The Gap 194

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/AUGUSTAUSGABESEPTEMBER2022—THEGAPISTKOSTENLOSUNDERSCHEINTZWEIMONATLICH. M18Z041505MZ|P.B.B.WIEN,1052VERLAGSPOSTAMT N ° 0,—€194 Von der Musik leben Wie steht es um die Branche?

Waves JokoJessyGirliFranFlorenceFinleyFarceEnnioElsaEdwardDoppelfingerChristlChristinBryan’sBoyBipolarBibizaBerglindBenjaminBeachpeopleBatbaitAraiAnnaAmelieAliceAlexandraAiliAEIOUa/lpaca3:rma8.–10.9.2022Festival3Days90Acts9StagesFestivalPass€59validforallfestivalshows.wavesvienna.at(SI)(IT)(LI)(BE)Alden(MT)Low(UK)Tobien(AT)Erhard(CH)(AT)(CH)(DE)Amaru(CH)(AT)(AT)Feminin(AT)WithApple(SE)MagicTears(FR)Nichols(DE)(AT)(AT)Hunt(DE)(AT)(DE)(AT)Quaye(UK)Besch(DE)Vasilić(HR)(UK)Lanza(CA)(FR)KidsReturn(FR)Kitana(AT)LawnChair(DE)LevinGoesLightly(DE)LizMetta(AT)LoveA.M.(AT)LowIsland(UK)M.Byrd(DE)MinimalSchlager(DE)Monako(DE)Motherhood(CA)NaimaBock(UK)Nalan(DE)Nelavie(AT)Nosi(AT)Nothhingspecial(DE)NuhaRubyRa(UK)OldMrs.Bates(AT)OskarHaag(AT)Palffi(AT)Plattenbau(DE)Pyra(TH)Romc(AT)Sahareya(SI)Saló(AT)Sassy009(NO)ShitneyBeers(DE)Skaar(NO)SpiralMind(SI)TheHangedMan(SE)TheHauntedYouth(BE)ThePsychoticMonks(FR)Ultraflex(IS)UmmeBlock(DE)Vanille(CA)W1ze(AT)Wallners(AT)YvesJarvis(CA)ZackZackZack(AT)MORETBA

We can’t afford to look this cheap Sandro Nicolussi Chefredakteur • nicolussi@thegap.at

Editorial

NuderscherDaniel

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher Chefredaktion Sandro Nicolussi Leitender Redakteur Manfred Gram Gestaltung Markus Raffetseder Autor*innen dieser Ausgabe Christoph Benkeser, Astrid Exner, Barbara Fohringer, Bernhard Frena, Oliver Maus, Victor Cos Ortega, Dominik Oswald, Erste Bank, IBAN: AT39 2011 1841 4485 6600, BIC: GIBAATWWXXX Euro 21,— (aktuell: Euro 19,97) Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber*innen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bild und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmider Geschäftsführung.

gung

Jana Wachtmann, Christoph Waldboth, Sarah Wetzlmayr Kolumnist*innen Josef Jöchl, Imoan Kinshasa, Christoph Prenner, Gabriel Roland Fotograf*innen dieser Ausgabe Fabian Gasperl, Alex Gotter Coverfoto Alex Gotter Lektorat Jana Wachtmann Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl Distribution Andrea Pfeiffer Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH,

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Herzlich willkommen im Not-so-Sommerloch. Kann man in Österreich noch, schon, wieder oder überhaupt von der Musik leben? Und was bedeutet das eigentlich genau? Mitten in der multiplen Krise und in dieser Ausgabe, die unter dem thematischen Schirmbegriff »Being a Band« steht, sind diese Fragen aktueller denn je. Zweifelsohne ist die ökonomische Realität der meisten Kunst- und Kulturschaffenden keine rosige, ein immer weiter aufgeblasener Starkult macht das nicht einfacher. Auch der Hilfeschrei aus der Infrastruktur wird immer größer. Kleine Auftrittslocations beklagen nachhaltige Einbrüche der Ticketverkäufe, während Fotos von ausverkauften Festivals und Stadthallen nicht nur die Runde machen, sondern auch die Wahrneh mung verzerren. Was einige wenige reich und unbekümmert macht, bereitet der überwiegenden Mehrheit Bauchschmerzen, schlaflose Nächte und Diskussionen, die seit Jahrzehnten die gleichen sind. Aus diesem Grund haben wir für die Coverstory dieses Hefts das etwas unübliche Format eines Roundtable-Interviews gewählt, bei dem Manuel Fronhofer mit Veronika König, Mwita Mataro, Birgit Denk und Alexander Lausch über ihre Perspektiven auf die hiesige Musikszene und -industrie und ihre inhärenten (Un-)Möglichkeiten spricht. Eine klare Non-Profit-Schlagseite haben die Texte von Bernhard Frena und Christoph Benkeser, die die DIY-Kultur von Kassettenrespektive Zine-Releases des politisch-künstlerischen Undergrounds beleuchten. Astrid Exner untersucht, wie Tiktok in den Musikmarkt eingreift, Jugendkultur bestimmt und Songs über Nacht zu Klickhits macht – und welche Auswirkungen das auf die Marketingstrategie von Major-Labels hat. Darüber hinaus – und etwas vom Band-Kontext entfernt – inter viewt Barbara Fohringer Yvonne Widler zu ihrem Buch »Heimat bist du toter Töchter«, in dem die Autorin sich mit Femiziden in Öster reich beschäftigt, während Christoph Waldboth den Beruf der Intimitätskoordination am Filmset beschreibt, der Übergriffe verhindern soll, bevor sie passieren – und damit eine neue Art der Kreativität ermöglichen möchte. Ein volles Heft für einen Sommer, der zum Nachdenken anregt. Stay hydrated!

004 022 »Sounds sind die neuen Hashtags« Wie Tiktok die PopLandschaft verändert 026 »Es ist wie eine akustische Wärmeflasche« Wie Kassetten uns in die Vergangenheit zurückspulen 030 Kleine Heftchen, große Wirkung Die österreichische Zine-Szene legt selbst Hand an 034 »Österreich hat ein Problem« Yvonne Widler im Interview zu »Heimat bist du toter Töchter« 036 Grenzen als Chance für kreative Alternativen Der Beruf der Intimitätskoordination Magazin 012 Viele Blickwinkel, wenig Perspektive? Musikschaffende diskutieren Realitäten RakošMafaldaDisney+,creenshot),(S@iam.domiziana/TiktokVermont,Marie/ViennaDesignWeek,ChristophLederhilger026

Rubriken054 022 Kolumnen LGANÖderEinschaltungentgeltlicheEine blutspenden.noe-lga.at/gewinnspielunter:GewinnspielzumInformationenundTeilnahmebedingungenJetzt

003 Editorial / Impressum 009 Charts 020 Golden Frame 038 Prosa: Anja Bachl 040 Gewinnen 041 Rezensionen 046 Termine 008 Einteiler: Gabriel Roland 010 Gender Gap: Imoan Kinshasa 054 Screen Lights: Christoph Prenner 058 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl Gabriel Roland Why do all good things come to an end? Manchmal, weil even better things ahead sind. Wie für unseren langjährigen Modekolumnisten Gabriel Roland. Seit 2016 stellte er in der Kolumne »Einteiler« die großen und kleinen Fragen zu Mode, Kleidung, Geschmack und Design. Letzterem wird er in den nächsten Jahren noch intensiver nachgehen, er folgte im Vorjahr Lilli Hollein als Direktor der Vienna Design Week nach, was nun auch die bisherige Kolumnenkapazität verlangt. Wir wünschen alles Gute und auf bald!

Astrid Exner Dass ein »Auf Wiedersehen!« bei The Gap ruhig wortwörtlich zu nehmen ist, zeigt der Text von Astrid Exner in diesem Heft. Nachdem sie die Kolumne »Gender Gap« 2021 abgegeben hatte, widmete sie sich vollkommen ihrer Posi tion als Leiterin der Kommunikationsabteilung des WUK. Zu unserer Freude tauchte sie überraschend bei der letzten Redaktionssitzung auf und pitchte einen Artikel zu Tiktok und wie das soziale Netzwerk die Bedingungen für Musiker*innen im Internet neu bestimmt. In diesem Sinne: Welcome back! Blutspenden und einen von vielen tollen Preisen Blut

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Nicolussi Vienna Club

Die Stadt Wien hat über die Leitung der Servicestelle zur Beratung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit der Wiener Clubs und der Nachtwirtschaft entschieden. ———— Nachdem das Pilotprojekt der Vienna Club Commission (VCC) im vergangenen Jahr mit einer durchaus positiven Bilanz – besonders durch die CoronaPandemie entstand ein gesteigerter Bedarf an Beratung – been det worden war, installierte die Stadt Wien das Projekt bis Ende 2026 mit einem Brutto-Jahresbudget von 300.000 Euro. Es folgte eine Ausschreibungsphase, die nun zu einem Ende fand: Martina Brunner konnte sich mit ihrem Team bestehend aus ComradesGeschäftsführer und The-Gap-Mitgründer Thomas Heher und Berlin-Club-Commission-Sprecher Lutz Leichsenring gegen zwei weitere Teams durchsetzen. Brunner, die die inhaltliche Leitung auf Vollzeit übernehmen wird, gründete 2017 die Organisation »N8BM – Nachtbürgermeister Wien«, aus der in weiterer Folge 2020 das Pilotteam der VCC hervorging. Heher unterstützt in der kaufmännischen Leitung und Leichsenring besetzt die Stelle des Organisationsentwicklungsberaters.DieService-undVermittlungsstelle für Belange der lokalen Clubkultur möchte jetzt vor allem dort anschließen, wo zuletzt recht abrupt abgebrochen werden musste. Martina Brunner: »Das vom Pilotprojekt erarbeitete Wissen wird definitiv nicht verloren gehen, dafür befinden wir uns derzeit im Übergabeprozess. Wir werden an den aufgebauten Strukturen anknüpfen und das An gebot für Beratung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit in den nächsten Jahren festigen und weiterentwickeln.« Zwei Stellen werden zur Komplettierung des Teams noch aus geschrieben: Projektjurist*in und Projektmanagement. Mit Septem ber soll die Arbeit in Vollbesetzung aufgenommen werden. Martina Brunner möchte die Szene zukünftig durch ein Fokusgruppensys tem stärker in die laufenden Prozesse einbeziehen: »Unser Hauptau genmerk im Konzept gilt der Vernetzung. Die Szene wird so eng ein gebunden sein wie möglich.« Was das genau bedeutet, soll bei einer Pressekonferenz am 15. September in Wien verkündet werden. »Wir freuen uns über die Chance, mit den in Wien tätigen Akteur*innen der Club- und Veranstaltungsszene, den Entscheidungsträger*innen auf politischer Ebene, komplementären Einrichtungen sowie mit in Wien lebenden Menschen zu arbeiten, um den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Mehrwert der Stadt im Club- und Veranstal tungskontext zu stärken«, so Brunner. Sandro Commission: Neue Leitung fixiert

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Splitter

News

Die Bundesregierung hat vor Kurzem ein Modell zur Stärkung des Filmstandortes bekanntgegeben. Die Österreich-Ausgaben für die Herstellung von Kino- und TV-Filmen sowie Video-on-Demand- und Streaming-Produktionen sollen mit 35 Prozent bezuschusst werden. ———— Im April gab es beim Grazer Filmfestival Diagonale eine Podi umsdiskussion zu den zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschöpften Fördermitteln der wichtigen Finanzierungssäule Filmstandort Aus tria (FISA). Damals am Podium (Foto): Alexander Dumreicher-Ivan ceanu (Obmann des Fachverbands der Film- und Musikwirtschaft der Wirtschaftskammer Österreich), Marie Kreutzer (Regisseurin, Vorstandsmitglied Drehbuchforum Wien), Verena Altenberger (Schauspielerin, Präsidentin der Akademie des Österreichischen Films) und Dieter Pochlatko (Filmproduzent, Gründungsmitglied Film Austria). Anfang Juli durfte aufgeatmet werden: In einer Pres sekonferenz der Bundesregierung wurde ein Modell zur Stärkung des Filmstandortes Österreich bekanntgegeben. Mit einem Zuschuss von bis zu 35 Prozent der Österreich-Ausgaben für die Herstellung von österreichischen und internationalen Kino- und TV-Filmen so wie internationalen Video-on-Demand- und Streaming-Produktio nen wird dem österreichischen Film eine wichtige Unterstützung und Wertschätzung zugesagt. Alexander Dumreicher-Ivanceanu meint dazu: »Damit kann das Potenzial heimischen Filmschaffens in all seinen Varianten und Vertriebsmöglichkeiten gezielt ausgeschöpft und die Produktion von Inhalten der österreichischen Filmwirtschaft und Creative Industries verstärkt gefördert werden.« Das international künstlerisch hoch anerkannte Filmland Österreich zählt rund 6.000 Film- und Musikunternehmen so wie über 20.000 Filmschaffende, die im Jahr rund 2,5 Milliarden Euro umsetzen. Mit den neuen Fördermaßstäben wird auch ein ökologischer Meilenstein gesetzt: »Wir sind stolz darauf, dass Österreich als erstes Land Europas ein Anreizmodell mit GreenProducing-Bonus für klimafreundliches Produzieren schafft. Hier wird Österreich zum internationalen Vorreiter«, so DumreicherIvanceanu. Aber nicht nur Filmschaffende sollen profitieren, sondern auch Dienstleister*innen wie die Postproduktion: »Das Zuschussmodell wird nachhaltig für Filmdienstleistungsunter nehmen wirken und gleichzeitig die Vielfalt der Branche abde cken«, so Georg Tomandl, Obmann-Stellvertreter im Fachverband der Film- und Musikwirtschaft. Sandro Nicolussi

Beschluss zur Stärkung des Filmstandortes festival des fantastischen films 22.SEP-02.OKT SLASHFILMFESTIVAL.COM 01 HAUPTSLASH 2022.indd 1 05.07.22

(Assistenz)Handleronika/GasperlFabianVer

Das Schlimmste auf der Welt ist die Jogginghose nicht – so weit sind wir uns, denke ich, doch ei nig. Wenn wir uns ehrlich sind, ist die hier abgebildete Tarnversion dieser beliebten Hosensorte nicht einmal das allerhäss lichste Kleidungsstück, das man sich vorstellen kann. Da kann der Fotograf noch so viel empfun denen »bad taste« auffahren, er scheitert oder macht den Fall sogar noch klarer: Die Jogging hose ist so schlimm nicht. Man ist versucht zu sagen, die Situation ist arg, aber nicht hoffnungslos. Hier muss die Kolumne aber widersprechen. Umgekehrt: So schlimm ist es ja, wie wir sehen, überhaupt nicht, hoffnungslos aber allemal! Das Schlimme an der Jogginghose ist nämlich, dass sie an statt schlimm zu sein, durchschnittlich ist. Ihre Gefahr ist normal statt herausragend, liegt in der Quantität, ohne auf irgendeine Weise be sonders zu sein. Vom Schluss, dass die Jogginghose ge nau deswegen schlecht wäre, weil so viele sie mögen, müssen wir uns aber sofort wieder los sagen. Diese Art von Herablassung ist nicht zeitgemäß und passt – wider Erwarten – nicht zum Hausstil dieser Kolumne. Und was hässlich überhaupt sein oder bedeuten soll, konnte auf diesen Seiten bisher höchstens als Überlegung in den Lesenden angeregt, leider aber nicht ab schließend festgestellt werden. U wanna be seen?

