Mental Health im Pop
Wie krank ist die Musikbranche?
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AUSGABE OKTOBER / NOVEMBER 2021 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1052 WIEN, P.B.B. | MZ 18Z041505 M
Haltungsübung Nr. 67
Meinungsvielfalt schätzen.
Das Schöne an Meinungen ist, dass jeder Mensch eine hat. Das Komplizierte ist: Viele haben eine andere als wir. Wir können jetzt einfach versuchen, lauter zu schreien. Oder Haltung zeigen und zuhören. Und vielleicht draufkommen, das wir falsch liegen. Oder alle ein wenig richtig. derStandard.at
Der Haltung gewidmet.
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Editorial My Stage Fright Holds Back Me All Night
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Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher Chefredaktion Sandro Nicolussi Leitender Redakteur Manfred Gram
Was wäre, wenn sich die Angst vor der Bühne einmal umkehrte und nicht das Stehen im Scheinwerferlicht das Problem darstellt, sondern die immer gleichen Geschehnisse rundherum? Wenn der einst so hochgehaltene und legitime Hedonismus der Popkultur zur Blockade wird und die Realisation, dass sich unter der Oberfläche des vermeintlichen »Funktionierens« einer ganzen Branche, Szene, Community wenig zum Positiven verändert. Nein, ganz so schlimm ist es noch nicht, aber die Arbeit an diesem Heft hat einmal mehr die Frage aufgeworfen, worauf eigentlich die popkulturelle Happiness fußt und wie stabil dieses Konstrukt tatsächlich noch steht. Mit Fokus auf Bühne und Performance gingen wir dieser Frage aus verschiedenen Blickwinkeln nach: Susanne Gottlieb sprach mit den Regisseuren der Dokumentation zu Marko Feingolds Erinnerungen über die bittere Tatsache, dass immer weniger Holocaust-Zeitzeug*innen unter uns weilen und so das grausamste Kapitel der Neuzeit schwieriger zu erinnern sein könnte. Christoph Benkeser erörtert, warum es in der Clubkultur-Community vorsichtig zu sein gilt, damit die zu begrüßende Verlängerung der Vienna Club Commission nicht zu einem rein wirtschaftlichen Herzschrittmacher umfunktioniert wird. Apropos Umfunktionieren: Fee Lousie Niederhagen hat sich angeschaut, wie aus dem Schauspielhaus Wien ein Hotel wurde. Die Coverstory beleuchtet, wie es um die psychische Gesundheit in der Popwelt steht und was die Forderungen von Musiker*innen wie Daniela Weinmann (Odd Beholder) und Sophie Lindinger (Leyya) sind, um die Branche in Zukunft sozial nachhaltiger zu gestalten. Und Bernhard Frena berichtet über den Zirkus als antibürgerliche Zusammenkunft allerlei Kuriositäten und Außenseiter*innen. Darüber hinaus gibt es wieder all things Popkultur und die gewohnten Rubriken des Hefts – mit einem Neuzugang: Nachdem sich Astrid Exner im letzten Heft verabschiedet hat, folgt ihr Imoan Kinshasa als neue Kolumnistin in der Rubrik »Gender Gap« nach. Wir freuen uns und wünschen interessante Lektüre!
Gestaltung Markus Raffetseder Autor*innen dieser Ausgabe Christoph Benkeser, Barbara Fohringer, Bernhard Frena, Susanne Gottlieb, Kami Kleedorfer, Oliver Maus, Fee Louise Niederhagen, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Berfin Silen, Jana Wachtmann, Sarah Wetzlmayr Kolumnist*innen Imoan Kinshasa, Josef Jöchl, Christoph Prenner, Gabriel Roland Fotograf*innen dieser Ausgabe Alexander Galler, Fabian Gasperl Lektorat Jana Wachtmann Coverillustration Melanie Ludwig Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl, Thomas Weber Distribution Andrea Pfeiffer Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Erste Bank, IBAN: AT39 2011 1841 4485 6600, BIC: GIBAATWWXXX Abonnement 6 Ausgaben; Euro 21,— abo.thegap.at Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien
Daniel Nuderscher
Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz www.thegap.at/impressum
Sandro Nicolussi
Chefredakteur • nicolussi@thegap.at @vorarlwiener
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber*innen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmi gung der Geschäftsführung.
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Magazin
Mental Health im Pop Wie krank ist die Musikbranche?
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Erinnerung konservieren Der Dokumentarfilm zu Marko Feingold »Ein Ausdruck purer Lebensfreude« Wie queer geht Zirkus? Out of the Void Was Theater machen, wenn sie sich einsam fühlen
Kolumnen
Rubriken
006 Einteiler: Gabriel Roland 008 Gender Gap: Imoan Kinshasa 054 Screen Lights: Christoph Prenner 058 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl
003 Editorial / Impressum 007 Charts 014 Golden Frame 032 Wortwechsel 034 Workstation: Kaja Dymnicki / Denise Kamschal 038 Prosa: Raphael Sas 040 Gewinnen 041 Rezensionen 046 Termine
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Stadt Wien Marketing GmbH / Nikolaus Ostermann, Zoe Opratko, Roman Strazanec
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016 Vom Gemüseladen zum Musikmarkt Eine kurze Geschichte der Gastarbeiter*innenmusik 020 Kultur vs. Ökonomie Die Wiener Clubszene als wirtschaftlicher Herzschrittmacher?
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Berfin Silen Nachdem sie zwei Monate in der BiberAkademie verbracht hatte, unterstützte uns die 22-jährige Unterfränkin als Augustpraktikantin dort, wo im Medienbetrieb für gewöhnlich ein Sommerloch diagnostiziert wird. Im Hause The Gap bedeutete diese Zeit allerdings Doppelbelastung: Die Sonderausgabe zum Waves Festival pochte parallel zur Arbeit an diesem Heft in der Urlaubssaison auf Fertigstellung. Berfin studiert außerdem Lehramt in Wien und liest gerne Sachen auf Instagram vor (@vorlesekreis).
»The Cut« ist The Gaps Antwort auf den »Bravo Starschnitt« unserer Jugend. In dieser und den kommenden Ausgaben liefern wir euch – in vier Teilen – einen Print der Künstlerin Verena Dengler. Einfach entlang der gekennzeichneten Linie ausschneiden und mit einem Klebemittel eurer Wahl zusammenfügen.
Imoan Kinshasa
Verena Dengler studierte Druckgrafik an der Wiener Kunstschule und Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste Wien. In einer waghalsigen Unternehmung drucken wir ein Standbild aus ihrer animierten NFT-Sammelkarte zum virtuellen Groschenroman »Die Galeristin und der schöne Antikapitalist«. Pixelkunst, die im Original als GIFUnikat erschienen ist.
Teil 3: The Gap #190
Teil 4: The Gap #191
Stadt Wien Marketing GmbH / Nikolaus Ostermann, Zoe Opratko, Roman Strazanec
Die panafrikanische Aktivistin und Journalistin kam vor 15 Jahren als »Bildungsflüchtling« aus Oberbayern nach Österreich und residiert seit vier Jahren in Wien. Ihre Wurzeln liegen in der Demokratischen Republik Kongo, in Tschechien sowie in Deutschland. In der Vergangenheit schrieb Imoan – übrigens ein Pseudonym – eine Kolumne für Vice. Mit dieser Ausgabe tritt sie die Nachfolge von Astrid Exner in der Kolumne »Gender Gap« an. Hauptberuflich ist Imoan Sanitäterin und fährt den »Pflasterlaster«.
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Gabriel Roland
betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück
Was zieht Grace Kelly an, wenn sie dem Foodora-Fahrer die Türe aufmacht? Die Dienstboten sind weg – auf Urlaub oder streiken –, und so ist es die Fürstin selbst, die sich vom Sofa bequemen muss. Der getreue Lieferant hat sich mit der gehetzten Selbstverständlichkeit des unechten Selbstständigen durch das Gewusel aus Fackeln und Mistgabeln gestohlen. Oder waren es Smartphone-Blitze und Selfiesticks? Jetzt steht er an der Schwelle des Palais Princier und fragt sich, was Gracie, die Stilikone, beim Entgegennehmen ihrer Poké Bowl wohl tragen wird. Eine Türschwelle ist die symbolische Grenze zwischen dem Draußen und dem Drinnen. (In Verbindung mit einem Türblatt ist sie auch eine tatsächliche Barriere, das tut hier aber nichts zur Sache.) In Gesellschaften, die das Häuslich-Private klar vom Öffentlichen trennen, gilt daher eines: Tritt man über die Schwelle, so zieht man Straßenkleidung an, in der man von anderen, möglicherweise unbekannten Menschen, gesehen werden kann und soll. Ist man diesseits der Schwelle, wo man höchstens den Vertrauten des eigenen Haushalts begegnet, so steht es einem frei, das Straßengewand gegen Hausgewand zu tauschen.
Neue Formalität Die Grenzen zwischen dem, was als in der Öffentlichkeit akzeptabel gilt, und dem, was nur in der Intimität des eigenen Heims angemessen ist, verschieben sich natürlich laufend. Momentan erleben wir eine umfassende Casualisierung der Bekleidungsnormen. Das Formelle ist in so gut wie allen Bereichen der Gepflogenheiten am Rückzug. In der Mode tritt an seine Stelle eine immense Ausdifferenzierung des inzwischen kaum mehr überblickbaren Sportswear-Activewear-Loungewear-Komplexes, der
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längst vom privaten und halböffentlichen Bereich ausgehend die Straße und auch das Büro erobert hat. Gleichzeitig empfangen wohl nur die wenigsten Vorgesetzten ihr engstes Team als Zeichen ihrer Verbundenheit beim Ankleiden oder im Bad. Und während Roubiliacs Händel-Statue als candid im Sofaoutfit durchgeht, ist athletische Nacktheit dann doch weniger casual als der Tristrip-Anzug. Die Demarkation dessen, was angemessen ist – ganz zu schweigen von dem, was cool sein könnte –, bleibt ein mäandernder Fluss. Mode ist unser aller Versuch, in der sandigen Au herumstapfend seinen Lauf zu vermessen und dabei auszusehen, als gingen wir nur mal eben kurz spazieren. Eine weitere Aufweichung der symbolischen Bedeutung der Türschwelle kam mit Corona. Das Zuhausebleiben in Kombination mit dem durch Social Media und Videokonferenzen gesteigerten Blick in das Intime des Wohnorts brachte eine biedermeierliche Lust am entspannt-repräsentativen Heimoutfit. Der kimonoartige Hausmantel von Kalissi ist ein hervorragendes und hochattraktives Beispiel für eine Art Kleidungsstück, die spezialisiert ist auf ein diffuses Aufgabengebiet irgendwo zwischen Serienmarathon, dekorativem Sonntagsfrühstücks-Instapost, Paketannahme, allgemeiner Selfcare, Rauchen am Altbaubalkon und Supermarktbesuch in Schlapfen. Grace Kelly hätte der baumwollfrische Mantel jedenfalls gefallen – dem monegassischen Fahrradboten sicher auch. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Den Hausmantel »Frederika« gibt es ebenso wie den dazugehörigen Bucket Hat und einen Pyjama im gleichen Stoff (»Cecilia«) auf kalissi.com zu kaufen.
Fabian Gasperl
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Einteiler Zwischen Tür und Mantel
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TOP 10
Instagram-Accounts 01 @seewatchcrew – holt einen auf den Boden der Realität zurück 02 @brandt_timo – postet ausschließlich Lyrik und Kurzprosa 03 @paulsjets – überraschend anders 04 @orf_fashion – die heißesten Outfits des österreichischen Rundfunks 05 @henningmay – politisch und musikalisch 06 @alli.alli.alli.alli. – politisch und genial 07 @brudi_karrell – immer zum Scherzen aufgelegt 08 @taneshia_abt – verarscht die Berliner High Society 09 @blond.official – die besten 15-Sekunden-Videos 10 @willst.du.ficken_süßer.666666 – immer eine Option
TOP 03
Shopping 01 Die Müllsäcke neben der Humana-Tonne 02 Kleines Label – neue Brand aus Wien 03 Hilfswerk Wien Auch nicht schlecht: Das Wiener Label Radio International Rahel sammelte erste Bühnenerfahrungen am Theater und residiert nun mit ihrem kürzlich gelandeten Hit »Tapp Tapp Tapp« in der Popszene Österreichs.
Charts Matthäus Bär TOP 10
Sätze, die dein Kind durch die Straßenbahn brüllt 01 »In der Kindergruppe gibt es Würmer!« 02 »In der Kindergruppe gibt es Läuse!« 03 »SCHAU, DER MANN HAT KEINE BEINE!« 04 »SCHAU, DIE FRAU HAT EINEN BART!« 05 »Gestern kamen aber komische Geräusche aus eurem Schlafzimmer.« 06 »Hey, hey, hey, wir haben den Corona-Schleim!« 07 »Wenn ihr gestorben seid, haben wir endlich mehr Platz in der Wohnung!« 08 »Gab es eigentlich schon Telefone, als du klein warst?« 09 »Früher warst du wahrscheinlich cool.« 10 »In der Nacht fahr ich ins Burgenland und kaufe tote Menschen.«
TOP 03 Gwen Meta, Stefan Vucsina
Fabian Gasperl
Charts Rahel
Charaktere aus Hogwarts 01 Luna Lovegood 02 Severus Snape 03 Dobby Auch nicht schlecht »Tony Hawk’s Pro Skater 1 + 2«, »Only Love Can Break Your Heart« von Neil Young Matthäus Bär schreibt Lieder und Geschichten für Publikum jeglichen Alters. Mit »Best of Bär« erscheint demnächst sein letztes Album mit FSK 0. Ein erster Kinderroman und Folgeprojekte liegen in der Schublade.
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AB 22. OKTOBER IM KINO AUCH IN IMAX
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Imoan Kinshasa
beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus
Das »Konzept« Mann Der moderne Mann hat es aber auch schwer. Damals, als Frauen noch nicht wählen und Auto fahren durften, war der Mann noch eine Respektsperson. Er hat das Geld verdient, die Familie ernährt und somit seine Daseinsberechtigung gesichert. Für die Frauen dieser Zeit war es überlebenswichtig, sich in eine HostageSituation zu begeben: Haus und Kinder hüten, mehr Ambitionen durfte eine Frau nicht haben. Heute sieht es anders aus. Zumindest auf dem Papier gibt es kaum noch Unterschiede. Frauen leben selbstbestimmt, lassen sich nicht mehr zum Heiraten und Kinderkriegen zwingen. Alles kann, nichts muss mehr. Daher hat das Patriarchat, anstatt Verantwortung für männliche Privilegien zu übernehmen, den Hashtag #notallmen erfunden. Die Diskrepanz lautet: Während Frauen neue Wege gehen, zur Unabhängigkeit erzogen werden, werden die meisten Männer wei-
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terhin dazu sozialisiert, der »Herr im Haus« zu sein. Männer werden nicht dazu erzogen, schön, angenehm oder leidlich zu sein. Aber das Haus braucht keinen Herren mehr. Diese hauslosen Herren hätten gerne die 50er-Jahre zurück, aber ohne die finanziellen Verpflichtungen. Die moderne Frau kann ja wohl Vollzeit Kind und Haushalt schaukeln. Das hat sie sich schließlich die letzten Jahre so erkämpft, diese »Unabhängigkeit«. In meinem Feminismus geht es nicht (nur) ums Männerhassen. Es ist viel mehr das Konzept »alter weißer Mann«, mit dem ich und viele andere Menschen nicht einverstanden sind. Denn unter diesem Konzept leiden auch Männer. Vor allem darunter, emotionslose harte Kerle sein zu müssen. Trägst du Pink, weinst du, lachst du nicht über den Rape Joke, wirst du als schwul »beschimpft«. Dass man in weiten Teilen der österreichischen Gesellschaft nicht als »Mann« gilt, wenn man nicht heterosexuell ist, ist eine eigene Problematik, die hinterfragt werden sollte – Feminismus macht genau das. Toxische Männlichkeit schadet allen Mitgliedern einer Gesellschaft.
Gatekeeper*innen der Weiblichkeit Viele nicht-weiße Menschen haben ein Problem damit, sich mit Feminismus zu identifizieren. Obwohl es in vielen Bereichen Schwarze (trans) Frauen waren, die den Weg für die Befreiung aller Frauen ebneten. Aber selbst in radikal-feministischen Räumen werden immer noch Frauen ausgeschlossen. Da wären einmal die TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) die der Meinung sind, dass trans Frauen keine Frauen sind. Erinnert euch diesbezüglich an J. K. Rowling, die in den letzten Monaten offen darüber twitterte, dass sie eine verbitterte Boomerin ist, die Geschlecht, Gender und Sexualität nicht auseinanderhalten kann. Und es gibt die White-Saviour-Queens, die ihren Feminismus bei Anti-Kopftuch-Diskussionen so richtig ausleben können. Es werden schließlich irgendwo auf dieser Welt Frauen zum Burkatragen gezwungen, darum zwingen wir Frauen hier dazu, sie abzulegen. Gleichberechtigung! Denn Frauen sollen bloß nirgends das Gefühl haben, freie Menschen zu sein. Wer sich als feministisch bezeichnet, aber Marginalisierungen wie Herkunft, Sexualität, Glauben und Klasse nicht mitdenkt, ist Teil des Problems.
Die unreflektierte weiße Frau ist da das Pendant zum alten weißen Mann, denn nur ihr Geschlecht trennt sie von der Machtposition. Gerade als weiße Frau kann man schnell vergessen, dass die eigenen Tränen und Emotionen sehr effektiv als Waffe gegen Schwarze Menschen und People of Color eingesetzt werden können, um diese zum Schweigen zu bringen. Auch Frauen mit Behinderungen, besonders die, die sich nicht durch gesprochene Sprache mitteilen können, werden sowieso so gut wie gar nicht in den feministischen Diskurs miteinbezogen – sofern sie nicht irgendeine »inspirierende« Geschichte zu erzählen haben, damit die Zuhörenden mal wieder so richtig spüren können, wie gut es ihnen doch geht. Feminismus bedeutet nicht, dass man als Frau nicht mehr Hausfrau und Mutter sein kann, ohne seine Werte zu verraten. Es bedeutet vielmehr, dafür zu kämpfen, dass alle Menschen selbstbestimmt und frei von gesellschaftlichen Zwängen leben können. Was mich wirklich in Rage bringt, sind Frauen, die ihre eigene Unterdrückung kleinreden, sexuelle Belästigung als »Kompliment« verstehen und nicht zulassen, dass sich andere Frauen davon bedrängt fühlen. Internalisierte Misogynie, also wenn Frauen Frauen hassen, steckt in jeder von uns. Das äußert sich, wenn wir Dinge sagen wie »Ich bin nicht wie andere Frauen« oder Männer verteidigen, die objektiv übergriffig und gewaltvoll sind. Das Patriarchat hat ganze Arbeit geleistet, wenn wir uns darüber streiten, wie man wirklich feministisch heiratet (kotz), ob eine Frau eine Vagina braucht, um eine Frau zu sein, oder ob ein Stück Stoff generell als Unterdrückung anzusehen ist. Wer sich tiefer mit dem Thema Feminismus beschäftigt, wird merken, dass er umfassend in all unsere Lebensbereiche eingreift. Es geht darum, Strukturen und Systeme zu hinterfragen, Menschen aufzurütteln und feministische Themen allen niederschwellig zugänglich zu machen. Wir sollten zum Beispiel darüber diskutieren, warum es keine kostenlosen Hygieneprodukte auf allen öffentlichen Toiletten gibt, warum dieses Jahr schon 21 Frauen von ihren Partnern oder ExPartnern ermordet wurden und warum Österreich sich weigert Afghan*innen aufzunehmen. Alles andere ist kein Feminismus und kann definitiv weg. kinshasaa@thegap.at @imoankinshasaa
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Foto: 2021 Starz Entertainment, LLC; 2020 ABC Signature Studios. Starz and related marks are the
Bringt man das Thema Feminismus in ein Gespräch ein, folgen meist noch immer Monologe über »Kampflesben«, die Männer hassen, Genderwahn und #notallmen. Und obwohl viele Männer verstehen, dass es für Frauen eine Menge Gründe gibt wütend zu sein: Feminismus ist doch ein wenig zu radikal. Oder? In diesem ersten Text von mir in dieser Kolumne möchte ich mein Verständnis von Feminismus umreißen. Am meisten scheinen sich Männer davor zu fürchten, von Frauen gehasst zu werden. Eine Projektion, denn Männer hassen anders als Frauen. Sogenannter Männerhass ist nichts, was Männern überproportional das Leben erschwert. Es gibt keine Serie an Hassmorden an Männern. Sie haben keine Probleme, Jobs zu finden, weil sie Männer sind. Sie werden nicht finanziell benachteiligt aufgrund ihres Geschlechts. Sie müssen sich nachts nicht in Gruppen bewegen, um sich vor Übergriffen von Frauen zu schützen. Jetzt fühlen sich vermutlich einige verpflichtet zu erklären, dass es auch männliche Opfer gibt und warum diese nicht stärker in den Fokus treten. Niemand sagt, dass es keine übergriffigen Frauen gibt. Doch Statistiken sagen, dass selbst die Übergriffe auf Männer größtenteils von Männern verübt werden. Es ist also wahrscheinlicher, dass ein Mann von seinem männlichen Umfeld missbraucht wird, als von seiner Partnerin. Bei Frauen sieht die Geschichte anders aus.
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Gender Gap Ist das Feminismus oder kann das weg?
