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Was bleibt von den 2010ern?

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AUSGABE DEZEMBER 2019 / JÄNNER 2020 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1052 WIEN, P.B.B. | GZ 18Z041505 M


: t n e v d A m a e t Das Schรถns aufmachen. Jeden Tag eines

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Editorial We did not wake up like this

Markus Raffetseder

Spätestens im November jeden Jahres legt sich ein Schatten der Retrospektive über allerlei Medien, ob sozial oder nicht. Das Jahr ist 2019 und es bricht über einen herein: Nicht nur zwölf Monate sind vorüber, es gilt auch gleich ein ganzes Jahrzehnt in der Rückschau zu bewerten. Nichts macht mehr Spaß, als sich darüber zu belustigen, wie wir selbst vor Jahren ohne das biografische Wissen des heutigen Tages handelten und dachten. Meinungen sind fluide, vor allem auf ein Jahrzehnt gerechnet. Und dabei sind nicht nur politische Rechts- und Rechtsrechtsrücke gemeint. Auch in der popkulturellen Meinungsforschung folgen wir Trends bei dem, was wir als würdig und recht erachten. Wie wir zunächst auf Taylor Swifts, dann auf Kanye Wests Seite waren, und uns nun denken, alles sei irgendwie anders, seit er als Trump-Unterstützer gilt. Wie wir Wanda als Beisl-Antipode zu Bilderbuch feierten, bezweifelten und gerne an Deutschland weiterverkauften. Und wie wir dachten, dass sich unser Konzept von Dating nicht durch die bloße Existenz von Tinder ändern wird. Die 2010er haben uns viel gegeben – eine neue Welle an Feminismus, High-Waist-Jeans, Spotify – und viel genommen – Sozialdemokratie, Gluten, Fernsehen. In unserer Coverstory analysieren The-Gap-AutorInnen aus der Perspektive ihrer jeweiligen Expertise, wie einzelne Popkulturphänomene ein Jahrzehnt und uns prägten – wie Hofer mit algorithmierten Sneakers zusammenhängt, wie wichtig »50 Shades Of Grey« für Fankultur und wer wirklich schuld an NeoAustropop war. Das oben angedeutete Konzept der Umwertung und Neuschreibung von Popkulturgeschichte bekommt in der »Gender Gap«-Kolumne einen eigenen Platz. Wir stellen uns mitunter ungern vor, mit welchem Weltbild wir am Anfang des vergangenen Jahrzehnts aufgewacht sind, weil wir unserem Selbst von damals vielleicht gar nicht mehr ähnlichsehen. Wir sind vegan geworden, haben Flugreisen abgeschworen, mehr gewählt, und mehr weiße Männer mit ihrem Bullshit konfrontiert. Abgesehen davon, dass wir alle zehn Jahre älter und mitunter »erwachsen« geworden sind, schaut nun eine andere Gesellschaft heraus. Nicht im Sinne einer digitalen Dystopie frei nach allen KulturpessimistInnen, sondern in einem Sinne, der weitaus ambivalenter zu bewerten ist. Vielleicht dann am besten von 2029 aus.

Theresa Ziegler

Chefredakteurin • ziegler@thegap.at @raverresi

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Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher Chefredaktion Theresa Ziegler Leitender Redakteur Manfred Gram Gestaltung Markus Raffetseder AutorInnen dieser Ausgabe Barbara Fohringer, Bernhard Frena, Felicitas Freygöbl, Pia Gärtner, Susanne Gottlieb, Walter Gröbchen, Catherine Hazotte, Sofie Kronberger, Oliver Maus, Martin Mühl, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Gabriel Roland, Sabine Schlossnagel, Werner Schröttner, Emily Staats, Sarah Wetzlmayr KolumnistInnen Astrid Exner, Illbilly, Gabriel Roland FotografInnen dieser Ausgabe Alexander Galler, Fabian Gasperl, Alexander Gotter, Patrick Münnich Lektorat Jana Wachtmann Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Thomas Heher (Leitung), Martin Mühl Distribution Wolfgang Grob Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Raiffeisen Bank, IBAN: AT67 3200 0000 1160 0756, BIC: RLNWATWW Abonnement 6 Ausgaben; Euro 21,— www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der HerausgeberInnen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent / die Inserentin. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Magazin 012

Was bleibt von den 2010ern? Eine Dekade, aber als Lebensgefühl

Poesie und die tanzbare Essenz Oehl und ihr Album »Über Nacht« FM4 bekommt ein neues Home, Baby! Ein Blick in die Zukunft des Senders

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Luftballons am Streaming-Himmel Österreichische Indie-Labels am Round Table »Es gibt wieder echte Stars« Ein Interview zu »Treffpunkt Österreich«

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Gerlinde Egger, Alexander Galler, Alexander Gotter, Lisa Schrofner, Monkey

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Gerlinde Egger, Alexander Galler, Alexander Gotter, Lisa Schrofner, Monkey

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Lisa Schrofner Unser Cover strahlt dank Lisa Schrofner. Die 24-Jährige selbst glänzt aber nicht nur mit ihren Illustrationen, sie macht auch Schmuck, Kleidung und spielt »mittelmäßig, aber euphorisch« Schlagzeug. Als @liser.art ist die gebürtige Salzburgerin »all day, every day« auf Instagram zu finden. Und allen, die denken, sie müssen Kunst studieren, um Kunst zu machen, richtet sie aus: Lisa hat keine Ausbildung als Illustratorin und hat sich »dank Leidenschaft und Ambition« trotzdem vor einem knappen Jahr selbstständig gemacht. Mic Drop!

Walter Gröbchen

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Verleger, Journalist und Kurator – das sagt Walter Gröbchens Kurzbio. Hinzu kommen der Plattenladen Schallter sowie die Agentur Monkey, die er jeweils gemeinsam mit Partnern betreibt. Dass der gebürtige Wiener mit seiner Erfahrung als Autor und Musikarbeiter (als A&R-Manager signte er Acts wie Absolute Beginner und Seeed) 57 Jahre alt hat werden müssen, bis er erstmals in The Gap veröffentlicht, ist eigentlich ungewöhnlich. Umso erfreu­ licher, dass Walter nun seine Expertise in Sachen Streaming mit uns teilt.

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Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Charts 044 Wortwechsel 046 Workstation: Gabriele Fröschl Gabriel Diakowksi 050 Prosa: Tanja Raich 052 Gewinnen 053 Rezensionen 056 Termine

Kolumnen

»The Cut« ist The Gaps Antwort auf den »Bravo Starschnitt« unserer Jugend. In dieser und den kommenden Ausgaben liefern wir euch einen Print des Künstlers Peter Phobia in vier Teilen. Ihr müsst diese nur gewissenhaft an der gekennzeichneten Linie ausschneiden und mit einem Klebemittel eurer Wahl zusammenfügen.

Teil 3: The Gap #179

Teil 4: The Gap #180

Peter Phobia ist in Deutschland aufgewachsen, studierte an der Angewandten in Wien und lebt mittlerweile in New York. Das Sujet »To Do #2« ist zentral in Peters Buch »Facts And Fiction«, das Fotos zu seinen aktuellsten Ausstellungen sammelt und bei Pool Publishing erschienen ist.

007 Einteiler: Gabriel Roland 008 Gender Gap: Astrid Exner 066 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly

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Charts Therese Terror

Charts Markus Raffetseder

TOP 10

TOP 10

TOP 03

TOP 03

Auch nicht schlecht: Von Mitte Dezember bis Mitte Jänner Urlaub machen – ich habe leider nur eingeschränkten E-Mail-Zugang und wünsche Ihnen erholsame Feiertage.

Auch nicht schlecht: Trockenhorde

Dinge, die seit Monaten auf meiner To-do-Liste stehen 01 McFit kündigen 02 E-Card nachbestellen 03 Staubsauger kaufen

Therese Terror ist seit 1988 DJ und Geschäftsmann in Wien und hostet ab 11. Jänner 2020 die Reihe »Reign Of Terror« in der Grellen Forelle.

SHIA LABEOUF

DAKOTA JOHNSON

Siebdruckerlatein 01 Rakel 02 Niedertemperaturvernetzer 03 Retarder 04 T-Lineal 05 Registration 06 Kopierschicht 07 Moiré-Effekt 08 T43-Gewebe 09 Glitter 10 Trockentunnel

Sehr schlecht, wenn wieder mal kaputt (beim Plattenspieler) 01 Nadel 02 System 03 Cinchkabel

Unser Grafikdesigner Markus Raffetseder aka Dr. Knoche reist alle zwei Monate aus Transdanubien an, um The Gap seinen freshen Look zu verpassen. Zuhause wartet derweil allerlei Siebdruckgerätschaft auf ihn.

JOHN HAWKES

Nikolaus Ostermann, Esther Crapelle

Dinge, die das Leben im Winter besser machen 01 Kneipp Entspannungsbad 02 Kinder Pinguí 03 Zwergdackel 04 Bliss 05 Happy Meal 06 Stadtwanderwege 07 Tageslichtlampe 08 Luftbefeuchter 09 Champagner 10 Durex Play Vibrations

ZACK GOTTSAGEN

Ein Film von TYLER NILSON und MICHAEL SCHWARTZ

„Fantastisch, mit viel Herz und voller Humor.“ MOVIE WEB

SXSW SOUTH BY SOUTHWEST FILM FESTIVAL 2019

NANTUCKET FILM FESTIVAL 2019

MAUI FILM FESTIVAL 2019

Publikumspreis

Publikumspreis & Gewinner Bester Spielfilm

OFFIZIELLE AUSWAHL LIGHTHOUSE INTERNATIONAL FILM FESTIVAL 2019

OFFIZIELLE AUSWAHL BFI LONDON FILM FESTIVAL 2019

OFFIZIELLE AUSWAHL FILMFEST HAMBURG 2019

Publikumspreis Bester Erstlingsfilm

AB

19. DEZEMBER IM KINO! www.ThePeanutButterFalcon.de The_Gap_178_003-011_Splitter_FIN_BBA_mf.indd 6

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Vielleicht schadet es nicht, eine der Grundannahmen zu wiederholen, auf denen diese Kolumne basiert: Die Auseinandersetzung mit Kleidung und Mode ist unter anderem deswegen spannend, weil wir zu Gewand eine so direkte körperliche Beziehung haben. Abgesehen vielleicht von radikalen NudistInnen kann man all jenen, die versuchen, die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung von Mode in Abrede zu stellen, vorhalten, dass ihnen nur wenige Erzeugnisse unserer Zivilisation nähergehen als das Gewand, das sie wohl gerade anhaben. Es ist da und wirkt sich auf Tragende und Betrachtende aus – auch wenn wir uns dieses Einflusses nicht bewusst sind oder uns sein Vorhandensein gar nicht erst eingestehen wollen. Auf eine besondere Art trifft das auf Unterwäsche zu. Als die ersten Kleidungsstücke, die wir morgens anziehen, die letzten, die wir abends ablegen, sind Unterhosen, BHs und Konsorten das unmittelbare Interface zwischen Körper und Gewand – daher zwischen Mensch und Welt. Die Unterwäsche scheint weder ganz zur einen noch ganz zur anderen Seite zu gehören. Tritt sie aus dem für sie vorgesehenen Bereich zutage, so ist das eine Grenzüberschreitung, ein unabsichtlicher Fehler oder eine gewollte Transgression, und man muss als Reaktion darauf mit Empörung, Hohn oder Sexualisierung rechnen. Mit Sex hat Unterwäsche für etwas, das diesem Bestreben eigentlich im Weg ist, sowieso überraschend viel zu tun – ein weiterer Beweis für die alle Hindernisse nutzbar machende Kreativität des Menschen. Dass wir Unterwäsche tragen, aber nicht bemerken wollen, und dass sie bis knapp zum Einsturz der eigenen Funktion sexualisiert und mit Geschlechterrollenbildern überfrachtet ist, haben auch die Gründerinnen des Wiener Labels Miyagi bemerkt und gelobt, Abhilfe zu schaffen. Nach dem Vorbild des namensgebenden Karatemeisters aus den »Karate Kid«Filmen sollen die TrägerInnen ihrer Produkte dem Alltag mit fröhlicher Balance begegnen. Es gibt keinen besseren Ort, damit anzufangen, als an der Wurzel der Kleidung: der Unterwäsche. Um gerade den Trägerinnen, die ihre Körper lange von starren Konstrukten in männlich vorgegebene Formen pressen lassen mussten, dieses Gefühl geben zu können, kommen simple Formen und geschmeidige Zellulosefasern zum Einsatz. Für ihre Männermodelle entwerfen die beiden Kolleginnen von Miyagi im Gegenzug ein Bild, das viel mehr von dem beeinflusst ist, was sie sexy finden, als von herkömmlichen Vorstellungen von Männlichkeit – verletzlicher und fragiler. In unserem Foto dürfen sich diese beiden einander gar nicht entgegengesetzten Ansätze in Form zweier Produkte von Miyagi ganz ohne den Einsatz von Körpern beinahe berühren. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab

Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

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Einteiler Überwäsche

Fabian Gasperl

Auf studiomiyagi.co findet man Wissenswertes über Miyagi und viele weitere schöne Bilder von den Produkten des Labels.

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

Wir schreiben das Jahr 2014 und mein Freund und ich haben gerade einen romantischen Abend am Popfest verbracht. Es ist eine Fernbeziehung, wir haben einander also viel und dem Geschehen auf der Seebühne eher wenig Beachtung geschenkt. Als wir bei der Längenfeldgasse aus der U4 aussteigen, hängt am gegenüberliegenden Bahnsteig ein Plakat, das eine Ausstellung über Egon Schiele bewirbt. Das ist der Moment, an dem alles den Bach runtergeht. Sagt mein Freund: »Ugh, Egon Schiele, der war ja völlig unmöglich.« Das weckt mein Interesse als angehende Kunsthistorikerin und ich frage nach. Schiele habe Affären mit seinen minderjährigen Modellen gehabt und sei aus moralischen Gründen aus der Kunstwelt zu verbannen. Es würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, dieser Behauptung nachzugehen – das haben bereits andere gemacht, die zu differenzierten Ergebnissen gekommen sind. Damals war ich einfach nur irritiert von der Rechthaberei meines Begleiters und forderte die argumentative Trennung von Kunst und Künstler. »Du kannst nicht einfach die Werke einer Person aus dem Kanon werfen, nur weil sich diese nicht korrekt verhalten hat«, schleudere ich genauso rechthaberisch zurück und das mündet in einem ausgewachsenen Streit, der damit endet, dass mein sturer Freund auf der Couch übernachtet, seine Zahnbürste am nächsten Morgen in den Mist wirft, ohne Verabschiedung zum Flughafen fährt und fortan nicht mehr mein Freund ist.

»Ignition« is cancelled Wir schreiben das Jahr 2019 und im Elektro Gönner legt zu fortgeschrittener Stunde jemand einen absoluten Banger auf. Das Problem: Es ist »Ignition« von R. Kelly, und mittlerweile ist #metoo passiert. Eine ganze Menge von Entwicklungen haben einen Bewusstseinswandel und einen neuen Zeitgeist herbeigeführt, der KünstlerInnen und Popstars ihr Fehlverhalten entlang schiefer Machtverhältnisse nicht mehr ganz so locker verzeiht. Es spielt also R. Kelly, ich hab ein

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Getränk in der Hand, das bei Gott nicht das erste an diesem Abend ist, und bin im Zwiespalt, denn es tanzt sich nicht mehr so ausgelassen dazu wie früher. Aber warum eigentlich? R. Kelly war schließlich schon seit spätestens 1994 sketchy. In diesem Jahr legte er der damals 15-jährigen Aaliyah »Age Ain’t Nothing But A Number« in den Mund und heiratete die zwölf Jahre jüngere Sängerin dann ziemlich on brand in einer illegalen Zeremonie.

Nicht bloß Hashtag-Aktivismus Nun starb Aaliyah viel zu früh und kann ihre Seite der Geschichte nicht mehr erzählen. Dieses Schicksal teilt sie mit Michael Jackson, nur dass jener auf der wrong side of history steht. So wie »Ignition« legt man »Thriller« als woker Party-DJ nicht mehr auf, denn den Schöpfern dieser Werke und ihren NachfahrInnen werden 2019 plötzlich keine Einnahmen aus AKM-Zahlungen und Spotify-Streams mehr gegönnt. Obwohl auch Jacksons Tendenzen zum Kindesmissbrauch schon in den 1990ern und 2000ern bekannt waren, hat erst die diesjährige Doku »Leaving Neverland« zu einer posthumen Verpöntheit des Künstlers geführt. Was war in der Zwischenzeit passiert? Ein Paradigmenwechsel in der öffentlichen Wahrnehmung, der das Wegschauen und Ignorieren und ja, auch das Trennen zwischen Kunst und Künstler, nicht mehr so leicht möglich macht. Die Massenbewegung #metoo war nicht bloß Hashtag-Aktivismus, sondern veränderte die Welt tatsächlich, auch im sonst gerne unpolitischen Entertainment-Bereich. Noch ein Beispiel? Wir schreiben das Jahr 2013 und Pharrell Williams verhilft dem OneHit-Wonder Robin Thicke mit der von Marvin Gaye abgeschriebenen Nummer »Blurred Lines« zu 15 Millionen Single-Verkäufen und einer weltweiten Diskussion um den fragwürdigen Text des Songs. Das strategisch kontroverse Musikvideo zeigt drei (nur mit String-Tangas bekleidete) Frauen, die um die (natürlich vollständig angezogenen) Interpreten herumturnen – ein abgehalftertes HipHop-Klischee, das dennoch den gewünschten

Werbeeffekt hat. Im Zusammenspiel mit den Lyrics rund um die Zeile »I know you want it« ergibt sich dadurch aber das unangenehm misogyne Bild der Verherrlichung von Rape Culture. Thicke und Williams sind sowas von überrascht und haben es gar nicht so gemeint. Sie verstehen den ganzen Aufruhr nicht. In Wirklichkeit sind doch sie die wahren Feministen! Sechs Jahre später gibt Pharrell dem Magazin GQ ein Interview und kommt darin doch noch zur Einsicht, dass er in einer chauvinistischen Gesellschaft lebt. Er schämt sich jetzt für seinen »Blurred Lines«-Text und gibt zu Protokoll, dass die ganze Kontroverse seine Sicht auf die Welt verändert hat. Einen derartigen Perspektivenwechsel wie Pharrell haben in den 2010er-Jahren viele vollzogen. Wir sind damit alle Teil eines revisionistischen Prozesses, der einen neuen Blick auf die Popmusik-Geschichtsschreibung wirft und dem Bild des Künstlergenies kritisch gegenübersteht. Das zeigt sich in plakativen Anekdoten genauso wie in aktuellen Analysen, die hoffentlich zu Standardwerken werden, wie dem Sachbuch »Good Booty« der NPR-Musikkritikerin Ann Powers aus dem Jahr 2017. Ihre Analyse der amerikanischen Musikgeschichte ist alles andere als die bisher übliche Verherrlichung eines Kanons voller weißer Männer, sondern beleuchtet jene marginalisierten Personengruppen, die die Entwicklung ganzer Genres vorantrieben, dann aber fleißig an den Rand der historischen Bühne gedrängt wurden: AfroamerikanerInnen, Frauen, Homosexuelle. Das ist in seiner unaufgeregt korrigierenden Art wahnsinnig befriedigend. Wenn die Herstorians der Populärkultur folgender Jahrzehnte auf die 2010er-Jahre zurückblicken, wird genau dieser Paradigmenwechsel in Erinnerung bleiben. exner@thegap.at @astridexner Michael Exner

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Gender Gap Nach der Show ist die Afterparty, und nach der Party wird abgerechnet

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Michael Exner

08 –16 Feb Magazin 4, Bregenz (Vorarlberg) Architektur, Grafik, Produktdesign, Public Art, Street Art, Licht & Visuals → Bewerbung: poolbar.at (Deadline 5 Jan)

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Die weltweit erste Leica Quad Kamera rückt die Schönheit der Welt in den Fokus des Fotografen. Dieses einzigartige Kamerasystem, ausgestattet mit einer 40 MP Hauptkamera, einem 20 MP Ultra-Weitwinkel, 8 MP SuperZoom sowie einer Huawei Time of Flight Kamera, gibt dir die Freiheit, kostbare Momente für immer fotografisch einzufangen. Mit dem neuen Periskop Teleobjektiv können mehr optische Zoomfunktionen in einem kompakten Gehäuse untergebracht werden, ohne dass die Bildqualität leidet. Die Hauptkamera sorgt für Farbsättigung, ein ausgeklügeltes System für Bildstabilisierung und das 10fach Hybridzoom Objektiv lässt dich nie zuvor Gesehenes in einer großartigen Auflösung aufnehmen.

Design neu definiert Darüber hinaus macht das elegant geschwungene Gehäuse aus 3D Glas das Huawei P30 Pro zu einem Designkunstwerk. Das ästhetische Konzept der Dualität entsteht in der neuen Farbe Mystic Blue aus der Verbindung von einer glänzenden und einer matten Seite. Dank der Huawei SuperCharge Technologie ist dein Smartphone in nur 30 Minuten wieder auf 70% aufgeladen. Abgerundet wird das Huawei P30 Pro durch das 6,47 Zoll große OLED Display. Es bietet atemberaubende Farben und eine brillante Anzeige. Das Huawei P30 Pro – der Fotopionier mit der weltweit ersten Leica Quad Kamera

PR O MOT IO N

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Das Kamerawunder Alle Apps, die du liebst. Die EMUI Benutzeroberfläche basierend auf Android sorgt mit innovativer Bedienung, hoher Geschwindigkeit und unzähligen Personalisierungsmöglichkeiten für eine individuelle Nutzererfahrung. Auch das Android 10 Update wird bald erhältlich sein.

Ein Smartphone der Superlative: Das Huawei P30 Pro besticht durch ästhetisches Design und ein Quad Kamera System von Leica.

Unerreichte Fotoqualität dank der weltweit ersten Leica Quad Kamera mit 40 MP Hauptkamera

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Neuer intelligenter Sound Die Huawei FreeBuds 3 sind die weltweit ersten True Wireless Stereokopfhörer mit Intelligent Active Noise Cancellation.

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Begeistert in allen Tonlagen. Die von der Natur inspirierte symmetrisch runde Ladetasche ist eine Augenweide und lässt sich kompakt in der Handtasche, Hosentasche oder sonstwo aufbewahren. Das Open-Fit Design ist ergonomisch und für maximalen Komfort entwickelt.

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Maximal komfortabel und intelligent

Studioqualität für unterwegs. Eine komplexe Bassröhre steckt geschickt in jedem Ohrhörer und macht den Sound lauter, stärker und eindrucksvoller – so als würdest du deine Musik in einem Studio genießen.

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Was bleibt von den 2010ern? Eine Dekade, aber als Lebensgefühl 012

Zehn Jahre sind entweder sehr lange oder sehr kurz. Wenn es um eine popkulturelle Analyse geht: unfassbar lang. Um eine erschöpfende Einordnung aller relevanten Erscheinungen und Geschehnisse zu liefern, hätten wir einen mindestens 2010-seitigen Sammelband herausgeben müssen. Stattdessen wollen wir in unserem Dossier eine feine Auswahl an Themen bearbeiten, die das vergangene Jahrzehnt genauso wie uns geprägt haben. Illustriert wurden alle Texte von Lisa Schrofner. Wo warst du, als die 2010er vorbei waren?

