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Barbi Marković

Vom Rollenspiel zum Zeitreiseroman

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N° 188

€ 0,—

AUSGABE AUGUST / SEPTEMBER 2021 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1052 WIEN, P.B.B. | MZ 18Z041505 M


Mehr als 57.000 Mitglieder nutzen das kostenlose Online-Portal für eine gute Nachbarschaft Das Netzwerk für deine Nachbarschaft The_Gap_188_Umschlag_Fin_BBA.indd 2

Das Netzwerk für deine Nachbarschaft

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Editorial

Cash Rules Everything Around Me

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher Chefredaktion Sandro Nicolussi Leitender Redakteur Manfred Gram Gestaltung Markus Raffetseder

Nun befinden wir uns also mittendrin in diesem Sommer, der wie damals sein soll. Waren im vergangenen Jahr an dieser Stelle noch Solidarität, Entschlossenheit oder Wiederaufleben die Begriffe der Stunde, die vor allem von Akteur*innen aus Kunst und Kultur kamen, scheint sich das Blatt nun auf unangenehme Art zu wenden. Wir sitzen zwischen den Krisen – oder besser: in der multiplen Krise. Eine Neuigkeit ist das keineswegs, der Umgang damit überrascht dennoch. Illustrieren lässt sich das an den Vorgängen innerhalb der ClubkulturSzene – manchmal auch »Community« genannt. Wo vergangenes Jahr noch Akte der Unterstützung am Tagesprogramm standen, sind es nach dem kürzlich geschehenen Restart wieder altbekannte Line-ups, die vermuten lassen, es gäbe auf diesem Planeten ausschließlich Männer, die als DJs tätig sind. Wo das Publikum durch Crowdfundings dafür sorgte, dass die liebsten Locations ihre finanziellen Krisenhürden bewältigen, darf ebenjenes jetzt bei Eintrittspreisen, die um 50 bis 100 Prozent gestiegen sind, nochmal in die Tasche greifen. Diese Problematik soll hier aber auch nicht jenen in die Schuhe geschoben werden, die selbst mit den Armen rotieren. Das sind derzeit immerhin relativ viele Menschen, egal welcher Branche. Anstatt sich den Problemen, die gesellschaftsübergreifend sichtbar und verstärkt werden, zu widmen, werden allerdings eher die Begründungen und Rechtfertigung für diverse Schieflagen kreativer. Diese Ausgabe steht deshalb wieder unter dem thematischen Banner »Being a Band«. Das kann auf mehrere Arten verstanden werden, zentrales Element ist die Kooperation und der Sinn für das Kollektiv als Problem­ löser in Zeiten des Dauerzusammenbruchs. In den letzten Wochen wurde im Zuge der Klimakrise immer wieder laut, dass die nächsten Jahre entscheidend sein werden. Ähnliche Sätze vernimmt man auch aus Szenen, Communitys, Vereinen – you name it. Wir kommen da schon noch raus, beginnen sollten wir damit allerdings besser gestern als heute. Denn ansonsten könnten die nächsten zehn Jahre auch schnell die letzten sein.

Autor*innen dieser Ausgabe Natalia Anders, Magdalena Augustin, Christoph Benkeser, Barbara Fohringer, Susanne Gottlieb, Markus Höller, Tobias Natter, Fee Louise Niederhagen, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Michael Ternai, Jana Wachtmann, Sarah Wetzlmayr Kolumnist*innen Astrid Exner, Josef Jöchl, Christoph Prenner, Gabriel Roland Fotograf*innen dieser Ausgabe Fabian Gasperl, Jana Sabo Lektorat Jana Wachtmann Coverfoto Jana Sabo Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl, Thomas Weber Distribution Andrea Pfeiffer Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Erste Bank, IBAN: AT39 2011 1841 4485 6600, BIC: GIBAATWWXXX Abonnement 6 Ausgaben; Euro 21,— (aktuell: Euro 9,90) www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien

Daniel Nuderscher

Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz www.thegap.at/impressum

Sandro Nicolussi

Chefredakteur • nicolussi@thegap.at @vorarlwiener

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber*innen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmi­ gung der Geschäftsführung.

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Magazin

Playtime Zeitreisen in Romanform mit Barbi Marković

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»Wir sind weniger individuell, als wir glauben« David Schalko im Interview zu »Ich und die Anderen« Interdisziplinäre Kunst ohne Masterplan Verena Dengler im Porträt »Wir versuchen’s noch ollawei« Comeback der Wiesen Festivals Die unsichtbare Hand der Kooperation Mieux im Interview

028 031 034 038

Junge Menschen, junge Medienformate Der journalistische Wandel auf Social Media »Take the Money and (Don’t) Run!« Österreichs Musikförderungen im Überblick Gründet nicht einfach Bands, bildet Banden! Über die Kraft des Kollektivs The Long and Winding Road Das Projekt Band in den 90ern

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Ingo Pertramer / Superfilm, privat, Hanna Putz, Jana Sabo, Christoph Benkeser

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Ingo Pertramer / Superfilm, privat, Hanna Putz, Jana Sabo, Christoph Benkeser

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Jana Sabo Die 27-jährige Fotografin zog 2012 von Vorarlberg nach Wien und stieß durch ihre Konzertfotos 2014 zum Mitarbeiter*innen-Pool von The Gap. So kam es, dass sie bereits 2016 an dieser Stelle vorgestellt wurde. Seither hat sich allerdings einiges getan. Jana studiert nun Konservierung und Restaurierung an der Akademie der bildenden Künste und arbeitet gerade daran, eine Vorarlberger Kirche aus dem 16. Jahrhundert wieder aufzupeppeln. Im aktuellen Heft zeichnet sie für die Porträts und das Coverfoto von Barbi Marković verantwortlich.

Christoph Benkeser

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Not another Exil-Vorarlberger … Am liebsten würde er gar nichts machen, das geht aber nicht so einfach, deshalb endete der Geschichte-Masterstudent, der unter anderem zur Erinnerungs­ kultur in Österreich arbeitet, mit einem Bein im Musikjournalismus. Als wichtigste seiner Outlets nennt er das Magazin Skug und seine »Grundrauschen«-Sendung samt Newsletter auf Radio Orange. Dieses Heft markiert eine Erweiterung des Publikationsportfolios des 28-Jährigen um den Eintrag The Gap, was ihn und uns gleichermaßen erfreut.

065 Rubriken 003 Editorial / Impressum 011 Charts 018 Golden Frame 046 Prosa Lyrik: Lydia Steinbacher 048 Gewinnen 049 Rezensionen 054 Termine

Kolumnen

Teil 3: The Gap #190

Teil 2: The Gap #189

»The Cut« ist The Gaps Antwort auf den »Bravo Starschnitt« unserer Jugend. In dieser und den kommenden Ausgaben liefern wir euch – in vier Teilen – einen Print der Künstlerin Verena Dengler. Einfach entlang der gekennzeichneten Linie ausschneiden und mit einem Klebe­ mittel eurer Wahl zusammenfügen.

Teil 4: The Gap #191

Verena Dengler studierte Druckgrafik und Bildhauerei. In einer waghalsigen Unternehmung drucken wir ein Standbild aus ihrer animierten NFT-Sammelkarte zum virtuellen Groschenroman »Die Galeristin und der schöne Anti­ kapitalist«. Pixelkunst, die im Original als GIF-Unikat erschienen ist.

006 Einteiler: Gabriel Roland 008 Gender Gap: Astrid Exner 062 Screen Lights: Christoph Prenner 066 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl

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MU

Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

»Wie viele Löcher haben deine Socken?« So fängt einer der vom kindlichen Sophismus entwickelten Schulhofdialoge an. Wird – egal ob ertappt oder empört – entgegnet, dass man selbstverständlich keine löchrigen Socken trage, so setzt einen das Gegenüber mit der triumphierenden Frage, wie man denn dann die Füße reinbekommen habe, sogleich argumentativ schachmatt. Das Leben schleudert einem derart profunde Rätsel in der Regel nicht ohne Grund entgegen. Es ist daher nicht weiter überraschend, wenn man nach jahrelanger Kontemplation dieses philosophisch-rhetorischen Winkelzugs schließlich zur Einsicht gelangt, dass Kleidung mindestens so sehr durch ihre Lücken definiert ist wie durch die Substanz, als die sie eigentlich wahrgenommen wird. Genauso wie sich der Körper erst mithilfe seiner Öffnungen in Beziehung zu seiner Umwelt bringen, sie spüren und mit ihr kommunizieren kann, braucht auch Gewand Leerstellen, um zu funktionieren.

Voluminös selbstbewusst Als Charlotte Defant inspiriert von chinesischen Pullunderträger*innen ihre Sweater Vest entwarf, war es entscheidend, den doch etwas geriatrischen Golfclubgeschmack abzustreifen, der diesem Kleidungstypus anhaftet. Statt Strick setzte die Designerin Mantelstoff ein, weitete den Schnitt und die Öffnungen, was der Weste ein voluminöses, selbstbewusstes Auftreten gibt. Ergebnis ist ein eigenständiges Kleidungsstück, das ohne Geschlechtszuweisung auskommt und stets individuell angepasst wird. Schließlich ist

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das Verhältnis zwischen zu bekleidendem Körper und Gewand ein viel komplexeres, wenn das eine den anderen nicht einfach nur mit einer unmittelbaren Schicht bedeckt, sondern ihn mit einem zweiten Körper umgibt, der nach seinen eigenen Gesichtspunkten funktioniert. Das In-VerhältnisBringen dieser beiden Systeme ist eine der Kerndisziplinen von Mode. Das Management der Öffnungen eines Kleidungsstücks ist nicht die geringste der Herausforderungen, die es in der Gestaltung der Beziehung zwischen Körper aus Fleisch und Körper aus Stoff zu beachten gilt. Defant hat den Halsausschnitt, die Armlöcher und das Reinschlupfloch der Sweater Vest sehr großzügig bemessen. Das sorgt gemeinsam mit der insgesamt blockigen Form für eine gewisse Entkoppelung der Bewegungen von Mensch und Gewand. Man schwimmt sozusagen in einem Medium, das einem nicht restlos gehört. Das sieht nicht nur gut aus, sondern erinnert noch dazu an die eingangs angestimmte, quasi-­taoistische Lehre von der Wichtigkeit der Öffnungen. Ein komplett geschlossenes Kleidungsstück kann man nicht nur nicht anziehen, es wäre auch langweilig. In der Regel ist es ja der negative space – also Reibung, Abstand, Einengung, Zwischenraum, Lücke und so weiter –, der Gewand interessant macht. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Charlotte Defants Arbeit verfolgen und Sweater Vests beauftragen kann man über ihren Instagram-Account: @charlottedefant.

Fabian Gasperl

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Einteiler Leere Weste

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus

Extrem missverstanden Fünf Jahre und 24 Kolumnen später stehe ich beim Tierarzt, der mir gerade erklärt, dass er bei Gott kein Feminist ist, aber dass Katzenweibchen »Queens« genannt werden, findet er schon würdig und recht. »Ich bin aber schon Feministin«, kontere ich jetzt, weil ich schlagfertiger geworden bin und mir der Tierarzt sicher keine schlechte Note eintragen kann. Und weil ich finde, dass keine Person das Gefühl haben sollte, sich von dem Begriff Feminismus distanzieren zu müssen, bevor sie eine positive Aussage über Frauen (oder Katzenweibchen) tätigt. Nicht nur, weil ohnehin noch lang kein Feminist ist, wer manchmal auch etwas Nettes über Frauen zu sagen hat. Sondern weil Feminismus noch immer oft als extreme Einstellung missverstanden wird, obwohl es das Gegenteil von extrem ist, simple Chancengleichheit für alle Menschen zu fordern.

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Mein Tierarzt kennt meine Katze gut, weil sie ironischerweise dauerrollig und ständig auf der Suche nach der Aufmerksamkeit eines Katers ist, auch wenn ich ihr immer wieder erkläre, dass sie ihr Lebensglück doch bitte nicht von einem Mann abhängig machen soll; vor allem nicht, wenn das bedeutet, dass sie mir die ganze Wohnung vollpinkelt, um ihre Paarungsbereitschaft zu signalisieren. Mein Tierarzt jedenfalls schien mir immer sympathisch und grundvernünftig. Jetzt murmelt er irgendwas von »Feminismus hat den Gentleman getötet«.

Maximal Pseudomitleid Sein Argument gegen den Feminismus geht ungefähr so: Weil überall nur noch emanzipierte Spaßverderber*innen herumlaufen, liegen ihm die Frauen nicht mehr zu Füßen, wenn er ihnen großmütig die Tür aufhält. Das ist jetzt natürlich total übertrieben formuliert, aber auf derartige vermeintliche Nachteile einer feministischen Grundhaltung kann ich einfach nicht mehr anders reagieren als mit genervt-­ zynischem Pseudomitleid. Wer (dezidiert) Frauen die Tür aufhalten möchte, tut das ja nicht aus reiner Selbstlosigkeit, sondern erwartet sich meistens Dankbarkeit oder ein sympathisches Lächeln als Gegenleistung. Nun ist es aber so, dass ich mit meinen starken Spaßverderberinnenarmen ganz wunderbar und problemlos die Tür selbst öffnen kann. Ich brauche keine wortwörtlich aufgehaltenen Türen, wenn mir die metaphorischen Türen nicht offenstehen. Dankbarkeit und ein sympathisches Lächeln gibt es bei mir eher für Dinge, bei denen ich tatsächlich Unterstützung benötige, nämlich gleiche Rechte, gleiche

Bezahlung, gleiche Chancen, faire Repräsentation in den Medien und Wissenschaften; und außerdem, I dunno, nicht Angst davor haben zu müssen, umgebracht zu werden, und die Freiheit für alle Menschen, so zu sein, wie sie wollen, unabhängig von veralteten Normen und Geschlechterrollen. Zum Beispiel. Dankbar bin ich auf jeden Fall für den Platz, den The Gap und seine Chefredakteur*innen und Herausgeber seit vielen Jahren für diese Anliegen zur Verfügung stellen. Weil so etwas noch immer nicht selbstverständlich ist in einer Medienlandschaft, in der sich sogar die als nicht so konservativ geltenden Zeitungen mit allen Mitteln gegen eine inklusive, zeitgemäße Sprache wehren. Wenn an dieser Stelle ab der nächsten Ausgabe eine neue Person übernimmt, wird sie diesen Platz ganz bestimmt dafür nutzen, mannigfaltige feministische Themenkomplexe zu beleuchten und auch intersektionale Aspekte aufzuzeigen, die an den Schnittstellen zu angrenzenden Diskursen stehen. Ich freu mich schon aufs Lesen. exner@thegap.at @astridexner

Foto: © stadt wien marketing GmbH, Herbert Zotti

Als diese Kolumne 2016 zum ersten Mal erschien, nahm ich mir vor, nahbar und niederschwellig über feministische Themen zu schreiben, die mein Umfeld beschäftigen. Die Kolumne war für mich auch ein willkommener Ausgleich zum Masterarbeit-Verfassen. Denn damals hatte ich Word hauptsächlich offen, um den Abschluss meines Studiums zu beschleunigen. Umgekehrt inspirierte das Studium dann auch einmal den Inhalt dieser Seite, als meine Professorin eine Anekdote zum Weltfrauentag erzählte und sie mit den Worten »Ich bin bei Gott keine Feministin« einleitete. Sie war bei Gott keine Feministin, aber dass sich zum Weltfrauentag Italienerinnen gegenseitig Blumen schenken, fand sie einfach schnuckelig.

Michael Exner

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Gender Gap Danke für die Blumen

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Michael Exner

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Charts David Scheid TOP 10

Elis Noa © Vilma Pflaum

Reaktionen nach einer Kabarettvorstellung 01 Wenn’s ned ziagt, afoch no a Scheiffal nochlegen, wie da Kulis. 02 Meinem Enkel hätte das sehr gut gefallen. 03 Machen Sie das alles live? 04 Bist du wirklich DJ? 05 Gibt es eigentlich auch ein »Dave«-Liveprogramm? 06 Möchtest du mitrauchen? 07 Der Todesblick einer ÖVP-Bürgermeisterin in OÖ 08 Im Fernsehen schaust gar nicht so blad aus. 09 Aufforderung zum Freestyle-Battle 10 Ich habe nur die Hälfte verstanden.

TOP 03

Turtablists 01 Roc Raida (R.I.P.) 02 Mix Master Mike 03 DJ Brace Auch nicht schlecht: Unkrautzupfen David »Dave« Scheid ist Rapper, DJ und Kabarettist. Sein neues Solo­ programm feiert im September Premiere im Kabarett Niedermair.

Festival

City Sounds Charts Gazal

02 – 04/09/21 Do

SFYA Monsterheart Pauls Jets

Fr

Pixar-Filme 01 »Toy Story« 02 »Alles steht Kopf« 03 »Oben« 04 »Findet Nemo« 05 »Das große Krabbeln« 06 »Ratatouille« 07 »Coco« 08 »Die Unglaublichen« 09 »Wall-E« 10 »Findet Dorie«

Elis Noa At Pavillon Hearts Hearts

Sa

TOP 10

Aze Strandhase Anger

TOP 03

Jan Frankl, Gazal

Nervigste Geräusche 01 Schmatzen 02 Kauen 03 Schlürfen Auch nicht schlecht Frisch geduscht in frisch überzogenes Bett steigen. Mmmh. Die Wiener Rapperin Gazal, geboren in Teheran, aufgewachsen in Oberösterreich, arbeitet zur Zeit an ihrem Debütalbum »Irgendwann«. Zuletzt erschienen: »Regenbogenlove« und »Oyna (feat. Nike 101)«.

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Playtime Zeitreisen in Romanform mit Barbi Markovic

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Das trifft sich gut. Auch weil Marković noch fertig packen muss, wie sie erzählt. Es geht am nächsten Tag nach Lüneburg. Als Heinrich-Heine-Stipendiatin wird sie knapp einen Monat im Elternhaus des Dichters leben und schreiben. »Heine zog sich nach Lüneburg zum Schreiben zurück, weil – wie er sagt – die Stadt so langweilig ist, dass einen hier nichts ablenkt.«

Heine und die Folgen Zurück nach Wien: Die Altbauwohnung, die den Kulturverein ada beherbergt ist im Heine’schen Sinn eine Art Anti-Lüneburg auf gut 90 Quadratmetern. Seit 2016 hat sich hier, mitten in Ottakring, ein Ort für Kunst und Kultur etabliert, an dem regelmäßig Ausstellungen, Performances und Lesungen abgehalten werden. Trotz letztlicher Zwangspause sind diese Spuren präsent. Ein riesiger, halbierter Globus hier, eine Collage dort. »In dieser Wohnung lebte bis zu ihrem Tod eine über 100-jährige Frau. Vieles von den Möbeln hier ist noch von ihr, man hat nichts renoviert«, erzählt Marković. Gut zu wissen. Das erklärt nämlich die Fototapeten, die sich in die Wand gefressen haben. Den Einbauschrank aus den 1950erJahren in der Küche / Bar, bei dem die einst dicke, weiße Lasur abblättert. Und irgendwie auch den präsenten Geruch nach alter Dame,

Jana Sabo

In »Die verschissene Zeit« experimentiert Barbi Marković mit literarischen Zugängen und formt aus einem Rollenspiel einen Roman, der ins Belgrad der 1990er-Jahre führt. Ein aberwitziger Timetravel-Trip in nicht unbedingt herrliche Zeiten. ———— Wenn man Ideen nicht ordentlich bis zum Ende durchdenkt und trotzdem artikuliert, kommt üblicherweise ein Schas raus. Zumindest aber hinterlässt es keinen Eins-a-Eindruck. Ein Praxisbeispiel: Barbi Marković hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt »Die verschissene Zeit« und spielt im Belgrad der 1990er-Jahre, der Heimatstadt der Autorin, die mittlerweile seit über 15 Jahren in Wien lebt. Keine besonders gut durchdachte Idee ist es jetzt, Marković an öffentliche Wiener Orte zu Foto- und Interviewtermin lotsen zu wollen, die an Belgrad erinnern. Die gibt es, schließlich kursiert seit Jahrhunderten in der Stadt das geflügelte Wort, dass der Balkan am Rennweg beginnt, aber so richtig aufgehen will diese Gedankensaat jetzt nicht. Da fehlt irgendwie eine Ebene. Zum Glück verfügt Barbi Marković aber über eine gute Portion Diplomatie, das so nicht direkt anzusprechen: »Wir müssen doch nicht Belgrad simulieren. Gehen wir doch einfach zum Kulturverein ada. Ich wohne ganz in der Nähe und man hat dort eine gleich trashige Atmosphäre – wie in Belgrader Lokalen.«

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Barbi Marković mutet ihren Roman­figuren in »Die verschissene Zeit« einiges zu.

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»Wenn ich mir die Entstehungs­ geschichte des Romans anschaue, steht am Anfang eigentlich eine Copyright-Verletzung. Wieder einmal.« — Barbi Marković

den selbst mehrjährige Kunstbetriebsamkeit noch nicht zu übertünchen imstande war. Eine Zeitreise, optisch und olfaktorisch. Das trifft sich gut, schon wieder, denn in Barbi Markovićs neuem Roman »Die verschissene Zeit« reisen drei Belgrader Jugendliche durch die Zeit. Genauer: durch die 1990er-Jahre. Dabei versuchen sie einiges gerade zu biegen, was die Geschichte, respektive Politik, Wirtschaft und Menschen so verkackt haben.

