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N° 182 — Nachhaltiger Aktivismus

AUSGABE AUGUST / SEPTEMBER 2020 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1052 WIEN, P.B.B. | MZ 18Z041505 M


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Editorial Nicht an White Fragility zerbrechen

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher Chefredaktion Theresa Ziegler Leitender Redakteur Manfred Gram

Alexia Fin

Mit dem neuesten Aufschwung des Black Lives Matter Movements haben wir sicher mehr über Rassismus gelernt als in vielen Jahren Geschichtsunterricht. Anti-Rassismus-Gedanken haben sich – vor allem durch die Bildungsarbeit Schwarzer AktivistInnen – dieses Mal weiter getragen als in manchen vorangegangenen Bewegungen. Mehr Menschen wollen etwas tun, das Richtige tun. Doch das Richtige, das ist oft nicht das, was einem aus einer privilegierten Position als das Richtige erscheint. Wenn Weiße Menschen versuchen, antirassistische AktivistInnen zu sein, müssen sie bereit sein, konstant dazuzulernen, Kritik anzuhören und einzuordnen. Der Begriff »White Fragility« beschreibt die Abwehrhaltung seitens Weißer Personen, wenn sie mit Informationen zu Rassismus-basierter Ungleichheit und Ungerechtigkeit konfrontiert werden. White Fragility ist also einer der Gründe, warum Weiße Menschen nicht über Rassismus sprechen wollen – aus Angst davor, etwas Falsches zu sagen, kritisiert oder gecancelled zu werden. Die Tatsache, über diese Angst nachdenken zu können, ist dabei an sich schon ein Privileg. Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören, können sich nicht aussuchen, inwiefern sie sich mit ihrer eigenen Diskriminierung auseinandersetzen wollen. Wenn Weiße Personen anti-rassistisch aktiv werden, geht es nicht um sie. Es geht darum, zuzuhören und Kritik so gut es geht umzusetzen. Wir als Magazin und ich als Chefredakteurin möchten uns konstant weiterbilden, wie produktives Allyship aussehen kann. Wir machen mit Sicherheit vieles falsch und haben noch nicht das Ausmaß dessen, wie sehr wir in einer inhärent rassistischen Gesellschaft aufwachsen, in all seinen Nuancen begriffen. Mit der Coverstory zu nachhaltigem Aktivismus war es uns ein Anliegen, Stimmen zu sammeln, die wissen, wie man aus dem Impuls, AktivistInnen auf Instagram zu folgen, eine ganzheitliche soziale Bewegung entwickeln kann. Und weil White Fragility nie ein guter Ratgeber sein kann, sind wir auch hier für Kritik und Veränderung offen.

Theresa Ziegler

Chefredakteurin • ziegler@thegap.at @raverresi

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Gestaltung Markus Raffetseder AutorInnen dieser Ausgabe Niko Alm, Juliane Fischer, Barbara Fohringer, Bernhard Frena, Tanja Holz, Sandro Nicolussi, Oliver Maus, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Clara Porak, Kevin Reiterer, Jana Wachtmann, Thomas Weber, Sarah Wetzlmayr KolumnistInnen Astrid Exner, Josef Jöchl, Gabriel Roland FotografInnen dieser Ausgabe Fabian Gasperl, Patrick Münnich Lektorat Sarah Gerstmayer, Jana Wachtmann Coverfoto Eric Asamoah Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl, Thomas Weber Distribution Wolfgang Grob Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Raiffeisen Bank, IBAN: AT67 3200 0000 1160 0756, BIC: RLNWATWW Abonnement 6 Ausgaben; Euro 21,— (aktuell: Euro 9,90) abo.thegap.at Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz www.thegap.at/impressum Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der HerausgeberInnen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmi­ gung der Geschäftsführung.

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Magazin

We will not be silent Wie Aktivismus nachhaltige Veränderung bewirkt

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018 Stadt, Land, Kunst »Würmlas Wände«

026 Kunst-Streaming / Streaming-Kunst Warum der Livestream eigentlich viel mehr könnte

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Christopher Glanzl, Alexander Rauch und Samuel Traber, Gabriel Hyden, Stefan Fürtbauer, Patrick Münnich

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022 Psychologie Pjöngjang Morten Traaviks »Liebesgrüße aus Nordkorea«

024 Der Blechtrommler Ja,-Panik-Schlagzeuger Sebastian Janata als Autor

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Christopher Glanzl, Alexander Rauch und Samuel Traber, Gabriel Hyden, Stefan Fürtbauer, Patrick Münnich

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Clara Porak Die 22-jährige Wienerin hat für die Coverstory dieser Ausgabe AktivistInnen von Black Movement Austria und Fridays For Future interviewt. Sie selbst ist in der Klimabewegung aktiv und hat mit Andererseits eine Initiative für Inklusion im Journalismus gegründet. Super politisch ist Clara meistens auch in den Texten, die sie als freie Journalistin schreibt. Letztes Jahr hat sie für eine Reportage über Abtreibung den Datum Talentepreis verliehen bekommen. In ihrer Freizeit gibt sie ihrer Abneigung gegenüber beigem Essen kund.

Patrick Münnich

Rubriken 003 Editorial / Impressum 007 Charts 016 Golden Frame 028 Workstation: Dieter Prenner Angelika Daphne Katzinger 032 Prosa: Natalie Campbell 034 Gewinnen 035 Rezensionen 040 Termine

Kolumnen 006 Einteiler: Gabriel Roland 008 Gender Gap: Astrid Exner 050 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl

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Patrick hat für The Gap schon so viele Fotos geschossen, dass wir eine Sonderausgabe nur mit einem Best-of seiner Werke herausgeben könnten. Für diese Ausgabe hat er DJs in leeren Clubs abgelichtet. Sonst sind die Venues, in denen der 28-Jährige fotografiert, eher sehr voll. Die lange Liste an Konzerten, die der David-Lynch-Aficionado mit seiner Kamera begleitete, reicht von Cher über Rammstein bis hin zu Billie Eilish. Noch näher ist er der Musikprominenz bei der Produktion seiner Glitch-ArtPorträtreihe »The Art Of Imperfection«.

Stay Sane Spezialabo 6 Ausgaben um € 9,90 statt € 21 Ihr mögt uns und das, was wir schreiben? Und ihr habt knapp € 10 übrig für unabhängigen Popkultur-Journalismus, der seit 1997 Kulturschaffen aus und in Österreich begleitet? Dann haben wir für euch das Stay Sane Spezialabo im Angebot: Zum Super-Krisenpreis von € 9,90 statt € 21 bekommt ihr uns ein ganzes Jahr, also sechs Aus­gaben lang nach Hause geliefert.

Nähere Infos unter abo.thegap.at

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Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

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Einteiler Aus der gemächlichen Serienproduktion

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Reiz verloren hatten, sah sich die Designerin aber immer noch auf die eingeschränkten Möglichkeiten der eigenen Wohnung (mit kleiner Hauswerkstatt wohlgemerkt) zurückgeworfen und suchte nach neuen Betätigungsfeldern. Spare in der Zeit, so hast du in der Not, heißt es doch immer wieder. Etwas in diese Richtung muss sich Elizaveta Fateeva gedacht haben, als sie nach Abklingen der Putzfreude eine Kiste an Seidenresten fand, die sie vor Längerem in Italien ohne genaueren Plan für ihre Verwendung gekauft hatte. Seither macht sie beinahe jeden Tag ein Kleid. Dafür kommen trotz Fateevas professionellem Hintergrund Methoden des Selbermachens zur Anwendung: unmittelbar verfügbare Materialien, ein einfacher Schnitt in Einheitsgröße, hausgebräuchliche Maschinen. Oft sind die besten Rezepte ja die aus ganz einfachen Zutaten, und wenn es dann auch noch wenig zu essen gibt, schmeckt es allen besonders gut. Nachschub an Seidenresten ist jedenfalls bereits bestellt. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Zu Redaktionsschluss war das hier abgebildete »Dress 31« noch erhältlich – im Gegensatz zu vielen anderen der täglichen Einzelstücke. Überprüfen kann man das auf www.fateeva.net in der Rubrik »One Dress A Day«.

Fabian Gasperl

Liebe Leserinnen und Leser, habt ihr einen pile of shame an unerledigten Freizeitprojekten zuhause? Einen Hort an Schätzen, die komischerweise nur ihr selbst für Schätze haltet? Seid ihr schuldig im Sinne Marie Kondōs? Dem Kolumnisten erwärmt sich das Herz bei der Vorstellung, sein Publikum sei derart von der Liebe zu den Gegenständen beseelt, dass es kaum wage, gewisse Kisten und Laden zu öffnen, weil das doch nur Öl in das Feuer des Konflikts zwischen dem Aufbewahren und dem Platzgewinn gösse. Seid versichert, euch gilt unser Mitgefühl angesichts der toxischen Beziehung zum unermesslichen Potenzial der Dinge, die ganz bestimmt irrsinnig nützlich sein werden, würden sich doch nur die passenden Umstände einstellen … Elizaveta Fateeva hat den Traum der Bewältigung dieser ewigen Problematik ein Stück weit wahr gemacht. Eigentlich sind ihr Spezialgebiet ja die Schuhe: Nach ebenso erfolgreichen wie stressigen Engagements bei großen Namen wie Raf Simons, Jil Sander, Lanvin und Ferragamo gründete Fateeva 2017 in Wien ein Label, das den gleichen Namen wie sie trägt und für seine weißen Sneakers mit der großen Öse über der Ferse bekannt ist. Dann kam der Lockdown. Die ersten Wochen verbrachte Fateeva nach eigenen Angaben mit herkömmlichen häuslichen Tätigkeiten. Als diese ihren

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H13 2020 NIEDEROESTERREICH PREIS FÜR PERFORMANCE

TOP 10

JULISCHKA STENGELE

Die vollwertigsten Filme der 90er-Jahre 01 »Double Dragon« 02 »Johnny Mnemonic« 03 »Street Fighter« 04 »Turtles 3« 05 »Super Mario Bros.« 06 »Double Team« 07 »Kindergarten Cop« 08 »Judge Dredd« 09 »Mortal Kombat Annihilation« 10 »Robocop 2«

BALLAST EXISTENZ DO, 03. 09. 2020

TOP 03

Tischtennisarenen für den Sommer 01 Karl-Farkas-Park, 1070 Wien 02 Tigerpark, 1080 Wien 03 Beserlpark, 2460 Bruck an der Leitha

19:00 UHR: BEGRÜSSUNG, PERFORMANCE DER PREISTRÄGERIN UND PREISVERLEIHUNG

Auch nicht schlecht: Billy Idol sollte ursprünglich den T-1000 in »Terminator 2« spielen, verrückt. Stefan Weinoehrl aka Boogaloo Steve ist Booker des Waves Festivals, ein Drittel der Boygroup Leitstrahl und der Redaktion bis jetzt fremd gewesen.

IM ANSCHLUSS: DJ SUSIE FLOWERS AUSSTELLUNG: 04. 09.–12. 09. 2020

Charts Tanja Holz TOP 10

TOP 03

Power-Women 01 Simone de Beauvoir 02 Beyoncé 03 Angela Merkel

Foto: © Magdalena Fischer

Sexistische Entgleisungen 01 »… grab them by the pussy.« 02 »… kleine dreckige Bitch !!!« 03 »Ich würde dich nie vergewaltigen, weil du es nicht wert bist.« 04 »Feminismus trennt Frauen mehr, als er verbindet.« 05 »It is a very scary time for young men in America, where you can be guilty of something you may not be guilty of. (…) Women are doing great.« 06 »Warum bestehen eigentlich immer die Feministinnen darauf, dass Frauen Opfer sind?« 07 »Schau dir mal ihre Knie an, vielleicht findest du da eine Antwort.« 08 »Widerwärtiges Luder.« 09 »Jetzt will ich mir die Landesrätin nicht in der Horizontalen vorstellen.« 10 »Bei der Figur auch kein Wunder.«

privat, Dimitri Aschwanden

Fabian Gasperl

Charts Stefan Weinoehrl

Auch nicht schlecht: www.omgyes.com Tanja Holz, gebürtige Wienerin, ist seit Jahresbeginn im Team des Waves Festivals und bringt ihre Affinität zu Musik und Film sowie ihre Aversion gegen Sexismus und Patriarchat regelmäßig in ihrer Arbeit als Journalistin (u. a. für The Gap) zum Ausdruck.

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

Männerdomäne Finanzmarkt Auch Larissa Kravitz hat sich in der Zwischenzeit Ziele gesetzt. Sie will 100 Millionen Frauen dazu inspirieren, für die Pension vorzusorgen und nachhaltig zu investieren. Zu ihren Workshops haben sich mittlerweile ein Buch und ein Podcast namens »Investorella« gesellt, in dem sie beispielsweise darüber spricht, dass öster-

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reichische Frauen erst seit den 1970er-Jahren ohne die Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemannes ein eigenes Bankkonto eröffnen dürfen. Kein Wunder also, bei der jungen finanziellen Autonomie und dem großen Aufholbedarf, dass viele Frauen sich nicht an das Thema herantrauen. Laut einer Umfrage der deutschen Postbank im Jahr 2018 kümmern sich 29 Prozent überhaupt nicht um ihre Finanzen. Dabei haben gerade Frauen oft nicht den nötigen Pols­ter, sorglos mit Geld umzugehen. Ihr kennt die Statistiken: Wir verdienen schon beim Eintritt in die Berufswelt für die gleiche Arbeit weniger als Männer, landen häufiger in Teilzeitjobs, sind länger in Elternkarenz und haben es ungleich schwerer, die Karriereleiter hochzuklettern. Das Risiko der Altersarmut ist für Frauen aus all diesen Gründen viel höher. In ihrem Buch »Money, Honey!« zeigt Kravitz, dass Frauen in Österreich im Schnitt 38 Prozent weniger Pension bekommen und doppelt so oft von Altersarmut betroffen sind als der Rest der Bevölkerung. Diese sexistischen Strukturen können wir nur gesamtgesellschaftlich aufbrechen. Wo jedoch jede einzelne Frau einen Handlungsspielraum hat – solange ihr am Ende des Monats ein paar Euro übrigbleiben, und das ist bei Gott nicht immer der Fall – ist bei der Art, wie sie dieses Geld für sich arbeiten lässt.

Ein richtiges Leben im falschen? Untersuchungen zeigen, dass Frauen tendenziell vorsichtiger und weniger risikofreudig als Männer sind. Für eine in der Fachpublikation Nature veröffentlichte Studie wurde jungen Männern Testosteron verabreicht, um den Einfluss des Hormons auf ihre Risikobereitschaft zu untersuchen. Es ließ sie optimistischer an zukünftige Preissteigerungen glauben, was sie anfällig für risikoreiche Investments machte. So wird auch der Aktienmarkt häufig von Außenstehenden wahrgenommen: Mit der Energie einer Ansammlung von Raufbolden am Schulhof oder koksbenebelt und moralisch enthemmt à la »The Wolf Of Wall Street«. Wie

passen Vorsicht, Feminismus und nachhaltiger Aktivismus mit dieser Bully-Attitüde zusammen? Gibt es überhaupt ein richtiges Investieren im falschen System? Natascha Wegelin findet, dass Frauen sogar die besseren InvestorInnen sind. Ihr deutschsprachiger Blog »Madame Moneypenny« ist ein konstant guter Begleiter beim Weg zum ersten Investment und darüber hinaus. Sie ist eine Verfechterin von passiven Anlageformen wie ETF-Sparplänen und rät immer wieder dazu, möglichst breit den Weltmarkt abzudecken und dann idealerweise überhaupt nur einmal im Jahr ins Depot zu schauen, um sich nicht vom Auf und Ab der Märkte irritieren zu lassen. Pragmatisch ist Wegelin auch beim Thema Nachhaltigkeit. Wenn ein vermeintlich ökologischer Fonds in Aktien des Wasserprivatisierungskonzerns Nestlé investiert, kann man sich als AnlegerIn schon einmal verarscht vorkommen und möchte am liebsten gar nicht wissen, ab wann etwas als böse gilt. Es ist nun einmal die Mission von Aktiengesellschaften, einen möglichst großen Gewinn für ihre ShareholderInnen zu erwirtschaften. Wenn es den CEOs in erster Linie nicht mehr um ein bestmögliches Produkt, sondern um eine fürstliche Dividende geht, können Unternehmenspraktiken schnell ethisch fragwürdig werden. Wem es nur um Nachhaltigkeit und nicht um Gewinne geht, dem empfiehlt Wegelin daher, das Geld ganz einfach an eine vertraute Organisation zu spenden, denn dann sei es am besten angelegt. »Investorella« Kravitz sieht hingegen auch innerhalb des Finanzmarktsystems aktivistisches Potenzial: Wer an Firmen beteiligt ist, hat das Recht, sich auf Hauptversammlungen Gehör zu verschaffen. In welcher Form auch immer, sich mit dem Machtinstrument Geld zu beschäftigen, kann für Frauen nur von Vorteil sein. Wer jetzt loslegen will: Larissa Kravitz’ Pod­ cast »Investorella« hört ihr auf Spotify, iTunes und Podigee. Natascha Wegelins Blog »Madame Moneypenny« gibt es auch in Form von YoutubeLivestreams und einer Facebook-Gruppe. exner@thegap.at @astridexner

Foto: Wiener Wasser/Zinner

Die Kontrolle über meine Finanzen zu haben, das bedeutete für mich lange, mir mein Gehalt aufs niedrigst verzinste Konto überweisen und alles dort herumliegen zu lassen, was nach Abzug der Lebenserhaltungskosten übrigbleibt. Dass das Geld dort inflationsangepasst immer mehr an Wert verliert, ahne ich zwar, halte ich aber stets für ein Problem für future me. Im Herbst 2018 allerdings bringen mich die ersten Etappen einer Sinnkrise dem Finanzthema näher. Vielleicht brauche ich die rationalen Zahlen und kalten Daten als Ausgleich für meinen verletzlichen Gefühlszustand, jedenfalls bin ich selbst überrascht über mein neuartiges Inter­ esse an Geld. Ungefähr zur gleichen Zeit hat Larissa Kravitz genug davon, als Aktionärin und in ihrem Job in der Finanzwirtschaft ständig nur von Männern umgeben zu sein. Über das feministische Netzwerk Sorority bietet sie einen Investment-Workshop an, der explizit auf die Lebenssituationen von Frauen zugeschnitten ist. Frisch getrennt von einer in jeder Hinsicht mittelmäßigen Dumpfbacke – manchmal sind stille Wasser auch einfach nur seicht – suche ich nach intellektuellen Herausforderungen und da kommt mir die Idee ganz gelegen, in einem Safe Space die Übernahme der Weltwirtschaft zu planen. So passiert es, dass ich in Kravitz’ Workshop sitze und sich mir völlig neue Methoden der Selbstbestimmung eröffnen. Ich beschließe, mir bis zum nächsten Börsencrash das nötige Know-how anzueignen und fett in den Aktienmarkt einzusteigen. Im März 2020 ist es soweit. Mein Depot füllt sich mit ETFs (und dieser Satz hört sich für mich nicht mehr wie eine Fremdsprache an).