»High Fidelity«-Update mit Zoë Kravitz
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Drugs, Money & Hip-Hop: »Black Mafia Family«
Arnie als Android in »Terminator 2: Judgment Day«
Mehr als 100 TV-Sender können HD Austria Kombi-Kund*innen am Smart-TV, Handy, Tablet und Laptop empfangen, darunter alle österreichischen Programme sowie die wichtigsten regionalen und größten deutschen Sender. Mit der neuen Streaming-App der österreichischen Fernsehplattform sind darüber hinaus hunderte zusätzliche Filme und Serien ohne Aufpreis abrufbar – von lokalen und europäischen Inhalten bis hin zu Erfolgsproduktionen aus den USA. Das BingeWatching-Vergnügen ist vorprogrammiert! »Black Mafia Family« – Inspiriert von der wahren Geschichte zweier Brüder, die in den späten 1980ern mittels Drogenhandel und Geldwäsche eine der größten Verbrecherbanden der USA aufbauten – und auch im HipHop-Biz aktiv waren. Entwickelt und produziert von Rap-Superstar 50 Cent. »It’s a Sin« – Die neue Serie von Russel T Davies (»Queer as Folk«) nimmt uns mit ins
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London der 1980er-Jahre, wo eine Gruppe junger Erwachsener in den Clubs feiert und Freundschaft schließt, während AIDS erste Schatten auf die LGBTIQ+-Community wirft.
daraufhin die Identität einer Ärztin stiehlt, vermutet in Season 2 ein verwundeter Soldat einen Killer auf seiner Krankenstation. Doppelt spannend!
»High Fidelity« – Ein Update für Nick Hornbys Kultroman: Rob (Zoë Kravitz) versucht in ihrem Plattengeschäft über ihre große Liebe hinwegzukommen, indem sie mittels Musik und Popkultur ihre vergangenen Beziehungen Revue passieren lässt.
»Les Sauvages« – Ein Attentat auf den aussichtsreichen algerisch-stämmigen Präsidentschaftskandidaten versetzt in diesem spannenden Thriller aus dem französischen Polit-Milieu eine ganze Nation in Aufruhr. Stecken muslimische Extremisten oder doch fanatische Rechte dahinter?
»Heels« – Die neue Serie von »Loki«-Macher Michael Waldron erzählt vom Konkurrenzkampf zweier Brüder, die das Erbe ihres Vaters im Pro-Wrestling antreten. Wie wird sich ihr Duell auf die Familie auswirken? Mit Stephen Amell (»Arrow«) und Alexander Ludwig (»Vikings«). »Trust Me« – Während in Season 1 Schwester Cath (Jodie Whittaker) nach Kritik an der Krankenhausleitung ihren Job verliert und
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HD Austria mit Film und Serien-Feuerwerk im Herbst Foto: 2021 Starz Entertainment, LLC; 2020 ABC Signature Studios. Starz and related marks are the property of Starz Entertainment, LLC.; 1991 STUDIOCANAL, Tous Droits Rèservés
Roman Strazanec
Nach dem erfolgreichen Start seiner StreamingApp legt HD Austria nun nach: Zahlreiche Filme und Serien – unter anderem aus der Canal+ Familie, von StarzPlay und National Geographic – sind neu im umfangreichen Streaming-Angebot der österreichischen Fernsehplattform.
Doch das ist noch lange nicht alles: Kultklassiker von David Lynch (»Dune«, »Lost Highway«, »Mulholland Drive«), Quentin Tarantino (»Reservoir Dogs«, »The Hateful 8«) oder mit Arnold Schwarzenegger (»Total Recall«, »Terminator 2: Judgment Day«) komplettieren das Angebot. HD Austria – Einfach Mehrsehen!
www.hdaustria.at
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Mental Health im Pop Wie krank ist die Musikbranche? dabei nicht als Ursache, sondern vielmehr als die aktuellste Sichtbarmachung bezeichnet. Eine Branche beginnt ihre Schwächen zu erkennen, Individuen können und wollen dem Druck nicht mehr standhalten. Damit sind sie nicht alleine – Labels, Agenturen und Medien teilen sich den Platz auf diesem sinkenden Schiff. Aber der Kurs ist noch zu ändern.
Melancholie × Druck Ende August erschien mit »Longest Day of My Life« jene EP von Leyya, neben My Ugly Clementine eines der Hauptprojekte von Sophie Lindinger, die gleich mehrere Wendepunkte markierte: So offen wie noch nie spricht Lindinger in den Songs, auf Social Media und in den Interviews zur Veröffentlichung über ihren psychischen Gesundheitszustand – genauer: ihre Depression. Außerdem wird Leyya auf unbestimmte Zeit nicht mehr live, sondern ausschließlich im Studio passieren. Eine notwendige Entscheidung, wie Lindinger wissen lässt. Fragt man nach den vermuteten Ursachen und dem Verlauf ihrer Krankheit, holt sie weit aus. Schon immer habe sie in ihrem
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Am 10. Oktober 1992 fand der erste World Mental Health Day statt. Knapp 30 Jahre später liegt wie so oft die Frage nahe, was sich zwischen der frühen Bewusstseinsbildung und der heutigen Zeit zum Positiven verändert hat. Auch in der oberflächlich schimmernden Popwelt wird immer deutlicher, dass die psychische Belastung die Prophylaxe überwiegt. Über Ursachen, Auswirkungen und was sich ändern muss. ———— »Derzeit würde ich gern ein Wochenende haben – auch, wenn es an Werktagen stattfindet. Hauptsache, mal wieder ausschlafen«, klagt Daniela Weinmann aus dem Chatfenster. »Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich nebenbei frühstücke«, fragt Sophie Lindinger zu Beginn des Online-Interviews, in dem sie später auch Musikpublikationen für den aktuellen Zustand der Popbranche verantwortlich machen wird. Hört man auf die zwei Musikerinnen, ist dieser derzeit kein guter. Stressige Arbeitsbedingungen, permanente Erreichbarkeit und mangelnde Beratungs- und Hilfsangebote machen den Job auf der Bühne auf Dauer zu einem Kraftakt, oft ohne nötigen Ausgleich. Die Pandemie wird
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»Derzeit würde ich gern ein Wochenende haben – auch, wenn es an Werktagen stattfindet.« — Daniela Weinmann (Odd Beholder)
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Charakter eine gewisse Melancholie getragen. Heute eröffnet sie, dass sie sich vermutlich früher mit der eigenen Psyche auseinandergesetzt hätte, wäre der gesellschaftliche und brancheninterne Umgang mit psychischen Krankheiten ein anderer gewesen – kaum jemand sei je offen damit umgegangen. Vor zwei Jahren war Lindinger erstmals an einem Punkt, an dem sie nicht mehr weitermachen konnte und sich professionelle Hilfe holte. Nach und nach spricht sie offener darüber. Unter einem aktuellen Social-Media-Posting, in dem sie die Situation durch intime Einblicke erklärt, fragt ein Fan in den Kommentaren, wann denn endlich das nächste Album erscheine. Ebenfalls symptomatisch für ein größeres Problem.
Vereinigt euch! »Es wird leider immer noch viel zu sehr unterschätzt, wie wichtig die psychische Gesundheit ist«, beklagt der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) in einer Presseaussendung. Demnach seien bis zu fünf Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung von einer psychischen Erkrankung in schwerem Ausmaß betroffen. In absoluten Zahlen sind das rund 442.000 Menschen. Zwei Drittel der Frühpensionierungen resultieren aus psychischen Erkrankungen. Die Aussendung stammt aus dem Herbst vor der Coronapandemie. Dass diese für den globalen Gesundheitszustand nicht förderlich war, liegt auf der Hand. Dass die Auswirkungen bei jenen Menschen besonders spürbar wurden, die dem längsten Berufsverbot ins Auge blickten, ist ebenfalls bekannt. Die Schweizer Musikerin Daniela Weinmann alias Odd Beholder betätigt sich neben der Musik in der Initiative Music Declares Emergency. Einer Kampagne, die auf die fortschreitende Zerstörung der Umwelt aufmerksam macht, dabei aber auch anerkennt, dass die Musikwelt zusätzlich mit internen Marotten zu kämpfen hat. Hinsichtlich der
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hohen Belastung in der Popbranche macht Weinmann vier wesentliche Punkte fest: hohen Druck durch einen Selbstanspruch, der vor allem von Social Media und vom permanenten vereinzelten Wettbewerb angefeuert wird, finanzielle Prekarität und das Leben in unmöglichen ökonomischen Konstruktionen, die gesellschaftliche Geringschätzung der Kunst und die fehlende medizinische Versorgung mangels finanziell unterstützten Krankenstands bei Selbstständigkeit. Fast wortgleich erzählt Sophie Lindinger vom Gefühl des Auf-der-Strecke-Bleibens, das ein ständiger Begleiter sei. Mal verstärkt durch das Management, das ein Medieninterview während eines Leyya-Besuchs in New York dermaßen kurzfristig beantwortet haben will, dass der Touri-Trip zur Freiheitsstatue zur Nebensache wird, mal durch die artikulierten Sorgen des Labels, Acts könnten in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wenn sie trotz persönlicher oder globaler Krisen nicht weiterhin veröffentlichen. Weinmann und Lindinger sind sich bewusst, dass sie dabei aus privilegierten Positionen sprechen. Sie können zwar von ihrer Musik leben, wie es so gerne romantisierend genannt wird, lehnen die Umstände, mit denen sie leben allerdings mittlerweile rigoros ab. Sie wollen etwas verändern, psychische Belastungen und Krankheiten zuerst normalisieren, um schlussendlich früher und besser damit umgehen zu können. Den Weg zu diesem Ziel beschreiten sie diametral anders. Es sind Streikgedanken, die Weinmann und Lindinger äußern. Der Begriff »Unionisierung« klingt aus dem Mund der Schweizerin voller Tatendrang. Man müsse sich zusammenschließen, erkennen, dass man in dieser Situation nicht alleine sei. Es sei an der Zeit, jene Handlungsräume zu eröffnen, die das Problem von der individuellen auf eine kollektive Ebene heben. Denn so ließe sich genug Druck aufbauen, um die Politik, die schließlich an den längeren Hebeln, nämlich
jenen der konzentrierten Macht sitze, zum Handeln zu zwingen und der breiten Masse, den Leuten, die tagtäglich Kunst konsumieren, ohne ihre Wichtigkeit anzuerkennen, eben jene Systemrelevanz ersichtlich zu machen. Ein Punkt, den auch Lindinger macht, allerdings ist sie weitaus pessimistischer: »Es wird genauso weitergehen. Ein paar können es sich leisten, sich den Platz zu nehmen, und werden den auch einfordern, aber junge Künstler*innen werden keine andere Wahl haben, sich diesem Rad der Ausbeutung zu entziehen«, sieht sie die kollektive Aktion in Gefahr: »Agenturen und Medien spielen ebenfalls nicht mit. Es müssten alle machen, aber das wird es nicht spielen.« Dass sie damit Recht haben könnte, wird im Gespräch durch ein kurzes, unangenehm berührtes Lächeln spürbar. Immerhin saß sie noch vor einigen Minuten mit der Müslischüssel vor ihrem Bildschirm.
Ressourcen statt Resignation Während einige den Drang spüren, innerhalb der Branche etwas zu ändern, haben andere die neoliberale Spielart des kapitalisierten Pop offenbar bereits als gegeben akzeptiert. Der US-amerikanische Musiker Andrew Choi aka St. Lenox argumentierte etwa kürzlich auf seinem Blog, dass Selbstsuffizienz im Musikbusiness bedeute, seinen day job zu behalten. Arbeiten, um Kunst machen zu können? Arbeiten, um zu arbeiten? Klar, es ist bloß vernünftig, Handlungswege innerhalb der aktuellen Lebensrealität zu suchen. Aber ist die Kapitulation vor der allumfassenden Selbstausbeutung tatsächlich eine Lösung? Es drängt sich die Frage auf, wie sehr die Musikbranche tatsächlich für ihre Akteur*innen – die künstlerischen wie die ökonomischen – funktioniert oder inwiefern sie eher kränkelnd dahinsiecht. Während gerade im Pop so gerne über Aufstieg und Erfolg gesprochen wird, als wäre es der realistischere Vorgang, sind nicht-erfolgreiche Musiker*innen we-
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»Der Erfolg ist es nicht wert, dass meine mentale Gesundheit darunter leidet.« — Sophie Lindinger (Leyya)
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Also was kann man als einzelne Person im Popbusiness tun, um in puncto psychische Krankheiten nicht nur Awareness und Normalisierung, sondern bestenfalls im Zusammenschluss mit anderen eine Trendumkehr zu erwirken? Mit einer oberflächlichen Kapitalismuskritik will sich weder Mantsch noch dieser Text zufriedengeben. Dennoch sei sie angebracht, meint Mantsch: »Nicht alles liegt in der Verantwortung des Individuums. Aus therapeutischer Sicht schränkt es allerdings die eigene Handlungsfähigkeit ein zu warten, bis der Kapitalismus abgelöst wird. Das ist eine schwierige Alternative.« Eine gesündere Betrachtungsweise sei es, sich der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten bewusst zu werden.
Keine Alternative Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des österreichischen Berufsverbands für PsychologInnen, schreibt: »Erstens müssen psychische Erkrankungen stärker in den Fokus gerückt und mehr Wissen über psychische Erkrankungen verbreitet werden. Zweitens muss psychische Behandlung für jede*n leistbar sein. Und drittens müssen wir psychische Versorgung in Österreich neu denken, und dazu gehört, dass die psychologische The-
rapie endlich auch Kassenleistung wird!« Es gelte, wie Weinmann meint, schlussendlich positive Entwicklungen politisch zu manifestieren. Durch Subventionen, Gewerkschaftsbildungen und nicht zuletzt gesetzliche Rahmenbedingungen. Das österreichische Gesundheitsministerium unterhält eine »nationale Strategie zur psychischen Gesundheit« – auch hier ließe sich wohl ansetzen. Das Problem scheint bekannt, aber als zu nebensächlich wahrgenommen zu werden. Für Sophie Lindinger hat es Druck rausgenommen, Leyya ins Studio zu verlagern. »Der Erfolg ist es nicht wert, dass meine mentale Gesundheit darunter leidet.« Und für die wichtigen ersten Schritte braucht es wohl auch gar nicht alle, sondern schlicht nur genügend Menschen, die sich zusammenschließen. Daniela Weinmann beendet das Gespräch mit einem etwas kitschigen, aber dennoch kämpferischen Aufruf, der ebenso auch im Umweltaktivismus Platz fände: »Es braucht vor allem dich, jetzt! Wie viele wir sind – das müssen wir loslassen. Es kann sein, dass es die Mehrheit nicht fühlt. Es kann sein, dass wir es nicht schaffen, unsere Forderungen umgesetzt zu sehen. Aber irgendwie müssen wir uns damit abfinden – es ist keine Alternative, nichts zu tun.« Sandro Nicolussi
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sentlich in der Überzahl. Und um genau die solle es gehen, meint Weinmann, wenn sie eines Perspektivenwechsel der Branche fordert. Im Fokus sollen zukünftig nicht nur jene stehen, die glücklicherweise zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, sondern jene, die ganz unten stehen. Aber Sicherheit entspringt nicht bloß aus Erfolg, weiß Stephan Mantsch, Psychologe sowie Instrumental- und Gesangspädagoge. Er behandelt nicht nur in seiner Praxis als Psychotherapeut, sondern hat seit 2016 auch einen Lehrauftrag für das Fach Musiker*innenPsychologie an der Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien inne. Ein Pflichtfach für Absolvierende einer klassisch-institutionellen musikalischen Ausbildung, wie sie im Pop eher Ausnahme als Regel ist. Er eröffnet, dass psychische Probleme gesamtgesellschaftlich einen Anstieg verzeichnen und nicht der Musikbranche eigen sind. So weit, so klar. Mantsch sieht überdies, dass im Vergleich mit der informellen Popwelt in der Klassik weitaus bewusster mit der Musiker*innenpsyche umgegangen wird. Seine Lehrveranstaltung ist verpflichtend, die Studierenden können auf psychosoziale Beratungsangebote zurückgreifen und befassen sich auch im Rahmen ihres musikalischen Schaffens mit Herausforderungen für die Psyche. Denn: »Es ist wichtig, Musiker*innen klarzumachen, dass sie auf sich selbst schauen dürfen. Dabei kann der Glaubenssatz helfen, dass nicht nur Üben am Instrument ein Trainieren des eigenen Kunstschaffens ist. Auch sich um seine eigene Gesundheit zu bemühen, ist Arbeit an der eigenen Kunst, denn sie ist die Grundlage, um freier und kreativer gestalten zu können.«
Unter kriseninterventionszentrum.at finden sich Ressourcen und Kontakte zur akuten psychologischen Beratung, die auch anonym beansprucht werden können. In dringenden Fällen kann man sich auch an die Telefonseelsorge unter 142 oder in Wien an den sozialpsychiatrischen Notdienst unter 01 / 313 30 wenden.
Melanie Ludwig, Hanna Fasching, privat
»Aus therapeutischer Sicht schränkt es die eigene Handlungsfähigkeit ein zu warten, bis der Kapitalismus abgelöst wird.« — Stephan Mantsch (Psychotherapeut)
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Golden Frame Zeitgenössische Kunst im angemessenen Rahmen
David Schiesser »Finissage«, Aquarell auf Leinwand, 2021, Foto: Christian Schramm The_Gap_189_010-039_Story_FINAL_mf.indd 15
David Schiessers aktuelle Ausstellung im Bregenzer Kulturraum DWDS erzählt in surrealen Momenten von Menschen, Fischen und allem, was dazwischen liegt. ———— »Man kann über Hugo von Montfort sagen, was man will, aber Laute spielen kann er. Gerade lässt er den letzten gezupften Ton ausklingen, als er ein Zwicken im Zeh spürt. Ein Zander nagt an seinem Strumpf. Und dann hebt Hugo seinen Kopf und vor ihm ergießt sich eine Masse an Fischen, als hätten die Kutter der Welt ihre Netze vor ihm entleert.« Was der Berliner Künstler David Schiesser (1989) mittels Sprachkunst und großformatiger Aquarelle ersinnt, ist fantastische Illustration und futuristisch interpretierte Mittelalterästhetik gleichermaßen. Im Zusammenspiel von Text und Bild entblättert Schiesser ein Szenario, das die ungleichen Akteure Fisch und Mensch einander näherbringt. Er erzählt vom Landgang der Bregenzer Bodenseefische während der Pandemie. Dass glitschige Zeitgenoss*innen sich langsam ihren Weg über das Kopfsteinpflaster bahnen, bekommen dauerstreamende Lockdown-Bäckerei-Kund*innen in Schiessers Gedankenwelt gar nicht mehr mit. Dieses literarische Bild steht gleichberechtigt neben dem im oben zitierten Text erwähnten Lautenspieler, der sich im grafischen Stil des Künstlers wiederfindet. Der gebürtige Offenbacher verbindet in seinen Zeichnungen Aquarelle und Wandinstallationen, mit denen er die surrealen letzten Monate verarbeitet, eine Brücke zwischen Traumwelt und kühler Realität, zwischen Instinkt und Bewusstsein, Fisch und Fleisch. Wer oder was nimmt hier Land? Werden Fische zu Menschen, ist es umgekehrt – oder trifft gar keins von beiden zu? Als Bühne dient dem 32-jährigen Künstler der Bregenzer Kulturraum Die Wiedergeburt des Schaufensters, kurz: DWDS. Das dahinterstehende Kollektiv hat es sich zur Aufgabe gemacht, jungen Künstler*innen »Platz für progressive Konzepte, Werke, Prozesse sowie deren Blickwinkel« zu bieten und ihre Arbeiten so niedrigschwellig wie möglich an die Öffentlichkeit zu bringen, um damit die »Barrieren des konventionellen Kunstkonsums« abzubauen. Fee Louise Niederhagen
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David Schiesser »Invasion der Geschuppten« Landnahme im Lockdown!
David Schiesser schloss 2018 sein Kunststudium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach ab. Seine Arbeiten wurden bereits in verschiedenen Gruppen- und Einzelausstellungen (2020: Sattelkammer, Bern; 2019: Blake & Vargas, Berlin bzw. Salon Kennedy, Frankfurt) gezeigt. »Invasion der Geschuppten« ist bis 30. Oktober im DWDS in Bregenz zu sehen.
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Vom Gemüseladen zum Musikmarkt Eine kurze Geschichte der Gastarbeiter*innenmusik
»Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.« Dieses bekannte Zitat von Max Frisch beschreibt die einseitige Wahrnehmung von Gastarbeiter*innen von der Nachkriegs- bis in die Jetztzeit. Unter ihnen waren auch Musiker*innen, deren Kunst dem kollektiven Gedächtnis der deutschsprachigen Mehrheitsgesellschaft bis heute weitestgehend unbekannt ist. ———— In den 1960er-Jahren kamen sie: die ersten Gastarbeiter*innen. Größtenteils Männer, aber auch Frauen, die ihre Familie, ihre Geliebten und das ihnen Vertraute in ihren Herkunftsländern zurückließen. Sie verbrachten ihre Jugend in Fabrikshallen. »Als Schweißer, als Hilfsarbeiter, als Drecksund Müllarbeiter. Stahlbau- und Bandarbeiter. Sie nennen uns Gastarbeiter«, singt Ozan Ata Canani, der als Sohn eines türkischen Gastarbeiters in Deutschland aufwuchs, im Song »Deutsche Freunde«.
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Die ankommenden Menschen brachten ihre Arbeitskraft, aber eben auch ihre Musik mit. Zu Beginn vor allem türkische Volkslieder, später auch anatolischen Pop mit westlichen Einflüssen. Dass diese Musik bis heute ein Community- beziehungsweise Untergrundphänomen darstellt und erst dank motivierter Schatzsammler Jahrzehnte danach an die breite Öffentlichkeit gelangte, hat auch politische Gründe. Der Münchner Regisseur, Schauspieler und Musiker Bülent Kullukçu, der gemeinsam mit İmran Ayata 2013 das Album »Songs of Gastarbeiter Vol. 1« beim Label Trikont veröffentlichte, erinnert sich: »Diese Musik war nicht für ein biodeutsches Publikum gedacht. Beziehungsweise bestand in diesen Jahren auch kein großes Interesse an solcher Musik und der Lebenswelt dieser Menschen.«
Diese politischen Konsequenzen sind auch heute noch für migrantische Musiker*innen zu spüren. Wo ist dabei der Anfang der Geschichte, wie sieht die Entwicklung aus und wo stehen wir heute?