Dieses Problem werde ich ungelöst lassen. Nicht nur, weil seine Lösung ein aufwendiges Unterfan gen mit eher unsicherem Ausgang ist, sondern vor allem, weil diese Seite mein letzter Auftritt als Modekolumnist von The Gap ist. Ich hatte hier die Möglichkeit, einige Jahre lang Schlaglichter auf die hiesige Modeproduktion zu werfen. Jetzt, wo ich angesichts des Umfangs meiner anderen Aufgaben von dieser Position zurücktrete, bleibt die übrige Arbeit ungetan liegen.

Einteiler

Gabriel Roland betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück LetzteDas

Mit diesem Mal kommt ein weiterer As pekt dazu: das am Markt in großem Volumen allerorts Erhältliche. Die Relevanz des in dieser Kolumne Gezeigten und Beschriebenen ist, so hoffe ich, das eine oder andere Mal von mir auf euch übergesprungen. Für die überwiegende Mehrheit der Einteiler (mögliche Ausnahmen: Arbeits- und Babygewand) kommen einem aber alle Hebel bis auf den konzeptuellen auf einmal erschreckend kurz vor.

»Bro, do u wanna be seen or not«, möchte man die Jogginghose fragen, während sie sich formlos an zahllose Menschen schmiegt, nie manden zu irgendetwas auffordert und doch unsere Welt prägt. In der bedingungslosen Be friedigung aller Bedürfnisse bei gleichzeitiger Abwesenheit jeglicher Ansprüche ist die Jog ginghose vielleicht wirklich das Ende einer lan gen Reihe an Kleidungsstücken. Ihre Direktheit hat aber auch etwas Erstes, Ursprüngliches. Und deswegen ist die Jogginghose auch ein guter Abschluss, einer nämlich, der zeigt, dass ein Letztes immer auch ein Erstes ist und dass es doch immer wieder irgendwie weiter geht mit dem Anziehen, mit dem Gewand, mit der Mode. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Die Camouflage-Jogginghose habe ich für einige Euro bei Kik gekauft. Vielmehr als dem Diskonter sollen die Credits aber diesmal den Leuten hinter der Kolumne gelten: Amira Ben Saoud, der Erfinderin dieses Formats, und den ihr nachfolgenden Chefredakteur*innen Yasmin Vihaus, Theresa Ziegler und Sandro Nicolussi; dem Herausgeber und Organisator Manuel Fronhofer; den Fotograf*innen Erli Grünzweil, Marlene Mautner und Fabian Gasperl; und allen Modeschaffenden, die mir ihre Geschichten erzählt und Stücke geborgt haben. Danke fürs Lesen.

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Neben die fehlende Zeit könnte man in einem düsteren Moment die erwähnte Hoffnungslosig keit stellen. Mein Versuch war es, in der Kolumne mit jeder Ausgabe mögliche Ausgleiche zu fin den – zwischen der Produktion (einer zugegebe nermaßen schmalen Auswahl) Modeschaffender, dem Verhältnis derer, die es besitzen und ver wenden, zu ihrem Gewand und dem sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Bild einer schein baren Selbstverständlichkeit wie Kleidung.

Sinnlos ist das alles natürlich trotzdem nicht. Mode ist und bleibt Symbolproduzen tin. Im Vergleich zur schieren ökonomischen, ökologischen und ideologischen Wucht eines Massenprodukts wie dieser Jogginghose von Kik erscheinen unsere Konzepte und Symbole aber plötzlich etwas lahm. Dabei verschwindet die Jogginghose vollends in ihrer Tarnung aus Mittelmaß und Ambitionslosigkeit. Was kann so eine Hose wollen? Das ist schwer auszumachen.

Charts Laundromat Chicks TOP 10 Sommeralben 01 Allah Las – »Allah Las« 02 Fleetwood Mac – »Tusk« 03 Twin Peaks – »Wild Onion« 04 Carly Simon – »No Secrets« 05 Los Tones – »Psychotropic« 06 Bass Drum of Death – »GB City« 07 Harlem – »Hippies« 08 Corners – »Maxed Out on Distractions« 09 The Babies – »Our House on the Hill« 10 The Lovin’ Spoonful – »Hums of the Lovin’ Spoonful« TOP 03 Tankstelleneinkäufe 01 Pocket Coffee 02 Croissants 03 Milch Auch nicht schlecht: Zwischen dem Nightclubben etwas Essen gehen! Die Laundromat Chicks haben kürzlich ihr superes Debüt »Trouble« hingelegt und eröffnen am 29. September 2022 die Release-Party zur Aus gabe The Gap 195 im Wiener Club The Loft. Der Eintritt ist frei. Charts Baits TOP 10 Probleme auf Tour 01 Gacken 02 Das Hotel ist nicht zu Fuß erreichbar 03 Nix zum Hazn 04 Fliesenboden 05 Der Ricotta vom Bassisten 06 Panikatacken 07 Vorband säuft und frisst alles weg 08 Keine Kasspozn in Voradelberg 09 Aufstriche 10 Klimawandel TOP 03 Musikprojekte aus Wien 01 Death 01 Death 01 Death Auch nicht schlecht Eigentumswohnung Baits haben ihr Debüt bereits seit längerer Zeit hinter sich und kürzlich das Tape »Bring Your Friends« auf Noise Appeal rausgebracht. Sie spielen ebenfalls am 29. September 2022 bei der Release-Party zur Ausgabe The Gap 195 im Wiener Club The Loft. Also: Bring your friends! PrinzKurtJacobs,Constantin GOEBBELSDANGERDANHEINER PETER CAT’S WIDE WORLD OF SOUND #4+5 HASTI MARIANNEMOLAVIANDISSARDPAUL30.09.29.10. WALLFISCH & GUESTSSPECIAL CIRCUIT21.10.DES YEUX25.09.11.10.27.09. +BLENDASOPHIADUNKELBUNT19.11.17.09.WERNERHERZOG22.+23.10.28.10.PÄM15.10. ReinhardtArne©Foto

Aber wann ist man jetzt wirklich eine Frau? Gibt es ein lebensveränderndes Event, dass das Frausein markiert? In manchen Kulturen gilt man ab der ersten Menstruation als Frau, in anderen muss man verheiratet sein. In man chen beides. In anderen ist es das Alter oder ein bestandenes Ritual. Im deutschsprachigen Raum markierte man unverheiratete Frauen mit der Bezeichnung »Fräulein«. Denn wer kei nen Mann hat, ist halt keine ganze, echte Frau. Als wäre das ein Titel, der verliehen werden muss, den man sich verdienen muss. Geschlecht ist fluid Generell ist das Frausein immer irgendwo an die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, gebunden und etwas AllerdingsFremdbestimmtes.sprichtmaneiner schwangeren Frau dann auch gerne wieder die Mündigkeit ab, weil – eh schon wissen – die Hormone ma chen ja unzurechnungsfähig. Wenn das Kind dann da ist, dann ist die Gute erst nicht zu rechnungsfähig, weil sie ja jetzt nur noch das Kind im Kopf hat. Es scheint, als gäbe es für Frauen keinen Zeitpunkt, an dem man sie als mündige, er wachsene Menschen wahrnimmt und behan delt. Denn sobald man als Frau ins gehobene Alter eintritt, ist man auch nicht mehr zu rechnungsfähig. So hat man vermutlich zwei gute Tage im Leben zwischen erster Periode und Menopause, an denen Frau als zurech nungsfähige erwachsene Person wahrge nommen wird. Mir fällt auf, dass mir ständig erklärt wird, wie ich meinen Job zu machen habe. Meinen Kollegen nicht. Ungefragtes Feedback und gut gemeinte Ratschläge be komme ich ständig. Es ist anstrengend, wenn einem nichts zugetraut wird. Wenn man ständig Dinge er klärt bekommt, die man besser weiß als der Erklärer. Frau muss beweisen, dass sie was draufhat. Und weil wir gerade beim Erklären sind: Da wird sicher jemandem das Argument in den Kopf schießen, dass Frauen sich gegen seitig auch als »Mädels« bezeichnen. Ja. Aber sie bezeichnen sich selbst so und da liegt der Unterschied. Es steht jeder Frau frei zu wählen, ob sie sich so nennen lassen will und von wem. Das Frausein ist etwas nicht Greifbares. Es ist mehr ein fluides Konzept als etwas, das man in Stein meißeln könnte. Wer oder was Frauen sind, hat sich über die Zeit verändert und wird niemals vollends feststehen. Man kann nicht pauschal sagen, wo es beginnt und wo es endet. Ein wichtiges Schlagwort dazu ist die Selbstbestimmung. Wir bestimmen nun selbst, wer wir sind. Im Gegensatz zur Vergan genheit, wo es nur genau eine Art und Weise gab, Frau zu sein, haben viele große und klei ne Kämpfe für mehr Frauenrechte den Grund stein für das Hier und Jetzt gelegt. Leider haben wir auch wieder einen riesigen Schritt zurück gemacht. Die USA ha ben gebärfähigen Menschen das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper genommen. In vielen Bundesstaaten sind Ab treibungen verboten und unter Strafe gestellt worden. Selbst wenn dies das Leben der gebä renden Person gefährdet. Diese Entscheidung hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Be troffenen. Auch hierzulande wird Menschen die Mündigkeit ab gesprochen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Im christlichkonservativen Österreich haben nicht alle einen niederschwelligen Zugang zu sicheren Abtreibungen. In einigen Regionen gibt es nur einzelne Einrichtungen oder gar keine medizi nische Versorgung in dieser Richtung. kinshasa@thegap.at @imoankinshasaa StrazanecRoman 010 Vorab: In diesem Text geht es nicht um die Debatte, welche Geschlechtsorgane eine Frau ausmachen oder nicht. Transfrauen sind Frauen. Punkt. Diese Kolumne blickt hinter die Infantilisierung – also die Verkindlichung – von FLINTA. Infantilisierung bedeutet, dass eine erwachsene Person wie ein Kind behandelt wird. Besonders häufig behandelt die Gesell schaft Frauen, als wären sie geistig auf dem Stand eines Schulkindes. Meistens wird diese Taktik von Männern angewandt, um Frauen die Mündigkeit abzusprechen. Die Infantilisierung von Frauen ist ein gut durchdachtes Konzept des Patriarchats. Es ist wie Schrödingers Katze. Mal ist die Frau ein Kind, das väterlich beschützt wer den muss, aber gleichzeitig scherzen viel z u viele Frauen darüber, dass ihr Partner ein zusätzliches Kind sei, das sie versorgen müssten. Andererseits gibt’s viel zu viele Vä ter, die selbst sagen, sie wären aufgeschmissen ohne ihre Frauen. Das bisschen Haushalt macht sich halt doch nicht von allein, wenn man dann damit konfrontiert wird. Als ich 16 war, erklärte mir ein gleichalt riger Schulkollege, dass ich noch lange keine Frau sein werde, denn seiner Meinung nach seien Frauen weit über 20 Jahre alt. Diese Selbstverständlichkeit, mit der er mir die Welt erklärte, haben wir heute als Mansplaining durchschaut. Als ich dann 29 war, war ein Herr fest davon überzeugt, dass »Mäderl« die richtige Ansprache für mich sei. Denn seine Tochter in meinem Alter sei für ihn schließlich auch noch keine richtige Frau. Kein Mädchen Dauernd wird mir gesagt, dass ich eh noch so jung sei, während ich schon dezent Panik schiebe, weil die Zeit nur so davonrinnt. Bio logisch gesehen bin ich schon wieder auf dem absteigenden Ast meiner Fruchtbarkeit. Klar habe ich vermutlich erst ein Drittel meines Lebens gelebt. Trotzdem merke ich: Ich bin einfach keine 18 mehr. Bisher habe ich mir da rüber nie Gedanken gemacht, wann ich vom

Imoan Kinshasa beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus

Mädchen zur Frau geworden bin. Jetzt, da ich diesen Text schreibe, nehme ich mir erstmals viel Zeit, darüber nachzudenken. Bis vor nicht allzu langer Zeit war es mir egal, als Mädchen angesprochen zu werden.

Gender Gap

Aber ich bin wohl eines Tages aufgewacht und hab genug davon gehabt, wie ein Kind behandelt zu werden. Seit diesem Tag lehne ich es konsequent ab, so angesprochen zu werden. Vermutlich begann ich in diesem Mo ment, mich bewusst als Frau zu identifizieren.

Wann bin ich eine Frau?

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Ob Freiluft-Kino oder Kunst im Museum – Celina und Naima machen’s vor. Informiere dich über die vielen Kultur-Highlights Wiens in unserem Veranstaltungskalender unter wien.gv.at/veranstaltungen. Darin findest du auch viele kostenlose Kulturangebote. Entdecke das vielfältige Kunst- und Kulturangebot und genieße deinen Sommer! #sogehtsommer

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— Birgit Denk

GotterAlex

Zuletzt ist ein Posting durch Social Media gegangen: Laut BBC-Recherchen kommen in Großbritannien 91 Prozent der profes sionellen Musiker*innen nicht über die Ar mutsgrenze. Überrascht euch diese Zahl?