Michael Exner

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Gender Gap Ich investiere jetzt in mich selbst

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Christopher Glanzl, Benno Kossatz

We will not be silent Wie Aktivismus nachhaltige Veränderung bewirkt George Floyds Ermordung und die darauffolgen­ de globale BürgerInnenrechtsbewegung haben erneut gezeigt, wie mächtig Protest sein kann. Soziale Bewegungen mobilisieren Massen auf der ganzen Welt und schaffen es immer wieder, große Veränderungen zu bewirken. Dafür reicht es nicht, nur einmal auf die Straße zu gehen. Ak­ tivismus braucht Strategie, Planung und Lang­ fristigkeit, muss sich aber ständig wandeln. Wie gelingt das? Auf der Suche nach dem Rezept für langfristige Veränderung. ———— »Wenn ich meine Braids abnehme, bin ich immer noch Schwarz«, sagt Noomi Anyanwu. Die Menge vor ihr jubelt zustimmend, einige Menschen klatschen über Kopf in ihre Hände, im Hintergrund hört man die »Black Lives Matter«Rufe vom anderen Ende der Demonstration. Es ist der 4. Juni 2020, der Abend jener Black-Lives-Matter-Demo in Wien, die bald als die größte Demonstration in Wien seit Jahren gelten wird. Viele, die heute gekommen sind, kennen das Gefühl, das Anyanwu beschreibt. »Ich bin immer Schwarz«, sagt sie. Die 20-Jährige steht auf dem Demo­wagen vor der Karlskirche in Wien. Der Platz ist so voll, dass man den Boden kaum erkennt. Jedem und jeder Einzelnen versucht sie ins Gesicht zu sehen. »Ich kann nicht ablegen, nicht loswerden, wer ich bin«, sagt Anyanwu, »meine Lebensrealität ist nicht die Weißer Menschen.« Auch hier in Österreich gibt es Rassismus, Polizeigewalt. Noomi Anyanwu möchte Mut machen in diesem großen Moment für Österreichs Schwarze Geschichte. Später wird sie erfahren, dass 50.000 Menschen auf der Demo waren. 50.000 für eine gerechtere Welt. Doch sie möchte nicht nur Teil eines großen Moments sein, sondern

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Teil einer Bewegung. Wie wird eine Demonstration zu langanhaltendem Protest? Soziale Bewegungen mobilisieren wie plötzlich Massen, werfen Gesetze um. Ihre Methoden und Ursprünge sind vielfältig, ihr Ziel ist immer ein ähnliches: Wandel, langfristige Veränderung. Die Geschichte hat gezeigt, dass das funktionieren kann. Immer neue Wellen von Frauenbewegungen waren zentral für Errungenschaften wie Wahlrecht und rechtliche Gleichstellung der Frau, nach den Protesten von 1968 wurde die Wehrpflicht in den USA abgeschafft, die ArbeiterInnenbewegung war wesentlich daran beteiligt, dass Mindestlöhne und Gewerkschaften eingeführt wurden. Nach den Protesten um das niederösterreichische Zwentendorf und die Hainburger Au entstanden ein Netzwerk an Umweltschutzorganisationen, Nationalparks und sogar eine Partei, die sich vor allem Umweltthemen widmet. Jüngst schafften es die Grünen parallel zu den Klimaprotesten von Fridays For Future von einer Partei ohne Sitz im Parlament zu einer in der Regierung.

Noomi Anyanwu ist nicht nur bei Black Movement Austria aktiv. Sie war bis vor Kurzem auch Bundesvorsitzende der Aktion kritischer Schüler­ Innen und schreibt auf dem Syntaxblog über gesellschaftspoli­ tische Themen.

»Macht endlich!« Doch wie gelingt das? Wie werden aus wütenden Studierenden politische Akteure, wie aus Teenagern AktivistInnen mit konkreten Forderungen? Wie werden aus ein paar Hundert, die einmal kommen, ein paar Tausend, die immer wieder kommen? Menschen, die sich weigern, aufzugeben?

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Soziale Bewegungen entstehen, wenn eine Gruppe von Menschen nicht gehört und gesehen wird. Sie haben oft historisch gewachsene Strukturen, bauen auf schon geschehenen Protestwellen und Organisationsstrukturen, auf älteren Kämpfen auf. Dann kommt erneut ein Moment der Empörung – das »Macht endlich!«. Mugtaba Hamoudahs Moment der Empörung war der 25. Mai 2020. Es war der Tag von George Floyds Ermordung. »Ich habe tagelang nur geflennt«, sagt Hamoudah. Wochen zuvor war der 25-jährige US-Amerikaner Ahmaud Arbery beim Joggen erschossen worden. Hamoudah begann zu googeln, welche Namen in Österreich bekannt sind, und ihm wurde klar, wie alltäglich Polizeigewalt gegen marginalisierte Menschen auch hier ist. »Ich kannte den Fall von Marcus Omofuma, aber ich wusste nicht, wie viele andere Fälle es gibt«, sagt er, »dann habe ich gedacht, dass es ja nicht sein kann, dass wir uns immer wieder emotional mit so was auseinandersetzen müssen. Man muss etwas tun können.« Hamoudah kontaktiert eine Bekannte, die SPÖ-Politikerin und Ärztin Mireille Ngosso. Sie unterstützt ihn sofort, danach auch Noomi Anyanwu, die daraufhin ihre Rede vorbereitet. Es soll eine Kundgebung sein, die sie kurzfristig zu einer Demo machen – ein paar Hundert Menschen, Reden, Musik. Ein

Programm, das nicht funktioniert – zu groß ist der Andrang. Das Moment der Empörung wirkt. Black Lives Matter, ein dezentralisierter Protest, der seit Jahren ein Begriff ist, wird mit dem Mord an George Floyd zu einer riesigen, weltweiten BürgerInnenrechtsbewegung. Macht endlich! – Das fordert seit rund eineinhalb Jahren auch die Klimaschutzbewegung Fridays For Future. Rund hundert Leute waren beim ersten Streik im Dezember 2018. Sechs Stunden am Heldenplatz, angefrorene Finger und die heute bekannten Streikschilder in der Hand. Seitdem hat sich viel getan, aus den Hundert sind Zehntausende geworden. Eine Masse, die einem das Gefühl gibt, dass eine ganze Generation die Zukunft einfordert, die ihr zusteht. Eine Masse, die die Politik nicht mehr auffordert, sondern mit Nachdruck ermahnt. Die Klimakrise ist

Zuordnungen in Bezug auf Haut­ farben sind gesellschaftlich kons­ truiert. Um diese Konstruktion zu verdeutlichen, wird zum Beispiel »Schwarz« großgeschrieben.

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plötzlich Thema in Talkshows und Titelgeschichten, im Wahlkampf, im Parlament. Es ist eine komplexe und schnell gewachsene Bewegung, die sich organisieren muss.

Von der Demo zur Bewegung Soziale Bewegungen stehen immer in einer Spannung zwischen Stabilität und Offenheit. Sie sind keine NGOs, jeder und jede kann mitmachen. Wer kommt, ist dabei. Aber sie brauchen auch Menschen, die sich dauerhaft engagieren, die immer wieder kommen, die die Bewegung zu einem ihrer Lebensmittelpunkte machen. »Die Frage ist, wie eine Bewegung flexibel auf gesellschaftliche Bedingungen reagieren kann, aber im Kern doch stabil bleibt«, sagt Philipp Knopp. Der Soziologe an der Universität Wien forscht zu sozialen Bewegungen. Er weiß: Sie müssen sich immer wieder dieselben Fragen stellen und intern zwischen unterschiedlichen Positionen verhandeln: Wie geht es weiter? Wie können wir gestalten? Welche Identität wollen wir in Zukunft haben? Aktivismus funktioniert nicht nur über ein Dagegen, es geht darum, dass man etwas verändern, mitgestalten möchte. Und dafür mitunter viel riskiert. »Wenn man für etwas auf die Straße geht, zeigt man, dass das eine wichtige Sache ist«, sagt Soziologe Knopp, »das ist eine starke Position, für die man immer auch etwas aufs Spiel setzt.« Personen, die von Polizeigewalt in ganz besonderem Maße betroffen sind, setzen sich bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt, die von PolizistInnen begleitet wird, ganz klar einer nicht zu unterschätzenden Gefahr aus.

Franziska Marhold, Christopher Glanzl

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Laut gegen die Klimakatastrophe: Der 18-jährige Leo Zirwes arbeitet in der Strategiegruppe von Fridays For Future.

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Auf die Demo am 4. Juni, auf der Anyanwu ihre vier Minuten und elf Sekunden lange Rede auf dem Wagen hält und es sich nach Revolution anfühlt, folgt eine weitere am Freitag. Danach treffen sich Anyanwu, Ngosso und Hamoudah mit einigen Vereinen, in denen sich Schwarze Menschen in Österreich organisieren. Sie sprechen über den nächsten Schritt, darüber, wer sie als Bewegung sein und was sie bewirken wollen. Gemeinsam gründen sie Black Movement Austria, ein Kollektiv, eine Plattform von Menschen mit afrikanischem Erbe, die das Ziel haben, ihre sozio-politischen und wirtschaftlichen Realitäten in Österreich zu verbessern. Black Movement Austria möchte sich nicht nur gegen Polizeigewalt engagieren, sondern insgesamt die Lebensbedingungen von BIPOC in Österreich verändern. Dazu fordern sie beispielsweise Reformen in den Bereichen Bildung, Arbeit und Asylrecht. Aktuell arbeite man daran, diese Forderungen möglichst gut transportieren zu können. »Wir wollen vor allem Gesetze ändern, aber auch Anti-Rassismus in die Gesellschaft tragen«, sagt Hamoudah. Er möchte, dass endlich klar

» Wir wollen vor allem Gesetze ändern, aber auch Anti-Rassismus in die Gesellschaft tragen.« — Mugtaba Hamoudah ist: Rassismus ist nicht nur, jemandem etwas nachzurufen oder in die Haare zu greifen. Das ist zwar natürlich auch Rassismus, aber nicht das größte Problem. Rassismus ist strukturell, institutionell. »Wir alle sind RassistInnen, in dem Sinne, dass wir in einer rassistischen Gesellschaft aufwachsen. Damit erhalten wir ein System der Ausbeutung«, sagt der 19-Jährige.

Bedrückend und bestärkend Am 2. Juli findet die erste Demo von Black Movement Austria statt. Etwa 1.500 Menschen kommen, diesmal klappt das Programm, die Reden und die Musik. »Wir wollten mit dieser Demo zeigen, dass wir nicht nur Massen

mobilisieren können, sondern dass wir auch Forderungen haben«, sagt Noomi Anyanwu, »es geht uns auch um die Lösungen.« Black Movement Austria fordert Maßnahmen gegen institutionellen Rassismus und Polizeigewalt, bessere Schulungen für BeamtInnen, eine höhere Accountability, endlich eine richtige Aufarbeitung der Fälle. Viele dieser Forderungen haben sie nicht erfunden, sie sind Jahrzehnte oder Jahrhunderte alt. Das stimmt die AktivistInnen manchmal traurig: »Wir kämpfen für dasselbe wie unsere Eltern«, sagt Anyanwu. Aber sie stehen auch auf den Schultern vieler, die vor ihnen protestiert haben, die schon vor ihrer Geburt wollten, was sie fordern. Für Hamoudah ist das bedrückend und bestärkend zugleich. Aber: »Das Momentum ist auf unserer Seite«, sagt er. Um ihre Ziele zu erreichen, möchten die AktivistInnen des Black Movement Austria weiterhin Demos organisieren, aber auch andere demokratische Mittel verwenden. »Wichtig ist uns aber, dass wir parteiunabhängig bleiben«, sagt Anyanwu. Fridays For Future steht gerade vor ganz anderen Herausforderungen. »Die Frage, die wir uns aktuell stellen, ist: Wie finden wir in Anbetracht von Corona ein Format, das uns Aufmerksamkeit und mediale Präsenz sichert,

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No justice, no peace! Black Movement Austria hat sich mit der globalen Black Lives Matter Bewegung formiert und konkrete Forderungen an die österreichi­ sche Regierung gestellt.

aber möglichst wenig Risiko mit sich bringt?«, sagt Leo Zirwes. Der 18-Jährige arbeitet in der Strategiegruppe von Fridays For Future. »Wir versuchen jetzt, kleinere, mobile Aktionen zu machen, die uns trotzdem Präsenz geben«, erklärt er. Die Bewegung setzt auf Flashmobs, zehn bis 20 Leute, die plötzlich auf dem Stephansplatz auftauchen und singen – gezielte Aktionen zu besonderen Anlässen. Außerdem mehr und mehr Protestformen im Internet, vor allem international. »Fridays For Future wurde schon zweimal für beendet erklärt«, sagt auch Soziologe Knopp. Das erste Mal im Sommer 2019, man nahm damals an, die jungen Menschen würden die Bewegung über die Sommerferien »vergessen«. Doch die AktivistInnen kamen mit Kontakten in der Politik und neuen Forderungen zurück. Auch, als sich wegen des Coronavirus die Rahmenbedingen veränderten, fand die Bewegung neue Aktionsformen, statt zu verschwinden. Das liegt auch an beflügelnden Momenten und interner Kultur. Gemeinsam vor der OMV stehen und wütend gegen das Gebäude rufen, auf der Demo mitsingen können, die Sprüche auswendig können, sich auf den Auftritt des Musikers Der traurige Gärtner freuen, der auf fast jedem Streik spielt. Alle Bewegungen brauchen eine Form der Organisierung. Wie diese aussieht, kann aber sehr unterschiedlich sein. Manche Bewegungen sind quasi-autoritär organisiert, andere versuchen, möglichst ohne Hierarchien auszukommen. »Wir stehen gerade vor der Herausforderung, dass wir relativ schnell zu einer sehr großen Bewegung geworden sind«, sagt die 20-jährige Anna Blomenberg. Auch sie engagiert sich bei Fridays For Future. Für sie ist zentral, dass eine Bewegung möglichst alle integriert und alle sich einbringen können. Es sei sehr wichtig, darauf zu achten, dass es allen in der Bewegung gut geht. Sie selbst nimmt sich immer wieder Auszeiten. »Das ist ein Marathon, kein Sprint«, sagt sie, »das Thema ist einfach viel zu wichtig, um aufzuhören. Soziale Bewegungen, so Soziologe Knopp stehen immer wieder vor neuen Aushandlungsprozessen: »Es gibt Phasen der Stabilisierung, aber die wichtigen Fragen werden immer wieder neu verhandelt.« Welche Formen eine Bewegung annimmt, ist kaum vorherzusagen, doch immer wieder bringen soziale Bewegungen Organisationen hervor. So folgte die Gründung der ersten Umweltschutzorganisationen auf die Proteste gegen das Atom-

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kraftwerk in Zwentendorf 1979. Richtig Fahrt nahm die erste Umweltbewegung nach den Protesten um die Hainburger Au auf. Alexander Egit, heute Geschäftsführer von Greenpeace, ist einer jener Studierenden, die 1984 die Hainburger Au besetzten. Bei minus 20 Grad harrten sie in der Au aus und verhinderten letztlich 1984 den Bau des Kraftwerks. Heute ist Hainburg ein National-

» Das ist ein Marathon, kein Sprint« — Anna Blomenberg park. Egit trat in die damals junge Organisation Global 2000 ein und baute sie mit auf. Die beiden österreichischen Umweltorganisationen waren von Anfang an stark vernetzt, nach einigen Jahren wechselte Egit zu Greenpeace. »Es ging uns darum, sich gegen ein mächtiges System, das ohne Widerstand die Natur zerstört, aufzulehnen«, sagt Egit. Dass das jetzt wieder passiert, freue ihn. Doch was soziale Bewegungen tatsächlich bewirken, das lässt sich wissenschaftlich nur schlecht beschreiben. Das liegt daran, dass sehr viele verschiedene Faktoren soziale Entwicklungen beeinflussen. »Wir können gewisse Einflüsse rekonstruieren, aber nicht vorhersagen«, sagt Philipp Knopp. Black Movement Austria hat es jedenfalls geschafft,

dass struktureller institutioneller Rassismus in der ZIB erwähnt wird, hat ihn zumindest für eine Zeit lang zum Thema gemacht. »Das soll so bleiben«, betont Black Movement Austria. »Vielleicht lohnt es sich erst in 30, 40 Jahren«, sagt Mugtaba Hamoudah, »aber es lohnt sich.« Für Momente wie den folgenden lohne es sich aber auch schon jetzt, findet Hamoudah. Irgendwann während der ersten großen Demo läuft er vom Ende an die Spitze der Demonstration, vorbei an Tausenden Menschen und sieht, wie seine Mutter das Frontbanner mitträgt. »Wir sind am richtigen Weg, wir nehmen uns den Raum, den wir brauchen. Ich war richtig überwältigt«, sagt er. Auf der Bühne stehen eine Freundin von ihm und ihre Schwester, nebeneinander mit erhobener Faust. Derweil läuft »Freedom« von Beyoncé, das Lied des Abends. »Ich dachte so: Oh mein Gott, wenn unsere Vorfahren, die kolonialisiert und ausgebeutet wurden, für irgendetwas gebetet haben, dann für Clara Porak diesen Moment.«

Black Movement Austria ist auf Facebook und Twitter sowie unter @blackmovement­austria auf Instagram zu finden. Termine für die nächsten Demos stehen noch nicht, diese und weitere Infos werden aber über diesen Kanal bekanntgegeben. Der offizielle InstagramHandle von Fridays For Future in Österreich heißt @fridaysforfuture.at. Demonstrationen und Aktionen finden in etwa wöchentlich statt, im August ist eine internationale Aktion zum Amazonas geplant. Die Autorin dieses Textes ist in der Klimabewegung aktiv und kennt deshalb einige der ProtagonistInnen in diesem Zusammenhang.

