Drei Frauen, drei Schicksale im Patriarchat, ein in Südafrika spielender Western und ein Versuch, herkömmlichen Geschlechterrollen zu entkommen sowie der Frage nachzugehen, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Jenna Bass’ »Flatland« verhandelt vieles in 117 atemberaubenden Minuten und lief bereits bei der Berlinale. Start: 23. August

Es: Kapitel 2 Nevrland Regie: Gregor Schmidinger ———— Der 17-jährige Jakob (Simon Frühwirth) braucht Geld für das nahende Studium und beginnt als Aushilfskraft in dem Schlachthof zu arbeiten, in dem auch sein Vater tätig ist. Er kämpft mit einer Angststörung und lernt schließlich in einem Sex-Cam-Chat den 26-jährigen Künstler Kristjan (Paul Forman) kennen. Gregor Schmidingers Langfilmdebüt »Nevrland« feierte seine Premiere im Rahmen des Filmfestivals Max Ophüls Preis, in Österreich wurde der Film auf der Diagonale 2019 uraufgeführt. Schmidinger, der davor mit den Kurzfilmen »The Boy Next Door« und »Homophobia« auf sich aufmerksam machte (diese erreichten insgesamt 15 Millionen Klicks auf Youtube), ist auch Mitgründer des Porn Film Festival Vienna. Er arbeitet als Social-Media-Stratege für Filme und setzt sich für LGBT-Themen ein. Vorfreude! Start: 13. September

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Regie: Andy Muschietti ———— In der Fortsetzung des 2017er-Films und basierend auf Stephen Kings gleichnamigem Roman kehrt Es nach Derry zurück und will Rache. Regie führte abermals Andy Muschietti. Ihm zufolge soll Teil zwei ernster, intensiver und gruseliger sein als der erste. Bei der San Diego Comic-Con wurden bereits erste Einblicke geboten. Start: 5. September

Nobadi Regie: Karl Markovics ———— Seinen dritten Film als Regisseur liefert Karl Markovics nach »Atmen« und »Superwelt« nun mit »Nobadi«. Darin erzählt er die Geschichte von zwei Menschen – einen alten Mann sowie einem afghanischen Flüchtling –, die nichts gemeinsam haben, aber dennoch einige Stunden teilen. Start: 27. September

Barbara Fohringer

Regie: Friedrich Moser ———— Hierzulande wurden 2018 laut dem Verband der Brauereien Österreichs im Durchschnitt 104 Liter Bier pro Person getrunken. Das beschert uns weltweit den zweiten Platz und bestätigt den Ruf Österreichs als »Biernation«. Neben der Menge zählen (und passen) aber auch Qualität und Vielfalt – Stichwort »Craft-Bier«. Friedrich Moser hat dem Getränk nun eine Doku gewidmet. Start: 30. August

Sony Pictures / Andrew Cooper, Filmladen Filmverleih

Bier! Der beste Film, der je gebraut wurde

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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik ÂťThe CutÂŤ findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5.


Illbilly

frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus

Im feierlichen Rahmen eines Geburtstagsfestes wurde ich von einer ganz lieben Bekannten darauf aufmerksam gemacht, dass sich unter der Gästeschar mein Stimmzwilling befindet. Ich meine es übrigens völlig frei von Ironie, wenn ich »ganz liebe Bekannte« sage. Gemeinhin ist ja »ganz lieb« eine Art unverblümter Code dafür, dass das Verhältnis zwischen zwei Menschen nicht ganz so allererste Sahne ist. Man stelle sich zum Beispiel folgende Szene vor: Bei einer Firmenfeier eines mittelgroßen Start-ups, ergreift der Chef das Wort und lobt die gute Performance und gelungene Hochskalierung im letzten Jahr. In der launigen Rede, schließlich hat man schon ein Schlückchen Winzersekt zu viel intus, fällt dann der folgende Satz: »Ich möchte auch meiner ganz lieben Frau danken, die immer hinter mir steht und die mit großer Toleranz erträgt, dass die Nächte im Dienste unserer Mission manchmal auch ein wenig länger werden können.« Als ZuhörerIn weiß man dann eigentlich schon, was es geschlagen hat. Aber zurück auf das Geburtstagsfest, zu meiner ganz lieben Bekannten und meinem Stimmzwilling, der hier irgendwo unter das Partyvolk gemischt ist. Ich wollte ihn natürlich NICHT kennenlernen. Denn was, wenn mir seine und somit meine Stimme nicht gefällt? Man hört sich ja selber anders, aber in mir tobt die Befürchtung, dass ich ein krächzendes Organ habe und eher nicht so ein sonorer, lässiger Brummer bin. Zudem beunruhigte mich die Möglichkeit, dass mein Stimmzwilling vor mir Wörter in den Mund nimmt, die mir niemals über die Lippen kämen.