Zeitreise Wobei, ganz so einfach wie das jetzt klingt ist, es auch wieder nicht. Die drei Zeitreisenden, das Geschwisterpaar Marko und Vanja, das sich nicht sonderlich gut verträgt, und die gemeinsame Freundin Kasandra, stigmatisierte Außenseiterin aus der Roma-Siedlung, müssen sich erst zusammenraufen. Mitwisser und Verbündete gibt es kaum, und wenn, kochen sie ihr eigenes Süppchen. Zudem werden die Wirren der Pubertät auch nicht einfacher, wenn man plötzlich in der Zukunft, im eigenen älteren Körper, mit dem Bewusstseinsund Wissensstand der Gegenwart erwacht. Oder in der eigenen Vergangenheit und dann unangenehme, biografische Schlüsselszenen

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noch einmal durchlebt, um dann auch noch die Zukunft zu ändern. »Ich wollte von einem befreundeten Physiker wissen, ob es peinlich ist, wie ich das Thema Zeitreise anlege. Er hat nur gesagt, dass sich Autor*innen immer sehr ins Zeug legen, um ein Zeitreisekonzept zu kreieren, das hält. Aber trotzdem ist immer alles falsch. Deswegen kann man eigentlich machen, was man will«, fasst Marković die erhaltene Expertise zusammen und ergänzt verschmitzt: »Ein Ansatz, der mir sehr gut gefallen hat.« Der Zeitreiseaspekt ist aber ohnehin nur eine Art Trägerrakete für den sehr vielschichtigen, hakenschlagenden Plot, der sich immer wieder als gewiefte Hommage ans Aufwachsen und Leben im Belgrader Vorstadtkosmos der 1990er-Jahre und schwarzhumorige Milieustudie entpuppt. Geschickt werden darin Reminiszenzen an die Popkultur jener Tage eingewebt, die aber frei von Erinnerungskitsch und verklärtem Blick sind. Ein antinostalgischer Erinnerungsroman, bis zur Karikatur überdreht und dennoch von eigenartig vertrauten Figuren bevölkert, die liebevoll bösartig durch Raum und Zeit gehetzt werden. Marković haut also in ihrem Roman, den sie erstmals komplett auf Deutsch verfasst

hat, ordentlich auf den Putz. Auch sprachlich, wenn sie Kasandra, eine ihrer drei Held*innen der Handlung, die herrlichsten Schimpf- und Fluchtiraden in den Mund legt – oder einfach nur Vorstadtganoven der unterschiedlichsten Härtegrade spuckend und fluchend auf- und abtreten lässt. »Einige der Typen, die im Roman vorkommen, gibt es wirklich«, erklärt Marković, danach gefragt, wie realitätsnah ihre Charaktere denn so sind.

Von der Rolle Abgesehen davon schöpfte Marković, die 2017 beim Bachmann-Preis-Wettbewerb in Klagenfurt mitgemacht hat, aber auch aus anderen Quellen: »Die Idee zum Buch hatte ich, als ich gemeinsam mit Freunden ›Dungeons & Dragons‹ spielte. Ich wollte den Anwesenden etwas über die 1990er-Jahre erzählen«, verrät die Autorin. Dabei ist ihr aufgefallen, dass sie über dieses Jahrzehnt wie über eine FantasyWelt erzählt. »So kam mir der Einfall, ein privates Rollenspiel aus meiner Erinnerungswelt zu machen.« Die Regelmechanik dafür borgte sie sich kurzerhand vom schwedischen IndieRollenspiel »Tales from the Loop«. Das Spiel basiert auf einer Graphic Novel über zeitreisende Teenager vom Schweden Simon Stålen-

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Ritt durch die Zeit

Jana Sabo

hag und wurde 2020 auch von Amazon Prime als Serie veröffentlicht. »Ich sah darin das perfekte Tool für mein Erinnerungsprojekt, das ich zu Papier bringen wollte.« Marković adaptierte das Rollenspiel für ihre Zwecke, ließ aber das Regelwerk vom Autorenkollegen Thomas Brandstetter neu ausarbeiten. Das Spiel »Die verschissene Zeit« war geboren. Und von da war es nur noch ein kurzer, konsequenter Schritt zum Buch. Mitunter ließ sie sogar Ideen, die beim Spielen im Freundeskreis entstanden sind, in ihren Roman einfließen. »Wenn ich mir die Entstehungsgeschichte des Romans anschaue, steht am Anfang eigentlich eine Copyright-Verletzung. Wieder einmal«, zeigt sich die 41-Jährige ein wenig amüsiert und spielt damit auf den Anfang ihrer schriftstellerischen Karriere an. Als die damalige Germanistikstudentin und Verlagslektorin 2006 aus Thomas Bernhards Erzählung »Gehen« einfach ein »Ausgehen« machte, den Stoff ins Serbische übersetzte und ins Belgrader Nacht- und Clubleben verlegte, war der Suhrkamp Verlag nicht gerade erfreut. Als dann die Autorin und Übersetzerin Mascha Dabić drei Jahre später den Text ins Deutsche zurückholte, bedurfte es noch

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Das muss man sich auch einmal vorstellen. Da ist man 13, das Leben in vielerlei Hinsicht eine mühsame Trübsal, und man wacht morgens in einem völlig unbekannten Zimmer auf. Und zwar vier Jahre später, im eigenen (leicht) gealterten Körper, geistig aber noch immer 13. Schlimm? Ja. Und es wird auch nicht wirklich besser. Es ist nämlich 1999 und im Laufe des Aufenthalts in der Zukunft findet man heraus, dass ein Abtreibungstermin ansteht, klaut den Porsche eines lokalen Capos, jagt ein mysteriöses Krokodilsamulett, um – soviel weiß man – diese schlimme Zukunft, in der ein Krieg plötzlich zum Alltag gehört, zu verlassen und am besten zu verändern. Dass man dazu mit dem verhassten Junkie-Bruder und seiner nicht immer ganz einfachen, leicht aufbrausenden Freundin kooperieren muss, macht das Unterfangen auch nicht einfacher. Barbi Marković mutet ihren Romanfiguren in ihrem aktuellen Buch »Die verschissene Zeit« einiges zu – da sind die Zeitsprünge durch die 1990er-Jahre eines sich auflösenden Ex-Jugoslawiens noch die kleinste Herausforderung für ein Belgrader Time-Travelling-Trio. Der Roman, entstanden aus einem Rollenspiel, dessen gut 50 Seiten starkes Regelwerk ein ergänzendes Element im Buch bildet, ist eine vielschichtige Tour de Force durch einen Teufelskreis aus Armut, Gewalt, Inflation, Drogen und neuen Technologien. Das merkt man auch in der durchaus originellen Erzählperspektive, eines auktorialen, (einigermaßen) zuverlässigen Erzählers, der – irgendwie ganz Spielleiter – den Leser*innen die Sicht der 13-jährigen Vanja aufs Auge drückt. Marković gelingt ein gut durchdachtes Erinnerungsstück, gespickt mit popkulturellen Referenzen und völlig überzeichneten Hommagen an Kultur, Jugend und Leute in einem Stadtviertel, das auch ohne Krieg ein hartes Pflaster ist. Pralles Leben also – zwischen Mafia, kleinen Gaunern, Drogen und Gewalt –, das überzeichnet und mit Liebe zur Karikatur, eine merkwürdige Dekade wiederauferstehen lässt und irgendwie einlädt, spielerisch nicht nur diese Geschichte neu zu schreiben.

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»Die verschissene Zeit« von Barbi Marković

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einmal intensiver Überzeugungsarbeit. »Ich hatte Glück und es gab viele Zufälle, aber letztlich landeten Übersetzung und Text wieder bei Suhrkamp und wurden dort verlegt«, erinnert sich die Autorin.

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Bernhard-Schleife So richtig begeistert ist sie trotzdem nicht, wenn man sie noch immer (oder immer wieder) auf Thomas Bernhard anspricht. Darum gibt’s feine Ironie, wenn man fragt, was sie mit dem Autor, der heuer 90 Jahre alte geworden wäre, verbindet und assoziiert: »Entgegen allen Empfehlungen hat sich herausgestellt, dass sich Thomas Bernhard besonders gut als Lektüre eignet, wenn man Deutsch noch nicht gut kann. Er wiederholt ja alles hunderttausend Mal.« Deswegen sei an dieser Stelle jetzt noch einmal wiederholt, dass ein Eintauchen in Markovićs (Erinnerungs-)Kosmos dringend empfohlen ist. Insbesondere dann, wenn man Texte schätzt, die neue Wege gehen und trotzdem Raum lassen für mehr als nur Interpretationen: »Ich mag Spoiler, deswegen kann ich es ja sagen. Das Ende meines Romans ist schon so konzipiert, dass es Leser*innen unzufrieden zurücklassen könnte. Aber das Regelwerk für das Spiel ›Die verschissene Zeit‹ findet sich gleich im Anschluss. Es kann also jeder selbst in die 1990er zurückreisen und die Geschichte umschreiben.«

»Das Ende meines Romans ist schon so konzipiert, dass es Leser*innen unzufrieden zurück­ lassen könnte.« — Barbi Marković

»Die verschissene Zeit« von Barbi Marković erscheint am 21. August im Residenz Verlag. Die Buchpräsentation findet voraussichtlich am 12. Oktober im Literaturhaus Wien statt.

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Jana Sabo

Das wäre jetzt ein schönes Schlusswort, wenn nicht schon wieder so eine Idee aufgetaucht wäre, die schneller artikuliert als durchdacht war. Ist das denkbar, Lesung und Spieleabend zu kombinieren? Nur so, falls man ein dringendes Bedürfnis nach einem neuen Ende gleich direkt vor Ort verspürt. Barbi Marković befördert die Frage wieder diplomatisch dorthin, wo sie hingehört: »Nein. Absolut nichts auf dieser Welt ist langweiliger, als anderen Menschen bei einem Rollenspiel zuzusehen. Das muss man getrennt halten, obwohl es zusammengehört.« Game over und Fortsetzung folgt. Manfred Gram

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LANG LEBE AUX.

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MUSIKFERNSEHEN IST TOT.

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Golden Frame Zeitgenössische Kunst im angemessenen Rahmen

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Sara Lanner: »Mine« © Elsa Okazaki The_Gap_188_012-047_Story_Gesamt_BBA_korr_mf.indd 19

Am 1. September verleiht der Kunstraum Niederoesterreich zum 15. Mal den H13 Niederösterreich Preis für Performance. Diesjährige Gewinnerin ist die interdisziplinäre Künstlerin Sara Lanner, die mit ihrem beeindruckenden Werk »Mine« den gesellschaftspolitischen Nerv der Zeit trifft. ———— Sara Lanners intellektuelle und kreative Heimat ist die Auseinandersetzung mit Körpern. Sie studierte zeitgenössischen Tanz und Tanzpädagogik an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz sowie bildende und performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. Neben ihrer Arbeit als Performancekünstlerin unterrichtet sie und hält Workshops in zeitgenössischem Tanz, Partnering, Modern Dance, Choreografie und Komposition. Der performative Austausch, das »Mining« von Informationen ist dementsprechend etwas, das im Zentrum ihrer Kunst steht. Auf dieser Grundlage inszeniert Lanner das vieldeutige Performanceprojekt »Mine«, das mittels choreografischer Elemente den Begriff des »Mining« untersucht. Dabei stehen der Abbau von Rohstoffen, als direkte Übersetzung des Begriffs, sowie dessen globale Zusammenhänge und Auswirkungen im Fokus. Der Kunstraum Niederoesterreich spricht von einer »soziologischen Studie, die dem Publikum den Kreislauf heutiger Extraktionsprozesse vergegenwärtigt und die westliche Gesellschaft als Endverbraucherin einer fortschrittlich gemeinten Kultur hinterfragt.« Ökologische Perspektiven und der gewaltvolle Vorgang des »Mining« stellen jedoch nur eine Seite des ausgezeichneten Werks dar. Auf anderer Ebene handelt die Performance vom zwischenmenschlichen Momentum, von der Entstehung von Gedanken und Erinnerungen und vom Spannungsfeld des Informationsaustausches. Mit Performer Costas Kekis erforscht Lanner die Extraktion, die Umschichtung, Abhängigkeiten und die Suche nach non-invasivem Austausch zwischen Körpern. Die vierköpfige Jury des Performance-Preises H13 sieht in dieser Perspektive eine tiefgründige Abhandlung zeitgenössischer Kontexte: »Sara Lanners Projekt ›Mine‹ befasst sich mit grundlegenden Fragen unserer Beziehung zur Welt: Mining, auf Deutsch am ehesten mit Bergbau übersetzbar, begegnet uns in der alltagssprachlichen Verwendung vielerorts. Beim Data-Mining werden Informationen gewonnen, Kryptowährungen müssen ›gemined‹ werden und nicht zuletzt in unserem Verhältnis zu unserer organischen und anorganischen Umwelt bauen wir ab, schürfen oder extrahieren Rohstoffe. Inwiefern handelt es sich bei diesen Abbauprozessen um Einbahnstraßen, um reine Extraktionen mit drastischen Auswirkungen auf unsere Umwelt? Kann Mining auch von Körper zu Körper stattfinden, in einem wechselseitigen Austausch? Sara Lanners Performance […] eignet sich die – für unsere Gegenwart höchst relevanten – Bedeutungswelten des Bergbaus sowohl metaphorisch als auch durch konkrete Materialstudien an.« Fee Louise Niederhagen

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»Mine« von Sara Lanner Ausgezeichnete Performance

Die Performance »Mine« und die Verleihung des Performance-Preises H13 finden am Mittwoch, den 1. September, im Kunstraum Nieder­oesterreich statt. Die begleitende Ausstellung ist dann bis 11. September zu sehen.

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Arbeitet nach »Braunschlag«, »Altes Geld« und »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« wieder im Serienformat: David Schalko

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Pertramer / Superfilm

Kein Mensch ist eine Insel. In seiner neuesten Serie geht Regisseur und Autor David Schalko auf Spurensuche nach dem eigentlichen Wesen unserer von Individualismus geprägten Gesellschaft. Im Interview spricht er über die Krux der Selbstentfaltung, den aktuellen Streamingmarkt sowie seine neue Rolle als Direktor der Thomas Bernhard Gesellschaft. ———— Was, wenn wir unser Leben nach Belieben abändern könnten? Jedes Mal die Karten neu mischen würden? Aber nicht wie jeder andere Mensch auch, durch Arbeit am eigenen Verhalten, sondern indem man das Verhalten der anderen mittels Wünschens anpasst. In dieser Situation befindet sich Tristan (Tom Schilling), als er eines Tages mit der Feststellung aufwacht, dass er sich seine Umwelt so zurechtwünschen kann, wie er sich das vorstellt. Ob nun alle alles über ihn wissen oder jeder immer die Wahrheit sagen muss – es ergeben sich ständig neue Konstellationen und Herausforderungen, die Tristans Alltag bald auf manische Gipfel der Absurdität treiben. Zu diesem Cocktail aus Existenzanalyse, Empathieforschung, Exzentrik und ScienceFiction serviert Autor und Regisseur David Schalko auch die eine oder andere brennende Frage. Wer sind wir wirklich? Wer glauben wir zu sein? Und wo verläuft die feine Linie zwischen Altruismus und Ego? Mit dabei auf dieser Suche nach Antworten – oder zumindest Denkanstößen – sind Charakterschauspieler*innen wie Tom Schilling, Lars Eidinger, Mavie Hörbiger, Michael Maertens, Katharina Schüttler oder Ramin Yazdani. Wie bist du auf die Idee für die Serie gekom­ men? Was war der auslösende Urknall? david schalko: Es war gar nicht so sehr ein Urknall. Ich habe vor ein paar Jahren mal eine Folge für mich selbst geschrieben und sie dann ein Jahr liegen lassen. Eine Idee an

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sich ist ja etwas sehr Einfaches, aber das war schon etwas sehr Komplexes, und das hat erst wachsen müssen. Dann hat sich das Thema in einem zufälligen Gespräch mit Sky ergeben. Am Anfang habe ich mir gedacht, dass die das nicht machen wollen – aber dann wollten sie doch. Es war daher eine relativ unbeschwerte Geschichte. Was für solche Projekte wahrscheinlich ganz gut ist, sonst kommen sie ohnehin nicht zustande.

»Die Ängste der westlichen Gesellschaft haben sehr viel mit Verlust­ängsten zu tun.« — David Schalko Wiederkehrende Themen sind Isolation, Entfremdung und die Ich-AG. Sind das Phä­ nomene unserer Zeit, funktionieren wir nur in Abhängigkeit von anderen? Oder ist das ein ewiger Zyklus? Ich glaube, wir waren nie von den anderen getrennt. Dieser Individualismus, der sich losgelöst von den anderen als Insel versteht, das ist doch ein Phänomen der Neuzeit. Das hat auch sehr viel mit unserer Gesellschaft zu tun, unter anderem mit der individuellen Entfaltung, die übertrieben ausgerufen wurde in den letzten Jahrzehn-

ten. Aber auch natürlich mit Social Media, die das Pervertieren dieser Selbstentfaltung sind, wo man die anderen nur noch als Statisten im Leben wahrnimmt. Und natürlich auch mit der Leistungsgesellschaft, wo der eine immer besser sein muss als der andere und ständig dieser Wettbewerb entsteht.

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»Wir sind weniger individuell, als wir glauben« David Schalko im Interview zu »Ich und die Anderen«

Was ist denn das Problem der Selbstent­ faltung? Ich glaube, dass wir weniger individuell sind, als wir meinen. Oder dass wir uns für wahnsinnig wichtig nehmen und deswegen auch so ein großes Problem mit Vergänglichkeit haben. Die Ängste der westlichen Gesellschaft haben sehr viel mit Verlustängsten zu tun. Die entstehen immer dann, wenn man an etwas sehr haftet und alles festhalten will. Die Hauptfigur sagt immer, es soll um ihn ge­ hen, aber er kann dann doch nicht ohne die anderen. Wo liegt denn hier die Wahrheit? Die Frage ist ja, was das Ich ist. Definiert sich das Ich auch darüber, wie man von anderen gesehen wird? Oder wie man glaubt, dass man von anderen gesehen wird? Das Ich spiegelt sich immer in den anderen, was es sehr stark vom Ich-Gefühl unterscheidet. Das trennt, verbindet einen aber auch mit den anderen. In der Serie geht es sehr stark um Empathie, was das überhaupt ist, und in welcher Verbundenheit wir zu den anderen stehen. Ich glaube nicht, dass man das Ich nur als »Hier bin Ich und dort sind die anderen« definieren kann, sondern dass alles zusammenhängt. Du hast dich schon öfters mit komplexen menschlichen Befindlichkeiten ausein­ andergesetzt, unter anderem in »Braun­ schlag«, »Altes Geld« oder »M«. Was ist für dich der Reiz daran, genau diese Themen aufzugreifen?

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Die Serien sind sehr unterschiedlich. Während es in »Braunschlag« sehr stark um Gier, Katholizismus und ländliche Strukturen geht, in »Altes Geld« um Superreiche und in »M« um eine gesamtgesellschaftliche Depression, geht es ja hier um existenzphilosophische Dinge. Die Kultur, in der diese Serie spielt, ist eine globalisierte Kultur, die es überall gibt. Diese Art von Kaffeehäusern, diese Art von Büros, die könnten genauso in Hong Kong sein oder in Paris. Ich glaube, das trifft eine wesentliche Frage, die sehr aktuell ist. Wir stellen das Ich über alles. Deswegen ist die Erzählperspektive eine völlig andere als in den anderen Serien, weil sie sich perspektivisch auf einen Darsteller konzentriert. Es gibt fast kein Bild, in dem der Hauptdarsteller nicht zu sehen ist. In der Serie gibt es Musical, es gibt ScienceFiction, ist das ein Stream of Consciousness, den du da niedergeschrieben hast, oder wolltest du mehrere Genres verbinden? Nein. Diese Genres, die da zitiert werden, ergeben sich eigentlich aus einem Diskurs zu den Thematiken. Jede Folge steht unter einer Prämisse, und ich versuche da sozusagen die verschiedenen Aspekte dieser Prämisse in eine Handlung einzubetten, die sehr viel von einer Simulation hat, in der alles möglich scheint. Fast als würde alles im Kopf unseres Protagonisten stattfinden. Ich habe mich für die Serie sehr stark mit Empathieforschung beschäftigt. Der Versuch ist, all diese Aspekte einzuarbeiten. Einerseits soll die Serie leicht sein, unterhaltsam, gleichzeitig aber auch komplexe Themen abarbeiten. Einer der wiederkehrenden Sprüche ist »Protect me from what I want«. Das Wün­ schen ist ein ganz altes Thema – ob man jetzt Faust nimmt, oder die »Bedazzled«Filme, da ist ja immer eine Gefahr oder ein Trickster-Element dabei. Sollen wir wün­ schen? Und wenn ja, wie?

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»Protect me from what I want« ist ein berühmtes Zitat der Künstlerin Jenny Holzer. Es gibt auch einen Kunstzusammenhang in der Serie, der angedeutet ist, der dann aber erst in der zweiten Staffel eine größere Rolle spielt. Das mit dem Wünschen ist ja immer die Erwartung, die wir ans Leben haben. Die Schere zwischen Erwartung und dem, was tatsächlich passiert. Also frei nach Oscar Wilde: »Das Einzige, was schlimmer ist als die unerfüllten Wünsche, sind die erfüllten Wünsche.« Ich glaube, dass Wünsche am Ende immer anders aussehen in der Erfüllung, als man sich denkt. Die Grundfrage ist immer: Ist das Wunschlose glücklicher oder das ständige Wünschen­wollen? Es gibt da ein jüdisches Sprichwort, das ganz gut in den Zusammenhang passt: »Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm deine Pläne.« Es klingt ja nach dem Klischee vom auto­ biografischen Protagonisten, aber: Wie viel Überlegungen und Ängste von David Schal­ ko stecken in der Figur? Klischees sind ja nichts Schlechtes, weil Klischees ja durch die Wiederholung wahr werden. Deswegen sind es ja Klischees. Jeder Mensch, der schreibt, verarbeitet autobiografische Dinge in dem, was er schreibt. Man recherchiert am meisten an sich selbst oder an Leuten, die man gut kennt, oder an dem, was man beobachtet. Das ist eine subjektive Beobachtung und damit quasi schon autobiografisch. Aber es ist jetzt nicht so, dass hier konkrete Situationen aus meinem Alltag wiederholt werden. Du arbeitest für dein nächstes Projekt ge­ rade an einer Serie über das Ibiza-Video. Was kann man da schon verraten? Da kann man gar nichts verraten, weil das ist alles noch im Entwicklungsstadium. Wir sind noch in der Buchbearbeitung und lassen uns da auch Zeit. Das, was wir vorhaben, soll ja nicht aktuell sein, sondern etwas Zeitloses.