Christopher Glanzl

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Wichtige Fragen neu verhandeln

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Golden Frame Zeitgenössische Kunst im angemessenen Rahmen

Bruno Zhu, »Spoils«, 2017–2018. Courtesy of Kunsthalle Lissabon and the artist. Foto: Bruno Lopes The_Gap_182_010-033_Story_FINAL.indd 17

Die Ausstellung »Untitled (Molly House)« in der Wiener Galerie Exile verhandelt Zugän­ ge dazu, wie Körper, Sex sowie Formen von Maskulinität und Femininität in queeren Communitys de- und rekonstruiert werden. Konsumidentitäten, wie die in Bruno Zhus Werk, lassen sich gerade im Zusammenhang mit Homophobie und Frauen*feindlichkeit nicht so leicht herauswaschen. ———— Es gibt ein Meme auf dem Instagram-Channel @hetero_cringe, das links eine angeschlagene Barbie-Puppe mit zerzausten Haaren und rechts eine Person mit konventionell »schönen« Locken zeigt. Darüber steht links: »my hair after a powerful curly hair mask«. Und rechts: »boys after they wash it with hand soap«. So grotesk es ist, ein Meme mit Wörtern nachzuerzählen, genauso grotesk ist es, Beauty Routines mit einem bestimmten Geschlecht gleichzusetzen. Aber dennoch schreibt die binäre Heteronormativität, in der wir aufwachsen, müheloses Schönheitsverhalten Männern zu und erwartet von Frauen konsumorientiertes, mehrdimensionales Streben nach einem makellosen Look. Zugleich werden alle, die sich jenem »weiblichen« Beauty-Bemühen zu sehr zuwenden, gesellschaftlich abgewertet. Femininität verliert also immer. Der portugiesische Künstler Bruno Zhu verfremdet in seiner Arbeit »Spoils« die Formate ikonischer Gebrauchsgüter in leinenähnlichem Stoff. Die Ästhetisierung dieser Produkte überzeichnet den Glam von Alltagsgebrauch: Alleine durch das Erahnen von Seifen, Lotionen und sogar Marmeladen wird beim Betrachten der Stücke ein gewisser Entspannungsmodus aktiviert. Konsum in Beige steht für Wellness – abhängig von kapitalistischen Identitäten, unabhängig von Geschlecht. Julius Pristauz kuratiert die Ausstellung »Untitled (Molly House)«, die Zhus Arbeit in Wien zeigt. Aufgewachsen in Graz, ist Pristauz im Alter von 17 nach Wien gezogen und arbeitet seither sowohl in schaffender, als auch interpretativer Weise mit Kunst. Im Rahmen des Galerienfestivals Curated By wählt Julius Pristauz den Begriff des Molly House als initiative Inspiration für die Auswahl der Werke, die bei Exile gezeigt werden. Molly Houses waren historische Orte für die schwule Community, ein Safe Space im England des 18. und 19. Jahrhunderts. Als Molly wurden damals aber nicht nur homosexuelle Männer bezeichnet, sondern auch weibliche Prostituierte. Pristauz interessiere hier besonders, wie sich in den Molly Houses damals sowie auch in heutiger Drag Culture das Imitieren und Rekonstruieren von femininen Identitäten auf eine bestimmte, hypersexualisierte Spielart von Weiblichkeit bezieht. Man wisse heute, dass die Männer der Molly Houses von damals durchaus gerne mit der Rolle der Prostituierten spielten. Dabei wird deutlich, dass Homophobie und Frauenfeindlichkeit gesellschaftlich eine breite Überschneidungskraft besitzen, aber auch queere Communitys nicht unbedingt gegen Nuancen internalisierter Misogynie immun sind. Queere, femme-inclusive Spaces und Communitys schaffen hier auch in der zeitgenössischen Kunst eine Awareness und Theresa Ziegler leisten wichtige Arbeit, Bilder von Femininität zu diversifizieren.

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Bruno Zhu: Konsum in Beige Stoff für eine neue Skin-Care-Routine

Die Ausstellung »Untitled (Molly House)« ist von 5. September bis 10. Oktober in der Galerie Exile im ersten Wiener Gemeindebezirk zu sehen. Die Arbeiten werden im Rahmen des Galerienfestivals Curated By gezeigt, an dem 24 Spaces in ganz Wien beteiligt sind.

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Urbane Kunst am Land: Insgesamt 13 Wände bemalten Katharina C. Herzog und David Leitner in der Marktgemeinde Würmla.

Mit »Würmlas Wände«, ihrer Abschlussarbeit an der Angewandten, erzählen Katharina C. Herzog und David Leitner Alltags- und Lebensgeschichten der Landbevölkerung auf Silos, Stadeln und Stallwänden. Über Kunst am Land, Offenheit und den derart entstandenen Wanderweg. ———— Was bleibt von der Zeit an der Uni? Bei Katharina C. Herzog und David Leitner lässt sich diese Frage leicht beantworten: 13 Motive auf alten Stadelwänden, Stallfronten oder Silotürmen. Angewandte Kunst, außerdem ein Wanderweg, der entlang der verstreut liegenden Arbeiten durchs Gemeindegebiet führt, und ein kommentierter Bildband, der die Geschichte und Geschichten hinter dem Projekt »Würmlas Wände« dokumentiert und vertieft. The Gap befragte Katharina C. Herzog (Art-Direktorin und Mitgründerin der Kunst und Kulturplattform Les Nouveaux Riches) und Künstler David Leitner über künstlerische Arbeit abseits der Ballungsräume.

Alexander Rauch und Samuel Traber

Wir haben mit viel mehr » Gegenwind gerechnet.« — Katharina C. Herzog

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Was ist das Reizvolle daran, etwas urban Assoziiertes wie Street-Art in der tiefsten Provinz umzusetzen? katharina c. herzog: Ich bin auf einem Bauernhof in Jetzing, einem Dorf mit vier Häusern, in der Marktgemeinde Würmla aufgewachsen und habe dort 22 Jahre meines Lebens verbracht, bevor ich nach Wien gezogen bin. Würmla ist mit seinen 1.435 EinwohnerInnen sehr überschaubar, auch was das kulturelle Angebot vor Ort betrifft. Deshalb war es für uns spannend, genau dort unser Projekt umzusetzen. Wie werden die Leute wohl re-

agieren? Werden sie das Projekt annehmen? Der Entstehungsprozess der Werke ist ja bei Street-Art, wie der Name schon sagt, öffentlich und für jeden einsehbar, was dazu führt, dass BetrachterInnen Teil des Prozesses werden können. Sie können Fragen stellen, Anregungen geben und ihre Meinung direkt an uns weitergeben. Wo Street-Art entsteht, ergeben sich somit gleichzeitig Orte der Begegnung. Genau dieses Zusammenbringen und Verbinden von Menschen aus unterschiedlichen Bubbles ist und war mir ein wichtiges Anliegen. »Würmlas Wände« ist ein Versuch, Brücken zu bauen.

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»Würmlas Wände« Stadt, Land, Kunst

Alle von euch gestalteten Wände zeigen persönliche Geschichten der EigentümerInnen der Gebäude. Wie habt ihr denn die passenden Wände gefunden? david leitner: Anfang April 2019 waren wir das erste Mal in Würmla und sind einfach mal herumgefahren. Wichtig war uns, dass die Wände möglichst weitflächig über das Gemeindegebiet verteilt liegen. Mir ist immer schon aufgefallen, dass es am Land sehr viele geeignete Flächen gibt und die meistens auch leichter zu organisieren sind. Man muss da nicht zu drei verschiedenen Ämtern. Wenn der/die BesitzerIn zustimmt, genügt das. Aus den ca. 20 ausgewählten Gebäuden haben wir uns dann auf 13 beschränkt und sind erst dann mit den BesitzerInnen in Kontakt getreten. katharina: Wichtig war uns auf jeden Fall auch, dass die Wände einen ländlichen Charakter aufweisen und diese vielleicht auch aufgrund ihres Alters schon Geschichten erzählen können. Wir haben Silos, alte Mostkeller und Stallwände etc. ausgewählt, um noch mehr Stilbruch in das ganze Projekt zu bringen. Waren alle EigentümerInnen sofort für das Projekt zu begeistern? katharina: Ein, zwei WandbesitzerInnen standen dem Projekt skeptischer gegenüber, weil sie sich darunter anfänglich nichts vorstellen konnten. Nachdem wir den ersten Silo in Pöding bemalt hatten, ging aber alles

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Gebäude, die persönliche Geschichten erzählen: Die Motive für »Würmlas Wände« entstanden im Dialog mit deren BesitzerInnen.

wesentlich einfacher. Als ausschlaggebenden Punkt für die hohe Akzeptanz sehe ich unseren Zugang: Dadurch dass die Motive persönliche Geschichten aus dem Leben der BesitzerInnen erzählen, wurden diese in den künstlerischen Prozess miteinbezogen. Ich habe mich mit allen WandbesitzerInnen mehrere Male getroffen und wir haben über ihr Leben am Land gesprochen, wie es ihnen geht, was sie mit dem Gebäude verbinden. So sind dann die unterschiedlichsten Themen aufgekommen: die Rolle der Frau am Bauernhof, Mobilität, der Wert von Lebensmitteln, Klimaschutz etc. Die Anfangsphase des Projekts war meiner Meinung nach etwas tricky. Ich musste mich eine Zeit lang wieder ins Ortsleben re-integrieren. Ich war bei Kirtagen, Bauernmärkten, Feuerwehrfesten etc., um mit den WandbesitzerInnen und den Leuten ins Gespräch zu kommen. Auch mein Papa hat da sehr viel mitgeholfen und das Projekt im Ort über Mundpropaganda verbreitet und mich den Leuten vorgestellt. Wieder aufs Land zurückzukommen, war für mich sehr spannend. Ich konnte meine Heimat, von der ich mich über die Jahre schon sehr distanziert hatte, aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachten. Mein Fazit: Das Leben am Land ist schon schön.

david: Relevanz bezüglich gesellschaftlichen Themen, daher auch oft politischen Ursprungs, ist mir in meinen Arbeiten eigentlich sehr wichtig. Wir haben oft überlegt, wie provokant man sein kann, haben uns dann aber dazu entschieden, nicht auf etwas Trennendes, sondern auf etwas Verbindendes zu setzen. »Würmlas Wände« wurde vom Bürgermeister unterstützt, der sich auch um Förderungen für das Projekt gekümmert hat. Gemeinsam mit der Gemeinde habt ihr entlang der Wände einen Wanderweg angelegt. Habt ihr bzw. hat die Gemeinde definiert, ab wann »Würmlas Wände« als Erfolg erachtet wird?

Gab es auch Reaktionen, die euch überrascht haben? katharina: Wir haben mit viel mehr Gegenwind gerechnet, vor allem von der Generation 60 plus. Aber Menschen aller Altersgruppen kommen auf uns zu und wollen unser Projekt unterstützen. Ein Fotograf ist an mich herangetreten und hat eigenständig eine Geocaching-Route für »Würmlas Wände« erstellt. Ein Filmteam, das normalerweise auf der ganzen Welt filmt, hat uns auch angeboten, das Projekt zu unterstützen. Letzte Frage: Wie wurde denn euer Projekt benotet? beide: 1+ :) Thomas Weber

Nähere Informationen zu »Würmlas Wände« sind unter www.würmlaswände.at zu finden.

Alexander Rauch und Samuel Traber

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Wir haben uns dazu entschieden, » nicht auf etwas Trennendes, sondern auf etwas Verbindendes zu setzen.« — David Leitner

katharina: Würmla ist touristisch noch recht unbekannt, sodass jedeR BesucherIn mehr eine Erfolgsgeschichte für sich ist. Gerade in Zeiten von Corona entscheiden sich womöglich mehr ÖsterreicherInnen für Urlaub daheim. Ein Wanderausflug nach Würmla würde sich hier perfekt anbieten. Ordentlich Proviant und Freunde einpacken – und geht schon. Für mich persönlich ist das Projekt bereits ein Erfolg, weil ich sehe, dass sich im Ort etwas tut. So wollen zum Beispiel die Bauern in Würmla Infotafeln aufstellen, um die BesucherInnen über die Land- und Viehwirtschaft in Würmla aufzuklären. Anscheinend will auch der Burger-Wirt im Ortskern seine Gästezimmer herrichten lassen. Diese Motivation ist super. Das zeigt mir, dass die Leute neue Impulse annehmen und selbstständig weiterentwickeln.

Und gab es Gedanken und Wünsche, die ihr ganz bewusst nicht umsetzen wolltet?

Ein Wanderweg führt entlang »Würmlas Wände« durch dessen Gemeindegebiet. Zusätzliche Infotafeln sollen bald über die Land- und Viehwirtschaft vor Ort aufklären.

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Morten Traaviks »Liebesgrüße aus Nordkorea« Psychologie Pjöngjang

Der norwegische Künstler Morten Traavik gibt als »Extremdiplomat« seinen Einblick in Nord­ korea frei. ———— Nordkoreanische Lebensrealitäten über den vom Regime kontrollierten Bereich hinaus vermittelbar zu machen, ist nahezu unmöglich. Der Besuch des Landes als TouristIn ist zwar gewünscht und unkompliziert – auch zu filmen, zu fotografieren und mit Menschen dort zu sprechen, ist möglich –, aber der Spielraum zur individuellen Bewegung oder gar Recherche ist ausgesprochen gering. Die damit gewonnenen Eindrücke erlauben wenig Einblick in die Gedanken der Bevölkerung – ein einziges offenes Gespräch in Nordkorea zu führen, wäre zu riskant, geschweige denn viele, die notwendig wären, um ein genauere Vorstellung vom Wesen des Landes zu erhalten. Am ehesten kann durch die Erzählungen jener das Bild des wahren Nordkoreas aufgebaut werden, denen es gelungen ist, das Land als Flüchtende zu verlassen.

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Selbst DiplomatInnen plausibilisieren das erratische Verhalten des offiziellen und inoffiziellen Nordkoreas oft nur in Mutmaßungen. Bei einem Aufenthalt in Pjöngjang 2015 hatte ich die zufällige Gelegenheit mit einem Botschafter zu sprechen, der seine Eindrücke vom Austausch mit der Partei recht offen artikulierte. Um nicht so leicht abgehört werden zu können, wurde das Gespräch schnell ins Freie verlegt, und auch jetzt, fünf Jahre später, fühle ich mich unwohl dabei, Details öffentlich zu erzählen oder seine Nationalität zu nennen. Die Vorsicht, die Reisenden mit auf den Weg in die Demokratische Volksrepublik gegeben wird, wirkt nachhaltig.