Ain’t nobody got time for that Die Evolution von Memes 1

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1 | Rage Comics 2 | Overly Attached Girlfriend, Bad Luck Brian 3 | Doge 4 | Awkward Moment Seal

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Es gibt nicht viele Dinge, die der österreichischen Gesellschaft ein gleichermaßen unscheinbarer wie durchdringend einflussreicher Spiegel sind wie der Diskontsupermarkt Hofer. Einen ungleich eingegrenzteren Eindruck auf die österreichische Kulturgeschichte hat Modedesigner Nhut La Hong hinterlassen. Während bei Hofer neben Brot, Gemüse, Fleisch, Milch und Eiern die Aspirationen großer Teile der Bevölkerung wohlfeil sind – Gaming-PCs, Poolreinigungsroboter, Trachtenanzüge, Karibikreisen –, ist La Hong hauptsächlich dafür bekannt »Szenedesigner« zu sein. Das heißt, er wird ab und an in den »Seitenblicken« dabei gezeigt, wie er in heiterer Konzentration eine Robe an einer jungen Dame der Gesellschaft absteckt. Seine Funktion scheint zu sein, die sich im bewährten Promi-Alphabet irgendwo zwischen C und F befindlichen Leute auch tatsächlich reich und schön erscheinen zu lassen. So sind sowohl La Hong als auch Hofer im Geschäft mit unseren Wünschen und Projektionen. Inzwischen ist es über zehn Jahre her, dass sich ein kosmisches Fenster aufgetan hat,

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durch das eine Handreichung dieser beiden Akteure beobachtet werden konnte. Der Moment war flüchtig, mehr ein schnelles Abklatschen eigentlich, und der kommerzielle Erfolg der Kooperation blieb strittig. Nichtsdestotrotz haben die beiden Kollektionen, die La Hong gegen Ende der Nullerjahre für Hofer entwarf, ein Stück vielleicht abseitige, aber doch vielsagende Modegeschichte geschrieben. Die im Wind wehenden Looks, seidigen Jäckchen und Leiberl mit aufgedruckten Mandalas, die damals in der Gemüseabteilung anprobiert werden konnten, waren wie den in der Raffaello-Werbewelt an privaten Stränden frohlockenden Menschen direkt vom Leibe gerissen. Es gab Strass, Raffungen allenthalben und ja: auch eine Caprihose. Alles in allem handelte es sich um die Imagination neureichen und daher intensiven Müßiggangs, das Erobern exotischer Freuden und das Auskosten materieller Privilegien in sinnlicher Ekstase – kurz gesagt das Ibiza-Mindset in seiner ganzen Inspirationskraft und Trugbildhaftigkeit. Zehn Jahre sind vergangen seit dieses Identifikationssystem, das sich Hofer und La

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Hong mit Camp David, Desigual und wie sie alle heißen, teilten, an der Spitze seiner Macht war. Damals war alles voller keck geschlungener Schals in Petrol, heute sind andere konkurrenzfähige Methoden der Selbstverortung hinzugekommen – allen voran das Spiel mit Authentizität, Ursprungsverbundenheit und Stabilität. Ganz unabhängig vom Diskurs um das Klima scheint unsere Welt kleiner geworden zu sein. Das Repräsentative muss man nicht mehr in der Ferne suchen, man wird vielmehr im Einfachen, Unscheinbaren und Robusten fündig, das man bisher gleich um die Ecke übersehen hatte. Es erübrigt sich hinzuzufügen, dass es sich dabei schwerlich um eine tatsächliche Besinnung, sondern um eine erneute Konstruktion handelt. Die Distanz des konsumierenden Subjekts zu den ihm vorgespiegelten Welten ist sowohl in Richtung der dekadenten Freuden als auch der authentischen Werte bequem. Vielmehr ist es lediglich eine Verschiebung, wenn anstelle des Ankleidens, um jemand anderes, Besseres zu werden, die Verwirklichung im Eigenen tritt. Das kann seine Ausformung

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Live, laugh, active wear Mode und Mindset

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5 | The Dress 6 | Damn Daniel

7 | Cash Me Ousside

9 | Moth Lamp

3 | Doge 8 | Mocking Spongebob

10 | Ibiza 11 | Woman Yelling at a Cat

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im Authentisch-Bodenständig-Heimischen finden, aber auch in einer Hyperindividualisierung des Marketings, also der Reduzierung der Zielgruppe auf eine einzelne Person. Marken von Weekday bis Ikea bieten inzwischen das Bedrucken, Besticken und Gravieren auf KundInnenwunsch an, die über unser Treiben auf Social Media gewonnenen Daten ermöglichen eine zunehmend präzisere Einflussnahme auf unser Konsumverhalten und hinter jeder Ecke lauern Micro-Influencer, die das gleiche Leben zu leben scheinen wie man selbst. Einen etwas weniger überbeschleunigten Ausdruck findet diese Entwicklung in der Popularität von Merch: Wir schmücken uns mit unseren eigenen, in Logos gegossenen Vorlieben, Überzeugungen und Kaufentscheidungen und schaffen damit so etwas wie eine nur von einer einzigen Person getragene Uniform. Hofer wird mittlerweile stark mit seiner Bio-Linie »Zurück zum Ursprung« verbunden. Die La-Hong-Kollaboration hingegen

ist vergessen. Das heute bei Hofer immer wieder erhältliche Gewand fällt größtenteils in die drei Kategorien Sport, Arbeit und Trachtiges, mit den jeweils daraus abgeleiteten Ausformungen für den bodenlosen Mischkessel der Alltagskleidung. Egal, ob es um krachlederne oder überindividualisierte Authentizität geht: Man zieht sich an, um zu zeigen, dass man etwas Sinnvolles tut, und nicht mehr, um die eigene Untätigkeit stolz augenscheinlich zu machen. Engelbert Strauss, Barbour, Dr. Martens und alle Sportmarken versinnbildlichen die Nostalgie der letzten Generation vor der vollständigen Automatisierung, die sich selbst ihrer Vita activa versichern muss. Anderswo wird schon die Zukunft geprobt: Der endlose Strom parametrisch erzeugter und virtuell vermarkteter Sneakers – ob »ugly« oder »dad« – könnte genauso gut nach einem menschenfreundlichen AI-Takeover fließen. Gabriel Roland

Mehr als Fiction Fandom Ob Buch, Film, Serie oder Computerspiel: Dort wo Populärkultur entsteht, gibt es Fans. Dieses Fandom ist auch keineswegs statisch, sondern entwickelt sich ständig weiter. In den letzten zehn Jahren hat vor allem die intensive Nutzung von Social Media dazu geführt, dass die Menschen immer stärker in einen Dialog mit dem Produkt treten, Forderungen stellen, und in einigen Fällen sogar den kreativen Prozess beeinflussen. ———— Die ProduzentInnen und SchöpferInnen posten auf Social-Media-Kanälen, kommunizieren in Foren oder podcasten, um ihr Produkt zu bewerben. So haben die »Game Of Thrones«-Schöpfer David Benioff und D. B. Weiss erst kürzlich zugegeben, Khal-Drogo-Darsteller Jason Momoa gecastet zu haben, weil sie den Vorschlag dazu in einem Online-Fanboard fanden. Noch viel kurioser ist, dass wir am Ende eines Jahrzehnts stehen, in der es Fan-Fiction aus der Schmuddelecke herausgeschafft und sich zu einem Multimillionen-Dollar-Franchise gemausert hat. Bestes Beispiel ist die Autorin E. L. James, die mit ihrer »Twilight«Fan-Fiction »50 Shades Of Grey« ihr eigenes kulturelles Phänomen losgetreten hat. Mit jeder Absetzung einer populären Serie entstehen heutzutage auch medienwirksa-

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me Online-Petitionen mit der Forderung nach einer Übernahme durch einen anderen Sender. So konnte zum Beispiel die Comedyshow »Brooklyn Nine Nine« von Fox hinübergerettet werden zu NBC. Ähnlich wie bei Absetzungen wird auch Casting-News immer wieder mit Ablehnung begegnet. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft, die von der Forderung nach Diversität geprägt ist, hat sich hier ein faszinierender Trend entwickelt. Mit dem aufkommenden Vorwurf des Whitewashings wurde das Casting des Disney-Films »Aladdin« mit Argusaugen überwacht. Ed Skrein verließ das »Hellboy«-Reboot, da er erfuhr, dass seine Figur im Comic eigentlich asiatisch ist. Und während Scarlett Johansson ihre Rolle in »Ghost In A Shell« noch behalten konnte, verzichtete sie ein Jahr später aufgrund vielseitiger Kritik auf die Rolle als Transmann in »Rub And Tug«. Das Fandom hat somit dank neuer Technologien und der digitalen Demokratisierung den Ort der reinen Medienrezeption verlassen. Es wird spannend zu sehen, was die nächsten zehn Jahre bringen und wo beide Seiten die Grenze ziehen werden. Susanne Gottlieb

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Eine Dekade, aber als Lebensgefühl Was bleibt von den 2010ern?

Die 2010er-Jahre haben nicht nur Remakes und noch mehr Remakes auf die Leinwände und Bildschirme gebracht, oft sind es nun Neuverfilmungen mit weiblichem Cast, die um die Gunst des Publikums buhlen. Aber warum setzen Filmstudios eigentlich gerne auf Altbewährtes? ———— Jetzt ist schon wieder was passiert. So könnte man – angelehnt an Wolf Haas – die RemakesRealität der 2010er-Jahre beschreiben. Keine Woche scheint zu vergehen, in der nicht ein Remake eines Films oder einer Serie auf der großen Leinwand (oder zumindest beim Streaming-Anbieter des eigenen Vertrauens) nach unserer Aufmerksamkeit verlangt. Es gibt mehrere Varianten, wenn Altbekanntes auf ein (neues) Publikum trifft, wobei selbst unter ExpertInnen die Definitionen und Grenzen umstritten sind: 1. Remake: Ein Film/eine Serie wird – basierend auf einem bereits existierenden Stoff – neu verfilmt (z. B.: »The Lion King«, 2019). 2. Reboot: Hier handelt es sich um keine Fortsetzung, sondern um eine neue Interpretation der Vorlage, die Gültigkeit des Vorgängerwerkes wird – im Gegensatz zum Remake – nicht anerkannt (z. B.: »Ghostbusters«, 2016).

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3. Revival: Damit ist die Wiederbelebung, meist einer Serie, gemeint (z. B.: »Twin Peaks«, 2017). Sicher, Remakes & Co sind nicht erst in den 2010er-Jahren aufgekommen. Bekannte Stoffe (etwa Literaturverfilmungen wie »The Great Gatsby«) haben schon in den Jahrzehnten davor mehrmals ihren Weg ins Kino gefunden. Und auch beliebte fiktive Figuren wie Carrie Bradshaw oder Bridget Jones bevölkerten zuerst Kolumnen bzw. Bücher und erst später Serien bzw. Filme. Auch Fortsetzungen gibt es viele. Relativ neu ist jedoch die Dominanz von Remakes – vor allem dank großer Studios. So habe Disney laut CNBC in den letzten neun Jahren mehr als sieben Milliarden Dollar dank eigener Remakes eingenommen. Radio Times hat recherchiert, dass 16 der 20 Filme, die 2018 weltweit am meisten eingespielt haben, Remakes und andere Neuauflagen waren. Zum Vergleich: 1983 waren es lediglich sechs. Ein weiterer Trend, der sich in den letzten Jahren abgezeichnet hat, sind Remakes/ Reboots mit weiblichem Cast. Als Paradebeispiel kann das »Ghostbusters«-Reboot von Paul Feig aus dem Jahr 2016 gelten. Wie so oft, wenn Frauen in Kultur, Medien und Politik

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Im Kino nichts Neues Remakes überall (mehr) mitmischen und sichtbar werden, kam die Kritik daran schneller, als man Ghostbusters sagen konnte. Bereits die Ankündigung des Films führte zu einem frauenfeindlichen Shitstorm. Doch warum gibt es zur Zeit so viele Remakes? Georg Seeßlen nennt hierfür in einem Artikel für Zeit Online drei ökonomische Gründe: Man brauche sich bei bewährten Stoffen keine Sorgen ums Drehbuch zu machen, man nütze einen Bekanntheits- sowie Nostalgiebonus und man schaffe ein »generationenübergreifendes Déjà-vu«, wie der Autor es nennt. Nostalgie (Hallo 1990er!) gibt es also nicht nur bei Urban Outfitters zu kaufen, Nostalgie wird gesehen, gehört, gelesen sowie vermarktet – und sie bringt vor allem eines: (vermeintliche) Sicherheit in unsicheren Zeiten. Barbara Fohringer

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Eine Dekade, aber als Lebensgefühl Was bleibt von den 2010ern?

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The Great Austropop Swindle Österreichischer Pop

Noch nie war österreichische Musik im eigenen Land so erfolgreich wie in den 2010er-Jahren. Über jene, die das alles ermöglicht haben, große Hits und ein gesellschaftliches Phänomen. ———— Es ist ein Wunder und gleichzeitig ein wunder Punkt. Österreichischer Pop ist im zu Ende gehenden Jahrzehnt wieder das, was er schon alleine per definitionem sein müsste: populär. Unabhängig von Hörgewohnheiten oder der mittlerweile völlig aufgelösten Kontravalenz von Mainstream und Underground: Die österreichischen MusikerInnen sind gekommen, um zu bleiben, um auch im Ausland mit ihrer eigenen Art zu überzeugen. Zumindest manche von ihnen. Der Wiederaufstieg und die gesamtgesellschaftlich gestiegene Relevanz von Austropop – ja, wir bedienen uns wieder der schon in den 70ern völlig unzureichenden Hilfsbegrifflichkeit, die sämtliche österreichische Musiken und Genres in eine herkunftsbezogene Schublade steckt! – ist aber nicht einfach so passiert, sondern fast eine Zwangsläufigkeit. Es ist das Resultat von gezielten Fördermaßnahmen, aber vor allem auch eines gesellschaftlichen Umbruchs.

Auferstanden aus fast ruinösen Zuständen Aber fangen wir ganz woanders an: Es wächst nur dort etwas aus dem Boden, wo schon a bisserl was ist. Und in den Nullerjahren ist ein

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bisserl was. Nachweisbar. FM4 listet etwa in den Top 100 seiner Jahrzehntecharts für diese Dekade immerhin vier Alben aus Österreich, die vor 2009 erschienen sind, – von Gustav (gleich doppelt vertreten), Attwenger und Naked Lunch. Bei den 2005 etablierten Austrian Indie Charts schaffen es bis zum ominösen Jahr 2009 auch immerhin rund vier Bands pro Jahr in die Albencharts. In den Verkaufscharts sieht die Sache dann schon wieder ganz anders aus: In die Top 50 der Bestenliste aller in Österreich zum Verkauf stehenden Alben der Nullerjahre schaffen es zwar zwölf Alben, aber nur wenige mit Pop-Appeal. Auch wenn das eine kleine Steigerung zu den noch viel düstereren 90ern mit nur vier Alben in den Top 50 ist, ist es zumindest kein Lob für das Pop-Land Österreich. Dass da Nachholbedarf herrscht, wird allerdings auch bald klar. Gottlob erscheint dann 2009 eine Trias von Alben, die als Startschuss für ein neues Verständnis von Popmusik aus dem Underground – der schließlich Mainstream werden sollte – gilt, und quasi zur Initialzündung für das neue Jahrzehnt wird: »Lovetune For Vacuum« von Soap & Skin, »Down in Albern« von Der Nino aus Wien und »The Angst And The Money« von der Gruppe Ja, Panik. Erstmals seit Langem wird mit eigenwilliger, verkopfter, aber mitunter als »typisch österreichisch« empfundener Popmusik, die sich teilweise stark an die

alten HeldInnen von ganz früher anlehnt, ein Publikum erreicht, das sich mit seinen KünstlerInnen identifizieren kann.

Fördermaßnahmen Mit den ersten kleinen Erfolgen – auch im Ausland – wächst in Österreich der Wunsch nach einer Plattform, die sich der mittlerweile deutlich vitaleren Szene annimmt und Raum für sie schafft. Mit dem Popfest, das 2010 erstmals bei freiem Eintritt mitten am Karlsplatz stattfindet und von der Stadt Wien mit satten 150.000 Euro subventioniert wird, bekommt sie schließlich ihren prominenten Platz. Anfangs eher indielastig öffnet sich das Popfest im Laufe des Jahrzehnts mit unterschiedlichen KuratorInnen für diverse andere Musikrichtungen. Auch das seit 2015 stattfindende Electric Spring hat nur österreichische Acts am Line-up stehen – aus den Bereichen Hip-Hop und elektronische Musik. Da mit Tonträgerverkäufen ohnehin kein Geld mehr zu machen ist, sind diese Festivals bei freiem Eintritt wichtige Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen und weitere Gigs zu bekommen. Eine willkommene Abwechslung in Zeiten, in denen die ganz Großen wie Donauinselfest, Nova Rock und Frequency eher noch einen Bogen um heimische KünstlerInnen machen. Zusätzlich tragen auch die zumindest in der Zahl wachsenden Fördermöglichkeiten Früchte, MusikerInnen erhalten

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»Rolling Stones oder Beatles?«, »Oasis oder Blur?«, »Wanda oder Bilderbuch?« Als vorläufiger Höhepunkt der aufstrebenden und mit deutlich mehr Selbstvertrauen ausgestatteten österreichischen Szene darf man dann durchaus die Zeit um den Jahreswechsel 2014 auf 2015 benennen: In einem Anflug von schierem Größenwahn wurde in (ehemaligen) Indie-Kreisen und ziemlich bald darauf im vermeintlichen Mainstream – auch angefeuert durch deutsche Magazine, die beide Bands am Cover haben – die Glaubensfrage neu gestellt: Wanda oder Bilderbuch? Während Erstere, zu dem Zeitpunkt noch als Lausbubenbande mit Hang zum Exzess inszeniert, überraschend schnell und endgültig vor allem die breite Masse erreichten – »Amore« bleibt 139 Wochen in den österreichischen Albumcharts –, entscheiden sich auch viele für die artsy inszenierten Bilderbuch, die erst mit ihrem 2013erHit »Maschin« zu Höherem berufen wurden und schließlich mit dem Longplayer »Schick Schock« im Februar 2015 die Charts toppen. Während Wanda in den Folgejahren mit sämtlichen Alben wie dem häufig kritisierten »Bussi« (2015), »Niente« (2017) und »Ciao!« jeweils auf der Eins in Österreich und in den Top 5 in Deutschland landen, reüssieren auch Bilderbuch: »Magic Life« (2017) und »Mea Culpa« (2018) positionieren sich auf Platz zwei in den österreichischen Albumcharts, »Vernissage My Heart« (2019) sogar ganz oben. In der Zwischenzeit wird die breite Masse in Österreich aber von einem totgeglaubten

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Genre verzaubert: Dialekt-Kabarett-Rock, gemacht für die ganz großen Bühnen dieses Landes. Seiler und Speer sind mit ihrem Überhit »Ham kummst« aus 2014 – mittlerweile hat das Video dazu über 38 Millionen Views erreicht – 58 Wochen in den Singlecharts. Und ihre drei Alben sind natürlich alle ganz oben platziert. Auch Pizzera & Jaus, die ab 2015 gemeinsame Sache machen, schlagen voll ein: Songs wie »Absätze > Hauptsätze« und »Hooligans«, aber vor allem »Jedermann« und »Eine ins Leben« erobern ganz Österreich – zwischen Hochzeiten und Zeltfesten, zwischen Erstsemesterfest und Poesiealbum. Der offensichtliche Hype erlaubt es sogar Special-Interest-Bands wie etwa den zugegeben sehr famosen Turbobier oder Voodoo Jürgens, dem König des Tschocherls, die Charts auch einmal von oben zu sehen, aber auch Ernst Molden platziert sich viermal in den Top 6. Die Stars der Stunden vergessen dabei nie ihre Urahnen. Seiler und Speer veröffentlichen mit Wolfgang Ambros. Ernst Molden & Der Nino aus Wien covern Lieder von Acts wie Falco oder Sigi Maron, Danzer oder Heller & Qualtinger. Spätestens jetzt fällt’s auf: Es ist und bleibt eine ziemliche Würschtelparty.

Hulapalu

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zumindest einen kleinen finanziellen Beitrag. Die Anzahl der veröffentlichten und vor allem gut rezipierten Alben wächst.

Wir sehen also: Für ein österreichisches Pop-»Wunder« benötigt es eine Infrastruktur, die etwas möglich macht, und auch Lieder und SongschreiberInnen, die Wege für andere freischaufeln. Aber es benötigt auch ein Umfeld, das diesen Bezug zu Musik aus der »Heimat« verstärkt: die Retraditionalisierung der Gesamtgesellschaft. In Zeiten der Turboglobalisierung und der sogenannten »Flüchtlingskrise«, manifestiert sich diese etwa in einem drastischen Zuwachs der Heiratsraten. 2009 haben laut Statistik von 1.000 ÖsterreicherInnen 4,3 geheiratet, 2018 waren es 5,3 – die höchste Zahl seit 1996. Das Traditionelle betonen auch Phänomene wie die Wiener Wiesn (erstmals 2011), YouTube-Hypes wie »I kenn die von mein Handy« oder alles von Die Draufgänger, 23.000 TrägerInnen von Kik-Trachten bei Andreas Gabalier in Berlin (!), und die Wahlergebnisse sowieso. Nicht falsch verstehen: Nur weil jemand gerne Pizzera & Jaus hört, ist diese Person nicht automatisch gegen Flüchtlinge. Aber all die Erfolge von österreichischen Bands und all dieser Hype um österreichisch gesungene Musik sind auch Ausdruck eines veränderten Lebensgefühls, eines veränderten Begriffs von »Heimat«, einer positiven Aufwertung von ebenjener Heimat. Dieses Umfeld ermöglicht es heimischen MusikerInnen mehr als in den Jahrzehnten davor, Ausdruck der Lebenswelten der Zuhörenden zu sein. Dominik Oswald

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Zukunftsmusik Streaming

Was bleibt von den 2010ern? In der Musikbrache lässt sich das mit einem Wort sagen: Streaming. Mit allen Vor- und Nachteilen. Für KonsumentInnen ist der Zugang zu Musik sehr bequem geworden. Auf Kosten der KünstlerInnen und der kleinen Labels. ———— Wer den Rückblick auf die Zukunft der Vergangenheit wagt, landet – hoppla! – in der Gegenwart. Die sieht für die Musikindustrie nicht so schwarz aus, wie man etwa ab der Jahrtausendwende lange Zeit dachte. Man hat dort nämlich längst kapiert, dass man mit einem Indie-Label, einem kleinen Musikverlag und einem Plattenladen kein Magnat, Millionär oder gar Großindustrieller ist. »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit« – diese Karl Valentin zugeschriebene Lebensweisheit bringt mein Dasein auf den Punkt. Selbst die Leute, die in den lokalen Büros von Universal, Sony oder Warner sitzen, stöhnen gelegentlich. Wirklich Spaß macht es wohl nur in den Chefetagen der Headquarters in London oder New York, wenn die Gehaltsschecks betrachtet werden. Und die BoniMitteilungen für den guten Geschäftsgang. Aber ist der Geschäftsgang so positiv? Die Zahlen sprechen dafür. In der rituellen IFPIPressekonferenz, im Rahmen derer der Dachverband der österreichischen Musikindustrie die Ergebnisse des vergangenen Jahres bekanntgibt, hieß es im Frühjahr 2019: Grundsätzlich wurde der Turnaround geschafft. Nach einer langen Spanne des Niedergangs – man sehe sich die brutale Delle in der Statistik an! – legt das Geschäft mit Tonträgern und Digital-Files seit 2017 wieder deutlich zu. Geschuldet ist das zuvorderst dem Thema Streaming, also dem Abruf von Musik

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aus dem Netz. Egal, ob Spotify, Apple Music, Google Play, Deezer, Amazon, Tidal – man bezahlt heute, so man denn etwas bezahlt, für den bequemen Zugang zu Musik, nicht für den Besitz. Nun ist Streaming fast schon ein alter Hut. Es wird damit, was den Musikkonsum betrifft, seit dem Vorjahr auch hierzulande mehr Umsatz erzielt als mit althergebrachten, physischen Tonträgern wie der CD und der Schallplatte. Tendenz: rasch steigend. Allerdings ist Österreich ein Nachzügler, gemeinsam mit Ländern wie Deutschland und Japan. In Skandinavien wird fast nur mehr per Smartphone oder Netz-Receiver gehört. »Smarte« Berieselungs-Playlists für den Alltag in der WG, im Büro oder Design-Wohnzimmer sind en vogue. ExpertInnen führen gern den plakativen Spruch im Mund, Streaming sei »das neue Radio«. Darüber lässt sich trefflich streiten, zumal ja das altgediente UKW-Dampfradio auch auf die Entwicklung reagiert, seine Sendungen (oder ganze Sparten-Musiktruhen) ins Netz stellt und »on demand« nachhören lässt. Oder, wie der ORF, darüber nachdenkt, für eigene Kanäle und Plattformen spezifische Inhalte zu produzieren, die eben nicht mehr per Ultrakurzwelle zu empfangen sein werden. Wenn es sich um audiovisuellen Content handelt, will man gar in Konkurrenz mit YouTube, Netflix & Co treten. Dass das auch eine entsprechende Kriegskasse voraussetzt, sollte man dann bei Gelegenheit der heimischen Medienpolitik flüstern. Dass als handfeste Antithese zum Streaming-Boom auch der Verkauf von Schallplatten zugenommen hat, ist ein Nischenwunder,

macht das Kraut aber nicht fett. Die CD ist tot – wird aber, dem Rieplschen Gesetz zufolge, nie ganz von der Bildfläche verschwinden. Und was waren nochmals genau Downloads? Wenn nun die Verknüpfung der Streaming-Funktionalität mit Alltagsschnittstellen wie Google Home, Amazon Echo oder dem Apple HomePod weiter auf dem Vormarsch ist, dürfen wir Alexa & Co glückstrunken um die BilderbuchHymne »Bungalow« in höchster Lautstärke ersuchen? »By the rivers of cashflow«? Nein. Denn viele Sorgen und Nöte der Musikindustrie sind ungelöst. Ich will dabei weniger zynisch und präziser in meiner Definition werden: »Industrie« schließt selbstverständlich Musikerinnen und Musiker, Autoren und Texterinnen, Bookerinnen und Veranstalter, Manager, Musiklehrerinnen und Medienmacher mit ein. Wussten Sie, dass die Vielzahl der winzigen Indie-Labels mehr österreichische Töne produziert und veröffentlicht als die transnationalen Major-­ Giganten? Und dass diese, gemeinsam mit ihren Künstlern, seit Jahr’ und Tag um genug Brösel vom Kuchen kämpfen müssen, um nicht zu verhungern? Die österreichische Regierung hatte sich für ihre EU-Ratspräsidentschaft vorgenommen, im digitalen Zukunftsgeschäft für fairere Bedingungen für Kreative zu sorgen. Die Wege dahin sind umstritten, weitergegangen ist eher nichts. Noch immer sind es mickrigste Cent-Bruchteile, die Spotify & Co pro Stream ausschütten – bei den Urhebern landen dann meist nur mehr Bruchteile von Bruchteilen. Noch immer sind alte Verträge, deren geringe Erlösanteile auf dem physischen Geschäft

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sehr spezifischen Dienste »ForTunes« rund um die Gründer Florian Richling und Christoph Mück oder »Legitary« (Nermina Mumic, Peter Filzmoser, Günter Loibl), die aktuell Aufmerksamkeit verdienen. Sie helfen Kreativen, sich in der schönen neuen Online-Musikwelt zurechtzufinden. Merkbare Lebenszeichen zu setzen. Und Spotify & Co auf die Finger zu klopfen, wenn die Abrechnungen nicht stimmen. Gut so. Walter Gröbchen

Walter Gröbchen, geboren 1962, ist Verleger, Journalist und Kurator. Gemeinsam mit Partnern betreibt er den Wiener Plattenladen Schallter Audio & Records sowie die Musik- und Kommunikationsagentur Monkey – inklusive Label und Verlag.