Es spiegelt einen Zustand der Politik wider, der sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern wird. Unabhängig davon, ob es den Herrn Strache gibt oder nicht. Der steht ja auch nur als Variable für ein politisches Milieu und ist kein Einzelfall. »Ich und die Anderen« erscheint als Strea­ mingangebot. Wie siehst du, vor allem nach der Online-Übersättigung während Coro­ na, die gegenwärtige Lage am Streamingbeziehungsweise Serienmarkt? Was ich im Gespräch mit Streaminganbietern beobachte, ist, dass sehr schnell etwas gesucht wird. Die Schnelligkeit steht sehr im Vordergrund, aber auch die Quantität, weil man gezwungen ist, jede Woche eine neue Serie rauszuschießen. Dadurch beginnt das Erzählsystem eine Redundanz zu entwickeln, auch wenn es auf einem sehr hohen Level produziert ist. Gleichzeitig fehlt oft der Mut, neue Dinge auszuprobieren, weil natürlich der Druck wächst, gegenüber der Konkurrenz die Marktanteile zu halten. Es entsteht eine Art Sicherheitsgefüge, indem man sich auf die Rezepturen verlässt, von denen man sich sicher ist, dass sie funktionieren. Der Geschmack und die Sehgewohnheiten des Publikums bestimmen aber auch, was programmiert wird. Natürlich, ein Streaminganbieter ist ja dem Wettbewerb ausgeliefert. Aber die Denkweise ist im Wesentlichen anders als bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Diese sind teilweise sehr konservativ, weil sie versuchen, ein ländliches Publikum zu halten. In Deutschland versuchen die Sender aber inzwischen wieder radikalere Inhalte zu produzieren, um die Jungen zu kriegen. Du bist seit Kurzem auch der Präsident der Thomas Bernhard Gesellschaft. Wie siehst du deine Rolle dort und was willst du er­ reichen?

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Wenn jeder Wunsch in Erfüllung geht: Tristans (Tom Schilling) Alltag wird in »Ich und die Anderen« auf manische Gipfel der Absurdität getrieben.

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Pertramer / Superfilm

Bei der Thomas Bernhard Gesellschaft geht es vor allem darum, dass der Nachlass von Thomas Bernhard einen guten Ort bekommt, um der Bedeutung Bernhards angemessen zu sein. Wir verhandeln mit dem Bund und dort sind alle sehr gewillt, dass das relativ flott über die Bühne geht. Das ist mein erstrangiges Ziel und sicher auch das wichtigste. Was verbindet dich persönlich mit Bern­ hards Arbeit? Was mich persönlich mit Bernhard verbindet, ist, dass wir uns wahrscheinlich beide an der österreichischen Mentalität und Gesellschaft reiben, die etwas sehr Doppelbödiges hat, teilweise auch etwas sehr Verlogenes oder Heuchlerisches. Wofür ich Bernhard immer bewundert habe, ist seine Kompromisslosigkeit und seine Unbestechlichkeit. Ich glaube nicht, dass es ihm besonders wichtig war von irgendjemandem geliebt zu werden für das, was er geschrieben hat. Er hat seine Arbeit als etwas Unberührbares, Unantastbares empfunden. Was ja sehr stark im Widerspruch zu Stre­ amingbedürfnissen steht. Kann man am meisten bewegen, wenn man kompromiss­ los ist?

Die Grundfrage ist: Ist das Wunschlose glücklicher oder das ständige Wünschenwollen? — David Schalko Das Kompromisslose liegt ja an einem selbst und nicht an Verlagen oder Streaminganbietern. Der Suhrkamp Verlag war ja auch nicht immer kompromisslos, Thomas Bernhard war kompromisslos – das ist der Unterschied. Und es gibt auch bei Streaminganbietern oder Sendern immer Mondfenster, wo so etwas möglich ist. Ich versuche halt immer eines dieser Mondfenster zu erwischen. Ist es ein Künstler*innenlos, sich ein biss­ chen an der Gesellschaft zu reiben? Ich glaube, es gibt keine Rezeptur, was ein Künstler sein soll, und ich finde es auch vermessen zu sagen, was man erzählen soll und was nicht. Das Einzige, was zählt, ist die Susanne Gottlieb Freiheit.

Die Serie »Ich und die Anderen« von David Schalko ist ab 29. Juli 2021 bei Sky zu sehen.

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Interdisziplinäre Kunst ohne Masterplan Verena Dengler im Porträt

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Auf der Suche nach zeitgemäßen Formen des Punk: Verena Dengler

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von Bronzestatuen. Ende der 1990er gründete Dengler mit Freunden aus der IndieSzene den Plastic People Club im 16. Wiener Gemeindebezirk und beteiligte sich beim Fernsehsender True Image Vision an »Avantgarde-Punk-Sendungen«, wie sie sagt. Was sie und ihr Œuvre seitdem prägt, ist eine Form von Alltagsperformanz, die sich auf gänzlich unnostalgische Weise an die Mod-Kultur der 1960er anlehnt. Vom künstlerischen Konzept bis zur Wahl der Kleidung lasse sich sagen: »Das muss jetzt sein und es ist genau so gemeint«, erklärt Dengler.

Alle Ansätze vereint Sie sucht – und findet! – Dimensionen ihrer Kunst, die Bewegung zulassen. So sind ihre Arbeiten keinesfalls nur in den blanken Räumen der Museen beheimatet, sondern schmiegen sich als Theaterkostüme am Berliner Ensemble ebenso fein an, wie im Blockchain-Kontext. Inspiration für ihr künstlerisches Schaffen ist vor allem auch Christoph Schlingensief. Dengler: »Er hat so eine große Lücke hinterlassen. Schlingensief war immer ein großer Held von mir, sehr prägend.« Nicht nur in Bezug auf ihre Theaterarbeiten, sondern auch ihre bildende Arbeit erklärt sie, aufgrund dieses Einflusses etwas weiterführen zu wollen. Ihr Werk hat stets etwas Theatrales, das vom »SchlingensiefSpirit« beseelt zu sein scheint.

Und so kommt es, dass Dengler auf Grundlage ihrer jüngsten Ausstellung in der Wiener Secession 2020 mit »Die Galeristin und der schöne Antikapitalist« etwas geschafft hat, das all diese Ansätze vereint. Dabei handelt es sich um eine filmische Umsetzung einer ursprünglich literarischen Fortsetzungsgeschichte, einen virtuellen »Groschenroman«. Schauspielerin Astrid Meyerfeldt und Künstler Leon Kahane spielen den filmischen Part der Umsetzung kontaktlos via Skype. Als Erweiterung dieses interdisziplinären Werks übersetzt die selbsterklärte Krypto-Mod Dengler das Narrativ nun in NFT-Kunst, in diesem Fall Sammelkarten. NFT steht für »Non-Fungible Token« und ist gerade der letzte Schrei in der (digitalen) Kunstwelt. Dabei handelt es sich um einzigartige Dateien, zum Beispiel GIFs, die in Blockchains gespeichert werden. Diese NFTs existieren somit theoretisch nur ein einziges Mal, allerdings hindert nichts an der Vervielfältigung durch Screenshots oder Kopien – es sind dann einfach keine Originale mehr. Erwerben kann man diese digitalen Kunstwerke ausschließlich mit Kryptowährungen. Fee Louise Niederhagen

Ein Standbild aus einer dieser animierten Sammelkarten präsentiert Verena Dengler nun in unserer Rubrik »The Cut«. Die GIF-Version der »Galeristin« ist über die österreichische NFTPlattform Portal (www.prtl.art) erhältlich.

Eva Kelety

Aus einem Videoprojekt werden GIFs, die wiederum als NFTs veröffentlicht werden, die wiederum in Pixel-Art-Manier gedruckt werden – und zwar von uns. Die Wiener Ausnahmekünstlerin Verena Dengler arbeitet interdisziplinär und bespielt in dieser und den kommenden Ausgaben unsere Rubrik »The Cut«. ———— Verena Dengler ist Künstlerin, Autorin, Theatermacherin, Krypto-Mod und aufstrebendes Enfant terrible der Wiener Kunstszene. Es gibt wenig kreative Felder, auf denen sie sich nicht auf irgendeine Art und Weise zu bewegen weiß. Und das, obwohl die Hirschstettnerin ganz bewusst keinen »Masterplan« für ihr Leben verfolgt. Was sie stattdessen ausmacht, ist die Suche. Nach neuen Wegen, Perspektiven und Materialien – vor allem aber, nach »zeitgemäßen Formen des Punk«. Auf den ersten Blick legte Dengler eine ziemlich beispielhafte Künstlerkarriere hin: Ab 2001 besuchte sie die Wiener Kunstschule, 2003 wurde sie fließend an die Akademie der bildenden Künste übernommen. Mit der Bildhauerei entschied sie sich ganz bewusst für den »Schritt in die Dreidimensionalität«, obwohl sie zuvor hauptsächlich gezeichnet hatte. Heute zeigt sie ihre Objekte, Bilder, Texte und groß angelegten Installationen in den namhaftesten Museen am nationalen und internationalen Kunstparkett. Ihre künstlerischen Wurzeln liegen allerdings fernab des Kunst-Establishments und

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45 Jahre sind eine lange Zeit. Kannst du die Entstehungsgeschichte und die damit ge­ wachsene Struktur rund um eure Familie und das Festivalgelände zusammenfassen? juliane bogner: Gewachsen ist in diesem Zusammenhang das richtige Wort. Angefangen hat alles mit dem Jazz Pub im Ort, das immer noch besteht und ursprünglich das Wirtshaus des Großvaters gewesen ist. Mein Vater hat 1972 die Schule abgebrochen und wollte Miles Davis und andere große Musiker*innen der damaligen Zeit hören, allerdings fand er die üblichen Veranstaltungen und Fünf-Uhr-Tees unbefriedigend. Er wollte etwas Fetzigeres und so ist eine der frühen Diskos Österreichs entstanden. Damals wie heute ist eines unserer Mottos: »Wir haben’s versucht und wir versuchen’s noch ollawei.« Also, dass es reizvoll bleibt. Es war anfangs überraschend, wie gut die Disko läuft und die Nachfrage ist immer weiter gestiegen. Dann hat sich angeboten, nach draußen zu gehen und größer zu veranstalten. Also passierten Konzerte am Sportplatz oder im Obstgarten und auf Wiesen, die allesamt gut besucht waren. Bis wir dann eben die jetzige Location gefunden und ab 1976 ein beständiges Festivalgelände aufgebaut haben. Und wo hat die Reise auf musikalischer Ebene begonnen? Oder anders: Was hat so viele Menschen immer wieder nach Wie­ sen gebracht?

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Familienbetrieb Wiesen: Juliane Bogner blickt zuversichtlich in die Zukunft. Die ersten zehn Jahre waren von Jazz geprägt und ungefähr alle weiteren Dekaden kam etwas Neues dazu. Anfangs gab es nur einmal im Jahr ein Event, bei dem Zelt und Bühne extra aufgebaut wurden. 1985 fand das erste Reggae- und World-Music-Festival statt, wieder zehn Jahre später kam das erste Rock-Festival, nachdem Ewald Tatar (Barracuda, Anm. d. Red.) als DJ im Jazz Pub begonnen hatte. Dann das Urban Art Forms als elektronisches DanceFestival, nachdem mein Vater Christian Lakatos kennengelernt hatte. 1990 ist das Veranstaltungszelt als permanente Überdachung gebaut worden. Diese räumliche Struktur ist bis heute einzigartig. Ein Veranstaltungsort mitten in der Natur, halb Open-Air, mit Campingplatz und allen Anschlüssen, die es braucht. Wiesen war schon immer ein nationales und internationales Phänomen. Auch wegen des familiären Charakters, das strahlt natürlich auf das Publikum und die Artists aus. Wie geht es dem Festivalgelände und dem Jazz Pub aktuell und woran wird gerade gearbeitet? Wir sind die letzten eineinhalb Jahre ständig von Plan A auf Plan B umgeschwenkt und landeten dann bei Plan C. Dieses Jahr mussten wir etwas Sicheres auf die Beine stellen, bei dem das Publikum sitzen und zusehen kann, auch wenn Wiesen normalerweise von der Bewegung lebt. Deshalb kam für uns Kabarett ins Spiel, das sich für solche Formate eignet. Hinzu kommt das Artists, Drums and Fire als neue Veranstaltung – mit Percussions, Feuershow und Artist*innen. Außerdem noch

die Abschiedstournee von Opus am 26. August. Und wir starten als Familie eine Neuauflage des Jazzfest Wiesen, das die letzten Jahre nicht mehr stattfand. Unter dem Motto »Wow – Women of Wiesen« werden die nächsten drei Jahre des Jazzfests mit Schwerpunkt auf Acts mit Frauen im Mittelpunkt programmiert. Da werden großartige Künstlerinnen wie Rebekka Bakken oder Ida Nielsen dabei sein. Zweitere war sechs Jahre lang Bassistin von Prince, sie ist sehr funky. All das kann unter CoronaBedingungen stattfinden. Auch in Pandemiezeiten zeigen sich die Stärken von Wiesen: viel frische Luft, ohne wetterabhängig zu sein. Folgt die zukünftige Programmierung ei­ nem gewissen Konzept betreffend Musik oder auch Nachhaltigkeit? Wiesen war schon immer breit aufgestellt und uns ist wichtig, dass es bunt, multikulturell und respektvoll zugeht. Nachhaltigkeit ist uns ein wichtiges Anliegen, denn wir befinden uns mitten in der Natur und alle Veränderungen sollen der Umwelt möglichst nicht schaden. Wir haben schon seit den 90ern riesige Regenwasserauffangbecken, die die Klospülungen speisen. Außerdem thermische Solaranlagen, Photovoltaik und ein Shuttlebusservice. Wir erfüllen schon viel in Bezug auf Green Events und was noch fehlt, wird dieses Jahr angegangen, um noch heuer die Zertifizierung des österreichischen Umweltzeichens zu erlangen. Für nächstes Jahr sind dann auch wieder Festivals geplant, im August Reggae, im Mai Punk und auch Metal wird Platz finden.

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Seit 45 Jahren finden auf dem Veranstaltungsgelände in Wiesen Open-Air-Konzerte und Festivals statt, die Künstler*innen und Publikum aus nah und fern ins Burgenland locken. Wiesen steht gleichzeitig für Kontinuität und stetige Neuinterpretation. Von Beginn an wurde der Veranstaltungsort von der Familie Bogner betrieben und zu guten Teil auch programmiert. Mit jedem Jahrzehnt des weiteren Bestehens wuchs die musikalische Bandbreite sowie die technische Ausstattung am Gelände. Aktuell finden umfassende Sanierungsarbeiten in mehreren Phasen statt, schließlich sind viele Bereiche in die Jahre gekommen. Auch der bereits zuvor sehr wichtige Nachhaltigkeitsaspekt rückt in Wiesen mit dem bevorstehenden Relaunch noch stärker in den Fokus. Juliane Bogner spricht über Vergangenheit und Zukunft jenes Areals, das national und international einen kulturellen Anziehungspunkt darstellt, der seinesgleichen sucht.

Robin Consult / Andreas Lepsi

Eva Kelety

»Wir versuchen’s noch ollawei« Comeback der Wiesen Festivals

Das klingt alles sehr zuversichtlich und sta­ bil, sind denn die Folgen der Corona Pande­ mie für euch trotzdem spürbar? Die Aushilfen und Förderungen decken die Fixkosten nicht ab und Kredite aufzunehmen tut auch weh. Aber wir haben das Glück, dass 2022 viel auf dem Plan steht und wir die Ausfälle gut abfedern können. Das sind Lichtblicke, die wir jedenfalls brauchen. Das als Familie zu machen hat Vor- und Nachteile, aber in dieser Situation wird wieder klar, dass wir wissen, warum wir tun, was wir tun, und dass wir zusammenhalten. Magdalena Augustin

Weitere Informationen zum Festivalgelände Wiesen und dessen Programm sind unter www. wiesen.at zu finden.

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Die unsichtbare Hand der Kooperation Mieux im Interview

Vielleicht reden wir zu Beginn nicht über euer Album. In einem The-Gap-Interview aus dem Jahr 2013 habt ihr über eure Uto­ pie von Clubs gesprochen, weil ihr mit eurer Musik ja kaum ein Genre wirklich tieferge­ hend bedient. Felix hat damals gesagt: »Ich wünsch mir manchmal einen Club von und für Producer. Nach englischem Vorbild.« Wie würde dieser Club aussehen? felix: In London gab’s diese CDR-Clubnächte, also eine Veranstaltung, bei der ein DJ spielt und Produzent*innen ihre neuesten Produktionen abgeben konnten, die dann in die Sets eingewoben wurden. Im Fluc gab es das früher auch als »Beatmaker Sessions«. Aber das wär mir heute fast zu workshoppy. Klingt eigentlich nach einer spannenden Idee, da grad zu beobachten ist, wie die anfängliche Corona-Solidarität im Club­ kontext wieder ziemlich verpufft. Wo ver­ ortet ihr euch in diesem Spannungsfeld von Clubgig, Konzert und Partynacht? christoph: Strugglen wäre der falsche Begriff, aber wir gehen schon mit diesem Spannungsfeld um bzw. agieren darin. Manche unserer Nummern haben ja Parts, die definitiv im Club funktionieren würden, »Params« etwa. Das kombinieren wir dann halt mit krassen Breaks, die in andere Welten gehen. felix: Wir arbeiten jedenfalls nicht mit der Intention, Club-Banger zu produzieren, obwohl wir sehr clubinspiriert sind. Euer öffentlicher Auftritt wirkt, als ob ihr absichtlich unter dem Radar herumfliegen würdet. Versteht ihr dieses Zurücktreten

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Christoph Prager und Felix Wolfersberger sehen Mieux als ihren musikalischen safe space.

auch als Privileg? Immerhin muss man es sich auch leisten können, sich nicht ständig zu vermarkten. christoph: Natürlich. Wir wollen uns damit ja auch nicht profilieren und so tun, als würde das für alle gleichermaßen funktionieren. Wir meinen damit, dass der Abstand zu sozialen Medien unsere Musik besser macht. Mieux hat für uns als Experimentierwiese begonnen, das haben wir beibehalten, um es für uns interessant zu halten. Stünden wir jetzt vier Nächte pro Woche im Club, würde das unseren Sound genauso verändern, wie wenn wir uns mehr mit Social Media beschäftigten. Für euer Album habt ihr euch zehn Jahre Zeit gelassen. Darauf hört man zwar einen roten Faden, aber die Tracks sind doch auch mehr ihre eigenen Statements, als dass sie sich gegenseitig stützen würden. Wie passiert das in eurem Prozess? christoph: Es ist ja lustig: Unser alter Approach war es, im Abstand von zwei Jahren EPs als kleinere Häppchen zu releasen. Jetzt ist das modern, und wir machen ein Album – völlig gegen die Aufmerksamkeitsökonomie. Dafür haben wir uns länger Zeit gelassen. felix: Der rote Faden kommt daher, dass wir innerhalb einer gewissen Zeitspanne gearbeitet haben. Wir könnten auch nicht ein-

fach zurückreisen und uns vornehmen, einen Track wie vor fünf Jahren zu machen, weil er grad reinpassen würde. Der große Bogen erstreckt sich auf zwei bis drei Jahre. christoph: Ansonsten ist unsere Produktion immer davon geprägt, was wir grad da haben – bestimmte Synths; und auf acht Tracks ist ein E-Bass zu hören, der bisher kaum vorkam. Wir machen dann halt die Musik, die dabei rauskommt. Mit No-go-Areas – einen Electro­ swing-Track wirst du von uns nicht hören. War es ein bewusster Schritt, ein Album zu produzieren, oder ist das passiert? christoph: Wir haben den Ordner, in den wir reingearbeitet haben, »Mieux LP« genannt. Damit haben wir den Anfang gemacht und sind dann auch mit dem Anspruch, ein Album zu machen, zu Affine gegangen. Also war das wohl bewusst, aber an den Beweggrund erinnere ich mich nicht. felix: Ich glaub, wir haben uns gedacht, es wäre schön, ein Album zu machen. Also habt ihr auch da an der gemeinsamen Arbeit per Dropbox festgehalten? felix: Ja, wir können so einfach sehr gut arbeiten, aber natürlich klappt das auch gemeinsam in einem Studio. Aber ein gemeinsames Studio haben wir keines.

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Christoph Prager alias Minor Sick und Felix Wolfersberger alias Feux haben ihre Namen und ihre musikalische Arbeit vor rund zehn Jahren zu Mieux fusioniert. Nach einer Reihe von gemeinsamen Releases steht nun ihr Debütalbum »Rulers« beim Wiener Label Affine Records in den Startlöchern. Das Ergebnis ist ein ein Bouquet aus allen möglichen Spielarten elektronischer Musik. Im Interview sprechen die beiden über Genregrenzen, ihre musikalischen Einflüsse und ihre magische Art zu kooperieren.

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Deniz Wolfersberger

Deckt sich euer Approach als Solo-Artists mit der Arbeitsweise für Mieux? felix: Wir sind sehr lösungsorientiert und wenn etwas per Dropbox nicht funktioniert, dann fahren wir halt zu einander. christoph: Mieux ist für mich ein special place, weil wir uns unglaublich gut verstehen und gut auf die gegenseitigen Bedürfnisse eingehen können. Das ist auch der Schlüssel dafür, dass das so lange so gut funktioniert. Diese Art der Kooperation ist sehr besonders. Wir sind fast schon pathologisch-harmonisch. Die Features zuzulassen, war für uns als Band auch ein großer Schritt. Da kommt dann eben noch eine Kooperationsperson rein, für die dann alles passen muss. Aber wenn man damit gut umgeht, profitiert man davon. Bei euch geht es viel um Kooperation, aber ihr seid doch noch zwei eigenständige Mu­ siker, die andere Inputs erleben. Wie bringt ihr das unter einen Hut? felix: Es ist einfach Magie. christoph: Eines muss ich schon sagen, wir machen definitiv keine Konsensmusik. Wir machen keine Musik des gemeinsamen Nenners, weil das wäre ständig die am meisten abgeschwächte Version der Ideen des jeweils anderen. Aber warum das so gut funktioniert – keine Ahnung. Wenn du uns die Tracklist vom Album herlegst, können wir nicht sagen, dass sich irgendwo Felix oder ich durchgesetzt haben. Es gibt keine Debatte, es funktioniert. Ich bin manchmal ein sehr egogetriebener Mensch und hab mit Mieux einen safe space gefunden, in dem das nicht notwendig ist.

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Die unsichtbare Hand der Kooperation? christoph: Naja, dass du jetzt da niederschwellig die unsichtbare Hand des Marktes reinbringst, muss auch nicht sein. Den Markt habe ich bewusst nicht erwähnt, das ist Blödsinn. Aber eure Antworten zei­ gen ja, dass der Zauber eurer Arbeit in der Kooperation liegt … Anyway, das Album heißt »Rulers«, der Pressetext war recht kryptisch. Geht’s jetzt um Herrschende oder um Lineale zur Vermessung? christoph: Hm, ja, darum geht’s ja, haha. Im Ernst: Auf Deutsch haben wir das ganz gut getroffen mit dem Begriff der Vermessungen. Das ist einerseits der Stab, mit dem wir unsere Beziehungen zueinander und zur Clubkultur vermessen, ohne zu sehr daran teilzunehmen. Gleichzeitig arbeiten wir uns aber auch an Autoritäten im Sinne von Genres oder sonstigen Kontexten ab. Da hat uns einfach irgendwann der Geistesblitz getroffen bei der Entscheidung – wieder einstimmig. Ah, die unsichtbare Hand der Kooperation? christoph: Wir werden darüber nachdenken und uns irgendwann mit einem Essay Sandro Nicolussi dazu melden.