Laibach in Nordkorea Der eigentliche Anlass meines Aufenthalts in Pjöngjang damals waren aber keine politischen Gespräche, sondern das erste Konzert einer (im allerweitesten Sinn) Rockband –

nämlich der slowenischen Band Laibach, in Nordkorea, das vom norwegischen »Extremdiplomaten« Morten Traavik in mühevoller Arbeit organisiert wurde. 2016, ein Jahr später, veröffentlichte er den Film »Liberation Day« als Dokumentation dieses außergewöhnlichen Kulturereignisses. Mehr als 20 Mal reiste der Norweger nach Nordkorea, um völlig neue, unkonventionelle kulturelle Verbindungen und Möglichkeiten zum Austausch zu schaffen. In der Zeit hatte er nicht nur viel vom unkontrollierten Nordkorea gesehen, sondern auch persönliche Beziehungen und Freundschaften aufgebaut, die auf einmal jäh abgebrochen wurden. Sein Bericht in Buchform »Liebesgrüße aus Nordkorea« (erschienen bei Suhrkamp) könnte auch als langer Brief an seinen Freund, den Staatsdiener »Herr Win«, gelesen werden, der die langjährige diplomatische Freundschaft mit einer Drohung beendete und seinem Ge-

Morten Traavik

Mit der Discokugel am Kim-Il-sung-Platz: Autor Morten Traavik im Jahr 2008, bei seinem ersten Nordkorea-Besuch.

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genüber damit jedes Gefühl der Sicherheit plötzlich entzogen hatte. Traavik nutzt neben seinen Brieffragmenten an Herrn Win mehrere Ebenen der Erzählung, um die Vielschichtigkeit nordkoreanischer Realitäten verständlich zu machen. Bilder vom Leben in Nordkorea gehören ebenso dazu, wie Rezepte für die abgebildete Hundesuppe und Kimchi für 40 Personen. Keine Sorge, es handelt sich um kein folkloristisches Kochbuch, es ist vielmehr Bonusmaterial, das den leichtfüßigen Formulierungen und dem grundlegenden Spiritus des Autors entspricht, der seine Erlebnisse mit der Bürokratie eines Staates, in dem jeder jeden überwacht, berichtet. Den wesentlichen Teil des Buches macht eine launige Aufrollung der nordkoreanischen Geschichte aus, die auch mit der offiziellen Zeitrechnung der staatlichen Chuch’e-Ideologie korrespondiert. Wir leben heute im Jahr »Chuch’e 109«. Die Zählung beginnt mit dem Geburtsjahr Kim Il-sungs (1912), des ersten der drei bislang regierenden Kims. Die Kenntnis der polithistorischen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und der Psychologie seiner geliebten Führer sind Grundvoraussetzung, um das Gebaren der NordkoreanerInnen – egal auf welcher Ebene – nachvollziehen zu können. Traavik verarbeitet dazu auch Berichte anderer Landsleute (Schweden ist hier mitgemeint), die in vergangenen Jahrzehnten schon mit Nordkorea Verbindungen pflegten.

plausibel – naturgemäß, ohne dabei weniger bizarr oder inhuman zu sein, nur eben schlüssiger. Das Land versteckt sich hinter eine Fassade aus Megalomanie, aber es ist trotzdem kein Schauspiel, sondern eben eine Seite der nordkoreanischen Wirklichkeit. Die 16 UBahn-Stationen und die Hauptstadt darüber werden nicht mit KomparsInnen bespielt, auch wenn die Monumente Pjöngjangs den TouristInnen ein prächtiges Bild vermitteln sollen und Massenchoreografie und Drill die liebsten Hobbys des Kollektivismus sind, gibt es unmittelbar daneben so etwas wie ein mit dem Rest der Welt vergleichbares normales Leben, in das es freilich nur wenigen Privilegierten wie Traavik einzutauchen gelingt. Es ist dieser Teil der angstfreien Normalität, der weitgehend ungekannt ist.

Das ist keine Verharmlosung: Nordkorea bleibt trotz aller Schrulligkeiten lebensgefährlich. Und wie bei jeder Theokratie – und nichts anderes ist das Land der Chuch’e-Religion mit seinen Kasten – sind die schlimmsten Verbrechen jene, die sich gegen die gottgleichen Führer (tot oder lebendig) und ihren Apparat richten: Irrglaube und Blasphemie. Eine Bibel im Hotelzimmer zu »vergessen« kann für Reisende daher sehr böse enden. Morten Traavik erzählt in diesem Kontext auch die Geschichte des amerikanischen Studenten Otto Warmbier, der in Nordkorea zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde und nach seiner Überstellung in die USA 2017 verstarb, aus einem Blickwinkel, der die vielen Fragezeichen dieses tragisch-absurden Schicksals nach dem Ende der bereits bekannten Erzählung reduziert. Was sich mit großer Sicherheit sagen lässt: Wir haben ein sehr unvollständiges Bild des nördlichen Koreas, das in dieser Bezeichnung signalisiert, dass die Teilung keineswegs endgültig sein muss; Morten Traavik macht das Land ein großes Stück verständlicher. Niko Alm

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Propaganda für den »geliebten Führer«: »General Kim Jong-il, der leuchtende Oberkommandant der Sŏn’gun-Ära«.

Morten Traaviks »Liebesgrüße aus Nordko­ rea – Ein Extremdiplomat berichtet« ist bei Suhrkamp erschienen.

Themenpark im Götterstaat Vieles wirkt für die MedienkonsumentInnen des Weltgeschehens oberflächlich unlogisch oder widersprüchlich, wird aber bei genauerem Hinsehen mit mehr Information doch

Laibach aus Slowenien gaben 2015 – organisiert von Morten Traavik – als erste Rockband ein Konzert in Pjöngjang.

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Ja,-Panik-Schlagzeuger Sebastian Janata als Autor Der Blechtrommler Von der Konzert- auf die Literaturbühne. Mit »Die Ambassadorin« liefert Ja, Panik-Schlag­ zeuger Sebastian Janata sein literarisches De­ büt ab. Wir haben mit ihm über das Schreiben, Musik machen und das Burgenland gesprochen. ———— 2019 war der beste Sommer in Wien. Sebastian Janata hat ihn mit seiner besten Berliner Freundin verbracht. Zurück in Österreich, das der Musiker zehn Jahre davor für die deutsche Bundeshauptstadt verlassen hat. Sie arbeitete an der Masterarbeit, er an seinem Debütroman »Die Ambassadorin«. Für heuer war eine Wiederholung schon länger geplant und ist dann relativ kurzfristig realisiert worden. Jetzt sitzt er bei einem großen Soda-Zitron am Yppenplatz. »Sie schreibt noch an der Arbeit, ich bin fein raus«, erzählt Janata, der vor allem als Schlagzeuger der Band Ja, Panik bekannt wurde. Er ist, gemeinsam mit Hubert Achleitner, den man besser als Hubert von Goisern kennt, einer von zwei heimischen Musikern, die heuer

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die Literaturbühne betreten haben und breitenwirksam beim O-Töne Literaturfestival im Museumsquartier lesen. Aber wie kam der Schlagzeuger zur Literatur? 2016, nach fünf Studioalben, schrieben Ja, Panik eine Bandbiografie mit dem Titel »Futur II«. Alle Bandmitglieder im Kollektiv. Jeder steuerte Passagen bei. Janata entdeckte dabei das Schreiben für sich. Zum Langtext kam es ganz pragmatisch. Die Lektorin kam auf ihn zu. Innerhalb des nächsten Jahres wuchs die Idee auf 40, 50 Seiten an und er ging auf Verlagssuche. »Ich war sehr neugierig darauf, wie das ist mit mir und dem Schreiben. Dann wollte ich das Abenteuer. Einerseits habe ich versucht, mich dran zu halten, dass man als Schreibanfänger aus der eigenen Welt schöpfen soll. Daher kommt der BurgenlandBezug im Buch. Andererseits gab’s die Figur der Ambassadorin, die kurz und geheimnisvoll im Ja,-Panik-Buch auftaucht. Das war sozusagen nur die Spitze des Eisbergs. Ich habe

den restlichen Teil dazu entdeckt«, erzählt er von seiner Arbeit am Romandebüt, die zweieinhalb Jahre lang dauerte. In »Die Ambassadorin« verwebt Janata die Geschichte einer Art Rural Legend mit den Erfahrungen des eigenen Aufwachsens in einem nordburgenländischen Dorf. Der Romanheld Hugo kehrt aus Berlin zurück, weil sein Leihopa Beppo gestorben ist. Mit dem nostalgischen Blick auf die Heimat hat das für Janata aber so ganz und gar nichts zu tun.

Fremd im Dorf Dazu ist der Musiker, der seit 2014 auch gemeinsam mit seinem Vater im Duo als Worried Man & Worried Boy auftritt, zu distanziert. »Ich habe nie so eine Verbindung mit dem Burgenland empfunden«, gibt er zu. Eher war es immer das Gefühl: »Oida, da ist fast niemand so wie ich. Ich hab mich im Dorf immer fremd gefühlt. Vielleicht ist das der Grund, warum es keine mentale Annäherung

Corinna Radakovits

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Nach und nach entpuppt sich Sebastian Janatas Debüt »Die Ambassadorin«, in der ein junger Exil-Berliner zurück in seine burgenländische Heimat kommt, als packende Rural Legend mit subtilem Krimiplot.

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durch das Buch gibt. Der Abstand war immer da; auch früher, als ich örtlich eigentlich anwesend war.« Die LeserInnenschaft hat das Gefühl, Hugo sei zuerst nostalgisch, bis ihm seine Heimat rasch zu viel wird. Das hat der Autor aus seinem eigenen Empfinden auf seine Figur übertragen. »Für mich ist im Burgenland zu sein so, wie etwas viel zu Süßes zu essen: Man kennt es, mag es und die ersten paar Löffel sind köstlich, aber es ist dann halt schnell einmal zu viel und es wird einem schlecht.« Man könnte meinen, der Autor vermeide auch deshalb zu viel sprachliches Lokalkolorit, dabei spart er Umgangssprachliches aus, weil er es mühsam findet, im Dialekt Text

Ich war sehr » neugierig darauf, wie das ist mit mir und dem Schreiben.« — Sebastian Janata

zu schreiben. »Es gibt ja keine Norm, wie man die Umlaute im Dialekt ausdrückt. Für das spezielle Burgenländische, das ich oft gebraucht hätte, würde etwa der komische Bell-Laut fehlen.« Außerdem war es eine praktische Entscheidung. So verstehe es jeder. Auch die deutschen LeserInnen. Janata fügt aber hinzu: »Gäbe es eine genormte Art und Weise, wie man burgenländischen Dialekttext wiedergeben kann, würde ich es ausJuliane Fischer probieren.«

Sebastian Janata liest am 20. August im Rahmen des Literaturfestivals O-Töne im Museumsquartier Wien aus seinem Roman »Die Ambassadorin« (Rowohlt).

Neo-Autor Sebastian Janata über die Unterschiede zwi­ schen Konzert- und Literaturbetrieb, Vortragsstimmen und Spotify-Playlists für seinen Roman. Du hast das Schlagzeug mit dem Schreibtisch getauscht – eine schwierige Umstellung? sebastian janata: Eigentlich nicht. Ich glaube meine Mutter ist dafür verantwortlich, dass ich mir beim Schreiben leicht tue. Sie hat mir immer Gute-Nacht-Geschichten von Christine Nöstlinger und Astrid Lindgren vorgelesen – mit verstellter Stimme. Sollte ich jemals selbst Kinder haben, will ich mich bemühen, die Geschichten so farbenfroh rüberzubringen. Wirst du dir selbst eine Lesestimme zulegen, es stehen ja einige Lesungen in nächster Zeit an? Es gibt viele Leute, die nahe an ihrer alltäglichen Art zu sprechen vortragen – das kann gut funktionieren oder voll in die Hose gehen. Selbiges gilt für die zugelegte Schauspielart. Ich muss das erst ausprobieren. Du kennst die Konzertbühne schon lange und jetzt neu auch die Literaturszene. Gibt es Unterschiede? Es wird anscheinend viel mehr gesiezt im Literatur­ betrieb. Das find ich witzig. Ich hab es nach meinem Um­ zug nach Berlin so genossen, dass sich dort alle duzen die ganze Zeit. Das mag ich irgendwie lieber. Ich erinnere mich an Sven Regener, der mal sinngemäß gesagt hat, er sei so froh, jetzt in der Literaturszene zu sein, weil ihm das Du­ zen in der Musikszene schon so auf den Nerv gegangen sei. Das heißt Literatur ist eine Art neue Phase und erwachsener als Musik? Naja, zumindest tun sie so. Ich freu mich, dass man als Schriftsteller schneller und einfacher auftreten kann, weil man alleine ist und nur einen Tisch und ein Mikro­ fon braucht. Es ist viel weniger hustle, der notwendig ist.

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Das finde ich sehr angenehm. Gleichzeitig war es für mich ur neu, ganz alleine etwas zu machen. Schon bei Interviews ist das ungewohnt. Ich bin viel aufgeregter.

Was unterscheidet die Lesebühne vom Bandauftritt? Ich habe das Gefühl, dass ich mich viel mehr nackt mache, wenn ich ein Lied vortrage, weil man doch viel mehr direkt transportiert, als mit einem Text, den man irgendwann mal geschrieben hat. Eine Lesung ist mehr so: Kommt wir schauen uns mal gemeinsam an, was ich geschrieben hab und dann reden wir halt drüber, wenn ihr wollt. Man darf sich festhalten an einem Zettel und able­ sen. Das ist ein total sicheres Gebiet. Natürlich ist es auch eine Art von Performance, aber bei einem Lied fliegen viel mehr greifbare Emotionen durch den Raum.

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»Es wird mehr gesiezt!«

Wie unterscheidet sich das Songtext- vom Buchtextschreiben? Die große Kunst am Songtextschreiben, finde ich, ist ja die Komprimierung. Möglichst viel auf möglichst klei­ nem Platz unterzubringen. Bei einem Langtext wiederum, wo ich ja viel mehr Platz habe, liegt für mich die Heraus­ forderung darin, die Übersicht zu behalten, die Knoten nicht falsch zu binden. Beides hat mir in meinem Leben schon sehr viel Freude bereitet und beides hat mich schon an den Rand eines Zusammenbruchs getrieben. Das klingt jetzt vielleicht klischeehaft, ist aber so. Musik war für mich sehr wichtig beim Schreiben; mit Kopfhö­ rern, um mich räumlich zu isolieren. Ich höre kein be­ stimmtes Genre, aber unbedingt ohne Gesang, also ohne Text – das würde mich sofort ablenken. Und was würde man auf dem Soundtrack zu »Die Ambassadorin« hören? Auf diese Frage wird es schon bald eine Spotify-Play­ list-Antwort geben.

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Wenn sich KünstlerInnen auf ein neues Medium stürzen, dann wäre zu hoffen, dass sie dessen künstlerisches Potenzial auch zu nutzen ver­ suchen. Was aber passiert, wenn ein Medium nur als Ersatz dient, wenn seine Eigenheiten als Störung und nicht als Chance empfunden wer­ den? Wie kann so aus Kunst-Streaming Strea­ ming-Kunst werden? ———— 3. April 1996. Eine Website mit Webcam geht online. Zu sehen: ein Studizimmer in den USA und die Besitzerin der Webcam, Jennifer Ringley. Alle drei Minuten kommt ein neues Bild. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Das ist die Geburtsstunde von »Jennicam«, dem ersten erfolgreichen Lifecasting-Projekt. Lifecasting nennt sich die Liveausstrahlung des gesamten, eigenen Lebens über einen Internet-Stream. Jennifer Ringley gilt mit »Jennicam« als Pionierin dieses Genres. Sie erkannte früh das Potenzial, das ein Livestream haben kann: den voyeuristischen Reiz, aber auch die imaginierte Nähe. Und sie setzte dieses Potenzial

»Select« und die vier Bewegungsrichtungen. Ein Programm sammelt die Befehle und führt sie dann der Reihe nach aus. Ganz egal ob sie Sinn ergeben. 16 durchgehende Tage lief das Spiel, bis das Ende erfolgreich erreicht wurde. Über eine Million Menschen spielten, chatteten oder sahen zu, bis zu 120.000 davon zur gleichen Zeit. Wie »Jennicam« zeigte auch »TPP« neue Möglichkeiten für das Medium Livestream auf.