Gestern im Gemüseladen … Die Wurzeln und Geschichte der Gastarbeiter*innenmusik nachzuverfolgen, ist eine knifflige Aufgabe, da die meiste Musik fernab des hiesigen Mainstreams stattfand. Nämlich dort, wo die jeweilige Community einen Zugang hatte. »In den 70er- bis 90er-Jahren wurde die Gastarbeitermusik in Deutschland auf Labels wie Minareci, Türküola und Uzelli veröffentlicht. Die Tonträger wurden meist auf Kassette oder Seven-Inch-Vinyl in Import-Export-Läden oder ganz schlicht in Gemüseläden, die auch eine Medienecke mit VHS-Tapes hatten, verkauft«, so Kullukçu.
Heinrich Klaffs, Eugen Haller, Olcay Mete-Demirel
Ein seit den 60er-Jahren bekanntes Bild: die Abreise in ein neues Leben
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Die Musik von Gastarbeiter*innen und deren Kindern lässt sich also als lokales Community-Phänomen betrachten. Das bestätigt auch Ercan Demirel von Ironhand Records: »Damals waren die Bands eher im eigenen Gebiet bekannt.« Vergleichbare österreichische Labels gab es in diesem Zeitraum keine. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kassetten des Münchner Labels Minareci auch ihren Weg nach Österreich fanden. Bülent Kullukçu: »Ab den 80ern gab es auch Bands wie Derdiyoklar.« Eine Band, die mit ihrem Disco-Folk und ihren außergewöhnlichen Liveshows auch über Ländergrenzen hinweg bekannt war. Dabei zeigten Derdiyoklar den besonderen Wert von Hochzeiten als Ort der musikalischen Bühne auf, auch weil etablierte Konzertbühnen autochthonen Bands vorbehalten blieben. Anschluss an die Öffentlichkeit fand etwa die Band Grup Doğuş aus München auch erst dank der Neuauflage ihrer Musik durch Demirels Label Ironhand Records. Grup Doğuş war die erste Gastarbeiterband, die den AnatolienPop in den 70er-Jahren nach Deutschland und Österreich brachte: psychedelisch, progressiv und groovig. Solche Talente wären ohne den gekonnten Blick Demirels wohl bis heute vom Mainstream unentdeckt geblieben. Aktuelle Bands, die alte Klassiker des Anatolien-Pop und -Rock neu interpretieren, sind deutlich inspiriert von diesen Re-Releases. »Die Musik gefiel der Jugend, daraus entstanden Bands wie Altin Gün und Grup Şimşek«, so Kullukçu. Die beiden genannten Acts covern unter anderem Bands wie Barış Manço, Gülden Karaböcek oder Özdemir Erdoğan, die in ihren Liedern das Gefühl der Fremde und des Heimwehs (im Türkischen: gurbet) besingen.
Auch Frauen wurden als Gastarbeiter*innen angeworben, was häufig vergessen wird. Unter ihnen Yüksel Özkasap, die mit ihren sentimentalen Texten als »Nachtigall von Köln« bekannt wurde. Laut Demirel gab es eine recht geringe Zahl an Musikerinnen unter den Gastarbeiter*innen. Mangels biografischer Dokumentation könne man heute nicht genau sagen, ob sie als Gastarbeiterinnen, Musikerinnen oder – wie im Fall von Bülent Ersoy – als Exilantinnen nach Deutschland kamen.
»Heutzutage kann jeder mit einem Handy oder einer bestimmten Software auf einen Beat rappen.« — Ercan Demirel (Ironhand Records)
Trotz der reichhaltigen Geschichte konzentriert sich die heutige Wahrnehmung türkischer Musik größtenteils auf Rapper wie Eko Fresh, Haftbefehl, Mero oder Eno. Das liegt vor allem an den technischen Möglichkeiten: »Heutzutage kann jeder mit einem Handy oder einer bestimmten Software auf einen Beat rappen. Viele junge Rapper sind durch Instagram groß geworden«, so Demirel. Die sozio-ökonomischen Gründe dahinter hebt Esra Özmen von Esrap aus Wien hervor: »Im Rap ist nichts privilegiert. Ein Instrument zu spielen hat auch immer was mit Erziehung und Support von daheim zu tun. Wenn du bis du 15 Jahre alt bist kein Instrument gelernt hast, ist es danach halt schwieriger. Aber du kannst dich mit 18 trotzdem hinsetzen und Texte schreiben. Bei Rap kann man von null starten, bei den anderen Genres brauch man Startkapital.«
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Bülent Kullukçu und Imran Ayata, die ihre Compilation »Songs of Gastarbeiter Vol. 1« 2013 bei Trikont veröffentlichten
… heute im Rap-Game … Startkapital, das bedeutet zum einen Support von zu Hause, aber auch von der Öffentlichkeit. Eine gewisse Verschlossenheit der Mehrheitsgesellschaft ist heute noch immer zu spüren. »Das, wofür ich zehn Jahre gearbeitet habe, erreichen weiße Menschen in einem Jahr«,
Heinrich Klaffs, Eugen Haller, Olcay Mete-Demirel
Ercan Demirel von Ironhand Records vor seinen Kassetten
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Das Rap-Geschwisterpaar Esrap berichtet in seinen Tracks unter anderem vom migrantischen Leben in Ottakring.
den, beschäftigen sie sich mit diesem thematischen Erbe. Die Enkel und Großenkel der Gastarbeiter*innen sind mittlerweile in Deutschland und Österreich zu Hause. Die Frage nach Zugehörigkeit bleibt aber offen. »Und die Kinder dieser Menschen sind geteilt in zwei Welten, ich bin Ata und frage euch, wo wir jetzt hingehören«, singt Ozan Ata Canani in »Deutsche Freunde« – und diese Frage ist nach wie vor höchst aktuell. Musik, in welcher Form auch immer, bleibt ein wichtiger Kanal, um das zum Ausdruck zu bringen. »Arabeske ist für uns einfach auch Therapie. Man fühlt sich mit seinem Leiden nicht allein«, so Enes Özmen. Auf die Frage, welche Musik Esrap machen würden, wären sie autochthone Österreicher*innen, antwortet Enes Özmen lachend: »Wenn ich Österreicher wäre, würde ich Schlager machen, vielleicht noch irgendwas Cooles rein. Trap mit Schlager oder so.« sagt Esra Özmen. Dabei spiele das Netzwerk, das einem Zugang zur Öffentlichkeit verschaffen oder diesen erschweren kann, eine große Rolle. »Wir sind Gastarbeiterkinder, wir kannten hier halt nicht so viele Leute. Wir hatten natürlich auch Support: das Kaffeehaus von nebenan oder die Freunde von meiner Mama. Aber der Support ist halt bis zur Moschee gegangen, und das war’s dann auch. Natürlich ist das urschön, aber Auftrittsmöglichkeiten hat uns das keine gebracht.« Es geht also um Sicht- beziehungsweise Hörbarkeit. Hörgewohnheiten sind erlernt, wobei politische Einstellungen natürlich auch eine Rolle spielen. Musik, die für deutsche und österreichische Ohren erst mal ungewohnt klingt, bedürfe einer gewissen Auseinandersetzung, so Enes Özmen, Esras Bruder, der das Duo Esrap komplettiert. Unaufgeschlossenheit ist das eine. In den 80er-Jahren wuchs jedoch auch der alltägliche Rassismus gegenüber türkischstämmigen Menschen. Grup Doğuş löste sich aus Angst vor rassistischen Übergriffen auf. Im Song »Liebe Gabi« kommentieren Derdiyoklar mit der Zeile »Helmut Kohl und auch Strauss wollen Ausländer raus« die politische Situation. Dennoch gab es einen interkulturellen Austausch: Cem Karaca, einer der bekanntesten türkischen Musiker, der in den 80er-Jahren als Exilant in Deutschland lebte, brachte ein Album in deutscher Sprache heraus. Und Ozan Ata Canani sang seine Lieder ebenfalls auf Deutsch. Die heutigen Musiker*innen stehen in einer Tradition, die ihre Wurzeln in einer Generation hat, die als Gastarbeiter*innen in die Fremde zog. Dieses Gefühl des Außenseiter-
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»Wenn ich Österreicher wäre, würde ich Schlager machen. Schlager mit Trap oder so.« — Enes Özmen (Esrap) tums ist bis heute Quelle der Inspiration vieler türkischstämmiger Musiker*innen. Esrap aus Ottakring sind für ihre Vermischung von traditioneller Arabeske und Rap bekannt. Musik von Gastarbeiter*innen haben die beiden zu Hause selten gehört, dafür die Größen der Arabeske wie Müslüm Gürses, der auch jetzt noch ihre Musik beeinflusst. Enes Özmen: »Bei Arabeske, da geht es um das alltägliche Leiden. Müslüm Gürses war Alkoholiker, seine Eltern waren tot. Der hat wirklich gelitten und das hat man gespürt. Man muss halt authentisch sein, bei dem, was man macht.« Doch wie äußert sich diese Authentizität? Bei Esrap spürt man, dass sie ihre Musik leben. In »Meine Welt« rappt Esra Özmen: »Mein Schicksal ist es, Rap zu machen.« Damit zeigt sie auf, dass es auch für die Nachkommen der Gastarbeiter*innengeneration oft nur wenige Wege gibt. Auch wenn sich Esrap nicht direkt als Gastarbeiter*innenband bezeichnen wür-
Wünschenswert für die Zukunft wäre für das Duo ein einfacherer Zugang zur lokalen Musiköffentlichkeit, beispielsweise durch Vernetzungsplattformen. Die Labels von damals gibt es heute in dieser Form nicht. Esrap würden solche Outlets begrüßen, denn für sie gestaltet sich die Suche nach musikalischen Kooperationen holprig. »Es war unglaublich schwierig, einen Producer zu finden, der formen kann, womit du dich identifizierst. Wir wollten halt orientalische Beats und da braucht man jemanden mit einem orientalischen Ohr. Wir arbeiten viel mit Balkan-Leuten und aktuell mit Testa von Duzz Down San, da geht es gut, aber wir kämpfen seit Jahren. Unser Label Springstoff ist in Deutschland, das ist cool, aber es wäre natürlich optimal, wenn es hier in Wien mehr Möglichkeiten für Kooperationen geben würde. Da fehlen einfach die Strukturen.« Nicht nur für die Musiker*innen, sondern auch für die an Musik interessierte Öffentlichkeit wäre das eine Bereicherung. Durch solche Projekte würde die Musiklandschaft des deutschsprachigen Raums vielfältiger und türkische Musik nachträglich in vielen Genres als Teil der kollektiven Geschichte der Mehrheitsgesellschaft verstanden werden. In Zeiten, in denen Einwandernde zum Politikum gemacht werden, ist Musik eine Ermächtigung von Individuen. Wo Worte fehlen, kann Musik einen Beitrag zur Verständigung Berfin Silen leisten. Besser spät als nie.
Enes und Esra Özmen aka Esrap stehen am 28. Oktober beim Loftival im Wiener Lokal The Loft wieder auf der Bühne.
Martina Lajczak
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… morgen in der Öffentlichkeit
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Sauvages: © CPB FILMS / SCARLETT PRODUCTION / CANAL+ / 2019. Photo: David Koskas.
Martina Lajczak
© TRUST ME SERIES LIMITED 2017. © RED PRODUCTION COMPANY LIMITED. Tous Droits Réservés. Photos: Mark Mainz. Tous Droits Réservés.
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Kultur vs. Ökonomie Die Wiener Clubszene als wirtschaftlicher Herzschrittmacher?
Die zwischengenutzte Kultursommer-Clubbühne ging trotz Anstrengungen leider etwas in die Hose.
Die Wirtschaft geht um, der Tourismus spielt mit. Das Rathaus entdeckt den Club und professionalisiert eine Szene – mit Konsequenzen. Ein Kommentar zur Zukunft der Vienna Club Commission und der möglichen politischen Vereinnahmung der Clubkultur. ———— Wien ist nicht Berlin. Darin ist man sich im Rathaus einig. Zumindest wenn es um die heimische Clubkultur geht. Aber: Man wolle sich ein Beispiel nehmen, nicht den Anschluss verlieren, besser werden. Zuletzt fixierte die sogenannte Fortschrittskoalition zwischen SPÖ und Neos die Ausschreibung der Vienna Club Commission (VCC). 300.000 Euro fließen jährlich in die Servicestelle, die »zwischen Clubs, Politik und Stakeholder*innen« vermitteln soll – vorerst bis 2026. Das hat Gründe. Als »Herzschrittmacher der Metropole« bezeichnet Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler die Wiener Clubs. Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke weiß: Die Szene solle
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»Der Anspruch von Clubs sollte immer auf deren kultureller Leistung liegen.« — Laurent Koepp
als »relevanter Wirtschaftsfaktor« wahrgenommen, Clubs als »kreative Hotspots vermarktet« werden. Einen Aspekt, den auch Markus Ornig, der Clubkultursprecher der Neos, betont. Er mache sich seit Jahren für die Wiener Clubszene stark. »In einer Millionenmetropole wie Wien ist eine florierende Nachtwirtschaft ein wichtiger gesellschaftlicher Katalysator und Wirtschaftsfaktor.«
Unwort Kommerz Man könnte glauben, sich auf ein Vernetzungstreffen für Start-up-Unternehmer*innen verirrt zu haben. Dabei handelt es sich um das neue Wording, wenn Politik über Clubs spricht. Die Wirtschaft geht um. Der Tourismus spielt mit. Die Wirkung nach außen, auf den sogenannten Mainstream, wird wichtig. Kreativ, relevant, florierend – auf einmal stampfen nicht einfach nur ein paar Leute in Dunkelkammern zu Vierviertelbeats, sondern
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Stadt Wien Marketing GmbH / Nikolaus Ostermann, Klaus Ranger, Neos Wien, Christoph Liebentritt / Buero Butter
im Fokus der politischen und wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Auch wenn es noch niemand in den Mund genommen hat, das Wörtchen »Synergie« schwingt in diesen Annäherungen mit wie die Suche nach Vibes in Marketingabteilungen. All jene, die darauf gehofft haben, dass sich die Wiener Clubszene professionalisiert, werden anerkennend nicken. Der Rest fürchtet schon jetzt, die eigene Seele an den Teufel zu verscherbeln. Allein kommerzielle Interessen zu verfolgen, mit dem Städtetourismus zu füßeln oder die eigene Veranstaltung als »kreativen Hotspot« zu branden ist so weit von Clubkultur entfernt, dass man auch Privatpartys für Sebastian Kurz schmeißen könnte.
Konfliktpunkt Clubkultur Die Politik vereinnahmt gerade den ClubBegriff. Und alle schauen zu. Dabei müht sich das Pilotprojekt der VCC, das noch aus der rot-grünen Stadtregierung hervorging, an allen Enden. In seinem eineinhalbjährigen Bestehen habe man weite Teile der Wiener Szene erstmals breit unterstützen können, so Sabine Reiter, Geschäftsführerin des Mica – Music Austria, dem die VCC untersteht. Die Servicestelle erhob Bedürfnisse der Szene, vermittelte Informationen, bündelte Wissen, das inzwischen für alle zugänglich ist. Und habe beide Seiten – Clubs und Politik – diplomatisch bedient, wie Laurent Koepp vom Pilotprojekt der VCC betont. Das habe auch dazu geführt, den Begriff Clubkultur medial positionieren zu können. Die Szene bekommt plötzlich Gehör. Nicht wegen Lärmbeschwerden, sondern für kulturelle Arbeit, die die Stadt lange ignorierte. Deshalb setze sich mittlerweile auch die Regierung für eine »starke Clubszene« ein. Eine, die nicht nur für die einheimische Bevölkerung, sondern auch für Besucher*innen aus In- und Ausland interessant wird, wie Markus Ornig betont. »In der Wiener Clubszene gibt es viele kreative Köpfe. Sie scheitern aber oft am Bürokratiedschungel, an behördlichen Auflagen oder den allgemeinen Rahmenbedingun-
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Das Pilotprojekt der VCC hat eineinhalb Jahre gut gearbeitet. Dass es die Stadt Wien verlängert, ist konsequent. Es stellt sich die Frage, in welche Richtung sich die Servicestelle und damit auch die Szene entwickelt. »Auch wenn Clubs personalintensive Unternehmen mit wirtschaftlichem Faktor und großer Wertschöpfungskette darstellen, sollte deren Anspruch niemals auf deren wirtschaftlichen, sondern kulturellen Leistungen liegen«, sagt Laurent Koepp. Diesen Fokus sollten auch jene Entscheidungsträger*innen der Stadtre-
Kultur statt Wirtschaftsfaktor Dass es nicht ausreicht, drei Basskisten in einen Carport zu stellen, die Nebelmaschine durchzuheizen und mit einer Lichtanlage zu hantieren, für die man sich sogar im Prater zu schade wäre, sollte nach diesem Kultursommer auch den Entscheidungstragenden im Rathaus klar geworden sein. Die Zuschreibung von Clubkultur mag sich zwar von Wodkaboot-Partys in Schickeria-Schuppen bis zum Acid-Rave im abgefuckten Technokeller erstrecken. Aber selbst bei neoliberalen Leistungsträger*innen ohne Anspruch bimmeln bei Sätzen wie »Das langersehnte Warten auf eine Party mit geiler Musik hat endlich ein Ende« die Cringe-Glocken.
Markus Ornig, Neos Wien
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Sabine Reiter, Mica – Music Austria
gen«, so der Neos-Clubkultursprecher. »Ziel muss daher sein, dass die Szene in Wien mehr Raum bekommt, um sich auszuprobieren, neue Konzepte ins Leben zu bringen und dass wir so in Wien eine noch attraktivere Clubszene haben.« Wie das konkret aussieht, konnte man an der »coronasicheren Clubalternative« des Kultursommers der Stadt Wien beobachten. Vizebürgermeister Christoph – »Ich tanze gerne, ich finde das eine gute Freizeitbeschäftigung« – Wiederkehr (Neos) installierte eine offizielle Location für Veranstalter*innen. Man mag den guten Willen nicht schmähen. Schließlich ging der Idee nicht nur Corona, sondern das Polizeichaos am Karlsplatz voraus. Allein: Der »Outdoor-Club mit Industrieflair« auf einem Lagerplatz der Straßenmeisterei neben der Südosttangente versprühte den Charme einer geilomobilisierten Wahlkampfveranstaltung der, nun ja, Neos. Und wurde von einer Bank gesponsert.
Laurent Koepp, Pilotgruppe Vienna Club Commission
gierung erkennen, die die Begriffe Nachtgastronomie, Stakeholder und Wirtschaftskatalysator im selben Atemzug verwenden. In welcher Form die VCC zukünftig auch immer agiert, sie darf nicht zum Steigbügel für Politik und Wirtschaft werden; nicht die Fußmatte für politische Verantwortung sein, während sie Hoffnungen innerhalb der Clubszene schürt, während sie für wirtschaftliche Interessen ausgenützt wird. Der Wiener Clubkultur steht eine Professionalisierung bevor. Sie bekommt dafür endlich mehr Zuwendung, die sie sich lange gewünscht hat. Bleibt zu hoffen, dass sich damit auch jene Bereiche weiterentwickeln können, die nicht den Vorstellungen von Menschen entsprechen, die ihre einzige Cluberfahrung aus Segelschuh-Meetings im Christoph Benkeser Volksgarten ziehen.
Neben der VCC haben sich seit März 2020 die IG Club Kultur und die DJ-Gewerkschaft Deck gegründet. Die Fragen, wer hinter diesen Gruppen steht, was sie machen und warum sie zusammenarbeiten sollten, werden zukünftig in The Gap besprochen.
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Weil wir’s wissen wollen. U27
Was passiert gerade auf den Bühnen von Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Lifest yle? Wie hängen diese Ereignisse zusammen? Und was bedeutet das für uns alle? Unser Leben w ird begleitet von Fragen, auf die es keine einfachen Ant worten gibt. Die Redaktion der „Presse“ ist täglich dabei, den Dingen und Geschehnissen auf den Grund zu gehen, zu informieren, zu analysieren und ein möglichst breites Meinungsspektrum zu den Themen der Zeit zu bieten.
DiePresse.com/U27
Alle Wissbegierigen unter 27 lesen „Die Presse“ stark vergünstigt!
DiePresse.com/U27
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Marko Feingold war mit 106 Jahren der zuletzt älteste Holocaust-Überlebende Österreichs.
Stadtkino Filmverleih
Erinnerung konservieren Der Dokumentarfilm zu Marko Feingold Anfang Oktober startet der Dokumentarfilm »Marko Feingold – Ein jüdisches Leben« im Kino. Der 2019 verstorbene Feingold war einer der wenigen verbliebenen Zeugen der Shoah. Bis zuletzt beobachtete er einen Wiedererstarken des Antisemitismus in Österreich. Die Regisseure Christian Krönes und Florian Weigensamer über eine Zeit nach dem persönlichen Erinnern. ———— Stoisch, aber doch von seinen Erinnerungen gezeichnet sitzt Marko Feingold da. Sein Umfeld, ein beständiges Schwarz, wird nur durch das sanfte Seiten- und Kopflicht durchbrochen. Die harten Schatten, die sich beharrlich in jeder Falte, jeder Kante seines Gesichtes einnisten, verleihen seinem Blick eine Dringlichkeit. Eine Intensität, die nicht verblassen möchte.
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»Ich bin heute 105 Jahre alt und immer noch am Leben. Obwohl ich in meinem Leben schon viele Male gestorben bin«, erklärt Marko Feingold in den ersten Minuten des Films. Er, der das seltene Glück hatte, nach sechs Jahren Gefangenschaft und vier verschiedenen Konzentrationslagern den Genozid an der jüdischen Bevölkerung zu überleben. Sein Blick wandert, während er seine Geschichte erzählt. Mal fixieren seine Augen herausfordernd die Kamera, mal versinken sie nachdenklich, verletzlich in der Vergangenheit. Als die Regisseure Christian Krönes, Florian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer Marko Feingold zum Interview baten, war er der älteste noch lebende Zeitzeuge Österreichs. Geboren am 28.