Viele wenigBlickwinkel,Perspektive?

diskutierenMusikschaffendeRealitäten 013

veronika könig: Als ich in nach Wien gezogen bin, hab ich studiert, hab Kindergeld und Unterhaltszahlungen bekommen. Damit hab ich die Miete bezahlt. Alles darüber hi naus musste ich mir erarbeiten. Ich hab zum Beispiel im Filmcasino an der Bar gearbeitet. Als ich dann angefangen hab, Shows zu spie len, hab ich auch DJ-Sets gespielt. Später dann Produzieren und Mischen für andere, Session-Writing, Coaching – was auch immer gebraucht wurde. Im Herbst hab ich Projekte im Theater. Einen zusätzlichen Nine-to-fiveJob hab ich also keinen, aber kann ich von der Musik leben? Vom Handwerk, von der Dienst leistung und von der Kunst zusammen geht es sich aus. Aber auch, weil meine Partnerin, mit der ich zusammenlebe, einen richtigen Corpo rate Job hat. Aber, wenn ich euch richtig verstehe: Ihr würdet alle gerne von eurer Musik leben? mwita: Ja, das wäre schon nice. Alexander, du hast da einen pragmatische ren Zugang? alexander: Ich bin da in einer privile gierten Situation. Ich hab das, was ich immer schon gerne machen wollte, zu meinem Beruf gemacht, und ich würd jetzt nicht tauschen wollen. Aber natürlich wär es fantastisch, wenn in Österreich mehr Bands Umsätze machen könnten, die drei, vier, fünf, sechs Musiker*innen und vielleicht auch noch Crew-Mitglieder ernähren würden.

veronika: Die Klassensituation in Groß britannien ist ja nicht besser als in Österreich, wahrscheinlich sogar noch prekärer, die Sche re noch größer. Wobei dort Dinge wie Public Funding mal sehr in die Kultur eingeschrieben waren: dass jeder ein Musikinstrument lernt, dass jeder – auch Leute mit Working-Class-

»Die KunstvonGrundsicherungPersonen,dieschaffen,fehltbeiunskomplett.«

birgit: Prekär ist es jedenfalls für uns alle. Ich kenn ja auch noch die noch etwas Älteren, also ich rede jetzt von richtigen Stars. Bei denen ist es nicht anders. Es ist nicht so, dass Wolfgang Ambros ausgesorgt hätte. Warum spielt er noch immer, obwohl’s ihm körperlich recht schlecht geht? Das Arge ist, dass auch die aus der Zeit, in der man als Musiker*in wirklich noch gutes Geld verdient hat, in einer prekären Situation sind.

Das Leben von Musiker*innen ist in der Wahr nehmung der Mehrheitsgesellschaft oft ein schil lerndes, gemütliches und ausgelassenes. Die Realität sieht für die meisten Musikschaffenden allerdings anders aus, denn: Man kriegt nur mit, was vermeintlich funktioniert aka durchbricht. Veronika König, Birgit Denk, Mwita Mataro und Alexander Lausch diskutieren beim Roundtable umfassend, wie es um Szene und Industrie steht. Wer sich in der österreichischen Musik landschaft bewegt, hat eure Namen wahr scheinlich schon einmal gehört oder ist auf eines eurer Musikprojekte gestoßen. Die wenigsten wissen aber wohl, ob ihr von der Musik leben könnt. Würdet ihr zum Einstieg kurz eure Situation beschreiben? mwita mataro: Ich hab das »Unglück«, dass ich in einer Band bin. Wir müssen al les durch drei bzw. vier teilen. Selbst um ein bescheidenes Leben führen zu können, müssten wir in dieser Konstellation als Band Umsätze machen, die schwer möglich sind. Man hat ja Ausgaben für Musikvideos, Fotos, Tontechnik, wenn man ganz crazy ist, auch für Lichttechnik und so weiter. Da muss in der Band noch einiges passieren, damit alle ihre Brotjobs kündigen können. birgit denk: Ich lebe seit 2006 von der Musik. Vorher war ich Sozialpädagogin und hab daneben Musik gemacht, bis das dann so intensiv geworden ist, dass ich aufhören konn te, fix angestellt zu arbeiten. Seither bin ich als Künstlerin selbstständig. Aber: Von der Musik leben – das muss man ein bisschen einschrän ken. Man muss sehr breit aufgestellt sein. Ich verdiene mein Geld durch Singen, durch Kom ponieren, durch Moderieren und durch Hilfe stellung für andere Leute. Der Zeitpunkt, ab dem ich gut schlafen konnte, war, als ich im Fernsehen vorgekommen bin. Mein Bekannt heitsgrad ist zumindest so groß, dass ich meine Miete zahlen und vielleicht einmal im Jahr auf Urlaub fahren und ein bissl Geld auf die Seite legen kann, falls der Kühlschrank mal hin wird. alexander lausch: Man kann sagen, dass ich von der Musik lebe, aber nicht als Musiker, sondern über Umwege: als Produzent und Studiobetreiber. Es war lange sehr prekär, weil man erst einmal ins Studio investieren muss. Seit ca. zehn Jahren rechnet sich das alles und geht sich aus. Als Nebeneffekt kann ich meine Musik so machen, wie es mir gefällt –ohne irgendwelchen Förderungsvorgaben oder Festival-Gatekeepern entsprechen zu müssen.

Hintergründen – auf eine Kunstschule gehen kann. Von daher ist es ein Armutszeugnis. Es überrascht mich aber nicht. Wahrscheinlich ist die Zahl in Österreich noch höher. alexander: Gemeinsam mit anderen habe ich eine Diskussionsrunde ins Leben gerufen, bei der Leute aus verschiedenen Bereichen des Kunst- und Kultursektors an den Tisch kom men, um über solche Sachen zu reden. Und das erste größere Ziel ist es, eine Umfrage in Auftrag zu geben, die genau das evaluiert. Ich glaube, wenn man mal wirklich Zahlen dazu hat und draufkommt, unsere Musiker*innen sind alle arm, dass dann auch politisch etwas passiert. Wenn man mit Musiker*innen spricht, kriegt man mit, wie viel da querfinanziert ist. Es werden teilweise die Lebensversicherungen der Großmütter verwendet oder Ähnliches. mwita: Es gibt auch keine Transparenz. Man weiß nicht wirklich, welche Gagen ande re bekommen, etwa Bilderbuch oder Wanda, also die ganz Großen. Beziehungsweise: Wir wussten am Anfang gar nicht, wie viel wir ver langen können. Es gibt zwar Fair-Pay-Listen, aber come on … (alle lachen) veronika: Transparenz fängt auch damit an, dass man über Gagen redet. Warum Gagen sind, wie sie sind. Als Veranstalter zu erklären: dafür zu kriegen, dass du singst oder spielst – darum geht es überhaupt nicht. Die Grund sicherung von Personen, die Kunst schaffen, fehlt bei uns komplett. mwita: Ich hab mir am Weg hierher auch noch mal angesehen, wer dieses Jahr beim Mu sikfonds gefördert worden ist. Und ich versteh nicht wirklich, warum zum Beispiel ein Voo doo Jürgens gefördert wird, weil der ja easy von der Musik leben kann. Oder warum Eli Preiss eine Förderung bekommt – die ist doch bei einem Major-Label.

Nämlich: Bin ich als österreichischer Staat, als politischer Entscheidungsträger, als politische Entscheidungsträgerin der Meinung, dass wir Popularmusik in Österreich haben und fördern wollen? Und zwar von Indie bis zum Gassen Wir haben so viel Budget, so viel zahlen wir für das und so viel für das. Aber dafür ist eben nicht immer die Zeit da. alexander: Es herrscht wirklich sehr viel Intransparenz und ich glaube, dass bis oben hin Menschen sitzen, die sich über 20, 30 Jah re an Gatekeeper-Positionen festkrallen. Das ist vielleicht auch ein Mitgrund dafür, dass Musiker*innen oft einen gewissen ConspiracyVibe mitbringen. So in der Richtung: Naja, in den Förderstellen, da macht man sich ja unter einander alles aus. Das ist schade, weil gerade in den Förderstellen sollte man auf unserer Seite sein. Was viele ja auch sind. birgit: Ich war sechs Jahre als Jurymit glied im SKE-Beirat. Da war es tatsächlich so, dass wir uns für die Entscheidungen viel Zeit genommen haben, dass wir viel disku tiert haben. Aber was bei Fördergremien nicht immer klar herauskommt, ist einfach, was genau gefördert wird. Da gibt es oft Missver ständnisse bei Leuten, die einreichen. Die meisten Förderungen zielen darauf ab, sich wirtschaftlich wieder reinzuspielen. Die Grundidee ist: Ich nehme für den Musikfonds Kohle in die Hand, damit Produzent*innen, Grafiker*innen bezahlt werden und nicht da mit die Künstler*innen ein Geld haben. Geld GotterAlex

veronika: Was die Major-Labels betrifft, stimme ich dir zu. Als Musikerin hab ich nicht die gleichen Ressourcen wie sie. Wenn ich Corona kriege, muss ich meine Tour absagen, dann muss ich meine Förderung zurückzahlen, mir Ersatzkonzerte planen. Das sind Probleme, die Major-Label-Acts nicht haben. Deshalb sollten sie nicht dieselbe Förderung kriegen. Aber die Acts sind ja nicht das Problem. Die wollen auch nur davon leben. mwita: Als Band brauchst du am Anfang ein großes Startkapital, um die Kosten zu stemmen. Wir haben zum Beispiel oft disku tiert: Zahlt es sich aus, zu Showcase-Festivals wie Reeperbahn oder Eurosonic zu fahren? Es könnte ja sein, dass da dann im Publikum Gatekeeper sind, die uns »entdecken«. Also, okay, machen wir es. Man beißt in den sauren Apfel, fährt zehn Stunden auf der Autobahn, ist grantig … Da ist es schwer konkurrenzfähig zu sein mit Acts, die von Majors Kohle in den Arsch geschoben bekommen. birgit: Für mich sind solche Diskussionen wichtig. In Wirklichkeit ist es aber Kleinkram, über den wir da gerade reden. Es geht nicht um den Musikfonds und es geht auch nicht um den SKE-Beirat. Es geht nicht darum, ob ich es mir als Band leisten kann, zum Reeper bahn Festival zu fahren. Es geht um eine po litische Entscheidung. Alles andere ist auch wichtig, nimmt aber wahnsinnig viel Energie von dem weg, was wirklich diskutiert gehört.

mwita: Ich finde, wenn sich eine musik schaffende Person alleine von der Musik erhal ten kann, sollte die Person von der Förderung ausgeschlossen sein. Und wenn eine musik schaffende Person von einem Major-Label eingereicht wird, ebenfalls.

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veronika: Darüber müssen wir wirklich reden, weil Sony und Universal zehn Acts pro Jahr signen und mit Geld aus dem Musikfonds aufbauen, selbst aber kein Risiko mehr reinste cken. Warum werden die gefördert? Voodoo Jürgens wiederum, der unterhält eine Grup pe von 30 Personen oder so. Natürlich, er ist erfolgreich und kriegt genügend reingespielt –aber der ist ein Austrian Independent Business, dafür ist der Musikfonds da. Dass jedoch Mul tinationals wie Sony und Universal gefördert werden, das ist wirklich abgefuckt.

Mwita Mataro

Der in Salzburg geborene Musiker mit tansanischen Wurzeln wirkt seit 2010 als Frontperson der Indie-Partie At Pavillon. Seither unterstützt er Projekte rund um Initiativen wie Question Me & Answer und den Verein Afrikanische Diaspora in Österreich – mit Fokus auf Diversität im Sektor Kunst und Kultur. Zuletzt trat Mataro als Co-Regisseur und Protagonist des Dokumentarfilms »Austroschwarz« auf und kuratierte in diesem Zusammenhang Konzerte in Wien, bei denen Schwarze Künstler*innen Austropop-Klassiker coverten.

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— Alexander Lausch ES AUCH IN IMAX®

»Wenn wir von Popmusik sprechen, sprechen wir immer nur von den einzelnen Spitzen, von den Erfolgreichen.«

hauer. Und das Arge ist, dass ich zu der Über zeugung gekommen bin, dass da die Einstel lung vorherrscht: De mochn eh. Dann spielst halt ein bissi, und wenn du nicht mehr kannst, wird’s wer anderer machen. Wenn du aufhörst, wird es wen Neuen geben.

alexander: Das ist dann die »lebendige Szene«. birgit: Genauso wie bei den Locations, die wir ja alle brauchen, damit wir spielen können: Wenn das U4 sich nicht mehr rentiert, dann sperrt es zu. Dann ist es zwei Monate geschlos sen und dann gibt’s einen neuen Pächter, eine neue Pächterin. Das heißt, es ist total viel dem Markt überlassen. Der österreichische Staat hat sich nie dazu entschlossen, den Weg zu ge hen, den England, Frankreich, Schweden und Belgien gegangen sind. Zu sagen: Wir sehen das auch als sozialpolitischen Auftrag. Wir sehen das als wirtschaftliche Chance für unser Land. Und die Leute sollen nicht nur jubeln, weil bei uns einer schnell eine Skipiste hinunterfährt, sondern auch, weil wir den nächsten heißen Scheiß machen, zu den in den türkischen Dis cos getanzt wird. Diese Entscheidung hat es nie gegeben. Und genau da ist anzusetzen. Wir müssen klarmachen, welches Potenzial hier vergeudet wird. Diese Tausenden von tollen Leuten – egal wie alt, egal welche Farbe, egal welche Orientierung –, die Musik machen können, müssen wir fördern. Es gehört eine Grundabsicherung her, wie bei Sportlern über den Heeressport. alexander: Da muss man gar nicht darü ber diskutieren, dass man das bei der Kultur auch so machen sollte, weil in der Hochkultur ist es ja eh so. mwita: Es ist halt nach wie vor der Fall, dass die Hochkultur im Vergleich zur Popular musik stark gefördert wird. Dabei macht das keinen Sinn. Nur weil ein bestimmtes Genre mehr Geld abwirft?! veronika: Es ist im Endeffekt ein ideolo gischer Kampf. Es ist immer Anna Netrebko, die für vier Millionen Euro in die Oper kommt. Es ist der Gabalier oder sonst wer, so lange es nicht die anderen sind – und die Popularmusik ist in Österreich das andere. Das ist das Pro blem, das sich auch nach Falco nicht geändert hat. Und es wird sich auch mit Bilderbuch und Wanda nicht ändern.

veronika: Musik machen geht nur, weil andere es mit dir gemeinsam machen, weil irgendein Jürgen in Krefeld in seinem auto nomen Zentrum gesagt hat: »Klar, Donners tagabend machen wir euer Konzert. Es gibt Spritgeld, und wenn an der Tür noch was reinkommt, kriegt ihr das obendrauf. Es gibt veganen Eintopf, Schlafen auf der Bühne.« Und deshalb sind wir als Gruppe hier und reden von unseren vielen Strategien, die wir gefunden haben, to make it work. Es geht immer um die Gemeinsamkeit, um die Zusammenarbeit. Pop existiert in dem Sinne nicht mehr durch wirt schaftliche Prägung, sondern eigentlich nur durch Appeal und durch Anschlussfähigkeit von vielen verschiedenen Ecken. Österreichi scher Pop, wo bist du?

birigt: Ich bin in einer tollen Situation mit meinen 51 Jahren: Ich verkauf CDs. Wir haben ein Publikum, die drücken dir bei 18 Euro Ein tritt einen 20er in die Hand. Die haben Geld, sind so alt wie ich. Zur Popmusik gehören mitt lerweile halt auch 70-Jährige dazu. Und das sind die, die dieses Werkl irgendwie am Lau fen halten. Das sind die, die ihren Enkelkindern das Geld geben, damit sie sich die nächste Auf nahme leisten können. Diese musikverliebte Generation, die jetzt zwischen 50 und 80 ist. Ich bin neugierig, was passiert, wenn es die mal nicht mehr gibt.