Ein Medium als Ersatz 16. März 2020. In Österreich herrscht Ausgangssperre. Sämtliche Veranstaltungen sind abgesagt. Nach kurzer Schockstarre fliehen viele Kulturschaffende ins Netz. Der Livestream wird als Alternative für die LivePerformance entdeckt. Statt die Möglichkeiten des neuen Mediums auszuschöpfen oder gar Experimente zu wagen, erschöpft sich die Nutzung jedoch meist im Ersatz. Die Kamera steht an der Stelle des Publikums, die

Kunst-Streaming / Streaming-Kunst radikal um. Bis 2003 lebte Ringley von den Einnahmen ihrer Website, sie war zu Gast in Talkshows und wurde zu einer der ersten Internet-Celebritys. Dann schloss sie die Web­ site und verschwand aus dem Netz. 12. Februar 2014. Auf der Streaming-Plattform Twitch beginnt ein neuer Kanal zu streamen: »Twitch Plays Pokémon« (kurz: »TPP«). Zu sehen ist das Spiel »Pokémon: Red Edition«, doch ohne SpielerIn. Stattdessen können die ZuschauerInnen über den Chat direkt Befehle an die Spielfigur geben: »A«, »B«, »Start«,

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ZuschauerInnen sind virtuell statt körperlich präsent. Das Format der Darbietung ändert sich kaum. Die Homestage Festivals auf Face­book – so sehr ich die Intention dahinter schätze – sind ein ideales Beispiel hierfür. Oder noch biederer: die Marathonlesung von Camus’ »Die Pest« auf FM4. Abseits der klischeehaften Literaturwahl beließ es dieser Stream bei reinem Frontalunterricht. Von 120 Leuten. 10 Stunden lang. Das ist von avantgardistischer Nutzung meilenweit entfernt. Doch auch das native Kunst-Streaming auf Twitch

& Co ist kaum besser. Wer nach »art stream« sucht, findet zu jeder Zeit dutzende Angebote. Doch fast alle davon sind – meist bildende – KünsterInnen, denen man bei ihrer Arbeit quasi über die Schultern schaut. Sie interagieren mit dem Chat, erklären, was sie tun und nehmen manchmal Vorschläge für die nächste Zeichnung an. Mediale Experimente wagen auch sie kaum. »Jennicam« und »TPP« wagten hingegen beide Neues und bilden zwei markante Punkte in der Entwicklungsgeschichte des Livestreams. »Jennicam« zeigte, dass Livestreams nicht nur populär, sondern auch finanziell rentabel sein können. Ringley setzte eine Entwicklung in Gang, die die Voraussetzungen für ein Experiment wie »TPP« überhaupt erst ermöglichte. Kein »Twitch Plays Pokémon« ohne Twitch. Kein twitch.tv ohne justin.tv. Kein justin.tv ohne Lifecasting. Kein Lifecasting ohne »Jennicam«. Keine »Jennicam« ohne Jennifer Ringley. »TPP« zeigt, was in dieser gewachsenen Struktur dann möglich ist. »Jennicam« und »TPP« illustrieren aber auch zwei mediale Besonderheiten von Livestreams: para­ soziale Beziehungen und instantaner Rückkanal.

Artifizielle Intimität Parasoziale Beziehungen sind einseitige Beziehungen von ZuschauerInnen zu medialen Personen. Die RezipientInnen fühlen eine Nähe und Intimität zur medialen Person. Diese kann die ZuschauerInnen hingegen nicht einmal als einzelne Personen wahrnehmen. Parasoziale Beziehungen aufzubauen und zu erhalten ist essenziell für das Bestehen in sozialen Netzwerken. Jennifer Ringley zeigte lang vor modernen InstagramInfluencerInnen, ASMR-StreamerInnen und Lifestyle-VloggerInnen, wie so eine parasoziale Beziehung über das Internet funktionieren kann. Moderne StreamerInnen und Streamingplattformen benutzen zahlreiche Methoden, um diese artifizielle Intimität zu verstärken. Ein aktueller, künstlerischer Umgang mit dem Medium Livestream könnte

Theresa Ziegler

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Warum der Livestream eigentlich viel mehr könnte

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Live-Ästhetik und Rückkanal »TPP« auf der anderen Seite lebte nicht von parasozialen Beziehungen. Es gab keine zentralen, sichtbaren AkteurInnen. An ihre Stelle traten die ZuschauerInnen selbst. Vernetzt nicht nur über den Chat, sondern auch über diverse parallel laufende, soziale Netzwerke bildeten sie rund um das – aufgrund der zahllosen Befehle – chaotische Verhalten der Spielfigur eine gesamte Mythologie, inklusive HeldInnen und Bösewichte, Omen und magische Rituale. Es entstanden Fan-Art, Videos und Geschichten. »TPP« erhob den instantanen Rückkanal des Chats zum zentralen Element des Streams. Livesendungen im Rundfunk nutzen einen Rückkanal schon seit Jahrzehnten, um die Gleichzeitigkeit des Gezeigten zu verdeutlichen, etwa beim TeleVoting des Eurovision Song Contests. Doch die Rückkanäle dieser Liveformate sind von vornherein stark limitiert, sowohl aufgrund der medialen Einschränkungen als auch aufgrund der Hierarchie zwischen ProduzentInnen und ZuschauerInnen. Letzten Endes sind es immer die ProduzentInnen der Sendung, welche entscheiden, wessen Kommentare zu sehen, wessen Fragen zu hören und welche Abstimmungen möglich sind. »TPP« zeigte, was passieren kann, wenn die ProduzentInnen auf eine absolute Minimalrolle zusammenschrumpfen, wenn der Rückkanal zum Hauptkanal wird.

sie jemals ein etabliertes Genre werden sollte, wird nicht von KünstlerInnen anderer Medien etabliert werden, die den Livestream nur als Ersatz verstehen. Es wird Menschen benötigen, die sich in diesem Medium bewegen, seine Potenziale (er-)kennen und bereit sind, sie auch umzusetzen. Das ist dann der Unterschied zwischen Streaming von Kunst und Streaming als Kunst. Bernhard Frena

Kommende Termine der Homestage Festivals findet ihr auf Facebook. Jennifer Ringley hält sich heutzutage vom Internet weitestgehend fern, war aber 2014 im Podcast »Reply All« höchst hörenswert zu Gast. »Twitch Plays Pokémon« strahlt nach wie vor auf Twitch aus. Über parasoziale Beziehungen gibt es auf You­ tube eine ausgezeichnete Serie von Shannon Strucci namens »Fake Friends«.

Welche Experimente wurden schon gewagt und was können sie uns über das Medium Livestream und seine Möglichkeiten verraten?

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sich diese Methoden zunutze und sie gleichzeitig kritisch sichtbar machen. Kunst sollte sie jedenfalls nicht einfach blind abbilden und reproduzieren.

Jenseits des Ersatzes? In vielerlei Hinsicht war der Umgang mit dem Medium von Jennifer Ringley 1996 radikaler und bewusster als der des gesamten Kulturbetriebs 2020. Und »Twitch Plays Pokémon« setzte 2014 mehr künstlerisches Potenzial frei als zehn Marathonlesungen. Der LivestreamBoom der letzten Monate ist für mich ein Paradebeispiel für mediales Unverständnis. Es würde mich wundern, wenn er nachhaltige Spuren hinterlässt, sowohl für das Medium Livestream als auch für die KünstlerInnen, die es interimistisch bespielten. Vielmehr, so glaube ich, gilt es, das Potenzial zu sehen, das schon zuvor da war. Zu sehen, welche Experimente schon gewagt wurden und was sie uns über das Medium und seine Möglichkeiten verraten können. Streaming-Kunst, so

Im Lockdown entdeckten viele Kulturschaffende das Live­streaming für sich, nutzten es aber lediglich als Ersatzkanal – die Art der Darbietung änderte sich kaum.

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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Patrick Münnich

Theresa Ziegler

Dieter Prenner

Dieter mit Platten / Das Werk, Wien Dieter Prenner kennt die Tanzfläche im Werk ganz gut. Hier spielte er vor 2020 regelmäßig seine »sehr tanzbare, facetten- und tempovariable Mischung aus Modern Soul, US-Boogie, Lo-Fi-Synth-Funk, Underground Disco, New Jack Swing und allem, was dazwischen noch Platz findet«. Noch in der Woche vor dem Lockdown hätte Dieter Gigs spielen sollen, die er vorausschauend noch selbst absagte – aus seinem sozialen Gewissen heraus. Er sieht neben den massiven Covid-Belastungen auch positive Entwicklungen: Die lokale DJ-Szene stehe mehr im Rampenlicht, da auf internationale Bookings verzichtet werde. »Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Leute gerade sehr dankbar für jede Form von Nachtleben und DJ-Unterhaltung sind, die sie bekommen«, sagt Dieter. Für Werk-Direktor Stefan Stürzer war der Corona-Shutdown eine Katastrophe. Er betont, dass der Club vor März dieses Jahres ein »pumperlg’sundes Unternehmen« war und die »daraus resultierenden betrieblichen sowie privaten Belastungen mittlerweile unerträglich« seien.

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DJs in leeren Clubs

Angelika Daphne Katzinger Andaka / Solaris, Linz

Am letzten Partyabend im Solaris, bevor in Österreich der Veranstaltungs-Lockdown beschlossen wurde, legte Andaka hier zusammen mit Elasoul auf. »Die Stimmung war elektrisch und ich hatte einige richtig überwältigende Flow-Erlebnisse mit der Crowd«, erinnert sie sich. Angelika Daphne Katzinger hat bestimmt schon mehr als 30 Mal auch auf dieser Tanzfläche gespielt, am liebsten Funk in allen Facetten. Im Laufe des Lockdowns sei ihr bewusst geworden, dass sie die Gagen, die sie normalerweise für DJ-Gigs bekommt, nicht mehr in ihre Plattensammlung stecken und somit kleinere Indie-Labels unterstützen kann. »Wir sind alle miteinander verbunden«, sagt sie. Solaris-Chefin Simone Schaumberger erinnert sich daran, dass das Team zunächst wie paralysiert gewesen sei. »Das Wichtigste war, niemanden kündigen zu müssen, und das haben wir auch bei fast allen geschafft«, erzählt sie. Mit den jetzigen Auflagen hochzufahren, sei für einen kleinen Club völlig sinnlos. Ein Alternativprogramm sei allerdings schon in Planung. »Auf alle Fälle sind wir schon mehr als motiviert, wieder ein paar DJs abzufüllen«, sagt Simone.

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PROSA — NATALIE CAMPBELL

TATORT GARTENZAUN Zwischen Wohnwagen, Plumpsklo und Geräteschuppen spitzt sich die Lage zu, als ein japanischer Staudenknöterich am Gartenzaun unkontrolliert zu wuchern beginnt. Natalie Campbell protokolliert die Demontage einer Scheinidylle in einem Tagebuch der Eskalation.

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DER NEOPHYT 20. Mai

1. Juni

»Da schau her, schau’s da an, a japanischer Staudenknöterich!« Vor meinem Gartenzaun bleibt ein Radfahrer stehen und das knappe Trikot entblößt seinen haarigen Bauch, als er sich zu seiner Begleiterin dreht. »Der is invasiv«, deutet er auf die steil in die Höhe ragenden Knöterichstauden, »A Schädling, a Neophyt!« »Sowas aber auch!«, seine Begleiterin kräuselt missbilligend ihre Lippen, »verdrängt der die unsrigen Pflanzen?« »Ja so san’s, de Scheiß-Asiaten!« In mir kocht die Galle hoch, nicht zum ersten Mal, über die ungehobelten Kleinstädter, die in ihren weißgetünchten, klotzigen Neubausiedlungen das Landschaftsbild verunstalten, und ich erhebe mich von meiner Gartenbank und marschiere mit festem Schritt auf die beiden zu. »Gibt’s was?«, unter meinem finsteren Blick rudert der Radfahrer zurück. »Passen’s auf, dass erna der Knöterich ned übern Kopf wächst«, schnauft er noch, bevor er in die Pedale tritt. Wütend sehe ich ihm und seiner Begleitung nach, während ich dem Knöterich beruhigend über eines seiner herzförmigen Blätter streiche.

Ich finde Knöterichtriebe in der Feuerstelle, auf dem Kompost, in der letzten Ecke des Gartens, zwischen feuchten Sägespänen, wo eigentlich psychedelische Pilze aus Mexiko wachsen sollten und nicht mein größenwahnsinniger Neophyt! Dann sitze ich auf dem Plumpsklo, ein paar herzförmige Knöterichblätter parat, und denke nach, wo zum Teufel ich letzten Herbst die Gartenschere eingewintert habe, als mir plötzlich etwas Hartes in mein Geschlechtsteil sticht. Ich springe auf, blankes Entsetzen im Herzen, auf alles gefasst, Schlangen, Taranteln – aber nicht auf das! Ein Knöterichtrieb wächst mir aus meiner eigenen Scheiße entgegen! Ich könnte schwören, er war noch nicht da, als ich mich zehn Minuten davor auf die Klobrille setzte.

27. Mai Die samtigen, mattgrünen Blätter des Knöterichs gefallen mir immer besser. Sie geben nicht nur ein hautschmeichelndes, umweltfreundliches Toilettenpapier ab, nach und nach versperren sie auch die Sicht auf die Straße und – weitaus wichtiger – die Sicht von der Straße in meinen Garten. Über seine unterirdischen Wurzeln hat der japanische Neophyt binnen einer Woche die ganze Länge des Maschendrahtzauns erobert, seine grünen Triebe wachsen nicht nur in die Breite, sondern schießen, raketengleich, auch in die Höhe. Die lächerlichen Sporttrikots der Radfahrer und Innen sehe ich nur noch schemenhaft zwischen den Stauden schimmern, wenn sie an meinem Zaun vorübersurren. Und nicht nur, dass mir der Knöterich ihren Anblick erspart, sein dichtes Blattwerk scheint auch ihre einfallslosen Gespräche zu schlucken.

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3. Juni Jede Nacht regnet es in Strömen. Und jeden Morgen knallt die Sonne mit einer Unbarmherzigkeit vom Himmel, wie es sich Anfang Juni für unsere Breitengrade eigentlich nicht gehört. Der Garten dampft und die Dämpfe lassen mich schwindeln. Man könnte meinen, ich lebte im Amazonas und nicht im niederösterreichischen Industrieviertel! Dem Knöterich gefällt’s. Natürlich. Seine grünen Triebe breiten sich ungebremst in alle Richtungen aus. Zum Boden hin wird er immer dichter, bildet undurchdringliches Blattwerk, nach oben hin misst er mittlerweile gut vier Meter und überragt damit Wohnwagen, Thujen und Weichselbaum. Die Worte des Radfahrers gehen mir nicht aus dem Sinn. Ist die Knöterich-Situation aus dem Ruder gelaufen, habe ich gar die Kontrolle verloren? Zum Glück ist endlich die Gartenschere aufgetaucht, sie lag vergraben unter schimmeligen Planen in der letzten Ecke des Werkzeugschuppens.

6. Juni Ich stehe im Kampf. Seit drei Tagen herrscht Krieg zwischen mir und dem Knöterich. Habe darüber vergessen zu essen. Aber als mich heute der Hunger plagte, sah

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ich: alle Vorräte sind verbraucht. Und der Knöterich hat eine unbezwingbare Wand vor meinem Gartentor aufgebaut. So kann ich nicht einmal mehr hinaus, um mit dem Fahrrad zum Supermarkt zu fahren. Manchmal meine ich, der japanische Neophyt grinst mich an. Aber es muss sich um Halluzinationen aufgrund meines Zucker­mangels handeln.

7. Juni Meine Kräfte schwinden rapide. Wo ich einen Trieb mit der Gartenschere kappe, wachsen binnen Sekunden zwei neue, stärkere nach. Der Knöterich ist überall. Vielleicht will er sich für die Worte des Radfahrers rächen?

8. Juni

ist Autorin, Tänzerin und Cho­ reografin. Über sich und ihre Texte schreibt sie: »Quellen der Inspiration sind Begegnungen im Alltag, Erlebnisse auf Reisen und das Experiment, mich ständig an meine Grenzen und darüber hinaus zu bringen.« Dieses über die Grenzen gehen, lotet sie genussvoll in surrealen und fantastisch realistischen Settings aus. Egal, ob ein japanischer Staudenknöterich eine scheinba­ re Gartenidylle zum botanischen Albtraum macht oder sie in ihrem Debütroman »Fridolin« (Text/ Rahmen) einen jungen Mann schwanger werden lässt und mit allerhand Geschlechter­ klischees konfrontiert.

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Natalie Campbell

Ein grauenhafter Fund. Als heute die Gartenschere ihren Geist aufgegeben hatte und ich mit bloßen Händen die Knöterichtriebe aus der Erde gerissen habe, sah ich, dass unter vielen von ihnen tote Tiere begraben liegen. Maulwürfe, Vögel und Ratten! Ihr Verwesungsgeruch raubt mir den Atem. Nun weiß ich, woraus der Knöterich seine unermesslichen Kräfte bezieht! Das Ende scheint nah.

Natalie Campbell

9. Juni Ich gebe auf. Bin bereit zum Sterben. Liege im Bett meines Wohnwagens, sehe, wie sich die herzförmigen Blätter gegen die Scheibe drücken. Bald gibt das Plexiglas nach. Ich habe keine Stimme, um zu schreien. Nach der Feuerwehr, der Polizei oder dem Militär. Nicht einmal der Nachbar wird mich hören. Die einzige Hoffnung, die mir bleibt? Dass es dem Knöterich gelingt, sich bis zu den klotzigen Neubausiedlungen zu verbreiten. Dass er ihre kahlen Wände erklimmt und alles verschluckt, was sich darin befindet. Die Radfahrer und Innen und ihre lächerlichen Trikots.

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Filmpremiere Exil

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1 Waves-Festival-Goodiebag NE

GEWIN

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Als Xhafer von der Arbeit nach Hause kommt, findet er eine tote Ratte an seinem Gartentor. Und auch im Büro häufen sich Vorfälle, die den aus dem Kosovo stammenden Pharma­ingenieur vermuten lassen, er werde schikaniert. Doch geschieht all das wirklich? Visar Morina ist ein atmosphärischer Thriller über Paranoia und Identität gelungen, der sich gekonnt zuspitzt.