Mai 1913 in der heutigen Slowakei, wuchs er in Wien auf. 1939 griffen die Nazis ihn und seinen Bruder Ernst in Prag auf. Feingold kam erst nach Auschwitz, dann nach Neuengamme, nach Dachau und schließlich nach Buchenwald. Von den vier Feingold-Geschwistern war er der einzige Überlebende. Seine Geschichte wurde im Nachkriegsösterreich zu einer Waffe im Kampf gegen das Vergessen. »Die Erinnerungen sind der Sinn meines heutigen Lebens«, so Feingold. Jahrzehntelang hielt er Vorträge als Zeitzeuge, unter anderem an Schulen. »Ein jüdisches Leben« hält diese Erinnerungen nun für die Nachwelt fest. »Österreich hat eine ziemlich unrühmliche Geschichte, was das Verdrängen und
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Vergessen betrifft. Da die Zeitzeugen leider immer weniger werden, ist es eine wichtige Aufgabe, ihre Geschichten, ihre Erinnerungen zu erhalten«, erklärt Christian Krönes die Überlegung hinter dem Film. Wie konnte es zu so einem Menschheitsverbrechen kommen? Die Regisseure haben schon zuvor versucht, diese Frage anhand einer Mitläuferin (»Ein deutsches Leben«, 2016) und eines Opfers im Kindesalter (»A Boy’s Life«, 2021) zu beantworten. »Es geht um die persönliche Erzählung und die persönlichen Erfahrungen, und nicht darum, ein Stück Geschichte nachzuerzählen. Es ist auch der Versuch, diese Emotionen ein bisschen herüberzuretten«, meint Florian Weigensamer.
Antisemitismus steigt Dieses Eintauchen in die eigene traumatische Vergangenheit fordere eine gewisse Sensibilität beim Dreh, wie Krönes erläutert. Wenn man so viele Interviews wie die beiden gemacht habe, wisse man, wie man die Erinnerungen der Protagonist*innen wieder hervorholt. Er habe die größte Bewunderung für Feingold, ergänzt Weigensamer. Immerhin würde er es genauso verstehen, wenn jemand nie wieder über die grauenvollen Erlebnisse sprechen möchte. »Ihm war das aber sein Leben lang sehr wichtig. Er war immer goschert und hat nie den Mund gehalten. Er hat das dann auch zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Ich glaube, dass das dazu beigetragen hat, dass er 106 Jahre alt geworden ist. Sein Terminkalender war bis zum Schluss voll bis unter die Decke. Das hat ihm einen Sinn gegeben.« Dass Zeitzeugenberichte auch nach dem Ableben der letzten Zeitzeugen relevant und notwendig sein werden, zeigt schon eine Bestandsaufnahme der Gegenwart. Krönes weist auf die Entwicklungen in den verschiedensten Ländern der Welt hin. »Man bekommt ein wenig den Eindruck, dass wir recht wenig aus der Geschichte gelernt haben und sie sich durchaus wiederholen könnte.« Die Statistiken sprechen ebenso eine deutliche Sprache. Im Jahr 2020 wurden bei der Antisemitismus-Meldestelle der Israe-
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»Es ist wichtig, die Geschichten dem Vergessen zu entreißen. Ich glaube, das ist die wichtigste Aufgabe, die wir als Nachgeborene haben.« — Christian Krönes (Regisseur) Annäherung lernen wird«, ergänzt Krönes. Videoaufzeichnungen von Zeitzeugen, wie der vorliegende Dokumentarfilm, können zwar die Geschichte für die Nachwelt erhalten. Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und das Museum of Jewish Heritage Museum in New York arbeiten etwa bereits mit sozialen Medien und virtuellen Avataren von Überlebenden, und die Instagram-Serie »Eva Stories« von Mati und Maya Kochavi verlegt die Tagebücher der in Auschwitz ermordeten Eva Heyman mittels Nachstellung in die Gegenwart. Doch solche Videoaufnahmen kommen auch mit Abstrichen. Zum einen wird die Vermittlung weniger emotional. Zum anderen bleiben die Fragen und Antworten stets in einer gegebenen Zeit verhaftet und können so nicht mehr
Florian Weigensamer auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren. Feingold selbst ist vom Überlebenden, der bei seiner Geschäftseröffnung in Salzburg noch attackiert wurde, zum Ehrenbürger der Stadt geworden. Er erhielt das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Der ehemalige Makartsteg, der die beiden Altstadthälften Salzburgs miteinander verbindet, trägt nun seinen Namen. Doch vieles, das sein Leben vor dem Krieg geprägt hatte, war ihm danach entrissen oder blieb ihm verwehrt. Die Familie war tot. Nach Wien durfte er nicht mehr zurück. Von seinem Besitz blieb ihm nur der italienische Anzug, den er bei seiner Einlieferung in Auschwitz getragen hatte. »Nichts ist übriggeblieben – und mit dem Nichts muss ich leben.«
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Never again Dann war da auch noch die Nachkriegspolitik. »Er hat gesehen, dass durchaus viele Mitläufer und Täter unmittelbar nach Kriegsende wieder in ihren alten Positionen waren und eine absolute Normalität einkehrte. Das war etwas, das ihn sein Leben lang belastet hat«, so Krönes. Doch er habe es auch als sein Recht empfunden hierzubleiben, erinnert sich Weigensamer. Auf die Frage, warum er nicht nach Israel gehe, habe Feingold stets geantwortet: »Dann geh du nach Rom zu deinem Papst. Was soll ich in Israel? Ich bin Österreicher!« Da Marko Feingold am 19. September 2019 verstorben ist, liegt es nun an den noch lebenden Generationen, seine Geschichte in Erinnerung zu behalten. »Es ist eine große Chance des Films, Emotionen wieder zu wecken und aufrechtzuerhalten«, fasst Krönes zusammen. »Es ist wichtig, die Geschichten dem Vergessen zu entreißen. Ich glaube, das ist die wichtigste Aufgabe, die wir als Nachgeborene haben.« Susanne Gottlieb
»Marko Feingold – Ein jüdisches Leben« von Christian Krönes, Florian Weigensamer, Chris tian Kermer und Roland Schrotthofer läuft am 1. Oktober in den österreichischen Kinos an.
Blackbox Film
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Christian Krönes
litischen Kultusgemeinde Wien insgesamt 585 antisemitische Vorfälle angezeigt. Das ist ein Anstieg um 6,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Laut dem Bericht »Antisemitismus 2020« des Instituts für empirische Sozialforschung glaubt zudem jede*r Fünfte, es werde im Rahmen der Erinnerungskultur zu viel getan. Hingegen meint nur jede*r Sechste, dass zu wenig getan werde. Feingold selbst erhielt jahrzehntelang Schmäh- und Drohbriefe. Doch wie soll man auch künftigen Generationen die Dringlichkeit dieser Botschaft vermitteln, wenn die Erzählungen von Überlebenden meist die prägendste Erfahrung in der ShoahVermittlung sind? Das Naziregime driftet von der gegenwartsbezogenen Zeitgeschichte in die allgemeine Geschichte ab. »Die Leute haben jetzt keine persönlichen Bezüge mehr, es gibt kaum mehr jemanden, der diese Zeit erlebt hat«, resümiert Weigensamer. »Ich glaube, das ist auch der Punkt, an dem die jüngere Generation über diese Zeit durch eine sehr distanzierte
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Im Circus Sodomelli vermischen sich traditionelle Formen des Zirkus mit queeren Ästhetiken. So etwa beim BDSM-Horrorclown.
Die Liste an Vorurteilen gegenüber Zirkus ist lang: Er sei kindisch, dreckig, kriminell, tierquälerisch – und so weiter. Doch dass Zirkus auch rebellisch und sogar revolutionär sein kann, beweisen nicht erst moderne queere Experimente. Das zeigt sich immer wieder in seiner Geschichte, wie die Zirkusforscherin Birgit Peter weiß. ———— Wie schön ist doch diese utopische Vorstellung vom Zirkus: Eine egalitäre Wahlfamilie von Außenseiter*innen, die frei von äußeren Zwängen, Grenzen oder Konventionen durch die Lande streift und Lebensfreude verbreitet. Dass realer Zirkus diese Utopie nie erreichen kann, scheint auf der Hand zu liegen. Dennoch gibt es gerade in den letzten Jahren eine Reihe von Zirkusprojekten, welche diesen utopischen Anspruch näher an die gelebte Realität bringen wollen. Und auch die geschichtliche Realität ist zwar weit komplizierter als das Ideal, lässt aber immer wieder Utopien aufblitzen.
Zirkus ist anti-bürgerlich Für die Zirkusforscherin Birgit Peter ist Zirkus zuallererst einmal anti-bürgerlich. Im deutschsprachigen Raum begann sich der Zirkus Anfang des 19. Jahrhunderts als Gegenpol zum bürgerlichen Kunstideal Theater zu formieren. »Alles, was im regelmäßigen Theaterbetrieb ausgeschlossen wurde, fand im Zirkus Platz«, so Peter. »Aber die Geschichte ist gemein, weil das mit dem Ausschluss nicht so funktioniert hat wie gedacht. Zirkus wurde zur erfolgreichsten Unterhaltungsform im 19. Jahrhundert und hat den Nationaltheatern das Publikum weggeschnappt.« Der enorme Erfolg begründete opulente Zirkuspaläste und Zirkusdynastien, die teilweise bis heute andauern. Dies deutet allerdings schon auf
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den großen Zwiespalt im historischen Zirkus hin. Einerseits war er (Über-)Lebensraum für marginalisierte Menschen, Gruppen und Ausdrucksformen. Andererseits aber auch Schauplatz von Ausbeutung, Menschenhandel und Turbokapitalismus.
Freiraum und Zwang Diese beiden Seiten des Zirkus waren eng miteinander verwoben. So erzählt Peter etwa von »Straßenkindern, die von Impresarios (vergleichbar mit Kunstmanager*innen; Anm. d. Red.) versklavt und zu Artist*innen ausgebildet wurden, sich dann aber im Zirkus emanzipieren konnten und selbstständig wurden.« Oder
»Alles, was im regelmäßigen Theaterbetrieb ausgeschlossen wurde, fand im Zirkus Platz.« — Birgit Peter von jungen Frauen, die vor bürgerlichen Ehen und Gewalt in den Zirkus flüchteten. Sie fanden neue Lebensformen, die den Erwartungen der Zeit entgegenliefen. Als Beispiel nennt Peter etwa die Kraftfrau Madame Athleta: »Ihre Spezialität war es, ihren Ehemann und ihre beiden ausgewachsenen Söhne auf einmal zu stemmen. Das ist doch ein großartiges Bild gegen traditionelle Familienordnungen.« Gleichzeitig waren die Zirkusdynastien selbst meist
Berivan Sayici
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»Ein Ausdruck purer Lebensfreude« Wie queer geht Zirkus?
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Special Bühne The_Gap_189_010-039_Story_FINAL_mf.indd 27
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Special Bühne Das transportable Zirkuszelt gibt es erst seit etwa der Jahrhundertwende. Das Aufstellen ist kollektive Arbeit.
len des Zeltes, bis hin zum Rahmenprogramm: Hier machen alle alles. Inklusive Bar, Popcorn, Animation, Glücksrad, Ponyreiten mit BDSMPony und Kutsche. Auch das ist klassisch Zirkus. Bei allen möglichen real bestehenden Hierarchien, am Ende ist die Arbeit immer kollektiv geteilt. Der Circus Sodomelli ist für Peter »eine Verneigung vor dem traditionellen Zirkus. Er erzählt die Geschichte des Zirkus, des Andersseins, des Gegenläufigseins, der rebellischen Lebensfreude. Ein Arbeiten gegen das Vorurteil.«
höchst patriarchal und streng hierarchisch. Zirkus bot also eine Alternative zu vorgegebenen Lebensentwürfen, aber kein völliges Entkommen aus gesellschaftlichen Zwängen. Nirgends wird diese Ambivalenz deutlicher als in den sogenannten Sideshows. Diese bildeten eine Nebenattraktion zum Hauptprogramm eines Zirkus oder fahrenden Jahrmarktes. Ausgestellt wurden, neben zusammengetragenen, wunderlichen und oft gefälschten Exponaten, vor allem Menschen. Unter der Bezeichnung Freaks – daher dann auch der Titel »Freak Show« – wurden diese, so Peter, »noch eine Stufe weiter weg aus der Gesellschaft geschoben. Sie wurden als Missing Link zwischen Mensch und Tier gesehen, als Wunderwesen, als Abnormitäten, als Kuriositäten. Sie wurden verdinglicht.« Tod Brownings Kultklassiker »Freaks« aus dem Jahr 1932 zeigt – mit Darsteller*innen aus tatsächlichen Sideshows – dieses Kippen zwischen Horror und Faszination. Nichtsdestotrotz erlaubten es Sideshows Menschen, die sonst keinen Unterhalt gefunden hätten, zu überleben und manchmal sogar eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung zu finden. »Überlebenstechnik als Unterhaltungsform«, so fasst Peter diese Funktion des ursprünglichen Zirkus für dessen Mitarbeiter*innen ganz allgemein zusammen. Diese Perspektive umzudrehen, Freaks, Außenseiter*innen und marginalisierte Iden-
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titäten von der Sideshow, von den Rändern der Gesellschaft auf die Mitte der Bühne zu holen, ist einer der Ansätze hinter aktuellen queeren Zirkusprojekten. Ende August gastierte der Circus Sodomelli als (vorerst) einmaliges Projekt auf dem ÖBB-Gelände neben dem Brut Nordwest im 20. Wiener Gemeindebezirk. Das Programm verkündete vollmundig: »In der lustvollen Zeltstadt erwarten Sie genderfluide Artist*innen, feministische Athlet*innen, anti-autoritäre Dompteur*innen, rebellische Dressurnummern und BDSM-Horrorclowns, antifaschistische Jongleur*innen und viele sensationelle, perverse Attraktionen.« Hinter der Aktion steht Sodom Vienna, ein künstlerisch-politisches Projekt initiiert von Gin Müller. Zirkus ist nur eine der historischen Formen, deren queeres Potenzial Sodom Vienna unter dem Motto »100 Jahre rotes Wien« auslotet.
Alle machen alles Die Liste der beteiligten Gruppen, Kollektive und Personen ist lang: Fearleaders Vienna, Denise Palmieri, Dada Zirkus, Gin Müller, Peter Kozek, Thomas Hörl, Andreas Fleck, Katrinka Kitschovsky, Tuntathlon, Cie.Lou / Zirkus Kollektiv Kaudawelsch, 2 Pigs under 1 Umbrella, Beri Sayici, Birgit Peter, Flame Rain Theatre, Verena Brückner, Oluchukwu Akunsinanwa (aka Lovemore), Dr. Cunt N. Further, Circus Salto Morale und das Lazy-Life-Kollektiv. Vom Vorbereiten der Stellfläche, über das Aufstel-
Aktuelle Zirkusprojekte wie der Circus Sodo melli sind beileibe nicht die ersten und einzigen Versuche, Zirkus zu modernisieren. Seit den 70ern findet das Internationale Zirkusfestival von Monte Carlo statt und seit den 80ern tourt der wohl heutzutage weltweit bekannteste Zirkus: der Cirque du Soleil. Es scheint jedoch kein Zufall, dass gerade Arte der Sender ist, der beides regelmäßig ausstrahlt. Einerseits, weil die Vorurteile gegen Zirkus außerhalb des deutschsprachigen Raumes vielfach weniger stark ausgeprägt sind. Und andererseits, weil beide Veranstaltungen auf eine Legitimation des Zirkus als Kunstform abzielen, auf eine Integration des Zirkus in bürgerliche Kunstvorstellungen. Für Peter geht es im Zirkus aber vorwiegend um die Schaulust, um das Staunen, nicht um das Intellektuelle: »Es gibt einen Moment, in dem man sich einfach freut, dass man lebt. Dieser Moment ist Zirkus. Das ist der Grund, warum Menschen den Zirkus lieben. Es sagt aber sehr viel über unsere Gesellschaft aus, dass Zirkus sich für Erwachsene nicht gehört. In den Zirkus geht man mit den Kindern. So ein Ausdruck purer Lebensfreude darf in unserer Gesellschaft nicht sein.« Dieses Feiern von Lebensfreude, von Lust, von Körperlichkeit machen wohl auch den queeren Reiz von Zirkus aus. Statt jedoch verdinglicht zur Schau gestellt zu werden, stellen sich die Performer*innen selbst zur Schau, stellen ihr Anderssein, ihre Körper, ihre Fähigkeiten zur Schau. Schaulust als Lust am Schauen und Schaustellen. So Bernhard Frena queer geht Zirkus.
Von 3. bis 6. November veranstaltet Sodom Vienna im Brut Nordwest die »Sodom Vienna Revue« inklusive großem Rahmenprogramm davor und danach. Weitere Informationen und kommende Veranstaltungen lassen sich auf der Facebook-Page von Sodom Vienna nachlesen.
Gin Müller
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Zirkus gehört sich nicht
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Was bleibt übrig, wenn der Bühne das Publikum fehlt? Was machen Theaterschaffende, wenn der Vorhang nicht aufgeht? Und wie geht es jetzt weiter? Burgtheater-Regieassistent Tobias Jagdhuhn und SchauspielhausHotel-Leiter Tomas Schweigen über durch die Pandemie veränderte Theaterformen. ———— Es hat einen Grund, warum die Bezeichnung für die Kunstform des Theaters synonym mit dem Begriff des Ortes, an dem sie stattfindet, verwendet wird. »Performance cannot be saved, recorded, documented, or otherwise participate in the circulation of representations; once it does so, it becomes something other than performance«, so erklärt die New Yorker Performanceforscherin Peggy Phelan das Verhältnis darstellender Kunst zum Raum. Theater als Stätte, Inszenierung und flüchtige Erfahrung, wird gemacht. Es wird ein Raum für Begegnung geschaffen, der davon lebt, im Moment wahrgenommen zu werden, unmittelbar und auch unwiederbringlich. Abend für Abend anders. Durch die einzigartigen Spannungsfelder geschaffen, die nur von Angesicht zu Angesicht passieren können. Die Definition dieses Vorgangs ist eine simple: »Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur
Theaterhandlung notwendig ist.« So fasst es Peter Brooke in »Der leere Raum« zusammen. Laut Erika Fischer-Lichte, ihres Zeichens Godmother of Theaterwissenschaften, geht es um das Drehmoment leiblicher Ko-Präsenz. Die zentrale Rolle kommt also keineswegs lediglich den Spieler*innen auf der Bühne zu, sondern auch der Melange von Menschen, die in der Dunkelheit sitzen. Sie werden als handelnde Mitspieler*innen begriffen, die physisch anwesend sind und deren Wahrnehmung Reaktion hervorbringt. Das ist, was Theater in Zeiten der digitalen Postmoderne auszeichnet. Etwas Echtes, vollumfassend Sinnliches.
Radikaler Umbau Mit dieser ganzen Kunst-Romantik war es aber eben Lockdown-bedingt die letzten Monate nicht weit her. Große Häuser filmten ihre Inszenierungen ab (was auch vor der Pandmie regelmäßig gemacht wurde) und stellten sie für günstiges Geld oder gänzlich kostenlos online. Regisseur*innen, Schauspieler*innen und alle anderen Kunstschaffenden, die auf Publikum angewiesen sind, versuchten sich mit streambarem Abglanz ihrer Werke im Diskurs zu halten. Teilweise schien das zwar gut zu funktionieren, aber was bleibt davon übrig? Was macht eine
Ab Oktober wird das Schauspielhaus für fünf Monate lang zur Quasi-Herberge umfunktioniert.