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basierten, nicht leicht anfechtbar. Noch immer bleiben weite Teile des Business 2.0 undurchsichtig, unkontrollierbar, ungreifbar. Die größte und reichste Streaming-Quelle von allen – YouTube – darf ungebrochen der Unfairness, Undurchsichtigkeit und parasitären Geschäftemacherei bezichtigt werden. Der Vertrag mit der AKM etwa, der staatlich monopolisierten Genossenschaft der AutorInnen, KomponistInnen und VerlegerInnen, muss – Non-Disclosure-Agreement! – strikt geheim bleiben. Und wir alle spielen teils freudig, teils zähneknirschend mit. Ewig kann das so nicht weitergehen. Wo spielt die Zukunftsmusik? Die Sache mit der HörerInnen-Agglomeration ist wohl gelaufen. Es sind lokale Initiativen wie die

Forever a Mood Anxiety in der Popmusik Die 2010er haben happy begonnen. Einserseits: der EDM-typische Build-up und Drop. Andererseits: eine ganz eigene musikalische Stimmung unter dem konzeptuellen Begriff New Maximalism. Beides mit dem Ziel, sich am Leben zu fühlen. Maximalismus beschreibt ein wiederkehrendes musikalisches Phänomen. In den frühen 2010er-Jahren bedeutet das, Hymnen zu schreiben, die uns berühren und vor allem empowern. Schmettert Kesha 2010 noch »We R Who We R«, fragt uns Katy Perry zeitgleich, ob wir uns je wie ein Plastiksackerl fühlen und ein Jahr darauf bestätigen Fun., dass wir heute Nacht jung sind. Etwa zur selben Zeit wie diese bedeutungsschwangeren Bretter macht sich auch der sogenannte »Millennial Whoop« breit – eine Melodiefolge zweier alternierender Stufen, auf die ein einfaches »Oh« oder »Uh« gesungen wird. Am Anfang des Jahrzehnts waren Social Media noch nett, sachliche politische Diskussionen manchmal noch möglich und lebensbejahende Woahs hie und da eben angebracht.

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Es gibt keinen breiten Konsens darüber, was genau die kollektive Deflation in der Optimismus-Skala unserer Weltanschauung zum Kippen brachte. Grund gab es jedenfalls genug: Klima wird vom Wandel zur Krise zur Katastrophe, Diskriminierungen und Marginalisierungen endlich mehr wahrgenommen und solide Entscheidungen den eigenen Lebenslauf betreffend nahezu unmöglich. Millennials reagierten darauf mit Aktivismus, der sich gegenüber anderen historischen politischen Bewegungen aber mindestens in einem Punkt unterscheidet: die Anxiety. Ein Wort, das sich kaum ins Deutsche übersetzen lässt, doch das muss heute auch gar nicht mehr sein. Das Gefühl, die Welt und man selbst werden einem zu viel, die bloße Existenz zur unerfüllbaren Verantwortung.

Unumgänglich spiegelt sich so ein Generationengefühl in der Popmusik wider. Cloud-Rap gewinnt durch die gemeinsame Resignation und den Rückzug ins leere und übervolle Innenleben stark an Momentum. Bands wie The 1975 bauen ihre komplette musikalische Karriere auf einen Sound, der saisonale Depression verkörpert. Billie Eilish nuschelt sich mit Minimalbeat ganz am Ende des Jahrzehnts in einen globalen Hype. Auch in Österreich macht sich Anxiety-Ästhetik gut: Leyya vertonen das urgierende »Superego« und HVOB klingen immer wie kurz nach oder kurz vor einer akuten Panikattacke. Millennials haben sich damit abgefunden, dass ihr Mood für immer durch diese generalisierte Angst geprägt sein wird – und die Musik, die Theresa Ziegler sie machen, wohl auch.

Gekommen, um zu bleiben Die Craft-Bier-Bewegung Und plötzlich stecken die Menschen die Nase in ihr Bierglas, bevor sie den ersten Schluck nehmen. Manch klassische/r BierfreundIn mag darüber das eigene Riechorgan rümpfen, doch die olfaktorischen Facetten gehören genauso zum neuen, bewussteren Genuss des Traditionsgetränks wie das Austesten seiner Geschmacksvielfalt durchs Trinken. Ja, mit der Craft-Bier-Bewegung, die spätestens zu Beginn der 1980er-Jahre in den USA ihren Anfang nahm, ist auch ein anderer Umgang mit Bier in Österreich angekommen. Ein Umgang, der mit Respekt vor dem Produkt und seiner Diversität zu tun hat und den man in vergleichbarer Form auch vom Wein kennt, der beim Bier aber noch ein bisschen braucht bis zur Selbstverständlichkeit. Ob IPA, der hopfig-fruchtige Klassiker unter den Craft-Bieren, spontanvergorene Sauerbiere oder mit Kakao und Kokosnuss verfeinerte Pastry Stouts – die Breite des Bierangebots hat sich hierzulande vor allem ab der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre unglaublich weiterentwickelt, ein wenig sogar in den Filialen der großen Supermarktketten, insbesondere aber dank ambitionierter Fachgeschäfte, CraftBier-Bars (aber auch normaler Lokale mit erweiterter Bierkarte), einschlägiger Events, Brewpubs und Kleinbrauereien, in deren Taprooms auch

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vor Ort verkostet werden kann. »Vor Ort« ist überhaupt ein interessantes Stichwort. Von wenigen internationalen Flaggschiffen abgesehen, steht der Craft-Bier-Boom nämlich schon auch für eine Regionalisierung. Romantisch überzeichnet: weg von den paar fast alles dominierenden international kontrollierten Braukonzernen, deren Biere für den Weltmarkt geschmacklich nach unten nivelliert worden sind, und hin zu kleinen Kreativbrauereien in der Umgebung oder zumindest im Nachbarbundesland. Handwerklich hergestelltes Bier ist immer noch ein überschaubarer, aber doch sehr feiner Markt. Letzteres auch deshalb, weil seine Zielgruppe weniger empfindlich auf hohe Preise reagiert. Und auch die großen Player haben längst begonnen, sich in diesem Segment zu engagieren – oder sich an der einen oder anderen kleineren Brauerei zu beteiligen. Es kann durchaus zum beiderseitigen Vorteil sein, wenn man die Vertriebsstrukturen der Großen ins Kalkül zieht. Ein Zurück in die Zeit, als man Bier zumeist nur in den Varianten klein oder groß bestellen konnte, braucht man deshalb jedenfalls nicht zu befürchten. Denn die neue Vielfalt und der neue Umgang mit Bier sind zumindest in einer wachsenden Nische, die übrigens auch weniger männer­ dominiert ist als der Gesamtmarkt, gekommen, um zu bleiben. Manuel Fronhofer

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»Hello! Hello! Hello!« Streng genommen fällt die ursprüngliche Ausstrahlung der ersten Staffel von »RuPaul’s Drag Race«, einer Castingshow, bei der es sich der namensgebende RuPaul Charles zur Aufgabe gemacht hat, Amerikas nächsten »Drag-Superstar« zu küren, noch nicht in die 2010er-Jahre. Für den internationalen Durchbruch der Kunstform in den Mainstream ist die Sendung jedoch maßgeblich mitverantwortlich. Knapp 150 KandidatInnen haben seit 2009 über den Studiohintereingang den »Werk Room« betreten und damit nicht selten den Schritt zur Dragqueen als Fulltime-Job geschafft. Für einige war die Sendung Sprungbrett zu Karrieren in Mode (Naomi Smalls), Musik (Adore Delano), Tanz (Alyssa Edwards) oder Film (Bianca Del Rio). So wundervoll Fernsehsendungen sind, die Drag als Kunstform feiern, so eindimensional ist aber leider auf Dauer das enge Korsett der Castingshow, in der Regeln für »gutes Drag« festgelegt werden. Selbst RuPaul scheint immer öfter die Bandbreite von Drag zu vergessen und musste unlängst daran erinnert werden, dass Drag nicht automatisch »Mann in

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Kleid« bedeutet. Von Dragkings, Trans* sowie non-binary Kings und Queens bis hin zu weiblichen Dragqueens sind den künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten von Drag – vor allem was Gender-Identity betrifft – keine Grenzen gesetzt. Androgynität und Gender-Bending sind in den 2010er-Jahren mit Mode und Musik und neuer Intensität in der Populärkultur angekommen. Miley Cyrus und Katy Perry holen sich Dragqueens mit auf die Bühne, Sänger, wie Troye Sivan oder Miss Benny treten mit Blumenkrone und rotem Lippenstift auf, während der*die genderfluide Popstar Dorian Electra mit Schnurrbärtchen einen Macho mimt. Spätestens seit Dragqueens zu Werbegesichtern geworden sind – hierzulande Conchita Wurst für eine Bank, Tamara Mascara für Autos – , ist die Verschiebung hin zur Massentauglichkeit nicht nur offensichtlich geworden, sondern sie wirft auch die Frage nach dem Sellout einer Kunstform auf. Drag als politischen Ausdruck, als Teil einer Gegenkultur gibt es auch in Österreich noch. Zum Beispiel bei Drag Menu, dem jährlich veranstalteten Tuntathlon, oder Events der Kings Of Vienna (@dragkingsvienna). RuPaul hin oder her: Support your loOliver Maus cal drag scene!

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Trending: Gender-Bending Drag und Mainstream

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Ein Jahrzehnt im Zeichen des Bartes Conchita Wurst und Eurovision Song Contest Kaum zu glauben, dass Österreich zu Beginn dieses Jahrzehnts noch die Teilnahme am Song Contest verweigerte. Zwischen 2008 und 2010 musste der Grand Prix ohne österreichischen Beitrag auskommen. Nicht, dass dies besonders bemerkbar gewesen wäre: Schon in den Jahren davor war Österreich eher chancenlos, der letzte Finaleinzug gelang 2004. Der ORF gab deswegen prompt dem unfairen Abstimmverhalten in Osteuropa die Schuld für den Rückzug, auch wenn vermutlich Mangel an Geld und Publikumsinteresse eher die Gründe waren. 2011 erreichte Nadine Beiler nach dem Neustart dann das Finale für Österreich, obwohl sich wahrscheinlich kaum jemand an »The Secret Is Love« erinnern dürfte. Ein tatsächliches Umdenken von ORF und österreichischem Publikum geschah wohl erst 2014. Verantwortlich für den plötzlichen Wandel von Apathie zu Euphorie war natürlich Conchita Wurst. Sie gewann den Grand Prix 2014 mit »Rise Like A Phoenix«, brachte ein paar Russen zur Bartrasur, sorgte für die Einführung der Wiener Ampelpärchen und wurde nebenbei zu einer queeren Ikone. Wie der titelgebende Phönix erhob sich Conchita aus der Asche der österreichischen Song-Contest-Geschichte. Sie lieferte nicht nur eine Gänsehaut-Performance sowie einen neuen Klassiker für das Repertoire der SongContest-Balladen – nicht zuletzt schaffte sie es eben auch, die Einstellung eines ganzen Landes umzudrehen. In Österreich war das Jahrzehnt vor ihr vor allem von ironischer Distanz zum Song Contest gekennzeichnet.

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Dem Song Contest haftete etwas Lächerliches und Altbackenes an. Für die meisten war er entweder Familienunterhaltung am Samstagabend oder ein Spottobjekt im Freundeskreis. Nach Conchita war plötzlich eine ernsthafte Begeisterung im Land zu spüren. Eine Begeisterung, die bis heute anhält und hoffentlich auch das nächste Jahrzehnt des Song Contests noch prägen wird. Der Rest des vergangenen Grand-Prix-Jahrzehnts im Schnelldurchlauf: 2010 nuschelt sich Lena mit »Satellite« zum Sieg. 2012 liefert Loreen mit »Euphoria« den vermutlich letzten guten Beitrag aus Schweden. Seitdem versucht die schwedische Pop-Retorte offenbar den Song Contest bis zur totalen Blutleere auszusaugen. 2015 rettet selbst ein brennendes Klavier die österreichischen Vertreter The Makemakes nicht vor null Punkten. Australien nimmt seit ebendiesem Jahr auch am Song Contest teil – was regelmäßig für Verwirrung sorgt. 2016 singt Jamala über Vertreibungen von KrimtatarInnen – angeblich ohne Zusammenhang mit der Krimkrise. 2018 holt Netta den Song Contest mit einem der besten Beiträge nach Israel, und heuer Duncan Laurence von dort mit einem der fadesten in die Niederlande. Für den Start des nächsten Jahrzehnts heißt es also »Open Up« in Rotterdam! Bernhard Frena

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In den Nullerjahren, als Serien wie »Verliebt in Berlin« und später »How I Met Your Mother«, durch und durch mit expliziter Frauenfeindlichkeit überzogen, als erfolgreiche popkulturelle Events galten, wären nur die wenigsten Personen des populären öffentlichen Lebens auf die Idee gekommen, sich als FeministInnen zu erkennen zu geben. Spätestens in der zweiten Hälfte der 2010erJahre gibt es fast keinen hippen Online-Shop für Mode oder Interieur mehr, der nicht mindestens ein Produkt mit der Aufschrift »Feminist« verkauft. Vor allem im englischsprachigen Diskurs wird die erneute Frauenbewegung als eigene Welle, als »Fourth Wave Feminism«, bezeichnet. Diese unterscheidet sich in ihren Forderungen dann doch etwas von den vorangegangenen Feminismus-Wellen. Eine davon: feministische Koexistenz verschiedener Lebensrealitäten. Die Kritikpraxis »alter« FeministInnen wie Alice Schwarzer an den Lebensentwürfen anderer Frauen, die nicht ihrer Interpretation emanzipatorischer Lebensweise entsprechen, wird als solche wiederum kritisiert und als in sich zutiefst unfeministisch bewertet. Schwarzer gibt ihren Status als relevante Ikone spätestens dann ab, als sie kopftuchtragende Frauen

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anschreit. Feministin – das kann heute eine selbstbestimmte Sexarbeiterin sein, die nie de Beauvoir gelesen hat, oder eine GenderStudies-Absolventin, die hauptberuflich drei Kinder großzieht und sich ihre Vulva rasiert. Relativ neu im breiten feministischen Diskurs ist auch das Konzept der Intersektionalität und die Offenlegung vielschichtiger Privilegien. Der/Die SchauspielerIn und TransAktivistIn Indya Moore, bekannt aus der Netflix-Serie »Pose«, ist einer der bekannteren Namen, die in unseren Instagram- und Twitter-Feeds Intersektionen von Doppeltund Dreifach-Diskriminierungen sichtbarer machen. Themen wie das breite Spektrum sexueller Belästigung, Gender-Pay-Gap, körperliche Autonomie und toxische Maskulinität haben in den letzten Jahren alle beschäftigt – auf die eine oder andere Art. Mit der sogenannten »Gender-Diskussion« gräbt sich anhand der eigens algorithmisierten Bubbles ein Graben durch zwei entgegengesetzte Weltanschauungen. Heute halten wir #MeToo für einen alten Hut. In der Rückschau vergessen wir aber, dass wir vor Alyssa Milanos Tweet tatsächlich über vieles, was 2017 endlich ausgesprochen wurde, nicht geredet haben.

Viel, aber noch zu wenig geredet wird in feministischen Kreisen auch jetzt noch darüber, was es tatsächlich heißt, in einer derart komplexen Welt wie der heutigen, Feminismus zu denken und zu leben. Kann eine Feministin in einem Musikvideo mitspielen, in dem ein Rapper Rape Culture verharmlost? Inwiefern spielt Feminismus, sobald er so populär geworden ist, nur noch eine Rolle für die eigene Identität als woke Persona? Ab wann ist man politische/r AktivistIn? Kann ein CisMann nur Feminist sein, wenn er nicht von sich selbst redet? Die Prämisse der Akzeptanz aller selbstbestimmten Lebensentwürfe ist in der Praxis nicht ganz einfach einzuhalten. Doch geht es nicht mehr darum, finale Antworten zu finden, sondern im Diskurs dazuzulernen. Und lernen tun wir alle sehr viel: Ob auf Twitter mit Stefanie Sargnagel oder Nicole Schöndorfer über das Patriarchat oder im Gespräch mit unseren FreundInnen über die eigenen Dating-Erfahrungen mit vermeintlich feministischen »Softbois«. Weltanschauungen sind vor allem innerhalb der eigenen Bubble nicht mehr geradlinig und die Gretchenfrage »Wie hältst du es mit dem Feminismus?« ist keine, die wir in einer 15-Sekunden-InstaStory beantworten können. Theresa Ziegler

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Das Populäre ist politisch Vierte Welle Feminismus

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Es ist wie ein Traum. Mit »May Your Thunder Break The Sky« hat die mexikanische Künstlerin Naomi Rincón Gallardo den Freiheitskampf der Frauen und unterdrückten indigenen Völker in ihrer Heimat einmal kräftig durch die Mangel der Absurdität gedreht. Das Resultat: eine Utopie, wie durch ein fantastisches Zerrobjektiv betrachtet. ———— Mit den Video-Musik-Performances der Ausstellung »May Your Thunder Break The Sky« bricht die in Wien lebende Künstlerin eine Lanze für unterdrückte indigene Gruppen und dekolonialistischen Feminismus und ruft zur Neuerschaffung des Planeten auf. Die Arbeiten sind von den Aktivistinnen Rosalinda Dionisio und Bety Cariño inspiriert, die sich in Mexiko gegen die Vertreibung Indigener einsetzten. »May Your Thunder Break The Sky« ist die erste Ausstellung, die die neue Leiterin des Kunstraums Innsbruck, Ivana Marjanović, kuratiert. In ihrer Vorbereitung des Ausstellungsprogramms berücksichtigt sie die zweifache Funktion des Kunstraums. Er ist sowohl Raum für zeitgenössische Kunst als auch Raum für Gesellschaft – und damit für gesellschaftspolitische Themen. Eine Momentaufnahme der Ausstellung ist auf der Abbildung links zu sehen. Es ist eine Sequenz des Werks »The Formaldehyde Trip«, mit dem Naomi Rincón Gallardo eine spekulative Fiktion aus Videos und Liedern gestaltet hat, die der Freiheitskämpferin Alberta »Bety« Cariño ein Denkmal setzt. Die Frauenrechtsaktivistin, die einer Gruppe mexikanischer UreinwohnerInnen, den MixtekInnen, angehörte, wurde 2010 während einer Hilfsaktion für die indigene autonome Gemeinschaft San Juan Copola von Paramilitärs getötet. In »The Formaldehyde Trip« imaginiert Rincón Gallardo eine utopische Welt. Es fließen Elemente aus mesoamerikanischen Weltanschauungen, Mythen und Science-Fiction-Filmen der 60er- und 70er-Jahre sowie kunstvoll gestaltete Objekte und Schauplätzen mit ein. Dies unterlegt die Künstlerin mit Geräuschen und Stimmen sowie Musik und Lyrics, die vom weiblichen Kampf für körperliche, territoriale und kulturelle Autonomie handeln. Es entsteht ein audiovisueller Trip, der Bety Cariños Reise in die Unterwelt beschreibt. Unterwegs trifft sie Kämpferinnen, Hexen, Witwen, göttliche Wesen und Tiere, die ihre festliche Wiedergeburt vorbereiten. Ein Axolotl in Formaldehyd, der Fakten und Fiktion verschwimmen lässt, ist Erzähler, Informant und Guide zugleich. Der Axolotl ist ein von Rincón Gallardo geschickt gewähltes Symbol. Das aus Mexiko stammende Lebewesen ist nämlich durch seine Erneuerungsfähigkeit einzigartig im Tierreich. Verliert der Lurch Gliedmaßen, so wachsen diese nach, sogar Teile von Herz, Hirn und Wirbelsäule können sich nach Verletzungen von alleine erneuern. Auch wenn wir Menschen von solch einem Stehauffigur-Dasein nur träumen können, lädt Naomi Rincón Gallardo uns in ihrer Ausstellung dazu ein, uns von dieser Axolotl-Mentalität inspirieren zu lassen. Emily Staats

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Naomi Rincón Gallardo (gefördert von Programa Sistema Nacional de Creadores de Arte 2019–2022 del Fondo Nacional para La Cultura y las Artes), »The Formaldehyde Trip«, 2017. Foto: Naomi Rincón Gallardo

Naomi Rincón Gallardo: »The Formaldehyde Trip« Axolotl-Aktivismus

Die Ausstellung »May Your Thunder Break The Sky« mit Werken von Naomi Rincón Gallardo, kuratiert von Ivana Marjanović, wird am 6. Dezember im Kunstraum Innsbruck eröffnet und ist dort bis 1. Februar 2020 zu sehen.

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026 Die Songs von Oehl sind deutschsprachig und haben Anknüpfungspunkte an die Poesie. Wie steht ihr zu Texten in anderen Sprachen? ariel: Ich tue mir wahnsinnig schwer, englisch zu singen und mich wiederzuerkennen. Viele Leute, die neue Musik machen, versu-

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chen gut zu sein. Aber ich glaube, dieses »gut« kommt mit der Zeit. Es ist viel wichtiger, dort anzufangen, wo man niemandem nachläuft. Deutsch ist einfach unsere Art, sich selbst nicht zu langweilen. Englische Musik wird sehr schnell austauschbar. Wenn man als österreichischer Musiker in einem Bereich, wo schon so viel gesungen und gesagt wurde, noch etwas Neues beitragen will, dann ist das echt hart. Ich habe Respekt vor den Leuten, die da an den Start gehen, zwei Jahre an etwas arbeiten und nicht nach jemand anderem klingen. Man möchte nicht so viel Zeit investieren, um dann nur ein »just another …« zu werden. Deswegen gibt es auch keine popkulturellen Referenzen. hjörtur: Für mich hat die eigene Sprache auch eine gewisse Nähe. Es war auch ein

witziger Versuch, die ersten zwei Singles ins Isländische zu übersetzen. Es hat sich überraschend gut angefühlt, war aber auch irrsinnig schwierig. Wie hat sich die Entscheidung, Dichtung als sprachliches Kunstwerk in Songtexte zu verpacken, auf das Album ausgewirkt? ariel: Das Album ist definitiv eine sehr stimmige Reise. Es bringt dich an verschiedene Orte, so als ob du in einem Zug sitzen würdest. Man kann sich diese Orte anschauen und sich in diese Landschaften hineinträumen, aber eigentlich ist es ein Gefühl, dass von vorne bis hinten bleibt. Bei unserer Musik denke ich auch an diesen Goldton der letzten Sonnenstrahlen des Tages, wenn man mit zugekniffenen Augen in der Kälte sitzt.

Alexander Gotter

Ein später Nachmittag mit der Band Oehl. Der leichte Duft eines abendlichen Waldspaziergangs hängt in der Luft – das Ergebnis des Experiments, rhythmische Musik in einem Odeur festzuhalten. Sänger Ariel Oehl und Bassist Hjörtur Hjörleifsson sprechen in einem Trackby-Track mit uns über ihr erstes Album, erzählen, warum popkulturelle Referenzen in Songtexten für sie überholt sind und warum sie stattdessen auf Themen wie Tod, Leben und Glaube setzen.

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Poesie und die tanzbare Essenz Oehl und ihr Album »Über Nacht«

Der isländische Multiinstrumentalist Hjörtur Hjörleifsson (l.) und der Wiener Liedermacher Ariel Oehl (r.) haben schon vor ihrem Debütalbum ordentlich Aufmerksamkeit generiert.

Die ersten drei veröffentlichten Singles behandeln die Themen Tod, Leben und Glaube. Hängt das alles zusammen? ariel: Ja, vor allem Religion spielt eine Rolle. Sinn, Glaube und Gottsuche sind ein großes Thema im Leben eines Menschen. Ich glaube, wir alle versuchen, uns ein Gedankenkonstrukt zu erschaffen, an das wir glauben können. Das kann im Leben sehr konsumorientiert sein oder aus Wertehaltungen bestehen. Ich glaube, der Mensch hält es kaum aus, sich einfach treiben zu lassen. Er braucht Systeme, in die er alles einordnen kann, und die Religion ist eine sehr konkrete Manifestation von Glauben, die bestimmte Türen aufmacht. Der Glaube ist viel unbewusster, im Glauben finden die Leute auch Antworten, wenn sie nicht unbedingt nach Religion suchen. Religionen sind eine gute Anlaufstelle, um diese Sehnsucht abfangen zu können. Ariel, bist du gläubig? ariel: Die Person meiner Texte bin nicht ich. Aber die Person, für die meine Texte real sind, versucht sich schon immer Fragen zu stellen. Da ist die Frage, wie man Glaube im 21. Jahrhundert definiert. Konsum ist ja auch ein Glaube. Es ist so eine Art Ersatzbefriedigung für die Suche nach dem Sinn des Lebens.