Die zehnte Ausgabe des Waves Festivals hätten sich viele anders vorgestellt, doch dank Corona wird das Showcase-Festival heuer ohne Liveauftritte auskommen müssen. Ersatzweise steuern rund 50 Acts exklusive Konzertstreams bei. Im WUK-Innenhof ist das Ganze von 10. bis 12. September im Rahmen eines Public Viewings zu sehen – oder eben zu Hause am Rechner. Unter anderem sind mit dabei: Farce, Franz Fuexe, Happyness, Oska und Porridge Radio. Außerdem gibt’s auch wieder einen Konferenzpart, der heuer in einer Hybridversion (also teilweise ebenfalls online) stattfindet. Wir verlosen fünf Goodiebags inklusive Vinyl-Compilation und Handtuch im Festivaldesign.

2 »Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit«

Do., 20. August, 20 Uhr Admiral Kino Burggasse 119, 1070 Wien Wir verlosen 25 � 2 Tickets für die Premiere von »Exil«. Der Film wird in deutschsprachiger Original­version gezeigt. Die Gewinnspielteilnahme ist bis 16. August unter www.thegap.at / gewinnen möglich.

In Kooperation mit

Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich unter der an­gegebenen Adresse erfolgen. Die GewinnerInnen werden bis 17. August per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist aus­ geschlossen. MitarbeiterInnen des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.

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Während mit »Bill & Ted Face The Music« für heuer tatsächlich eine Fortsetzung auf dem Release-Plan steht, werden ab 3. September auch die ersten beiden Kinoabenteuer von Keanu Reeves und Alex Winter als warmherziges Kultduo Bill & Ted neu aufgelegt – und zwar als Limited Collector’s Edition auf Blu-Ray sowie als Limited Steelbook Edition, aufwendig restauriert in 4K auf UHD und Blu-Ray. Neben »Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit« und »Bill & Teds verrückte Reise in die Zukunft« ist auch einiges an Bonusmaterial enthalten. Party on, dudes! Wir verlosen je zwei Exemplare des UHD Steelbook und der Collector’s Edition.

3 »The Hunt« Wenn die Thriller-ExpertInnen von Blumhouse Productions (»Get Out«, »The Purge«) am Werk sind, ist gerne auch ein bissl Systemkritik zwischen den Trümmern der in die Luft geflogenen Genreklischees verteilt. In »The Hunt« (ab 3. September auf DVD und Blu-Ray erhältlich) findet der Zynismus der US-amerikanischen Klassengesellschaft – satirisch zugespitzt – seinen Ausdruck in einer mörderischen Jagd sadistischer Reicher auf eine Gruppe von NormalbürgerInnen. Doch das Blatt wendet sich. Natürlich. Subtilität braucht man sich hier keine zu erwarten, dafür aber Unterhaltsames für die Neigungsgruppe Blut und Beuschel. Wir verlosen eine DVD und eine Blu-Ray.

4 »Pretty In Pink« John Hughes hat in den 1980ern gleich mit mehreren Beiträgen den Kanon der Highschool- und Teenagerkomödien maßgeblich mitgeprägt. Man denke nur an »The Breakfast Club«, »Ferris macht blau« oder eben »Pretty In Pink« (ab 10. September auf Blu-Ray erhältlich). Mit seiner DarstellerInnenriege, auch als »Brat Pack« bekannt, hat Hughes überdies ein paar veritable Schauspielkarrieren auf den Weg gebracht. Nicht zuletzt jene von Molly Ringwald, die als Andie zum Titelsong der britischen New-Wave-Band The Psychedelic Furs am Abschlussball doch noch glücklich werden darf. Ein Film wie eine Zeitmaschine – und natürlich schön kitschig. Wir verlosen zwei Blu-Rays.

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Rezensionen Musik

Ant Antic

Erli Grünzweil

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Gute drei Jahre sind seit dem Debütalbum »Wealth« vergangen, drei Jahre, in denen der gebürtige Oberösterreicher Tobias Koett in seiner Wahlheimat Berlin den Sound seines Projekts abermals verfeinern konnte. Firmierte Ant Antic zu Beginn noch als Duo, verschwand Leyya-Hälfte Marco Kleebauer nun still in die Produktions­credits. Für den visuellen Auftritt – Cover, Porträts etc. – zeichnet einmal mehr Erli Grünzweil, der in der Vergangenheit auch einige Ausgaben dieses Magazins gestaltet hat, mit seinem unverkennbaren Stil verantwortlich. Dass Koett selbst ein Händchen für viele Bereiche besitzt, hat er die letzten Jahre immer wieder bewiesen, egal ob mit Ant Antic, als Gastsänger oder in anderen Funktionen. Auf »Good Vids, Vile Times« erreicht dieser Umstand nochmals neue Dimensionen – Songwriting, Soundentwurf, Vocals, Recording der Gitarren und Synths sowie Produktion und Mixing lagen in Koetts Hand. Wohl auch deswegen wirkt das neue Album, ebenso wie auch schon der Erstling, sehr homogen. Eklektische Beats, warmes Surrounding, eine Prise – oder auch: die richtige Menge – Pop-Appeal sowie die klagende, aber nicht minder hoffnungsvolle Stimme von Koett, die alles zusammenhält. »Ich glaube, wir sind einfach weniger naiv geworden«, sagte Koett im The-Gap-Interview vor drei Jahren über die Zeit zwischen erster EP und Debütalbum. Diese Haltung hat sich noch einmal potenziert, alles wirkt abgeklärt und auf Chill frisiert, aber nicht ohne stets auch ein wenig Spielraum für Unerwartetes offen zu lassen. Und das ist es auch, was den Ant-Antic-Sound ausmacht – die dumpf-glitzernden Samples, groovende Einschübe und die mal konkreten, mal im Hintergrund schwebenden Vocals. Koett beschäftigt sich in den Texten intensiv mit sich selbst, sucht nicht mehr das Wie, sondern das Warum. Auf dieser Suche kann man ihn begleiten, man kann aber auch einfach den stimmigen Mix aus fragilen Songs mit Bodenhaftung genießen. Egal ob das der instrumentale Opener »Requiem For Rest« ist, die Single »Good News« oder das abschließende »Need For Need«. (VÖ: 25. September) Kevin Reiterer

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Good Vids, Vile Times — Whoop

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Rezensionen Musik

Crack Ignaz

Felix Kramer

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Es ist schwer zu sagen, was genau Crack Ignaz in den vergangenen zwei Jahren gemacht hat, aber mit Sicherheit hat ihn in dieser Zeit das Ende einer Beziehung beschäftigt. Wer nach den ersten Videoauskopplungen »Herzschmerzgang«, »Flaschenpost« und »Bipolar« schon geahnt hat, dass da wohl ein anderer Crack Ignaz auftauchen wird, als wir gewohnt waren, lag völlig richtig. Und wem das getaugt hat, wird das Album mit alphabetischer Tracklist lieben. »Wenn der Ignaz jetzt Hochdeutsch rappt, stirbt die Welt 1 kleines bisschen«, kommentiert ein Fan den Teaser zum »Herzschmerzgang«Videorelease. Treffender kann das an dieser Stelle nicht beschrieben werden. »Sturm & Drang« will ein Neuanfang sein, ein Rebranding. Und eine solche Erneuerung ist auch begrüßenswert – bloß sollte dann eben auch etwas Neues folgen. Die Lyrics sind teils fein zu Ende geträumt und können leicht ein zweites und drittes Mal verstanden werden, Crack Ignaz macht es so (fast) ganz ohne Slang allerdings ein bisschen schwer, dranzubleiben. Jenische Ausdrücke, die man als Nicht-SalzburgerIn bisher immer erst einmal googlen musste, lässt »Sturm und Drang« fast komplett vermissen. Irgendwie widerstrebt es aber auch, das dem Salzburger übel zu nehmen. Auch wenn die Darstellungsform sich in den nationalen und internationalen Spotify-Deutschrap-Poplisten (sic!) nur flüchtig bemerkbar machen wird, lässt sich Crack Ignaz’ Melancholie gut mitfühlen. Das generelle Feeling von »Sturm & Drang«, das hauptsächlich in Kooperation mit Bvrger aus Rom entstanden ist, geht trotzdem eher in Richtung alter Gemächlicher statt junger Wilder. Und so wie die Strömung des Sturm und Drang irgendwann vorüber war, kann auch diese Phase irgendwann ihr Ende finden. Immerhin war an der Produktion auch Fid Mella beteiligt, der zumindest noch die Resthoffnung auf ein »Bullies in Pullis III« nicht ganz erlöschen lässt. Und wenn du nach dem Release von »Sturm & Drang« eh schon in der Disko­grafie von Crack Ignaz hängst, kannst du ja easy weiterklicken und wieder in der »Kirsch«-Nostalgie schwelgen. (VÖ: 14. August) Sandro Nicolussi

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Alles gut — Phat Penguin Können wir so stehen lassen: Viel weiter als der Kramer Felix kannst du es eigentlich gar nicht bringen. Weltberühmt in Wien, Lobeshymnen in allen Gazetten, gute Nummern, Platz 22 in den ganz offiziellen Charts: »Wahrnehmungssache«, das Debüt aus dem 18er-Jahr, quasi aus einem Land vor unserer Zeit, war schon eine große Sache. Nicht frei von Einfluss und Referenz wusste sich der studierte Gitarrist mit gar künstlerisch hochwertigen Chansons vom sonst eher grobschlächtigen und urigeren Mitbewerb zu unterscheiden. Das zweite Album, »Alles gut« genannt, kann man jetzt als besonders kokett betitelt bezeichnen – wegen Qualität – oder auch ironisch antiprophetisch – weil: So gut geht’s uns ja doch nicht. Ersteres wäre fern von gelogen. Musikalisch ändert sich jetzt nicht die Welt, aber wer sich ändert, obwohl man ihn mag, wie er ist, wird weniger gut. Im Vergleich zum Vorgängeralbum akzentuiert Kramer nur sein Orchester, übrigens vom »8erl« Hanibal Scheutz inszeniert, etwas anders: Da sticht eine MariachiTrompete ins Ohr, da ein Flügelhorn und andernorts erklingen wieder Spaniens Gitarren. Manchmal hüpft sogar das klimpernde Piano fast aus dem Fenster, jeweils natürlich passend zum erzählerischen Sujet. Das ist schon mehr Faber als Leonard Cohen, muss man dann halt auch sagen. Aber immer gibt Kramer den Crooner und die Barfly in einem. Es ist schon erstklassig, wie er sich durch die zehn Stücke in gehobenem Wienerisch sprechsingt, von all den Träumen und Unzulänglichkeiten in einer schon eher unterdurchschnittlich superen Welt – »Ich bin nach Spanien ans Meer g’fahren, ich hab nix als sterb’n woll’n«, heißt es etwa im Opener »Spanien«, »Partystimmung krieg ich jetzt auch keine zam, manchmal ist es besser, nix zu spüren« in »Nix zu spüren«. Nur ab und zu kriegt er dann doch zumindest eine vordergründige Partystimmung hin, in – und vielleicht heißt es ja deshalb so – »Heut ist alles gut«: »Heut’ hast du mich lieb und ich bin nicht kaputt«. Aber, so schlimm ist es meistens doch nicht, weil meistens auch sehr gut dazu getanzt werden kann, oft alleine für sich, mit Blick zum Boden. Und wenn man dazu tanzen kann, ist in Wahrheit alles halb so schlimm. Sagen sie zumindest. (VÖ: 25. September) Dominik Oswald

Shirin Siebert, Simone Körner

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Sturm & Drang — WSP Entertainment

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Shirin Siebert, Simone Körner

Waves 10.–12.9.

Fett im Kalen der. Hybrid Festival

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Idiotenparadies — Las Vegas

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»Irgendwie fängt irgendwann irgendwo die Zukunft an«, heißt es in Nenas weltberühmtem Song »Irgendwie, irgend­wo, irgendwann«, der 1984 erstmals veröffentlicht wurde. Mehr als 35 Jahre später operiert auch Sängerin Pippa mit mehrdimensionalen Unsicherheiten: »Irgendwann, irgendwie, irgendwo« singt sie auf »Dystopia«, der ersten Single aus ihrem zweiten Album »Idiotenparadies«. Dass das Erscheinungsjahr des eben genannten NDW-Klassikers mit dem Titel einer der bekanntesten Dystopien der Weltliteratur zusammenfällt, mag Zufall sein, vielleicht aber auch nicht. Aber wir wollen uns ja – besonders dieser Tage – nicht mit Verschwörungstheorien aufhalten. Wobei an dieser Stelle unbedingt festzuhalten ist, dass die Welt aller Wahrscheinlichkeit nach wohl doch eine Scheibe ist, die einen nicht einfach nur in ihrer Drehbewegung mitnimmt, sondern mitunter auch mal den Schleudergang einlegt. So lässt es jedenfalls Pippas Song »Tagada« vermuten, der auf angenehm unaufgeregte Weise an Deichkind erinnert. Das bisher Geschriebene deutet vermutlich schon darauf hin: »Idiotenparadies« ist Pop, Popkultur, Collage und ein wilder Wirbel gegen die Perfektion. Wer schwankt und fast hinfällt, kann entweder mutig die Hände hochreißen oder sich ängstlich festhalten und darauf warten, dass es endlich vorbei ist. So wie die zwischen Pop, Hip-Hop, Funk und Elektronik changierenden Songs auf »Idiotenparadies« klingen, tendiert Pippa definitiv zu Ersterem. Selbst das eher zurückhaltende »Meine Traurigkeit« lässt Hoffnung durchschimmern, dass eines Tages alles wieder gut sein wird. Und auch der live aufgenommene Song »Coco Chanel« ist eine »schüchterne Revolte« gegen streichelweiche Perfektion und lässt Zweifel und Unsicherheit hochleben. Das mit der Welt in Scheibenform war natürlich in keiner Weise ernst gemeint. Und Pippa stellt es im letzten Song des Albums auch schnell selbst noch richtig: »Die Erde ist eine Discokugel und strahlt das Universum an.« (VÖ: 28. August) Sarah Wetzlmayr Live: 26. September, Wien, Porgy & Bess

Gabriel Hyden

Die Tomate aus dem spanischen Folientunnel hat eine geringere CO2Bilanz als die durchschnittlich regional produzierte im hiesigen Supermarkt.

Pippa

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Gabriel Hyden

Reichenfeldpark, Feldkirch, Vorarlberg

Infos / Tickets → www

Buntspecht, Lou Asril, Manu Delago Ensemble, Nneka, Fink, Oehl, Wolfram, Möwe Low potion, Yakata, Owls, Elis Noa, Café Drechsler, Suzie Candell & Beth Wimmer, Elena Shirin, Demuja, Vorarlberger Musikpreis Konzerte, Jazzbrunch, Sonntanz, DJ, Kabarett, Slams, + more Kino, pool-Quiz, Raumfahrt-programm & more

poolbar Festival

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23. Jul.–30. Aug

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Termine Musik

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RADIOKULTURHAUS

Argentinierstraße 30a, 1040 Wien

SoloTogether:

SIGRID HORN & INES KOLLERITSCH

22.09.2020

© Magdalena Blaszczuk

© Hanna Fasching

KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

Poolbar Festival Von Nischen bis Pop reicht das alljährliche Kulturangebot der Poolbar in Feldkirch. Für die 27. Ausgabe des Festivals sind alle Veranstaltungen ins Freie verlegt worden. Das Programm in groben Zügen: Jeden Mittwoch gibt’s das Pool-Quiz, donnerstags die Reihe »Worte auf der Bühne«, an den Freitagen und Samstagen Konzerte sowie sonntags den beliebten Jazzbrunch mit Livemusik. Zu den Highlights zählen Lou Asril, Nneka, Oehl (Foto) und Wolfram. bis 30. August Feldkirch, Reichenfeldpark beim Alten Hallenbad

17.—27. SEPTEMBER

Waves Festival

WIEN ►2020

Eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie ein Showcase-Festival in Zeiten von Corona vielleicht doch stattfinden könnte, haben die Waves-Verantwortlichen durchgespielt. Viele dieser Konzepte mussten letztlich wieder verworfen werden. Ganz ohne unser Haus- und Hof-Festival braucht man aber auch 2020 nicht auszukommen. Um die 50 Acts – von Farce bis Porridge Radio (Foto) – werden mit exklusiven Konzert-Streams mit dabei sein, zu sehen u. a. bei einem Public Viewing im WUK-Innenhof. 10. bis 12. September Wien, WUK und online

SLASHFILMFESTIVAL.COM

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Termine Musik 5/8erl in Ehr’n »Yeah Yeah Yeah« heißt ihr neues Album voller Euphorie. Erschienen ist es im April und damit mitten im Lockdown. Bummer! Doch die 5/8erl, eine der besten Livebands des Landes, lassen sich nicht unterkriegen und legen nun mit einer ausgedehnten Tour nach. Wiener Soul mit Herz, Hirn und Humor. 4. bis 6. August Wien, Stadtsaal — 25. September St. Pölten, Bühne im Hof — 26. September Linz, Posthof — 30. September Salzburg, ARGE Kultur

highlights Fr. 11.09. Visual Comedy

Ennio Marchetto (ITA): The Living Paper Cartoon

Sa. 12.09. Singer/Songwriter

Ursula Strauss & Ernst Molden

Bild: Daniela Matejschek

Kern & Quehenberger »Vienna’s best music-nerd music«, sagt der Begleittext zum Album »Ha Ha Ha«, das die zwei umtriebigen Wiener Underground-­ Größen Didi Kern & Philipp Quehenberger im Vorjahr veröffen­ tlicht haben. An Drums (Kern) und Synths (Quehenberger) erzeugen die beiden ausdrucksstarke Soundscapes, die – unter dem Einfluss von Ambient und Psychedelik, aber auch Pop – hypno­tische Wirkung entfalten. 20. August Wien, Chelsea