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Special Bühne
Perfomance zu einer Performance, wenn die Begegnung rausgerechnet wird? Schafft es ein in die Passivität zurückgedrängtes Publikum noch, sich aus dieser wieder herauszuwinden? Die Weisen und Sehgewohnheiten der BingeStreaming-Monate wieder aufzubrechen? Burgtheater-Regieassistent Tobias Jagdhuhn inszenierte im ersten Pandemie-Sommer als Teil der filmischen Reihe »Wiener Stimmung« den Monolog »Chor der Tränen« der österreichischen Autorin Magdalena Schrefel. Was sich inhaltlich an ein Publikum wandte, wurde allerdings als Produktion lediglich intern reflektiert. »Oft war es die Feststellung, dass Theater als solches schwierig auf den Bildschirm zu bringen ist. Da fehlt etwas«, erzählt er. Auf die Frage, was es denn nun sei, das fehle, auch aus Perspektive der Inszenierenden, meint der 31-Jährige: »Dabei sein, wenn etwas passiert. Dieses Unmittelbare. Ich kann mich als Zuschauer nicht so einfach distanzieren.« Eine filmische Sehgewohnheit berühre ihn im theatralen Kontext nicht so sehr, weil der Moment nicht miteinander geteilt werde. Die Sinne würden in der Situation eines Theaterbesuches ganz anders gefordert, so Jagdhuhn weiter. An anderen Häusern sei zwar schon bewiesen worden, dass streambare Formate funktionieren können, dazu brauche es aber theatrale und filmische Expertise gleichermaßen. Und nicht zuletzt ein Publikum, das bereit ist, aus der erzwungenen Passivität wieder in die Rolle der aktiven Teilhabe am Moment zurückzukehren. Als junger Regisseur blickt er jedoch auch nach entbehrlichen Monaten optimistisch in die Zukunft der Bühnen: »Was ich zu spüren glaube, ist eine unglaubliche Sehnsucht auf beiden Seiten nach einer Beziehung zu einem Theater, zu einem Spiel.« Dass nach einer solchen Krise nicht wieder alles wird, wie es vorher war, vermutet er trotz alledem. Künstlerisch wolle er sich daher in Zukunft weg von einem Geniuskult bewegen. Es müssten Möglichkeiten eröffnet werden, mehr zu kommunizieren und vermehrt kollektiv zu arbeiten. Die Sehnsucht nach Beziehung und kollektivem Arbeiten ist auch etwas, dass sich am Wiener Schauspielhaus manifestiert. Wo einst
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Out of the Void Was Theater machen, wenn sie sich einsam fühlen
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geschlossener Bühnenraum war, entsteht ab Oktober für fünf Monate das nicht nur in seiner Schreibart unterschiedene Schauspielhaus. Aus dem Raum wird ein neuer künstlerischer Begegnungsort, eine Herberge, ein Hotel. Genauer gesagt: kein Hotel. Irgendetwas dazwischen. Das Publikum ist eingeladen, an Arbeitsprozessen und Performances, Workshops, Konzerten, diversen Veranstaltungen teilzunehmen und mit Künstler*innen in Kontakt und Austausch zu kommen. Letzteres Bedürfnis ist dort nun so groß, dass man sich sogar über das Wochenende einmieten kann. Regisseur und künstlerischer Leiter Tomas Schweigen erzählt: »Nach der langen Zeit der Theaterschließungen ist eine große Sehnsucht entstanden, besondere und neue Formen von Begegnungen zu schaffen. Daraus entstand die Idee zu einem großen Gemeinschaftsprojekt mit unserem kompletten Team, gemeinsam mit vielen eingeladenen Künstler*innen, Performer*innen, Musiker*innen, Institutionen und unserem Publikum. Das Schauspielhaus wird (innen) architektonisch radikal verändert und das gesamte Gebäude anders bespielt.«
»Theater als solches ist schwierig auf den Bildschirm zu bringen. Da fehlt etwas.« — Tobias Jagdhuhn Während der Theaterschließungen sei regelmäßig – durchaus auch mit Bedauern – gefragt worden, was denn gerade mit der freien Zeit anfangen werde. Dass in dieser Zeit zum Teil mehr gearbeitet wurde als zuvor, stieß meist auf große Verwunderung bis Unverständnis, heißt es aus der Wiener Bühne. Dieses Feedback habe dann deutlich vor Augen geführt, dass der größte Teil der täglichen Arbeit für Außenstehende unsichtbar sei. Die Aufführung, die Präsentation eines künstlerischen »Ergebnisses« ist in der Regel der einzige öffentliche Anteil eines vielschichtigen Prozesses, eines mindestens monatelangen und komplexen Weges, den viele Beteiligte miteinander gehen. Daraus sei die Idee entstanden, diese Prozesse zu öffnen, Teilhabe daran zu ermöglichen und damit Begegnung und Austausch zu intensivieren. Fee Louise Niederhagen
Das Schauspielhaus Hotel ist ab Oktober von Mittwoch bis Sonntag jeweils ab 16 Uhr geöffnet, an Wochenenden ist es möglich, in einem der Hotelzimmer zu übernachten. Weitere Infos unter www.schauspielhaus.at.
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Wortwechsel »Was muss passieren, um diverse Rollen zukünftig respektvoll und fair zu besetzen?«
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Film- und Theaterregisseur
Die Frage führt in ein Dilemma: Ja, wir brauchen mehr Diversität in der Rollenbesetzung in Film und Theater. Nein, verbindliche Regularien, die Regisseur*innen vorschreiben, wie sie Rollen zu besetzen haben, helfen nicht weiter. Zunächst könnte man provokativ sagen: Kunst ist weder fair noch respektvoll. Sie entfaltet ihre Kraft gerade dann, wenn sie unausgewogen ist, anstößig, der Stachel im Fleisch des politischen und gesellschaftlichen Diskurses. Sie zeigt auch nicht die Welt so, wie sie sein sollte, sondern so, wie sie ist oder – in Form einer warnenden Dystopie – sogar so, wie sie nie werden darf. Als Künstler wehre ich mich deshalb gegen Richtlinien. Kunst folgt nicht Regeln, Kunst setzt diese außer Kraft. Wenn ausgerechnet ein Konzern wie Amazon, der seine Mitarbeiter*innen ausbeutet und die Klassenfrage als einzige in den sogenannten »Diversity Guidelines« nicht thematisiert, fordert, Rollen zukünftig nach Maßstäben der Übereinstimmung der Identität zwischen Darsteller*in und der zu verkörpernden Figur zu besetzen, sollte das stutzig machen. Ich habe in mehreren meiner Filme homosexuelle Schauspieler*innen in heterosexuellen Rollen besetzt. Nach den sogenannten Diversity-Regeln wäre das nicht mehr erwünscht: Vielmehr müsste ich künftig vor jedem Casting die sexuelle Identität der
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Bewerber*innen abfragen! Das ist Diskriminierung. Davon abgesehen liegt das Wunderbare am Wesen der Schauspielkunst gerade in ihrer Kraft, Identität fluide werden zu lassen: Heterosexuelle Männer küssen sich als homosexuelle Figuren, POC verkörpern in Serien wie »Bridgerton« Figuren, die dem historischen Realismus nach eigentlich »weiß« sein müssten. Was wir aber brauchen – und dafür ist diese Diskussion wichtig: ein Bewusstsein für die Bedürfnisse von Minderheiten, ein Bewusstsein für die Diskriminierung von Schauspieler*innen – egal welcher sexueller Orientierung und welcher Ethnie. Nur lässt sich dieses Ethos regeltechnisch eben nicht verordnen. Es ist vielmehr eine lebenslange Aufgabe: Bin ich der oder die Richtige, diesen Stoff authentisch auf die Leinwand zu bringen, über diese Figuren zu schreiben, diese Figuren in einem Film oder auf der Bühne zu verkörpern? Keine Reglementierung der Welt kann und darf es mir abnehmen, mich selbst immer wieder aufs Neue mit diesen Fragen selbstkritisch zu konfrontieren. Wir brauchen mehr Diversity in Film, bei den Streamern, auf der Bühne: Aber es liegt an uns – je nach Möglichkeiten des Stoffs, den wir visualisieren –, danach zu suchen. Es bewegt sich etwas, auch durch diese Diskussion. Das ist gut so. Aber Kunst muss eines immer bleiben: frei, wild, störrisch, ungebunden, herausfordernd. Manchmal müssen Fragen gestellt werden, um keine Antwort darauf geben zu können.
Rudi Gaul ist ein deutscher Film- und Theaterregisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent. Zuletzt wirkte er als Autor und Regisseur bei »Tatort: Videobeweis« mit, dessen Premiere Ende August 2021 beim SWR Sommerfestival stattfand und der Anfang 2022 in der ARD zu sehen sein wird.
Sandro Nicolussi
Rudi Gaul
Marc Reimann, Sodom Vienna, Stephan Oláh, Manuel Carreon Lope
Die Diskussion um das Verhältnis von realen menschlichen Identitäten und gespielten Rollen in Theater und Film entflammt regelmäßig aufs Neue. Letzter Auslöser war die Diskussion um die »Diversity, Equity and Inclusion Policy« der Amazon Studios. Wie werden solche Richtlinien in der Filmkunst beziehungsweise dem Film-Business rezipiert? Folgen diese tatsachlich den vorgegebenen Zielen oder dienen sie zum Reinwaschen von Konzernriesen? Können durch solche selbstauferlegten Reglements Diskriminierung und Marginalisierung abgebaut werden? Und inwiefern muss eine spielende Person eine Rolle auch in der Realität verkörpern oder erfahren, um sie »authentisch« spielen zu können oder zu »dürfen«?
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Lisa Oláh
Sophie Mashraki
Schlagwörter wie Diversity sind gerade enorm hip, aber oft in sehr oberflächlichen Gebrauch und dienen vielerorts als Label zum Reinwaschen. Nichtsdestotrotz bin ich klar für Quoten in Institutionen, Gruppenzusammensetzung in künstlerischen Erarbeitungsprozessen und so weiter, weil sich dort sonst nicht viel ändern wird. Ich sehe diesen Prozess der »Hegemonisierung« von Begriffen und Programmen wie Diversity auch zumindest als ersten Schritt, um sich Strukturen von Rassismus und Sexismus mehr bewusst zu werden, obwohl im neoliberalen Sinne das Thema Kapitalismus und Klassismus ausgeblendet wird. Als Künstler* in der Theater-, Performance- und aktivistischen Szene arbeitend, sehe ich einerseits die vielfältigen Versuche von solidarischen Bündnissen, aber auch viele linke Kämpfe um Identitätspolitiken – und die sich zuspitzenden ökonomischen, prekären Lebensumstände. Identitäten sind vielseitige Narrationen, »Authentizitäten« sind produzierte Affekte, die Beziehungsweisen leichter nachvollziehbar machen. Mich interessieren in diesem Sinn mehr die Beziehungsweisen zwischen den Menschen, mögliche Solidaritätsnarrative im gemeinsamen Kampf um soziale Rechte. Ich glaube, dass es im Schauspiel letztlich um »Authentizität« als Strategie geht und sehe vielfältige grenzüberschreitende Möglichkeiten von Schauspiel und Color-BlindCasting beziehungsweise Verfremdungspotenzial, um Identitätskonzepte als vielfältig zu beschreiben.
Wo würden Sie an meiner Stelle anfangen, wenn Ihnen als Caster*in folgende Aufgabe gestellt wird? Wir suchen zwei junge, weibliche Hauptdarstellerinnen. Sie müssen Profisportlerinnen spielen – in Österreich. Man sieht sie neben vielen emotionalen Szenen beim Eishockeyspielen und in Sexszenen. Miteinander. Es ist ein Autorinnenfilm und der Anspruch ist inhaltliche und visuelle Genauigkeit. Casten wir nun Profi-Eishockeyspielerinnen und hoffen auf Schauspieltalente? Oder suchen wir nach Schauspielerinnen, denen wir die emotionale Entwicklung glauben und die ein wenig Eislaufen können? Ist es wichtig, dass die Darstellerinnen schon mal lesbischen Sex hatten, um lesbischen Sex klischeefrei spielen zu können? »Acting is behaving truthfully under imaginary circumstances.« – Das Zitat von Sanford Meisner bringt den Konflikt der »Fairness« beim Besetzen gut auf den Punkt. Wenn wir als Menschen in einem bestimmten Maß von Selbstbestimmung leben, bestimmen wir unsere Routinen in einem uns größtmöglichen Ausmaß selbst, allerdings trifft das auch umgekehrt zu. Die gewählten Routinen bestimmen und wandeln unser Denken und unsere Körper. So wird man wahrscheinlich einer Schauspielerin, die Sport bisher überhaupt nicht gern mochte, keine Profisportlerin zutrauen. Es sei denn, es gibt Zeit und Geld, die in die Vorbereitung investiert werden. Diversität in der Besetzung – und ihre Machbarkeit – richtet sich für mich bei einem Projekt also immer nach den im Buch erzählten sozialen Gefügen. Meine Arbeit und die Gedanken dazu müssen sozusagen aus dem Film verschwinden, damit er gut wird. Wo für diese Arbeit finanzielle und zeitliche Ressourcen gesichert sind und ihr inhaltlicher Wert anerkannt wird, gilt es in der Castingarbeit vielfältige Strategien auszuschöpfen und alle sinnvollen Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Castingarbeit ist Feldarbeit und Experiment zugleich. Ich bin Betrachterin, auf der Suche nach einer Schnittmenge zwischen meiner Vorgabe und denen, die ich finde, oder auch: die mich finden. Manchmal wird ein*e Darsteller*in, die man schon oft gesehen hat, wieder am besten passen. Vielleicht auch deshalb, weil die Motivation stimmt oder weil Kunst mitunter durch Routine gut wird. Letztlich ist die Frage, die sich mir beim Besetzen immer stellt: Wollen wir den Konsens unserer Realitäten nur abbilden oder auch gestalten?
Die Angst, dass Rollen von Minoritäten zukünftig nur noch von Schauspieler*innen aus Minoritäten gespielt werden, ist eine unterdrückende Meinung von Menschen, die nicht jenen Minoritäten angehören und sich auch nicht mit diesen befassen. Damit sollte die Konversation beendet sein, wenn man sich gar nicht für die Menschen hinter den Rollen und den komplexen, sozialpolitischen Kontext dieser Rollen interessiert. Die Diskussion kann auch sein: Was wissen und erkennen Schauspieler*innen, die black, disabled, queer usw. sind, was weiße, able-bodied, cis-hetero Schauspieler*innen nicht so verkörpern können? Warum unterdrücken wir dieses Wissen und lassen Betroffene nicht selbst spielen? Aus Angst, dass wir Rollen und Jobs an Menschen verlieren, die »normalerweise« von uns unterdrückt werden und sowieso kaum Chancen haben. Haben wir Angst, dass sie uns so behandeln werden, wie wir sie jetzt? »Dürfen nur noch Lesben lesbische Frauen spielen?« erinnert an Angstkampagnen der 50er-Jahre, wo man angeblich nach einer Injektion Marijuana einen Teufelstanz in den Tod halluziniert: nichts als Angstmacherei, weil man die Menschen nicht erzählen lassen und deren Geschichten nicht hören möchte, sondern nur davon profitieren will. Damit alles angenehm bleibt und sich nichts verändert. Woher kommt die Regel, dass Schau spieler*innen krampfhaft jede Rolle verkörpern können müssen? Ist unser Ziel im Theater, im Film sowie in der Kunst nicht, eine Geschichte authentisch, herzzerreißend und euphorisch zu erzählen? Dass Schauspieler*innen jede Emotion und jeden Zustand verstehen sollten, okay. Aber wenn jemand beispielsweise mit Bipolarität durch persönlichen Kontext vertraut ist, wird diese Person auch eine solche Rolle so persönlich und ehrlich wie möglich repräsentieren. Womöglich sitzen auch Personen mit derselben Erfahrung im Publikum – die wollen sich selbst verstehen in der Geschichte. Und nicht nur gaffen. Wieso bestehen wir auf unser repräsentatives Blackface auf der Bühne und im Film? Wegen Machtstrukturen, deshalb. Und wenn Kunst darauf abzielt, nur den Machtvollen zu gefallen und keine Minoritäten zu repräsentieren (vor sowie hinter der Kamera), dann haben wir feige und unehrliche Kunst und keine Diversität. Und damit eigentlich keine Kunst.
Gin Müller ist Dramaturg*in, Theaterwissen schafter*in, Performer*in und Lektor*in am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaften der Universtät Wien. Gin war Teil der queeren Performanceband SV Damenkraft und beteiligt am Circus Sodomelli, über den Bernhard Frena ab Seite 26 berichtet. Von 3. bis 6. November residiert Sodom Vienna wieder im Wiener Koproduktionshaus Brut.
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Lisa Oláh ist Casterin für Kinofilme. Zum Bekanntwerden der Amazon-Richtlinien diskutierte sie auf Social Media mit zahlreichen Branchenvertreter*innen.
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Theaterregisseur*in und Produzent*in
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Künstler*, Dramaturg*, Performer*in
Sandro Nicolussi
Marc Reimann, Sodom Vienna, Stephan Oláh, Manuel Carreon Lope
Gin Müller
Sophie Mashraki ist Regisseur*in und Produzent*in im Theater und leitet die junge Modelagentur Enfant Terrible Society, die auf Diversität in verschiedenen Facetten fokussiert ist.
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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Alexander Galler
Manuel Fronhofer
Kaja Dymnicki Ausstatterin
Das wichtigste Material für ihre Arbeit sei Holz, meint Kaja Dymnicki. »Und Gaffer«, legt sie schmunzelnd nach. Geboren 1984 in Linz und fürs Studium (Bühnengestaltung an der Universität für angewandte Kunst) nach Wien gezogen, sorgt sie als Ausstatterin dafür, dass Theaterstücke auf der Bühne so aussehen, wie es das Skript verlangt. Das betrifft Bühnenbild, Kostüme und Requisiten. Sie selbst setze dabei gerne auf Detailreichtum: »Echt und viel«, das sei ihr Ding. Wobei »echt« natürlich relativ ist, vor allem wenn es um Lebensmittel geht. Anknabbern sollte man das Kunststoffbuffet, das im Bild zu sehen ist, jedenfalls eher nicht – dafür bleibt es wohl frisch bis zur letzten Vorstellung von »Ödipus«, einer Kriminalkomödie, die Kaja gemeinsam mit Alexander Pschill entwickelt hat und die zum Saisonstart im TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße Uraufführung feiert. In ihrem Job bastelt sie viel und sie ist immer auf der Suche, etwa auf Flohmärkten und Willhaben – »die App hab ich quasi dauernd offen«.
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Denise Kamschal Veranstaltungstechnikerin
Einer umsichtigen Betreuerin bei einem AMS-Ausbildungsprogramm ist es zu verdanken, dass Denise Kamschal überhaupt erst vom Berufsbild Veranstaltungstechniker*in erfahren hat. Als Person, die gerne körperlich, dabei aber auch kreativ arbeitet, hat ihr der Job gleich gefallen. »In der Veranstaltungstechnik ist nie alles so, wie man es plant oder hofft«, erklärt die 34-Jährige, die in Graz aufgewachsen ist und seit knapp 20 Jahren in Wien lebt. »Es gibt immer unvorhersehbare Hindernisse, diese zu umschiffen, etwas draus zu machen, ist das A und O.« Flexibilität sei in ihrem Job deshalb eine wichtige Eigenschaft, wie auch Belastbarkeit. In der Lehre wurde Denise in allen vier Sparten des Berufs ausgebildet – Licht, Ton, Bühne und Video. Im Koproduktionshaus Brut ist sie auf den Bereich Lichttechnik und Lichtdesign spezialisiert – sie erarbeitet Konzepte, programmiert das Lichtpult, schneidet Farb filterfolien (neben denen sie im Bild zu sehen ist) und kümmert sich um die richtige Hängung der Scheinwerfer.
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PROSA — RAPHAEL SAS
INITIALZÜNDUNG
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Drei Wochen Italien. Was als Intensivkurs in Sachen Sprache gedacht war, entpuppt sich als Rock-’n’-Roll-Erweckungserlebnis. Musiker Raphael Sas erinnert sich an einen Urlaub, der alles veränderte. Von Kreissägengitarren und Bettsprüngen.
LA DOLCE MUSICA Immer wieder taucht die Frage auf, ob Kunstwerke in der Welt etwas verändern könnten. Fast immer wird das dann verneint. Ich finde das befremdlich, denn man sieht und spürt doch, dass Kunst selbstverständlich vieles verändern kann und das auch andauernd tut. Sie besitzt enorme Strahlkraft. Kreative Prozesse setzen Energien frei, die fortwirken. Ich wäre heute ein anderer, hätte ich als Vierzehnjähriger nicht diese drei Wochen bei einer befreundeten Familie in Italien verbracht. Zum Italienischlernen, so der fromme Wunsch meiner Eltern. Stattdessen lernte ich in jenen Julitagen kurz vor meinem fünfzehnten Geburtstag etwas anderes. In der Familie gab es drei Söhne. Der Mittlere war etwa zwei Jahre älter als ich, hatte ein sanftes Wesen, Dreads, wunderschön zerrissene Fetzen am Leib, kiffte, grinste mich an und spielte Schlagzeug in einer Band. Mein vierzehnjähriges Ich erkannte in ihm natürlich den coolsten Menschen auf dem Planeten. Sie probten in einem mit sehr vielen Eierbechern ausgeschlagenen und mit rätselhaften Fahnen und Postern behängten Raum, im hintersten Kellerwinkel eines wunderbaren Hauses, das für drei heiße Sommerwochen mein Zuhause war und das in einer pittoresken Hügellandschaft im Umland von Parma genau jenes Flair atmete, das man sich von so einem alten italienischen Landgemäuer erwartet: komplett idyllisch. Die angenehmste mediterrane Einlullung. Dort, in diesem Paralleluniversum von Proberaum, roch es irgendwie verheißungsvoll. Ein bisschen modrig, gleichzeitig auf eine ungeahnte und aufregende Weise … ja, frisch! Das alte Gestein verströmte selbstbewusst dieses spezielle Odeur kultivierter Räudigkeit, ein Geruch, der mir später noch so oft und so vertraut in Proberäumen und anderen Lokalitäten entgegenwehen sollte, in all den Clubs, Bars und Backstageräumen, Kellertheatern und
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Partybunkern. Es roch nach Dreck und nach Leben, nach Wachheit und Rausch, nach Bier und Wein und Rauch und Schweiß, nach Ehrlichkeit und Echtheit und Statement. Es roch nach Rock ’n’ Roll. Nach einer Welt, die man unbedingt kennenlernen wollte, zu der Erwachsene keinen Zutritt hatten und von der man fühlte, dass man in ihr vielleicht man selbst sein könnte, was auch immer das bedeuten mochte. Eine Welt voller Möglichkeiten, geheimnisvoll aber offen. Ich erinnere mich an einen wunderschön auf Italienisch krächzenden Sänger, der während seiner Performance eindrucksvoll und raumgreifend schwankte. Dazu headbangten der Bassist und der Gitarrist in vollendeter Versunkenheit, und mein neuer Kumpel, der Schlagzeuger, wirbelte hinter diesem überirdisch geilen Instrument mit einer magischen Mischung aus Kraft und Geschmeidigkeit seine Trommelstöcke und Dreadlocks im Takt. Anderntags gab er mir zwei CDs. In meinem kleinen CD-Player lief bis dahin eine kindlich geschmacksnaive Zufallsmischung, die sich aus dem CD-Regal meiner Eltern und sonstwo Aufgeschnapptem zusammensetzte: Roxette neben den Beach Boys, Take That neben den Beatles, Bon Jovi neben Michael Jackson, außerdem Abba, Scooter, Rainhard Fendrich, Wolfgang Ambros, STS, Neil Diamond, Shirley Bassey, Die Ärzte, Elton John, Supertramp, Bee Gees und irgendwelche »Bravo Hits«. Die Perlen dieser präpubertären Playlist entdeckte ich einige Jahre später neu, doch jetzt stand eine andere Entdeckung auf dem Programm: Der Rock ’n’ Roll klopfte unüberhörbar an meine Tür und gab mir, Hand in Hand mit meinen wachgerüttelten Hormonen, zu verstehen, dass er als Lebensgefühl in mein Dasein zu treten gedachte. Mein italienischer Mentor drückte mir Nirvanas »Nevermind« in die Hand. Und »Pablo Honey«,
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Carina Antl
das Debütalbum von Radiohead. Ich saß auf dem Bett des Gästezimmers und hörte mit weit aufgerissenen Ohren diese völlig neue Musik. Und ich schwör’s: Mit den ersten paar Takten von »Smells Like Teen Spirit« setzte schlagartig meine Pubertät ein und gallopierte mit mir davon. Romantisch verklärte Erinnerung, ja. Doch wenn ich die »Nevermind« heute höre, kann ich mein plötzlich losstürmendes Herz von damals spüren. Und selbst die viel später gewonnene Einsicht, damit einem vielleicht belächelnswerten Klischee zu entsprechen, wird an diesem Gefühl glücklicherweise niemals etwas ändern können. Mit fast fünfzehn war ich ein Spätzünder, aber als es soweit war, zündete ich nur umso gründlicher. »Nevermind« hatte schon sechs Jahre zuvor die Welt aufgemischt, bevor sie das 1997 endlich auch mit meiner Welt tat. Ebenfalls nicht mehr neu damals: Radioheads »Pablo Honey« aus dem Jahr 1993. Ich klippste sie in den CD-Player. Und was dann aus den kleinen Boxen ins Zimmer und in meine staunenden Gehirnwindungen drang, haute mich um. Ich versank in dieser Schönheit. Es war unmöglich, sich satt zu hören an diesen perfekten Liedern, an diesem Sound, an den mächtigen Gitarren, an Thom Yorks schwerelosem Gesang. Ich nickte mit geschlossenen Augen zu »Creep« im Takt, und kurz vor dem Refrain, wenn Jonny Greenwood mit seiner glühend heißen, funkensprühenden Kreissägengitarre zu zündeln beginnt, um dann auf die Eins in einem herrlichen Overdrivegewitter zu explodieren, warf ich meine Arme rauf zum Himmel und ging, synchron mit Jonny, buchstäblich an die Decke. Ich sprang von meinem Bett so hoch ich konnte in die Luft, ich ritt auf diesen magischen Schallwellen quer durchs Zimmer und durch die ganze Welt, landete auf dem Fliesenboden und sang, jetzt auf dem Rücken
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Raphael Sas ist in den letzten Jahren zu einem fixen Bestandteil der heimischen Musikszene geworden und hat sich eine solide Fanbasis erspielt. Ob als Gitarrist und Keyboarder der Band Der Nino aus Wien oder als Solomusiker, der 38-jährige Wiener trifft – Achtung, jetzt kommt die Phrase! – immer den richtigen Ton. Dies tut er übrigens auch, wenn er schreibt. Das legt zumindest sein plastisch erzähltes Rock-’n’-RollErweckungserlebnis sehr nahe. Mehr davon? Unbedingt, aber ob und wie das intensiviert wird, lässt sich im Moment nicht sagen. Fix ist vielmehr, dass 2022 Raphael Sas’ drittes Soloalbum kommen wird.