Das Album »Rulers« von Mieux erscheint im Spätsommer bei Affine Records.

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Foto: © Elsa Okazaki

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Junge Menschen, junge Medienformate Der journalistische Wandel auf Social Media

Gründete Die Chefredaktion: Melisa Erkurt

Sowohl in der Coronakrise als auch in der Berichterstattung sind sie der blinde Fleck: junge Menschen. Konventionelle Medien scheinen diese umgekehrt auch nicht zu interessieren, lieber hängen sie auf Instagram und Tiktok ab oder schauen Youtube-Videos. Die Chefredaktion will genau da den Bezug wiederherstellen. Warum Journalismus auf Social Media so wichtig für Jugendliche und den Wandel der Medienwelt ist. ———— »Mir war, seitdem ich im Journalismus bin, immer klar, dass es zwei Gruppen gibt, die wir nicht erreichen: Junge und Menschen mit Migrationshintergrund. Ich habe mich immer gefragt, wie man das ändern kann. Ich bin draufgekommen, dass es in den bestehenden Strukturen als einzelne Journalistin einfach schwierig ist. Mein Traum war es eigentlich immer, ein Medium für junge Menschen leiten zu dürfen, das Angebot war jedoch nie da.« Melisa Erkurt zählt zu den bekanntesten Journalist*innen des Landes und hat mit ihrem Buch »Generation haram«, das im August des Vorjahres erschienen ist, medial für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Im Jänner 2021 erfuhren wir von dem nächsten großen Projekt. Zusammen mit dem Biber-Magazin gründet Erkurt Die Chefredaktion und revolutioniert damit die österreichische Medienwelt.

Die Chefredaktion ist das erste professionelle österreichische Medium, das es nur auf Instagram und Tiktok gibt – also auf Plattformen, die von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verwendet werden. Die Redakteur*innen produzieren für die gängigen Social-Media-Formate Content zu gesellschaftspolitischen Themen – aus dem Blickwinkel von Teenagern unterschiedlicher Hintergründe. Und das mit Erfolg: Bereits eine Woche nach Launch wird Die Chefredaktion bereits von 10.000 Menschen auf Instagram gefolgt. »Die Nachfrage ist einfach groß«, so Erkurt.

Zuhören, wo andere weghören »Ich finde es mega cool, dass die Journa­ list*innen von Die Chefredaktion so unterschiedlich sind. Man merkt, dass der Fokus auf Diversität liegt, und dadurch kriegt man in manchen Themen, vor allem wenn man sich selbst auch mit den Redakteur*innen identifizieren kann, einen näheren Bezug«, erklärt Ayah. Sie ist 22 Jahre alt, hat gerade ihren Bachelorabschluss in internationaler Betriebswirtschaftslehre auf der WU Wien gemacht und ist eine der mittlerweile 17.000 Follower*innen des Medienaccounts. Aufmerksam darauf wurde die Wienerin durch

»Mir war, seitdem ich im Journalismus bin, immer klar, dass es zwei Gruppen gibt, die wir nicht erreichen: Junge und Menschen mit Migrationshintergrund.« — Melisa Erkurt The_Gap_188_012-047_Story_Gesamt_BBA_korr_mf.indd 28

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Melisa Erkurt, der sie schon davor auf Instagram gefolgt ist. Besonders schätzt sie an Die Chefredaktion, dass Themen beleuchtet werden, die in Massenmedien kaum erwähnt werden. Themen wie Rassismus, die Lage von Geflüchteten und Studierenden in Zeiten der Coronakrise. Junge Menschen informieren sich zum Großteil über soziale Medien, das sollten vor allem öffentlich-rechtliche Medien erkennen, um dahingehend attraktiver zu werden. Ayah: »Ich würde mir wünschen, dass traditionelle Medien auch über ähnliche gesellschaftspolitische Themen berichten, wie Die Chefredaktion. Es ist wichtig für unsere Gesellschaft Jugendliche weiterzubilden.« Bevor Melisa Erkurt Die Chefredaktion gegründet hat, hat sie sich Tipps geholt – von unseren deutschen Nachbar*innen. SocialMedia-Journalismus für junge Zuseher*innen ist dort nämlich bereits etablierter. Das ARDund ZDF-Content-Netzwerk Funk produziert eine Vielzahl an Youtube-Dokus und Tiktoks für junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren. Youtube-Känale oder InstagramAccounts, die Teil des Funk-Netzwerks sind, werden durch den Rundfunkbeitrag finanziert und bleiben somit für möglichst viele Menschen zugänglich. Förderungen – wie jene von der MEGA Bildungsstiftung und der Wiener Medieninitiative – haben es Melisa Erkurt erst möglich gemacht, Die Chefredaktion, die Teil des Biber-Netzwerks ist, zu starten. Noch sind bei dem Medienprojekt die Redakteur*innen als freie Dienstnehmer*innen dabei oder arbeiten geringfügig, ab Herbst soll eine geförderte Vollzeitstelle besetzt werden.

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Mit professionellem journalistischem Content für Social Media bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen erfolgreich: Die Chefredaktion

Vedran Pilipović, Adobe Stock

Niederschwellig, kostenlos

Weitere junge Medienformate auf Instagram: @medien.geil: Schreibt über die Journalismus-Branche, gibt Tipps und ermutigt junge und angehende Journalist*innen, sich in der Medienwelt zu etablieren. @erklaermirmal: Klärt mit Postings und IGTVs über politische Begriffe aus einer (post-)migrantischen und queeren Perspektive auf. @vorlautkollektiv: Junges Journalist*innenkollektiv, das Reportagen, Talkshows und Instagram-Aufklärung über feministische und gesellschaftspolitische Themen macht. @redaktionandererseits: Initiative für inklusiveren Journalismus. Ermöglicht es behin­derten Menschen, die in der österreichischen Medienwelt sonst nicht gehört werden, Journalismus auf Augenhöhe zu machen.

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Die Chefredaktion plant, immer niedrigschwellig zugänglich und damit kostenlos zu bleiben. An neuen Finanzierungsmöglichkeiten wird bereits gearbeitet. Ob sich klassische Medienhäuser der neuen Welle des Onlinejournalismus auf sinnvolle Art anschließen werden, ist noch offen – die ersten Möglichkeiten wurden allerdings bereits verschlafen. Erkurt erkennt einen Trend: »Klassische Redaktionen sehnen sich gerade nach jungen Menschen, die wissen, wie man Tiktoks macht. Eigentlich sollte sich hier der Journalismus selbst weiterbilden.« Und dass der klassische Journalismus jetzt versucht mitzuhalten, sieht man: beispielsweise an jüngeren Projekten wie Dein Standard von Der Standard Natalia Anders oder k.at vom Kurier.

Die Chefredaktion findet sich auf Instagram und Tiktok unter dem Handle @die_chefredaktion.

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SKE-Fonds Die SKE (kurz für: Soziale und kulturelle Einrichtungen) ist eine Fördereinrichtung der Austro Mechana für Komponist*innen. Sie leistet Kunst- und Kulturförderungen direkt an oder zugunsten von zeitgenössischen Komponist*innen, die Urheber*innentantiemen über die Austro Mechana erhalten. Gefördert werden Teile der tatsächlichen Herstellungskosten von unter anderem Tonträgern, Musikinstallationen, Kompositionsaufträgen, Selbstvermarktungen, Lobbyarbeit und so weiter. Eine Voraussetzung dafür, dass man einen Zuschuss erhält, ist eine Mitgliedschaft bei der Austro Mechana. Ist man noch kein Mitglied, muss man spätestens bei der Förderzusage eines werden.

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In über 15 Sitzungen pro Jahr entscheidet die Jury, welche Anfragen gefördert werden. In dieser Jury sitzen professionelle Musikschaffende und Journalist*innen. Die genaue Zusammensetzung findet man auf der SKE-Website. Dort findet sich neben den Förderrichtlinien auch alles, was man sonst noch wissen muss. Die Einreichung ist sehr unkompliziert und niederschwellig. — www.ske-fonds.at

Österreichischer Musikfonds Der Österreichische Musikfonds ist eine Initiative zur Förderung professioneller österreichischer Musikproduktionen, um damit ihre Verwertung und Verbreitung zu steigern und Österreich als Kreativstandort zu stärken. Der Musikfonds steht allen in Österreich lebenden musikschaffenden Urheber*innen, Interpret*innen, Musikproduzent*innen, Musikverlagen und Labels offen. Gefördert

werden Albumproduktionen oder Produktionen, die Albumcharakter haben, im Umfang von maximal der Hälfte der anfallenden Produktionskosten. Es wird eine titelbezogene Förderung angeboten, wobei als förderbares Projekt die Veröffentlichung von zumindest drei Titeln innerhalb eines Veröffentlichungszeitraums von zwölf Monaten gilt. Eine ergänzende Videoförderung ist in der Höhe von bis zu 5.000 Euro möglich, eine ergänzende Vermarktungsförderung in der Höhe von bis zu 3.000 Euro. Im Gegensatz zum SKE-Fonds ist die Einreichung beim Österreichischen Musikfonds wesentlich zeitintensiver. Die Professionalität der Produktion und die Verwertungsmöglichkeit im In- und Ausland sind die wichtigsten Kriterien, um eine Förderzusage zu erhalten. Das eingereichte Projekt sollte ohne Finanzierung durch den Musikfonds nicht beziehungsweise nur in unzureichendem Umfang finanzierbar sein. Die Produktion darf zum Zeitpunkt der Förderzusage noch nicht abgeschlossen sein und darf geltende Rechte nicht verletzen. Auftragsproduktionen, insbesondere Werbungs- oder Filmmusik, sowie Samplerproduktionen werden nicht gefördert. Erhält man eine Förderung für eine Produktion, kann man anschließend auch noch um einen Toursupport für eine ÖsterreichTour ansuchen. Außerdem gibt es für die Teilnahme an internationalen Showcase-Festivals die Möglichkeit, um 1.000 Euro pro Jahr anzusuchen. Ausschließlich österreichische La-

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Die Produktion von Musik im Allgemeinen und eines Tonträgers im Speziellen ist eine eher kostspielige Angelegenheit. Dasselbe gilt auch für das Aufstellen einer Tour – sei es eine österreichweite oder eine internationale. In Österreich gibt es die Möglichkeit, bei bestimmten Einrichtungen um Förderung für solche Projekte anzusuchen. Im Folgenden wollen wir einen Überblick über die wichtigsten Fördereinrichtungen für Pop, Rock und Elektronik geben. Eines vorweg: Förderungen werden nur für konkrete Aktivitäten vergeben wie zum Beispiel eine Tonträgerproduktion. Es gibt keine Förderungen, die man bloß dafür bekommt, dass man begabt ist.

»Mit einem guten PR- und Marketing­ konzept und einem plausiblen Budget kann man bei der Jury punkten.« — Michael Ternai

Special Being a Band

Take the Money and (Don’t) Run! Österreichs Musikförderungen im Überblick

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Special Being a Band Junge Musiker*innen und Bands stoßen bei der Produktion von Musik schnell an ihre finanziellen Grenzen. Förderungen können helfen.

bels mit Gewerbeschein können für ihre Acts diese Förderung beantragen. Tipp: Mit einem etablierten Vertrieb, einem guten PR- und Marketingkonzept und einem plausiblen Budget kann man bei der Jury punkten. Es zahlt sich auf jeden Fall aus, auf der Website zu schauen, welche Produktionen schon gefördert wurden. — www.musikfonds.at

Austrian Music Export Geht es um Förderung von Konzerten und Tourneen außerhalb Österreichs ist der Austrian Music Export (AME) eine der ersten Anlaufstellen. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame Exportinitiative des Österreichischen Musikfonds und des mica – music austria, deren Ziel es ist, zeitgenössische Musik aus Österreich auf die internationale Bühne zu bringen. Dies geschieht über verschiedene Programme, wie etwa das alljährlich ausgeschriebene Programm »Focus Acts« oder das neue Programm »Focus Marketing«. Der Austrian Music Export ist auch bei den wichtigsten internationalen ShowcaseFestivals (u. a. Eurosonic Noorderslag, The Great Escape, Reeperbahn Festival) vertreten, bei denen vielversprechende Newcomer aus Österreich einem internationalen Publikum und Vertreter*innen der Musikbranche präsentiert werden. Die Auswahl der Musiker*innen und Bands erfolgt über Ausschreibungen. — www.musicexport.at

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Bundesländer Eine ebenfalls wichtige Rolle bei Produktionsförderungen spielen die Bundesländer, denn teilweise kann man sich die Produktion eines Tonträgers auch von deren jeweiligen Stellen fördern lassen. Oftmals sind die Aussichten auf Unterstützung auf Gemeindeebene sogar noch vielversprechender. Es macht also durchaus Sinn, in der Heimatgemeinde (auch wenn man ihr vielleicht schon den Rücken gekehrt hat) eine Förderung zu beantragen. Die Anzahl der Mitbewerber*innen ist meistens gering und die Gemeinden nutzen gerne die Möglichkeit, sich mit kulturellen Vorhaben zu schmücken.

BMKOES Ebenfalls um Unterstützung für internationale Tourneen anfragen kann man bei zwei Ministerien. Das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKOES) bietet Förderungen für Touren und Reisekosten an. Voraussetzungen sind, dass die um eine Förderung Ansuchenden bereits auf eine mehrjährige kontinuierliche Tätigkeit verweisen können und ihnen außerdem bereits von einer regionalen Gebietskörperschaft eine Unterstützung zugesagt worden ist. — www.bmkoes.gv.at

BMEIA Auch das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) fördert im Rahmen des Programmes »The New Austrian Sound of Music (NASOM)« in

Kooperation mit mica – music austria junge, aufstrebende Musiker*innen in ihrem Vorhaben, international Konzerte zu spielen. Für jeweils zwei Jahre werden von einer Fachjury junge österreichische Musiker*innen sowie Ensembles ausgewählt, die bei Auftritten im Ausland vermehrte Unterstützung erhalten. Dabei kommt vor allem das weltweite Netz des BMEIA, das aus Botschaften, Kulturforen und Generalkonsulaten besteht, zum Einsatz. — www.bmeia.gv.at

Österreichische Kulturforen Ebenfalls eine wichtige Adresse für Musiker*innen, die für ihre Konzerte im Ausland eine Reisekostenunterstützung benötigen, sind die Österreichischen Kulturforen (ÖKF). Diese organisieren und betreuen jedes Jahr einen großen Teil der insgesamt rund 6.000 kulturellen und wissenschaftlichen Projekte, die im Netzwerk der Auslandskultur an sehr vielen Orten der Welt präsentiert werden. — zum Beispiel: www.kulturforumberlin.at

Michael Ternai

Dieser Artikel ist Teil einer Content-Partner*­ innenschaft mit mica – music austria. Das österreichische Musikinformationszentrum ist deine professionelle Anlaufstelle für alles, was mit Musikschaffen in Österreich zu tun hat. Hier gibt es kostenlose Beratungen und Tipps von Expert*innen, die dabei helfen, sich im Musikbusiness zurechtzufinden. Weiterführende Infos unter www.musicaustria.at.

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Special Being a Band

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Gründet nicht einfach Bands, bildet Banden! Über die Kraft des Kollektivs Eine Band wie eine »zweite Beziehung«: Hearts Hearts

Tauscht negative Unabhängigkeit gegen positive Abhängigkeit! Verwerft das neoliberale Independent-Motiv – und schließt euch zusammen! ———— »Es gibt keine Bands mehr«, sagte Adam Levine zuletzt in einem Interview. Als Sänger von Maroon 5 säuselt der US-Amerikaner seit den frühen 90ern ins Mikro, hat über 120 Millionen Platten verkauft und eine Stimme im Geschäft, die nach Anal-Bleaching klingt, aber Gold scheißt. Klar, man könnte seine Aussage als kulturpessimistischen Ausrutscher eines Multimillionärs abtun, der zwischen Kaviar im Backstage und Koks auf der Afterparty den Bezug zur Realität verloren hat. Oder man nimmt ihn ernst. Und fragt sich: Gibt es tatsächlich keine Bands mehr? Wenn ja, was wäre so schlimm daran? Und wieso wäre es nicht besser, sich von Bands zu trennen, um neue Banden zu gründen? Realitätscheck, die Erste: Ein Blick in die Top Ten der FM4-Charts, des selbsternannten Seismografen fürs nationale IndieWonderland. Auf den ersten Plätzen findet man dort neben Billie Eilish, Jan Delay und James Hersey auch Lorde und Olivia Rod-

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rigo. Dahinter balancieren mit Buntspecht sechs betrunkene Seiltänzer, RealkeeperRap aus Linz von Da Staummtisch. Und einige Duos aus der Abteilung Friends with benefits. Würde man es diplomatisch ausdrücken, man spräche von keinem Überangebot an Bands. Schärfere Zungen haben da aber schon längst den neuen Kult des Individualismus ausgerufen. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der es darum geht, den eigenen Success zwischen drei verwackelten Tiktok-Videos zu verfolgen. Da mag eine Band sicher nicht die ökonomischste Art sein, Musik zu machen. Es sei teuer, anstrengend und nicht zuletzt ein Commitment, das mehr nach verschwitzten Lederjacken und einem Griff in den Schritt mieft, als es nach einer Instagram-tauglichen Selbstdarstellungsstrategie aussieht. Mit anderen Worten: Das Band-Ding hat mehr etwas von Papas Plattenkiste als vom aktuellen Zeitgeist. Denn, so das Versprechen der neoliberalen Content-Warriors, es gehe ohnehin nicht darum, was man auf der Bühne leistet, sondern darum, wie man sich abseits von ihr

verkauft – und das funktioniert nun mal einfacher, wenn man sich nicht permanent mit basisdemokratischen Entscheidungen herumplagen muss.

Gründet keine Bands … Man muss nicht unbedingt fünf Soziologieseminare besucht haben, um die Individualisierungsthese samt Abgesang auf Social Media zu verstehen. Man muss sie aber auch nicht nachplappern wie ein hängengebliebener Dinosaurier, für den Pink Floyd das letzte große Ding waren. Bands stellten – es wird ganz gern vergessen – auch vor der Implosion unserer Aufmerksamkeitsspanne häufig einen Kompromiss dar, bei dem meist ein talentierter Kopf sein*ihr Ding machen wollte, aber auf das Mittun anderer angewiesen war. Eben weil sich noch keine synthetische Drum-Spur aus der gecrackten Ableton-Software saugen ließ. Und nicht alle ihren digitalen Einkaufszettel durch Autotune klopfen konnten. Das ist heute anders. Und begünstigt die Entstehung von Ein-Personen-Projekten. Die einen sehen darin die Demokratisierung, an-

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dere den Untergang des Musikgeschäfts. Man könnte sich aber auch mal die Frage stellen, was daran so schlimm sei, wenn mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, sich künstlerisch auszudrücken. Nicht unbedingt in Bands. Aber auf eine Art, die Vernetzung nicht unterbindet, sondern verstärkt. Was wäre also, wenn wir die These des elitären »Es gibt keine Bands mehr«-Gebrabbels auf den Kopf stellen und stattdessen sagen: Gründet keine Bands, bildet Banden, die auch Bands sein dürfen, aber gleichzeitig viel mehr sind als der Krach aus sechs Gitarrensaiten! »Am Anfang einer jeden künstlerischen Zusammenarbeit steht ein Bedürfnis«, erklärt die in Wien lebende Künstlerin Veronika König. Als Farce betreibt sie zwar ein Soloprojekt, verbindet sich aber immer wieder mit anderen Künstler*innen wie Wolfgang Möstl oder Clara Luzia. Farce sieht im Drang nach Kollaboration ein Spannungsverhältnis zwischen Push- und Pull-Faktoren. Entweder es fehle in ihrer einsiedlerischen Arbeitsweise an etwas, das jemand anderes habe. Dann müsse sich was ändern. »Noch schöner ist

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»Man motiviert sich gegenseitig, kann Verantwortung und Aufgaben aufteilen.« — Peter Paul Aufreiter (Hearts Hearts) aber, wenn ein Pull-Faktor besteht, mich also ein*e Künstler*in mit ihrer Arbeit anzieht, weil sie so toll ist, dass ich einfach mit ihr zusammenarbeiten muss.« Farce spricht damit einen wichtigen Punkt an: Durch Zusammenarbeit entstehen Gemeinschaften. Das mag sich anhören wie eine verirrte Whatsapp-Nachricht aus dem Bundeskanzleramt. Tatsächlich steckt darin aber mehr. Zusammenarbeit schafft ein Gefühl der gegenseitigen Abhängigkeit. Nicht im negativen Sinn, bei dem der Kapitalismus die Logik der Independent-Kultur aufgefressen hat

und als individuelle Kleinunternehmer*innen wiederkäut. Sondern in einem progressiven Sinn, bei dem sich Kreative ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bewusst werden und sie in Handlungsfähigkeit umwandeln. »Es gibt ein Narrativ über die DIY-Künstlerin, die in ihrem Schlafzimmer arbeitet. Sie kann und macht alles selbst«, sagt Farce und schließt an: »An diesem Punkt ist sie wertlos für eine industrielle Schöpfungskette, weil sie als Einzelperson agiert und nicht als kleines Unternehmen, das andere Bereiche bewirtschaftet und andere Musikarbeiter*innen anstellt. Das wird einsam.« Nachhaltig komme man aus dieser Position nur raus, wenn man sich nicht zum Zwecke der Profitmaximierung, sondern zu einem kreativen Zusammenschluss treffe. »Um nicht nur Bedingungen zu ändern, sondern auch Fehlverhalten zu beheben«, so Farce. Eine junge Frau oder nicht-binäre Person habe keine Chance, einen musikalischen Weg zu gehen, ohne dem Mitleid oder der Güte eines Mannes im gleichen Feld ausgesetzt zu sein. Es gehe dabei nicht um ideologische

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… formt ein kollektives Subjekt! Der Kulturwissenschafter Mark Fisher, der sich zu Umweltthemen meist bedeckt hielt, äußerte sich in seinem Buch »Capitalist Realism« an einer Stelle so: »Dadurch, dass man Recycling in die Verantwortlichkeit von ›Jedermann‹ übergibt, gliedert diese Struktur ihre eigene Verantwortung an die Kunden aus und zieht sich selbst in die Unsichtbarkeit zurück.« Anstatt zu behaupten, dass jede*r Verantwortung für die globale Erwärmung trage, wäre es besser zu sagen, dass niemand dafür verantwortlich sei und dass genau darin das Problem bestehe. Denn: »Der Grund für die Ökokatastrophe liegt in einer unpersönlichen Struktur, die, selbst wenn sie fähig ist, alle möglichen Effekte zu verursachen, eben kein Subjekt ist, das Verantwortung übernehmen könnte.« Das dafür notwendige kollektive Subjekt existiere nicht, so Fisher. Dieses kollektive Subjekt kann heute paradoxerweise genau dort gefunden werden, wo es bis vor wenigen Jahren niemand wahrnehmen wollte: im Mainstream. Seitdem die neoliberalisierten Fridays-for-Future-Kids mit Parolen wie »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut« durch die Straßen der Weltstädte gezogen sind, haben sie genau das erreicht, was eine atomisierte Linke seit der Finanzkrise vergeigt hat: Aufmerksamkeit für ein ideologisiertes Problem zu schaffen, das über ideologische Grenzen hinaus wirkt. Die Jugendlichen haben das nicht irgendwie geschafft. Sie haben es erzwungen, indem sie auf moralische Vorschriften für ein »richtiges« Leben pfiffen und ein Update der bestehenden Ordnung forderten.