Und dass dabei alle mitmachen, das ärgert mich.«

»Das Business der Major-Labels ist Raubtierkapitalismus.

— Veronika König

016 Also seid ihr pessimistisch, dass sich die Förderstrukturen zugunsten von Popularkultur verändern könnten?

Birgit Denk

ich irgendwo für umsonst spiele. Irgendwann hat das aufgehört. War’s das Streaming oder MP3? Keine Ahnung … Teilweise muss ich mit den Jungen richtiggehend streiten, weil ich ih nen sage, dass sie sich von 47 Likes oder ihren Follows nichts kaufen können.

veronika: Und Metal-Fans! Ich weiß nicht, ob du das auch so erlebst? Aber wenn Leute bei mir Merch kaufen – und zwar so richtig –,

veronika: Birgit hat’s gesagt: Was zum Beispiel der Austrian Music Export und Mica machen, was auch die Gremien bei der SKE machen – da sitzen überall Leute, die Lei denschaft für Musik haben und die österrei chische Musikszene haben. Aber die ziehen zu viert dieses riesige Paket. Und sie können es nicht ziehen, weil es dem Staat nicht ein fach nur egal ist, sondern es wird auch noch mit rigorosen bürokratischen Hürden dage gen gearbeitet, dass Menschen das irgendwie schaffen, die nicht bereits österreichisches Beamtendeutsch sprechen. birgit: Es gehört einfach staatlich, aus ide ologischen Gründen bestimmt, dass man Po pularmusik fördern will. Alles andere kommt dann von alleine. alexander: In Wien beginnt jetzt die Pha se nach der Pandemie, wo es viel Kulturange bot gratis gibt. Das ist nochmal eine zusätzliche Entwertung. Eine Abwärtsspirale. Da war ich jetzt eh schon beim Donauinselfest und als Nächstes geh ich noch aufs Popfest – dann hab ich eh alles gesehen. Warum soll ich um 30 Euro, äh, um 7 Euro ins B72 gehen, wenn ich gratis auch irgendwo hingehen kann? birgit: Als wir angefangen haben, da wäre ich von den Kolleg*innen geschimpft worden, obwohl mich noch keiner gekannt hat, wenn

veronika: Das ist die Klassenfrage. Es gibt Leute, die können sich’s einfach leisten für ein Konzert nichts zu nehmen. Für mich hat das nie aufgehört. Ich sag Veranstalter*innen, wenn sie mir ein freches Angebot machen, dass es ein freches Angebot ist und dass ich es na türlich nicht annehmen kann, auch wenn ich die 300 Euro für meine Miete bräuchte. Man muss die Solidarität haben, nicht für 0 Euro zu spielen. Aber Leute, die sich’s leisten können, denken darüber nicht nach.

Seit der Jahrtausendwende steht die Dialektsängerin an der Spitze der nach ihr benannten Band Denk. Bis 2006 parallel zum Brotjob als Sozialpädagogin, danach aufgrund von diversen anderen (semi-)musikalischen Engagements hauptberuflich. Von 2014 bis 2021 moderierte Denk sieben Staffeln der Late-Night-Musikshow »Denk mit Kultur« auf ORF III. Außerdem war sie jahrelang Teil der Förderjury der SKE. 2019 erhielt sie von ihrer Geburtsstadt Hainburg an der Donau das Goldene Ehrenzeichen für besondere kulturelle Verdienste im Bereich Musik.

mwita: Ich möchte noch etwas zum The ma Bildung sagen: Keiner hat uns zum Beispiel gesagt, was du alles brauchst, um Musiker*in zu sein. Du brauchst einen Steuerberater, du musst dich mit Jus auskennen, im Mar keting. Die Unterhaltungsindustrie ist sehr intransparent und solche Dinge sollten den Kids schon in der Schule beigebracht wer den. Wie viel verdienen Musiker*innen oder Schauspieler*innen? Viele junge Menschen glauben, der einzige Weg, erfolgreich sein zu können, ist, sich bei so einer depperten Ca stingshow zu bewerben. Das ist aber nicht der Fall. Alle, die nachhaltig von Musik leben, müs sen es irgendwie anders schaffen.

alexander: Der schlummert im Unter grund und ersauft im Ellbogengemenge? Wenn wir von Popmusik sprechen, sprechen wir im mer nur von den einzelnen Spitzen, von den Erfolgreichen, weil immer geglaubt wird, du musst genau diese eine Sache machen, damit du dorthin kommst. Wir als Schaffende und Arbeitende wollen aber einfach unsere Miete bezahlen. Wenn ich mit 40 durchbreche, ist es auch okay, aber es ist nicht mein oberstes Ziel.

birgit: Die kaufen dann von Mastodon die zweite Platte, weil sie grün ist.

mwita: Genau. Es kann nicht sein, dass die meisten FM4-Stars weiß sind. Weil Österreich ist divers, ist vielfältig – und das ist etwas sehr Politisches. Wenn es in einem Line-up oder in den Charts keine Vielfalt gibt, dann gibt’s auch keine Migrationskinder, die sagen: »Ich mach das jetzt auch!« Dafür fehlt das Bewusstsein. Der Staat müsste ein System schaffen, das auch nicht-weißen Österreicher*innen die Möglich keit gibt, Kunst zu machen.

veronika: Und weil sie von Subkultur erzogen sind, die Kunst wertzuschätzen. Das fehlt heute. Das Business der Major-Labels ist Raubtierkapitalismus. Und dass dabei alle mitmachen, das ärgert mich. Denn die Jungen wollen das eigentlich nicht. Die wollen nicht je den Tiktok-Star, den sie mal irgendwo gesehen haben, mit zehn Songs auf Spotify hören. Die Jungen wollen Musik, die von Musiker*innen gemacht ist. Aber Leute in irgendwelchen Bü ros denken sich, krass, ein Anglerhut und so Trap-Beats – das ist voll geil gerade. Aber auch Tattoos und Punk. Es fehlt die Wertschätzung, zu erkennen, was wirklich dahintersteckt, weil man nur sieht: Welche österreichische Band hat es in ein Flugzeug nach Los Angeles ge schafft. Das ist so eine österreichische Obsessi on: Ich hab es geschafft, übers Meer zu fliegen, und jetzt geht’s los – und danach passiert nix. Was in Österreich passiert, ist nur etwas wert, wenn es irgendwohin exportiert wird. birgit: Ganz viele erfolgreiche österrei chische Acts sind auch nur deshalb in Öster reich erfolgreich, weil sie zuerst in Deutsch land erfolgreich waren. Erst dann haben sich die Radiostationen getraut, sie zu spielen. Das war schon beim Falco so. Das ist offenbar un sere Geschichte.

veronika: Es ist im Endeffekt ja wirklich ein warenfetischisierender Vorgang, wenn du für deine Herkunft, deine Hautfarbe oder so vorne an den Karren gespannt wirst. Das ist keine Wertschätzung, das ist auch keine Platt form, kein Statement. Du wirst fetischisiert.

mwita: Genau, das Programm »QM&A on Stage« als Teil der Initiative Question Me & Answer. Ein Anfang, um Musiker*innen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung mit etablierten Gatekeeper*innen aus der Mu sikbranche zu connecten. veronika: Und dann gibt’s noch das Pink Noise Camp, wo Musikbildung für alle Gender, aber mit dem Fokus auf Mädchen gemacht wird. Und all das muss es von uns für uns ge ben? Aber eigentlich sollte so etwas der Staat bezahlen. alexander: Ich finde es super, Veronika, wie du das zusammengefasst hast mit Visibility Politics. Meine Partnerin ist als Sängerin tätig. Sie ist Tunesierin und sträubt sich dagegen, das anzuzapfen.

Alexander Lausch Mit seinem Rocktrio Lausch veröffentlichte der Musiker, Studiotechniker und Produzent seit der Formierung 2005 unter anderem fünf Studioalben. Nachdem Lausch 2003 seine Ausbildung zum Tontechniker am SAE Wien abgeschlossen hatte, gründete er 2007 sein eigenes Tonstudio namens Listencareful, das er zusammen mit seinem langjährigen Musikerkollegen Marc Bruckner seit 2010 in Hernals betreibt. Hier gaben sich bereits Bands und Musiker*innen wie Steaming Satellites, Good Wilson, Chick Quest und Mira Lu Kovacs die Klinkenstecker in die Hand.

GotterAlex

veronika: Ich komme ja aus Deutschland. Und man ist nicht klar Deutscher, wenn man irgendwie links ist. Es ist ein zutiefst rassisti sches, nie entnazifiziertes Land. birgit: Das ist in Österreich nicht anders … veronika: Österreich ist auch ein zutiefst rassistisches Land – systemisch, kulturell. Aber gleichzeitig genießt es die Vielfalt der Kulturen. Es schmückt sich damit. Es wird dann auf je dem Plakat gezeigt, wie viele Leute welchen Hintergrund haben. Aber Visibility Politics ohne Politics, die dahinterstehen, das ist natür lich die Falle schlechthin. Und da kann ich mir vorstellen, dass du dich ordentlich verarscht fühlst, Mwita. Sich diese Visibility-Falle anzu gucken ist natürlich wichtig. Man muss große Resistenz beweisen, auch dann weiter Musik zu machen, das auch immer auszuhalten.

mwita: Ich merke es bei anderen PoCKolleg*innen, die es nicht geschafft haben. Al les Solo-Acts. Das heißt: Die mussten dann alle Entscheidungen selbst treffen, was sehr zach ist, weil du halt nicht so ehrliches Feedback bekommst. Wenn du in einer Band bist, bist du in so einer safe bubble veronika: Du hast ja auch eine Initiative gegründet, die sich dem annimmt und eine Plattform bietet für migrantische und PoCKünstler*innen.

sind es immer Metal-Fans zwischen 35 und 55, die einfach einen Job und die Kohle haben. Die kommen auf ein Konzert und sind bereit 80 Euro auszugeben. Die sagen: »Ich will das T-Shirt, ich will die Platte, ich will alles signiert haben.« Weil Musik ein Hobby ist, das man sich leisten können muss, wenn man diese Person ist, die zum Merch kommt.

alexander: Und mit jedem Erfolg, den wir in Österreich haben, wird das anscheinend noch schlimmer. Ich hab ja sehr viele junge Musiker*innen bei mir auf der Couch sitzen. Von denen werde ich aber nicht als Musiker wahrgenommen, der es geschafft hat, sondern als einer, der es nicht geschafft hat. Durchzu brechen nämlich. Einen Erfolg wie Wanda oder Bilderbuch zu haben. mwita: Ich wollt noch ein anderes Thema aufgreifen, und zwar die fehlende Diversität in der österreichischen Musikbranche. Aus ei gener Erfahrung als Migrationskind weiß ich, dass sich das Musikmachen nicht jeder leisten kann, es ist sehr teuer. Ich hab mich auf Festi vals und Konzerten immer gewundert, warum ich der einzige nicht-weiße Österreicher war. Und oft noch immer bin. Und es war dann für mich irgendwie klar: Die meisten Menschen entscheiden sich dafür, einen Job zu finden, der fix Kohle bringt, und nicht irgendein un realistisches Musikprojekt zu starten. Man muss es sich also auch leisten können, Musik zu machen?

alexander: Weiter geht es mit der Sozi alversicherung. Viele Musiker*innen mit mi grantischem Hintergrund wissen ja gar nicht, dass es eine zusätzliche Versicherungsleistung 017

veronika: Das ist auch mein Krieg mit den Majors. Weil die sich genau dafür entschieden haben und nicht für Künstler*innen. Sie haben sich dafür entschieden, für diese Scheiße ein zustehen. Plays zu drücken oder einfach nicht auszuzahlen, obwohl sie passiert sind, FakeKünstler*innen zu erstellen … mwita: Und trotzdem machen wir alle mit. Die heimische Musikszene hat sich in den letzten 10, 15 Jahren recht gut entwickelt. Also mit Beispielen wie Bilderbuch, Wanda oder Soap & Skin. Ist das für die gesamte Szene positiv oder ist es so, dass die Kon zentration nur auf den Spitzen liegt?

veronika: Wie kann es sein, dass du eine halbe Million Hörer*innen im Monat hast und am Ende kaum Geld siehst? Findet man sich damit ab, dass es so ist, oder glaubt ihr, es könnte besser werden?

018 über die SKE/LSG gibt. Wissen nicht, wo muss man hingehen, wo muss man sich da melden. Zusammenfassend: Man muss die Möglich keit bieten, dass alle Zugang haben zum Musikmachen und sich selbst an dieser Stelle sehen können?

GotterAlex

alexander: Also ich muss da widerspre chen. Die österreichische Musikszene hat sich nicht gut entwickelt. Das ist einfach dieser Survivorship Bias. Man schaut sich die paar Erfolgreichen an und sagt: »Da muss ja voll viel passiert sein.« Aber im Gegenteil. Das sind alles Acts, die aus prekären Situationen heraus das Glück hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es sei ihnen natürlich gegönnt!