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Chapeau zum Beispiel. Oder abliefern. Vielleicht benutzt er sogar die überflüssige Beifallsbekundung ganz großes Kino. Ich will mit keinem Menschen reden, der vielleicht sagen könnte. »Dass wir zwei Stimmzwillinge sind, ist ganz großes Kino. Da hat die Natur einmal wirklich ordentlich abgeliefert. Chapeau!« Wenn ich so einen Satz in meiner Stimmfrequenz aus einem fremden Munde hörte, explodiert vielleicht die Welt. Bumm. Muss aber auch nicht sein. Weil im Zuge einer Recherche für diese interessante Kolumne hier, habe ich auf der beliebten Plattform Pornhub, es kann auch xHamster gewesen sein, meinen Schwanzzwilling gesucht. Und nach mehreren Stunden auch gefunden. Details möchte ich jetzt aussparen. Aber als ich quasi mein Glied an einem Fremden stehen und in voller Aktion sah, ist nicht einmal der Browser abgestürzt Um ein Haar habe ich mir zudem gedacht: »Boah, ganz großes Kino, was der Kollege mit meinem Pimmel da abliefert. Chapeau!« Aber ich fasste mich wieder und mir ist dann eine Studie eingefallen, die Pornhub vor kurzem veröffentlicht hat. Eine rezente Studie – wie man so sagt. Ihr zufolge steht in Österreich der Suchbegriff »Uniform« hoch im Kurs. Höher als anderswo. Man weiß nicht warum, vielleicht hat es was mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck zu tun. Aber ganz ehrlich: Die ganzen Vaterbumst-Tochter-Mutter-lutscht-Sohn-Schwester-pudert-Stiefbruder-und-Tante-leckt-mitwährend-Oma-zuschaut-Pornos, sind von der Idee wohl viel rechter als ein kleiner harmloser Uniformfetisch. Mehr unter sich bleiben als

in innerfamiliären Inzestorgien kann man eigentlich fast gar nicht mehr. Die Angst vorm Fremden mündet anscheinend direkt in Blutschandeorgien. Übrigens, die beliebtesten Suchbegriffe der Österreicher auf Pornhub sind zur Zeit »deutsche nachbarin« (Platz 1), »deutsch« (Platz 3), »deutsche lesben« (Platz 4), »german« (Platz 9), »german dirty talk« (Platz 10) – nur so als Zwischeninfo, die gleich analysiert wird. Achtung! Jetzt kommt’s: Der Österreicher steht allem Anschein nach auf Uniformen, Inzest und Deutsche. Aber noch einmal zurück auf die Geburtstagsparty und zu meiner ganz lieben Bekannten. Sie verstand meine Sorgen meinen Stimmzwilling betreffend und wir führten einen kurzen, knackigen Talk. Der war sehr interessant. Es ging um die Korrelation der Wörter »Hüftgold«, »Göttergatte« und »sündigen«. Aber darüber will ich jetzt nicht schreiben. Deswegen ist der Text hier zu Ende. www.facebook.com / illbilly

Jakob Kirchmayr

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Know-Nothing-Gesellschaft Doppelt gemoppelt

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