Mi. 23.09. Literatur

Manuel Fronhofer, Jana Wachtmann

Die Indie-Supergroup holt die Tour zur Veröffentlichung ihres Albums nach. »Vitamin C« bewegt sich zwischen Folk, Grunge, Pop, Post-Punk, dem Vibe der 60er und dem Widerstand gegen patriarchale Strukturen. 22. August Saalfelden, Kunsthaus Nexus — 23. September Krems, Kino im Kesselhaus — 24. September St. Pölten, Cinema Paradiso — 25. September Vöcklabruck, Offenes Kulturhaus — 30. September Innsbruck, Die Bäckerei

Michael Stavarič im LiteraturSalon zu Gast

Fr. 25.09. Pop

Popwal

Sa. 26.09. Wiener Soul

5/8erl in Ehr’n

Sa. 26.09. Kabarett

Ulrike Haidacher: Aus Liebe

Most + Jazz Mit Acts wie Ursula Strauss & Ernst Molden (Foto), 5K HD, Buntspecht, Ankathie Koi oder Catastrophe & Cure gibt sich das Fes­ tival in der Oststeiermark wieder erfrischend aufgeschlossen, was seine stilistische Ausrichtung betrifft. Gut so! Einschlägig Interessierte dürfen sich aber auch freuen, u. a. auf die gefeierte britische Jazz-Fusion-Band Ezra Collective. 10. bis 13. September Fehring, Hauptplatz

Bohemian Pleasures Wer dem speziellen Charme des Böhmischen Prater im zehnten Wiener Gemeindebezirk noch nicht erlegen ist, der oder die kann sich zum Beispiel beim sympathischen Minifestival Bohemian Pleasures davon überzeugen. Der Outdoorbereich bietet ausreichend Sitzplätze und Karussellfahren kann man auch. Die Musik kommt u. a. von Euroteuro und Dives (Foto). 19. September Wien, Tivoli im Böhmischen Prater

Bild: Gabriel Rizar

Alexander Gotter, El Hardwick, Astrid Knie, Markus Krottendorfer, Hanna Fasching, Daniela Matejschek, Neven Allgeier

My Ugly Clementine

Do. 01.10. Comedy

Tahnee (D): Vulvarine

Fr. 02.10. Singer/Songwriter

Scott Matthew

Sa. 03.10. Lesung/Musik

Karl Markovics und OÖ. ConcertSchrammeln

Do. 15.10. Singer/Songwriter

Der Nino aus Wien

Fr. 16.10. Kabarett

Der Nino aus Wien

Pauls Jets

Soap & Skin

Endlich wieder Konzerte! Das denkt sich wohl auch der umtriebige Nino. Im Tourgepäck: sein Soloalbum »Ocker Mond«. 1. August Litschau, Herrenseetheater — 21. August Hall in Tirol, Burg Hasegg — 4. September Lienz, Aula Gymnasium — 23. September Baden, Cinema Paradiso — 26. September Oslip, Cselley Mühle

Ein Album, das auf sehr schöne Art sehr unglücklich machen kann, »ein Paradebeispiel für das Traurige im Alltäglichen« – so Dominik Oswalds Resümee in seinem Text über »Highlights zum Einschlafen«, das zweite Album von Pauls Jets. Dessen LivePräsentation holt die Band nun nach. 8. September Wien, Konzerthaus

Mit ihrem letzten Album schlug Anja Plaschg einen versöhnlicheren Weg ein, inklusive einer erhabenen Cover­version von »What A Wonderful World«. Live gibt’s für gewöhnlich die volle emotionale Wucht – in den leisen wie den lauten Tönen. 8. September Graz, Kasematten — 9. und 10. September Wien, Konzerthaus

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Gunkl: So und anders

Do. 29.10. Pop

Hikee Bikini

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Veritas Kartenbüro, oeticket und alle oberösterreichischen Raiffeisenbanken.

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Termine Festivals

3 Fragen an Lilli Hollein

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Direktorin der Vienna Design Week Fokusbezirk Meidling und Gastland Schweiz heißt es für 2020. Wie sieht die Entscheidungsfindung für diese Kategorien jedes Jahr aus? Mit der Schweiz setzen wir auf ein Nachbarland, mit dem wir seit Gründung des Festivals in regem Austausch stehen – was wir heuer intensivieren und umfassend sichtbar machen wollten. Beim Fokus­ bezirk ist es so, dass wir immer mehrere Ecken der Stadt im Auge haben und dann letztlich die Verfügbarkeit einer Festivalzentrale den Ausschlag gibt. Meidling ist schon länger auf der Wunschliste, weil es ein Bezirk mit großer Bandbreite ist. Die Festivalzentrale wird auch virtuell zugänglich sein, generell sind viele Programmpunkte auf digitale Formate zugeschnitten. Wie schwierig war es, diese mit wechselnden Covid-Vorschriften in Online-Äquivalente zu übersetzen? Wir haben glücklicherweise schon in den vergangenen Jahren verstärkt an den digitalen Aspekten des Festivals gearbeitet. Gabriel Roland hat heuer ein herausragendes Team für die Konzeption einer virtuellen Festivalzentrale zusammengestellt. Martina Menegon, Eva Fischer, Wilhelm Scherübl und weitere MitstreiterInnen werden uns Räume und Avatare bauen, die auch eine neue Dimension eröffnen. Das hat auch mit der Covid-Krise zu tun, aber auch mit unserem grundlegenden Interesse, das Festival im digitalen Raum zu verankern. Wie seid ihr teamintern mit den Herausforderungen des Jahres umgegangen? Der Kulturbereich im Allgemeinen und der Designbereich im Speziellen sind gewohnt, mit sich ändernden Bedingungen umzugehen, Lösungen zu finden und das Potenzial für Neuanfänge und radikale Umbrüche zu erkennen und zu nutzen. Ich bin sehr dankbar, dass es durch das Commitment einiger wesentlicher PartnerInnen gelungen ist, das Team und somit die Weiterarbeit und den Fortbestand des Festivals in diesem Jahr zu sichern. Teile waren in Kurzarbeit, aber ich fand es wirklich toll, wie gut wir auch über Distanz und Online-Tools kreativ zusammenarbeiten konnten. 25. September bis 4. Oktober Wien, diverse Locations und online

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Slash Filmfestival Das (fantastische) Festival des Fantastischen Films holt im September erneut die besten, wildesten, intelligentesten und verhaltenskreativsten Höhepunkte des internationalen Films nach Wien. Neben dem Gartenbaukino, dem Metro Kinokulturhaus und dem Filmcasino wird heuer erstmals auch das Schikaneder mit aktuellen Produktionen aus Genres wie Horror, Science-Fiction und Fantasy bespielt. Darüber hinaus sorgen ausgewählte Sonderveranstaltungen, provokante Performances und natürlich auch die inter­ nationalen Gäste dafür, dass jede Festivalausgabe zum einzigartigen Erlebnis wird. Mit dabei sind heuer unter anderem Titel wie »The Returned«, »Saint Maud«, »Son Of The White Mare« und »The Old Man Movie«. 17. bis 27. September Wien, diverse Locations

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Termine Festivals

Einer der prunkvollsten Prachtbauten des Semmerings wird für den Kultur.Sommer.Semmering zur Spielstätte für ein hochkarätiges, literarischmusikalisches Kulturprogramm. Das Südbahn­hotel, exakt auf 1.000 Metern Seehöhe gelegen, öffnet seine Tore und bietet eine atemberaubende Kulisse für Bühnenpersönlichkeiten wie Ursula Strauss, Karl Markovics, Timna Brauer und Willi Resetarits. bis 6. September Semmering, Südbahnhotel

Theresa Ziegler, Tanja Holz

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Katharina Gossow / Vienna Design Week, Mercan Sümbültepe, Netzhaut – Ton Film Festival, Steirischer Herbst

Netzhaut – Ton Film Festival Filme, Konzerte und Kino unter Sternen: Das Netzhaut Festival verwandelt die Wiener Neustädter Innenstadt im September in einen Schau- und Hörplatz. Die Auswahl des Filmprogramms widmet sich dem thematischen Schwerpunkt »Wahrheit und Wirklichkeit« aus dokumentarischer wie aus fiktionaler Sicht, sucht nach Reibungsflächen und fordert den Diskurs. Die Musikschiene wird von Klemens Lendl und David Müller aka Die Strottern kuratiert und gestaltet. Abgerundet wird das Programm mit Frühstücksfilmen, Sundownern und Podiumsdiskussionen. 27. bis 30. August Wiener Neustadt, diverse Locations

Kino wie noch nie Unter dem programmatischen Titel »Wien wie noch nie« bespielt das Filmarchiv Austria den Augarten und das Metro Kinokulturhaus mit außergewöhnlichen Stadtfilmen aus 100 Jahren in 35-mm-Kopien. »Wien wie noch nie« unternimmt den Versuch, anhand von Sehnsüchten, Wünschen und Ängsten die urbane Erzählung eines Jahrhunderts zu formen. Begleitet wird das Programm von einem Kinoheurigen und einer Pop-up-Ausstellung. bis 16. August Wien, Augartenspitz und Metro Kinokulturhaus

Dotdotdot 24 Open-Air-Festivalabende und 120 Filme aus 40 Ländern – das Dotdotdot Festival lädt heuer mit seinem handverlesenen Kurzfilmprogramm in den lauschigen Garten des Volkskundemuseums Wien. Im Fokus stehen Filme, die formale, inhaltliche und ästhetische Risiken eingehen, eingeschriebene Codes hinterfragen und den Möglichkeitsraum Film ausloten – Festivalbar und Dinnerabende inklusive. bis 25. August Wien, Volkskundemuseum

Steirischer Herbst Mit der Erschaffung von »Paranoia TV« antwortet der Steirische Herbst künstlerisch-kritisch auf die globale Pandemie und die dadurch verursachten Lebens­ einschnitte. »Paranoia TV« sendet aus einem dystopischen Paralleluniversum, in dem es so etwas wie Kultur zur Besänftigung der Gemüter nicht gibt. Auf der Website des Steirischen Herbst werden von KünstlerInnen produzierte Talkshows, Fernsehserien und Livegespräche ausgestrahlt; eine App bietet die Möglichkeit, zu jeder Zeit und an jedem Ort in die Welt von »Paranoia TV« einzusteigen. 24. September bis 18. Oktober online

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Impulstanz Covid-19-bedingt konzentriert das Impulstanz Festival das Programm in diesem Jahr auf sein umfangreiches Workshopangebot. Mehr als 140 internationale DozentInnen und ChoreografInnen vermitteln ihr Wissen in über 200 Workshops. Das Kursangebot reicht von African Dance über Bollywood bis hin zu Voguing und richtet sich an alle Altersgruppen und TänzerInnen jedweden Levels. bis 30. August Wien, diverse Locations

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Schwindende Gletscher, ein ansteigender Meeresspiegel, sich ausbreitende Wüsten und saure Böden sind nur einige der verheerenden Folgen des Anthropozäns. Angelehnt an ein Zitat von Karl Marx, widmet sich das Kunst Haus Wien in der Ausstellung »Nach uns die Sintflut« mit einer künstlerischen Perspektive den Auswirkungen des globalen Klimawandels. Die kritische Gruppenausstellung vereint dabei aktuelle fotografische und filmische Positionen von rund 20 internationalen wie heimischen KünstlerInnen, die durch die Zusammenarbeit mit WissenschafterInnen in ihren Werken zum Handeln anregen möchten. Ausgestellt werden u. a. Arbeiten von Angela Tiatia, Benoit Aquin, Verena Dengler, Justin Brice Guariglia und Sarker Protick. 16. September bis 14. Februar 2021 Wien, Kunst Haus

Nach uns die Sintflut

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Termine Kunst

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Termine Kunst Liesl Raff: About Palms, Snakes … In der englischen Sprache wird mit »palm« nicht nur die tropische und subtropische Pflanzenart gemeint, sondern auch die Handinnenfläche – in dieser Doppeldeutigkeit zwischen Natur und Mensch liegt für Künstlerin Liesl Raff auch der Impuls versteckt, Formen in der Natur zu vermenschlichen. In der Einzelausstellung »About Palms, Snakes And Tongues« geschieht das anhand von Materialien wie Latex, Palmwedel und Metall, mit denen Raff vermehrt arbeitet. bis 28. August Wien, Galerie Sophie Tappeiner

Unvergessliche Zeit In »Unvergessliche Zeit« präsentiert das Kunsthaus Bregenz sieben internationale KünstlerInnen, die sich in ihrer Kunst Krisen der Gegenwart annähern. Während manche Arbeiten im Verlauf der Corona-Pandemie entstanden sind, beschäftigen sich andere mit den Emotionen, die solche Bedrohungen auslösen, mit politischen Umwälzungen und dystopischen Kollapsen. Mit Werken von Helen Cammock, William Kentridge, Annette Messager, Rabih Mroué und anderen. bis 30. August Bregenz, Kunsthaus

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Michaela Pichler Justin Brice Guariglia (»Climate Change At Work«, aus der Serie »We Are The Asteroid«, 2018), Peter Mochi, Markus Tretter / Kunsthaus Bregenz, Joachim Krenn, Apollonia Bitzan, Taxispalais Kunsthalle Tirol, Roman Pfeffer

Futur III – Bilder zur Zeit für morgen Welche Bilder prägen die Gegenwart, und welche beeinflussen das Morgen? Die Galerie Freihausgasse in Villach erschafft für ihre aktuelle Ausstellung »Futur III« eine ganz eigene Zeit, die sich speziell dem Wirken der KünstlerInnen widmet. Gezeigt werden Gemälde, Fotografien und Videos sowie digitale Arbeiten und Beiträge, die das Internet als Präsentationsort nutzen und erweitern. In »Futur III« sind unter anderem Werke von Daniel Hosenberg, Anna Vasof und Pamela Rußmann zu sehen. bis 5. September Villach, Galerie Freihausgasse

Verena Dengler: Die Galeristin und … Die Wiener Künstlerin Verena Dengler liefert mit ihrer aktuellen Einzelshow »Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G’stettn (Corona Srezessionsession Dengvid-20 :))« in der Secession nicht nur den längsten Ausstellungstitel, sondern kreiert für die BesucherInnen eine eigene Landschaft – die »G’stettn« eben. Zwischen einem kleinen Teich und wildwucherndem Gestrüpp reflektiert Dengler dabei humorvoll über Mechanismen des Kunstmarkts sowie Selbstinszenierung und Vermarktung. bis 6. September Wien, Secession

Corita Kent: Joyful Revolutionary Die US-Amerikanerin Corita Kent war vieles: Nonne, Künstlerin, Lehrerin, Philo­ sophin und politische Aktivistin. In der Ausstellung »Joyful Revolutionary« widmet sich das Taxispalais Kunsthalle Tirol ihrem künstlerischen Vermächtnis aus den 1960er-Jahren. Damals entstanden unzählige Siebdrucke, die dezidiert politisch waren – und auch knapp 60 Jahre später nichts an Aktualität verloren haben. Dabei befasste sich Corita Kent in ihrer Pop-Art vor allem mit sozialer Gerechtigkeit. bis 11. Oktober Innsbruck, Taxispalais Kunsthalle Tirol

Roman Pfeffer: Helix Simulator … Für seine neueste Ausstellung hat sich der oberösterreichische Bildhauer Roman Pfeffer an der gotischen Architektur der Dominikanerkirche in Krems orientiert. In der Einzelausstellung steht seine Skulptur »Helix Simulator« im Mittelpunkt: Für das sich windende Holzkonstrukt hat Pfeffer ein Ruderboot umgebaut. Wie es sich durch die heiligen Hallen der Kirche schlängelt, erinnert an die feingliedrigen Beine eines bedrohlichen Insekts. 13. September bis 1. November Krems, Dominikanerkirche

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Termine Filme & Serien

4 Fragen an Elke Groen

Exil Regie: Visar Morina ———— Das Gefühl lässt Xhafer (Mišel Matičević) nicht los. Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, nicht Teil der KollegInnenschaft in seinem Job zu sein. Er fühlt sich gemobbt. Lediglich die Affäre mit der aus Albanien stammenden Reinigungskraft der Firma kann ihn etwas ablenken. Eine tote Ratte liegt vor seiner Haustüre. Seine Frau (Sandra Hüller), die gerade mitten in der Promotion steckt, beschwichtigt ihn, er bilde sich alles nur ein. Rassismus könne sie keinen erkennen. Der im Kosovo geborene und seit seiner Jugend in Deutschland lebende Regisseur Visar Morina hat mit »Exil« seinen zweiten Spielfilm realisiert. Er feierte am 27. Jänner 2020 beim Sundance Film Festival Premiere, auf der Berlinale war der Film ebenso zu sehen. Die eindringliche Filmmusik stammt von Benedikt Schiefer, die Kritik ist bereits überzeugt. Start: 21. August