Veronika König Auch wenn sich Veronika König mit ihrem Alias Farce mittlerweile vom Untergrund in diverseste Charts und auf internationale Festivalbühnen gespielt hat, hält sie es nach wie vor DIY. Aufgewachsen im Schwarzwald, tauscht sie das Black-Metal-Projekt beim Umzug nach Wien gegen die Arbeit als Solo-Noise-Pop-Künstlerin. Dieses Jahr veröffentlichte die 25-Jährige mit »Not to Regress« ihr drittes Album und sie blickt nach relativ kurzer Zeit als Musikerin auf Kooperationen mit Soap & Skin, Wolfgang Möstl und Æther Kombo zurück.

veronika: Visibility ist halt nicht genug. Man muss sich nicht nur sehen können und sich deshalb vorstellen können, dass es gehen soll, sondern es muss auch gehen. Es kann nicht nur die Geschichte von Mwita sein, der sich darüber hinweggesetzt hat und das mit seinem Talent und mit seiner Leidenschaft trotz allem gemacht hat. Es kann nicht im mer die Einzelgeschichte, nicht immer die Wunderkindgeschichte sein. mwita: Da sind die Deutschen schon sehr gut am Start. veronika: In Deutschland gibt es halt die Jugendhäuser, wo es immer einen Sozialarbei ter gibt, der Geld hat, um Konzerte zu veran stalten. So hab ich in meine ersten Auftritte mit meiner damaligen Band bekommen. birgit: Das nächste Problem ist dann, wenn die Jugendlichen vor der Tür stehen nach dem Konzert und sich eine Zigarette anrauchen. Da gibt’s sofort Ärger mit den Anrainer*innen … Veronika, du hast eine sehr kritische Positi on gegenüber Major-Labels. Allgemein ge gen Labels und vergleichbare Strukturen? veronika: Allgemein Labels nicht, aber Major-Labels auf jeden Fall mwita: Ich auch. Habt jemand von euch positive Erfahrun gen in diesem Bereich? birgit: Wie ich angefangen habe, war es ein Ritterschlag, wenn du bei einem Major warst. Ich war bei Universal Österreich, mit einem Vertrag über drei Alben. Also ich bin nicht die Austro-Pop-Generation, in die noch wirklich Geld hineingesteckt worden ist, wo die A&Rs sich nächtelang mit den Künstler*innen überlegt haben, wie sie tun wollen. Für mich war das aber ein sehr wichtiger Türöffner, um die Szene kennenzulernen. Ich glaube jedoch nicht, dass das, was ich jetzt von damals erzäh le, noch in irgendeiner Art und Weise mit dem zu tun hat, wie es heute rennt. veronika: Ich sehe, wie Majors sich ver halten, ich sehe, dass sie nicht mehr das ma chen, was sie mal gemacht haben. Deshalb ist es für mich auch nichts, nach dem man streben sollte. Wenn das anders wäre, wäre ich auch anders eingestellt. Ich verteufle es nicht aus Prinzip, sondern es geht einfach drum, wie sie agieren, und auch um die Art von Kunst, die sie fördern. Mit der kann man bei mir nichts holen. Auf welchem Weg, mit welchen Produkten verdient ihr substanziell Geld mit eurer Musik? Birgit, du hast gesagt, du verkaufst noch CDs. birgit: Damit verdien ich aber kein Geld, weil ich das in die nächste CD-Produktion ste cke. Das Geld, das ich verdiene, ist von LiveAuftritten. Und zwar zu 99,9%. veronika: Und von Tantiemen, wenn’s rennt. alexander: Alles andere ist Beiwerk. Und wie ist es mit Spotify? veronika: Spotify bringt nichts ein. Egal auf wie vielen Playlists du bist. alexander: Es ist ein bisschen wie eine Gewista-Plakatwand. Im Hintergrund haben halt ein paar Leute eingezahlt, damit das halb wegs läuft und der Algorithmus angestachelt wird. Aber das war’s. Ich hab Künstler*innen, die haben fünf Millionen Streams – das finan ziert dann einen Teil ihrer nächsten Produktion.

Bitte

— Mwita Mataro

birgit: Ich glaube, das mit diesem posi tiven Hype ist so, dass plötzlich wieder Bands da sind, auf die die Österreicher*innen stolz sein können. Also dass man sich nicht genie ren muss, dass man die hört. Finanziell ist es nicht wirklich besser geworden. Das weiß ich auch noch von der Generation davor, die sich ja mittlerweile eh selbst als die goldene Genera tion bezeichnet. Wo auch No-Names, Musiker, die heute keiner mehr kennt, und ich bleib ab sichtlich in der männlichen Form, gutes Geld verdienen konnten. Die leben jetzt noch von den Tantiemen, weil halt »Du entschuldige, i kenn di« noch immer auf Radiostationen rauf und runter gespielt wird – auch in Deutschland. veronika: Die Industrie ist vermottet und beschissen. Aber die Szene ist da. Die Musik ist da. Der Wille ist da. Aber natürlich gibt’s da ein Nadelöhr. alexander: Der Markt wird’s regeln … veronika: Selbst Mavi Phoenix, der wirklich einen Moment hatte, wo findet der in Österreich noch groß statt? Wo ist seine Verwertungsmöglichkeit? Ich bin von seiner Musik gar kein Fan, aber wenn ich sehe, dass jemand so fallen gelassen wird, weil er sich outet, ärgere ich mich. alexander: Es muss halt alles auch schön international klingen. Na sicher! Was soll denn das heißen, etwas klingt international? Wenn ich das schon höre … birgit: Das ist wieder unser komisches Selbstbewusstein.

Manuel Fronhofer, Sandro Nicolussi, Andrea Pfeiffer (Mitarbeit) 019 zu Tisch! Unser Roundtable über die fandLebensrealitätökonomischevonMusikschaffendenimSeminarraumdesösterreichischenMusikinformations­zentrumsMica–MusicAustriastatt.

weißMigrationskindErfahrungeigeneralsich,dasssichdasMusikmachennichtjederleistenkann.«

veronika: Ich kann’s nicht als sicheren Berufszweig empfehlen, aber ich kann oh nehin keinen Berufszweig empfehlen, weil man ja nicht mal weiß, wie man der näch sten Generation die Welt hinterlässt. Also, würde ich in der Jobberatung jemandem sagen, werde Musiker*in? Wahrscheinlich nicht. Aber ich würde sagen, wie ihr alle: Musik ist ein menschliches Grundbedürfnis, sie ist Kommunikation – Klang zu erleben, zu erzeugen und das auch gemeinsam. Von da her: Ja natürlich, jede und jeder soll Musiker*in werden und je unverwertbarer desto besser ei gentlich. Weil auch Musik Widerstand ist und es ganz wichtig ist, auch dieses Potenzial zu nutzen. Und bin ich in zehn Jahren noch Mu sikerin? Wenn ich darf und meine Fähigkeiten behalten kann, ja natürlich.

»Aus

alexander: Ich hab immer wieder Schul klassen bei mir, und denen sag ich immer, dass man gemeinsam kreativ arbeiten kann und dass es nicht immer nur ums Business geht. Natürlich, man muss es auch ernst nehmen und es ist auch Business. Das heißt Steuern, Versicherungen und so. Aber wenn man ein re alistisches Bild davon hat und man trägt diese Not in sich, Kunst zu schaffen, dann: Go for it! Die zweite Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Das hab ich in den letzten paar Jahren für mich herausgefunden. Das ist das Ziel. Wenn meine Ohren funktionie ren, dann kann ich gar nicht aufhören. Jeder zusätzliche Tag, so wie heute, so viel coole Inputs – das will ich nicht missen.

Zum Abschluss noch zwei Fragen: Würdet ihr jungen Leuten empfehlen, Musiker*in zu werden? Und werdet ihr selbst in zehn Jahren noch Musiker*in sein? mwita: Also zur ersten Frage: Ja, go for it! Der Frontman der Idols hat mal in einem In terview gesagt, wenn man sich kreativ auslebt, ist das eine Art spirituelle Erfahrung. Das finde ich gut. Und diese Erfahrung würde ich jedem wünschen, so ein Ventil zu haben, sich selbst ausdrücken zu können. Werde ich in zehn Jahren noch Musik machen? Voll! Ich war 14 Jahre lang so im Korsett in einer Band, dann kam Corona und jetzt werde ich immer offener und offener dafür, mit anderen zusammenzu arbeiten. Es macht Spaß, wieder mit anderen Leuten abzuhängen, mit anderen Leuten zu proben. Diese musikalischen Erfahrungen sind Gold wert, sie steigern meine Lebensqualität. birgit: Ich kann beide Fragen gleichzeitig beantworten, weil: Man ist Musiker*in. Punkt. Und man kann sich dann entscheiden, dass man noch was anderes macht, damit man Geld verdient – und zwar mit 15 oder mit 61 –, aber man ist Musiker*in. Fertig. Und das sucht man sich auch nicht aus. Man ist es. Und wenn die Gesellschaft will, dann schaut sie, dass Men schen das auch sein können. Oder eben nicht.

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Inhalt und Form

»Party mit Hexe« ist ein zusammenhängendes System, in dem der kleinste Teil das Ganze bedingt. Das System speist sich dabei nicht nur aus sich selbst, sondern rechnet das betrachtende Auge mit ein – das Auge, das schließlich die Perspektive und damit die Form des Körpers definiert. In diesem Fall in der Mehrzahl: die Augen, die die Perspektiven definieren. Ein Anzeichen dafür sind die vielen Augen, die einem aus dem Bild zurückblicken. Und so wie also jedes Bild von etwas einen Standpunkt (oder viele) impliziert, kann sich auch keine Beschreibung einer Positionierung verwehren. Jeder Bericht ist eine Auswahl – und in der Wahl liegen Deutung und Stil. Ein Gegenstand verändert sich, je nachdem, unter welcher Beschreibung er erfasst wird (Elizabeth Anscombe, »Under a Description«). Das ist eine Einsicht, die unsere Wahrnehmung von Welt im Grunde bloß spiegelt, durch die offene Aussprache aber folgenreich ist: Jeder Blick ist gerichtet. Jedes Bild bildet ab – und bildet selbst. Jede Beschreibung interpretiert. Niemand bleibt neutral. Victor Cos Ortega Anna Schachinger, geboren 1990, lebt und arbeitet in Wien. 2018 hat sie die Akademie der bildenden Künste mit Diplom abgeschlossen. Eine Auswahl ihrer Werke ist derzeit unter dem Ausstellungstitel »Aneinander« in der Galerie Sophie Tappeiner zu sehen. Sie zeichnen sich durch eine Beschäftigung mit explizit malerischen Möglichkeiten aus und verarbeiten unter anderem den zeitgenössischen Diskurs rund um Identitätspolitik.

Die Galerie Sophie Tappeiner zeigt derzeit Arbeiten der Wiener Künstlerin Anna Schachinger. Ein ausgeklügeltes System an kompositorischen Ausfallschritten hält die Dynamik der ungleichen Bild gewichtung und komplexen Räumlichkeiten in stetem Fluss. Formal bemerkenswert. Dahinter ver birgt sich eine Theorie von Wahrnehmung, die auf den ersten Blick nicht deutlich wird. Über den Zusammenhang von Inhalt und Form, bezogen auf Bild und Text. ———— Inhalt und Form – was oft als alternativloses Gegensatzpaar angeführt wird, ist tatsächlich eine etwas starre Vereinfachung. Inhalt und Form, subject and style (Susan Sontag, »Against Interpretation«) sind so einfach nicht zu trennen. Was nicht heißt, dass eine Beschreibung diese Unterscheidung nicht machen darf – man kann ja nicht alles auf einmal sagen. Ein Bild dagegen kann alles auf einmal sagen. Denn: Sprache braucht Zeit, Sehen braucht keine. Trotzdem gibt es auch Bilder, die das Pärchen zu trennen suchen. Oft zeigt sich das darin, dass einer der beiden Partner »natürlich« belassen ist oder vernachlässigt zu sein scheint. Dass also eine »unge künstelte« Darstellungsart angestrebt ist. Gar nicht so einfach, denn es ist wie mit dem rosa Elefanten: Man denkt erst recht an ihn. Das Problem ist, dass es ein »natürlich« nicht gibt. Die Versuche, so etwas zu finden, haben deshalb immer etwas Tragisches – jeder Versuch, ohne Stil zu berichten, ohne Aussa ge zu sprechen, ist eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Ouroboros, Sisyphos, zum Scheitern verurteilt. Das Paradox ist, dass einige dieser Versuche beeindruckende Kunstwerke hervorgebracht haben. Zum Beispiel die Strategien der Moderne, die die reine Visualität im Sinn hatten (»abstrakte Malerei«) bzw. sich in reinen Statements aufzulösen versuchten (»Konzeptkunst«). Es gibt aber auch eine weitere Gruppe von Bildern. Bilder, die die gegenseitige Abhängigkeit von Inhalt und Form hervorkehren und sie mit Nachdruck miteinander verkoppeln. In denen die doppelten Funktionen von Linien, Flächen zu begrenzen und Räume zu zeichnen, in Konflikt ge raten. In denen Farbflächen nicht nur ihre Vorbilder mimen, sondern Eigenständigkeit annehmen und Selbstwert haben – als Farbe, als Form. Zu dieser Art Bilder gehört Anna Schachingers »Party mit Hexe«. Man erkennt vereinzelt Fragmente von Körpern und Fetzen von Farbe – kann beides aber nicht eindeutig Bildteilen zuordnen, weil jeder Teil beides ist. Ein Teil beginnt als fünf Finger einer Hand und driftet ab zur amorphen Figur, stößt als konkav geformtes Gelb in den Vordergrund und wird schließlich von Braun überschwemmt. Wo beginnen, wo enden Hintergrund und Figur? Nichts ist opak, und trotzdem ist nichts zu durchblicken.

TappeinerophieSGalerie/MochiPeterFoto:(2022),Hexe«mit»PartySchachingerAnna Kunst

Golden Frame Zeitgenössische

In Wahrheit muss das Bild als Plural gesehen werden. Weder Perspektive, Raum, noch Zeit sind einheitlich gedacht. Als Einheit bleibt allein die Ebene der Leinwand, das dafür extrem. Die Farben sind ihr ohne Kreidegrund, verdünnt, direkt eingeschrieben. Die Grenze zwischen Bildträger und Farbe ist aufgehoben, Pigment ist Leinen und Leinen ist Pigment.