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Wenn es nicht der Konsum ist, dann muss es etwas anderes geben. Und Glaube ist eben die Suche nach dem Sinn. Bei der Person meiner Musik geht es sogar konkreter noch um eine Art von Gottglaube. Es geht um das Erkennen oder Nicht-Erkennen dieser Nebelgestalt »Glaube«. Kannst du uns bei einem kurzen Track-byTrack etwas über die Songs auf dem Album erzählen? Starten wir mit dem Song »Wolken«. ariel: »Wolken« ist die Ode an die Griesgrämigkeit. Es geht um das Alleinesein, das Zurückgezogensein, das Sich-im-Selbstmitleid-Suhlen.

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Unsere Musik hört man dann bestenfalls so lange, bis sie untergegangen ist. Musik ist für mich unendlich warm, so muss es sich auch beim Machen anfühlen. Und offensichtlich sind unsere Texte von Lyrik inspiriert, es sind auch viele Zitate zu finden. Wenn man Lyrik liest, kann man gar nicht anders, als inspiriert zu sein. Das betrifft aber sicher nicht nur Musikschaffende, man entwickelt eine Sensibilität für alles. Aber ich weiß nicht, ob das Medium »Album« überhaupt noch Relevanz hat. Soundtechnisch gesehen ist es ein Konzeptalbum.

Erzähl uns etwas über »Trabant«. ariel: »Trabant« ist eine Idee, die einen nicht loslässt und die man sein Leben lang mit sich herumträgt. Wie sieht es mit »Sich anlegen« aus? ariel: Egal was man in seinem Leben tut, man könnte sich überlegen, ob man es tun würde, wenn die eigene Familie zusehen würde. Der nächste Titel: »Bisher« – was ist die Story dahinter? ariel: Es ist ein gesungener Notruf. Es gibt Situationen im Leben, da merkt man, es läuft nicht ganz rund. Das ist die Rekapitulation, dass es nicht mehr so sein wird, wie es bisher war. Und bei »Fluchtpunkte«? ariel: Ich finde die Idee interessant, dass zwei parallele Seiten eines Hauses immer durch den Fluchtpunkt miteinander verbunden sind, egal wie weit man diese beiden Wände verlängert. Es ist der Gedanke, dass Parallele sich im Raum schneiden, auch wenn sie sich in diesen Welten nicht berühren.

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Vergangenen Herbst sind Oehl mit Herbert Grönemeyer auf Stadiontour gegangen – beim Konzert in der Wiener Stadthalle sind die abgebildeten Livefotos entstanden.

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Um was geht es im Song »Instrument«? ariel: Das ist eine sehr zärtliche Person, die es schafft, mit ihrem Körper zu singen. Die ihren Körper als Instrument verwendet. Das ist etwas, das ich TänzerInnen sehr hoch anrechne, dass sie sich ständig stimmen. Du erkennst TänzerInnen schon von Weitem. Es ist die Art, wie sie sich bewegen. Man hat das Gefühl, sie kennen jede Sehne ihres Körpers und haben sie zu hundert Prozent unter Kontrolle, auch wie sie sitzen, sie lümmeln nicht. Dieses Faszinosum – der Körper als Instrument, der geölt, geputzt, gestimmt wird.

Letzter Titel: »Himmel« – kannst du uns dazu etwas erzählen? ariel: »Himmel« ist vor allem musikalisch gestimmt. Es ist der einzige Track, wo unser Produzent die Akkorde geschrieben hat, und wir haben darauf frei improvisiert. Da merkt man einfach die große Stärke von Hjörtur, den Bass sehr präsent und doch zart zu spielen. Der Bass ist wie eine Spur, die ein Flugzeug zieht, sie ist hier, man sieht sie, aber kann sie nicht greifen.

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Gibt es musikalische Vorbilder, an denen ihr euch orientiert? ariel: Es gibt zwei Spotify-Playlists, da geht es quer durch den Gemüsegarten … hjörtur: Wir reden sehr viel über die derzeitige österreichische Musiklandschaft und was da alles so passiert. So kommen wir auch wieder zu den Leuten, die wir einladen, bei uns mitzumachen. Wie fühlt es sich an, als heißer Newcomer zu gelten? hjörtur: Es ist schmeichelnd und schön, solche Bestätigungen zu bekommen, aber besonders in den letzten Monaten waren wir vor allem mit der Musik selbst beschäftigt und da hat Social Media auf jeden Fall darunter ge-

litten. Musik selbst hat für uns eindeutig die Priorität. ariel: Reaktionen und Follower als Währung ist etwas, das wir erst noch begreifen müssen. Diese Kommunikation über die Medien, im Endeffekt ist es ein externalisiertes Zuwinken. Es würde mich aber mehr freuen, wenn diese Person mir eine Nachricht schreibt, damit ich mich mit ihr direkt austauschen kann. Catherine Hazotte & Sabine Schlossnagel

Oehls Debütalbum »Über Nacht« erscheint am 24. Jänner 2020 auf Grönland Records in Kooperation mit Ink Music. Im selben Monat spielt das Duo am FM4 Geburtstagsfest in der Ottakringer Brauerei in Wien.

Alexander Gotter

Wie sieht es mit »1000« aus? ariel: Die Liebe zu dem Umstand, dass man manche Sachen nie zur Gänze erfahren oder erkennen kann. Das man manche Dinge, so wie das Glück, nicht festhalten kann.

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Länger Dudeln! Mit natürlichem Koffein.

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FM4 bekommt ein neues Home, Baby!

Die neuen Studios am Küniglberg sind das künftige Zuhause der FM4-Redaktion.

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quency? Sich die gegenwärtige heimische Musikszene ohne FM4 auszumalen, ist fast unmöglich. Die Institution hat die österreichische Jugendkultur in den letzten 25 Jahren signifikant geprägt und ist wiederum von dieser und ihren Subgenres und Subkulturen geprägt worden – und so wird es wohl auch in Zukunft sein. Der Sender schafft es, neben Streamingdiensten und Podcasts zu bestehen, und legt, etwa mit dem »FM4 Soundpark« den Fokus nach wie vor stark auf heimische Musik (30,5 % ÖsterreicherInnenanteil im Musikprogramm laut AKM-Sendezeitstatistik für 2018). Ende November wird es einen Relaunch dieser Plattform geben – mit zusätzlicher Sendung am Donnerstagabend. Ohne Personenkult zu

betreiben, sind es vor allem die RedakteurInnen, DJs und ModeratorInnen, die mit ihren jeweiligen (Musik-)Spezialgebieten und nicht wenig Nerdtum die Identität des Senders beeinflussen und auch zukünftig beeinflussen werden. Einige von ihnen – VertreterInnen der jüngeren Abteilung – stellen wir hier in Kurzporträts vor. Pia Gärtner

Ab 25. November sendet Radio FM4 aus den neuen Studios im ORF-Zentrum. Der erste Sendetag wird zum Special: mit vielen Gästen, allen ModeratorInnen on air und besonderem Musikprogramm. Zwei Tage darauf wird das Line-up des FM4-Geburtstagsfest, das am 18. Jänner 2020 in der Ottakringer Brauerei stattfindet, verkündet.

Radio FM4 / Gerlinde Egger

Ende November zieht Radio FM4 samt Studios und Büros ins ORF-Zentrum auf den Wiener Küniglberg und verlässt, wie später auch Ö1, das Funkhaus in der Argentinierstraße. Anfang des kommenden Jahres steht außerdem der 25. Geburtstag des Senders an. Aus gegebenen Anlässen porträtieren wir sieben RedakteurInnen, die die Zukunft von FM4 mitbestimmen werden. ———— Würde es all die »FM4-Musik«, die Sounds der Bilderbuchs und Leyyas, der Voodoos und Wandas, ohne FM4 in dieser Form überhaupt geben? Würde die Jugend des Landes so gut Denglisch sprechen, gäbe es die »Morning Show« nicht? Wo würden 16-Jährige erste Live-Kontakte zu ihren Idolen haben, wenn nicht am von FM4 präsentierten Fre-

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Dalia Ahmed Zum Senderstart drei Jahre alt | Macht etwas mit Medien seit: 2008 Bei FM4 seit: 2015 | Fan von: Hip-Hop, R’n’B, Afro-Beats, Dancehall, Globale Clubsounds FM4 in einem Wort: homebaby »Ich hoffe, FM4 kann weiterhin ein Ort sein, wo die Zuhörenden Dinge entdecken, die sie sonst vielleicht nicht entdeckt hätten, und wo sie gemeinsam mit uns RedakteurInnen und ModeratorInnen über die unterschiedlichsten Themen abnerden können.« Wer sich in Wien auch nur ein bisschen für Popkultur interessiert, kennt den Namen Dalia Ahmed. Sie kuratierte das diesjährige Electric Spring und ihre DJ-Sets sind mittlerweile mindestens stadtbekannt, darüberhinaus erfrischt sie samstagabends landesweit FM4-HörerInnen mit ihrer Show »Dalia’s Late Night Lemonade«. In dieser Stunde betreibt sie (Pop-)Musikerziehung, präsentiert ihre Lieblingsmusik und bespricht – auch mit Artists gemeinsam – Neuigkeiten aus den Pop-Welten. Darüberhinaus comoderiert sie auch die »Morning Show«. Mit 27 ist Dalia der jüngste Host des Senders und trägt als selbsternannte Beyoncé-Jüngerin den »Gopsel Of Bey« in die Welt – sie berichtete etwa über den Coachella-Auftritt der Ikone. In ihrer Arbeit verdichtet sie Mainstream und weniger sichtbare Genres zu einer persönlichen Mischung und lässt Stimmen aus den unterschiedlichsten Szenen zu Wort kommen.

Daniel Grabner »Viele Leute nimmt ein Vollzeitjob so sehr ein, dass sie irgendwann aufhören, aktiv an Popkultur zu partizipieren. Vielleicht könnte man auch sagen: Sie werden erwachsen. Bei mir gehört die Popkultur angenehmerweise zum Job.«

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Zum Senderstart zehn Jahre alt | Macht etwas mit Medien seit: 2011 Bei FM4 seit: 2012 | Fan von: Kebab, FKA Twigs und allen Interviews von Alexander Kluge FM4 in einem Wort: effemmvier

Eva Zar, Roman Prostejovsky

Die Stimme von Daniel Grabner kennt man aus Sendungen wie »Hallo FM4«, daneben auch aus »Connected«, der »Homebase« und der »Morning Show«. Neben Buchrezensionen verfasst er selbst auch literarische Texte und initiierte das »FM4 Proseminar«, bei dem Songtexte auf ihren literarischen Gehalt abgeklopft werden – ein gutes Beispiel für jene RedakteurInnen, die ihre Leidenschaft beim Sender beruflich ausleben und zur Expertise ausbauen konnten. Die Regelung, die es FM4 und dem ORF untersagt, Inhalte online länger als sieben Tage abrufbar zu halten, würde er abschaffen, außerdem wünscht er sich ein stärkeres Bewusstsein für die Relevanz eines unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nicht unerwähnt sollte auch Daniels InstagramAccount fur_fur_away bleiben, auf dem er seine weniger ernste Seite auslebt und Vermisstenanzeigen von Haustieren sammelt. Und die Zukunft von FM4? Sieht er rosig, mit einem fetten Gelbstich.

Ein Blick in die Zukunft des Senders

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Sophie Liebhart Zum Senderstart drei Jahre alt | Macht etwas mit Medien seit: 2009 Bei FM4 seit: 2017 | Fan von: allen Gerichten, die Erdäpfel beinhalten FM4 in einem Wort: kanarienvogelgelb »Ich gehöre, typisch für meine Generation im Journalismus, zu den eierlegenden Wollmilchsäuen. Ich mach ein bisschen was von allem.«

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Sophie Liebhart absolvierte die ORF-Akademie (ein zweijähriges Ausbildungsprogramm, in dem vier verschiedene Redaktionen des ORF durchlaufen werden) und blieb bei FM4. Ihr Herz schlägt für Klima- und Umweltthemen, sie probierte aber für die Serie »FM4 Tanz mit mir« vor der Kamera auch schon mal Tanzstile wie Line-Dance oder Voguing. Für die Zukunft des Senders ist ihr eine starke Fokussierung auf dessen Kernkompetenzen wichtig: österreichische Musik und Themen, die junge Menschen betreffen. Außerdem: dass genügend Zeit und Ressourcen für längere Recherchen, das Einholen von Hintergrundinformationen und neue Zugänge aufgewendet werden. Junge JournalistInnen sollen hier weiterhin Platz haben und sich ausprobieren können, sagt Sophie. Sie selbst hat die Arbeit in der Redaktion vor allem offener für Themen gemacht, die davor in ihrem Alltag keine Rolle gespielt haben. Für die anderen Kanäle des ORF wünscht sie sich mehr Mut zu neueren, jüngeren Formaten.

Lukas Lottersberger Zum Senderstart acht Jahre alt | Macht etwas mit Medien seit: 2011 Bei FM4 seit: 2015 | Fan von: Speisepilzen und außergewöhnlicher Musik aus aller Welt FM4 in einem Wort: einzigartig

Politik einerseits, Likes, Klicks und Memes andererseits: Lukas Lottersberger wäre um ein Haar Grafikdesigner in einer Werbeagentur geworden, ist dann aber glücklicherweise über das Traineeship, eine hausinterne Ausbildung, bei FM4 gelandet. Jetzt ist er tagesaktueller Reporter für Politisches im weitesten Sinne, war Projektleiter bei diversen Wahlen und ist für Social Media zuständig – was, wie er zugibt, manchmal sehr anstrengend sein kann. Laut Twitter-Bio ist er außerdem Experte für halbwichtiges und unnützes Wissen und weiß zum Beispiel, dass – je nach Rechtsauslegung – Lösegeldforderungen in Österreich als »außergewöhnliche Belastung« von der Steuer abgesetzt werden können. Für die Zukunft der heimischen Medienlandschaft wünscht sich Lukas Sanktionen für Medien, die grob fahrlässig oder willentlich Falschmeldungen verbreiten, sowie ein zeitgemäßes Update des ORF-Gesetzes.

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Marie Bleyer, Jan Hestmann

»Meine Freunde in Tirol sagen, seit der Arbeit beim Sender spreche ich schöner.«

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Ambra Schuster Ein Jahr nach Senderstart geboren | Macht etwas mit Medien seit: 2015 Bei FM4 seit: 2018 | Fan von: Schwedenbomben, Soap & Skin, HVOB, Natur FM4 in einem Wort: bunt »So abgedroschen das jetzt klingen mag: Ich habe spannende Menschen und Perspektiven kennengelernt. Ich bin in den Job hinein- und über mich selbst hinausgewachsen.«

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Ginge es nach ihr, gäbe es in der Zukunft weniger prekäre Arbeitsverhältnisse für junge JournalistInnen: Ambra Schuster ist das jüngste hier porträtierte Mitglied der FM4-Familie, sie ist auch erst etwas mehr als ein Jahr beim Sender. Ein Jahr, in dem sie, wie sie selbst sagt, als Journalistin gewachsen ist, eine dickere Haut bekommen und weniger geschlafen hat als je zuvor. Dabei empfand sie Sozialreportagen, wie den Besuch in einem Frauenhaus, oder Gespräche mit Holocaustüberlebenden, als besonders prägend. Sich selbst als »News-Junky« bezeichnend, ist die Menge an News, die sie auch selbst produziert, kaum verwunderlich. Nach dem Journalismusstudium und der klassischen Laufbahn aus FM4-Assessment-Center und Praktikum im Haus macht sie mittlerweile Reportagen und schreibt für die Website. In ihren Beiträgen beschäftigt sie sich, neben den üblicheren Themengebieten, auch mit Liebe und Zwischenmenschlichem: Beim »Dating Dictionary« erklärt sie etwa Vokabular, das bestimmtes DatingVerhalten beschreibt, und sie co-moderierte die Sendung »Beziehungsweise«. Nebenbei schreibt und produziert sie Podcasts für die Kleine Zeitung.

Christoph Sepin Zum Senderstart neun Jahre alt | Macht etwas mit Medien seit: 2004 Bei FM4 seit: 2015 | Fan von: nebeliger Musik, Futurismus, Anglizismen, Chillen FM4 in einem Wort: gelbgrau »In einer Welt der Algorithmen ist es doch sehr gut, Content von echten Menschen kuratiert zu bekommen.«

Hanna Burgstaller, Isabella Zhang

Christoph Sepin moderiert Sendungen wie die »Homebase«, ist unter anderem Producer und Co-Moderator der »Morning Show«, Musik- und Filmredakteur. Auf Außeneinsätzen erkennt man ihn leicht an seinen wasserstoffblonden Haaren. Mit seinen kritischen Rezensionen legt er sich schon mal mit dem österreichischen Depeche-Mode-Fanclub an. Was kaum jemand weiß: dass er seit zehn Jahren versucht, seinen Sci-Fi-Timetravel-Film fertigzuediten, und dass er für kurze Zeit unter den globalen »Pac-Man«-TopSpielerInnen war. Inspiration zu verschiedenen Zugängen zur Sendungsgestaltung findet er bei diversen Radiosendern der ganzen Welt, etwa bei Radio 6 Music von BBC. Was FM4 gegenwärtig und zukünftig ausmacht, ist laut Christoph die Expertise, die die RedakteurInnen mit dem Publikum und der Community teilen und uns so vielleicht neue Dinge entdecken lässt.

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Label-Wirtschaft hat sich für alle Beteiligten gewandelt und doch ist man sich an unserem Round Table auf ein Bier oder Soda Zitron im Chelsea nicht ganz einig, wie die Musikindustrie heute und in Zukunft dasteht. Ein Gespräch mit Bettina Schöll (Ink Music), Stefan Redelsteiner (Lotter Label), Jamal Hachem (Affine Records) und Theresa Langner (Assim Records) über die großen Systeme und die kleinen Acts. Zum Einstieg: Was können Indie Labels leisten und was ist ihre Funktion? Was unterscheidet sie eurer Meinung nach von Majors? jamal hachem: Es ist schwierig, das so allgemein zu formulieren, weil die Grenzen immer mehr verschwimmen. Der größte Unterschied ist wahrscheinlich der finanzielle Aspekt. Wobei ich immer wieder höre, dass Majors auch nicht mehr die Budgets haben wie früher.

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stefan redelsteiner: In Österreich ist es so, dass es von den Budgets teilweise oft keine Unterschiede gibt. Ich glaub, der maßgebliche Unterschied in Österreich ist einfach, dass Major-Labels Durchlaufstationen für internationale Acts sind, dass es kaum ein Domestic Repertoire gibt. Und das, was es gibt, ist zu 99 % Schlager, Volksmusik und »Die große Chance« oder wie die ganzen TVSachen heißen. Wir aus der Indie-Welt sind dafür da, Bands groß zu machen, die dann eventuell von Major-Labels übernommen werden können. jamal: Ich finde die Herangehensweise ist auch oft ein wesentlicher Unterschied. Aber es gibt auch Indies, die versuchen, Majors zu imitieren. Man muss sich das wirklich von Fall zu Fall anschauen. Diese Trennlinie, die es vielleicht in den 80ern oder in den 90ern gegeben hat, wo auch der Begriff Gegenkul-

tur noch mehr gegolten hat, die verschwimmt auch dadurch, dass viele Werkzeuge, die wir verwenden, einfach die gleichen sind. theresa langner: Indies haben generell eher weniger Künstler zu betreuen als Majors und dadurch kann sich ein Act auf dem Weg vielleicht mehr begleitet fühlen bei einem Indie, weil ein Major vielleicht für einen kleinen Act, der sich noch nicht etabliert hat und der auch noch nicht so viel Kohle macht für das Label, auch nicht so viel Zeit hat. bettina schöll: Die kleinen Acts müssen halt dann auch gleich mit der ersten Single performen, sonst sind sie gleich wieder weg vom Fenster. Wenn bei uns eine potenzielle Single nicht funktioniert, dann arbeitet man weiter mit dem Künstler an dem Produkt und an der ganzen Künstlerkarriere. Beim Major bist du, glaub ich, einfach schneller abgesägt.

Alexander Galler

Luftballons am Streaming-Himmel

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Wie seht ihr denn die aktuelle wirtschaftliche Lage am Musikmarkt. Es war zuletzt ja ein lokaler Aufschwung da mit dem Hype rund um österreichische Musik, aber generell ein finanzieller Einbruch durch den Wechsel hin zum Streaming. Was ist eure Diagnose für die Gegenwart und vielleicht auch für die Zukunft in Österreich? stefan: Am Ende läuft’s immer auf dasselbe hinaus: Die guten Bands werden immer »funktionieren«, das ist ein schrecklichen Wort eigentlich (lacht), aber wenn es jetzt um diese wirtschaftlichen Sachen geht … Wir haben das dieses Jahr bei unserem Label gemerkt. Wir sind mit Lotter Label mit sieben bis neun Bands ins Jahr gestartet und mittlerweile sind, wenn man auf die Homepage geht, nur noch drei Bands oben. Weil wir auch den Fehler gemacht haben, dass wir auf Leute gehört haben, die uns gesagt haben, hey, die Band ist cool – wo man dann anfängt in diese Opportunismusfalle hineinzutappen, dass man glaubt, wenn ich das jetzt mache, dann kann ich Erfolg haben. Und die Dinge machen dann erstens überhaupt keinen Spaß und zweitens funktionieren sie – also in unserem Fall – auch nicht so gut. Ich weiß nicht, ob wir alle den Fehler schon gemacht haben, aber ich habe den Fehler dieses Jahr auf jeden Fall gemacht und jetzt will ich ihn mal in nächster Zeit nicht mehr machen. jamal: Ich sehe da die größere Klammer und die größere Klammer ist die, dass der Raubtierkapitalismus ein bereits gescheiter-

tes System ist. Das System, in dem wir uns als Gesellschaft bewegen, ist kein friedenstiftendes Modell. Die einzelnen Erfolgsmodelle, die es immer wieder gibt, können außerdem nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass diese Struktur für die große Mehrheit der Kunstund Kulturschaffenden kein nachhaltiges und faires Modell ist, in dem wir uns bewegen. stefan: Aber das war ja immer schon so, auch vor 30 Jahren.

Entwertung für den Großteil der Künstler und Labels am meisten spürbar. Das passiert ja nicht nur in der Musikbranche. Der Journalismus zum Beispiel hat ja sein Geschäftsmodell auch an der Garderobe des Silicon Valley abgegeben. Es sind so viele Bereiche, in denen wir uns einigen wenigen Tech-Konzernen ausgeliefert haben. Wir als Gesellschaft, meine ich natürlich. Jetzt gilt es Modelle zu entwickeln, die für viele Menschen funktionieren und nicht nur für den Einzelnen. Das hat eine größere gesellschaftliche Relevanz – das geht weit über Indieoder Major-Labels hinaus. stefan: Aber jetzt mal weg vom Politischen und zurück zur Musik: Es ist ja nicht unbedingt ungerecht, dass nur wenige Acts groß werden. Das hat ja was mit dem Publikum zu tun. die ganze Indie-Kultur gibt es ja erst seit 1977 in der Form, mit IndieLabels usw. Und da war das ja auch immer schon von den Indies selbst so gewollt, weil sonst würden sie sich ja von den Majors nicht unterscheiden. Und das ist ja voll okay so und wir sind ja stolz drauf. jamal: Es geht ja für viele sogenannte Major-Acts genauso nicht auf. stefan: Wenn Major-Labels nicht aufgehen, dann hat irgendwas nicht funktioniert. jamal: Ja, klar. Eine ganze Reihe von Dingen hat nicht funktioniert. Nehmen wir ein Major-Label her, das 20 Künstler signt. Es steigen 20 Luftballons in die Höhe. Davon platzen 15 irgendwann auf halber StreTheresa Langner hat Ende März zusammen mit cke. Dahinter verbergen sich aber Mario Fartacek, Valentin Eder und Ilias Dahimène Menschen, Schicksale, ErwartungsAssim Records (Mynth, Good Wilson, …) gegründet. haltungen. Die anderen fünf fliegen weiter in die Luft und drei davon bleiben irgendwann mal auf einem jamal: Ja, aber die Situation hat sich guten Level. Die anderen zwei fliegen immer weiter, immer weiter, das sind dann so quasi noch weiter verschärft. Und nur weil das früher schon so war … die Ed Sheerans und Beyoncés. stefan: Ich sag ja nicht, dass es gut ist. Der stefan: Aber die Luftballons, die exploMarkt, der Kuchen war einfach größer, aber diert sind auf halbem Weg, die hat ja keiner es haben sich trotzdem immer nur sehr weni- versklavt und gezwungen, dass sie versuchen, ge einen Teil vom Kuchen geschnappt. einen Major-Vertrag zu bekommen. jamal: Aber die Systematik ist heute eben jamal: Diese Ballons können genauso in eine andere, weil wir vor allem in global zu- Indie-Strukturen platzen. Aber das gängige sammenhängenden monetarisierten Räumen Geschäftsmodell der Majors kann man sich unterwegs sind. Im Bereich Streaming ist die dann doch mal genauer anschauen. Und da-

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Auf welchem Level müssen denn Acts sein, damit sich ein Indie-Label für sie interessieren kann? bettina: Mindestanforderung ist, dass du als Wirtschaft treibendes Unternehmen Potenzial in einem Produkt siehst. Dadurch, dass wir mit Live und Verlag eigentlich alle Bereiche abdecken, haben wir sehr viele Möglichkeiten, die Band oder den Künstler zu testen. Viele Bands funktionieren auch einfach nur mehr oder hauptsächlich über Merch direkt nach dem Konzert, weil im Streaming die Finanzen eher mau aussehen.