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Diese Form des politischen Handelns ist keine Blaupause für Nachahmer*innen aus der Musikwelt. Aber sie zeigt, dass das Handeln im Kollektiv noch immer möglich ist. Einzelne Künstler*innen, aber auch Indie-Labels, die ihre vermeintliche Unabhängigkeit schon in der Selbstbezeichnung vor sich hertragen wie auf einem ausgewaschenen Band-Leiberl, können diese Verantwortung nur bedingt übernehmen. Als individualisierte Masse lässt sich zwar laut ins Mikrofon rotzen, aber kein Widerstand formieren. Nur die bewusste Entscheidung gegen die Ich-AG und für wechselseitige Abhängigkeit im Kollektiv kann daran etwas ändern. Wer sich in Gruppen zusammentut, kommt automatisch zusammen – man interagiert miteinander, tauscht sich aus, reibt sich aneinander, um die individualisierte Wut gegen ein ausbeuterisches System in eine kollektive Kraft für ein gemeinsames Ziel zu verwandeln. Die Bande wird zum Labor, das tradierte Strukturen bekämpft, indem es den Widerstand im Kleinen erprobt. Dadurch entsteht eine Umgebung, in der Dinge nicht passieren müssen, um passieren zu können. »Mehr Menschen haben mehr Ideen«, sagt Peter Paul Aufreiter. Mit der Band Hearts Hearts hat er 2021 den Amadeus Award abgeräumt. Die Band betont, wie wichtig das gemeinsame Spielen und Schreiben sei. Das soziale Bandgefüge habe etwas Bereicherndes. »Man motiviert sich gegenseitig, kann Verantwortung und Aufgaben aufteilen und sich gegenseitig unterstützen«, so Aufreiter, der Hearts Hearts als »zweite Beziehung« bezeichnet. Eine Beziehung, die viel Zeit und

Energie verlange, aber genauso viel zurückgebe. Oder um es mit den Worten von Sänger David Österle zu sagen: »In den Proberaum zu kommen und zu wissen, dass man nicht drei Arschlöcher trifft, ist ein richtig gutes Gefühl.« Das Kollektiv wird zur Bande und damit zu einem Blick in die Zukunft. Man weiß nicht, was sich ereignen wird, bis es sich ereignet hat. Das Gesamtgefüge verändert sich, Einflüsse prallen aufeinander, Unvorhersehbares tritt ein – und provoziert einen Moment des experimentellen Zufalls. Wenn ich in diesem Zusammenhang von Bandenbildung schreibe, meine ich also nicht vier weiße Mittvierziger, die ihre BullshitJobs schmeißen, um sich zu einer Indie-Band zusammenzuschließen – das wäre höchstens was fürs Rolling-Stone-Magazin, und selbst dort macht man zwischen vier Artikeln über Bob Dylan zwischendurch auf woke –, sondern sich mit anderen Menschen zu verbinden, um ein Bewusstsein über die eigene Position zu entwickeln. Und als Netzwerk mit einer gemeinsamen Schlagkraft den krassen Gegenpol zur Individualisierungsthese zu bilden. Daraus sollten wir einen neuen kategorischen Imperativ ableiten. Tauscht negative Unabhängigkeit gegen positive Abhängigkeit! Verwerft das neoliberalisierte Independent-Motiv – und bildet Banden! Christoph Benkeser

Der Autor empfiehlt das Sommerrollen-Rezept von Hearts Hearts (look out!), den Wisdom von Farce (buy!) und frühmorgendliches Nacktschwimmen in der Alten Donau (yeah!).

Veronika König

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Befindlichkeiten oder wütende Radikale, die alle Männer aus der Musik verbannen wollen, sondern um Sicherheit. »Überall, wo Wissen ist, ist Macht – und wo Macht ist, kann Machtmissbrauch stattfinden«, sagt die Sängerin und betont: »Es muss möglich sein, dass junge Frauen und nicht-binäre Personen die Freiheit haben, sich auszudrücken, ohne belästigt oder missbraucht zu werden.« Farce habe diese schlechten Erfahrungen gemacht. Aber auch positive – »vor allem mit Frauen, die kein Wissen und keine Macht über meinen Kopf gehalten, sondern sie geteilt haben.« Genau diese Verbindungen braucht es in Zukunft, um mehr positive als negative Erfahrungen zu ermöglichen. Was könnte man alles tun, wenn man sich nicht als lose miteinander verbundene Gruppe einzelner Verbraucher*innen einer profitorientierten Industrie verstünde, sondern sich als Netzwerk potenzieller Aktivist*innen mit gemeinsamer Stimme und Schlagkraft positionierte? Eine Frage, die sich nicht nur in der Musik stellt. Sie muss sich vielmehr überall dort stellen, wo es brennt – Coronakrise, Klimawandel, you name it.

Special Being a Band

Veronika König alias Farce: ein Soloprojekt mit Hang zur Kollaboration – etwa mit Wolfgang Möstl

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Veronika König

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Special Being a Band

Der Hintergrund ist so obligatorisch wie eine Backsteinwand: die Graffitis beim Flex. Im Vordergrund: Torn to Rise.

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The Long and Winding Road Das Projekt Band in den 90ern Eine eigene Band gründen, proben, live spielen und den Durchbruch schaffen. Welcher Teenager, der sich ein Instrument zulegt, träumt nicht davon? Ein steiniger Weg, der vor der Internet- und Smartphone-Revolution sogar noch beschwerlicher war. Dafür war vieles andere wiederum weit weniger komplex. Ein Blick zurück in die 90er. »Eiergroßhandel Jotzoff, guten Tag.« »Grüß’ Sie, Höller hier, ich möchte gerne wissen, ob Sie diese großen Eierkartons auch leer verkaufen?« »Wie groß ist denn der Proberaum?« »Wie bitte?« »Wie groß der Proberaum ist – oder für was brauchen Sie sonst die Eierkartons?« So ungefähr begann mein vermeintlich besonders raffinierter Plan, Eierkartons zur Schallisolation im Proberaum meiner Band günstig und schnell zu ergattern. Klappte eh, der freundliche Herr rechnete flugs die benötigte Menge und den Preis aus, die Ware stand am nächsten Tag zur Abholung bereit. Kein Wunder, denn Eierkartons waren und sind nun mal die erste Wahl bei Low-BudgetAkustikmaßnahmen. Und ich war offensichtlich nicht der erste Anrufer, der deswegen den Eiergroßhandel löcherte. Was natürlich auch noch zum Proberaum gehört, nebst Instrumenten, Verstärkern und PA: eine bequeme Couch, Equipment zum Aufnehmen und so weiter. Jedoch: Wir schrieben das Jahr 1996, von heutigem Allgemein-

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gut wie Internet, Smartphone und leistbaren Laptops waren wir meilenweit entfernt. Die Suche nach einer ausgemusterten Couch, am Handy via Willhaben heute eine Frage von Minuten, gestaltete sich damals ungleich schwieriger. Eventuell über die gedruckte Ausgabe des Bazar, des Print-Vorläufers von Ebay & Co? Und wie die geprobten Nummern aufnehmen? Puh, schwierig, da musste ein kompliziertes, riesiges Vier-Spur-Gerät her, zu bestücken mit gewöhnlichen Audiokassetten. Kein Handy, kein Laptop, keine DAW. Das alles war stets mit immens hohen Kosten verbunden, was im diametralen Gegensatz zu den oft prekären Dayjobs (sofern vorhanden) stand. Die einzige Möglichkeit, ein wenig Zaster in die unter anderem auch für Bier und Proberaummiete zu plündernde Bandkassa zu spülen, waren bezahlte Gigs. Und da tat sich schon das nächste Hindernis auf.

Genug geprobt, was nun? Okay, nach vielen mühsamen Stunden des Herumfeilens am eigenen Material (Coversongs waren bei uns verpönt – mit Ausnahme einer famosen Version von Depeche Modes »Behind the Wheel«), hieß es nun, Möglichkeiten für Auftritte auszuloten. Also persönlich die einschlägigen Lokale abklappern, über ein paar Bier die recht rohen Demos aushändigen. Kostet Zeit und Geld. Dann endlich einen Gig gelandet, der beworben werden muss. Noch ein Glück, dass ich bereits damals die Möglichkeit hatte, in meinem Ziviljob als Grafiker selbst im »QuarkXpress« (!) Poster und Flyer

»Unsere Mischung aus Metal, Goth und Grunge war schon gut. Aber das war Mitte der 90er einfach nicht gefragt, Pech.« — Markus Höller

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privat

zu gestalten. Halt, warte, Bandfoto musste ja auch noch her! Also ein, zwei Filme (!!) verknipsen, entwickeln lassen, einscannen, jetzt aber. Das verursachte wieder – erraten – lästigen Zeit- und Geldaufwand. Ebenso wie die Vervielfältigung der Poster und Flyer in einem der damals boomenden, aber sündteuren Copyshops. Und so weiter. Heutzutage hätte ich das so gemacht: Mit dem Handy oder Laptop (heute bereits Grundausstattung jedes Pflichtschülers) Band aufnehmen, Band mit dem Handy fotografieren, alle möglichen Spielstätten anmailen, Facebook-Veranstaltung erstellen, über Insta, Tiktok und Snapchat in die ganze Welt hinausposaunen, fertig. Zeitaufwand: ein Tag, Geldeinsatz quasi null. (Sofern man das Vorhandensein von Handy und Internetaccount heute als grundsätzlich vorhanden betrachtet,

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wie ein paar Schuhe.) Mag sein, dass ich mir das jetzt auch simpler vorstelle, als es in der Realität ist. Aber einen gewissen Neid auf die heute zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten verspüre ich trotzdem.

Für die Nachwelt Letzte Zugabe gespielt, verschwitzt und glücklich, das Publikum ist zufrieden. Schöne Erfahrungen. Was mir von zahlreichen, mitunter illustren Gigs blieb: Verschwommene Erinnerungen und ein einziges Videodokument, und auch nur, weil damals bei einem Konzert zufällig jemand eine Videokamera im Format eines Ziegelsteins dabeihatte. Immerhin. Auch von den unzähligen Proben im Eierkartonkeller gibt es keine Aufzeichnungen mehr, die mühselig erstellten Demos wurden allesamt irgendwo versemmelt oder

unwissentlich mit anderem Material überspielt. Hätten wir nicht damals einmal ein »professionelles« Demo in der SAE (School of Audio Engineering) aufgenommen und in weiterer Folge sogar um teures Geld in einem echten Studio eine richtige CD produziert, gäbe es heute keine Dokumentation unseres doch recht ambitionierten Schaffens. Eine CD übrigens im Wert von rund 125.000 Schillingen (inflationsbereinigt 14.000 Euro) an Studio Fees, die trotz eifrigen Klinkenputzens bei zig Labels nie veröffentlicht wurde. Nicht etwa, weil sie schlecht war, unsere Mischung aus Metal, Goth und Grunge war schon gut. Aber das war Mitte der 90er einfach nicht gefragt, Pech. Da bin ich heute schon ein wenig verschnupft, wenn gerade mal wahlberechtigte junge Menschen ohne große Mühsal und

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Tattoo Convention 1998, mit über 1.000 Besucher*innen unser größter, leider aber auch letzter Gig

Cash-Burning in ihren Kinderzimmern am Laptop Songs in Studioqualität produzieren und diese via digitaler Distribution sogar monetarisieren können – bis hin zur Weltkarriere. Freilich, am Ende des Tages ist eine über mehrere Tage oder Wochen in einem Studio mit qualifizierter Hand produzierte Aufnahme einer daheim mit »Garage Band« zusammengeschusterten Nummer zumindest in Klangfragen überlegen, dazu muss man nicht besonders audiophil sein. Zumindest meistens, Lo-Fi-Heimaufnahmen wie Springsteens »Nebraska« bilden da eher die rühmliche Ausnahme. Rein aus der Konserve produzierbare Musikformen wie Hip-Hop, Techno oder EDM stehen sowieso auf einem ganz anderen Blatt, zumindest aus der gewachsenen Historie mit Samples und Drumpads gesehen.

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len Distributionen sind, gemessen an der Verbreitung, erbärmlich. Liveauftritte? Gnadenloses Gagendumping. Zumal auch Geldflüsse ohne Steuer und Abgaben damals um einiges einfacher waren als heute. Wir konnten es uns als Band trotz oft angespannter Finanzen leisten, für einen guten Zweck auch mal gratis zu spielen, sozusagen für ein Gulasch und ein Bier – oder zehn. Nicht weil wir mussten, weil wir wollten. Wenn ich heute immer wieder mitbekomme, wie Veranstalter mit unfassbarer Chuzpe Künstler gratis buchen wollen – »for exposure«, wie es dann heißt – bin ich fassungslos. Das gab es in der Form früher nicht. Gut, es war schwierig, in Zeiten vor Internet und Social Media an bezahlte Gigs zu kommen. Aber das hatte Handschlagqualität. Aufbauen, spielen, Gage bar auf die Kralle, abbauen, trotz Gratis-Catering fast alles erst recht wieder versaufen. Heute können Bands, DJs, Solokünstler*innen froh sein, wenn für den einstündigen Slot vier Getränkebons rausspringen. Pathetic.

No regrets Das klingt jetzt alles sehr nach Alter-weißerMann-Rant, aber ganz im Gegenteil. Wäre ich wieder ein junger Mensch Anfang 20, meine E-Gitarre und den Verstärker parat, ein paar Riffs im Ärmel, würde ich mir das Band-Ding wieder antun? Na klar. Und zwar völlig egal, ob in einem feuchten Probekeller ohne Segnungen der modernen Technik oder in einem

WG-Zimmer mit MacBook und Glasfaser. Egal, ob mitten in der Nacht auf einem Bikerfest in einem Tiroler Gehörlosenheim (no joke!) oder auf der Werk-Terrasse am Nachmittag. Jederzeit wieder. Die unauslöschlichen Erfahrungen, die man macht, die lebenslang geknüpften Freundschaften, den reichen Anekdotenschatz, die Gewissheit, zumindest ein paar Menschen irgendwie bereichert zu haben. Und letztendlich die persönliche Entwicklung, die man im soziologisch höchst komplizierten Gefüge einer Band durchmacht. Nichts davon würde ich hergeben wollen. Und ich kann nur jedem raten, das möglichst bald selbst zu erleben. Jungsein kann man nicht nachholen, Jungsein in einer Band noch viel weniger. Und das Erstarken der österreichischen Musikszene zeigt, dass es auch abseits von EDM und Hip-Hop immer wieder eine Nische, ja sogar einen fetten Markt für echte, professionelle Bandkarrieren gibt. Schlag nach bei Wanda, Bilderbuch & Co. Wie sagte schon Meister Yoda: »Do. Or do not. There is no try.« Übrigens: Heute bekommt man richtigen, guten Akustikschaum pro Quadratmeter um weniger Geld als Eierkartons. Markus Höller

Der Autor hat nach wie vor spärlichen Kontakt zu seinen früheren Bandkollegen – nur einer davon ist nach wie vor als Musiker tätig. Die Gitarren von damals schmücken heute die Wände des Einfamilienhauses, die Verstärker verstauben auf dem Dachboden.

privat

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Moneymaker Und überhaupt, wozu sich das alles antun, wenn es am Ende sowieso nur sehr viel Mühe und ein leeres Börsel bedeutet? Nun, für den Applaus. Für das Lampenfieber vor einem Livekonzert und die unvergleichliche Anflutung mit Endorphinen währenddessen. Für die Erfahrung, mit einem Haufen Gleichgesinnter aus einer Idee in zig Durchgängen einen kompletten Song zu zimmern. Für den gemeinsamen, over-the-top-gestylten Auftritt, schmachtende potenzielle Sexualpartner*innen in der Entourage und fragwürdige Substanzen in der Blutbahn. Zumindest die Attitüde hat gepasst, da gab es wenig zu verbessern. Aber wäre es nicht schon auch nice gewesen, ein wenig Geld zu scheffeln? Davon leben zu können? Wenn auch nicht mit Privatjet und Villa, zwei Häuser entfernt von Johnny Depp, aber zumindest mit Porsche und einer gemütlichen Finca auf Malle? Oder zumindest mit Golf und Eigentumswohnung, jedenfalls ohne Nineto-five-Ödnis? Damals wie heute fast unmöglich, vor allem in unserer in sich gekehrten Alpenrepublik, die sich immer noch im vergangenen Glanz der kurzen, guten Phase des Austropop suhlt. Hier hat der große Bruder Deutschland seinerzeit wie heute aufgrund des bekannten Faktors 1:10 einfach mehr Potenzial. Außerdem: Vor uns stand vor allem die finanziell kaum zu nehmende Hürde, einen physischen Tonträger zu produzieren und zu vermarkten – siehe weiter oben. Obwohl: Wenn es einem damals gelang, eine CD in den Charts zu platzieren, Tantiemen über die AKM abzurechnen und regelmäßig halbwegs gut besetzte Konzerte plus Merchandise durchzuziehen, war der Ertrag schon ganz gut. Wenn. Ich kenne ein paar solche Leute, aber die sind echt rar. Da wiederum tun mir Musikschaffende heute doch eher leid. Die zu generierenden Umsätze aus Streaming und sonstigen digita-

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privat

prince

king

QUEEN The_Gap_188_012-047_Story_Gesamt_BBA_korr_mf.indd 41

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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Patrick Münnich

Sandro Nicolussi

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Alina Nimmervoll aka Änn Sängerin und Front-Desk-Mitarbeiterin

Nachdem sie 2019 das Studium »Theorie – Arrangement – Komposition«, beziehungsweise das »Singer-Songwriter-Studium«, wie Alina es selbst nennt, an der Jam-Lab-Privatuni abgeschlossen hatte, startete sie nach einem fliegenden Übergang in einer Vollzeitanstellung am Front Desk einer beliebten Markplatz-App. Ihre Entscheidung begründet sie damit, sich nicht dem Druck des Musikbusiness aussetzen zu wollen: »Wollte ich von meiner Kunst leben, müsste ich beinahe jedes einzelne Booking annehmen. Dieser Gedanke stresst mich unglaublich.« Neben den 38 Wochenstunden sei zwar oft nicht mehr die Zeit und Energie für die Musik übrig, die sich Änn wünscht, dennoch ging es sich für sie im vergangenen Mai aus, ihr Debütalbum »A.M. Forever« zu releasen. Ein weiterer wichtiger Aspekt für sie ist, dass sie sich nach Feierabend völlig von ihrer Lohnarbeit lösen kann. Eine mögliche Reduktion auf 30 Wochenstunden würde die Sängerin aber begrüßen.

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Emil Delivuk aka Fellowsoph Rapper und Fahrradkurier

Auf seinem Album »Fahrräder und Drumracks«, das Fellowsoph vor rund einem Jahr zusammen mit dem Produzenten Edi Flaneur veröffentlichte, präsentierte sich der Sprachkünstler stolz als Connaisseur einspuriger Drahtesel. Zum Interviewtermin erscheint er in sportlicher Arbeitskluft, mit Botentasche und geprellter Schulter. Abgesehen davon, dass der Rapper auch gerne sportlich unterwegs ist, verschafft ihm der finanzielle Zuverdienst der Teilzeitlohnarbeit einerseits die nötige finanzielle Freiheit für seine Musik und andererseits die laufende Inspiration, um nicht von seinem Allroundertum abweichen zu müssen. »Es lässt sich immer wieder beobachten, dass die Qualität der Arbeit darunter leidet, wenn Künstler*innen versuchen, von der Kunst zu leben. Man kommt dann selten dran vorbei, Kompromisse zu machen.« Hätte Emil die Chance (augenzwinkernd: nach der Revolution), würde er dem Künstlerleben allerdings eine Chance geben.

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Musiker*innen und ihre Brotjobs The_Gap_188_012-047_Story_Gesamt_BBA_korr_mf.indd 45

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PROSA LYRIK — LYDIA STEINBACHER

VERSIERT! Widersprüchlichem wohnt die schönste Spannung inne. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass die ebenso kraftvolle wie subtile Lyrik von Lydia Steinbacher ihre Leser*innen zu fesseln vermag. Wohl auch, weil es der niederösterreichischen Autorin gelingt, abgekoppelt von Raum und Zeit dem Mensch- und Ich-Sein facettenreich auf den Grund zu gehen. Eine kleine Auswahl.

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Unterm Wimpernkranz Was wir nicht wissen können in den kleinen Körnern eingelagert wie sich die Vögel an die Futterkugel klammern darunter wachsen menschenlos die Muster auf – so zerstreut. Es wickelt sich schön in die angewachsene Fremdheit. Später ziehen wir an den abstehenden Fäden immer-immer ziehend die alte Hand Verbrecherin bis die Körper von Neuem zu nähen wären – ganz von vorn. Dann weinen wir formlos in unsere Geheimnisse unterm Wimpernkranz.