Was waren die größten Herausforderungen beim Dreh und wie zeigte sich der dennoch bestehende Zusammenhalt der PinkafelderInnen? Ich schätzte es sehr, dass sich die ProtagonistInnen viel Zeit genommen haben und es nie ein Problem war, sich manchmal auch sehr kurzfristige Termine auszumachen. Als ich dann immer wieder und wieder gekommen bin, stand bei den meisten die Frage im Raum: Was will sie wirklich und was macht sie mit diesen stundenlangen Interviews? Die größte Herausforderung beim Film bestand sicher darin, das entgegengebrachte Vertrauen nicht zu missbrauchen, ohne inhaltliche Kompromisse zu machen. Haben Sie Feedback von Norbert Hofer zu Ihrem Film erhalten? Nein. Ich hatte einmal ein Interview mit ihm, das sich spontan ergeben hat. Da er aber nicht über die Polarisierung der Gesellschaft reden wollte, gab es keinen Kontakt mehr. Wie wird die Corona-Krise unser Bedürfnis nach Zusammenhalt und unser Zusammenleben verändern? Der Höhepunkt der Krise zeigte, wie vernachlässigt Solidarität ist und wie wichtig sie in solchen Momenten wieder wird. Individuell hat sich dadurch sicher einiges bewegt, gesellschaftspolitisch glaube ich jedoch, dass der wirtschaftliche Einbruch und die damit verbundenen existenziellen Krisen die Stimmung eher verschärfen werden. Start: 11. September

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Waren einmal Revoluzzer Regie: Johanna Moder ———— Die Grenzen unserer Wohlstandsgesellschaft beleuchtet Johanna Moder in ihrem aktuellen Film »Waren einmal Revoluzzer«: Zwei befreundete Paare (Julia Jentsch, Marcel Mohab, Manuel Rubey und Aenne Schwarz) erhalten einen Hilferuf eines Freundes aus Russland. Mit der Mission, Worten Taten folgen zu lassen, bieten die vier ihre Unterstützung an und verhelfen Pavel (Tambet Tuisk) zur Flucht. Doch bald stellen sie fest, dass Hilfe unterschiedlich definiert werden kann. Zudem werden den zwei Paaren ihre nicht gelebten Ideale ersichtlich. »Waren einmal Revoluzzer« gewann beim Max-Ophüls-Preis in der Kategorie »Beste Regie«. Die Jury begründete ihre Entscheidung für Regisseurin Johanna Moder so: »Mit entwaffnendem Humor, zärtlich und schonungslos führt sie uns vor Augen, wie unsere Gesellschaft Wohltätigkeit predigt, ohne aber die eigene Komfortzone zu verlassen.«
Start: 28. August

Golden Girls Film / Roland Ferrigato, Alamode Film, Filmladen Filmverleih, Per Arnesen / Netflix, Home Box Office

Ihr Dokumentarfilm »Der schönste Platz auf Erden« beschäftigt sich mit der burgenländischen Gemeinde Pinkafeld, dem Heimatort des FPÖPolitikers Norbert Hofer. Was hat Sie an diesem Ort gereizt und welche Assoziationen haben Sie mit Pinkafeld? Pinkafeld ist eine überschaubare Kleinstadt. Man kommt an und taucht gleich ein. Die PinkafelderInnen sind geprägt durch einen großen Zusammenhalt, der hie und da auseinanderklafft und damit auch seine Ambivalenzen sichtbar macht. Im großen Zusammenhang steht Pinkafeld für mich für Österreich.

Barbara Fohringer

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Regisseurin von »Der schönste Platz auf Erden«

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Golden Girls Film / Roland Ferrigato, Alamode Film, Filmladen Filmverleih, Per Arnesen / Netflix, Home Box Office

Barbara Fohringer

Irresistible – Unwiderstehlich Regie: Jon Stewart ———— »Irrestistible«, der zweite Film des Comedian Jon Stewart (»The Daily Show«), wirft einige Monate vor den Präsidentschaftswahlen in den USA einen satirischen Blick auf das Wahlprozedere. Der demokratische Wahlkampfstratege Gary Zimmer (Steve Carell) schickt den ehemaligen Veteranen Jack Hastings (Chris Cooper) in einer konservativen Gemeinde als Kandidaten ins Rennen. Eine sanfte politische Satire, so heißt es. Start: 6. August

Wege des Lebens – The Roads Not Taken Regie: Sally Potter ———— Das mit Javier Bardem und Elle Fanning hochkarätig besetzte Drama rund um einen Mann mit Hirnatrophie, dessen Gedanken an seiner Jugendliebe (Selma Hayek) hängen, wurde für den Wettbewerb der Berlinale 2020 um den Goldenen Bären ausgewählt. Sally Potter (»The Party«), deren Bruder früh an Demenz erkrankte, geht der Frage nach, welche alternativen Leben ein Mensch gelebt haben könnte. Start: 13. August

The New Mutants Regie: Josh Boone ———— Viermal hätte »The New Mutants« schon in die Kinos kommen sollen, nun ist es so weit und die Saga rund um fünf junge MutantInnen findet ihren Weg auf die Leinwand. Die von Josh Boone (»The Fault In Our Stars«) inszenierte Geschichte verbindet Elemente aus den Genres Horror, Comic sowie Superhelden. Ebenso sei auch ein Einfluss von Stephen King und John Hughes zu erkennen, so Boone. Start: 27. August

This Land Is My Land Regie: Susanne Brandstätter ———— Susanne Brandstätter beleuchtet die USA unter Trump und setzt sich mit dem Thema Wahrheit im 21. Jahrhundert auseinander. Die in Los Angeles geborene und in Österreich lebende Regisseurin stellt die Frage, wie und ob Zusammenleben sowie Übereinkünfte funktionieren können. Start: 4. September

Sigmund Freud. Jude ohne Gott Regie: David Teboul ———— Der französische Regisseur David Teboul widmet sich nach seinem Film über Yves Saint Laurent nun Sigmund Freud. Sein Aufwachsen in Österreich und seine Emigration nach London, sein Judentum und die Psychoanalyse stehen im Fokus. Dabei arbeitet Teboul mit Archivmaterial, einige bekannte Stimmen (etwa Birgit Minichmayr und Catherine Deneuve) konnte er auch für sein Projekt gewinnen.
Start: 18. September

The Rain (Season 3)

Lovecraft Country

Regie: Kenneth Kainz und Natasha Arthy ———— Wer von Viren nicht genug hat und im Jahr 2020 postapokalyptische Szenen auf dem Bildschirm sehen möchte, kann sich die dritte und zugleich finale Staffel der dänischen Serie »The Rain« geben. Der Plot: Viele Jahre, nachdem der Regen die Bevölkerung Skandinaviens dezimiert hat, liegt es an dem Geschwisterpaar Simone (Alba August) und Rasmus (Lucas Lynggaard Tønnesen), die Menschheit zu retten. ab 6. August auf Netflix

Entwickelt von: Misha Green ———— Misha Green (u. a. »Underground«) entwickelte die Drama-Horror-Serie »Lovecraft Country«, in der ein afroamerikanischer Mann in den 1950ern durch die USA reist, um seinen Vater zu finden. Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Roman von Matt Ruff. »Love­craft Country« nimmt Bezug auf H. P. Lovecraft und thematisiert die Erfahrungen von Schwarzen Personen sowie Rassismus. Monster kommen auch vor. ab 16. August auf HBO

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sommer 2020

Eine Reihe von künstlerischen Arbeiten im öffentlichen Raum eva egermann thomas geiger elke silvia krystufek rade petrasevic margot pilz johanna tinzl …

stay tuned www.kunsthallewien.at

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Termine Bühne

Warum nicht aufhören

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Stay With The Trouble! Das Jubiläum zu seinem 20-jährigen Bestehen musste das Kosmos Theater ins Internet verlegen. Am 15. Mai 2000 eröffnete das dezidiert feministische Theater mit einer Rede von Elfriede Jelinek. Zur Spielzeiteröffnung 2020/21 bringt man die Feierlichkeiten nun auch in den Theaterraum. Für die erste Edition der mehrteiligen Veranstaltungsreihe »Stay With The Trouble!«, die bis zum Jahresende stattfinden wird, zeigt man die Fotoausstellung »MUTation« von Bettina Frenzel, bringt die Lesung »Yalla, Feminismus!« von Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray auf die Bühne und beschließt den Festauftakt mit einem Konzert von der deutsch-kurdischen Rapperin Ebow. 10. September Wien, Kosmos Theater

Als Versuch, sich von eingefahrenen Theatermustern und Produktionsprozessen zu lösen, ist »Warum nicht aufhören« als acht unterschiedliche Langzeit-Performances konzipiert. Bei freiem Eintritt ist das Projekt an 15 Tagen für eine selbstgewählte Zeit besuchbar. Ergänzend findet wöchentlich ein Gesprächsformat mit dem künstlerischen Leiter Stefan Ebner statt, um einen Austausch über die Performances im Speziellen und das Theater ganz im Allgemeinen zu ermöglichen. bis 15. August Villach, Turboatelier

Toteis Den »Abgründen des Heldentums« nimmt man sich in einem Musiktheaterstück am Theater Akzent mit der Neuen Oper Wien an. Während des Ersten Weltkriegs kämpfte mit Viktoria Savs unbemerkt eine Frau an der Front, die von manchen HistorikerInnen retrospektiv als Trans*mann gelesen wurde. »Menschen können sich zwar rasant in Ideen verlieren, finden aber nur sehr schwer (oder gar nicht) aus ihnen heraus«, so Martin Plattner, der das Libretto geschrieben hat. Er ordnet die Persona Savs auch in gewisser Hinsicht ein. Zur Zeit des dritten Reichs wurde sie nämlich zur engagierten Nationalsozialistin. 15. bis 19. September Wien, Theater Akzent

Mit der Vertreibung des Brut aus dem Künstlerhaus ist das Werk X am Petersplatz eine letzte kleine Bastion der freien Theaterszene im Wiener Stadtzentrum. Die neue Spielzeit eröffnet die Schwesterstätte des Werk X in Meidling mit der Produktion »Geleemann, die Zukunft zwischen meinen Fingern«. Besagter »Geleemann« ist ein inhaftierter Mörder und Vergewaltiger, ein iranischer Asylwerber, der seinen Spitznamen von der Boulevardpresse zugeschrieben bekommen hat. Nach dem Text von Amir Gudarzi soll unter der Regie von Maria Sendlhofer ein Theaterabend voller Ambivalenzen und Widersprüche entstehen, der dem Publikum abverlangt, »gesellschaftlichen Verdrängen ins Gesicht zu schauen«. 24. September bis 2. Oktober Wien, Werk X-Petersplatz

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Starke Gefühle Die Stückentwicklung »Starke Gefühle« versucht sich an einer Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Klimas und umgreifender Diskurse: »Klima: depressiv. Gesprächskultur: Untergriff. Die eifersüchtige Existenz ist eng und klein.« Die Uraufführung des Theaterkollektivs Yzma über Neurosen, Opferthesen, Privilegien und die Nonexistenz europäischer Solidarität findet als »eine Eifersuchtslitanei mit offenem Ausgang« statt. ab 19. Oktober Wien, Theater Drachengasse

Oliver Maus

Geleemann, die Zukunft zwischen …

Für die neue Spielzeit hat das Schauspielhaus sich übergeordnet Raumschiffbilderwelten zugewandt. In der Uraufführung »Rand« der Wiener Autorin Miroslava Svolikova unter der Regie von Tomas Schweigen wird vor allem mit Skurrilität und Surrealismus gearbeitet, in Referenz an Filmemacher Luis Buñuel oder auch an die optischen Täuschungen M. C. Eschers. »Kein ›wir‹ ohne ein ›die‹. Gruppendynamiken: Wer gehört an den Rand, wer definiert welchen Rand wo? Wer ist wo die Mitte?« 30. September bis 7. Oktober Wien, Schauspielhaus

Belinda Schneider, Mani Froh

Rand

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Ausbruch aus der Filterblase

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Josef Jöchl

artikuliert hier ziemlich viele Feels

Vor langer Zeit war es üblich, seine Gefühle über Mixtapes auszudrücken. Man spielte eine ganze Kassette mit aussagekräftigen Liedern voll, mit der Absicht, Klarheit zu schaffen oder einen Punkt zu machen. Das passte natürlich nicht immer. Meine Mama hätte zum Beispiel nicht verstanden, was ich ihr mit »Bohemian Rhapsody« oder Christl Stürmers »Mama (Ana Ahabak)« hätte sagen wollen, außerdem hörte sie lieber Radio. Mixtapes waren Leuten vorbehalten, auf die man einen legitimen Stand hatte. Sie kamen häufig von eher nostalgischen Dudes, die aussahen wie von Nick Hornby geschrieben und ihre Messages nur mit großer Mühe auf 90 Minuten beschränken konnten. Mixtapes hatten einen entscheidenden Vorteil gegenüber Spotify: Sie waren unskip­ bar. Wer eines bekam, musste es sich von vorn bis hinten anhören und danach Stunden auf songmeanings.com verbringen, um die Botschaften richtig zu entschlüsseln. Mittlerweile sind Mixtapes so wie die private E-Mail ein bisschen outdated. Überstimulation durch Hyper-Entertainment, Sonys stiefmütterlicher Umgang mit der Minidisc, die Postmoderne, niemand weiß genau, warum. Außerdem sind 90 Minuten für viele bereits ein mittelgroßes Commitment. Für den Tinder-Profilsong muss ein 30-Sekunden-Snippet reichen. Die gängigen Antwortmöglichkeiten auf »Willst du mit mir gehen?« lauten längst »vielleicht, vielleicht, vielleicht«. Menschen, die sich alles offenhalten wollen, brauchen keine Mixtapes mehr. Sie haben Äffchen-Emojis.

Linguistic turn-on So wie der Kunststudent. Er hatte einen Kopf voller verrückter Ideen und ziemlich guter Haare. Er sprach gerne von Diskurstheorie, ohne wesentlich mehr als ein paar Einbände

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davon gelesen zu haben. Seine Freizeit verbrachte er mit »Fortnite« spielen und wenn er etwas super fand, nannte er es »ferrari«. Ich war hin und weg. Man ging ein paar Mal miteinander aus, erzählte sich aus seinem Alltag, übernachtete zusammen. Hatte er mal wieder zu viel gekifft, schob er ein kokettes Seh-nix-Äffchen hinterher. Als man dann nach zwei Monaten offenbarte, dass man beginne, ihn richtig gern zu haben, schickte er wenig mehr als ein Sagnix-Äffchen. An der Oberfläche blieb er zwar herzlich, doch er meldete sich weniger oft. Als man sich schließlich dazu durchrang, in einem Whatsapp-Chat die Beziehung zu definieren, wurde er plötzlich zum Hör-nix-Äffchen. Er ließ mich auf »gelesen« zurück.

Left on »gelesen« Merkt ihr, oder? Wenn einem etwas unangenehm ist, sagt man lieber man als ich. Mit dem unbestimmten Pronomen stellt man Distanz zum unmittelbar Erlebten her, das man noch nicht ganz verdaut hat. Man gibt sich vernünftig und erhaben und nicht wie der Trottel, als der man sich fühlt. Denn einen Korb zu bekommen, ist niemals einfach. Man braucht immer eine gewisse Zeit, um zu erkennen, dass jemand just not that into you ist. So viel Zeit hatte ich jedoch nicht. Ich musste sofort herausfinden, was es mit diesen Äffchen-Emojis auf sich hatte. Deshalb verschickte ich in der Minute fünf bis sieben Screenshots an eine sorgfältig ausgewählte Riege von Vertrauten, die mir bei der Whatsapp-Exegese zur Hand gehen sollten – um herauszufinden, was er eigentlich meinte. Doch ich hatte die Rechnung ohne meine Vertrauten gemacht, die – von mir weitestgehend unbemerkt – über die Jahre viel zu reflektiert und erwachsen geworden waren. Zwischen ihren Propädeutika und zweiten Vipassanās

reagierten sie kurz angebunden. Anstelle einer brauchbaren Interpretation schickten sie mir nur neue Fragen. »Hast du dich schon mal mit seiner Wahrheit auseinandergesetzt?«, »Möchtest du dir nicht mal die Muster anschauen, die du da immer wieder reproduzierst?« Yada yada yada. Nein, möchte ich nicht. Ich möchte ein Wörterbuch »Josef – Crush, Crush – Josef«, vielen Dank auch.

Karma behält den Kassenbon In Ermangelung eines Doppelkassettendecks setzte ich mich sofort an mein Notebook und kompilierte die Playlist der Enttäuschung. The Cure – »Pictures Of You«, Katy Perry – »Swish Swish«, das Gesamtwerk von Fiona Apple. Binnen 90 Minuten durchlief ich alle Phasen der Trauer: Zunächst ordnete ich die einzelnen Fragmente einer Sprache der Liebe, dann wünschte ich mir den Tod eines ganz bestimmten Autors von Whatsapp-Messages, schließlich archivierte ich die ganze Episode unter »Mythen des Alltags«. Was blieb, ist meine Neigung zu Fiona Apple. Wir haben viele Gemeinsamkeiten, sind beide eher high maintenance und überwiegend schlecht drauf seit 1997. Wenn ich weine, haben wir sogar dasselbe Vibrato. Ihr neues Album ist unskipbar, nur die Botschaften muss man nicht groß entschlüsseln. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe Josef Jöchl ist Comedian. Sein Programm »Nobody« spielt er ab Herbst in Wien. Aktuelle Termine findet man unter www.knosef.at. Ari Y. Richter

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Sex and the Lugner City He’s just not that into you

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