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für reicht im Prinzip in einem globalisierten Markt eine sogenannte Cashcow und der Rest ist scheißegal. bettina: Die würde aber auch für ein Indie-Label reichen. Wir sind halt einfach eingespielt in unserer Arbeit. Wir setzen immer auf bestimmte Pferde und hoffen, dass diese ins Ziel laufen – und noch weiter darüber hinaus. stefan: Gerade bei Indie-Labels ist es ja so: Wenn einer von den fünf Ballons oder Pferden funktioniert, heißt das ja nicht dass man die anderen gleich in die Mülltonne haut. Sondern wenn man dran glaubt, wenn man es aus Liebe zu der Band und zur Musik und zu allem macht, dann wirst du die nicht fallen lassen. Aber ich gebe dir recht, bei Majors ist das ein bisschen herzloser, da spielt man halt dann auch das große Spiel. bettina: Anders könnten sie vielleicht auch gar nicht funktionieren. Weil wenn sie mit den zwei obersten Luftballons die 18 unteren querfinanzieren, sitzen sie an genau dem gleichen Tisch wie wir. jamal: Deswegen habe ich auch gemeint, das, was uns wahrscheinlich am meisten unterscheidet, ist die Herangehensweise. theresa: Ich möchte da ganz kurz die Spotify-Thematik aufgreifen. Spotify macht es eigentlich – und ich meine nicht, was die Auszahlung an die Künstler und Songwriter betrifft, sondern wie die Playlisten erstellt werden – ganz fair. Weil von Künstlern, die auf Streaming-Plattformen gut performen,

wachsen die Streaming-Zahlen immer mehr – und vielleicht ergibt sich dann ein Ballon, der in die Luft steigt und über dem Indie schwebt, ihn mitzieht. Das sehe ich nicht negativ. Alle deine Acts profitieren ja davon, dass dein Label mit diesem Act assoziiert wird und jeder andere Act auf deinem Label kann ja dann an deinem Kuchen mitnaschen. jamal: Gegenwärtige Streaming-Modelle haben faktisch zu einer Entwertung geführt und das kann man nicht schönreden. theresa: Ich sehe das gar nicht. Ich finde, das kommt auf den Hörer an. Wenn ein Hörer ein Lean-back-Hörverhalten hat und im Hintergrund eine Playlist laufen lässt, dazu nebenbei im Fitnessstudio sein Workout macht und nicht darauf achtet, welchen Song er gerade hört, dann ist das wie Radio hören. jamal: Das ist gewissermaßen kulturelle Entwertung. theresa: Aber Spotify kann genauso für den Forward-Hörer Playlisten generieren, wo die Hörer dann jeden Song einzeln durchgehen und sagen, ah der ist geil, der gefällt mir und den speichere ich in meiner eigenen Playlist. Mann muss es einfach auch als Promotiontool sehen. jamal: Das ist der ewige Schmäh des Neoliberalismus: das Promotiontool. Wenn das auf Kosten einer Entwertung stattfindet … Ein Promotiontool kann kein Instrumentarium ersetzen, das faire Umsätze generiert. Und ich rede hier immer von einer Mehrheit, und nicht

von Ausnahmen, die innerhalb dieser Logik funktionieren. Diese ständig als Beispiel zu nehmen, ist komplett absurd. Das ist so, wie wenn man jedes Mal die zehn gleichen Millionäre zeigt und dies als Beleg für Verteilungsgerechtigkeit anführt, aber was ist mit den anderen 99 %? theresa: Es heißt ja nicht, dass Spotify so bleibt, wie es jetzt ist hinsichtlich der Monetarisierung. Jetzt ist es halt komplett intransparent, du weißt überhaupt nicht, wo welche Gelder gescheffelt werden. Und bei Spotify weiß man zum Teil, glaub ich, nicht einmal, wo welcher Songwriter beteiligt ist, weil du es beim einzelnen Song einfach nicht hast eingeben müssen. Das muss sich weiterentwickeln, das weiß die ganze Industrie. bettina: Es ist bei Spotify eh dasselbe System wie zum Beispiel bei Förderungen oder bei der Auszahlung von Tantiemen: Die Erlöse, die nicht eins zu eins zurechenbar sind, werden nach dem Kuchenprinzip aufgeteilt – jeder kriegt seinen Share. Das heißt, wenn da ein Pott an Geld übrigbleibt, der nicht zuordenbar ist, oder irgendwelche Förderungen vergeben werden, dann kriegen die, die eh schon den größeren Prozentanteil haben, weil sie mächtiger sind, auch noch größere Ausschüttungen und Förderungen, weil sie relevanter sind am Markt. Und das ist eigentlich das, was falsch läuft, meiner Meinung nach. Die haben ja theoretisch eh schon das Geld und können mit dem wirtschaften. Es wäre wesentlich sinnvoller, dass auch die Kleineren diese Chance haben – mit dem Geld, das zur freien Verfügung steht. jamal: Es gibt ja zum Glück die ein oder andere gute Alternative und Modelle, in denen Perspektiven entwickelt werden können, aber so wie zum Beispiel Spotify funktioniert, und ich glaub, das weiß ohnehin jeder an diesem Tisch, dass ein Play erst zählt, wenn die 20. Sekunde vollzogen ist, das erzeugt und fördert in der Regel Beliebigkeit und Opportunismus, das erzeugt vor allem aber einen hausgemachten Startvorteil für popkulturelle Themen. Nehmen wir experimentell geprägte Musik her, die oftmals nach 20 Sekunden eben nicht auf den Punkt kommt, sondern vielleicht erst nach vier Minuten zur Entfaltung kommt – so

Zusammen mit Herwig Zamernik (Fuzzman, Naked Lunch) führt Stefan Redelsteiner das Lotter Label. Er ist außerdem Gründer von Problembär Records und gilt als Entdecker von Der Nino aus Wien, Wanda und Voodoo Jürgens.

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Jamal Hachem betreibt seit 2008 das Label Affine Records (Dorian Concept, Wandl, …) und ist dort »von A bis Z für alles« zuständig.

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beeinflusst Massentechnologie auch Entwicklungsprozesse. Und das ist zum einen nicht fair und so dreht sich außerdem das Karussell der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen schneller und schneller. theresa: Aber das landet dann auch in einer Playlist von Spotify für Experimentalmusik. jamal: Das ist dann der Friedhof von Spotify. theresa: Das ist überhaupt nicht der Friedhof. stefan: Aber Experimentalmusik per se will ja gar keine Mehrheitsmusik sein, will ja nicht erfolgreich sein in dem Sinn … jamal: Das ist ein ganz, ganz furchtbarer Ansatz. Ich kann die Position nicht teilen, dass Künstler, die musikalisch schwierig konnotierte Themen beackern, davon nicht leben wollen. Ich zum Beispiel arbeite mit dem Ansatz, dass sogenannte schwierige Themen auch eine gewisse Wirtschaftlichkeit und Perspektive erzielen können. theresa: Ein Experimentalfan sucht sich doch Experimentalmusik auf Spotify raus. Und der ist auch niemand, der das nach 20 Sekunden skippt, weil noch nichts passiert ist, sondern der will das doch auch. jamal: Wenn aber Musikjournalismus halbtot ist und Algorithmen auch nicht verlässlich sind, wird es in der Regel schwierig auf entsprechende Materie zu stoßen. Das passiert

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in der Praxis nicht. Wie suchst du nach etwas, das du quasi gar nicht kennen kannst? bettina: Du kommst auch nicht automatisch auf eine Paylist, nur weil du einen Song online stellst. jamal: Ich gehe davon aus, dass so gut wie jeder der Musik online stellt auch den Drang hat gehört zu werden. Aber es gibt oftmals, gerade von Label-Menschen die sich als Indie bezeichnen, den Irrglauben das höchste der Gefühle sei mit Lederjacken und Gitarren auf der Bühne zu performen. Es gibt aber viel, viel mehr als das. theresa: Klar, der Stellenwert von Spotify ist extrem hoch. Es ist extrem wichtig, weil es halt so viele Hörer hat. Aber wenn die Zielgruppe von unserer Band jetzt nicht auf Spotify ist, sondern vielleicht eine jüngere Zielgruppe, dann kann man zum Beispiel auch mal mit Tik Tok arbeiten oder andere Wege finden, coole Promotion zu machen. Und wenn ein Hörer eine Band auf Spotify entdeckt, idealerweise abspeichert und immer und immer wieder hört, dann wird der wahrscheinlich auch zur Show kommen oder auch die Platten kaufen. Sonst wäre der vielleicht gar nicht zu der Band gekommen, wenn sie nicht in seiner DiscoverWeekly-Playlist aufgetaucht wäre. jamal: Da habe ich eine Frage an die Runde: Es sind, glaube ich, mehr als nur Gerüchte,

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dass die großen Streaming-Player Direktverträge mit Künstlern anstreben. Das würde Labels im Grunde obsolet machen, aber auch Vertriebe. Wie geht ihr damit um? stefan: Ich geh immer cool mit allem um. Das ist dann halt einfach so. Das ist ja auch so mit den Taxi-Fahrern und den Uber-Fahrern, denen auch gesagt wird, in fünf Jahren fahren nur noch Robotertaxis. Das passiert in allen Bereichen des Lebens. Leben findet immer Wege. Und wenn wir als Indie-Labels obsolet sind, dann machen wir halt was anderes. theresa: Eine Band kann ja frei entscheiden, wo sie hinwill. Will sie zu Spotify, zu einem Indie-Label oder will sie überhaupt gar kein Label haben, keinen Vertrag mit Spotify und alles DIY machen. Das geht ja auch. Du kannst ja niemandem vorschreiben, was er macht. stefan: Wir sind ja alle nicht nur LabelLabels – also wenn das Label tot ist, sind wir alle tot –, sondern machen auch Booking oder Verlag, Management, die Promo. Promo­texte wird AI frühestens in 40 Jahren für die Bands schreiben. Ähnlich ist es beim Management. Die Schulter, an der sich eine Band anlehnt – das wird ein Roboter nicht übernehmen können. Ich bin eh froh, wenn’s vorbei ist, der fade Bereich des Plattenlabels, das Eintönige, etwa eine Meldung an die Austro Mechana zu schreiben, wie viele CDs wir pressen. Es ist nicht egal, wenn das weg ist, aber es ist verkraftbar bis zu einem gewissen Grad. jamal: Zu viel Macht in wenigen Händen ist grundsätzlich nicht gut. Ich mache jedenfalls keinem User den Vorwurf StreamingServices zu nutzen, denn viele davon sind attraktiv und praktisch konzipiert. stefan: Ich seh das eher umgekehrt: Spotify ist scheiße gemacht. Die meisten Hörer sind blöd eigentlich. Und unsere Aufgabe ist es, die Bands zu managen, bei denen wir das Gefühl haben, coole Leute hören diese Bands. Also bei Leuten, die Bands hören, die nicht meine Bands sind, denk ich mir sowieso: Was ist los mit euch? Wir suchen ja immer nach den wenigen Auserwählten, die dasselbe mögen, das wir mögen. jamal: Ich verurteile per se niemanden, der Schlager hört. stefan: Es geht nicht ums Verurteilen. jamal: Das hört sich schon ein bisschen so an. stefan: Ich will ja nicht, dass die ins Gefängnis müssen. Meine Herangehensweise als Manager ist auch immer, es dem Hörer so schwer wie möglich zu machen. Der Fan muss es wert sein, unsere Musik überhaupt hören zu dürfen. So schaffst du ja erst, dass es Interesse für die Musik gibt, weil die Musik zu einem Mysterium, zu einem Geheim­

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Wenn ihr als Labels auf die Suche nach Bands geht, schaut ihr da eher, wer zu der Brand eures Labels passt, oder ist es eher ein »Die sind vielversprechend, die schnappen wir uns«? bettina: Wir sind neun Mitarbeiter und bei uns ist das eine basisdemokratische Entscheidung, Bettina Schöll arbeitet seit 2013 bei Ink Music (Garish, Lou Asril, My Ugly Clementine, …) ob wir es als Label gut finden oder und übernahm 2015 die operative Geschäftsführung. Außerdem konzentriert sie sich nicht. Wir sind ja ein Haufen von stark auf das Artist-Management. gleichgesinnten Leuten. Wir hören alle unterschiedliche Sachen, aber man hat trotzdem einen Konsens, bettina: Aber du musst trotzdem zuge- zwölf Minuten immer noch nicht den Chorus und wenn wir dasselbe machen würden wie zu der Zeit, als das Label gegründet wurde, ben, dass man die wirtschaftliche Perspekti- gefunden haben. Aber wir haben uns für diese Richtung entschieden, wir wollten Rockstars dann würden wir Indie aus 2001 wiederkäu- ve nicht außen vor lassen darf. Wir müssen trotzdem wirtschaftlich agieren. en bis zum Erbrechen. Das interessiert keinen. werden. And I never looked back. theresa: Natürlich, also wir würden jetzt jamal: Am Anfang hatte ich nicht zwinWir wollen uns ja auch weiterentwickeln. Und nicht jede Band signen. Ist eh klar, vor allem man merkt das ja auch, dass zum Beispiel Ö3 gend die Absicht, dass daraus ein Job wird. Ich hatte am Anfang mit meinen Mitstreitern nicht mehr so ein Tabuthema ist. Es gibt viele, weil wir ja eigentlich ein kleines Label sind »bloß« zwei bis drei Releases geplant, weil die sagen, das ist ein absolutes No-Go, aber und auch nicht unbedingt ein Riesenlabel der Trend geht schon da hin, dass Acts eigent- werden wollen. Sondern eher schauen, dass auch die Erfahrungswerte gefehlt haben. lich auch dort gespielt werden wollen – natür- wir die Acts, die wir haben langfristig betreu- Dementsprechend war der Artist-Pool am Anen und ihre Karrieren vorantreiben. Bei uns lich auch, weil das Geld ein bisschen besser ist, fang auch sehr überschaubar gehalten. Stück für Stück ist Affine daraufhin mit seinen Arweil es verlockender ist, dass man eine größe- ist es so, dass wir sehr eng mit den Künstlern zusammenarbeiten. Da macht es ja keinen tists mitgewachsen und ich als Operator habe re Plattform hat. Wenn ich FM4 aufdrehe, bin Sinn, wenn du dir von Anfang an denkst, den es dann relativ schnell als tagesfüllende Arich mir oft nicht sicher, ob das jetzt wirklich beit angenommen. FM4 ist. Der Jugendkultur-Auftrag von FM4, pack ich nicht. theresa: Ich komm ursprünglich vom Rader von 50- bis 60-jährigen Menschen geprägt Habt ihr euer Label alle von vornherein als wird, der hat sich auch gewandelt. dio. Da bin ich auch nur reingeschlittert, weil Job angelegt oder hat sich das ergeben? ich so ein großer FM4-Fan war. Mit 18 habe theresa: Bei Ö3 ist das nicht anders. bettina: Ich bin eigentlich durch eine ich mir gedacht, ich bewerb mich jetzt für ein bettina: Genau, die versuchen dann auch jüngere Sachen mit reinzunehmen, mit Praktikum bei FM4. Das habe ich natürlich ausgeschriebene Buchhaltungsstelle zu Ink gekommen und hab mich dann innerhalb von nicht bekommen, sondern eines bei Kronehit. »Treffpunkt Österreich«. Das ist eine coole bettina: Wie ist deine Bewerbung denn zu Ini­tiative, aber es bleibt dann meistens in die- zweieinhalb Jahren zur Geschäftsführerin hochgearbeitet. Ich sag auch unseren Künst- Kronehit gekommen? sem zweistündigen Format drinnen. Dann lern immer, es kann nicht schaden, auch einen theresa: Ich war bei so einem Indiegibt’s auch so Labels, da ist der Fokus auf wirtschaftlichen Background zu haben. Das dem Label als Marke, und ich kaufe alles von Radio in Brighton, das war ursuper. Dann der Marke, weil das quasi eine Kaufempfeh- ist der Bereich, wo viele dann nichts mehr dachte ich mir, eigentlich ist es wurscht, zu welchem Radio ich gehe, weil die Radioarbeit lung ist. Wie das AMA-Gütesiegel quasi. Wir verstehen und die Gefahr besteht, dass sie sich recht leicht über den Tisch ziehen lassen. ist eigentlich im Prinzip überall gleich. Dann müssen jetzt nicht unbedingt überall das stefan: Ich war damals bei Problembär habe ich ein Praktikum bei Kronehit bekomInk-Pickerl drauf machen, weil wir auch sehr Records, dem ersten Label, das ich gegründet men. Da hatte ich eine angenehme Distanz unterschiedliche Stile haben, die trotzdem hab, echt nur Musikfan, wenn man so will. zur Musik, hab das eigentlich ziemlich objekstimmig sind, zusammenpassen. Es geht sich tiv gesehen. Dann bin ich zu BMG gegangen. alles aus. Natürlich wünscht man sich als La- Stichwort experimentelle Musik: Wir haben bel, dass der Konsument irgendwann schnallt, damals absurde Sachen rausgebracht, die au- Ich hab’s gehasst, so sehr. Und dann bin ich ßer zehn Leute niemanden interessiert haben. zu Illy (Dahimène; Anm. d. Red.) gekommen, hey, alles was von denen kommt, find ich cool. Durch Zufälle ist es dann in eine Pop-Richtung Aber das wünscht sich jeder. Wir sehen eher also zu den Labels Seayou, Problembär und gegangen, als Der Nino aus Wien gekommen Futuresfuture. Und der hat mich nach drei die einzelnen Künstler als die Marke, und wir ist. Und dann bin ich Learning-by-doing-mä- Wochen gefragt: Hey, wollen wir noch ein sind die Fädenzieher im Hintergrund. theresa: Das ist bei uns genauso. Wir ßig reingestürzt. Wenn dann Dinge so explo- Label gründen? Und dann bin ich darin so dieren, musst du halt eine Entscheidung tref- aufgegangen, hab so das Potenzial in Assim würden nie eine Band zu uns holen, hinter der fen. Entweder du akzeptierst, du hast einen Records gesehen, dass ich dem Illy gesagt hab, wir nicht alle stehen und bei der wir nicht alle sagen, finden wir voll cool, ist genau das, was ich mach jetzt nur noch Assim. Job, und dann musst du gut darin sein. Oder Theresa Ziegler & Manuel Fronhofer uns allen taugt. du bleibst bei den Postrock-Bands die nach

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club wird, den man sich hart erkämpfen muss. Der Hörer ist nicht unser Kunde. Und wir sind keine AI. Damit das eine menschliche Experience bleibt, müssen wir kleine Hürden einbauen. Ich will, dass der Hörer eine gemeinsame Experience mit uns hat.

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Das Verhältnis von Ö3 zur heimischen Musikszene war schon einmal schlechter – nicht zuletzt dank der Sendung »Treffpunkt Österreich«. Für diese holt der Sender seit fast zwei Jahren österreichische Acts zum Livetalk ins Studio. Moderator Benny Hörtnagl und Musikredakteur Clemens Stadlbauer über den Erfolg der Show, die neue Lässigkeit in der heimischen Musikszene und warum sie eine Quote für keine gute Idee halten. In den letzten Jahren gab es ja einen regelrechten Hype um Musik aus Österreich. Wie schätzt ihr aktuell die Musikszene hierzulande ein? clemensstadlbauer:Ich bin ja schon lange genug dabei, und so ein Schlaraffenland, wie wir es jetzt haben, haben wir noch nie erlebt. Anders als zur Blüte des Austro-Pop, der ja auf ein Genre beschränkt war, ist es jetzt so, dass aus allen Ecken und Enden etwas Gutes daherkommt. Es tut sich unglaublich viel. Deshalb ist es auch jetzt mehr denn je möglich, wöchentlich diese Sendung zu machen. benny hörtnagl: Was mir immer so imponiert, ist die neue Lässigkeit, die neue Selbstverständlichkeit in der österreichischen Musik. Man traut sich wieder was. Man ist vor allem auch miteinander unterwegs. Das erleben wir immer wieder: Die kennen sich alle, die schätzen sich alle. Neid ist fast keiner da. Und das tut der gesamten österreichischen Musikszene irrsinnig gut. Wie sieht eurer Meinung nach der Beitrag von Ö3 dazu aus? clemens: Naja, wir sind halt Medium und nicht Kulturförderungsinstitut. Wir vermit-

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teln das einfach. Und tun uns mit dem, was an Qualität daherkommt, bei unserem Programmauftrag leichter. Man darf nicht vergessen, in welchem Kontext wir österreichische Musik präsentieren – zwischen Ed Sheeran und Taylor Swift. Da rede ich nicht nur von der Qualität der Songs, sondern auch von der Qualität der Produktion. benny: Auch sehr bemerkenswert ist: Es gibt wieder echte Stars. Also du hast die Wandas, die Bilderbuchs, die Lemos, Pizzera & Jaus und wie sie alle heißen – das sind ja echte Stars. Und das sagen nicht nur wir, sondern unsere Hörerinnen und Hörer in ganz Österreich. clemens: Wir haben ja auch Zeiten erlebt, in denen du, um in diesem Land berühmt zu werden, gut Ski fahren hast können müssen. Jetzt kannst du auch als Musiker in diesem Land wieder ein Star sein. Habt ihr eine Erklärung dafür, dass die Qualität – auch produktionstechnisch – aktuell so hoch ist? clemens: Die Technik spielt den Leuten in die Hände. Früher hast du einfach ein analoges Studio buchen müssen – das konnten sich die wenigsten leisten. So sind sie mit irgendwelchen Demos vor den Türen der Plattenstudios verreckt. Heutzutage, wenn man zum Beispiel den Filous zuhause besucht und sieht, dass der sein Mikro im Kleiderschrank stehen hat … Und wenig später präsentiert das Billboard Magazine die Premiere seines neuen Songs. benny: Musikerinnen und Musiker tun sich in einer kommunikativen, vernetzten Welt auch sehr viel leichter, mit einander in Kontakt zu treten, sich Dinge anzuhören, Stu-

Benny Hörtnagl und Clemens Stadlbauer als Gastgeber im »Treffpunkt Österreich«-Studio, zu Besuch: Klaus Eberhartinger und Thomas Spitzer von der EAV

dios zu finden. Es gibt technisch wahnsinnig viele Möglichkeiten, und ich hab in den letzten Jahren schon auch erlebt, dass sich die dann gegenseitig total pushen. Man hilft sich gegenseitig. Wie würdet ihr die Rolle von Ö3 in der Gesamtaufstellung der ORF-Radiosender beschreiben? clemens: Als Flaggschiff. In aller Bescheidenheit. (lacht) Naja, grundsätzlich ist es nicht unsere Aufgabe als Redakteure hier eine Strategie zu kommentieren, bei uns geht es um die Inhalte. Du hast die zunehmende Wichtigkeit der Regionalität, die den Landesstudios sehr entgegenkommt, bei der wir uns als nationaler Sender natürlich ein bissl schwerer tun. Du hast, auf der einen Seite, den jungen Alternative-Bereich durch FM4 abgedeckt. Auf der anderen hast du – wenn wir jetzt in der Stadt bleiben – Radio Wien. Und dann noch Ö1 mit sehr wortlastigem Programm und Klassik. Ich finde, im Idealfall sollte man das so aufgestellt haben, dass man sich nicht gegenseitig ins Gehege kommt, weil es ja genug andere Konkurrenz gibt, gegen die es gemeinsam anzukämpfen gilt.