Anna

»PartySchachingermitHexe« 021

im angemessenen Rahmen

Wie Tiktok die PopLandschaft verändert

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Stephanie Hübel, Gründerin Viral Social Club

»Sounds sind die neuen Hashtags«

Die Video App Tiktok gibt ein schwindeler regendes Tempo vor. Wer sich als Musiker*in darauf einlässt, muss mit geänderten Rahmenbedingungen zurechtkommen. ———— Es ist ein heißer Augustabend in Wien – 2019. Im Flex steht Mitski auf der Bühne und im Publikum stehen Menschen in ihren 20ern und 30ern, die dem Indie-Darling huldigen. Nichts deutet darauf hin, dass ein halbes Jahr später die Welt Kopf steht. Oder dass das Publikum beim nächs ten Wien-Besuch der Musikerin keine Tickets mehr bekommen wird, weil das Konzert im Nu ausverkauft ist. Was ist da passiert? Die Erklä rung für den Hype um Mitski steht 2022 schon mittags im WUK Schlange. Es sind Jugendliche, die in Gruppen oder in Begleitung ihrer Eltern angereist sind, mit viel Eyeliner und in 90erRevival-Mode gekleidet. Sie haben Blumen für die Künstlerin mitgebracht und eine Playlist für die Wartezeit, die unbeeindruckt von tradi tionellen Genrezuschreibungen alles abdeckt, was zwischen Lana del Rey und Harry Styles Stimmung macht. Für viele von ihnen ist es ihr allererstes Konzert. Sie haben Mitski während der Pandemie nicht im Radio, auf Youtube oder Spotify entdeckt, sondern auf Tiktok. Die App des chinesischen Konzerns Bytedance ist mit über einer Milliarde aktiven User*innen aktuell die tonangebende Plattform. Stefanie Hübel ist ehemalige Tiktok-Mit arbeiterin. Sie hat in Berlin Unternehmen zum Start ihrer Tiktok-Channels beraten und mitt lerweile in Wien die Agentur Viral Social Club gegründet. Und sie findet, dass man den Ein fluss der Plattform auf die Gesellschaft derzeit gar nicht überschätzen kann: »Wenn du die Jugendlichen auf der Straße anschaust – jeder Modetrend, jeder Musiktrend – alles kommt von Tiktok. Das ist eine Jugendkultur, die ich so noch nicht gesehen habe.« Was unterschei det das neue Leitmedium von den vorangegan genen Social Media des Web 2.0? Zum einen, dass die Eigenwahrnehmung gar nicht die eines Sozialen Mediums ist. »Tiktok ist eine Entertainment-Plattform. Da finden Dinge statt, die nicht auf Instagram passieren. Tiktok ist eine Riesencommunity«, meint Hübel und streicht damit hervor, dass nicht Updates der eigenen Freund*innen im Vordergrund stehen, sondern das, was global angesagt ist und der Algorithmus auf Basis der individuellen Inte ressen der User*innen in den Start-Screen, die sogenannte For-You-Page, spült. Wer in der App erfolgreich sein will, muss kurze, knackige Videos posten, die ab der ersten Sekunde fesseln, denn die nächste »Creation«, der nächste »Tok« sind nur ei

nen Swipe entfernt. Wer witzig ist, ist klar im Vorteil. Das können User*innen wie Toxische Pommes, Wurstaufschnitt, Bruman Rockner und Satans Bratan bestätigen, die mit ihrem satirischen Blick auf Österreich und seine diversen Communitys regelmäßig viral ge hen. Aber auch für Musiker*innen gibt es Möglichkeiten aufzufallen: »Jedes Video hat einen Sound hinterlegt. Die App ist einfach soundlastig. Man kann sagen, dass Sounds die neuen Hashtags sind«, so Hübel. Vor dem Rebranding hieß die Plattform gar Mu sical.ly und war vor allem für Lip-Sync- und Choreografie-Videos bekannt. How to viral? Diesen Umstand machen sich etablierte Acts wie Lizzo zunutze, die ihre Neuveröf fentlichungen neuerdings mit eigens für die Community maßgeschneiderten Choreos zu passend ausgewählten Song-Snippets promoten. Richtig spannend wird der Algo rithmus aber erst, wenn die viralen Momente nicht von den eh schon Berühmten kommen, sondern von unbeteiligten Dritten wie dem User Nathan Apodaca, der im Alleingang den Fleetwood-Mac-Song »Dreams« 43 Jahre nach seiner Veröffentlichung zurück in die Charts katapultierte. Er hatte damit ein Vi deo untermalt, in dem er im Morgengrauen Skateboard fährt und Cranberrysaft trinkt, und so wohl einen Nerv getroffen. Stefanie Hübel meint dazu: »Dieses Video war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Du musst gar keine Absicht haben und plötzlich ist der Song wieder in den Charts und das Getränk in allen Supermärkten ausverkauft.«

Domiziana kann die virale Tiktok Choreo zu ihrem eigenen Song nicht tanzen –aber wusste sie auch wirklich nichts davon?

creenshot)(S@iam.domiziana/TiktokEhm,Ian

Wenn ein Act dem Tiktok-Marketing zu stimmt, kann dabei so eine Erfolgsgeschich te wie die von Gayle rausschauen. Mit der Nummer »abcdefu« schaffte die Newcomerin es an die Spitze der weltweiten Singlecharts. Begonnen hat ihr Siegeszug mit der schein bar spontanen Frage einer Userin, ob sie einen Trennungssong schreiben könne, in dem das Alphabet vorkommt. Die oddly specific Vor gabe beantwortet die Sängerin mit einem »I got you« und stimmt den bereits perfekt aus komponierten Hitsong an. Später stellte sich freilich heraus, dass die Userin mit der witzi gen Idee nicht irgendeine Followerin, sondern Mitarbeiterin ihrer Plattenfirma war. Und dass der Zauber eines authentisch wirkenden Geistesblitzes durchaus geplant werden kann. Fehlende Ehrlichkeit Auch im deutschsprachigen Raum gibt es mittlerweile Labels, die virale Tiktok-Strate gien entwickeln, um ihren noch unbekannten Artists zum Durchbruch zu verhelfen. Sie halten sich dabei schön im Hintergrund, da mit alles ganz organisch wirkt. On the record sprechen möchte man darüber aber nicht. Das würde wohl den Zauber entlarven. Was für Lizzo funktioniert hat, hat auch die Berliner Künstlerin Domiziana zuerst an die Spitze der Tiktok-Trends und von da in die höchsten Ränge der Singlecharts gebracht. Ihre Debütsingle »Ohne Benzin« wird von ihrem Label als von Hyperpop be einflusster Clubkid-Sound vermarktet. Für Tiktok hat man eine »1,1x Speed Version« produziert und einen mit Bedacht gewähl ten Songausschnitt zur Nutzung auf der Plattform freigegeben. Die offizielle Version der Geschichte geht so: Nicht näher genann te User*innen verbreiten eine Choreo dazu und über Nacht wird die Nummer zum vi ralen Hit, der den Soundtrack für mehr als 100.000 Kurzvideos liefert. Wie zum Beweis, dass das alles gar nicht geplant war, macht schließlich auch Domiziana selbst den Tanz nach. Untertitel: »Du hast den Song rausge bracht aber kannst nicht dazu tanzen.« (sic!) Nur wird in dem Narrativ ein Detail weg gelassen, nämlich dass die virale Choreo nicht von irgendwem, sondern von Marek Fritz gepostet wurde, seines Zeichens Influencer für Comedy-, Tanz- und Gen-Z-Content. Er wird von der Berliner Agentur Labs Manage ment vertreten und hat 1,4 Millionen Tiktok-

Aber was tun, wenn man noch nicht be rühmt ist und auch nicht auf den zufällig durch die Decke gehenden User Generated Content warten möchte? »Das ist die Lieb lingsfrage meiner Kund*innen«, erzählt die Tiktok-Beraterin Hübel. »Wie gehe ich denn jetzt viral und wie werden meine Videos ge sehen? Natürlich kann man das fördern, in dem man sehr viel und regelmäßig Content postet und auf Trends achtet. Aber so ein richtiges Erfolgsrezept gibt es nicht. Es ist ein Glücksmoment.«DieserMeinung ist auch Petra Albrecht, die beim weltweit zweitgrößten Major-Label Sony Music für die Vermarktung der lokalen Signings Granada, W1ze und Freude zustän dig ist und internationale Acts von Arcade Fire bis Robbie Williams betreut: »Ich kann einen viralen Moment oder ein Momentum nicht erzwingen. Was ja auch gut ist, weil eine gewisse Chancengleichheit herrscht, wenn du ein kreativer Kopf bist.« Das hindert freilich Künstler*innen und ihre Labels nicht daran, es trotzdem zu versuchen. Content­Maschinerie Manchen Musiker*innen geht genau das ge hörig gegen den Strich. Es sind nämlich nicht die Datenschutzverstöße, Spionagevorwürfe und Zensur auf der chinesischen Plattform, an denen sie sich stoßen. Acts wie Halsey und FKA Twigs beschweren sich darüber, dass ihre Labels ständig viralen Tiktok-Content verlangen. Derlei Vorwürfe würde die SonyProduktmanagerin Albrecht nicht gelten las sen. Zur Zusammenarbeit mit Artists sagt sie: »Wir sprechen Empfehlungen aus und entwi ckeln dann gemeinsam Content und Formate. Hier ist es wichtig, dass sich die Artists mit den Inhalten wohlfühlen und wir Hand in Hand und auf Augenhöhe zusammenarbeiten.«

»Thunder only happens when it’s raining.« Oder wenn Clips über Nacht viral gehen.

PhotographyRadon(Screenshot),@420doggface208/Tiktok

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Petra ProduktmanagerinAlbrecht,beiSony Music

Follower*innen. Und wo Influencer*innen mit Managementverträgen sind, ist Influen cer-Marketing nicht weit. Für eine derartige Reichweite fließt üblicherweise eine großzü gige Summe Geld. Lizzo, Gayle und Domiziana sind Erfolgs beispiele, deren Vermarktung auf Tiktok beson ders gut funktioniert hat. Die Videoplattform verändert aber längst nicht mehr nur in Einzel fällen die Arbeit von Labels und Musiker*innen. Ihr immenser Einfluss auf die Jugendkultur macht die App zum idealen Werbeumfeld. Für Petra Albrecht ist es daher ein weiterer Kanal, um ihre Sony-Acts zu platzieren: »Genauso wie bei anderen Plattformen kannst du Werbeein schaltungen machen und Posts boosten. Ich habe auf Tiktok aber auch neue Möglichkei ten der Promotion, man kann zum Beispiel die Duettfunktion nutzen, um mit anderen Leuten zu kollaborieren. Es ist eine sehr schnelllebige Plattform, die nach ständigem Monitoring ver langt. Das hat sich stark verändert.« Die Schnelllebigkeit des unersättlichen Algorithmus stellt nicht nur Halsey und FKA Twigs vor die Frage: Was hat die Fähigkeit, engaging Videocontent am Fließband zu pro duzieren, überhaupt noch mit dem Musik machen zu tun? Den Fokus weg vom Talent hin zur Selbstvermarktung, das Credo der Authentizität, die kurze Aufmerksamkeits spanne – all das hat Tiktok nicht erfunden, aber brutal weitergesponnen. Das ist zumin dest eine Sichtweise. Als jemand, deren Job Musikpromotion ist, hat Albrecht naturge mäß einen anderen Blick auf die Entwick lung: »Content zu erstellen war früher viel kompli zierter. Ein Artist kann heute dank solcher Plattformen Inhalte zunächst selbst erstellen und sich so gut eine Community aufbauen.« Freilich: »Es gibt auch Artists, die ohne Social Media durch die Decke ge hen. Aber Tiktok ist einfach ein Ding mehr, das man nutzen kann.« Astrid Exner Stefanie Hübels Agentur ist unter www.viralsocial.club zu finden. Petra Albrechts Arbeitgeber Sony Music Entertainment Austria ist auf Tiktok unter @sonymusic_at aktiv.

22. Juni bis 13. November 2022 Dorotheergasse 11, Wien 1 · So–Fr 10 – 18 Uhr · www.jmw.at Kultur LOVE KOSHERME HellerAndré©Aquarell: Elon Gold “Live” 31. August 2022, 19:30 Uhr GLOBE WIEN, Karl Farkas Gasse 19, 1030 Wien Der US-amerikanische Comedian und Schauspieler spielte in Bones – die Knochenjägerin sowie mit Larry David in Curb Your Enthusiasm. Aktuell ist sein Stand-upSpecial Elon Gold: Chosen & Taken auf Netflix zuEssehen.erwartet Sie reichlich jüdischer Humor, und vieles Ticketsmehr. via QR-Code & unter: www.globe.wien

026 Spitzt die Bleistifte, Tapes trenden wieder!

Underground Recycling Mit diesem Argument kann auch Andreas Has lauer etwas anfangen. Seit 2009 veröffentlicht der gebürtige Linzer über sein Non-ProfitLabel Epileptic Media vor allem Kassetten. Er überspielt dafür »Underground-Musik aus Österreich, Jazz, No Wave, Noise-Rock, TapeLoop-Wahnsinn oder hinnige Live-Mitschnit te«. Vor über zehn Jahren sei die Kassette ein Medium gewesen, das niemand gebraucht habe. »Für die meisten Menschen waren die Dinger Müll, für mich erfüllten sie hingegen eine Form des Recyclings, weil man sich kre ativ ausleben konnte, ohne viel Geld auszuge ben.« Haslauer habe deshalb permanent Floh märkte nach Sammlungen durchstöbert, die er für ein paar Euro zusammenkaufte. »In dieser Zeit hat sich meine Liebe zur Kassette entwi ckelt. So ein aufgewickeltes Band, auf dem die Musik drauf ist, das fand ich schon cool.« Mittlerweile hat Haslauer auf Epileptic Media dutzende Tapes veröffentlicht. Etli che davon sehen nicht nur unterschiedlich aus, sie klingen auch innerhalb einer Edition anders, weil er alte Kassetten selbst mit neuer Musik überspielt. Schließlich gibt es unzäh lige Typen von Tapes, ein unüberschaubares Sammelsurium aus über 50 Jahren Kasset ten-Geschichte. »BASF, Maxell und die von TDK waren damals meine Favoriten«, so Mel von Tender Matter. »Ich hatte kistenweise grob bespielte Mixtapes, alle voll mit Synthund Postpunk-Songs in rauschiger Qualität, trotzdem liebte ich sie.« Was früher Markennamen waren, sind heute Farben und Drucke der Kassetten. Bei größeren Herstellern wie T.A.P.E. Muzik

Andreas Haslauer bleibt lieber unerkannt, zeigt aber Selbstportäts her.