Kind gewesen ein Friedhof ohne Namen Fotografien ohne Farben warum nicht zeigen wie es wirklich war was lesen wir in den Träumen der Kranken immer gehen wir allein auf die Flüsse zu allem Überdruss sind wir Kinder gewesen bis ins hohe Alter jemand muss sich doch erinnern wir hatten nicht mal Namen

Ein Land

eine Stiege ohne Stufen und doch kopflos in die Leere fallen ohne Spuren vergangen nur – keine Versprechen und kein Gram keine Körper die Wärme abstrahlen bin ich denn schon zu verlassen um in dich Blumen zu atmen? dass etwas wächst und bebt eine Rose einen Schatten

Heimkehr du bittest mich herein aber die Tür ist verschlossen wir stehen in einem Nebelgewand am Beginn der Stufen du sagst setz dich und ich halte deine Füße schwer der Rotanteil der Nacht drinnen verbrennt sich ein Licht du fragst ob ich hungrig bin doch du streckst nur die Zunge heraus am spitzen Ende ein Kristall deine Kälte glänzt du sagst es ist lang her der Ort ist zur Gänze besetzt vereinzelt sterben die Rehe am Feld der Mond der weiße Schattengeber

frei von allen Vorstellungen kein Meer und keine Küste Möwen sind noch nicht gemalt keine Sprache und kein Haus noch keine Namen ausgedacht was du für mich sein könntest

du bittest mich zu gehen obwohl ich nie gekommen bin auf allen Stufen die stechende Leere eines verflogenen Vogels

hinter unverglasten Fenstern keine Kammern keine Uhren statt der Haut zwei Tränennarben

du wirst immer fragen ob es diese Tiere wirklich gibt solange ich dir keinen vor die Tür gelegt habe

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Seeelefanten

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Lydia Steinbacher lebt in Wien und Niederösterreich, schreibt Lyrik und Prosa und arbeitet zur Zeit in einem Verlag für Bildungsmedien. Mehrere Aufenthaltsstipendien und Lesereisen führten die 28-Jährige u. a. nach Slowenien, Frankreich, Serbien, Ungarn und in die USA. Zudem arbeitete die Autorin als Deutschlehrerin in Kasachstan und Frankreich, im Rahmen ihres Dissertationsprojekts beschäftigt sie sich mit russlanddeutscher Literatur. Aktuell arbeitet Steinbacher an ihrem Debütroman, sie hat aber bereits einiges an Veröffentlichungen vorzuweisen. Etwa den Erzählband »Schalenmenschen« (Septime 2019) oder Gedichte in »Im Grunde sind wir sehr verschieden« (Limbus 2017).

solange ich dir nicht zu Füßen liege wirst du nicht glauben dass es das gibt ich am Boden zerstört

Das für meine Liebe? eine Tränenweide der Regen geht auf der Regen geht hinter meiner Stirn bin ich ein Lastentier ohne Zielvereinbarung trag aus der reinsten Liebe dir all die möglichen Wörter hinterher die nur von dir zu sprechen wären und ich würde leichter der Regen hört zu der Regen hört auf oben am Himmel steht Herkules und öffnet eine Tür

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Ad personam

Wir haben mit den zu langen Ärmeln noch den Kaffeerest ausgebadet die alten Brösel aufgekehrt vorm Gericht die überschüssige Farbe abgetupft von unserem übermalten Gesicht die Augenwinkel freigewischt die spitzen Ecken des Sehens wo es sich heute versteckt was einst unter Schmerz in uns selbst entdeckt

Helmut Steinbacher

Kryolith wo uns die Fingerkuppen wegzubrechen drohen beim gemeinsamen Anfassen des Porzellans des spröden Holzes oder der Stoffe aus denen wir uns genäht haben woraus wir uns heute geschält haben und überall am Boden knistern Scherbenbilder

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du gibst die Augenprothese von einer in eine andre Hand das Halogenid hat das ewige Eis Grönlands noch gekannt in Schwefelsäure hätten wir uns ganz gelöst so sitzen wir noch immer beieinander Teile die sich blind erfühlen lassen sich nicht los

Wann werden wir endlich die Sprachen vergessen die Münder zu Augen schließen wir brauchen nicht diese Art von Sprechen einmal reichst du mir durch die Zeit das Ende schaust mir die Träume und meine Fehler heraus

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Filmpremiere The Father (OmU)

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Im Regiedebüt von Florian Zeller – von ihm stammt auch das Theaterstück, auf dem der Film basiert – lassen uns Anthony Hopkins und Olivia Colman als demenzkranker Vater und dessen Tochter die Furcht, Verunsicherung und Verzweiflung spüren, die diese Krankheit mit sich bringt. Ein emotionales Drama, das nahe am Psycho­ thriller gebaut ist. Doppelt oscarprämiert.

Mi., 25. August, 20.15 Uhr Village Cinema Wien Mitte Landstraßer Hauptstraße 2a 1030 Wien Wir verlosen 40 � 2 Tickets für die Premiere von »The Father«. Der Film wird in englischsprachiger Original­version mit deutschen Untertiteln gezeigt. Die Gewinnspielteilnahme ist bis 22. August 2021 unter www.thegap.at / gewinnen möglich.

In Kooperation mit

1 »Dune – Der Wüstenplanet« Im Rahmen von David Lynchs meisterhaftem Gesamtwerk gilt »Dune« vielen als missglückt, vor allem weil der Regisseur beim Final Cut keine freie Hand hatte. Dass rund um Denis Villeneuves Neuverfilmung des Stoffes (nach dem Sci-Fi-Roman von Frank Herbert), Lynchs Version nun neu aufgelegt wird – als Ultimate Edition, Steelbook und Mediabook –, ist guter Anlass für ein Wiedersehen. Wir verlosen ein Exemplar des Mediabooks.

2 »Before Trilogie« In »Before Sunrise«, Teil eins der »Before Trilogie«, lässt Gen-X-Hit-Regisseur Richard Linklater Julie Delpy und Ethan Hawke als romantische Zufallsbekanntschaft durchs Wien der 1990er-Jahre streifen. Jeweils neun Jahre später stehen Paris (»Before Sunset«) und eine Urlaubsreise nach Griechenland (»Before Midnight«) auf dem Programm. Die »Before Trilogie« erscheint am 9. September. Wir verlosen drei Blu-Rays.

3 »Para – Wir sind King« Jazz, Fanta, Hajra und Rasaq sind beste Freundinnen. Aufgewachsen auf den rauen Straßen von Berlin-Wedding, stehen sie an der Schwelle zum Erwachsenenleben. Als sie durch einen Zufall an eine größere Menge Drogen kommen, versuchen sie, diese zu schnellem Geld (»Para«) zu machen. Doch wie sie bald merken, legen sie sich dabei mit den falschen Leuten an … Wir verlosen je eine DVD und eine BluRay.

4 Anna Breit »Teens (In Their Rooms)« »The Kids Are United« – mi diesem Zitat wird Anna Breits erstes Buch eingeleitet. »Teens (In Their Rooms)«, so dessen Titel, zeigt eine Bildserie, für die Breit Jugendliche in ihren Zimmern abgelichtet hat – ästhetisch an Fotoreportagen angelehnt. Ihre Protagonist*innen hat die zumeist analog arbeitende Fotografin auf der Straße und über Social Media kennengelernt. Wir verlosen drei Exemplare.

Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich unter der an­gegebenen Adresse erfolgen. Die Gewinner*innen werden bis 23. August 2021 per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist aus­ geschlossen. MitarbeiterInnen des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.

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Tobis Film

5 Peter Pilz »Kurz – Ein Regime« Seit dem selbstverschuldeten Ende seiner politischen Karriere rund um Vorwürfe von sexueller Belästigung betreibt der frühere Grüne Peter Pilz die Aufdeckungsplattform Zack Zack. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Darin beschreibt er den Umbau der Republik durch Sebastian Kurz und die türkise »Familie« – »nach Orbán’schem Vorbild«. Symptome wie Ibiza-Affäre, BVTSkandal und Postenschacher inklusive. Wir verlosen drei Exemplare.

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Äffchen & Craigs 09

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»Wir san wieda do! […] Juhu!« heißt es im Opener »Hitstorm«. Darüber hinaus brillieren Äffchen und Craigs auf »Extremliab« mit intelligenten, oft dadaistisch anmutenden Texten und wuchtigen Drumbeats. Diese rocken vor allem, weil sie – im Genre eher unüblich – live eingespielt sind. Die virtuose Elektrifizierung der Songs ist bei Zeiten melodiös, springt zwischen düsterem Soundexperiment und klingenden Klangeskapaden hin und her, unterstützt entweder Äffchens Schlagergesang oder Craigs stampfende Bassdrum. Die wilde Mundartakrobatik verteilt derweil – mal dramatisch, mal lustig, also tragikomisch – fette Gnackwatschn an unsere Gesellschaft und deren pathologische Auswüchse. »Sogar mei Spam-Ordner is laar«, heißt es an anderer Stelle. Witzig die Verpackung, kritisch der Gedanke darin: Dunkler Schmäh ist der rote Faden des Albums, der Abgründiges kaschiert oder den Fokus zwischen die Zeilen lenken soll. Mal weint Äffchen und mal ist es aggressiv und schnappt nach deinen Wadeln. Die Postmoderne auf »Extremliab« scheint zeitlos, ist rotzfrech. Das aberwitzige Liedgut aus Oberösterreich ist irgendwo zwischen Texta, Attwenger (no na), EAV, Bodycount, Cher und Heino zu verorten und dabei intellektueller, als es den beiden Protagonisten wohl lieb ist. Denn provokanter Humor ist, wie gesagt, die Camouflage ihrer wahren Mission: Die Umsetzung musikalischer Alltagsg’schichten, die einen etwas ratlos zurücklassen wollen. Darf man da jetzt eh lachen? Aber egal was einem auf diesem verrückten sonischen Ausflug begegnet, dick aufgetragen und immer mit etwas eskapistischer Schieflage, bleibt ein Song nach dem anderen ein überzeugender Kopfnicker. Die abschließende Single »Canale Grande« hat übrigens Hitpotenzial und könnte als Pars pro Toto nicht nur Äffchen & Craigs glücklich machen: Happy End mit Open End. Denn: »Wir san jung.« (VÖ: 24. September) Tobias Natter

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Extremliab — O-Ton

Zoe Goldstein

Tobis Film

Rezensionen Musik

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Sein Debüt war ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Zwischen Oktober 2016 und Dezember 2019 arbeitete der Wiener an neuen Songs wie es Alchemisten an Tinkturen und Extrakten tun: allein im Halbdunkeln. Es bedurfte der Überzeugung von Freund*innen und Bekannten, dass Volker Buchgraber (bekannt als Frontman von Dust Covered Carpet) seine melancholischen Tonexperimente in die Freiheit des Tageslichts entließ. Nachdenklich und gravitätisch präsentiert sich nun »Hold Sand« dem Publikum. Der Gesang ist fragil, die Inhalte sind persönlich. Sie erzählen von Erfahrungen und Begebenheiten aus der Zeit langen Entstehungsprozesses. Von Schlussstrichen und Anfängen ist die Rede. Von brennenden Häusern, Demos, Abschieden, Erinnerungen und Fernbeziehungen. Ein emotionales Gemenge, das verträumt seinen Weg (zu den Rezipient*innen) sucht, ihn jedoch nicht immer findet. Der Versuch des musikalischen Geschichtenerzählens geht aber nicht wegen der Musik selbst nicht ganz auf. Es sind die textlichen Inhalte und deren Präsentation, die mit dem atmosphärischen Soundkaleidoskop, das Jelka präzise kreiert hat, nicht immer mithalten können. Der Stimme und dem Wort fehlen erzählerische Überzeugungskraft, um dem lyrischen Anspruch des Albums gerecht zu werden. »Hold Sand« ist deswegen keineswegs gescheitert. Aber es verliert sich auf seiner Reise ins Dramatische, bleibt bemüht und ergeht sich in Befindlichkeiten. Jelka verpasst auf seinem Debüt die Ausfahrt zur inhaltlichen Eleganz und biegt stattdessen in den Boulevard des Kitschs ab. Das muss Geneigte aber nicht stören. Wer Xiu Xiu, Perfume Genius oder Sparklehorse mag, der wird auch Jelka mögen. Soundmäßig gibt es viel zu entdecken. »Hold Sand« hat Seele, ist gefühlvoll, verlässt die Oberfläche, kann verzaubern. Und manchmal jagt es einem sogar einen wohligen Schauer über den Rücken. Soul, Indie und Alternative treffen sich im beginnenden Frühling in Estland (»Lake Estonia«), um prägnante, fantasievolle Popmusik zu machen. Das gelingt. Man darf auf mehr von Jelka hoffen. (VÖ: 3. September 2021) Tobias Natter Live: 27. Oktober, Wien, Fluc

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Jetzt spielt’s Granada

Fotos: stellaswork.at, Ingo Pertramer, Daniela Matejschek

Das Open-Air-Programm der Tischlerei Melk Kulturwerkstatt

Unter dem Motto „Tischlerei goes Wachauarena“ präsentiert die Tischlerei Melk Kulturwerkstatt zum Sommerausklang Kabarett- und Konzerthighlights im Grünen. SCIENCE BUSTERS / Do., 9. September / GLOBAL WARMING PARTY MASCHEK / Fr., 10. September / MASCHEK MACHT MERKEL VOODOO JÜRGENS & BUNTSPECHT / Sa., 11. September / LIVE IN CONCERT GERNOT KULIS / So., 12. September / BEST OF 20 JAHRE Ö3-CALLBOY JOSEF HADER / Do., 16. September / HADER ON ICE GRANADA / Sa., 18. September / JETZT SPIELT’S GRANADA

INFOS & KARTEN

Leyya

Longest Day of My Life — Ink Music

Karten können ab Do., 5. August unter www.tischlereimelk.at sowie im Kartenbüro der Wachau Kultur Melk erworben werden. Wachau Kultur Melk GmbH, Jakob-Prandtauer-Straße 11 I A-3390 Melk Mo. bis Fr.: 9 bis 15 Uhr, +43 2752 540 60, office@wachaukulturmelk.at, www.tischlereimelk.at

PROMOTION

PROGRAMMÜBERSICHT

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Wenn einem das eigene Leben wie ein Film vorkommt, kann das ein schönes Gefühl sein. In der Regel trifft das aber nur dann zu, wenn das Drehbuch aus der eigenen Feder stammt. Fängt jemand anderer plötzlich damit an, Dinge darin durchzustreichen, auszulöschen und zu überschreiben, kann es passieren, dass sich die anfangs geglückte Überlagerung von Fiktion und Realität in Überforderung verwandelt. Und man schlussendlich nicht mehr weiß, ob man alle wichtigen Handlungsstränge noch selbst in der Hand hat oder sie sich schon scheinbar unauflösbar ineinander verstrickt haben. So ähnlich schildert es auch Sophie Lindinger im Song »Am I Even Real«, der nun »Longest Day of My Life«, die neue EP des Duos Leyya, eröffnet. Als richtungsweisend für die weiteren Stücke der EP kann die Eröffnungsnummer gleich in zweifacher Hinsicht gesehen werden: Musikalisch zeigt sich hier bereits auf eindeutige Weise, dass Melancholie und Eingängigkeit einander alles andere als ausschließen. Und auch die Blickrichtung ist sofort klar: Es geht darum, das eigene Seelenleben auszuleuchten, ohne dabei zwangsweise zu einer Art von Erleuchtungszustand kommen zu müssen. Dass der Moment des In-sich-Gehens außerdem keinesfalls dazu führen muss, dass man den Blick auf die Außenwelt verliert, stellen Sophie Lindinger und Marco Kleebauer im Song »Lately«, der letzten Nummer der EP, unmissverständlich klar. »Give me the night to move a minute / I need the beat to feel the ground«, heißt es im Refrain, der dazu anspornt, den Blick wieder verstärkt nach draußen zu richten. Getragen von der Energie dieses – man kann es ruhig so sagen – perfekten Popsongs, hat man dann auch keine Angst mehr davor, wieder einmal sämtliche Leinen loszulassen. Wenn alles gutgeht, fällt man dabei nicht wieder in sich selbst hinein, sondern der besten Freundin oder dem besten Freund in die Arme. (VÖ: 27. August) Sarah Wetzlmayr

grawe.at/diesezeit

Live: 27. August, Linz, Posthof — 28. August, Wien, Globe Open Air

Und falls nicht – GRAWE sidebyside. Dein Leben. Deine Versicherung. The_Gap_188_048-066_Gewinnen_Rezis_Termine_BBA_korr_mf.indd 51

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Rezensionen Musik

Mermaid & Seafruit

Modecenter

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Ein neues Raumschiff tritt in die Sphäre der Post-allesÄra. Post-Club, Post-Pop, Post-Queerness. Das neue Album von Mermaid & Seafruit saugt Eindrücke und Ästhetik auf, um sie unverdaut, aber umgekehrt wieder auszuspucken und daraus eine Melange aus zeitgenössischen und nostalgischen Klangwelten zu servieren. Das Duo markiert die polnisch-österreichische Kooperation von Magdalena Chowaniec, die bisher hauptsächlich als Performancekünstlerin in Erscheinung trat, und Markus Steinkellner, der sich seit gut zehn Jahren in der Wiener Underground-Musikszene herumtreibt. Seit 2015 probieren sie sich gemeinsam aus und mit »Screens Are My New Clothes« haben sie wohl vorerst zu einem wesentlichen Ankerpunkt ihrer musikalischen Arbeit gefunden. Ein Album wie dieses als mit »aus einem Guss« zu beschreiben, liegt selten näher. Die Unterbrechungen zwischen den Tracks wirken teils fast arbiträr gewählt, aneinandergereiht könnte das locker auch aus einem jener glücklicher Livejams entstammen, bei denen zufällig der Rekorder mitgelaufen ist. Entstanden ist das komplette Album jedenfalls während eines der vergangenen Lockdowns – die Dystopie schwingt mit. Der erhobene Mittelfinger im Gesicht der Generation Shuffle zieht sich passend zum Albumkonzept durch die gesamte Produktion von gut 30 Minuten Liedmaterial. Leider tun das teilweise auch die Stimmungen und Arpeggien, die nach der dritten Nummer schon ein bisschen auf den Zeiger gehen. Das mag live besser funktionieren als auf der Anlage daheim. Wenn Mermaid & Seafruit Lieder ankündigen, die zur physischen Wende in der Gesellschaft und zu Allianzen der Fürsorge aufrufen und Exklusivitäten kritisieren, ist das jedenfalls ein Experiment, das teilweise glückt. Repetitive Spannungsbögen, die zeitweise fast unangenehm auffallen, werden von flächigen Drones und kompromisslosen Schreien auf funktionierende Art zerschnitten. Außerdem pocht das Duo auf dem Album auf eine Revolution des Kollektivismus. Sollte die Musik tatsächlich derartige Ansprüche in den Hörer*innen kultivieren, sei an dieser Stelle auf jeden Fall eine Empfehlung ausgesprochen. (VÖ: 29. Juli) Sandro Nicolussi Live: 13. und 15. August Wien, WUK

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Modecenter — Numavi / A-Lo Funfact: Suchmaschint man nach der Debüt-EP von Modecenter namens »Mode für jung und alt« aus dem Vorjahr, kommt: »Pastell und Schwarz-Weiß liegen im Trend.« Das ist lustig, weil: Hier ist alles Schwarz oder Weiß, je nachdem – was gut ist. Hier gibt es keine Zwischentöne, oder was auch immer Pastell in diesem Zusammenhang sein soll. Überhaupt: Wäre der Name der Gruppe Programm, müsste man den Sender wechseln. Dass eine Band namens Modecenter die Sache mit dem Konsum, dem Turbokapitalismus eher nur so halb gut finden kann, ist irgendwie logisch, wenn, was das Label anbelangt, auch noch Numavi und A-Lo Records oben steht, umso mehr – die sind da einschlägig vorbelastet. Was David Bauer, Hannes Gruber, Dieter Kienast und Michael Schneeberger hingegen richtig gut finden, ist bereits mit den ersten Klängen auf ihrem Debütalbum mehr als klar ersichtlich. Und, das muss man sagen: An Geschmacksverwirrung leidet die Gruppe keinesfalls. Was mit einem simplen Drum-Fill beginnt, mit der einsetzenden schweren Gitarre, den desperat geschrienen Vocals, ist nur ein milder Vorgeschmack darauf, was mit den zehn Stücken folgt. Nämlich: Atemberaubend intensiver und gleichzeitig so unglaublich druckvoller und musikalisch zu jedem Zeitpunkt höchst gefälliger Postpunk mit kleinen Anleihen bei dem, was wir Noise nennen. Jeder Anschlag, jeder Kick in die Bassdrum, jede Note ist ein Schlag in die Fressen dieser unzähligen Bands, die ihr Leben lang scheitern, eine so gute Platte in die Regale zu stellen. Da sitzt einfach alles perfekt (bitte hier einen Modecenter-Witz einsetzen), maßgeschneidert für diesen unbändigen Sound. Wer ihn zu Hause hört, schult beim Nicken die Muskulatur auf Stiernacken, ebenso die sonst mit dem Besen anklopfenden Nachbar*innen. Mit Live-Spielen war noch nicht viel, die Band gibt’s erst seit dem Vorjahr. Die Antwort nach den Hits ist mit »(fast) alle« richtig gegeben. Wenn es nur einen geben darf, dann vielleicht das ekstatische »187«. Wer ein besseres österreichisches Postpunk-Album kennt, soll sich bitte melden. (VÖ: 23. Juli) Dominik Oswald Live: 29. Juli, Wien, Arena — 20. August, Bregenz — 21. August, Ottensheim, Open Air

Magdalena Fischer, David Visnjic, Nikolaus Ostermann

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Screens Are My New Clothes — Ashida Park

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Magdalena Fischer, David Visnjic, Nikolaus Ostermann

P ROMOTION

Must have! Sachen, die den Alltag schöner machen

Spaß mit Seuchen

Original Soundtrack

Der nächste Lockdown kommt bestimmt, und kaum etwas wäre da tödlicher als Lange­ weile. Abgesehen mal von den 32 Erregern, um die sich dieses seuchen-quartett dreht. Erhältlich bei metaware, wo nicht nur Geeks und Nerds glücklich werden. www.metaware.wien

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Sargnagel – Der Film — Lotterlabel