Hitradio Ö3 / Jana Petrik

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»Es gibt wieder echte Stars« Ein Interview zu »Treffpunkt Österreich«

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Aber ist Ö3 dann der Sender, der einfach unterhalten will? benny: Nicht nur. Was bei uns über allem steht, ist natürlich »Das Leben ist ein Hit«. Wir wollen Freude vermitteln, viel Musik spielen, die Leute durch ihren Tag begleiten. Aber wir haben ja auch irrsinnig viel Service, wir haben 24 Stunden am Tag Nachrichten … clemens: … und die größten Social-Aktionen in diesem Land. Aktuell wieder »Licht ins Dunkel« mit dem »Weihnachtswunder«. Dieses Engagement ist in der Ö3-Gemeinde ein ganz wichtiges Standbein – gemeinsam etwas zu bewegen. Ist es im Sinne des öffentlich-rechtlichen Auftrags für euch auch ein Anspruch, österreichische Musik nicht einfach nur abzubilden, sondern auf gewisse Weise auch zu fördern? clemens: Die Förderung muss ja schon viel früher ansetzen. Wenn Musiker einmal bei uns landen, dann sind die ja hoffentlich schon gefördert – sei es eben durch die Industrie, sei es durch Vernetzung oder so. Unser Job ist es, es zu spielen, wenn wir von unserem Bauchgefühl der Meinung sind, das könnte den Leu-

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ten da draußen gefallen. Wir können ja nicht gegen den Willen der Leute programmieren, sonst sind wir schnell beim Wegklicken. benny: Aber was die Förderung betrifft: Es gibt eben den »Treffpunkt Österreich«. Da sind ja immer wieder Acts dabei, die man vielleicht nicht so kennt, bei denen man Hörerinnen und Hörer vielleicht auf den Geschmack bringt. Das ist ja auch ein Gedanke dahinter. Ist die Sendung also auch eine Reaktion auf den Vorwurf, dass Ö3 österreichische Musik nicht ausreichend unterstützt? clemens: Die Sendung ist eine von vielen Maßnahmen. Es gab den »Soundcheck«Bandwettbewerb, die Austrocharts, wir haben »Die neuen Österreicher« im ganzen Land plakatiert, … Das war jetzt ein neuer Versuch, und der hat mit Abstand am meisten eingeschlagen, weil’s auch relativ einfach zu kommunizieren ist: »Treffpunkt Österreich« – österreichische Musikerinnen und Musiker live zu Gast bei Ö3. Da kann ich sagen, mag ich, mag ich nicht, hör ich mir an, hör ich mir nicht an. Ö3-Chef Georg Spatt meinte zum Start der Sendung, dass in den Gesprächen mit

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»Es tut sich unglaublich viel. Deshalb ist es auch jetzt mehr denn je möglich, wöchentlich diese Sendung zu machen.« — Clemens Stadlbauer

den »Treffpunkt Österreich«-Gästen auch Meinungsverschiedenheiten zum Thema Ö3 und österreichische Musik abgebildet werden sollen. Ist das in der Form schon passiert? Oder sind es – nicht negativ gemeint – eher Plaudereien? benny: Ja, es sind Plaudereien, aber ich erinnere mich zum Beispiel an Raf Camora, mit dem es Meinungsverschiedenheiten gab, bzw. wurde das von Medien irgendwie so aufgegriffen – da ging es um die Charts damals. Das haben wir dann live auf Sendung klären können, weil es nicht so gemeint war – von beiden Seiten. Solche Dinge passieren schon, aber grundsätzlich geht es uns in dieser Sendung um die Musik und den Künstler, nicht um irgendwelche Kontroversen. Gibt es Zahlen zum angesprochenen Erfolg der Sendung? Wie habt ihr den gemessen? clemens: Was die Hörer betrifft, wissen wir es nicht – so ehrlich muss man sein. Klar, je berühmter der Gast ist, desto höher ist der Anteil derjenigen, die extra deswegen einschalten. Aber die Mehrheit hört halt Radio, weil sie Radio hört. Was jedoch die »Szene« betrifft, da merkt man schon extrem, dass das

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Maurice Ernst von Bilderbuch eröffnete am 26. März 2018 den »Treffpunkt Österreich«-Gästereigen, aber auch Ankathie Koi (unten) hatte schon ihren Spaß im Ö3-Studio.

allen guttut. Es tut uns gut, es tut denen gut und der gegenseitige Respekt ist sehr gewachsen dadurch. benny: Was es schon gibt, ist sehr gutes Feedback auf die Sendung. Wir kriegen immer wieder E-Mails, sehr viele Postings – die Hörerinnen und Hörer reagieren drauf. Und das ist eigentlich das Schönste. Die Sendung hatte anfangs einen früheren Sendetermin, sie ist dann in die Nacht verschoben worden. Ist das eher ein negatives Zeichen? benny: Das ist einfach dem geschuldet, dass wir unser Programm ein bisschen umgestellt und die »Treffpunkt«-Abendleiste eingeführt haben – von Sonntag bis Donnerstag mit täglich wechselnden Shows, aber immer unter der Dachmarke »Treffpunkt«. Und jetzt ist es ein Late-Night-Music-Talk. clemens: Es ist eine Sendung, auf die man sich einlassen muss. Wenn du sagst, das interessiert dich, du kennst zwar die Band nicht, möchtest aber mehr darüber erfahren, dann hast du um 22 Uhr eher die Muße dazu als um 19 Uhr, wo du vielleicht gerade von der Arbeit heimkommst oder noch das Essen für die Kinder kochst. benny: Und wenn es draußen dunkel ist, hat das auch einen ganz eigenen Spirit. Man redet ein bisschen anders, man ist noch entspannter, noch mehr in der Sendung drinnen.

benny: Natürlich können wir auf Ö3 nicht Klassik spielen oder ganz argen Heavy Metal. Das geht sich nicht aus und fühlt sich in unserem Universum auch nicht richtig an. clemens: Aber wenn die Künstler begründen, dass es ihnen wichtig ist, lassen wir natürlich den einen oder anderen Ausreißer zu. Aktuelles Beispiel war jetzt Lisa Pac, die mich dann panisch anruft und sagt, die wichtigste Band, 5/8erl in Ehr’n, hat sie vergessen, weil der Max und der Slivo haben ihr das Singen beigebracht und ohne sie hätte sie diese Stimme nicht und bitte, bitte können die stattfinden. Ja, natürlich, weil dann haben wir auch wieder einen schönen Content, wo sie die Geschichte erzählen kann, und das tut dann keinem weh, dass eine Band gespielt wird, die wir nicht auf Rotation haben.

Dürfen sich die Gäste in Sachen Musik eigentlich alles wünschen? clemens: Man brieft sie, was im Hitradio-Ö3-Universum möglich ist, aber es kommen teilweise schon Sachen zurück, die zu weit weg sind – und da geht man dann in den Diskurs …

Noch einmal zurück zum Thema Anteil österreichischer Musik: Was würdet ihr von einer Quote für Ö3 halten? clemens: Ich finde eine Quote prinzipiell schlecht. Die Quote nützt mir ja nichts, wenn ich nichts hab, das ich spielen kann.

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Als Positivbeispiel für den Erfolg der Quote wird gerne Frankreich genannt, dessen Musikmarkt natürlich riesengroß ist und ein ganz anderes Potenzial hat. Dort ist nationale Musik jedenfalls sehr präsent. clemens: Das hängt aber mit der folkloristischen Tradition der Musik zusammen, die ja auch immer mehr in den R-’n’-B-Bereich reingeht und die im Chansons hin zum Pop sehr fließende Grenzen hat. Wenn du das übersetzt, bist du bei uns halt im Zillertal. Jetzt nix gegen Volksmusik, aber das hat bei uns – außer bei Hubert von Goisern und Folkshilfe – mit Pop selten etwas zu tun. benny: Das ist dort anders besetzt, hat eine andere Geschichte, ist anders gewachsen. clemens: Die tun sich kulturhistorisch leichter. Bei uns ist das einfach schwieriger. Manuel Fronhofer

»Treffpunkt Österreich« wird jeden Montag von 22 bis 24 Uhr ausgestrahlt. Es moderieren abwechselnd Benny Hörtnagl und Thomas Kamenar. Im Ö3-Podcast können die jeweils letzten fünf Episoden nachgehört werden.

Hitradio Ö3 / Thomas Wunderlich, Hitradio Ö3 (2)

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Es darf auch gesungen werden: Tom Neuwirth präsentierte sein aktuelles Projekt Wurst live im »Treffpunkt Österreich«.

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Wortwechsel Wird der Pop-Mainstream wieder analog?

Kollektive Langeweile und Rebellion ————Wir haben vor kurzem einen neuen Song geschrieben. Wir schreiben eigentlich ständig Songs, aber mit dem großen Unterschied, dass der Großteil der Songs am Computer entsteht. Dieser ist aber völlig analog entstanden. Mit Stimmen, Gitarre, Stift und Papier. Auch wenn jede Idee immer analog im Kopf entsteht, ist die Herangehensweise ohne Computer eine andere. Für uns hatte das einen Wow-Effekt, so intim und unmittelbar, völlig frei von jeder technischen Abhängigkeit zu schreiben. Das hat uns wirklich sehr großen Spaß gemacht. Wir sind davon überzeugt, dass das eine das andere bedingt – das analoge Musizieren das digitale, und umgekehrt. Alles wird nach einer Weile langweilig und außerdem hat man als KünstlerIn sowieso immer Lust sich weiterzuentwickeln, an die Grenzen zu gehen, Gelerntes, Routiniertes aufzubrechen und neue Kreativprozesse zu versuchen. Vielleicht ist es also ein kollektives Gelangweilt-Sein vom Digitalen, das dieses – wenn man so will – Revival der akustischen Instrumente auch im Pop-Mainstream aufblitzen lässt.

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Die Frage, ob Gitarrenmusik wieder cool wird oder nicht, ist eine, die uns jetzt schon mehrere Jahre begleitet. Zum einen ist sie völlig belanglos, denn am Ende geht es einzig und alleine darum, ob ein Song die ZuhörerInnenschaft trifft, zum anderen ist sie das aber auch nicht, weil sie viel mehr beinhaltet, als man vermutet. Gitarrenmusik, vor allem E-Gitarren, war immer ein Zeichen für einen gewissen Lebensstil. Rockmusik war immer versucht, gewisse Konventionen zu brechen. Und genau hier wird die Frage auch eine politische. Vielleicht ist es genau jetzt, inmitten einer globalen Klimakatastrophe, die einzige Lösung, zu rebellieren. Wir wollen jedenfalls laut und rebellisch sein. Das ist auch der Hauptgrund, warum wir zu jedem Gig unser Schlagzeug hinschleppen, unsere Gitarren und Bässe. Wir wollen musikalische Freiheiten haben beim Spielen, aber wir wollen auch »Autotune« nutzen und Playbacks vom Computer haben. Im Grunde wollen wir alles sein dürfen und können: digital wie analog. Vielleicht will das der PopMainstream jetzt auch.

Anger sind beim Waves Vienna 2019 zur besten Newcomer-Band des Landes gewählt worden und touren in den nächsten Monaten quer durch Europa.

Dela Charler, MarkusHirczi, Nikolaus Ostermann, Johannes Reisinger-Treiber

Anger

Theresa Ziegler

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Gitarren kommen und gehen in der Musikmode. Selbst die Beatles wurden – glaubt man der Mär – anno dazumal von einem Label abgelehnt, weil Gitarrenbands nicht angesagt gewesen seien. Quod erat demonstrandum. Mit der Ära Internetmusik ist man wieder in einer Phase angekommen, in der »echte« Instrumente als antizyklisch für den zeitgenössischen Sound gelten. Sieht man sich aufkommende Acts der vergangenen Monate an, sind für viele davon E-Gitarre und physisches Schlagzeug wieder essenziell. Geht der Trend im Pop-Mainstream wieder hin zu analogen Instrumenten? Oder bleibt die Deutungshoheit beim Digitalen?

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Dela Charler, MarkusHirczi, Nikolaus Ostermann, Johannes Reisinger-Treiber

Theresa Ziegler

Farce

Annemarie Reisinger-Treiber

Die Grenzen werden weiter verschwimmen ———— Heute ist bereits der Einstieg ins Musikmachen überwiegend digital. Digital Audio Workstations werden immer benutzerInnenfreundlicher und App-Stores bersten vor günstigen Sequenzern, Samplern und SynthApplikationen. Smartphones können universale Musikinstrumente sein, während »echte« Instrumente Platz brauchen, Geld kosten, und schwerer in den Griff zu bekommen sind als Plug-ins. Zudem haftet besonders der E-Gitarre ein angestaubtes Rock-Etikett an. Trotzdem findet sie aufgrund ihrer großen Verfügbarkeit und intuitiven Bedienung immer wieder ihren Weg in die Jugendzimmer dieser Welt, um Teenage-Angst-Vertonungen beizustehen. Glücklicherweise immer häufiger ohne das Instrument per Rock-’n’-RollVoodoo zu mystifizieren. Der uneingeschränkte Zugang zu Musik bedeutet eine unendliche Musikvielfalt, die für jeden Geschmack etwas bereithält und Zugang zu Juwelen aus Vergangenheit und Gegenwart geschaffen hat. Grindcorejazzfusiontrap mit Texten über Zentralheizungen – es gibt bestimmt Bands und ZuhörerInnen dafür. Musik konnte nie so einfach und individuell angepasst konsumiert werden wie heute. Deshalb kümmern sich auch die wenigsten jungen MusiknutzerInnen und MusikerInnen um Genregrenzen. Elektronische Arbeitsweisen werden mittels »Ableton Live« etc. in Proberäume integriert und Mavi Phoenix hat ein Schlagzeug auf der Bühne. Das Ableben genuiner Musik wurde schon prophezeit, als ich vor 18 Jahren trotzdem oder genau deshalb meine erste Band gründete. Auch wenn ich mich inzwischen eher für elektronische Musik interessiere, hatte ich weder damals, noch heute oder irgendwann dazwischen das Gefühl, dass analoge Musik tot sei. Gerade in Zeiten in denen »handgemachte« Musik scheinbar weg vom Fester ist, tummeln sich im Untergrund stets noch spannendere Acts, die dann und wann wieder an die kommerzielle Oberfläche gelangen. Am Ende finden gut gemachte Songs, egal ob elektronisch oder analog instrumentiert, immer ihr Publikum.

Liebe deine Hände! ———— Ob ich ein »echtes« Schlagzeug oder einen Drumcomputer habe, ist für mich als Musikerin relevant, sofern ich mit einer anderen Person am Schlagzeug kollaboriere oder selbst spiele. Das Schlagzeug hat einen bestimmten Klang, es möchte mikrophoniert und aufgenommen werden. Egal ob es programmiert oder eingespielt ist, sehe ich später an dieser Stelle immer ein oder mehrere Instrumentenfiles, die mit den anderen Spuren harmonieren müssen, gewisse Frequenzen im Gesamtkontext einnehmen. Regelmäßig fragt mich dann ein beliebiger betrunkener Mann in einer beliebigen Location nach dem Konzert: »Was davon machst du eigentlich analog und was ist programmiert?« Obwohl ich mich von Mann X hinterfragt und irgendwie ein bisschen angepöbelt fühle, verstehe ich, dass es ihm wichtig ist, was an der Musik »echt« ist, was mit blutigen Händen in die Gitarre geprügelt wurde und was in Wahrheit nur ein paar verweichlichte Tastenanschläge auf einer kabellosen Tastatur sind. Hören kann er das nicht. Aber die Mythenbildung ist ihm wichtig, er möchte zuordnen können, ob das »richtige« Arbeit war. Wenn es um Popmusik geht, ist es, denke ich, wichtig, zu erinnern, dass der Begriff »Pop« vor allem einen Markt- und Konsumcharakter beschreibt und kein Genre im klangästhetischen Sinn. Im Endeffekt kommt bei den HörerInnen, dem sogenannten »Markt«, vor allem an, welche Idee, welche KünstlerInnenpersona, welches Produkt gerade en vogue ist. Das wiederum verhält sich in der Regel entweder konform oder gegensätzlich zur gegenwärtigen Politik- und Popkultur. Jetzt gerade waren das dünne Jugendliche mit fettigen Haaren und großen Hosen wie in den frühen 2000ern, morgen sind es vielleicht schon wieder holografische Schweinemasken mit CheekboneFillern – vielleicht auch beides.

Trends will be Trends ———— Ich denke, dass es allgemein den Trend hin zu etwas »Greifbarem, Haptischem und Handgemachtem« gibt. Nicht zuletzt hat Vinyl wieder einen Aufschwung erlebt, gehen Special-Editions oder Fanboxen wie warme Semmeln über den oft digitalen Ladentisch und strömen junge Menschen zu Livekonzerten. Lange Zeit herrschte meiner Meinung nach eine Art Sound-Perfektion in der Popmusik vor. Das Ergebnis sind und waren Popsongs, die zwar gut gemacht sind und einem zeitgemäßen Sound entsprechen, damit sie bei großen Streaming-Plattformen und MainstreamRadios überhaupt in einer Playlist landen konnten. Vor allem das Aufkommen von Streaming-Diensten hat den Erfolg von »digitaler« Musik wie EDM begünstigt, indem man eine Plattform für diese Art von Musik geboten hat, die anfangs kaum im Radio Platz hatte. Dieser Erfolg hat möglicherweise dazu geführt, dass die Verwendung von analogen Instrumenten in den Hintergrund geraten ist. Musik wird heutzutage zum großen Teil per digitaler Playlisten konsumiert. Die Auswahl und Verfügbarkeit von Songs scheint unendlich, man wird regelrecht erschlagen und das Entdecken wird immer schwieriger. Und da hakt meines Erachtens die sogenannte »handgemachte« Musik ein. Man sehnt sich nach Individualität und Einzigartigkeit in der Musik – und das lässt sich meist in dem erwähnten Antizyklischen zum zeitgenössischen Sound finden. Es ist allerdings auch nichts Neues, dass es immer wieder Trends in der Musikgeschichte gibt. Mal dominieren Boybands den Pop-Mainstream, mal ist es EDM, dann geht der Trend wieder hin zur Rockmusik. Im Moment sieht es danach aus, dass das Analoge wieder sichtbarer wird in der digitalen Welt.

Veronika J. König lebt und arbeitet als Farce in Wien. Als Teenagerin spielte sie in einer BlackMetal-Band, am digitalen Produzieren ihrer sperrigen Popmusik liebt sie jetzt vor allem die schrundenfreien Hände.

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Wolfgang Möstl

Die studierte Publizistin und Kommunikationswissenschaftlerin Annemarie ReisingerTreiber ist Mitbegründerin der Agentur Parramatta. Sie kümmert sich neben dem Artist-Management für nationale Künstler auch um die Promotion und Vermarktung von internationalen Acts und Musikfestivals.

Wolfgang Möstl (geboren 1984 in Graz) arbeitet als freischaffender Musiker und Produzent in Wien und der Steiermark. Er ist Teil des New-Age-Projekts Voyage Futur, spielt Gitarre bei Clara Luzia und Melt Downer, hat unter dem Namen Mile Me Deaf zwölf LPs veröffentlicht und daneben an die 40 Alben produziert.

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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Patrick Münnich

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Sofie Kronberger

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Gabriel Diakowski

Chief Vision Officer des Zukunftsinstituts Wien Gabriel Diakowski ist Künstler, Agenturbetreiber und Chief Vision Officer – ein Jobtitel, der auch für ihn eine Neuheit darstellte. In dieser Position beschäftigt er sich am Zukunftsinstitut Wien, einem der wichtigsten Think-Tanks der Trend- und Zukunftsforschung, vor allem mit den Visionen unserer Zukunft. »Ich denke, dass wir in den letzten zehn Jahren gesehen und gelernt haben, wie sich tiefgreifende Umbrüche in einer globalisierten Wirtschaft entwickeln können und was für Konsequenzen die Entscheidungen haben, die wir angesichts dieser Umbrüche treffen«, so Diakowski. Umso wichtiger sei es für Ihn, fundierte Bilder der Zukunft zu entwickeln, die diese Entscheidungen leiten können. Besonders erstrebenswert findet Diakowski eine Zukunft, in der Arbeit und Sinn besser verbunden sind. Das findet sich auch in seinem eigenen Arbeits­ tag wieder, der keiner klassischen Nine-to-five-Zeiteinteilung folgt. Sport, Zeit fürs Kochen und Zeit für Mittagsruhe nehmen einen zentralen Platz in seinem Alltag ein. Dafür kann der Arbeitstag dann aber auch oft bis spät in die Nacht gehen.

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Mag.a Dr.in Gabriele Fröschl Leiterin der Österreichischen Mediathek

Man könnte denken, dass der Arbeitsalltag von Gabriele Fröschl durch die Digitalisierung erleichtert wird. Die Leiterin der Österreichischen Mediathek ist für über zwei Millionen Tonaufnahmen und Videos der österreichischen Kultur- und Zeitgeschichte verantwortlich. Tatsächlich stellte die Bewahrung der 2010er-Jahre aber eine Herausforderung dar. »Durch die digitale Revolution werden die Speicher­ medien immer fragiler und die Inhalte immer flüchtiger«, so Fröschl. Ein Umstand, den sie auch für die kommenden zehn Jahre sieht, »da hier der Wandel immer rascher erfolgt und auch die Lösungen immer rascher getroffen werden müssen. Aber wir arbeiten daran.« Einen Großteil ihrer Arbeitszeit verbringt die Historikerin deswegen, und auch wegen der vielen administrativen Aufgaben, am PC. Besonders viel Freude bereitet ihr aber die Arbeit an den Webausstellungen »Curated by …«. Gemeinsam mit externen KuratorInnen wird so ein neuer Blick auf die Bestände des Archivs gewonnen. Und schließlich genießt Fröschl immer noch die Möglichkeit, das Depot der Mediathek zu besuchen.

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PROSA — TANJA RAICH

ERLEDIGT VOM AUFSCHIEBEN Mit ihrem Roman »Jesolo« landete die Südtiroler Autorin Tanja Raich auf der »Shortlist Debüt« des Österreichischen Buchpreises. Für The Gap hat sie einen Text geschrieben, der ein nur allzu bekanntes Phänomen beschreibt: die Prokrastination. Sprachlich schwungvoll und mit charmanter Doppelbödigkeit zeigt uns die Autorin, wie man Dinge erledigt, indem man sie aufschiebt. Prokrastiniert euch!

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WIE SOLL MAN SO EINEN TEXT SCHREIBEN? Wenn du einen Text schreiben sollst (und das sollst du als Autorin nahezu ständig, am besten regelmäßig und mit großer Freude am Tun, dafür bist du ja da), dann wird es dir oft von äußeren Umständen nahezu verunmöglicht. Es fängt schon mit dem Schreibtisch an. Du setzt dich hin, klappst den Laptop auf und da liegen Krümel. Wie sollst du bitte einen Text schreiben, wenn da überall Krümel von gestern liegen, von dem Keks, den du essen musstest, bevor du deinen Text schreiben wolltest, den du dann doch nicht geschrieben hast, weil dir eingefallen ist, dass du den Geschirrspüler einräumen solltest, und währenddessen ein wichtiger Anruf gekommen ist, der es dir dann vollkommen verunmöglicht hat, weiter an dem Text zu schreiben. Du holst also heute nach, was du gestern verabsäumt hast. Dieser Text – er wartet schon auf dich. Du öffnest das Dokument. Eine weiße Fläche öffnet sich. Du musst nämlich feststellen, dass der Text lediglich aus einem Satz besteht, weiter bist du nicht gekommen. Aber wie sollst du so weiterschreiben? Der Bildschirm – jetzt im Sonnenlicht siehst du es – ist total staubig und auf dem Schreibtisch liegen überall Zettel, Notizen, Rechnungen. Ach, diese Rechnungen, denkst du, wolltest du schon letzte Woche überweisen. Also machst du das zuerst, dann räumst du den Schreibtisch auf und nimmst dir vor, an deinem Text weiterzudenken anstatt weiterzuschreiben, du bist ohnehin noch nicht in Form. Du ordnest die Zettel, Notizen, Bücher. Das Notizbuch ist schon ganz zerfleddert, weil du es schon so oft von A nach B transportiert hast, für den Fall, dass dir etwas einfallen sollte. Die wichtigen Sätze fallen dir nämlich schon seit Jahren immer genau dann ein, wenn du kein Notizbuch dabeihast, aber sobald du es mitnimmst, schreibst du kein einziges Wort hinein. Du machst es auf, liest den letzten Satz. »Die Dunkelheit dringt von draußen in die Festung«, steht da, »die Wände rücken näher, fast ersticke ich. Die Wände kommen von oben, von unten, von links und von rechts auf mich zu.« Du denkst an deine Romanfigur, der Geruch des

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Waldes kommt in dein Zimmer, das Rauschen des Meeres. Dann verschwindet es wieder. Du starrst auf den weißen Bildschirm, du solltest diesen anderen Text schreiben. Du klappst das Notizbuch zu. Dein Blick fällt auf eine Liste, aus der hervorgeht, dass du schon seit Wochen nicht das gemacht hast, was du dir vorgenommen hast: diesen Text fertigschreiben (heute aber wirklich), am Roman weiterschreiben ( jeden Tag eine halbe Seite), überarbeiten, was du geschrieben hast ( jeden Tag ein halbes Kapitel), lesen, damit du wieder weiterschreiben kannst ( jeden Tag 100 Seiten). Doch von alledem hast du nichts gemacht. Also streichst du alles durch und beginnst eine neue Liste. Du schreibst: Text fertig schreiben, 5 neue Sätze. 1 Satz überarbeiten. 2 Seiten lesen. Das könntest du schaffen. Aber bevor du beginnst, solltest du Ordnung machen. Du räumst alles zur Seite, du reinigst den Schreibtisch, den Bildschirm. Dann öffnest du deinen Laptop und starrst auf diesen einen Satz. Du denkst nach. Über die verschiedenen Möglichkeiten, diesen Text zu beginnen. Du denkst an deinen Roman. Und an einen anderen Text, den du schon vor Monaten zu Ende schreiben wolltest. Und ob es in dir vielleicht einen Satz gibt, den du anschließen könntest, an das Vorangegangene, und ob da überhaupt noch Sätze sind in dir. Das weißt du ja nie, du weißt nie, ob da noch was kommt oder ob die Sätze einfach verschwinden und nicht mehr zurückkehren. Du lässt deinen Blick schweifen und da fällt dir auf, dass durch die ganze Ordnungmacherei nun auch der Boden dreckig geworden ist. Du holst den Staubsauger, gehst an der Küche vorbei, und da fällt dir auf, dass du den Geschirrspüler, den du gestern ausräumen wolltest, doch nicht ausgeräumt hast, weil ja dieser Anruf gekommen ist. Also machst du es gleich, sonst vergisst du es wieder. Du gehst ins Wohnzimmer und es ist schon interessant, wie gut es dir gelingt, immer etwas Neues anzufangen und das andere liegen zu lassen. Dort steht nämlich noch das Bügelbrett, du hast doch nur ein Hemd gebügelt statt die ganze Wäsche, wie du es vor-

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www.detailsinn.at

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Tanja Raich 1986 in Meran (Italien) geboren, lebt und arbeitet seit 2005 in Wien. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Wien und veröffentlichte in Literaturzeitschriften (Kolik, Lichtungen, Die Rampe u. a.) und Anthologien. Ihr Debütroman »Jesolo« (Blessing), eine feinsinnige Beziehungsstudie über eine ungeplante Schwangerschaft und die daraus entstehenden emotionalen Ambivalenzen, stand auf der »Shortlist Debüt« für den Österreichischen Buchpreis und war auch für den Alpha Literaturpreis nominiert.