HaslauerChristianAndreasVermont,Marie

Ob Superstar oder Punkband – Künstler*innen veröffentlichen Musik wieder auf Kassetten. Auch in Österreich kurbeln Tape Heads mit DIY Ethos an den Spulen. Ein Überblick im Grundrau schen. ———— Was haben Billie Eilish, die neue Staffel von »Stranger Things« und ein Son derangebot bei Eduscho gemeinsam? Sie alle sorgen dafür, dass sich Spulen wieder drehen, denn: Die Kassette feiere – neben Vinyl und CD – ein Comeback. Heißt es seit mehreren Jahren von Punkbands wie Major-Labels, in Blockbustern und Serienschmafu – neben Fil terkaffee und Leinenpyjamas. Warum posen aber plötzlich 14-jährige Influencer*innen mit Musikmedien, die älter sind als ihre El tern? Wieso stauben immer mehr Mittdreißi ger ihre Kassettensammlung aus Kindheitsta gen ab? Und wer sorgt eigentlich dafür, dass immer noch neue Tapes erscheinen? Fragen, für die man in Wien schnell Antworten erhält, sobald man sich in dessen Tape-Szene umhört. Eine Szene, die aus einzelnen Personen, klei nen Labels und einem gedanklichen Überbau besteht: Do it yourself – mach’s einfach selbst! »Kassetten sind im Vergleich zu Schall platten oder CDs billig und vor allem einfach zu bespielen«, sagt Mel. Gemeinsam mit Tony betreibt die akademische Wissenschaftle rin seit 2019 das Wiener Tape-Label Tender Matter – eine »natürliche Erweiterung unse rer Veranstaltungsreihe The Future, die sich auf experimentelle elektronische Musik und queere Artists konzentriert«. Weil sich die Geschichte im Kreis bewege, sei es nur lo gisch, dass Kultobjekte wie die Kassette ihre Aura aus der Vergangenheit bewahren konn ten und in der Gegenwart erneut auftauchen. »Es ist ein Objekt, das für Underground und Anti-Mainstream-Musik steht«, so Mel. »Des halb interessieren sich immer noch Menschen für Kassetten, selbst wenn digitale Angebote längst einfacher, billiger und in höherer Qua lität zu haben sind.«

027 »Es ist wie eine akustische Wärmeflasche« Wie Kassetten uns in die Vergangenheit zurückspulen

»Es geht um Retro-Fi statt Sci-Fi«, sagt Marie Vermont. Als Künstlerin veröffentlicht sie in Wien Musik und Geräusche auf eige nen und anderen DIY-Labels, setzt visuelle Arbeiten um und druckt Bilder. Für Vermont werde gerade durch Retrospektive versucht, Kaufpotenziale zu gewinnen – mithilfe rück wärtsgewandter Emotionen einer Vergangen heit, die es nie gegeben habe. Eine Serie wie »Stranger Things«, die zeitlich in den 80erJahren angesiedelt ist und popkulturelle Phä nomene des Vergangenen repräsentiert, trägt dazu bei. Kate Bushs Song »Running up That Hill« schob sich nicht wegen, sondern trotz seiner Darstellung im Kassettenformat er neut in die digitale Boombox der Gen Z. Den Grund, weshalb sich immer mehr junge Leute nach »dem Objekt« sehnen, vermutet Mel von Tender Matter folglich in einem scheinbaren Verlust. »Wir vermissen die Aura, den Fetisch, die originellen Covers und ihre Greifbarkeit. Was ist der Reiz einer riesigen MP3-Biblio thek? Es gibt keinen, denke ich.« Einer, der schon länger nicht mehr durch digitale Playlists shuffelt, ist Lukas Löcker. Mit »Tape That« widmet der Linzer Multi mediakünstler der Kassette sogar eine Radio

Robertba

Compilations wie »Fadi The Sampler Linz« und »Tape Report« in Kleinstauflagen um die Welt und schufen ein wachsendes Netzwerk aus Künstler*innen und Musiker*innen. Linz entwickelte sich unter Dorninger zu einem Knotenpunkt für die Nischenkultur der Kassettist*innen. »Unsere Gebote lauteten: ›Tu es selbst, vernetze dich, beschränke dich auf kein Medium, verweigere jede Form von Einschränkung und erweitere immer deinen Handlungsraum‹«, so Fadi. Teilnehmen konn ten alle, Teil der »Cassette Culture« sei man allerdings erst gewesen, wenn man Kontakt zu anderen aufnahm und diesen auch hielt. Fanzines waren die Eintrittskarte, das In ternet steckte noch nicht mal in piepsenden 56k-Modems. Trotzdem konnte Kassettenver narrte wie Dorninger weltweit – gleich einem Schneeballprinzip – Tapes, Postkarten, Poster und weitere Fanzines austauschen. »Wenn ich ein Tape aus den USA bekam und es gefiel mir, ging eines von mir retour. Der Kontakt war unsere Währung. Ein paar Worte der Aner kennung die Bezahlung.« Sharing is caring Ein Ansatz, der 40 Jahre später und lange nach der Verbreitung des Internets noch im mer funktioniert. Und weiter auf Zuspruch stößt, selbst wenn dafür schon länger keine handgeschriebenen Briefe um den Globus flattern. Dominik Pilnáček von Urban Lurk nimmt in den letzten Jahren einen »Boom« im Kassetten-Underground wahr. »Es wird getauscht, gedubbt und verschenkt. Natür lich wird auch verkauft, es geht aber haupt sächlich darum, die Produktionskosten für Tapes und Covers wieder reinzubekommen.«

Das umschreibt den prekären Spirit der DIY-Kultur, in ihr weht die Attitüde des Unter grunds, eine von Idealismus getragene Über zeugung, die im Grundrauschen der Bandsät tigung aufgeht und die Kassette über all die Jahre am Leben hielt. Dass mittlerweile Super stars wie Adele, Billie Eilish oder Lady Gaga ihre Alben auch auf Tape veröffentlichen, lässt sich trotzdem nicht direkt auf die Schrulle des kollektiven Nischenspulens zurückführen. Es geht vielmehr um einen popkulturellen Trend, der Menschen vom ersten Milchzahn bis zur letzten Kukident-Tablette anspricht und zu einem globalen Trend geführt hat.

Schließlich verfolge man mit Labels wie Ur ban Lurk ausschließlich die Liebhaberei. Kas setten veröffentliche man nebenbei, abhängig von zeitlichen Ressourcen und finanziellen Möglichkeiten.

Mag auch die größeren Bänder: Multimediakünstler und Tape Show Host Lukas Löcker

Fetisch Nostalgie Schließlich weiß jede Person, die alt genug ist, um sich an den letzten Hit von N’Sync erinnern zu können, was eine Kassette ist. Alle anderen erinnern sich inzwischen an eine Vergangenheit, die sie nie erlebt haben – durch Geschichtsprothesen wie Filme, Seri en, soziale Medien oder Musik. Unsere Welt ist voll von Vergangenheit. Wir leben in ihr, weil wir darin etwas zu finden glauben, das die Gegenwart nicht bietet: Stabilität und Zuverlässigkeit. Das mag man als radikale Romantisierung abtun, aber: Der Drang zur Erinnerung hat sich während der Pandemie noch verstärkt. Die Abschottung in Verbin dung mit digitaler Distanz und einer gene rellen Unsicherheit hat uns alle nach Dingen suchen lassen, die Sicherheit suggerieren. Dinge, die man mit einem bestimmten Gefühl verbindet. Dinge, die in der Vergangenheit für Beständigkeit sorgten. Und Dinge, die man nie selbst benutzt haben musste, um sie sich neu entdeckt anzueignen.

028 aus Deutschland strahlen sie in der ästheti schen Bandbreite eines LSD-Trips. Neu, un bespielt, auf Wunsch sogar mit individueller Bedruckung – und zu einem Stückpreis, für den man an der Bar nicht mal mehr ein Sei del Bier bekommt. Ein pragmatischer Grund, der Tapes ge rade für Musiker*innen aus dem sogenannten Underground interessant macht. »Mensch kann sich Kassetten noch leisten, weil man sie – im Vergleich zu einem Vinyl-Release – zu Hause in kleinen Auflagen überspielen und fertigstellen kann«, sagt Dominik Pilnáček. Zusammen mit Raphael Fürli spielt er in der Metalpunk-Band Parasite Dreams und betreibt seit 2019 das Tape-Label Urban Lurk. »Die zentrale Idee ist, lokale Szenen und Subkul turen zu supporten und zu verknüpfen. Die meisten Veröffentlichungen überspielen wir auf drei Kassettendecks selbst. Anschließend produzieren wir das Cover oft mit der jeweili gen Band«, so Pilnáček. Ein Do-it-yourself-An satz, bei dem jedem Hornbach-Kunden Tränen über die Arbeitsbrille kullern. Und einer, der sich seit den Anfängen der österreichischen Kassettenszene nicht verändert hat. Wolfgang »Fadi« Dorninger war einer der Protagonist*innen der ersten »Cassette Culture« in Österreich. In den 1980er-Jahren produzierte er in Bands wie Monochrom Bleu, Josef K. Noyce oder Wipeout u. a. kaputten Krach in einem Linzer Wohnzimmer. Damit war der Mann mit der Statur eines Football spielers musikalischer Außenseiter, der in der oberösterreichischen Landeshauptstadt nur auf Leute traf, die »irgendwas mit PostFrank-Zappa« machen wollten. Die Welt der Kassetten sei dagegen eine Art Zufluchtsort gewesen – »ein Randphänomen im Randphä nomen, das sich in einer Nische eingenis tet hatte, die in DIY-Kreisläufen ablief«, so Dorninger. Zusammen mit selbst gestalteten Fanzines und Briefen gingen seine Kassetten-

tendermatter.bandcamp.commmmvvv.bandcamp.comurbanlurk.bandcamp.comepilepticmedia.bandcamp.com »Ich hatte kistenweise Mixtapes, alle voll mit Synth- und PostpunkSongs in liebteQualität,rauschigertrotzdemichsie.«

— Mel, Tender Matter

sendung. Auf Radio FRO, dem freien Radio aus Linz, hostet er ein monatliches Format, bei dem Künstler*innen ihre Lieblings-Tapes spielen und mit ihm darüber sprechen. Die Affinität zu analogen Musikträgern führt er auf seine Kindheit zurück: »Ich hatte Kin derkassetten, zum Beispiel vom ›Dschungel buch‹«, so Löcker. »Außerdem hab ich schon früh Fantasiesongs oder fiktive Radiosen dungen mit meinem kleineren Bruder aufge nommen.« Dass er Tapes viele Jahre später wiederentdeckt habe, sei aber dem »Umweg über Vierspur-Magnetbänder geschuldet«. Als Künstler benutzte Löcker in seinen Ins tallationen Bandmaschinen. Er begann, die alten Kompaktkassetten seiner Kindheit aus zugraben. »Etwas, das mich zu meiner heuti gen Radiosendung inspirierte.« Das ist keine Ausnahme. Fragt man in der Wiener Tape-Szene nach, woher das persön liche Interesse für das Format kommt, hört man immer wieder: aus der Kindheit. Sei es die Erinnerung an Autofahrten mit Kassetten radio bei Marie Vermont oder das Hören von Pumuckl-Hörspielen zum Einschlafen bei An dreas Haslauer, selbst aufgenommene Radio shows bei Raphael Fürli von Urban Lurk oder das Diktiergerät als Weihnachtsgeschenk bei Tony von Tender Matter. »Tapes waren immer irgendwie da«, sagen alle, die heute noch mit Tapes herumbasteln und welche veröffent lichen. Mittlerweile sind sie Identifikations merkmal einer Subkultur. Und Prestigeobjekt für jene, die damit einfach nur ihr Insta-Game zocken. Wer beim letzten Deal von Eduscho zugeschlagen hat, kann der »akustischen Wärmeflasche«, wie Marie Vermont zum Ab schluss so schön sagt, auch endlich wieder lauschen. Christoph Benkeser Alle erwähnten Labels und Künstler*innen finden sich auf Bandcamp. Dort kann man ihre Tapes kaufen und den organisierten Under ground vor Billie Eilish beschützen.

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Kleine Heftchen, große Wirkung

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PribitzerHanna

Sarah Maria Schmidt und Oskar Wlaschitz haben vor zwei Jahren das Linzer Kollektiv Potato Publishing mitgegründet. Potato Pu blishing ist sowohl Druckwerkstatt als auch Netzwerk, wie Sarah ausführt: »Manche kom men einmal, um ein Projekt zu drucken, und sehen uns einfach als Druckwerkstatt. Andere kommen immer wieder und werden dann ir gendwann Teil des Netzwerks.« Gedruckt wird vorwiegend auf einem Risographen, einem Ge rät, das leuchtend bunte Farben von fluorescent pink bis metallic gold erlaubt. Kein Wunder, dass Potato Publishing sich rund um dieses Gerät gebildet hat: »Der Anfang der Druck werkstatt war ein Risograph, der unzugänglich in einem privaten Keller stand«, erzählt Oskar. »Für das Gerät und die Farben sind lange Stand zeiten aber nicht ideal. Es ist also naheliegend Risographen zugänglich zu machen, damit sie regelmäßig verwendet werden. Service gibt es für unser Gerät schon lange nicht mehr.« Learning by Doing Das Selbst-Hand-Anlegen sei dabei uner lässlich, wie Sarah erklärt: »Auch wenn es zunächst völlig aussichtslos aussieht, erlebt man, dass das Drucken durch ein paar Hand griffe wieder funktioniert. Das ist eine Art von Selbstermächtigung und immer wieder ein Erfolgserlebnis.« Auch Menschen, die den Potato-Risographen nutzen wollen, müssen das möglichst DIY tun: »Wir nehmen keine Druckaufträge an, sondern betreiben eine of fene Druckwerkstatt«, so Oskar. »Menschen können ihre Projekte bei uns selbst drucken. Wir erklären ihnen das Gerät und nehmen uns dann sukzessive zurück. Im Idealfall sitzen wir nur im Nebenraum und die Leute können allein Erfahrungen machen und ihre Proble me lösen. Das macht auch mehr Spaß.« Hanna Pribitzer ist es wichtig, bei jedem ihrer »Vienna Zines« selbst Hand anzulegen.

Wann genau das erste Zine erschienen ist, lässt sich schwer sagen. Denn Zine ist ja eigentlich nur die Kurzform von »magazine« und selbst publizierte Magazine, Heftchen und Pamphlete gibt es fast schon solange, wie es Druckpressen gibt. Ob bei den »Little Magazines« im Har lem der 20er-Jahre, bei den Science-FictionFanzines der 60er, ob über Punk, Queercore, Riot Grrrl, Comics oder Horror: Zines waren in Zeiten vor Internet das Sammel- und Kom munikationsmittel für die verschiedensten Nischen- und Subkulturen. Billig produziert, meist collageartig zusammengeschnitten, ko piert und zum Selbstkostenpreis versandt, bo ten sie eine niederschwellige Alternative zur Exklusivität traditioneller Medienhäuser. Mit dem Aufkommen des Internets verlagerten sich viele der Bereiche, die Zines früher abdeckten, jedoch zunehmend dorthin. Billiger, einfacher, weitreichender und zeitgemäßer schien das neue Medium. Und dennoch hielten sich Zines hartnäckig im Untergrund der Medienland schaft. In den letzten Jahren scheinen sie aus diesem heraus eine Renaissance zu erfahren.