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Zur Person
liegend, gemeinsam mit Thom: I don’t belong here… I don’t belong here… Ja, genau! Ich wusste, was er meinte, so fühlte ich mich auch! Doch gleichzeitig gehörte ich natürlich genau dort hin, in dieses Zimmer, in diesen Winkel der Erde, in diese Zeit, mit genau diesem Lied, das die köstliche italienische Nachtluft vibrieren und mich verzaubert in ihr schweben ließ. Ich kam verändert nach Wien zurück, hatte eine Reise begonnen, die bis heute andauert. Noch immer ist Musik dazu imstande, mich tief zu bewegen, Dinge in Gang zu setzen und das Selbstverständliche infrage zu stellen. Kunst beeinflusst und verändert Menschen, und Menschen verändern schließlich die Welt. Denn die Welt, das sind wir, die wir mit allem und jedem verbunden sind.
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VI EN N LE
VIENNA INTERNATIONAL FILM FESTIVAL
21.– 31. OKTOBER PROGRAMM AB 12. OKTOBER TICKETS AB 16. OKTOBER
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1 »Mid-Century Vienna« Gemeinsam mit dem Fotografen Stephan Doleschal hat sich der Autor Tom Koch im »Mid-Century-Freilichtmuseum« Wien auf die Spuren von Architektur und Design der 1950er- und 1960er-Jahre begeben und an die 100 Locations dokumentiert. Mit Gastbeiträgen von Susanne Reppé, Al Bird Sputnik, Peter Payer und Wojciech Czaja. Wir verlosen drei Exemplare.
2 »Mich hat nicht gewundert, dass sie auf Mädchen steht« In 18 Porträts erzählen Autorin Lisa Bolyos und Fotografin Carolina Frank aus der Perspektive von Eltern und anderen Bezugspersonen vom Comingout schwuler, lesbischer, trans, inter und nonbinärer Kinder. Ihr »Elternbuch« soll dazu ermutigen, Tabus zu überwinden und – auch wenn es nicht immer leicht ist – miteinander zu reden. Wir verlosen drei Exemplare.
3 »Die Rache der She-Punks« Mit Journalistin Vivien Goldman erzählt eine Pionierin des Postpunk (The Flying Lizards) und anerkannte »Punk-Professorin« die feministische Musikgeschichte »von Poly Styrene bis Pussy Riot«. Eine Aufarbeitung der weiblichen Perspektiven des Punk entlang der Themenfelder Identität, Geld, Liebe und Protest. Wir verlosen drei Exemplare.
4 »Not Available – Platten, die nie erschienen sind« Die Musikgeschichte ist voll von großen und kleinen verlorenen oder verloren geglaubten Alben. Journalist Daniel Decker hat Mythen, Anekdoten und Gerüchte rund um gescheiterte Meisterwerke und peinliche Rohrkrepierer gesammelt und detailreich aufbereitet. Mit von der Partie: 50 Cent, Kraftwerk, Weezer, Charli XCX und viele, viele mehr. Wir verlosen drei Exemplare.
5 »Freud« Regisseur Marvin Kren (»4 Blocks«) erzählt in dieser düster-morbiden MisterySerie von den frühen Jahren des Dr. Sigmund Freud (Robert Finster), der 1886 in Wien mithilfe des Mediums Fleur Salomé (Ella Rumpf) eine Mordserie in der feinen Gesellschaft aufzuklären versucht. Als traumatisierter Polizei inspektor glänzt Georg Friedrich. Wir verlosen drei Blu-Rays.
6 »Promising Young Woman« Für ihren so ungewöhnlichen wie subversiven Thriller rund um den Rache feldzug einer jungen Frau (famos: Carey Mulligan) erhielt Regiedebütantin und Drehbuchautorin Emerald Fennell den Oscar für das beste Originaldrehbuch. Amüsant und bitter ernst zugleich. Ab 4. November digital und ab 18. November auf Blu-Ray und DVD erhältlich. Wir verlosen drei DVDs.
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Rezensionen Musik Paul Plut
Gerfried Guggi & Florian Lierzer
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3.000 Meter über der Adria steht mit dem Dachstein ein schroffer Monolith. Und er hat mehr gemein mit »Lieder vom Tanzen und Sterben«, dem ausgezeichneten Debütalbum Paul Pluts, das 2017 aus unseren Guckerschecken pechschwarze Altersflecken gemacht hat, als ursprünglich angenommen. Die Schroffheit, ja, die Schwere, das Monolithische, die Ehrfurcht, das Fordernde. Beide, Dachstein und Debüt, holen sich die Menschen; oben am Berg, da bleiben sie gleich, und unten haben sie dem Paul Plut und seinem dunkelgrauen Folk zugehört. Ein Album des Jahres, nicht nur für uns. Es ist nur konsequent, dass der gebürtige Ramsauer und ehemalige Volksschullehrer für sein zweites Album – auch sein Bandprojekt Viech hat in der Zwischenzeit reihenweise starke Alben veröffentlicht – in seine Heimat zurückkehrt, in die Straßen, die gleichzeitig heim und für immer von hier wegführen, in die Berge, zu den Menschen und deren traurigen Geschichten. Und Plut holt seine selbstgebauten Instrumente hervor, aus knarzendem Kirchenholz und scheppernden Eisenketten. »Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse« ist inhaltlich und musikalisch klar eine Fortsetzung des Debüts, aber von Fadesse, Wiederholung oder Abnützung keine Spur. Natürlich gibt es sie, die Gemeinsamkeiten, das ist eben so. Hoch im Norden in der Obersteiermark, wo die Leute nur zum Tratschen den Mund aufmachen, da passiert nicht viel anderes. Das zentrale Thema des Plut’schen Schaffens kommt wieder vor, der Tod auf den Straßen. So viele hat’s erwischt, dort, wo die Wege selten gerade verlaufen, in »B320«, dem kernigsten von vielen Kernstücken, passiert’s gleich zweimal: »Bei der Kreizung vorn beim Jungwoid« und »Kurz vor Pruggern bei da Kurven«, wo sich die Leute darennen oder überholen. Auch Letzteres nimmt sich Plut zum Thema: Auch in Ramsau überholt der Kapitalismus die Natur. Wenn sie in Ischgl Berge wegsprengen, pressen’s auch in der Obersteiermark den letzten Schilling aus dem Panorama, mit rußschwarzen Händen geschürft, als wäre der Dachstein der Erzberg. Es wäre auf jeden Fall schade drum, denn: Womit soll man sonst diese Großtaten von Paul Plut vergleichen? (VÖ: 22. Oktober) Dominik Oswald
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Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse
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Rezensionen Musik
Christoh
Gewalt
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Man muss schon einen Erwartungshorizont beinahe inter galaktischen Ausmaßes haben, damit darin all die Dinge auftauchen, die Christoh, der eigentlich Christoph Ertl heißt, auf sein Album »Heavy Heart« gepackt hat. Im Idealfall hat man sämtliche Erwartungen aber ohnehin an jener Tür abgegeben, die in Christohs musikalisches Universum führt. Wer nach den ersten drei Songs zu wissen glaubt, in welche Richtung die Sache geht, wird sich zwischen Rap, Pop, Autotune und R&B schnell etwas orientierungslos fühlen – und sich im besten Fall einfach in der Klangwelt des Musikers, der das Album auch produziert hat, verlieren. Aber auf die gute Art und Weise, die man sonst nur von nächtlichen Spaziergängen in fremden Städten kennt. Zusammengehalten werden die Songs von der zwischen höchsten Höhen und tiefsten Tiefen changierenden Stimme Christohs. Vielstimmig und deshalb musikalisch vielfältig ist »Heavy Heart« aber auch wegen der zahlreichen Gäste, die der Musiker zu sich ins Studio eingeladen hat. So verbinden sich im Song »Dulce« locker-flockige Synthie-Melodien mit ins Düstere abdriftenden Beats, zu denen Gast-Rapper Purge Mob seine Lines beisteuert. Die aktuelle Single »Your Stage« eröffnet Christoh, den man unter anderem von der Band Gospel Dating Service kennt, mit der Zeile »Sucked up fucked up faces / Sometimes I felt related«, mit der er auf die vergangenen Jahre als Künstler zurückblickt. Obwohl »Heavy Heart« grundsätzlich eher elektronisch ausfällt, ist irgendwo auch immer das für Christohs Musik so wichtige Piano zu hören. Wer also einen roten Faden braucht, kann sich daran festhalten. Die Empfehlung lautet allerdings: einfach fallen lassen. (VÖ: 22. Oktober) Sarah Wetzlmayr
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Paradies — Cloud Hills Gewalt, das sind (immer schon) Helen Henfling und Patrick Wagner an den Gitarren und (seit einiger Zeit) Jasmin Rilke am Bass. Der Beat kommt aus der Box. Lange gab es nur Konzerte und Seven-Inch-Vinyls. Im Vordergrund stehen die Direktheit und die Dringlichkeit, der Ausdruck dessen, was im Inneren schlummert und vor uns und anderen versteckt werden will. Die Konzerte waren und bleiben – durchaus abhängig vom Sound und der Anlage – fast unerreicht kraftvoll und intensiv. Für alle Beteiligten. Nun waren lange keine Konzerte möglich. Wohl auch deswegen gibt es bald eben doch ein Album. Und ein Buch von Patrick Wagner. Das Album füllt gleich eine Doppel-LP und deren Zweiteilung ist offensichtlich. Auf der zweiten LP sind großteils die bereits bekannten Nummern versammelt. »Szenen einer Ehe« oder »Wir sind sicher« sind mehr als persönliche Klassiker. Und dann gibt es noch die erste LP. Zehn zumeist ungehörte Nummern, mit denen Gewalt das gelingt, von dem Patrick Wagner so gerne spricht und was auch sein Buch ausmacht: Diese zehn Nummern können mit Musik nur mehr unzureichend beschrieben werden. Ziel ist der pure Ausdruck des Inneren. Schmerz, Energie, Angst, Rausch, Wollen, das kurze Glück, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Die Sätze und Gedanken – die nötigen Übersetzungen von Gefühlen – werden nur mehr ansatzweise zu Songs geformt, sondern erfahren die direktest mögliche Transformation. Da kommt dann schon mal der »Jahrhundertfick« raus. Musikalisch erproben Gewalt auf »Paradies« mehr denn je diverse Spielarten von Industrial. Das sind keine Songs mehr. Gerade Patrick Wagner gelang es aber in der Vergangenheit immer wieder die Zuhörer*innen mit Songs eher abzuholen, weil es eben vielleicht nicht nur um sein Inneres dabei geht, sondern um Allgemeineres. Klarerweise ist diese Art von künstlerischem Ausdruck nur ein möglicher Weg, er wird hier aber so konsequent wie selten zu Ende gegangen. Selbstregulierung wird bewusst – und so erfolgreich wie bisher wohl überhaupt selten – vermieden. Da ist es dann fast schlüssig, dass das dies besingende Stück »Limiter« auf dem Album fehlt. (VÖ: 5. November) Martin Mühl
Christoph Radl, Magnus Winter, Stefan Csaky
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Heavy Heart — Assim
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Christoph Radl, Magnus Winter, Stefan Csaky
P ROMOTION
Must have! Sachen, die den Alltag schöner machen
Der Hirsch in seinem Revier
Kahlenberg
jägermeister rückt mit seiner aktuellen Sonderedition »hirschen der stadt« die Landeshauptstädte in den Fokus und präsen tiert die markantesten Plätze von Bregenz bis Wien. Nur für kurze Zeit im teilnehmenden Lebensmitteleinzelhandel erhältlich. www.jagermeister.at
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Wiener Zucker — Affluenza
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Wir befinden uns im Jahr 2021 und ganz Österreich ist vom neoliberalen Ruß überzogen. Ganz Österreich? Ja, sogar vieles im guten alten Wien! Und dort oben im Neunzehnten treiben’s die mal wieder zu bunt, die G’stopften, die G’spritzten. Diese Dekadenten, denen wird der Zucker in und aus dem Arsch geblasen. Da hechelt der Pöbel ohne SLK bei der Alkkontrolle zwischen Deutschem Eckerl und dem Tiroler Unterland. Na bist du g’scheit. Diese Ausgeburt des ganzen depperten Weltgeschehens, diese Schere da, dieses für den Plebs Bittere und für die selbsternannte Elite Picksüße, das klatscht aktuell – und schon seit immer – niemand besser auf den mit liebevoller Patina abgeranzten Tisch der k. u. k. Hofzuckerbäckerei als die famose Gruppe Kahlenberg. Damals im 2019er-Jahr hat sie als – natürlich – Supergroup die ironische Wiener Popwelt im Sturm erobert wie ein Amandus eine Konstanze beim Neustifter Kirtag. Die fünf Männer, die vorgeben aus Grinzing zu sein, führen auf ihrem zweiten Album ihr zwar einfaches aber gleichzeitig unheimlich subversives Konzept konsequent weiter und dabei nicht sich selbst ad absurdum. Du sagst: »Schnöselpunk!« Ich sag: »Nenn mir zwei Gruppen, die unflexibler im Sich-Ändern sind.« Und, in dem Fall ist es ein Gutes, also vom Künstlerischen her, diese Konstante, weil: die Lieder, ein Traum. Fangen wir an mit den großen Hits – und es sind tatsächlich einige der größten Indie-Hits des Jahres auf diesem Album, frag nach bei den Charts, wenn du dich traust –, namentlich »Kitzbühel« mit dem Weltreim »Doppelsieg in Kitzbühel / Wo ich mich chic fühl’« und auch »Bösendorfer«, ein Abgesang auf die ach so guten alten Zeiten – da ist es wieder, dieses »Schnösel«- und gleichzeitig »Punk«-Ding. Daneben verstecken sich aber so viele weitere Perlen, da wühlt die Frau Omama schon ganz nervös beim Mieder im Biedermeier-Kästchen. Etwa das rockig-treibende »Schwarzes Kameel«, das sphärisch-verspielte »Fix zam«, das eingängige »Nobel geht die Welt« oder das eskapistische »Luv und Lee«, bei dem’s denen, die es haben, in den ledernen Mokassins juckt, da hilft nur ein Kratzer aus Elfenbein am Cap d’Antibes. Dort soll’s ja ganz schön sein. Hab’ ich gehört. (VÖ: 1. Oktober) Dominik Oswald
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Rezensionen Musik
Paradiso Infernal
Stefan Obermaier
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Wolf Auer, Yannik Steer
Paradiso Infernal — Trost
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Das quasi-neue Duo Paradiso Infernal besteht aus Christina Nemec, bekannt als experimentelle Elektronikerin Chra oder als Teil des feministischen Performance-Quartetts SV Damenkraft, und Christian Schachinger, seines Zeichens wahlweise Indie- oder Noiserocker, SchlagerCoverer oder einfach der Mann, der sich im StandardFeuilleton in regelmäßigen Abständen erlaubt, die musikalische Zumutbarkeit ganzer Generationen infrage zu stellen. Zuvor traten die beiden mit dem kürzlich verstorbenen Editions-Mego-Labelchef Peter Rehberg als Shampoo Boy in Erscheinung. Dementsprechend haftet dem vorliegenden Album etwas von einem wehmütigem Neuanfang an, was an dieser Stelle völlig wertfrei zu verstehen ist. Anfänglich erinnert die Platte an ein Sich-Finden im Proberaum, nachdem alle ihre Wackelkontakte ausfindig gemacht und eliminiert haben. Wobei, einige dürfte es im neblig aufziehenden Klanggewitter schon noch geben, ohne dass sie stören würden. Bald zeigt sich, dass dieses Album –beabsichtigterweise – keines ist, das man sich auflegt, um einander hinter klapperndem Kaffeeservice die Erlebnisse des vergangenen Lockdowns mitzuteilen. »Lack«, der erste Zehnminüter, lädt ein in eine tiefe Höhle, aus der Unheilbringendes ertönt. Him zum albumbestimmenden letzten Track »Frosthart«, der satte 17 Minuten misst, lichten sich die Schwaden und die Krachwände werden deutlicher und kompromissloser. Aufbau und Pannings erlauben dabei die nötige Immersion. Leider werden im unteren Frequenzband weitestgehend Energie und Möglichkeiten verschenkt. Doppelt schade, da dem Medium Vinyl doch so gerne eine deutlichere Sprache im Bassbereich nachgesagt wird. Empfindet man Musik als interessanter werdend, je mehr sie von der allgemeinen Lehrmeinung abweicht, wird man mit Paradiso Infernal seine Freude haben. Lässt man sich auf diese ungewohnten Pfade ein, ist eine angemessene Belohnung programmiert. Abschließend sei an alle rezensierenden Musiker*innen im Sinne Propagandhis ausgerichtet: Less talk, more rock! Das macht sympathischer. (VÖ: 10. September) Sandro Nicolussi
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Fusion — Universal
Die »Stars« und die »Hits« der klassischen Musik werden immer wieder gerne einer Neuinterpretation unterzogen. Im neuen Gewand wird den alten Kompositionen von Pop-Sternchen vermeintlich frisches Leben und eventuell auch die eine oder andere Textzeile eingehaucht. Die Mischung von Klassik und auf Beats basierender Elek tronik ist hingegen eine nicht ganz so alltägliche Kombination. Es bedarf besonderen Fingerspitzengefühls, um weder cheesy noch langweilig oder gar anbiedernd zu klingen. Genau dieser herausfordernden Gratwanderung stellt sich Stefan Obermaier mit dem vorliegenden Album. Der in Wien lebende Pongauer gilt international als einer der profiliertesten österreichischen Elektronikproduzenten. Seine House- und Downtempo-Produktionen haben eine klar erkennbare Soundsignatur, die man auch auf »Fusion« deutlich raushört. Schon vor diesem Album hat er Klassiker elektronisch »reloaded« und in einen neuen Kontext gesetzt – darunter Beethoven, den Stefan Obermaier schlicht und einfach als den Deepen unter den Klassikern bezeichnet, oder auch Mozart. »Fusion« stellt nun eine deutliche Weiterentwicklung dar, denn Obermaier kombiniert dafür ausgesuchte Passagen klassischer Kompositionen mit seinen eigenen Produktionen, was über eine reine Interpretation hinausgeht. Anleihen nimmt er unter anderem bei Bach, Mozart, Prokofiev, Vivaldi und Tchaikovsky. Hinzu kommt ein Klassiker der Moderne: der Komponist Ryūichi Sakamoto. Das Spannende an »Fusion« ist, dass beim Spiel zwischen Alt und Neu unterschiedliche Harmonien und Atmosphären miteinander in Bezug gesetzt werden und so etwas ganz Neues entsteht: »Das Ergebnis dieses musikalischen Dialogs ist im Vorfeld nicht immer klar absehbar«, verrät Obermaier zu seiner experimentellen Herangehensweise. Er stellt dabei das Verbindende vor das Trennende, sodass dank seiner behutsamen und respektvollen Annäherung keine unbalancierten Kontraste entstehen und das musikalische Experiment somit als gelungen bezeichnet werden kann. (VÖ: 29. Oktober) Kami Kleedorfer
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Termine Musik
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Merkst du es?