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gehabt hättest, weil du dann begonnen hast, die Kleidung zu falten, womit du dann auch wieder aufgehört hast, weshalb nun das halbe Sofa voll mit Wäsche ist, die du noch falten wolltest, und das halbe Sofa voll mit Wäsche, die du schon gefaltet, aber noch nicht weggeräumt hast. Dabei wäre das Sofa der Platz gewesen, wo du jetzt an diesem Text schreiben wolltest. Das ist also unmöglich geworden. Du musst zuerst die Wäsche falten, die andere wegräumen. Du gehst zum Fenster, machst die Vorhänge auf, damit wenigstens etwas Licht hereinkommt. Deine Pflanzen hängen traurig nach unten, du hast sie sicher schon drei Wochen nicht mehr gegossen. Du machst zuerst die Wäsche, dann holst du eine Gießkanne. Einige sind schon so hoch gewachsen, dass sie unbedingt umgetopft werden sollten, aber du hast noch Erde, du hast so viel Erde noch! Also schneidest du die Pflanzen zurecht, setzt sie in die frische Erde, was natürlich wieder Dreck macht, weshalb du nun auch im Wohnzimmer saugen musst. Du saugst zuerst das Wohnzimmer, dann das Arbeitszimmer, wie du es die ganze Zeit schon vorgehabt hattest, bis alles sauber ist und du endlich beginnen kannst, weiter an deinem Text zu schreiben. Aber bevor du dich hinsetzt, entscheidest du dich nochmal um, du solltest wirklich duschen gehen, die ganze Erde unter den Nägeln und verschwitzt bist du auch noch. So kannst du wirklich nicht beginnen, du beeilst dich aber, jetzt solltest du keine Zeit mehr verlieren. Frisch geduscht setzt du dich wieder an den Schreibtisch. Du brauchst nur noch eine kurze Pause, einen Kaffee, eine Zigarette. Du machst Musik, rufst deine E-Mails ab, beantwortest die dringenden zuerst, die anderen wirst du später beantworten. Du machst das Dokument auf. Jetzt kannst du dich eh wieder erinnern, an den letzten Satz, genau da wolltest du weitermachen. Du starrst auf den Bildschirm, schreibst »Ich«, dann schließt du den Laptop wieder, im Wohnzimmer kannst du dich besser konzentrieren. Du nimmst das Notizbuch, gehst wieder zum Sofa. Du setzt den Stift an, aber irgendwie fällt dir gerade nichts ein. Du solltest was lesen. Du hast doch dieses Buch noch, da wolltest du eine wichtige Stelle lesen. Du holst das Buch, aber schon nach der ersten Seite schweifst du wieder ab, weil du schon so großen Hunger hast. Schon seit Tagen hattest du keine Zeit einkaufen zu gehen. Der Kühlschrank ist leer und es ist schon kurz vor 20:00 Uhr. Dir bleibt also nichts anderes übrig, als schnell zum nächsten Geschäft zu laufen. Den Text kannst du schließlich auch später noch schreiben.

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Filmpremiere The Peanut Butter Falcon (OV)

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Der 22-jährige Zak hat den großen Traum, Wrestler zu werden – und bricht deshalb aus dem Altersheim aus, in das er wegen seines Down-Syndroms gesteckt wurde. Er begegnet dem zwielichtigen Tyler, der ebenfalls auf der Flucht ist … Die Geschichte einer Freundschaft, voller Herz und Humor. Mit Zack Gottsagen, Shia LaBeouf sowie Dakota Johnson.

1 »Twin Peaks: The Television Collection« Erstmals sind alle drei Staffeln von David Lynchs »Twin Peaks« in einer Box erhältlich. Die »Television Collection« gewehrt außerdem einen Blick hinter den roten Vorhang: auf das Making-of der Kultserie. Ab 19. Dezember im Handel erhältlich. Im Jänner folgt dann übrigens unter dem Titel »Twin Peaks von Z bis A« noch eine Limited Deluxe Edition, weltweit auf nur 25.000 Exemplare limitiert. Wir verlosen eine Blu-Ray-Version der »Television Collection«.

2 »Trivial Pursuit Jubiläumsedition«

Mo., 16. Dezember, 20.15 Uhr Artis International Schultergasse 5, 1010 Wien Wir verlosen 50 � 2 Tickets für die Premiere von »The Peanut Butter Falcon«. Der Film wird in englischsprachiger Original­version gezeigt. Die Gewinnspielteilnahme ist bis 12. Dezember unter www.thegap.at / gewinnen möglich.

In Kooperation mit

Seit mittlerweile 40 Jahren haben Menschen aller Altersgruppen Spaß mit »Trivial Pursuit«. Anlässlich des runden Geburtstags des Spieleklassikers ist nun eine Jubiläumsedition in edlem Rubin-Look erschienen. Neben Fragen zu den sechs gewohnten Themengebieten sind in dieser Version auch welche zu den Ereignissen der vergangenen 40 Jahre zu beantworten. Wir verlosen zwei Exemplare des weltberühmten Quizspiels.

3 Horvath’s Eier-Creme-Likör Kein Weihnachten ohne Eierlikör! Das gilt wohl nicht nur bei uns in der Redaktion, sondern in allen Haushalten des Landes. Wer sich heuer mal die besonders delikate Variante gönnen möchte, greift zum preisgekrönten, nach traditionellen Rezepten kreierten Eier-Creme-Likör mit Bourbon-Vanille des Gänserndorfer Familienunternehmens Horvath’s Spezereyen Kontor. Wir verlosen drei Geschenksets samt jeweils zwei edlen Likörschalen.

4 »4 Blocks – Staffel 3« Mitentwickelt vom österreichischen Autor und Regisseur Marvin Kren (»Rammbock«, »Blutgletscher« sowie in Produktion: »Freud«) entpuppte sich schon die erste Staffel von »4 Blocks« als echtes Serien-Highlight. Mit Staffel drei wird nun das letzte Kapitel der Berliner Gangster-Saga rund um Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan) aufgegschlagen. Alles dreht sich wieder um Familie, Ehre und Macht. Wir verlosen zwei DVDs.

5 Michael Kiwanuka – »Kiwanuka«

Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich unter der an­gegebenen Adresse erfolgen. Die GewinnerInnen werden bis 13. Dezember per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist aus­ geschlossen. MitarbeiterInnen des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.

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Nach diversen hochkarätigen Award-Nominierungen für sein zweites Album »Love & Hate«, sagen wir jetzt mal voraus: Für Album Nummer drei sollte sich der britische Soulsänger Michael Kiwanuka nicht einfach nur über Nominierungen, sondern auch über tatsächliche Awards freuen dürfen. »Kiwanuka«, abermals produziert von Danger Mouse und Inflo, besticht als selbstbewusster Instant-Klassiker. Wir verlosen drei Vinylexemplare.

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Rezensionen Musik

Lylit

Peter Grillmair

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An dieser Stelle würden alte weiße Männer so etwas schreiben wie: »Lylit hat unglaubliches Talent«. Es ist aber nicht nur Gegebenes, sondern nahezu lebenslange Erfahrung und Ausbildung, ein anständiges Handwerk, das sich Eva Klampfer angeeignet hat. Seit sie vier ist, spielt sie Klavier und über die Jahre professionalisierte sie ihr Songwriting und ihren Gesang, bis sie vom früheren Motown-Chef Kedar Massenburg entdeckt und gesignt wird. Es folgen vertragliche Probleme, Lylit darf ihre fertigen Alben nicht veröffentlichen und drei Jahre keine Musik releasen. Nun sind die Verträge aus der Bahn und Lylits Schaffen zurück in der Öffentlichkeit. Das Innere im Außen: »Inward Outward«. Lylit komponiert nicht nur für sich. Zusammen mit Albin Janoska schrieb sie alle Songs auf Wursts »Truth Over Magnitude«. Hört man Lylits eigenes Album »Inward Outward«, wird einem klar, woher der Vibe des neuesten Tom-Neuwirth-Projekts kommt. Lylits Songschreibekunst beinhaltet eine ganz eigene Form von Empowerment. Es sind keine optimistischen Selbstliebe-Hymnen, sondern Wut-Outputs, die einen unruhig machen und eine »Ich bin’s«-Selbstsicherheit herbeiführen. Im Kontext ihrer Geschichte wird Lylits musikalisches Narrativ noch überzeugender. »Lylit is an artist that believes in independence and womanhood«, steht auf ihrer Facebook-Seite. Ein professionell geschliffener Take on Pop-Jazz funktioniert bei Genrefans immer. Und doch klingen die Songs auf »Inward Outward« eher nach den jungen 2010er-Jahren, nach »Take Me To Church« und einer frühen Kimbra. Wäre man die superben Kompositionen in Produktion und Arrangement mehr future als klassisch angegangen, würde Lylits genauso superbe Attitude viel mehr Eindruck hinterlassen. Gerade die Hook von »Bring Me To The Light« oder die Vorabsingle »Call Me Bad« hätten davon profitiert. Was genau den Unterschied macht, zeigen Experimente in der ersten Hälfte von »Fire« und der zweiten Hälfte von »Try Try« – dem Song des Albums, der auf Repeat bleibt. (VÖ: 29. November) Theresa Ziegler

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»Inward Outward« — Syrona Records

Live: 5. Dezember, Wien, WUK

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Rezensionen Musik

Drive Moya

Frank Elster

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Der Sound treibt stetig voran, Bass und Schlagzeug bilden ein kräftiges Gerüst, ja eigentlich ein Fundament, auf dem die Gitarre mal verspielt ihre Sounds und Melodien präsentiert, in das sie mal einstimmt und mit ordentlich Effektrauschen für Bewegung sorgt. Dabei wird es nie ganz laut und auch das Tempo bleibt gebremst – was aber nicht heißt, dass sich keine Kraft entwickelt. Beschreibungen wandern nachvollziehbar zwischen Shoegaze und Postrock, Drive Moya gelingt dabei durchaus Eigenständigkeit, die aber zu keinem Zeitpunkt so tut, als liege ihre musikalische Verwandtschaft nicht tief in den 90er-Jahren. Melodieseligkeit und Dringlichkeit sind seit damals beliebte und nach wie vor funktionierende Bestandteile dieser Spielart von Gitarrenmusik. Schon gut drei Jahre bringen Drive Moya ihren Sound auf die Bühnen und veröffentlichen auf Online-Plattformen ihre Songs. Nun erscheint das Debütalbum »The Light We Lost« mit sieben konzentrierten Nummern und einer Länge von etwa 35 Minuten. Sänger und Gitarist Christian Jurasovich hat die vergangenen Jahrzehnte unter anderem damit verbracht, mit seiner Band Mimi Secue Slowcore eine eigene Note zu verleihen. So manch musikalisches Detail und vor allem sein tendenziell sanfter Stimmeinsatz sind bei Drive Moya erhalten geblieben. Das wirkt nach wie vor manchmal etwas bemüht, manche Textzeilen eiern auch ein wenig – letztlich sind das aber geschmäcklerische Details. Je länger »The Light We Lost« läuft, desto zwingender werden der Sound (aufgenommen, gemischt und gemastert vom großartigen Alexander Vatagin) und desto lieber lässt man sich mitreißen und wegspülen. Es ist kein Zufall, dass bei derlei Musik oft von großen Wellen die Rede ist und diese auch auf dem Cover-Artwork zu sehen sind. Drive Moya tun gar nicht so, als wäre dieses Album mehr als Musik von Fans für Fans. Das bringt eine Entspanntheit, die dem Sound und den Songs guttut und sie in ihrem Kern ruhen lässt. »The Light We Lost« ist so zwar ein (gelungenes) Debüt, aber eines, dem man die Erfahrung der Band dahinter durchaus anhört. (VÖ: 6. Dezember) Martin Mühl Live: 4. Dezember, Wien, Kramladen

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Denk: Sommer in den frühen 90ern. Denk: Italien. Denk: Hausmeisterstrand. Denk: die kleine Bar unten in der Bucht. Gabi. Schmetterlinge im Bauch. Das Schmusen mit den Händen in den hinteren Taschen der abgeschnittenen Jeans. Und vor allem: dieses eine Lied. Mit diesen Synthies, die ja so viel mehr sind als nur Klänge. Vorboten einer Sehnsucht. Einer Nostalgie, der du noch so lange nachhängen wirst. Gar cheesy sind sie, diese Flächen, aber dabei so unendlich wirkungsvoll. Sie schmeißen dich bei jedem Tastendruck in eine Welt, die zwar so weit entfernt vom Jetzt, von diesem hässlichen Grau des Alltags ist, aber die dich nie mehr losgelassen hat. Dass du die Gabi von damals nicht mehr wiedergesehen hast – vielleicht die schlimmste Entscheidung deines Lebens. Aber dieses eine Lied! So fluffig, so träumerisch, so schwelgerisch. Genau so fühlt sich »Contenance« an, das Debüt der neu zusammengewürfelten Gruppe Frank Elster. Wetten, dass man sich Wortspiele im Namen auch erst mal trauen muss?! Die vier Wiener holen den großen Schöpfer Nostalgie aus dem Kästchen. Dafür bedienen sie sich natürlich bei der Neuen Deutschen Welle – das klingt manchmal nach Markus, aber öfter nach kitschigem Andreas Dorau –, aber auch ab und an bei waviger Popmusik der Moderne, was entfernt an Stabil Elite ohne allzu großen künstlerischen Anspruch erinnert. Manchmal, vereinzelt wird auch etwas Shoegaze hörbar. Mal im Dialekt, mal nach Schriftsprache, aber immer mit dem Ziel der Unterhaltung, dem nihilistischen Lustgewinn, garniert mit reichlich Staubzucker: »Raus aus die Federn, rein in’ Dr. Richard und schon geht die Reise los«, gibt die Gruppe auf »Moson 92«, einem Lied über einen Aufenthalt in Mosonmagyaróvár die Richtung vor. Auch »Kumm wir fåhren mit’n Tagada, wenn’st wü’st a nur wir zwa allan« (aus »Tagada«) ist ein weiteres, sehr einprägsames Beispiel für den Way of Life von Frank Elster. Eines Lebens, das irgendwie anders war. Eines Lebens, in dem du noch jung warst. Eines Lebens, in dem du noch mit den Händen in den hinteren Hosentaschen geschmust hast. Eines Lebens mit Gabi. Eines besseren Lebens. (VÖ: 8. November) Dominik Oswald

Noise Appeal Records, Between Music, Numavi Records, Siluh Records

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The Light We Lost — Noise Appeal Records Contenance — Between Music

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Noise Appeal Records, Between Music, Numavi Records, Siluh Records

Rezensionen Musik

Flowers in Concrete

Jolly Goods

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Wie weit die Wurzeln von Punk und Hardcore in Österreich zurückreichen, hat erst kürzlich die Doku »Es is zum Scheissn« von Thomas Reitmayer gezeigt. Auch wenn die jeweilige Szene immer überschaubar war, so hat sie – zumindest im Leben der Beteiligten – einiges bewegt. Das war in den im Film dokumentierten Anfängen (Mitte der 70er bis Ende der 80er) so und hat sich auf die nächsten Generationen übertragen. Im Sequel der Doku müssten – neben beispielsweise Kulta Dimentia, Seven Sioux, Strahler 80 oder Those Who Survived The Plague – auch Flowers In Concrete vorkommen. Denn wenn man in den 90ern mit (Hardcore-)Punk sozialisiert wurde, kam man an der 1993 in der steirischen Provinz gegründeten Band kaum vorbei. Bevor 2001 dann Schluss war, haben die Weizer 1999 mit »Aufrecht« noch ihre zweite Platte veröffentlicht. Jetzt, 20 Jahre später, hat sich Numavi Records dazu entschlossen, das Album in einer remasterten Version auf Vinyl und (erstmals) digital neu aufzulegen. Man könnte sich natürlich fragen: Warum eigentlich? Nun, einerseits weil Flowers In Concrete seit ein paar Jahren wieder aktiv sind und – wie man auf den oft sehr amüsanten Konzerten sehen kann – durchaus auch ein jüngeres Publikum anlocken. Andererseits dient ein digitaler Release schlichtweg der Archivierung. Viel Musik aus Nischenszenen, die damals, in der Prä-Napster-Ära, noch hauptsächlich auf Vinyl veröffentlicht wurde, ist heutzutage nur bedingt zugänglich. Auch wenn die zwölf Stücke auf »Aufrecht« mittlerweile etwas angestaubt wirken, so haben klassische 90er-Hardcore-Punk-Songs wie »Der Aktivist«, »Soulside«, »Ya Basta!« oder die reggaelastige Nummer »Die Maschine mit dem Ping« auch 2019 noch durchaus ihre Momente. Auf der für 2020 geplanten Split-LP mit Dim Prospects (Noise Appeal Records) wird sich dann zeigen, ob die Songschreiber-Qualitäten ebenso gut gealtert sind wie die drei Bandmitglieder selbst. (VÖ: 6. Dezember) Werner Schröttner

Slowlife — Siluh Records In sieben Jahren kann verdammt viel passieren. Sieben Jahre können mittlerweile sogar eine ganze Generation zum Entstehen und wieder zum Verschwinden bringen. Zumindest dann, wenn man die Generationenfrage in Smartphone-, MacBook- oder Nespresso-MaschinenKategorien beantwortet. Sieben Jahre haben die beiden Geschwister Tanno Pippi und Angy Lord auch gebraucht, um »Slowlife« aufzunehmen. Ein Album, das vom guten, also langsamen Leben handelt. Früher sagte man – zumindest in Österreich – noch gerne »pomali« dazu und meinte damit, dass man sich nicht unnötigerweise einen Haxen ausreißen sollte. Heute sprechen BloggerInnen und InfluencerInnen von Slow Travel, Slow Food und Slow Fashion und beziehen sich damit auf genau jene Lebensweise, in der Smartphones, MacBooks und Nespresso-Maschinen keinen Platz haben (sollten). Laptops und Smartphones kommen auf »Slowlife« schon vor. Zum Beispiel im Song »50 Emails«, der dem ständigen Frage-und-AntwortSpiel des Arbeitsalltags eine klare Absage erteilt. Doch nicht nur Deadlines und Leistungsdruck stehen am Pranger: In »Eating Fries«, dem ersten Song des Albums, steckt die klare Aufforderung, sich dem ewigen sozialen Wettkampf endlich mal zu entziehen. »Hört damit auf, so orientierungslos im Netz der Leistungsgesellschaft herumzuzappeln«, das möchten Tanno Pippi und Angy Lord auf »Slowlife« zum Ausdruck bringen. Musikalisch rahmen sie diesen Appell perfekt ein: Ihr Klangkosmos liegt irgendwo zwischen Shoegaze und Surf-Pop und macht Lust darauf, einfach so in den Tag hineinzuleben – so wie es kommt, so kommt es eben. Diejenigen, die mit den Jolly Goods im Ohr, noch mit grantiger Beherztheit »Zweite Kassa, bitte!« schreien wollen, wenn gerade mal zwei Leute vor ihnen in der Schlange stehen, die müssen wir erst einmal finden. Lieber: pomali. Oder eben: »Slowlife«. (VÖ: 17. Januar 2020) Sarah Wetzlmayr

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Aufrecht — Numavi Records

Live: 21. November, Graz, PPC — 21. Dezember, Weiz, Volkshaus

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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

Termine Musik

RAMBO RAMBO RAMBO & VIOLETTA PARISINI

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KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

© Apollonia Bitzan

© Anita Schmid

Mira Lu Kovacs & Clemens Wenger Ensemble Friends will be friends, auch wenn sie zusammenarbeiten. Mira Ku Kovacs und Clemens Wenger wurden vom Festival Glatt & Verkehrt in Krems beauftragt, ihre Freundschafts- und Kollaborationspraxis in ein anderes Format zu gießen. Wenger (5/8erl in Ehr’n, Jazzwerkstatt Wien) arrangiert Kovacs’ (5K HD, Schmieds Puls, My Ugly Clementine) Kompositionen für ein zehnköpfiges Ensemble. Und weil das ganze viel Aufwand für ein einzelnes ephemeres Livekonzert ist, wird bei dessen Wiederholung in Wien auch gleich das Livealbum »The Urge Of Night« releast. 9. Dezember Wien, Stadtsaal

tonstudio. proberäume. kurse.

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Michael Kiwanuka Das »You« im Song »You Ain’t The Problem« steht sowohl für ihn selbst als auch für uns. Immer wieder kommt für Michael Kiwanuka im Prozess des Musikmachens der Sebstzweifel auf, immer wieder wird es ein großartiges Album. Mit seinem dritten, dem er schlicht seinen Nachnamen gegeben hat, drückt sich Kiwanuka noch deutlicher aus, was seine gesellschaftspolitische Agenda betrifft. Irgendwo zwischen Soul-Funk und ihm als Singer-Songwriter wird klar, dass es tatsächlich so etwas wie zeitlose Musik gibt. 6. Dezember Wien, Stadthalle

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Theresa Ziegler, Sarah Wetzlmayr & Manuel Fronhofer

t-on.at


Termine Musik Ankathie Koi Mit »Prominent Libido«, dem zweiten Album der oft als »GlamPop-Queen« bezeichneten Ankathie Koi, ist es der extrovertierten Sängerin gelungen, Arschtritte des Lebens in funkelndes Soundgewand zu verpacken. Es ist ein Album, das Mut macht – oder gut versteckten Mut mit flirrenden, an die 80er- und 90er-Jahre erinnernden Beats wieder aus einem herauskitzelt. 7. Dezember Wien, Porgy & Bess

highlights Di. 03.12. Performance

Sabine Molenaar / Cie. Sandman

Mi. 04.12. – Sa. 07.12. Impro

20. Österreichische TheatersportMeisterschaften

Mo. 09.12. HipHop

Viech

Trettmann

Mit ihrem fünften Studioalbum haben Viech unseren Redakteur Dominik Oswald ganz in Verzückung gebracht. Beim offiziellen Release-Konzert gibt es für ihn und alle anderen, die finden, das Album sei »ein großer Wurf« geworden, erstmals die VinylPressungen davon zu kaufen. Die ersten 50 Stück sogar nummeriert und signiert. Vielleicht sogar von den Special Guests … 10. Dezember Wien, Konzerthaus

Mi. 11.12. LiteraturSalon

Dirk Stermann feat EsRAP

Mi. 11.12. Singer / Songwriter

Voodoo Jürgens

Eine Henne-Ei-Frage: Was war zuerst – Kollabos mit DJ Snake und French Montana oder die Millionen an Klicks? Gashi wurde von albanischen Eltern in Brooklyn aufgezogen und weiß, wie man Musik macht, der weltweit gefolgt wird. Der Look, der Sound, den alle wollen. Aber: »These face tattoos, they changed me«, weiß Gashi in »Intro / Hadia« zu reflektieren. 12. Dezember Wien, Gasometer

Sa. 14.12. LiteraturSalon

Robotra

Paulus Hochgatterer

»Nach zehn Jahren tragen wir Robotra zu Grabe«, heißt es auf Facebook. Das Noise-Pop-Trio aus Wien und Graz, Teil der sympathischen Numavi-Records-Familie, lässt es also gut sein. Nicht jedoch, ohne live noch einmal ordentlich Krach mit Melodien zu machen – und »nach drei Alben und 1.000 Songs« das Best-ofAlbum »All The Best, Robotra« mitzubringen. 13. Dezember Wien, Grillx — 14. Dezember Graz, Sub

Fr. 17.01. Pop

Buntspecht / Say Yes Dog

Sa. 18.01. HipHop

GReeeN

Di.21.-Mi.22.01. Kabarett

Josef Hader

Frittenbude

Fr. 24.01. Kabarett

Gerade haben die drei Bayern, von denen man immer denkt, sie wären Hamburger (besser so rum als anders!), bei einer FM4 Radio Session vorbeigeschaut. Angekommen in Wien bestellte sich das Elektro-Punk-Trio laut Facebook erst mal ein paar Pizzen ins Bett. In der Planung für ihren nächsten Österreich-Trip im Februar sind die schon miteinkalkuliert. 7. Februar Linz, Posthof — 8. Februar Wien, Arena

Manuel Rubey

Bild: Ingo Pertramer & Ursula Feuersinger

Theresa Ziegler, Sarah Wetzlmayr & Manuel Fronhofer Ina Aydogan, Olivia Rose, Kerstin Musl, Gerfried Guggi, Urban Coast, Marlen Schieder, Bastian Bochinski

Bild: Ingo Pertramer

Gashi

Fr. 07.02. Elektropunk

Erobique

Kevin Morby

Efterklang

Im Gegensatz zu Frittenbude ist Carsten Meyer wirklich Hamburger. Zumindest seit 2000, also er mit DJ Koze und Cosmic DJ das Trio International Pony gründete. 1986, bzw. eigentlich 1974, war er aber mit seinen Eltern auf »Urlaub in Italien« und das können so ziemlich alle mitsingen. 19. Dezember Wien, Grelle Forelle

Mit Mundschutz-Selfie hat Kevin Morby seinen Wien-Gig verschoben. Im Februar wird es wieder gesund sein, bis dahin machen wir uns die Warteund Weihnachtszeit mit seiner Version von »Blue Christmas« erträglich. Das neue Datum ist auch praktisch, weil ihr jegliche Hochzeitseinladungen absagen könnt. 2. Februar Wien, WUK

Nach zwei Alben unter anderem Namen und nur in Kernbesetzung haben Efterklang nun wieder zu alter Größe, neuen Songs und gemeinsamem Inhalt gefunden. Da ist es doppelt schön, dass das neueste Werk der dänische Orchestral-Dream-Pop-Band »Altid Sammen«, also »immer zusammen« heißt. 14. Februar Wien, Gasometer

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Frittenbude

Fr. 14.02. Rock/Metal

Völkerball

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Veritas Kartenbüro, oeticket und alle oberösterreichischen Raiffeisenbanken.