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Traumpaar? Untertreib mir da ja nicht! Die Sargnagel Steffi und der Voodoo Jürgens, beide Lobpreisende des österreichischen Grinds. Aus jedem Satz, jedem Cartoon oder jeder Melodie tropft dieses – wie man so gern sagt – Authentische wie der Bierschweiß aus den Poren der Spiegeltrinker, wie das Abwasser in die Pissrinne im Café Einhorn. Und wenn die Sargnagel einen Film mit ihrem Namen auf den Leib geschneidert bekommt, ist nix mit Auf-Lepschi-Gehen für den Voodoo, dann muss ein Soundtrack her, Faust aufs Aug – oder hier: Tschuck aufs Guck. Das muss sein, keine Widerrede. Passt auch ganz gut: Dass da dann ein bisserl ein Tschingbum, der halt ein paar Szenen untermalt, dabei ist – keine Frage, gehört dazu, gibt sicher Leute, die das mögen. Dass der Voodoo aber dann neben diesen klassischen Soundtrack-Nummern – insgesamt sind acht Stücke von ihm auf der Scheib’n, die gleichzeitig zum Kinostart aufschlägt – auch ein paar neue Hits komponiert, reine Zugabe: Besonders interessant ist dabei die Nummer »Taunzn«, die gemeinsam mit der Trenk Kati (Sex Jams; unter dem neuen Solonamen KMT) der Aufforderung im Titel folgt – wirst sehen, nächstes Jahr bei der Hochzeit deiner Wahl, gleich nach »Gö, du bleibst heut Nacht bei mir«, kannst dir zum Voodoo, der hier so sehr nach dem Ostbahn Kurti klingt wie nie, die Haxen mit der Schwiegermutti verdrehen. Mehr Klassiker als ein Almdudler-Weiß in der nächstbesten Tschumsn. Aber hey, nicht dass du glaubst, nur Voodoo Jürgens: Mit Klitclique, Fauna, eben KMT und Gebeneidet sind weitere Künstler*innen aus dem Tschickdunstkreis der Sargnagel auf dem Album oben, da wird die Platte dann zur Jukebox. Die Ersteren sind gleich mit fünf Stücken dabei, neben bereits bekannten Nummern wie »Der Feminist F€M1N1$T« oder dem 2019er-Hit »Auto« ist mit »Zu zweit« auch ein recht junges Stück drauf. Auch die Beiträge von Fauna (»Lonely at the Top«) oder Gebenedeit (»Ausmarsch (Missgeburt)«) sollte man schon kennen. Insgesamt, weil Fazit muss immer sein – Grundregel: Bogenspannen oder Fazit –, ist der Soundtrack zu »Sargnagel – Der Film« genauso vielfältig, obskur und ausdrucksstark wie man sich erwarten durfte. Und das ist ja schon mal nicht das Schlechteste. (VÖ: 20. August) Dominik Oswald

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Vinyl mit gutem Zweck bock auf kultur, die Charity-Veranstaltung des Flüchtlingsprojekts Ute Bock, ist längst eine Instanz in der Wiener Kultur­szene. Wer sich das Ganze zu Hause gönnen möchte, sollte bei dieser bestens bestückten vinylcompilation zugreifen. shop.fraubock.at

Open ears? Sounds great! Für Musik, Podcasts, Telefonate und VideoChats: fauna audiobrillen bieten ein neues Hörerlebnis. Mit nichts auf oder in den Ohren. Für mehr Freiheit, Flexibilität und Komfort. Entwickelt für unterwegs, zu Hause und den Job – vom Audio-Experten USound aus Graz. www.wearfauna.com

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Termine Musik

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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

GOOD WILSON

21.09.2021

© Yavuz Odabas

KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

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Ja, sogar das Kleingedruckte! Und damit bist du nicht allein. Werbung in The Gap erreicht ein interessiertes und sehr musikaffines Publikum. Und das Beste daran: Für Bands und Musiker*innen bieten wir besondere Konditionen. Absolut leistbar, auf all unseren Kanälen und nah dran an einer jungen, aktiven Zielgruppe. Melde dich, wir beraten dich gerne! sales@thegap.at

Elevate Festival Das Elevate Festival wird nach etlichen Verschiebungen nun also doch stattfinden. Damit wird Graz für eine knappe Woche lang Sound-Art und Diskurs eingehaucht. Unter anderem trifft man dort auf Arbeiten und Musik von Brian Eno, Bill B. Wintermute und Olgica. Samstagabend gibt es im Orpheum ein Line-up presented by The Gap: Wenn Asfast, Jessica Ekomane und Mouse On Mars (Foto) aufspielen, sind üppige Soundwände, dystopische Klangfärbungen und polyrhythmische Psychoacoustics garantiert. 4. bis 8. August Graz, diverse Locations

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Waves Festival Das Showcase-Festival findet 2021 zum elften Mal statt. Getreu dem alljährigen Motto »East Meets West« wird der musikalische Fokus auf den Ländern der Donauregion liegen. Dabei treten vor allem jene Bands im und rund ums WUK auf, die über internationales Format verfügen, aber eben noch nicht den großen Durchbruch geschafft haben. Ein wesentlicher Punkt beim Waves Festival ist nämlich die Entdeckung neuer Acts. Flankiert wird es wie gewohnt von der Waves Conference, bei der Lectures, Panels und Workshops zu den Musikmärkten der Donauregion abgehalten werden. 9. bis 11. September Wien, diverse Locations

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Termine Musik Cecile Believe Mit ihrer Musik, die dem Post-Genre zuzuordnen ist, verschiebt Cecile Believe die Grenzen von Pop, Club und Experimentalmusik, um dabei Raum für eine breite Palette von Stimmungen und emotionalem Ausdruck zu schaffen. Neben ihrer Theaterperformance mit Price wird die Musikerin beim diesjährigen Impulstanz Festival auch live mit eigener Musik auftreten. 7. August Wien, Kursalon im Stadtpark

Eli Preiss & Friends Ein Abend der Diversität und der Freundschaft – bei freiem Eintritt! Eli Preiss hat sich in den vergangenen Jahren rasant einen Namen im österreichischen Hip-Hop-Game gemacht und nebenher auch Kooperationen abgestaubt, die das Genre sehr weit dehnen. Support kommt von Skofi & Skyfarmer, Romc und Keyhan. Musiziert wird mit- und füreinander – was das bedeutet, erlebt man nur vor Ort. 20. August Wien, Szene Soundgarden

highlights 12.08. Cari

Cari Ugly Clementine 27.08. Leyya 30.08. Michael Hatzius 02.09. Kreiml & Samurai 03.09. Brandão Faber Hunger 04.09. Dives / Culk 10.09. Lou Asril 14.09. BlöZinger 17.09. Eva Menasse 19.08. My

Sandro Nicolussi

An drei aufeinanderfolgenden Tagen findet sich im Berio-Saal des Wiener Konzerthauses die Creme de la Crème der Pop-, Elektro- und Indie-Szene aus Österreich ein, um zu zeigen, dass man nicht immer in internationalen Gewässern suchen muss, wenn musikalische Qualität das Ziel ist. Hearts Hearts, Anger, Pauls Jets, At Pavillon, Elis Noa, Monsterheart, Strandhase, SFYA und Aze. Noch Fragen? 2. bis 4. September Wien, Konzerthaus

15 + 1 Jahre Siluh Records Das seit 2005 bestehende österreichische Label blickt bereits auf über 90 Releases und einen gut sortierten Plattenladen in der Wiener Brigittenau zurück. Gefeiert wird das verflixte 16. Jahr standesgemäß in einer der Wiener Traditionslocations für Livekonzerte mit den Label-Roster-Bands Dives und Culk, die beide in den letzten Jahren mit ihren Releases durch die Musikpresse fegten. 5. September Wien, WUK

Cari Cari

Apparat

Tocotronic

Tourankündigungen sind eher selten geworden. Cari Cari machen es dennoch und sind unterwegs durch Österreich. 6. August Feldkirch, Poolbar — 7. August Innsbruck, Treibhaus — 11. August St. Pölten, Cinema Paradiso — 12. August Linz, Posthof — 12. September Hallein, Take The A-Train — 8. Oktober Oslip, Cselley Mühle

Als Apparat ist Sascha Ring seit fast zwei Jahrzehnten einer der prägenden Protagonisten elektronischer Musik im deutschsprachigen Raum. Er erforscht die Möglichkeiten, programmierte Klänge mit analogen Instrumenten zu kombinieren – zwischen Avantgarde, Clubmusik und großen Pop-Momenten. 8. September Wien, Arena

Die vierköpfige Truppe spielt aktuell Konzerte unter dem Titel »The Hamburg Years« bzw. »The Berlin Years«. Erstere finden – wie in Wels – mit Songs aus der Hamburger Zeit der Band von 1993 bis 2004 statt. Die Berliner Jahre laufen dann mit einer Tracklist bis in die Gegenwart. Support: Kreisky. 10. September Wels, Schlachthof

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23.09. Sonja

Pikart FX 29.09. Hosea Ratschiller 30.09. Ana Morales 27.09. Dub

Bild: Hupfauer / Wimmer

Guillaume Bog, Flo Moshammer, Zoe Chait, Elton, Gabriel Hyden, Gwen Meta, Neven Allgeier

City Sounds

Bild: Joham Photography

Leyya Wer das heimische Duo Leyya gerne noch einmal live sehen möchte, sollte sich ranhalten. Denn die zwei ausstehen Konzerte werden vorerst die letzten sein, die Sophie Lindinger und Marco Kleebauer miteinander auf der Bühne bestreiten. Wegen eines möglichen Endes der Band muss man sich allerdings keine Sorge machen, die gemeinsame Studioarbeit wird trotz Konzertpause fortgeführt. 27. August Linz, Posthof — 28. August Wien, Globe

30.09. Attwenger 01.10. Martin

Puntigam Klenk & Florian Scheuba 11.10. Tarek Leitner 15.10. Manuel Rubey 14.10. Gravity & Other Myths 16.10. Joep Beving 18.10. Faber 18.10. Thomas Baum 22.10. Christoph & Lollo + Flüsterzweieck 26.10. Rea Garvey 26.10. Manu Delago 07.10. Florian

www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, oeticket und alle oö. Raiffeisenbanken.

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Termine Festivals

3 Fragen an Corinne Eckenstein

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Skin / Dschungel Wien

Mit Beginn der Theatersaison 2021/22 startet Dschungel Wien eine neue Festivalreihe für junge Erwachsene: das Performance-Festival Skin, das den Untertitel »Was unter die Haut geht« trägt. Ist das eine Reaktion auf die Pandemie? Ausschlaggebend waren die Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt gegenüber jungen Menschen, die sich während der Pandemie noch verstärkt haben. Das Programm richtet sich an 14bis 23-Jährige, schon länger eine vernachlässigte Altersgruppe. Die programmatischen Schwerpunkte haben sich durch die die wiederholt aufgegriffenen Themen der freien Gruppen ergeben, die Vielzahl an verschobenen Premieren machte eine thematische Bündelung möglich. Darüber hinaus sind Migration, Feminismus und Identität keine Nischenthemen mehr, sondern gehen uns alle etwas an. Handelt es sich also um eine bloße Neubündelung von bereits verschobenen Stücken oder sind durch das Konzept auch neue entstanden? Beides. Für das Eröffnungsstück »Kalaschnikow – mon amour«, in dem es um Männerwelten und Männerbilder geht, hatten wir schon davor eine Premiere geplant, aber die ist nie passiert. Von unserem »Try Out!«-Nachwuchswettbewerb ist auch das Gewinner*innenstück »Hijab Offline« von Shahrzad Nazarpour ins Programm gekommen. Das Ganze wird mit Talks und Workshops abgerundet. Der Mehrwert für das Publikum ist die eine Sache, die oft prekäre Lage von freischaffenden Künstler*innen, gerade wenn sie aus marginalisierten Communitys stammen, die andere. Wie werden die Produktionen finanziert, um nicht trotz guten Willens problematische Abläufe zu reproduzieren? Bei Eigenproduktionen sind die Künstler*innen alle bei uns angestellt. Alle bekommen den gleichen Lohn, mit dem wir uns an Fair-Pay-Konzepten orientieren. Das gilt auch für internationale Künstler*innen. Es gibt bei uns keine Stars und Underdogs. Die freien Gruppen reichen meist rechtzeitig für Förderungen ein, um ihrerseits faire Bezahlung gewährleisten zu können. Außerdem gibt es einen Talk mit D-Arts, dem Büro für Diversität und urbanen Dialog, zu Diskriminierung und Rassismus am Theater. Festivalreihe Skin Woche 1: 23. September bis 2. Oktober Wien, Dschungel

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Steirischer Herbst Das Gründungsjahr des Steirischen Herbsts, 1968, spricht einerseits Bände und umrahmt andererseits den dargebotenen Inhalt relativ vollständig. Das Festival für zeitgenössische Kunst entstand aus Opposition zum Wiedererstarken nationalistischer Kulturinitiativen, die zu jener Zeit an Einfluss gewannen. Dieser radikale Anspruch wird heuer unter dem Titel »The Way Out« weitergetragen, wenn sich das Ereignis nach draußen – raus aus dem Lockdown, aber auch raus aus der sicheren institutionellen Blase – wagt. Auch dieses Jahr wird das Festival von einem umfangreichen und vielgestaltigen Parallelprogramm lokaler Kulturinstitutionen und Künstler*innen begleitet. Außerdem finden mit »Stubenrein«, dem »ORF Musikprotokoll« und »The Way Out« quasi drei Festivals unter dem Schirm des Steirischen Herbsts statt. 9. September bis 10. Oktober Steiermark, diverse Locations

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Termine Festivals

Sandro Nicolussi

Franzi Kreis, Johanna Lamprecht, Bueronardin / Niko Havranek / Vienna Design Week, Alisa Glknn

Produkt-, Möbel-, und Industriedesign, Architektur, Grafik- und Social Design, experimentelle und digitale Ansätze. Die Vienna Design Week arbeitet gezielt daran, lokale Potenziale an zehn Herbsttagen international zu vernetzen. Seit diesem Jahr freut sich das größte kuratierte Designfestival Österreichs, das seit 2007 besteht, außerdem über eine neue Direktion. Gabriel Roland durfte das Ruder von Lilli Hollein übernehmen. Den kennen aufmerksame Leser*innen bereits von der The-Gap-Modekolumne »Einteiler«. Wir gratulieren herzlichst! 24. September bis 4. Oktober Wien, diverse Locations

Heart of Noise Das Heart of Noise Festival vermischt im Spätsommer all das mit der Tiroler Bergluft, was zu kategorisieren weder notwendig noch zielführend ist. Lärm, Geräusch, Schall, Wellen, Performance, Ausstellung, Visualisierungen. Im Line-up, das von modularen Bleeps bis hin zu raumfüllenden Konzepten alles zwischen Club und Avantgarde abdeckt, finden sich Namen wie Robert Henke, Katharina Ernst, Lena Andersson und No1. 3. bis 5. September Innsbruck, diverse Locations

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Vienna Design Week

Unter dem Banner »A New Digital Deal« widmet ich das Ars Electronica Festival der digitalen Welt samt all ihren Transformationen, Erweiterungen und Potenzialen. Verdeutlicht durch die riesengroße Zahl von Nutzer*innen des Internets und digitaler Werkzeugtechniken, eben vier Milliarden Menschen, stellt man sich in der Stahlstadt also die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfähigkeiten innerhalb des Äthers. 8. bis 12. September Linz, diverse Locations

Architektur. Film. Sommer Die neunte Ausgabe des internationalen Open-AirArchitekturfilmfestivals präsentiert preisgekrönte Filme und Neuentdeckungen zur Frage, wie ein sorgsamer Umgang mit Grund und Boden für Mensch, Tier und Natur aussehen kann. Gezeigt werden Dokumentationen und Kurzfilme, die zukunftsweisende Projekte und kritische Perspektiven präsentieren. Plus: Das Festival findet unter freiem Himmel statt. 4., 11., 17. und 25. August Wien, Architekturzentrum

Unsafe + Sounds

Wien im Fluss An vier bespielten Stationen gegen den Strom des Wienflusses, der – Obacht, Funfact! – aufgrund seines alpinen Charakters als Wildwasser klassifiziert ist, wird die namensgebende Stadt Wien kostenlos als Anziehungs- und Ausgangspunkt für künstlerische Initiativen vermittelt. Neben der aufstrebenden jungen Formation Kurdophone und den beiden Fem*Friday-Artists Jungle Jade und Aygyul ist abschließend die gemeinsame Premiere von Mamadou Diabate & Sigi Finkel African Vibes feat. Marema Fall zu erleben. Das Programm ist kinder- und jugendfreundlich angelegt. 27. August Wien, diverse Locations

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Beim diesjährigen Unsafe + Sounds Festival dreht sich alles um die Interdependenzen von Ästhetik und Umgebung – die Affektion ist dabei immer Teil des Konzepts. Dabei resonieren die Artists auch genauso gut in der Abgrenzung – von Clubs, von Kompromissen, von »funktionierender« elektronischer Musik. Zum Aufwärmen kredenzt das Festival auf Soundcloud einen Mix mit teilweise noch unveröffentlichten Tracks der auftretenden Künstler*innen. 18. und 19. sowie 27. und 28. August Wien, diverse Locations

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Zum 13. Mal läutet das Wiener Galerienfestival Curated by den künstlerischen Spätsommer in der Hauptstadt ein. An 24 Kunstorten stellen internationale Kurator*innen aus, alles unter dem diesjährigen Leitthemenmantel »Comedy«. Weil es besonders im letzten Jahr eher weniger zu lachen gab, steckt hinter dem plakativen Titel aber auch immer eine Tragödie, die nur als Komödie getarnt ist. In der Reflexion von Komik tun sich dementsprechend Widersprüche, Überschneidungen und Symbiosen auf. So laden etwa Sophia Süßmilch und Valentin Wagner als Kollektiv Spatzi Spezial in die Galerie Krobath, die kanadische Künstlerin Bonny Poon tobt sich kuratorisch in der Shore Gallery aus und die britische Malerin Phoebe Cripps krempelt die Galerie Lisa Kandlhofer um. 4. September bis 2. Oktober Wien, diverse Locations

Curated by

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Termine Kunst

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T W A d W 2 — R

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Michaela Pichler

This World Is White No Longer Ansichten einer dezentrierten Welt 24. 4. — 10.10. 2021 Rupertinum

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Hexen Es gibt keine Hexen. Das ist beinahe alles, was man vorab wissen muss, wenn man die Gruppenausstellung »Hexen« mit Installationen, Videos, Skulpturen und öffentlichen Interventionen besucht. Künstler*innen wie Joachim Koester, Neda Saeedi sowie Angela Anderson & Ana Hoffner ex-Prvulovic* entschlüsseln die ideologischen und ökonomischen Infrastrukturen hinter den Hexenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa und stellen unter anderem die Frage, inwieweit diese Machtmissbräuche auch noch bis in die Gegenwart nachwirken. bis 3. Oktober Innsbruck, Taxispalais Kunsthalle Tirol

Avantgarde und Gegenwart Was haben Maria Lassnig, Padhi Frieberger, Günter Brus, Valie Export, Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl gemeinsam? Die einen haben das Gestern gestaltet, die anderen kommentieren mit ihrer Kunst das Heute – sie alle sind allerdings Teil der Sammlung Belvedere. Für die Sonderausstellung wurden die Bestände durchwühlt, auf der Suche nach Künstler*innen von 1930 bis heute. Von der Avantgarde bis zur Gegenwart werden im Belvedere 21 unterschiedlichste Positionen gegenüberstellt. 15. September bis 8. Jänner Wien, Belvedere 21

Susan Meiselas. Mediations In New England, ganz im Nordosten der USA, begann Susan Meiselas’ Karriere: Damals begleitete die US-amerikanische Fotografin Frauen mit ihrer Kamera, die in den Sommermonaten als Stripteasetänzerinnen auf Jahrmärkten arbeiteten. Die Serie hielt Meiselas in ihrem ersten fotografischen Essay »Carnival Strippers« fest. In der Personale »Mediations« widmet sich das Kunst Haus Wien den Anfängen der Künstlerin sowie Meiselas sozialen und politischen Ansprüchen in ihren Arbeiten. 16. September bis 20. Februar Wien, Kunst Haus

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Philipp Schuster, Neda Saeedi / Günter Kresser, Maria Lassnig / Bildrecht / Johannes Stoll, Susan Meiselas / Magnum Photos, Aimée Zito Lema

Termine Kunst

Aimée Zito Lema & Becket MWN Wenn Aimée Zito Lema und Becket MWN im Grazer Kunstverein aufeinandertreffen, steht Sprache im Zentrum des Geschehens: Für ihre gemeinsame Ausstellung »The Actress« haben die beiden mit Schauspieler*innen zusammengearbeitet, um Grenzen sowie die Beziehung zwischen Sprache, Erinnerung und Bewegung zu erforschen. Die Ergebnisse präsentieren sie in einer multi-perspektivischen Videoinstallation, aufgenommen aus der Perspektive der Schauspielenden und des Publikums. 24. September bis 17. Dezember Graz, Kunstverein

Danica Dakić, EL DORADO. Gießbergstraße (Detail), 2006–07, Courtesy of the artist © Danica Dakić, Bildrecht, Wien 2021

Presented by

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Termine Filme & Serien

4 Fragen an Sabine Hiebler & Gerhard Ertl

»Sargnagel – Der Film«

Der Film ist eine Mockumentary. Warum habt ihr euch für dieses Genre entschieden und welche Herausforderungen bringt es mit sich? Das Format der Mockumentary liegt bei Steffi praktisch auf der Hand, weil das ein Pendant zu ihrer Literatur ist. Da verschwimmen häufig die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Herausforderung war dann nicht so sehr das Genre Mockumentary – das Spiel mit all den unterschiedlichen Ebenen im Film war für uns ein Riesenspaß. Die größte Herausforderung war den Film auf die jetzige Länge zu bringen. Wir mussten uns von sehr guten, lustigen Szenen trennen. Stefanie Sargnagel ist Cartoonistin und Autorin, ihr arbeitet multimedial. Was kann man von euch noch erwarten? Ja, mittlerweile haben wir einen ziemlich breiten Fächer: Wir kommen aus der Kunst und aus dem Avantgardefilm und dieser Film ist unsere erste Komödie. Die Arbeit daran hat Spaß gemacht, da würden wir sehr gerne anknüpfen, aktuell schreiben wir aber wieder an einem etwas klassischer gebauten Drehbuch über zwei 80-Jährige auf der Flucht. Das wird ein sehr emotionaler Film über eine große, ungewöhnliche Frauenfreundschaft. »Sargnagel – Der Film« Start: 20. August

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Bernhard Paul: Ein Clown. Ein Leben Regie: Harald Aue ———— Das Leben ist ein Zirkus oder zumindest sein Leben: Bernhard Paul, Zirkusmacher (Roncalli) bringt mit seinem Alter Ego Clown Zippo das Publikum zum Lachen. Doch wie kommt es, dass jemand so eine ungewöhnliche Karriere einschlägt? Harald Aue hat Bernhard Paul mit seinem Filmteam zwei Jahre lang begleitet. Herausgekommen ist das Porträt eines Mannes, der vor 45 Jahren den Zirkus als Neuankömmling in Aufruhr versetzte. So stammte er einerseits nicht aus einer Zirkusfamilie, andererseits setzte er weniger auf Tiere in seinen Shows. Vor Corona machte der Zirkus Roncalli immerhin jährlich 25 Millionen Umsatz und beschäftigte 150 Mitarbeiter*innen. Aue geht – auch dank Archivaufnahmen – zurück in Pauls Kindheit, wo dessen Zirkusfieber einsetzte. Den Soundtrack zum Film liefern übrigens Ernst Molden und Der Nino aus Wien. Start: 24. September

Anna Hawliczek, Universal Pictures, Neue Vitaskop Film, Netflix,

Es haben außerdem auch viele andere bekannte Namen als Darsteller*innen mitgewirkt. Mit David Scheid, Michael Ostrowski, Hilde Dalik, Grete Tiesel, Christoph Krutzler, Voodoo Jürgens, Thomas Gratzer, Alexander Jagsch und vielen anderen haben wir ein tolles und vor allem stimmiges Ensemble rund um Steffi für den Film gewinnen können. Das ist nicht so selbstverständlich bei einer LowBudget-Produktion, aber wir können sehr hartnäckig sein und konnten alle überzeugen.