Du liest gerade, was hier steht.
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Ja, sogar das Kleingedruckte! Und damit bist du nicht allein. Werbung in The Gap erreicht ein interessiertes und sehr musikaffines Publikum. Und das Beste daran: Für Bands und Musiker*innen bieten wir besondere Konditionen. Absolut leistbar, auf all unseren Kanälen und nah dran an einer jungen, aktiven Zielgruppe. Melde dich, wir beraten dich gerne! sales@thegap.at
Marco Kleebauer Wo er in letzter Zeit auftauchte, war klar, dass musikalisch beziehungsweise künstlerisch Interessantes passiert. Ob als eine Hälfte des Duos Leyya, als Drummer bei Sharktank, als Produzent, Solokünstler und Installations-Mastermind: Marco Kleebauer hat zuletzt arg abgeliefert. In der Villa Gugging am Gugginger Kulturhügel (vis-à-vis dem Museum Gugging) gibt er nun in intimer Atmosphäre und umgeben von inspirierender Kunst seine aktuellen Produktionen zum Besten. 17. Oktober Klosterneuburg, Villa Gugging
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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS
DIVES
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© Martina Lajczak
KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at
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Stella Sommer Das Volkstheater Wien geht in die Musikoffensive und bietet ein breitgefächertes Programm im gesamten Gebäude. Mit Stella Sommer (Die Heiterkeit) wurde eine Musikerin eingeladen, die seit nun gut zehn Jahren zwischen orchestralem Pop und träumerischen Chansons schwelgt. Ihr neuestes Album »Northern Dancer«, der mittlerweile sechste Langspieler in Sommers Diskografie, holt genau dort ab, wo man sich zwischen Herbst, Winter und Lockdowns stimmungsmäßig so oft (und manchmal gerne) befindet. 24. Oktober Wien, Volkstheater
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Termine Musik The Shape of Elements: Wasser
highlights
Bild: Hanna Fasching
Um der Frage nachzugehen, wie die vier Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft klingen, kuratiert Bassklarinettist und Multistilist Ulrich Drechsler (Bild) eine Reihe, in der klassische Kammermusik auf zeitgenössische Elektronik trifft. Für Teil eins, arrangiert sich das Koehne Quartett mit dem Produzenten, Komponisten und Elektroniker Patrick Pulsinger. Visuals: Ulrich Aschenbrenner. 8. Oktober Wien, Muth
Kommando Elefant Die Website der Veranstaltungsreihe New Noize lässt erahnen, wie die Welt vor Social Media ausgesehen hat. Eine der dort bald auftretenden Bands, Kommando Elefant, weiß das sicher auch noch. Als sie 2008 ihr Debütalbum veröffentlichte, ging Myspace gerade unter. Support gibt es von Yokohomo. Gemeinsam versprechen sie eine ausgiebige Nacht des nahbaren Männerpops. 30. Oktober Wien, Club 1019
Old Time Relijun
Sandro Nicolussi, Jana Wachtmann
Sophie Lindinger, Gloria de Oliveira, Peter Rigaud, Johanna Wenzl, Alicia J. Rose, Philippe Lebruman, Albert Vrzgula
Was kann beziehungsweise will man von einer Band erwarten, die sich 1995 am internationalen Katertag (1. Jänner) gegründet hat? Ziemlich viel, actually! Nachdem es um die Gruppe seit 2008 still geworden ist, kommen die US-Amerikaner im November mit ihrem zehnten Studioalbum namens »Musicking« ums Eck und laden zu einer einnehmenden und surrealen Rockzeremonie an den Praterstern. 19. November Wien, Fluc Wanne
Blue Bird Festival Magie, Knistern, Gänsehaut – das verspricht die Vienna Song writing Association für ihr heuer erfreulicherweise wieder stattfinden könnendes Blue Bird Festival. Und die Erfahrungswerte sprechen dafür, dass das auch eintreten wird. Bestes aus dem Bereichen Folk und Indie, Pop und Rock kommt heuer von Acts wie This Is the Kit (Bild), Garish sowie Mick Flannery & Susan O’Neill. 25. bis 27. November Wien, Porgy & Bess
Altin Gün Die niederländische Band, die in diesem Heft auch in Berfin Silens Text zu Gastarbeiter*innenmusik Erwähnung findet, verkaufte in der letzten Zeit gerne mal Locations aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Was für diejenigen folgt, die ein Ticket ergattert haben, ist eine kollektive Feier, die sich von der Bühne bis in den hintersten Winkel des Publikumsraumes erstreckt. 27. November Wien, Arena
Garish
Answer Code Request
Igorrr
Es ist fast ein bissl kitschig, dass die Mattersburger Band nach über 20 Jahren Bestehen in der nationalen und internationalen Indie-Pop-Community immer wieder auch dort auftritt, wo sie ihre ersten Bühnenerfahrungen gesammelt hat: in der Cselley Mühle. 15. Oktober Oslip, Cselley Mühle — 16. Oktober Melk, Tischlerei
Als Ostgut-Artist ballert Answer Code Request für gewöhnlich Techno in Locations wie das Berghain. Die massive Venue unter dem Grazer Uhrturm hat auf jeden Fall ähnlich brutalistische Züge und wird nicht nur klanglich eine ähnliche Immersion zulassen, wie die großen Technotempel dieser Welt. 25. Oktober Graz, Dom im Berg
Wird eines der Konzerte, das in den letzten Monaten immer wieder verschoben wurde, endlich stattfinden? Falls ja, treffen Geigenpassagen auf grölendes Geschrei, während rhythmischer Hagel durch Simmering donnert, wie man ihn nur selten gehört hat. Support: Drumcops und Otto von Schirach. 30. November Wien, Szene
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15.10. Tonfabrik 15.10. Manuel
Rubey 16.10. Joep Beving 16.10. Tina Naderer 18.10. Faber 18.10. Thomas Baum 21.10. Stephan Bauer 21.10. Scott Matthew 22.10. Christoph & Lollo + Flüsterzweieck 23.10. Josh. 26.10. Rea Garvey 26.10. Manu Delago 27. – 28.10. Alfred Dorfer 30.10. Texta 05.11. Mira Lu Kovacs / Monsterheart / Laikka 06.11. Hearts Hearts / Eli Preiss / Oska 08.11. editta braun company 09.11. Omar Sarsam 10.11. Clemens Maria Schreiner 11.11. Ganes 11.11. Harry G 12.11. Michael Köhlmeier 12.11. Mother’s Cake / Spiral Drive 13.11. Gardi Hutter 15.11. Doris Knecht 18.11. Roland Düringer 19.11. Gerhard Polt und die Well-Brüder 19.11. Grandbrothers 23.11. Martin Herzberg 24.11. Elli Bauer 25.11. Molden Resetarits Soyka Wirth POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Thalia Linz, oeticket und alle oberösterreichischen Raiffeisenbanken.
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Termine Festivals
3 Fragen an Astrid Peterle
Viennale Das Übergangsjahr 2021 – einerseits die Pandemie, andererseits die politischen Veränderungen weltweit – versucht die Viennale in ihrer aktuellen Ausgabe insofern zu thematisieren, als sie hinterfragt, welche Rolle und Verantwortung ein Filmfestival in Zeiten wie diesen haben kann. Zum einen. Zum anderen steht natürlich wieder jede Menge Kinokunst auf dem Programm. Etwa in Form eines Tributes anlässlich des 100. Geburtstags von Amos Vogel unter dem Titel »Film As a Subversive Art«. 21. bis 31. Oktober Wien, diverse Locations — Retrospektive: 22. Oktober bis 25. November Wien, Filmmuseum
In welcher Form bildet sich das heurige Festival titel »In The Year of the Metal Ox« im PerformanceProgramm ab? Der heurige Festivaltitel spiegelt nicht, wie etwa »Machines Like Us« im Jahr 2020, ein spezifisches Thema wider, sondern zeigt vor allem an, dass wir uns in einem Ausnahmejahr befinden. Wir hatten für 2020 ein Programm kuratiert, das die Beziehung zwischen Mensch und Maschine und die Frage, wie viel Drohung in deren Zuneigung zueinander liegt, reflektiert hätte. Unser heuriger Titel findet sich nicht als programmatisches Motiv in den Performances wieder, sondern zieht eine Verbindung zum abgesagten Festival des letzten Jahres. Denn schließlich schwingt im heurigen chinesischen Sternzeichen auch etwas Maschinenhaftes mit, indem es zwischen Lebewesen und unbelebtem Element changiert. Neben der von dir kuratierten Performance-Schiene sind Musik, Kunst, Film und Theorie wesentliche Pfeiler des Festivals. Auf welche Programmpunkte aus diesen Genres freust du dich besonders? Musikalisch freue ich mich außerordentlich darauf, Rosa Anschütz, Duma und Black Country, New Road endlich live zu erleben. Dass wir eine Videoinstallation der von mir hochgeschätzten Anne Imhof ist eine große Freude. Aus feministischer Perspektive kann ich es auch kaum erwarten, endlich den Film »Sisters with Transistors« von Lisa Rovner auf der Leinwand des Kinos im Kesselhaus zu sehen. Der Film würdigt Pionierinnen der elektronischen Musik, die viel zu lange unsichtbar gehalten wurden. Donaufestival 1. bis 3. sowie 8. bis 10. Oktober Krems, diverse Locations
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Wien Modern »Mach doch einfach was du willst«, so der Übertitel der 34. Ausgabe von Wien Modern. 120 Veranstaltungen in elf Wiener Gemeindebezirken präsentiert Österreichs größtes Festival für Neue Musik, darunter 80 Ur- und 30 Erstaufführungen. Doch damit nicht genug des Numberdroppings: Sage und schreibe 38 verschiedene Spielstätten sollen heuer von »musikalischen Charakterköpfen mit Mut zur eigenständigen Perspektive« bespielt werden. Der Konzertrahmen wird dabei um Genres wie Performance und Multimedia erweitert, etwa bei »Vertigo« (Bild), frei nach Hitchcock. 30. Oktober bis 30. November Wien, diverse Locations
David Višnjić, Robert Newald, Arotin und Serghei
Das Donaufestival setzt sich stets mit der allgemeinen Weltlage auseinander. Wie viel Pandemie steckt in der bevorstehenden Festivalausgabe? Natürlich kann die Gegenwart der Pandemie nicht ausgeblendet werden. Inhaltlich haben wir aber keine explizit die Pandemie reflektierenden Positionen im Performance-Programm. Wir haben viele der Produktionen, die im Programm der 2020 abgesagten Ausgabe geplant waren und die vor der Pandemie konzipiert wurden, mit in die aktuelle Ausgabe genommen, dies war uns als wertschätzende Haltung gegenüber den Künstler*innen wichtig. Ich denke, dass die Gegenwart der Pandemie nicht ausgeblendet werden kann und alle Arbeiten dadurch neue Interpretationsmöglichkeiten erfahren haben. Aber meiner Ansicht nach ist die Lust auf plakative Corona- und Lockdown-Arbeiten enden wollend.
Manuel Fronhofer
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Performance-Kuratorin des Donaufestivals
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David Višnjić, Robert Newald, Arotin und Serghei
Manuel Fronhofer
Von den 3.000 Einreichungen aus der ganzen Welt, die beim Jugendmedienfestival Youki alljährlich eintrudeln, sind rund 90 in dessen Wettbewerbsprogramm zu sehen. Ausgezeichnet werden Kurzfilme junger Filmschaffender, die nicht älter als 27 sind. Im Rahmenprogramm werden aktuelle Entwicklungen der Jugend-, Pop- und Medienkultur thematisiert. 16. bis 20. November Wels, diverse Locations
Porn Film Festival Vienna Das Außergewöhnliche, das Interessante und das Relevante bringt dieses Festival alljährlich aus dem Wust einschlägiger Filmproduktionen hervor. Oder, in den Worten der Veranstalter*innen: »Sexuality, politics, feminism and gender issues seen through the pornographic lense.« 6. bis 10. Oktober Wien, diverse Locations
Blickfang Die längst etablierte Designmesse findet diesen Herbst in sechs Städten des deutschen Sprachraums statt und gastiert dabei in guter Tradition auch wieder im Wiener Museum für angewandte Kunst. Geboten werden aktuelle Hingucker der Kategorien Mode, Schmuck und Möbel. 15. bis 17. Oktober Wien, MAK
Feschmarkt Design, Food und Lifestyle stehen im Zentrum des beliebten Marktfestivals. Es präsentieren sich Start-ups und Kleinproduzent*innen aus Bereichen wie Mode, Kosmetik, Schmuck, Papeterie, Kunst und Delikatesse. 15. bis 17. Oktober Graz, Seifenfabrik — 12. bis 14. November Wien, Otta kringer Brauerei
THIS IS THE KIT (GB) GARISH (AT) MICK FLANNERY & SUSAN O’NEILL (IE) WILLY MASON (US) NATALIE BERGMAN (US) ANNIKA (AT) RASHA NAHAS (PS) PLATON KARATAEV (HU) LUKE DE SCISCIO (GB)
GUNNED DOWN HORSES (IL) MARBL (IL) ALPINE DWELLER (AT)
FESTIVAL PORGY&BESS
25.-27.11.2021 WWW.BLUEBIRDFESTIVAL.AT ART:HANNAH BULLEN-RYNER DESIGN:LUX MEDIALAB
Open Mind Festival Das Salzburger Open Mind Festival kehrt nach 2020 aus der digitalen in die physische Welt zurück. Theater-Performances, Diskussionen, Lesungen, Musik – ein breites Programm wird sich mit dem Festivalthema »Macht euch verwandt!« (nach Donna Haraway) beschäftigen. 11. bis 16. November Salzburg, ARGE Kultur
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Der portugiesische Künstler Carlos Bunga wählt seine Materialen gewissenhaft aus. Häufig ist Karton in seinen Skulpturen und Installationen verarbeitet. Bunga verbindet mit diesem Werkstoff Zeitlichkeit, Erinnerung und Fragilität. Ursprünglich in der Malerei zu Hause, fühlte er sich in der Zweidimensionalität schnell beengt und erschafft seither lieber raumgreifende Objekte, deren aufwendige Konstruktion er in Form von ausschweifenden Performances gerne auch wieder dekonstruiert und zerstört. In der Schau »Mind Awake, Body Asleep« beschäftigt sich Bunga mit dem rätselhaften Verhältnis von Körper und Geist, das besonders im Schlafzustand deutlich wird. Die Ausstellungsräume konzipiert er hierfür als Übergangsorte zwischen den Bewusstseinszuständen. bis 7. November Wien, Secession
Carlos Bunga. Mind Awake, Body Asleep
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Termine Kunst
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Inf
Hers
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Ines Doujak. Geistervölker Ines Doujak beschäftigt sich in dieser umfassenden Einzelausstellung mit der Geschichte von Pandemien, mit Viren und deren Verhältnis zu ökonomischen, mikrobiologischen und ökologischen Krisen. Seit 30 Jahren arbeitet die österreichische Künstlerin mit Fotografie, Performance, Film und Installation und sie deckt dabei immer wieder die Hintergründe sexistischer und rassistischer Stereotype, sozialer Ausbeutungsstrukturen und Ungleichheiten auf, die häufig in der Kolonialgeschichte zu finden sind. Die Ausstellung zeigt neue wie ältere Projekte. 1. Oktober bis 16. Jänner Wien, Kunsthalle
Stages of Transcendence
Margot Pilz. Selbstauslöserin
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1982 verwandelte die Medienkunstpionierin Margot Pilz den Karlsplatz im Rahmen der Wiener Festwochen mit tonnenweise Sand, Liegestühlen und Palmen zum Public-Beach-Spektakel. Kann man auch kennen, wenn man damals noch nicht auf der Welt war. Für ihre Soloausstellung in Krems hat Pilz ihr Installationskonzept aktualisiert und als Kommentar zur allgegenwärtigen Klimakrise reformiert. Statt Sand gibt es am Strand 2021 Mikroabfälle und Plastikmüll. Nur eines der vielen soziopolitischen Projekte aus Margot Pilz’ 40 Jahre umfassender künstlerischer Praxis. 23. Oktober bis 3. April Krems, Kunsthalle
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Die gemeinsame Ausstellung von Ana Loureiro und Verena Tscherer versteht sich als interdisziplinäres Projekt, das mittels musikalisch-bildnerischer Methodik nach den Wurzeln der Konstruktion von Realität gräbt. Die beiden in Wien lebenden und arbeitenden Künstlerinnen haben im Ausstellungsraum zwei Wirklichkeiten geschaffen, die auf ihren Erfahrungen beruhen. Das Publikum ist eingeladen, Teil dieses transformierten Raums zu werden, einen Blick auf die räumlichen Erinnerungen der Künstlerinnen zu werfen und sich mit deren Gefühlen für diese Orte auseinanderzusetzen. 2. bis 15. Oktober Wien, Fabrikraum
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Katrin Hornek: Latent Soils Der künstliche, modifizierte Boden Wiens steht im Zentrum dieser Ausstellung. Katrin Hornek positioniert ihr Werk innerhalb der vielfältigen Verflechtungen, die prägend sind für das Leben im Anthropozän. Sie nimmt konkrete Orte und Stoffe als Ausgangspunkt und kombiniert deren Geschichten mit gefundenen materiellen wie immateriellen Formen. Die unauflösbaren Verschränkungen zwischen Kultur und Natur, menschlichen und nichtmenschlichen Akteur*innen sowie langfristigen Prozessen und punktuellen Ereignissen werden auf diese Weise erfahrbar gemacht. 1. Oktober bis 5. November Klagenfurt, Kunstraum Lakeside
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Sandro Nicolussi, Michaela Pichler, Jana Wachtmann Carlos Bunga »Mind Awake, Body Asleep«, 2021, Ausstellungsansicht Secession 2021, Foto: Iris Ranzinger, Katrin Hornek / Kunstraum Lakeside, Ines Doujak / Kunsthalle Wien, Fabrikraum, Margot Pilz / Helmut Prochart (Grafikdesign)
Termine Kunst
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Termine Film
5 Fragen an Andreas Lust HC Strache in »Die Ibiza Affäre«
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Fällt Ihnen selbst eine gewisse optische Ähnlichkeit zu HC Strache auf? Ja, wir haben beide eine gewisse Ähnlichkeit mit Charlie Sheen und die Körperlichkeit von Heinz Conrads. In einem Interview meinten Sie einmal, dass Sie vor allem Interesse an tragikomischen Figuren haben. Inwiefern trifft dies auf HC Strache zu? Das trifft im Grunde auf jede Person zu, die ein öffentliches Amt bekleidet und in ihrer Privatheit ans Licht gezerrt wird. Auch auf den Kaiser am Scheißhaus, bevor er die Kriegserklärung unterschreibt. Wie gestalteten sich die Dreharbeiten, die mitunter auf Ibiza stattfanden, sowie die Zusammenarbeit mit Regisseur Christopher Schier? Also, speziell Ibiza war ein Urlaub einerseits – und produktionstechnisch eine große Herausforderung. Somit, denk ich, dem Original sehr entsprechend. Bis hin zu der großartigen russischen Schauspielerin (Anna Gorshkova), die erst kurz vor ihrem Auftritt feststand und über Umwege nach Spanien geschleust werden musste. Zum Glück hat sie sich drauf eingelassen, weil ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn mich irgendein dubioser österreichischer Regisseur, von dem ich noch nie gehört habe, in Moskau angerufen hätte: »Ich habe Fotos von dir gesehen und wir machen da so einen Film auf Ibiza. Steig doch in den nächsten Flieger und komm her.« So wird er es nicht gesagt haben, aber so stelle ich es mir vor … Wie ordnen Sie den Ibiza-Ausschuss und dessen Folgen, die Verstrickungen, die sich daraus ergeben haben, ein? Das halte ich für eine der wichtigsten Begebenheiten der letzten Jahrzehnte, weil der damit einhergehende Untersuchungsausschuss etwas Licht in den politischen Keller bringt. Es ist zwar nur eine Taschenlampe, aber immerhin. »Die Ibiza Affäre« ab 21. Oktober Sky
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Another Coin for the Merry-go-round Regie: Hannes Starz ———— Gibt es eine bessere Kombination als Musik und Adoleszenz? Eben. In Hannes Starz’ Film »Another Coin for the Merry-go-round«, der bereits im Rahmen der Diagonale zu sehen war, kämpft eine Clique um die 30 mit dem – wie man heute sagt – Adulting, also dem Erwachsenwerden. Anna (Valerie Pachner) ist dabei eine der Protagonist*innen; sie liebt Partys, ihre Freund*innen und ist auch der einen oder anderen illegalen Substanz nicht abgeneigt. Verantwortung übernehmen? Lieber (noch) nicht. Die Gruppe ist Teil des Wiener Musik-Undergrounds, deshalb kommt im Film Musik natürlich nicht zu kurz – so spielt etwa David Öllerer aka Voodoo Jürgens eine Hauptrolle. Regisseur Hannes Starz selbst hat ebenso Bezug zur österreichischen Musik- bzw. DIY-Szene, inszenierte er doch vor seinem Spielfilmdebüt Musikvideos, etwa »Angst haums« von Voodoo Jürgens. Start: 1. Oktober
Titane Regie: Julia Ducournau ———— Eine Melange aus Fantasy, Drama und Horror erwartet das Publikum beim Film »Titane«, der dieses Jahr in Cannes mit dem Hauptpreis, also der Goldenen Palme, ausgezeichnet wurde. Der Plot: Alexia (Agathe Rousselle) wird in ihrer Kindheit eine Titanplatte in den Schädel implantiert. Der Grund dafür ist ein Unfall, den sie mitverursacht hat. Bald beginnt sie, sich von Autos körperlich angezogen zu fühlen. Jahrzehnte später ist sie Erotiktänzerin bei einer – you guessed it – Autoshow. Und sie tötet Menschen, die ihr im Weg sind. Weshalb sie letztlich auch vor der Polizei flüchten muss und eine neue Identität annimmt – und zwar als verschollener Sohn des Feuerwehrkommandanten Vincent (Vincent London). »Titane« ist Julia Ducournaus zweiter Spielfilm, der sich allen Genregrenzen entzieht, mit Gendernormen spielt und bei der Kritik bereits für Furore sorgte. Start: 4. November
Barbara Fohringer Petro Domenigg / Sky Studios / W&B Television / epo film, KGP Filmproduktion, Carole Bethuel / Stadtkino Filmverleih, Ricardo Hubbs / Netflix, Xavier Lahache / JE Films / Tetra Media Fiction / Canal+
Sie spielen HC Strache in der Sky-Produktion »Die Ibiza Affäre«. Ein bekannter Skandal, eine ebenso bekannte Person. Wie bereitet man sich darauf vor, so jemanden zu verkörpern? Man studiert seinen Lebenslauf, schaut sich das, was man an Auftritten von ihm findet, an und versucht seine Art sich zu geben und zu äußern nachzuvollziehen.