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Termine Festivals

This Human World Menschenrechte sind in den zwölf Jahren, in denen es This Human World schon gibt, nicht weniger umkämpft geworden. Ganz im Gegenteil haben neue Kriege und neue Mächtige den Diskurs um Menschlichkeit und unumgängliche Rechte noch wichtiger gemacht. This Human World zeigt als Filmfestival mit Menschenrechtsfokus, dass eine globalisierte und modernisierte Welt verschiedenste Schicksale hervorbringt, und dass diese nicht nur Bürgerkrieg und Flucht heißen. Eine erzkatholische Mutter sucht nach ihrem Sohn, der erfolgreicher Gay-Porno-Star geworden ist (»Until Porn Do Us Part«, siehe Bild), ein Neunjähriger filmt seinen Alltag in einer der gefährlichsten Nachbarschaften der USA (»17 Blocks«) und die dänische Filmemacherin Marie Skovgaard porträtiert einen feministischen Islam. 28. November bis 10. Dezember Wien, diverse Locations

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Termine Festivals

… Horrorfilm-Häppchen serviert Slash, das cuteste Festival für fantastischen Film der Welt, in seinem Adventkalender. Während Titel wie »A Christmas Miracle« und »Milk And Cookies« nichts Böses versprechen, sei an dieser Stelle versichert, dass es sich um Blutiges, Schockierendes und Grausiges handeln wird. Selbst zu entscheiden bleibt, ob man sich nur die Hälfte der 24 Türchen oder das ganze X-Massaker gibt. 19. Dezember Wien, Filmcasino

Wer nicht liest, ist doof. Das wusste schon Elke Heidenreich. Zur Vorsorge: Im Buchquartier stellen jedes Jahr knapp 100 Independent- und Kleinverlage ihre neuesten Werke aus. Natürlich lassen es sich die AutorInnen nicht nehmen, selbst vorzulesen – auf dem Programm stehen auch bekanntere Namen wie Christopher Wurmdobler. Diskurs und Lustiges sind ebenso vertreten. Evelyn Sandmann erklärt, welche Funktion Lachen und Weinen in Märchen haben, und Maximilian Zirkowitsch gibt den Auktionsleiter der Kuriositätenkammer der Komischen Künste. 7. und 8. Dezember Wien, Museumsquartier

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Buchquartier

Roboexotica Auch wenn ihr noch nie über Cocktail-Robotik nachgedacht habt, gibt es eine Gruppe an Personen, die sich dieser Nischenthematik seit 1999 in einem eigenen Festival widmet. Mittlerweile ist es auch schon fast zehn Jahre her, als die New York Times über die Roboexotica geschrieben hat. Heuer wird unter anderem radikaler Hedonismus in der Mensch-Maschine-Kommunikation diskutiert. 28. November bis 1. Dezember Wien, Praterzelt

Felicitas Freygöbl

This Human World, Marlene Karpischek, Ink Music

Feschmarkt Feldkirch Fesch sind nicht nur Wiener KleinproduzentInnen und DesignerInnen. Auch Vorarlberg hat einiges zu bieten – circa 100 AusstellerInnen, um genau zu sein. Schon zum neunten Mal können im feschen Feldkirch »Jung und Junggeblieben« stöbern und sich so manches Schmankerl gönnen. Am 14. und 15. Dezember wird bei der Fesch-Tauschbörse auch noch ohne Moneten gehandelt. 13. bis 15. Dezember Feldkirch, Pförtnerhaus

Politfilmfestival

Ja Ja Ja Festival Sehnsuchtsort Skandinavien. Aus musikalischer Sicht: Bei Scandi-Acts hat man immer das Gefühl, sie stehen kurz vor dem Hype. Für alle, die sich bei Showcase-Festivals hauptsächlich auf »SE«, »NOR«, »ISL« und »DK« im Line-up freuen, bleiben beim Ja Ja Ja Festival die Schmankerl über. 2020 darf man auf das komplette Line-up zum zehnjährigen Jubiläum noch gespannt sein. Fixiert sind der Norweger Pish, Frontmann von Kakkmaddafakka, der solo etwas cloudiger unterwegs ist als mit seiner Band, und das dänische Noise-Trio The Entrepreneuers. Zwei Acts kommen noch! 31. Jänner Wien, WUK

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Film ist als Zeitdokument bestimmter gesellschaftlicher Strukturen immer auch politisch. Expliziter macht das das Politfilmfestival, das Spiel- und Dokumentarfilme zeigt, die inhaltlich besondere und aktuelle gesellschaftspolitische Relevanz zeigen. Wichtiger Bestandteil: Diskussionsformate im Anschluss an die Screenings. Nach »Fake Politics« hat das Politfilmfestival 2020 »Eigentum« als Motto gewählt. 13. bis 15. Jänner Innsbruck, diverse Locations

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Termine Bühne

Bulletproof

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The Quiet Stilistisch bewegt sich der schwedische Tänzer und Choreograf Jefta van Dinther mit der Interaktion von Körper, Licht und Klang in seinen Arbeiten an der Schwelle zur Clubkultur-Assoziation: sich in Dunkelheit bewegen, ans Licht holen, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. In »The Quiet« reduziert er diese Mittel, wenn er anhand der fünf Frauen, die auf der Bühne stehen, thematisiert, was eine Generation der nächsten weitergibt. Eine Überführung alltäglicher Muster in die Transzendenz. Zentral für die Performance ist dabei vielmehr das gesprochene Wort: die Muttersprache, die weitergegeben wird, Rituale – rezitieren, singen, beten –, eine Selbstprägung über Oral History. 12. bis 14. Dezember Wien, Tanzquartier

»Ich liebe meine Lust.« So lautet Aminas Devise. Sie ist weiblicher Freigeist, der Sex konsumiert, mit Sexualität kokettiert und ohne Hemmungen über Lust, Körperflüssigkeiten und Selbstbefriedigung spricht. Grischka Voss tritt in »Bulletproof«, einer offensiven Ein-Frau-Performance, als Autorin und Performerin auf die Bühne, um das Porträt einer lustigen Frau zu mimen, die gleichzeitig auf schmerzlicher Suche nach der Liebe zu sich selbst ist. 13. Jänner bis 8. Februar Wien, Theater Drachengasse

Lamm Gottes Die Koproduktion mit dem Schauspielhaus Salzburg ist nach einem Theatertext von Michael Köhlmeier entstanden, in dem drei geschlossene Geschichten als Märchen und Parabeln mit archaischen, christlichen Motiven erzählt werden. »Ein Mysterienspiel über Fressen und Gefressenwerden, über Gott und Teufel, die Liebe, über Leben und Tod, also über die Welt und wahrscheinlich auch darüber, was sie im Innersten zusammenhält.« 21. November bis 14. Dezember Bregenz, Theater Kosmos

Das große Heft Eine Mutter bringt ihre Kinder – Zwillingsbrüder – aufs Land zur Großmutter, um einem herrschenden Krieg zu entkommen. Der Schutzraum schirmt sie dabei jedoch auch von der mütterlichen Liebe ab und die beiden beginnen ein Regelwerk aufzustellen, das sie gegen die Grausamkeit ihrer Umgebung verteidigen soll. Wörter der Umschreibung von Mutterliebe gehören vergessen, weil sie niemand mehr zu ihnen sagt, und auch eine Stadt soll nicht mehr als schön beschrieben werden, denn sie kann für sie schön und für andere hässlich sein. Es sind Übungen zur Abhärtung von Körper und Geist – ein Versuch mit der Gegenwart des Krieges umzugehen. Sara Ostertag inszeniert »Das große Heft« nach einem Roman der ungarischen Autorin Ágota Kristóf. 3. bis 14. Dezember Wien, Kosmos Theater

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Garden Speak Ausgangspunkt der interaktiven Soundinstallation sind Geschichten von zehn SyrerInnen und deren Familien, die dazu gezwungen wurden, Getötete im eigenen Garten zu beerdigen. Hintergrund dieser häuslichen Beisetzungen ist der Versuch, die Toten davor zu schützen, vom Regime instrumentalisiert zu werden. Die libanesische Künstlerin Tania El Khoury hat über das Leben der Verstorbenen recherchiert und kämpft zum einen gegen das Vergessen an, zum anderen macht sie alltäglichen Widerstand in ihrer Heimatregion sichtbar. 28. November bis 1. Dezember Wien, Brut in der Galerie Die Schöne

Oliver Maus

Am Brux, dem freien Theater Innsbruck zeigen junge KünstlerInnen aus dem Bereich zeitgenössischer Zirkus und Tanz an zwei Abenden ihre aktuellen Projekte. Zum Hauptprogramm beider Termine gehört dabei das Stück »La Discussion – Das Gespräch« von Lola Atger und Verena Schneider, eine französischösterreichische Kollaboration als künstlerische und performative Begegnung. Austausch und Erkundung des kreativen Prozesses der Sprache durch Bewegung. 13. und 14. Dezember Innsbruck, Brux

Ninja Hanna, Apollonia Theresa Bitzan

Plateau Partagé #1

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SAMSTAG 14.12.2019 15 UHR MATTHÄUS BÄRS X-MAS-SHOW 17 UHR PUNSCH EINTRITT FREI The_Gap_178_056-066_Termine_FIN_BBA_mf.indd 61

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Der Raum, in dem Kunst stattfinden darf, bestimmt nicht nur deren Wirkung, sondern auch oft ihre Legitimierung. Immerhin sind Kunsträume fast immer auch Institutionen. Urbane Street Art hat diese Prämisse aufgelöst und Kunst in den öffentlichen Raum katapultiert – legal und illegal, als großflächige Murals, sozialkritische Stencils oder bunte Schriftzüge. Die AG18 Urban Art Gallery holt Wiener KünstlerInnen nun auch in einen institutionellen Raum und widmet sich mit der Gruppenausstellung »Drinnen« einer jungen und diversen Urban-Art-Szene: Camilia Schön, die Rip-Off-Crew, Ruin, Linda Steiner und weitere präsentieren Arbeiten auf Leinwand und Papier und gestalten die Ausstellungsräumlichkeiten. bis 22. Februar Wien, AG18 Urban Art Gallery

Drinnen

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Termine Kunst

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Termine Kunst Bugholz, Vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign Wer kann von sich behaupten, das größte Möbelimperium des 19. Jahrhunderts aufgebaut zu haben? Richtig, es war nicht Ikea, sondern der deutsche Tischler Michael Thonet, ein Pionier in Sachen Möbeldesign. Dank Bugholztechnik und charakteristischem Design setzte die Firma Thonet Trends wie den Stuhl Nr. 14, der zu den weltweit meistverkauften Möbelstücken zählt. Das MAK zelebriert Designklassiker wie diesen mit einer Ausstellung zum 200-Jahr-Jubiläum des Unternehmens. 18. Dezember bis 13. April Wien, MAK

Alison Jackson. Fake Truth In Zeiten von Trollfirmen, Photoshop-Montagen und Insta-Filtern führt die Frage nach Wahrheit immer mehr ins Leere. Fake News führen zum Narrativ der Fake Truth – eine Gattung, der sich die britische Fotografin Alison Jackson annimmt. Ihre von SchauspielerInnen inszenierten Alltagsszenen, die Berühmtheiten wie Diana, Kim Kardashian oder Trump nachahmen, hält sie mit ihrer Kamera fest und generiert damit pittoreske Halbwahrheiten. 29. Oktober bis 26. Januar Wien, Westlicht

Michaela Pichler David Gottschalk, MAK / Georg Mayer, Alison Jackson, Adrian Paci, Hannah Modigh, Mumok / Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, courtesy of the artist / Bildrecht und Charim Galerie Wien

Eine kleine Menschenmenge steht eng aneinander gerückt auf einer Passagierleiter, die ins Nirgendwo führt: Das Kunstwerk »Centro di permanenza temporanea« (2007) stammt von Adrian Paci und steht exemplarisch für die Auseinandersetzung mit der Thematik des kollektiven Verlustes. Der albanische Künstler bezieht sich mit seinem interdisziplinären Ansatz oft auf den gröbsten Verlust von Gemeinschaft – die Flucht. Die Kremser Kunsthalle zeigt Skultpuren, Bilder und Videos. 24. November bis 23. Februar Krems, Kunsthalle

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Adrian Paci. Lost Communities

Hannah Modigh. Delta Die schwedische Fotografin Hannah Modigh hat es sich zur Aufgabe gemacht, Identitäten, Zeit und Abwesenheit vor die Linse zu bekommen und für einen kurzen Moment sichtbar zu machen. Intimität ist in Modighs Arbeiten ständige Begleiterin, mit der ihre Dokumentarfotografien an Authentizität gewinnen. Der Fotohof Salzburg zeigt in Hannah Modighs erster Solo-Ausstellung in Öster­reich die neue Fotoserie »Delta«, die sich ebenso mit dem Leben wie mit dem Tod beschäftigt. 29. November bis 26. Januar Salzburg, Fotohof

Anita Leisz Anita Leisz spielt in ihren Malereien mit dem »White Cube« – dem populärsten, hochstilisierten und minimalistischen Ausstellungskonzepts des 20. Jahrhunderts. Mit ihren weißen Werken, die selbst dem Minimalismus huldigen, erzeugt die gebürtige Leobnerin ein Spannungsverhältnis zwischen BetrachterInnen, Raum und ausgestelltem Werk. Unter anderem dafür wurde Anita Leisz heuer mit dem Kapsch Contemporary Art Prize ausgezeichnet, der mit einer Einzelausstellung im Wiener Mumok einhergeht. 18. Oktober bis 23. Februar Wien, Mumok

Katharina Gruzei. Mir Metro »Mir Metro« wird eigentlich »Мир метро« geschrieben und bedeutet »die Welt der Metro«. Die Moskauer U-Bahn ist auch der Raum, mit dem sich die Kärntner Künstlerin Katharina Gruzei beschäftigt. Als Antithese zum eigentlich Nicht-Ort, den solche Transiträume darstellen, nimmt diese U-Bahn im Stadtbild schon seit Bestehen besondere Rollen ein: zum Beispiel als Prestigeobjekt der UdSSR oder als ehemaliger Bunker. Gruzei nutzt den Ort, um unterschiedlichste Lebensrealitäten in einem soziopolitischen Rahmen sichtbar zu machen. 7. Januar bis 26. Januar Salzburg, Kunstverein

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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik »The Cut« findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5.

Termine Kino In der Kaserne Regie: Katharina Copony ———— Die in Berlin und Wien lebende Regisseurin setzt sich mit ihrer Familie und dem Militär auseinander – eine durchaus persönliche Geschichte also, führte doch Coponys Groß­mutter mehr als 20 Jahre lang eine Militärkantine in der Steiermark. Lobende Worte gab es für den Film vorab von Elfriede Jelinek. Start: 4. Dezember

Synonymes

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Gipsy Queen Regie: Hüseyin Tabak ———— Ali (Alina Serban), alleinerziehende Mutter und Roma, lebt in Hamburg. Sie arbeitet als Reinigungskraft in einem Club, um für sich und ihre Kinder zu sorgen. Eines Abends sieht Clubbesitzer Tanne (Tobias Moretti) sie auf einen Boxsack schlagen; Tanne, selbst ehemaliger Boxer, er­ kennt ihr Talent und nimmt sie unter seine Fittiche – so wie es ihr Vater früher in Rumänien getan hat; stand Ali doch bereits damals im Boxring. Eines Tages reißen Alis beiden Kinder aus und die junge Frau droht, alles zu verlieren. Der in Hamburg lebende Absolvent der Wiener Filmakademie Hüseyin Tabak (u. a. »Die Legende vom hässlichen König«, »Deine Schönheit ist nichts wert«, »Das Pferd auf dem Balkon«) erzählt in »Gipsy Queen« von einer Frau, die Verluste erlebt(e) und sich durchs Leben kämpft. Start: 6. Dezember

Regie: Nadav Lapid ———— Der junge Israeli Yoav (Tom Mercier) ist auf seiner Flucht vor dem Militär­ dienst in Israel in Berlin gelandet und sucht nun Anschluss in einer neuen Stadt. Nadav Lapid erzählt in seinem mit dem Goldenen Bären ausgezeichne­ ten Film über schwierige Neuanfänge und die (Un-) Möglichkeit, seine Vergangenheit zurückzulassen. Start: 6. Dezember

Porträt einer jungen Frau in Flammen Regie: Céline Sciamma ———— Eine gleichberech­ tigte Liebe zu zeigen, das war Sciammas Anliegen und mit diesem Film, der von der Liebe zweier Frauen im 18. Jahrhundert handelt, ist ihr das gelun­ gen. Der diesjährige Viennale-Eröffnungsfilm wurde in Cannes mit der Queer Palm ausgezeichnet und konnte bereits so manche/n KritikerIn überzeugen. Start: 13. Dezember

The Farewell Regie: Lulu Wang ———— Billi Wangs (Awkwafina) Oma wird von ihrer Familie verschwiegen, dass sie an Krebs erkrankt ist und sterben wird. Die Familie plant eine Hochzeit, um ein Zusammenkommen aller zu ermöglichen. Wangs Film basiert teils auf ihren eige­ nen Erfahrungen und rückt das Leben zwischen zwei Kulturen in den Mittelpunkt. Start: 20. Dezember

Regie: Tyler Nilson und Michael Schwartz ———— Der 22-jährige, mit DownSyndrom lebende Zak (Zack Gottsagen) bricht aus seinem Heim aus; der Alltag muss weg, das Abenteuer kann kommen, will Zak doch unbedingt Profi-Wrestler werden. Sein Ziel daher: die Wrestling-Schule The Salt Water Redneck. Auf seinem Weg lernt er Tyler (Shia LaBeouf) kennen, ein mit seinen Schuldgefühlen kämp­ fender Outlaw. Gegensatzpaare ziehen ja bekanntlich oft in Kino und Fernsehen (siehe etwa: »Ziemlich beste Freunde«) und auch hier ist den Regisseuren, die zuvor u. a. Dokumentationen gedreht haben, ein Erfolg gelungen – gilt das Feel-GoodMovie doch als sogenannter /sleeper hit/ (wenig Promo, aber umso größerer Erfolg beim Publikum). Nilson und Schwartz lernten Gottsagen 2011 bei einem Camp für SchauspielerInnen mit Behinderungen kennen, dieser schlug ein gemeinsames Projekt vor. Nun ist dieses Realität. Start: 20. Dezember

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Queen & Slim Regie: Melina Matsoukas ———— Matsoukas, bekannt für ihre Musikvideos (u. a. für Beyoncé) veröffentlicht mit »Queen & Slim« ihren ersten Spielfilm über ein afroamerikanisches Paar (Daniel Kaluuya und Jodie Turner-Smith), das sich nach einem Mord auf der Flucht befindet. Das Drehbuch schrieb Lena Waithe (»Master Of None«, »The Chi«). Start: 9. Jänner

Barbara Fohringer

The Peanut Butter Falcon

Regie: Peter Payer ———— Antonio Fians Roman »Das Polykrates-Syndrom« wurde nun fürs Kino adaptiert: Der in seinem Leben dahinvegetierende Lehrer Artur (Philipp Hochmair) lernt die junge Alice (Julia Roy) kennen. Als Komödie beginnend, entwickelt sich der Film – inklusive der einen oder anderen Überraschung – zu einem Thriller. Start: 20. Dezember

Dor Film, Tobis Film

Glück gehabt

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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik ÂťThe CutÂŤ findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5.


Illbilly

frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus

Mittlerweile ist es eine mir lieb gewonnene Tradition geworden, jedes Mal, wenn sich ein Jahrzehnt dem Ende zuneigt, eine alte Klugscheißerkamelle auszupacken. Auch wenn wir demnächst den Datumssprung von 2019 auf 2020 geschafft haben werden und sodann allerorts ein neues Jahrzehnt willkommen geheißen wird: Offiziell beginnen die 20er-Jahre erst mit dem 01.01.2021. 2020 gehört also noch zu den 10er-Jahren. So wie 2010 einst noch zu den Nullerjahren zählte. Nullerjahre sollte man übrigens nie mit einer Doppelnull schreiben, denn die Doppelnull gilt ja weithin als international anerkanntes Symbol für Toiletten. Und ein ganzes Jahrzehnt mit einem Häusl gleichzusetzen ist nicht so galant. Die »00« rührt, so meine ich einmal wo gelesen zu haben, übrigens aus einer alten Zeit, in der in Hotels nicht nur Zimmer, sondern auch die Klos nummeriert waren. Allerdings galten Klos nicht als Zimmer, weshalb man sich eben auf ein »00« einigte. Ich finde das toll, denn eine Null, zumindest in Times New Roman, Schriftgröße 16, hat letztlich eine sehr große Ähnlichkeit mit einer Kloschüssel in Vogelperspektive. Sie ist quasi der Grundriss einer Klomuschel. Aber weg jetzt von den Nullerjahren, hinein ins dräuende 2020 und somit in die letzten Züge der 10er-Jahre. Man muss kein großer Prophet sein, um vorherzusagen, dass Standesbeamte auf der ganzen Welt, zumindest in jenen Regionen, in denen der gregorianische Kalender sagt, wo’s datumtechnisch langgeht, im kommenden Jahr an zwei Tagen besonders viel zu tun haben werden. Am 02.02.2020 und am 10.10.2020 wollen nämlich sicher viele Menschen den Bund der Ehe eingehen. Bemitleidenswerte Kreaturen. Nicht der Ehe wegen, die kann man ja wieder scheiden lassen. Ich verstehe nicht, warum man sich so auf ein Datum fixiert. Heiraten ist ja ohnehin schon besonders, hier noch eines drauf-

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setzen zu wollen, ist meines Erachtens echt affig. Aber was soll’s. Ich verstehe ja durchaus, warum der 02.02.2020 ein großes Faszinosum auf Zahlenmystiker ausübt. Das Datum lässt sich ja von vorne wie auch von hinten lesen. Der Tag ist also wie eine Anna, oder ein Otto, oder ein Reliefpfeiler. Ich würde jetzt gerne auch noch den Fachterminus dazu anmerken, aber leider habe ich mein Guthaben am Klugschisskonto bereits aufgebraucht. Und ich habe nicht vor, dieses Konto in ein Minus schlittern zu lassen.

Die ultimative Blacklist Deswegen nun zu etwas anderem, aber nicht völlig Neuem, denn wir wollen dem Themengebiet Bund der Ehe treu bleiben. Ich bin gemeinhin ja für zwei Dinge bekannt. Blöde Wortspiele und dumme Sprüche. Deswegen möchte ich nun diese Schnurre teilen. Einmal, es war auf einer Hochzeit in den Nullerjahren, lernte ich eine Brautjungfer kennen, der ich – soweit konnte ich das abschätzen – nur mittelmäßig gut gefiel. Das änderte sich aber glücklicherweise mit fortschreitendem Abend. Leicht angeheitert landete ich schließlich mit einem atypischen, aber ich muss leider auch zugeben, üblen weißen, mitteleuropäischen Cis-Spruch, einen echten Volltreffer. Ich hauchte der holden Brautjungfer ein »Lass uns doch mit dem Sex bis nach der Hochzeit warten« ins Ohr, und du wirst nicht glauben, was dann passierte und ich am nächsten Morgen in meinem Zimmer fand … … eine Blacklist mit meinen dümmsten Wortspielen, die ich leider echt irgendwann einmal gemacht habe. 1. Wie nennt man einen Craft-Beer-Experten, der gerade ein Glas zapft? Bierista. 2. Meine erste Freundin, die ich meinen Eltern vorstellte, hieß Irmgard. Ich introducete sie

meinem Vater singend. Und zwar zur Melodie von »Papa Can You Hear Me?“ aus »Yentl«. »Papa kennst du Irmi?« 3. Einen Studienkollegen mit dem doch gespreizten Doppelnamen Paul Johannes nannte ich hinter seinem Rücken PJ Hawi Oida. Der Name blieb ihm. Ich nannte ihn aber auch Erbschaden und Missgeburt, was ihm bedauerlicherweise auch blieb. 4. Wie nennt man eine Alphataube? Ober-Gurru. 5. Ich versuchte einmal jemanden zu überreden, sich als Schwein zu verkleiden und mich auf eine Party zu begleiten. Ich wollte als Eichel gehen. Gemeinsam sollten wir mein Lieblingssprichwort darstellen: »Was stört es die Eichel, wenn sich die Sau daran reibt.« 6. Einen Freund, der es aus unverständlichen Gründen nicht schafft, sinnvoll eine Türklinke zu benutzen, nenne ich »Türminator« und hab ihn so auch im Handy eingespeichert. 7. Weitere Namen in meinem Handy sind übrigens: Paulan Romansky (schneidet Filme wie kein Zweiter), Expressl Chrisi (extrem langsame Kollegin), Behaarte (Schulfreundin mit Damenschnauzer), Bearte (studierte Kunsthistorikerin), Höhöhöfinger (für ihn ist jeder Tag Weihnachtsfeier), Sonia Katastrophski (polnische Grafikerin, die nichts kann), Markonarko (schwerer Alki), Schubischeibiduu (Frisbeeexperte). 8. Ich nannte unlängst, dummerweise auch noch im Rausch und mit Klarnamen, einen türkisen Politiker Neonarzisst. Kommentar wurde gelöscht – aber nicht von mir. 9. Wurde gelöscht – und zwar von mir. 10. Siehe 9. www.facebook.com / illbilly

Jakob Kirchmayr

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7. FEBRUAR 2020

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