Promising Young Woman Regie: Emerald Fennell ———— Der in den letzten Wochen und Monaten viel beachtete Film »Promising Young Woman« startet nun auch bei uns: Carey Mulligan spielt Cassandra Thomas, eine ehemalige Medizinstudentin, die nach dem Suizid ihrer besten Freundin mehrmals pro Woche als vermeintlich Betrunkene Männern einen Denkzettel verpasst. Der Thriller wurde von Margot Robbies Produktionsfirma Lucky Chap Entertainment realisiert, das Drehbuch dazu befand sich bereits 2018 auf der Blacklist der besten unverfilmten Ideen Hollywoods, gedreht wurde »Promising Young Woman« an lediglich 23 Tagen. Emerald Fennell gab damit nicht nur ihr Debüt als Regisseurin, sondern sie ist auch die erste Frau, die mit ihrem ersten Film eine Oscar-Nominierung in der Kategorie »Beste Regie« für sich verbuchen konnte. In weiteren Rollen sind Adam Brody, Alison Brie, Laverne Cox sowie Bo Burnham zu sehen. Start: 19. August

Barbara Fohringer

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Warum ist gerade Stefanie Sargnagel Mittelpunkt eures neuen Films? Steffi ist eine vielseitige, interessante, hochtalentierte und wahnsinnig lustige Künstlerin und wir fanden sofort, als wir ihre Texte gelesen haben: Daraus müssen wir was machen. Bis zum Film hat es eine Weile gedauert, aber das hat uns die Gelegenheit gegeben, sie regelmäßig im Café Weidinger zu treffen und den Fortgang des Projekts … äh … zu besprechen.

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Anna Hawliczek, Universal Pictures, Neue Vitaskop Film, Netflix,

Barbara Fohringer

How It Ends Regie: Zoe Lister-Jones & Daryl Wein ———— Gemeinsam mit ihrem Ehemann und kreativen Partner Daryl Wein schuf die Schauspielerin und Regisseurin Zoe Lister-Jones diese apokalyptische Komödie über eine junge Frau, die vor dem Ende der Welt zu ihrer letzten Party möchte und dabei auf viele ehemalige Weggefährt*innen trifft. Gedreht wurde der Film – passenderweise – zu Beginn der Coronapandemie; inkl. vieler Gastauftritte von Stars wie Fred Armisen, Whitney Cummings und Nick Kroll. Start: 13. August

Hinter den Schlagzeilen Regie: Daniel Sager ———— Die sogenannte Ibiza-Affäre hält Österreichs Politik noch immer in Atem und beschäftigt überdies die Justiz. In seiner Doku »Hinter den Schlagzeilen« fokussiert der Filmemacher Daniel Sager nun auf die beiden Journalisten, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, die die Geschichte aufgedeckt haben. Exklusiv bekommt er Einblick darin, wie die beiden arbeiten. Nicht nur für Journalist*innen interessant! Start: 10. September

The Bubble Regie: Valerie Blankenbyl ———— 150.000 Menschen leben in »The Villages«, eine der größten Senior*innensiedlungen der USA: 54 Golfplätze, 70 Swimmingpools und 96 Freizeitzentren gibt es, nachmittags trifft man sich zum Plausch, selbst für eigene Medien ist gesorgt. Valerie Blankenbyl hat sich in der Siedlung umgesehen und mit Bewohner*innen gesprochen. »We know we’re in a bubble. But it’s a nice bubble«, sagt eine von ihnen. Wie lebt es sich im selbst gewählten Schlaraffenland? Start: 17. September

Hochwald Regie: Evi Romen ———— In ihrem Regiedebüt »Hochwald« erzählt Evi Romen die Geschichte zweier junger Männer: Mario (Thomas Prenn) ist schüchtern und sensibel, er will Tänzer werden. Sein Jugendfreund Lenz (Noah Saavedra) arbeitet als Schauspieler in Italien. Mario hegt Gefühle für ihn. Beim Besuch einer Schwulenbar in Rom, werden die beiden Opfer eines Attentats, Lenz stirbt. Romen interessierte, was passiert, wenn ein globales Ereignis in ein kleines Dorf einbricht. Gedreht wurde u. a. in Südtirol. Start: 17. September

The Chair

Impeachment

Showrunnerin: Amanda Peet ———— Fans von Sandra Oh können sich den 20. August vormerken, denn da startet die neue Serie mit der aus »Grey’s Anatomy« bekannten Schauspielerin. Sie verkörpert Ji-Yoon Kim, die Leiterin der EnglischAbteilung der Pembroke University. Diese ist die erste Woman of Color in dieser Position und muss mit vielen Herausforderungen zurechtkommen. Showrunnerin wie Autorin der Serie ist dabei die bisher primär als Schauspielerin bekannte Amanda Peet. ab 20. August Netflix

Showrunner: Scott Alexander & Larry Karaszewski ———— Am 23. Juli schrieb Monica Lewinsky auf Twitter: »It’s my 48th birthday today and it marks that I’ve now been a public person for half of my life.« Bekannt wurde sie durch ihre Affäre mit dem ehemaligen Präsidenten Bill Clinton, für die sie viel Häme einstecken musste. »Impeachment«, die dritte Staffel der Serie »American Crime Story« rollt den Fall nun auf. In den Hauptrollen: Beanie Feldstein und Clive Owen. ab 21. September Sky

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Christoph Prenner

bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber

Screen Lights Feat. Green Knights

In der Kolumne wie im Kino gilt: Ein guter Einstieg ist die halbe Miete. Bevor es gleich so richtig losgehen wird, schon mal die ungefähre Richtung vorgeben, Erwartungen schüren und im besten Fall Spannung erzeugen. Das geht mit bewegten Bildern zugegebenermaßen etwas einfacher als mit mitunter zum Holpern neigenden Wörtern – vor Filmstart reichen bereits einschlägige über Schirme und Leinwände ziehende Text-Bild-Kombinationen für ungezügelte Vorfreude. Ganz genau: Die Rede ist natürlich von den Logos bestimmter beteiligter Produktionsfirmen und Filmverleihe. War etwa einem Film in den 90er- und Nullerjahren der Miramax-Schriftzug vorangestellt, konnte man sich versichert wissen, dass da gleich was Fabelhaftes kommen würde. Gegenwärtig ist es insbesondere ein sich aus allen Himmelsrichtungen farbenfroh zu einem weißen Schriftzug zusammensetzendes Markenzeichen, das regelmäßig für Furore sorgt – mittlerweile weit über cinephile Zirkel hinaus. Ganz einfach, weil dieses leuchtende A24 der gleichnamigen Company aus New York mit guter Gewissheit etwas verheißt, das Hollywoods risikoscheues Studiosystem mit seinen Sequels und Spin-offs, mit Stangenware aus den diversen Comic-Universen kaum noch bieten mag: Filmkunst, die bewegt und aufwühlt, die verwegen sein darf, ungezügelt und schwärmerisch, transgressiv und funkensprühend, gelegentlich auch hemmungslos gaga oder meta. Bloß nie: berechenbar oder belanglos. Entsprechend liest sich die Liste der A24-Titel seit der Firmengründung 2013, angefangen beim ersten Hit, dem quietschbunten Florida-Exzentrik-Exzess »Spring Breakers«, wie

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eine Liste der besten Filme der letzten Dekade. Schillernde Sci-Fi-Extravaganzen wie »Under the Skin« und »Ex Machina« finden sich darauf ebenso wie feinsinnige (und Oscar-prämierte!) Coming-of-Age-Stücke wie »Moonlight« und »Lady Bird«, formatsprengender Horror wie »Midsommar« und »The Lighthouse« oder neorealistische Sozialdramen wie »American Honey« und »The Florida Project«.

Herzensfilmschmiede Ohne große Übertreibung ließe sich diese Aufzählung noch sehr, sehr lang fortsetzen. Weil für das A24-Œuvre in der Tat gilt: All killers, (almost) no fillers. Hier hat es eben die ultimative Verdichtung von Qualität, die dann möglich wird, wenn man kreative Könner*innenschaft von Barry Jenkins und Denis Villeneuve über Greta Gerwig und Yorgos Lanthimos bis zu Sofia Coppola und den Safdie Brothers nach ihrem Gusto herrliche Hirngespinste verwirklichen lässt. Aber wir wollen uns hier ja auch noch dem jüngsten Werk aus der Herzensfilmschmiede widmen, ebenfalls von einem bewährten Wegbegleiter des Unternehmens inszeniert: David Lowery. Verglichen mit dessen voriger Arbeit für A24, der impressionistischen Trauerstudie »A Ghost Story«, ist »The Green Knight« nun aus größerem Gestein gehauen. Einen Seitenstrang der Artus-Legende adaptierend begleitet das Mittelalterabenteuer einen Ritter der Tafelrunde, Artus’ Neffen Gawain (Dev Patel), auf einer wahrlich speziellen Reise, in deren Verlauf dieser womöglich sich selbst finden kann, auf jeden Fall aber zum sagenumwobenen Grünen Ritter finden muss. Der

ihn denn als Konsequenz eines unüberlegten Abkommens köpfen wird. Eine Frage der Ehre, auf die es keine angenehme Antwort gibt. Angenehm wenig hat dieser irrlichternde, surreale Fantasy-Fiebertraum mit seinen rumwandernden Riesen und sprechenden Füchsen dabei mit Artverwandtem wie Guy Ritchies schrecklichem »King Arthur« zu tun; vielmehr wirkt es so, als ob Lowery der »Herr der Ringe«Reihe durch die Brille des visionären Phantasten Alejandro Jodorowsky (»El Topo«) einen inoffiziellen weiteren Teil hinzudichten wollte. Ein Eindruck, der durch die Beteiligung der einschlägigen Effektebude WETA übrigens nur verstärkt wird. Nicht zuletzt wegen des erhöhten Budgeteinsatzes wirkt »The Green Knight« dann auch ein wenig so, als ob damit nach dem Einstieg ins Seriengeschäft (mit dem exzellenten »Euphoria«) ein weiteres neues Kapitel in der Geschichte von A24 aufgeschlagen werden könnte. Dass die Gründer Daniel Katz und David Fenkel nun auch noch Schritt für Schritt die gleichförmige Blockbuster-Welt erobern und nach ihren Regeln umgestalten möchten. Mit Produktionen, die auf unwiderstehlich aufregende Art und Weise neben der Spur liegen. Und damit immer wieder aufs Neue goldrichtig. prenner@thegap.at • @prennero Christoph Prenner und Lillian Moschen plaudern im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen. Über ihre Lieblingsfilme aus dem A24-Katalog könnten sie besonders ausdauernd debattieren. Letztlich fiel die Wahl auf »The Florida Project« und »Green Room«.

Luca Senoner, KEric Zachanowich / A24 Films

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Dev Patel und Alicia Vikander in »The Green Knight«

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Weil wir’s wissen wollen. U27

Was passiert gerade auf den Bühnen von Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Lifest yle? Wie hängen diese Ereignisse zusammen? Und was bedeutet das für uns alle? Unser Leben w ird begleitet von Fragen, auf die es keine einfachen Ant worten gibt. Die Redaktion der „Presse“ ist täglich dabei, den Dingen und Geschehnissen auf den Grund zu gehen, zu informieren, zu analysieren und ein möglichst breites Meinungsspektrum zu den Themen der Zeit zu bieten.

DiePresse.com/U27

Alle Wissbegierigen unter 27 lesen „Die Presse“ stark vergünstigt!

Luca Senoner, KEric Zachanowich / A24 Films

DiePresse.com/U27

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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik »The Cut« findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5 sowie im Artikel über Verena Dengler auf Seite 24.

Termine Bühne Als die Welt noch eine Scheibe war

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Lonely Ballads eins + zwei Gemeinsam gegen die Einsamkeit. Ein Post-Pandemie-Stück, bei dem die Schauspieler*innen des Aktionstheater Ensemble in die Mitte der sie umringenden Musiker*innen geworfen werden, um dort Angstthemen wie Femizide, Naturkatastrophen, den Wiederanstieg von Antisemitismus oder die eigene soziale Abstiegsangst zu reflektieren. Verzweifelt versuchen die Protagonist*innen in beiden Teilen des Diptychons von Martin Gruber gegen die Melancholie der einsamen Balladen anzukämpfen. Die Sprache versagt. Was an Hoffnung bleibt, mag hinter den Balladen verborgen sein. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung und dem Selbstschutz vor der ausschweifenden Ohnmacht in einer Welt, in der es zunehmend düsterer zu werden scheint. 15. September Dornbirn, Spielboden

… war alles andere Zukunftsmusik. Der Musiker, Turntablist, Schauspieler und Kabarettist David Scheid macht sich auf die Suche nach der »Wödscheibm« und wirft auf seiner Reise einige Fragen auf. Wie klänge es, wenn man das Klavier in Beethovens Mondscheinsonate durch Vogelstimmen ersetzen würde? War Troubardix ein schlechter Musiker oder war er seiner Zeit einfach voraus? Und ist Volksmusik tatsächlich gut fürs Volk. Auch Videosequenzen werden mit dem Plattenspieler gesteuert und in die Musik eingebettet. 8., 15., 22. und 29. September, 16. Oktober sowie 13. November Wien, Kabarett Niedermair

Oh Darling Darling – Don’t Be Such a Baby Die Operette polarisiert. Sie pendelt zwischen den Polen des skandalträchtigen modernen Theaters und der stumpfen, unpolitischen Unterhaltungsdarstellung. In einem derartigen Spannungsfeld will Marius Schötz ausgerechnet in einer OperettenTraditionsstadt wie Wien das Genre auf den Kopf stellen und durch radikale Uneingeschränktheit neu definieren. Die Stückentwicklung ist noch im Gange, deshalb wird es wohl bis zur Uraufführung geheimnisvoll bleiben. 9. September Wien, Volkstheater

Teatro Barocco The Art of Asking Your Boss for a Raise In »The Art of Asking Your Boss for a Raise« führt die 1997 von der Produzentin Kornelia Kilga und vom Regisseur Yosi Wanunu gegründete Theatergruppe Toxic Dreams das Publikum auf einen absurden Trip durch eine anonyme Konzernwelt. Ein einfacher Angestellter fasst den Entschluss, von seinem Chef mehr Gehalt einzufordern, nur um dabei in der überbürokratisierten Organisationslogik seines Konzerns hängen zu bleiben. Eine komödiantische Aufarbeitung des algorithmischen Lebens als eine Zahl in einer ExcelListe und des unaufhaltsamen Vergehens von Zeit. »The Art of Asking Your Boss for a Raise« basiert auf dem gleichnamigen Roman von Georges Perec. 1. bis 8. Oktober Wien, Brut Nordwest

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Zur zehnten Saison des Teatro Barocco stehen die Opernrarität »La Corona« von Christoph Willibald Gluck und die Welturaufführung des Melodrams »Philon und Theone« von Georg Anton Benda auf dem Programm. Beide Werke lassen Interpretationen und Parallelen zur Coronapandemie erkennen. Bernd R. Bienert inszeniert die Stücke mit junger Gesangsbesetzung, Bayreuth-Dirigent Christoph U. Meier leitet das Ensemble. Funfact: Die Marktgemeinde Perchtoldsdorf war die einstige Sommerresidenz des Komponisten Gluck. 12. bis 22. August Perchtoldsdorf, Neuer Burgsaal

Sandro Nicolussi

Der Green New Deal fordert eine ökologische Wende ohne Kompromisse. Die kanadische Climate Change Theatre Action hat dafür Autor*innen von allen Kontinenten aufgerufen, kurze Stücke fürs Theater zu schreiben, die weltweit aufgeführt werden. In Graz treffen in einer Koproduktion mit dem Institut für Schauspiel der Kunstuniversität Graz Stimmen aus Kanada, Chile und Hongkong auf Geschichten aus Kenia, Neuseeland und dem UK, wenn zehn Schauspielstudierende einen Chor bilden, der erkundet, wie wir einen globalen Green New Deal denken können. 29. September, 2. Oktober, 7. Oktober, 12. Oktober Graz, Schauspielhaus

Apollonia Theresa Bitzan, Tim Tom,

Once Upon Tomorrow

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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik »The Cut« findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5 sowie im Artikel über Verena Dengler auf Seite 24.


Josef Jöchl

artikuliert hier ziemlich viele Feels

Selten war Small Talk leichter als jetzt. Wen auch immer du triffst, du kannst immer irgendwas zum Thema Impfung sagen und schon sind zehn Minuten vorbei. Das wissen vor allem Leute zu schätzen, die keinen Small Talk mögen. Introvertierten zum Beispiel fallen beiläufige, informelle Alltagsgespräche nicht so leicht. Sie verlieren Energie, während sie übers Wetter oder die neue Wanda-Single sprechen, auch wenn beides heiter ist. Zufällige Begegnungen empfinden sie wie einen Lückentext in einer Sprache, die sie nie gelernt haben. Auch ich muss mich an dieser Stelle als Innie outen. Ich spreche eher wenig, verfüge aber über ein reiches Innenleben, das ihr euch in etwa so vorstellen dürft wie einen Screensaver am MacBook Pro. Es geht megatief rein und hat ein Retina-Display. Ist das geil? Natürlich. Aber nicht immer. Denn die Welt, in der wir leben, ist für Extrovertierte gemacht.

Innies vs. Outies Es gibt eben nur so viel Aufmerksamkeit für alle Menschen. Gezogen wird sie von Outies, die permanent ein imaginäres »Breaking News«-Banner auf ihrer Brust tragen. Ihnen fallen immer neue Fischlokale auf Sardinien ein, über die sie dringend sprechen müssen. Sie versorgen dich bottomless mit drängenden Youtube-Videos und jenen heißen Takes, die für Twitter zu viele Zeichen haben. Sie curaten, was gesprochen, und nicht zuletzt, was gedacht wird, und kommen so leichter an Jobs, Money und Fame. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch Kryptowährungen ohne Extrovertierte nie so groß geworden wären. Dabei sind sie eigentlich in der Minderheit. Rechnet man alle nach innen gewandten Persönlichkeitstypen nach Myers-

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Briggs zusammen, landet man bei 52 Prozent Introvertierten. Trotzdem sind Innies eine marginalisierte Gruppe, die im öffentlichen Diskurs häufig nicht gehört wird. Nun gut, das kann auch ein bisschen an den Persönlichkeitstypen liegen. Ein bisschen unfair ist es trotzdem.

All I’s on Me Auch beim Dating achte ich als INFP darauf, dass mir keine Leute mit einem E im Persönlichkeitstyp unterkommen, außer sie haben ein E dabei. Spaß beiseite: Es entspannt mich, angeschwiegen und dennoch verstanden zu werden, von Menschen, die meine Subtitles lesen können. Wenn zwei Innies jedoch das erste Mal aufeinandertreffen, wird oft sogar sehr viel gequatscht. Sobald ich mit jemandem vibe, breite ich meine intimsten Geheimnisse aus wie eine lädierte Picknickdecke – in der Hoffnung, dass die andere Person darauf Platz nehmen will. Wie viele Innies kreise ich gerne um meinen Bauchnabel und neige zum One-on-one. Unsere Weltabgewandtheit ist schließlich nicht gleichzusetzen mit Schüchternheit, genauso wie es nicht ausschließlich forsche Outies gibt. Trotzdem finden uns viele langweilig oder fragen uns, warum wir so still sind. Innie-Posterboy Keanu Reeves brachte es erst vor Kurzem mit einem Powertweet auf den Punkt: »I don’t ask others: ›Why do you talk so much?‹ It’s rude.«

paar Themen zurecht. Geh kurz vorher noch schnell ins Kino, checke relevante Hashtags auf Twitter, blättere ein wenig in der aktuellen Ausgabe des Economist. Dann warte ich auf den richtigen Zeitpunkt, um meine Rakete zu zünden. Da ist schon mal eine Apollo 9 dabei. Viel öfter aber zünde ich eine Ariane 5. In diesem Fall überlasse ich das Feld wieder den Klassensprechermentalitäten, die das können. Schließlich finde ich Extrovertierte ja auch ganz cute. Zum Beispiel wenn sie glauben, dass man mit Worten kommuniziert. Hin und wieder gewinnt man als Innie sogar einen Outie als Freund. Besser gesagt: Der Innie wird vom Outie adoptiert. Dann hören wir uns die Outies an wie einen Podcast, der nur für uns produziert worden ist. Irgendwann werden wir dann müde, rattern noch schnell irgendeinen Corona-Talking-Point herunter und verabschieden uns innig. Wenn der Outie dann nicht binnen fünf Minuten eine Taste drückt, sind wir schon im Energiesparmodus – auf der Milchstraße in unserer inneren Galaxy. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe Josef Jöchl ist Comedian. Sein gegenwärtiges Programm heißt »Nobody«. Aktuelle Termine sind unter www.knosef.at zu finden.

Innies for the Winnies Das setzt dich als Innie bisweilen unter Druck. Die Gesellschaft verlangt von uns, dass wir uns gelegentlich wie Outies verhalten. Wenn du schon mal was sagst, muss dein Beitrag dann mindestens Bombe sein. Deshalb lege ich mir manchmal vor dem Socializen ein

Ari Y. Richter

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Sex and the Lugner City Lost in Outie Space

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