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Jetzt oder morgen Regie: Lisa Weber ———— Lisa Webers Doku begleitet eine Frau auf der Flucht vor Verantwortung. Die Protagonistin wurde mit 15 Mutter, sie betrachtet ihren Sohn Daniel als Grund dafür, bis heute keine Ausbildung abgeschlossen zu haben. Wir sehen die Kämpfe mit ihrer eigenen Angst und die kleinen Schritte, die jeder Mensch auf seinem Weg gehen muss. Wir sehen einen Menschen auf dem Weg erwachsen zu werden. Start: 15. Oktober
Venom 2: Let There Be Carnage Regie: Andy Serkis ———— 2018 erschien mit »Venom« der erste Film aus Sony’s Spider-Man Universe, kurz SSU. Nun dürfen sich Fans über die Fortsetzung freuen: Auch dieses Mal mimt Tom Hardy die Figur des Eddie Brock / Venom, und er hat es mit einem neuen Gegner zu tun: Der Serienkiller Cletus Kasady (Woody Harrelson), der sich in den brutalen Carnage verwandelt. Außerdem mit dabei: Michelle Williams und Naomi Harris. Start: 22. Oktober
The French Dispatch Regie: Wes Anderson ———— Endlich wieder ein neuer Wes-Anderson-Film! In »The French Dispatch« wird – inklusive typischer Anderson-Ästhetik natürlich – die Geschichte des namens gebenden Magazins (angelehnt an The New Yorker) und von dessen Akteur*innen erzählt. Ursprünglich als Musical geplant, konnte der Film bei seiner Premiere in Cannes das Publikum begeistern: Für Regie und Team gab es neunminütige Standing Ovations. Start: 22. Oktober
Eternals Regie: Chloé Zhao ———— Zuletzt begeisterte Chloé Zhao mit »Nomadland«, nun begibt sich die Oscar-Preisträgerin mit »Eternals« in neue cineastische Gefilde: Im bereits 26. Spielfilm innerhalb des Marvel Cinematic Universe (MCU) müssen die Eternals, eine alte Alienrasse, ihr bisheriges Leben im Untergrund hinter sich lassen und gegen ihre Erzfeinde, die Deviants, kämpfen. Mit Angelina Jolie und Selma Hayek. Start: 3. November
Ghostbusters: Legacy
Ricardo Hubbs / Netflix, Xavier Lahache / JE Films / Tetra Media Fiction / Canal+
Regie: Jason Reitman ———— Als 2018 ein Ghostbusters-Film mit hauptsächlich weiblichem Cast ins Kino kam, war die Aufregung im Netz groß. »Ghostbusters: Legacy« ist nun ein Sequel der ersten beiden Filme aus den 1980er-Jahren und erzählt die Geschichte der alleinerziehenden Mutter Callie (Carrie Coon), die im Haus ihres verstorbenen Vaters auf Hinweise stößt, die folgende Frage aufkommen lassen: War ihr Vater Teil der Ghostbusters? Start: 12. November
Maid
Vernon Subutex
Idee: Molly Smith Metzler ———— Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Stephanie Land erzählt »Maid« die Geschichte von Alex (Margaret Qualley), die als Putzfrau für Reiche arbeitet, um sich und ihre Familie zu ernähren. Land war selbst sechs Jahre lang Reinigungskraft und schrieb danach ein Buch darüber – über Armut, Bürokratie und eine Illusion namens The American Dream. In »Maid« sind nun neben Qualley auch Andie MacDowell und Billy Burke zu sehen. ab 1. Oktober Netflix
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Idee: Cathy Verney ———— Brachte uns zuletzt »High Fidelity« (abermals) die Welt der Vinylfreaks auf den Bildschirm, so ist es nun die Serie »Vernon Subutex«, in der ein Plattenladenbesitzer (Romain Duris) abstürzt und auf der Straße landet. Bereits 2019 für Canal+ produziert, nun endlich auch bei uns zu sehen. Die Serie basiert auf der Romantrilogie der französischen Autorin Virginie Despentes, deren Spezialität ja die Randfiguren unserer Gesellschaft sind. ab November (tbc) HD Austria
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Christoph Prenner
bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber
Screen Lights My Body Is a Cage
»Ein Hattrick, der in die Geschichtsbücher eingeht!« Zum Kolumnen-Kick-off einfach mal so sensationalistisch saftigen SportjournalismusSprech in die ausverkaufte Arena feuern – so hätte ich mir das gedacht, so hätte das garantiert gekracht. Aber eben nur bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem der durch freiwillige Prokrastination und unfreiwilliges Pausemachenmüssen im Niederschriftsaufschub gelandete Leidartikler (sic!) von der in solchen Fällen gern ins Treffen geführten normativen Kraft des Faktischen überholt, ja, nachgerade überrollt wurde – und sich der Dreier- zum Fünferpack auswuchs. Hä, wie meinen?
Uff. Und: geil. Also, die absurderweise bis heute medial kaum verbreitete Ausgangslage wie Anfangsthese wäre gewesen: Das hat’s noch nie gegeben, dass der Oscar für beste Regie/besten Film, die Goldene Palme von Cannes und der Goldene Löwe von Venedig, die prestigeträchtigsten Auszeichnungen für Bewegtbildkunst also, in einer Saison allesamt von Filmemacherinnen eingefahren werden konnten. 2021 gelang das Historische nun innerhalb eines Halbjahres: Ende April räumte Chloe Zhao mit »Nomadland« bei den Academy Awards ab, im Juli die Französin Julia Ducournau mit »Titane« an der Croisette und im September schließlich ihre Landsfrau Audrey Diwan mit »L’Événement« am Lido. Doch ganz so, als ob das Fernsehen dem Film auch in dieser Hinsicht nicht nachstehen wollte, gesellten sich just am Tag dieser Textabgabe auch noch Regiepreise für Jessica Hobbs und »The Crown« (Kategorie Drama-Serie) sowie Lucia Aniello und »Hacks« (Comedy-Serie) bei den Emmys, den wichtigsten TV-Awards, dazu. Und da war noch nicht mal die Rede davon, dass die große Jane Campion in Venedig überdies den Silbernen Löwen für beste Regie
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für ihr jüngstes Werk »The Power of the Dog« einfahren konnte. Uff. Und: geil. Weil dieser Kolumne aber nur beschränkter Platz zur Verfügung steht und auch unser Pod cast sich kurzen Laber- und Laufzeiten verschrieben hat, soll es hier nun rein um jene zwei Arbeiten gehen, die demnächst neu und legal in unseren Gefilden geschaut werden können. Allen voran »Titane«, dem seit der Weltpremiere der Ruf eines großen Transgressionstheaters vorauseilt – und das mit gutem Recht. Gibt es in Ducournaus Zweitling (nach dem Kannibalismusschocker »Raw«) doch nicht wenige Momente, in denen man sich auch mit einiger Körperkino-Schauroutine noch die Hände vor die Augen halten muss. Wie ein unwiderstehlich motorölverschmierter Mutant aus Cronenbergs »Crash«, der »Tetsuo«Reihe und dem bizarren Doku-Drama »The Imposter« schlägt die Geschichte einer Tänzerin mit Titanplatte im Schädel, die es mit der Autoerotik sehr wortwörtlich nimmt, schwanger und zur Serienkillerin wird, sich auf der Flucht als erwachsene Version eines vor Jahren vermissten Jungen ausgibt, um bei dessen traumatisierten Vater untertauchen zu können, zuverlässig wirkungsvolle Haken. Dass sich diese auch auf maximal schmerzhafte Weise ins Fleisch bohren können, dass es dieser Identitätsfindung und Sexualitätserkundung in ihren wahrhaftigsten Momenten an Intensität so wenig mangelt wie an Empathie, dass dabei freilich auch nichts ausbuchstabiert und schon gar nicht gerechtfertigt werden muss, darin liegen fraglos die großen Stärken dieses wegweisenden Werks.
Überkommene Ideen Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass sich mit dem ersten Spielfilm von Jane Campion (»Das Piano«) nach ewigen zwölf Jahren Pause – dazwischen gab es zumindest die eine Staffel lang herausragende Serie »Top of the Lake« –
an »Titane« thematisch halbwegs friktionsfrei anknüpfen lässt. Auf den ersten Blick hat der mit dicker Netflix-Börse und all den damit verbundenen High-End-Schauwerten umgesetzte Spätwestern »The Power of the Dog« auch gar nicht so viel gemein – auf den zweiten, so man das halbwegs spoilerfrei behaupten darf, allerdings so einiges. Denn so vermeintlich konventionell sich der auf einem vergessenen Romanklassiker von Thomas Savage beruhende Plot zunächst auch als Dreiecksbeziehungsdrama mit ungleichem Brüderpaar im Zentrum anlässt: Die Neuseeländerin versteht mit ihrer auf Andeutungen, Ambivalenzen und die Kraft von Bildern vertrauenden Erzählweise, mit den Abzweigungen der Handlung und den Beweggründen ihrer Figuren eben genauso lang hinter dem Berg zu halten, wie es die Erzählung erfordert. Wie bei Ducournau geht es Campion in ihrer subtilen Westerndekonstruktion darum, via der von Benedict Cumberbatch in einer Karrierebestleistung verkörperten, von überkommenen Männlichkeitsideen vergifteten Hauptfigur, Geschlechterstereotype kunstfertig zu sezieren, um sie hernach ohne fehlgeleitete Sentimentalität aufzubrechen – ohne dabei jedoch die Liebe fürs fundamentspendende Genre aus den Augen zu verlieren. Das ist wahrlich, um zum Schluss noch mal in die einleitende Sportjournolingo zurückzufallen: eine Liga für sich. prenner@thegap.at • @prennero Christoph Prenner und Lillian Moschen plaudern im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen – und würden sich sehr freuen, wenn die imposanten Breitwandbilder von Netflix’ »The Power of the Dog« demnächst nicht nur auf TV-Geräten und Tablets, sondern auch auf Leinwänden für Furore sorgen würden.
Luca Senoner, Kirsty Griffin / Netflix
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Benedict Cumberbatch in Jane Campions subtiler Westerndekonstruktion »The Power of the Dog«
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Luca Senoner, Kirsty Griffin / Netflix
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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik »The Cut« findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5.
Termine Bühne Die Tschikweiber Wer waren die Frauen, die bis 1939 in der Zigarrenfabrik gearbeitet haben und als »Tschikweiber« im kollektiven Gedächtnis und der Stadtgeschichte verankert waren? Das gleichnamige Stück möchte ihre Geschichte(n) erzählen, sie in ihrem Aufbegehren porträtieren – war die vielleicht am bekanntesten gewordene Agnes Primocic doch Teil des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. »Die Tschikweiber« ist damit auch eine Geschichte über die Vergiftung von gesellschaftlichem Diskurs durch menschenverachtende Propaganda. 30. September bis 16. Oktober Hallein, Festspielhalle Pernerinsel
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Schauspielhaus Hotel Zur neuen Spielzeit erfindet sich das Wiener Schauspielhaus über die Dauer von fünf Monaten neu – als Hotel, das einen Begegnungsort öffnen soll. Zum Einstieg werden sich dort Medienkünstlerin Rosa Anschütz, Künstlerin Miroslava Svolikova sowie Regisseurin und Performerin Lisa Lie und weitere Gäste aus dem Kunst- und Performancebereich einfinden. Außerdem werden Musiker*innen intime Livekonzerte spielen. Rituelle Beschwörungsperformance, Radiosender-Testbetrieb, Therapiegespräch – »Schauspielhaus Hotel« klingt ein bisschen wie ein Kunst-Versuchslabor. Mit dem Hotelmotiv meint man es im Übrigen ernst: An allen Oktoberwochenenden werden Übernachtungen, wahlweise in einem Hotelset oder in Schlafkojen zur Buchung angeboten. Check-in ab 16 Uhr, Check-out bis 11 Uhr. 1. bis 3. Oktober Wien, Schauspielhaus
Herostrat Es begab sich in der griechischen Antike, dass Herostratos aus Geltungssucht den Tempel der Artemis in Ephesos in Brand steckte. Jean-Paul Sartre widmet sich in der Erzählung »Herostrat« diesem Amokläufermotiv, verlegt die Handlung ins Paris der späten 1930er-Jahre und untersucht im inneren Monolog seines Protagonisten die Gedanken, die schlussendlich zum Entschluss führen, eine Gewalttat vorzubereiten. Von einem Mann, der sich für wertiger hält als seine Umwelt und doch vor ihr große Angst zu haben scheint. In der Inszenierung von Kai Krösche wird die Hauptfigur von einer Performerin, Victoria Halper, verkörpert und das toxisch-männliche des Topos »Amokläufer« untersucht. 28. Oktober bis 6. November Wien, Werk X-Petersplatz
Limbus A Divine Comedy »Florentina Holzinger und ihre Performerinnen tanzen Dantes ›Göttliche Komödie‹«, so das Konzept von »A Divine Comedy« der heurigen Spielzeiteröffnung am Tanzquartier Wien. Der Versuch, die Dichotomien von Himmel und Hölle, Gut und Böse auszulöschen, verspricht in seiner Umsetzung, wieder eine Mischung aus Tanzfiguren, Stuntshow und Motocross auf die Bühne zu bringen. Basierend auf dem Medienecho der Uraufführung bei der Ruhrtriennale lässt sich (wieder) ein ziemliches Spektakel antizipieren. 22. und 23. Oktober Wien, Tanzquartier
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Anhand von zwei weiblichen Biografien, der von Stalins Tochter Swetlana Allilujewa und jener von Nelly Mann, der damaligen Frau von Heinrich Mann, untersucht »Limbus« die Verflechtung von gesellschaftlicher und familiärer Gewalt im Kreis der Vorhölle. »Limbus« von Florentina Hofbauer hinterfragt die Therapiemöglichkeit des Einzelnen, wenn es das System ist, das krank ist, und gewann mit dem Theatertext den Kosmodrom Stückwettbewerb 2019 zum Thema »Wer Gewalt sät«. November (tbc) Bregenz, Theater Kosmos
Oliver Maus
Anhand der Comicfiguren Popeye und dessen Liierter Olivia entspinnt Sivan Ben Yishai in »Liebe / Eine argumentative Übung« eine Erzählung, die Olivia in den Fokus rückt. »[W]er ist eigentlich diese Frau, die Popeye Tag für Tag den Rücken freihält, damit er sich unbekümmert auf seine großen Abenteuer konzentrieren kann?« Hier ist sie eine erfolgreiche Schriftstellerin, die sich vor allem deswegen im Hintergrund hält, um ihren eigenen Ruf nicht durch ihren Ehemann geschädigt zu sehen. Über Beziehungsklischees und darüber, was Paar-Sein bedeutet. 3. bis 20. November Wien, Kosmos Theater
Schauspielhaus Wien, Alexander Gotter
Liebe / Eine argumentative Übung
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Du fragst dich, was es mit dieser Seite auf sich hat? Mehr Infos zu unserer Rubrik »The Cut« findest du im Inhaltsverzeichnis auf Seite 5.
Josef Jöchl
artikuliert hier ziemlich viele Feels
Als Kind konnte ich nicht gut verlieren. Spielbrett, Häuschen und Figuren flogen regelmäßig durch die Luft, wenn ich bei Monopoly am absteigenden Ast war. Im Grunde wäre das heute noch so, hätte ich nicht irgendwann aufgehört Monopoly zu spielen. Dinge, bei denen gewürfelt wird, sind mir eben nicht geheuer, zum Beispiel Brettspiele, Würfelpoker oder soziale Klasse. Richtig gelesen, soziale Klasse. Viele fragen sich ja, was Klasse überhaupt bedeutet. Seit die Sozialdemokratie den Klassenkampf institutionalisierte und wir uns als Individuen scheinbar frei durch gesellschaftliche Zusammenhänge bewegen, redet kaum jemand mehr von sozialer Schichtung. Trotzdem gibt es noch immer Menschen, die extrem gut Monopoly spielen können. Während man selbst noch im Gefängnis sitzt, stellen die schon ein Häuschen nach dem anderen auf die Schlossallee. Nur binden sie ihren Vorsprung nicht mehr allen auf die Nase. Deshalb musst du genauer hinschauen, wenn du wissen willst, wie bourgeois jemand wirklich ist.
Alte Schotten Ein Fischmesser sachgemäß zu verwenden ist bougie. Getränke auf Linienflügen zu bestellen ist bougie, ein aufblasbares Nackenkissen zu besitzen ist bougie. Sich in aller Selbstverständlichkeit in Restaurants etwas einpacken zu lassen ist ebenfalls bougie, und Wein über acht Euro zu kaufen ist äußerst bougie. Vom Vater, der Rechtsanwalt, oder der Mutter, die Zahnärztin ist, mehrere Zinshäuser vererbt zu bekommen ist bougie as fuck. Es ist also gar nicht so kompliziert. In Wien genügt es meistens schon zu wissen, auf welchem Gymnasium jemand war. Man hört das sogar an der Art, wie jemand spricht. Erst unlängst schrieb ich mit einem ziemlich cuten Typen, gute Zähne,
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schöne Haare, angenehmer Vibe. Relativ bald gab er sich als »alter Schotte« zu erkennen, was bedeutete, dass er auf dem Schottengymnasium war. Kurz danach zählte er auch schon seine Lieblingskomponisten auf. Wenn du Dialekt sprichst und als Kind keinen Klavierunterricht hattest, bringt dich so eine Situation in Bedrängnis. Wenig fühlt sich alberner an, als binnen weniger Minuten auf Spotify herausfinden zu müssen, was der Hit auf den »GoldbergVariationen« war, nur um einen Typen zu beeindrucken. Doch für ihn scheute ich keine Mühen (»Variation 3 a 1 Clav. Canone all’Unisono«), und schon waren wir zum Essen verabredet. Würde ich meine bougie Fassade aufrechterhalten können? Eine weise Person hatte mir einst verraten, wie man Monopoly immer gewinnt: indem man alles kauft.
Kaufe alles! Akribisch bereitete ich mich auf mein Date vor. Ich lernte ein paar Thesen von Yuval Noah Harari auswendig, stickte einen Polospieler auf mein T-Shirt und ernährte mich ausschließlich von Ferrero Rocher, um bourgeoise Saturiertheit auszustrahlen. Dann wälzte ich WikipediaEinträge zu römischem Recht und übte mit gespitzten Lippen das Wort »tatsächlich«. Zu meiner Überraschung schlug er vor, in ein Mittelschichtslokal zu gehen. Der Abend begann nicht weniger als fabelhaft. Zunächst bestellte ich die teuersten Gerichte der Karte, manche zweimal, weil mir der Gesamtbetrag noch immer zu niedrig erschien. Dann sprach ich sehr viel von Wein und erörterte zwölf Lektionen für das 21. Jahrhundert und 21 Regeln fürs Leben, bevor ich, bewaffnet mit einem Fischmesser, sein Herz eroberte. Erst zu späterer Stunde öffnete er sich mir. Im flackernden Kerzenlicht sprach er von seiner Kindheit. Er wäre
in einer einfachen Mietwohnung im dritten Bezirk aufgewachsen. Seine Lehrereltern hätten nicht viel gehabt, aber trotzdem Wert auf eine solide Ausbildung gelegt und ihn deshalb auf das elitäre Gymnasium geschickt. »Tatsächlich«, erwiderte ich verständnisvoll. Mein bougie Date entpuppte sich also als waschechter Kleinbürger. Er reihte sich ein in meine Sammlung von Sacharbeiter*innensöhnen, Bankbeamt*innenenjuniors und Außendien stmitarbeiter*innenfilii. Wir teilten uns die Rechnung und verabschiedeten uns mit einer innigen Umarmung.
Rückkehr nach Heim Zuhause entledigte ich mich meines geliehenen Smokings, setzte mich vor mein aufgeklapptes MacBook Pro und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Nichts an meinem Date hatte auf sein Mittelschichtsdasein verwiesen. Warum hatte mein Elitenradar versagt? Weshalb spülte mich das Leben so zielsicher an die Seite von Menschen, die eine ähnliche soziale Herkunft aufwiesen wie ich? War es im Umkehrschluss möglich, dass mir die herrschende Klasse in Gestalt von Sozialarbeiter*innen, Street Artists und linken Aktivist*innen begegnete? Fragen über Fragen. Ich schälte ein letztes Ferrero Rocher aus der Packung und schob es in meinen Mund. Monopoly war schon ein seltsames Spiel. Es schürte den Klassenhass und dauerte ewig lange. Und meistens endete es auch nicht, weil jemand tatsächlich das Spielziel erfüllte, sondern weil irgendwann einfach niemand mehr Lust darauf hatte. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Nobody«. Josefs Auftrittstermine sind unter www.knosef.at zu finden.
Ari Y. Richter
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