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Die selbstZine-SzeneösterreichischelegtHandan

Popkultur Fans aus Zeiten vor dem Internet mö gen Zines noch als allgegenwärtiges Medium in Erinnerung sein. Kleine, selbstgedruckte Maga Zine, die eine Bandbreite von Science Fiction Fandom bis Punk­Ideologie verhandeln. Heute, wo sich alles mit einem Klick weltweit veröffentlichen lässt, scheinen die kleinen Heftchen aus der Zeit gefallen. Und doch gibt es nach wie vor auch in Österreich eine rege Szene, die Zines produziert, verteilt und ausstellt. Auf der Suche nach dem Reiz von DIY­Publikationen.

SchmidtMariaSarahBeser,Deniz

Für Deniz haben österreichische Zines eine hohe künstlerische Qualität: »Sie nutzen häu fig aufwendigere Drucktechniken wie Risogra phie oder Siebdruck. Auch weil sie meistens von Studierenden oder Absolvent*innen von Kunstunis produziert werden. Es gibt in Ös terreich wenige Zines, die außerhalb der aka demischen Sphäre entstehen. Natürlich gibt es ein paar Gegenbeispiele, wie etwa anonyme, politische Zines oder das »Perilla Zine« aus der asiatischen Diaspora. Ich finde diese Art von Zines wichtig und notwendig. Sie sollten nicht ausschließlich künstlerisch und schick sein. Sie sollten eine Ideologie haben und Informa tionen ohne Zensur teilen.«

Gerade in Hinblick auf repressive Regime findet Deniz Zines unerlässlich: »Zines sind politisch, weil wir uns dort selbst ausdrücken können, ohne andere erst um Erlaubnis bitten zu müssen. Wir teilen unsere Ideologie, was wir mögen, was wir lieben, was wir politisch beitragen, unsere Ideen für die Zukunft. Ein Zine kannst du zu jedem Thema machen. Wenn du in der Türkei etwas gegen die Re gierung in einem Magazin schreibst, kannst du direkt im Gefängnis landen. Aber wenn du ein anonymes Zine machst, dann können sie dich nicht erwischen. Das ist die Freiheit, die Zines dir geben.« Für Oskar umfasst diese Freiheit auch, was Zines eigentlich sind: »Ich finde es spannend, dass nicht in Stein gemeißelt ist, was ein Zine sein darf und was nicht. Mit jeder Generation wird immer wieder neu verhandelt, was Zines eigentlich sind.« Auch für Hanna bedeuten Zines Freiheit: »Sie sind ein nicht regulierter Raum, was toll ist. Im Internet gibt es heute we nige unregulierte Räume. Ich hab den Eindruck, dass ein Wunsch nach mehr Zusammenarbeit und Solidarität da ist.« Freiheit und Solidarität scheinen die Eckpfeiler zu sein, auf denen die aktuelle Generation an Zine-Schreiber*innen, -Zeichner*innen, -Drucker*innen, -Aussteller*innen, -Sammler*innen und -Leser*innen aufbaut. Sofern sich daran nichts ändert, sieht für Deniz die Zukunft von Zines weiterhin vielversprechend aus: »Wenn wir uns vernetzen, weiter innovative Zines produzieren und diese miteinander teilen, dann werden Zi nes nicht aussterben.« Bernhard Frena Die Fanzineist wird am 11. August wieder als Online Festival auf www.fanzineist.com stattfinden. Weitere Infos auch auf Insta unter @fanzineistvienna. Alles zu Deniz Besers Zine »Heyt Be!« gibt’s ebenfalls auf Insta unter @heytbefanzin. Die »Vienna Zines« von Hanna Pribitzer lassen sich auf viennazines.bigcartel.com erstehen, Ausschnitte gibt es auf Insta unter @viennazines. Eine Kontaktmöglichkeit zu Potato Publishing findet sich auf der Website www.potatopublishing.at sowie auf Instagram unter @potatopublishing. Wenn ihr Lust be kommen habt, selbst mal mit Riso zu drucken, dann finden sich außerdem auf www.stencil.wiki zugängliche Geräte und Kollektive.

032 Hanna Pribitzer ist Fotografin und produ ziert mit der Firma Revolog analoge Fotofilme mit Spezialeffekten. Dabei fiel über die Jahre immer wieder leeres Filmmaterial an, das ge testet werden musste. Hanna suchte deshalb nach Wegen, dieses Material kreativ zu ver wenden, aber irgendwann war dann kreativ die Luft raus: »Vor zehn Jahren ist mir deshalb die Idee gekommen, einfach in die alphabetisch erste Gasse im Stadtplan zu fahren – die Ab begasse im 14. Bezirk – und dort einen ganzen Film auszuschießen. Immer wenn ich danach nicht wusste, was ich fotografieren soll, bin ich zur nächsten Gasse im Stadtplan gefahren. Diese Fotos sind dann jahrelang im Archiv verschwunden, was mich genervt hat. Zines waren für mich das Medium, um die analogen Fotografien auch analog zu veröffentlichen.« Wien von A bis Z Seit 2019 bringt sie deshalb die »Vienna Zines« heraus. Jedes Zine eine Gasse, eine Straße oder ein Platz in Wien, streng alphabetisch. Sie ist mittlerweile bei über hundert Zines und im Al phabet noch immer bei A: »Realistisch gesehen, werde ich Zeit meines Lebens mit dem Projekt nicht mehr fertig. Ich hab das einmal ausge rechnet: Wenn ich durchgehend, ohne Urlaub, als Vollzeitjob die Zines mache, dann könnte ich mit 76 Jahren durch sein. Aber das ist na türlich unrealistisch. Außerdem wächst Wien und es kommen ständig neue Straßen dazu.« Zines sind für Hanna primär ein Mittel zum Zweck, aber trotzdem ist es ihr wichtig, dass sie dabei möglichst viel selbst machen kann: »Bei mir sind die Zines immer selbst ge bunden. Das war ein ziemlicher Lernprozess, gerade bei den dickeren Bänden. Außerdem lege ich meinen Zines immer noch ein Foto bei. Das zeigt für mich, dass da jemand selbst Hand angelegt hat. Deswegen sollte ein Zine auch nie ein Massenprodukt sein. Zines dür fen unperfekt sein und sie sind schön so.« Auch Deniz Beser macht selbst Zines, unter anderem etwa das türkische und eng lische »Heyt Be!«. Darüber hinaus veranstal tet er mit Fanzineist das vermutlich größte Festival für Zines in Österreich. Fanzineist hat 2016 als unabhängiges, aber umfassendes DIY-Festival in Istanbul angefangen. Rund um die Zines gab es Veranstaltungen, Kon zerte, Workshops, Performances, Vorträge und Screenings. Durch einen Umzug hat De niz Fanzineist dann 2019 als Messe für Zines und Kunstbücher nach Wien gebracht. Seit letztem Jahr findet das Festival coronabedingt virtuell statt: »Ich wollte meine Leidenschaft und Liebe für die Zine-Kultur mit Leuten teilen, die diese Kultur nicht kennen«, be schreibt Deniz seine Motivation für das Fes tival. »Und ich glaube Veranstaltungen wie Festivals geben Künstler*innen viel Energie für ihre eigene Arbeit.« Die Freiheit von Zines Deniz lebt derzeit in Istanbul und Wien, seine Projekte oszillieren also zwischen diesen bei den Städten und Ländern: »Die türkische ZineSzene ist im Vergleich zu Österreich viel größer. Das ist angesichts der größeren Bevölkerung aber auch normal. Manche Buchläden haben riesige Regale, in denen du Zines aus verschie densten türkischen Städten finden kannst.«

Der Risograph von Potato Publishing ist das Herzstück des Kollektivs. 2017 fand in Istanbul das bisher größte Fanzineist Festival statt.

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Untere Weißgerberstraße 13 | 1030 Wien | Täglich 10:00-18:00 www.kunsthauswien.combis28.8.22Eav,HaIsabelle Wind,ofGust

EavHaIsabelle©TaïwanTaïnan,Park,CulturalSiao-Long&EavHaIsabelleCourtesy:2018,seit

»Österreich hat ein Problem«

ProskawetzMatthäus

Yvonne Widler hat ein Buch über Femizide ver fasst. Sie hat dafür mit Expert*innen, Angehöri gen sowie Opfern von Männergewalt gesprochen und sie zeichnet darin das Bild einer patriarcha len Gesellschaft, die Frauen und Mädchen wei terhin nicht genug vor Gewalt schützt. ———— Weltweit werden Frauen ermordet, weil sie Frauen sind, und vorwiegend werden diese Morde von ihren (Ex-)Partnern begangen. In Österreich gab es allein 2021 29 und dieses Jahr bereits 18 mutmaßliche Femizide (Stand: 27. Juni, Quelle: AÖF – Verein Autonome Ös terreichische Frauenhäuser). Österreich wird in Berichten immer wieder als »Land der Fe mizide« bezeichnet. Warum das so ist und vor allem, was dagegen getan werden kann und muss, darüber hat Yvonne Widler ein Buch geschrieben. In »Heimat bist du toter Töch ter« spricht die Journalistin und Autorin mit verschiedenen Expert*innen und auch Op fern von Männergewalt bzw. Angehörigen getöteter Frauen. Was war Ihnen bei der Arbeit am Buch besonders wichtig? yvonne widler: Das strukturelle Problem hinter diesen Morden sichtbar zu machen. Das Bewusstsein ist stärker geworden, wir sind aber noch lange nicht dort angekommen, wo wir im Jahr 2022 sein sollten. In meinem Buch habe ich mich in erster Linie Intimizi den gewidmet, also Partnerschaftsmorden, da diese den Großteil der heimischen Femizide ausmachen.Esmacht mich wütend, dass Beziehungs taten noch viel zu oft als private Angelegen heit abgetan werden. Denn hinter Femiziden stecken Geschlechterungerechtigkeiten und oft patriarchale Denkmuster wie Besitzden ken oder Frauenhass. Diese Männer meinen tatsächlich, die Frau gehöre ihnen. Will sie sich trennen, dann töten sie sie. Auch die viel diskutierte toxische Männlichkeit muss hier erwähnt werden: Die Täter weisen etliche Unzulänglichkeiten auf, so sind sie meist nicht imstande, mit negativen Emotionen oder Kränkungen umzugehen, also greifen sie auf Gewalt zurück. Doch Gewalt anzuwenden, ist immer eine Entscheidung. Österreich ist in den letzten Jahren oft in den Schlagzeilen ob der vielen Femizide. Sie interviewten für Ihr Buch zahlreiche Expert*innen. Welche Gründe sehen die se dafür, dass gerade Österreich hier so negativ auffällt? Und wie sieht es mit der Datenlage zu Femiziden aus? Österreich liegt tatsächlich über dem EU-Durchschnitt bei Femiziden, wobei ein europäischer Vergleich schwierig ist, denn in den verschiedenen Gesetzbüchern wird Mord unterschiedlich definiert. Im Jahr 2017 war Österreich jedenfalls das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer ermordet wur den. Was die Datenlage betrifft, so gibt es bis her zwei große Studien zu Femiziden in Öster reich. Hier, und auch bei der Evaluierung von Polizeiarbeit und gesetzten Maßnahmen, ist noch Luft nach oben. Das Kriminalitätsphäno men »Femizid«, bei dem Frauen rein aufgrund ihres Geschlechts getötet werden, scheint zu dem in Erhebungen wie der Kriminalstatistik oder im Sicherheitsbericht derzeit nicht als solches auf. Nicht nur in anderen Kulturen, die hier leben, auch in »österreichischen« Fa milien ist patriarchales Denken immer noch verankert. Wer glaubt, dieses Denken sei über wunden, täuscht sich. Dann kommen noch viele andere Faktoren hinzu: Krisenfamilien, in denen Gewalt über Generationen hinweg fortgesetzt wird, unzureichende Auseinan dersetzung mit Rollenbildern und falsch ver standene Männlichkeit, Alkohol und Drogen, psychische Störungen, keine feministische Frauenpolitik, ökonomische Abhängigkeiten der Frauen … Die Liste ist leider sehr lang. Ös terreich hat ein Problem. Die aktuelle österreichische Regierung im Allgemeinen und Susanne Raab als Frauen ministerin im Speziellen wurden in der Ver gangenheit oft kritisiert, dass sie zu wenig gegen Gewalt an Frauen tun würden. Was bräuchte es, um hier Fortschritte zu ma chen? Kennen Sie Best-Practice-Beispiele, also Länder, die besser aufgestellt sind? Es braucht schnelle, mittelfristige und langfristige Maßnahmen. Schnelle Hilfe bedeutet das Professionalisieren von Betre tungsverboten, Fokus auf die Mängel bei der Beweismittelsicherung, deren Folge die Ein stellung von Anzeigen ist. Außerdem muss der akute Schutz von Frauen forciert werden, indem man etwa die Frauenhäuser besser fi nanziert. Mittelfristig sollten Maßnahmen im Fokus stehen, um Hochrisikotäter besser zu erkennen. Seit September 2021 gibt es eine verpflichtende sechsstündige Beratung für Gefährder, die weggewiesen wurden, – um auch eine positive Veränderung aufzuzeigen. Spanien, das immer wieder als Vorbild ange führt wird, hat eine eigene Koordinierungs stelle geschaffen, deren Aufgabe es ist, De fizite im Gewaltschutz zu erkennen und auf notwendige Maßnahmen hinzuweisen. Auch in Österreich wird eine Beobachtungsstelle für Femizide und Gewaltschutz von vielen Seiten gefordert. Langfristig braucht es eine pro-feministische Politik und Gesellschaft. Neben der Politik und ihrem Umgang mit feministischen Themen sind bei dem The wünsche mir für Österreich eine feministischefortschrittliche,Politik.« Yvonne Widler

»Heimat bist du toter Töchter«

»Ich

Yvonne Widler im Interview zu

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Wem würden Sie die Lektüre Ihres Buches besonders ans Herz legen? Frauenmorde haben System und sind kei ne schicksalshaften Einzeldramen. Täglich werden weltweit Frauen von (ihren) Männern ermordet. Die gesellschaftspolitische Dimen sion wird aber konsequent ignoriert, daher müsste dieses Problem jedem und jeder von uns wichtig sein, da wir Teil dieses Systems sind. Das Buch soll eine erste Aufarbeitung zur Lage in unserem Land sein und ist, denke ich, für alle interessant, die in einer sicheren, respektvollen und fairen Gesellschaft leben möchten. Barbara Fohringer »Heimat bist du toter Töchter« erscheint am 12. September 2022 bei Kremayr & Scheriau. Weitere Infos und Hilfe in Krisensituationen bieten – jeweils rund um die Uhr und kostenlos: Frauenhelpline: 0800 / 222 555 Männerinfo: 0800 / 400 777 Telefonseelsorge: 142

Yvonne Widler, Autorin von »Heimat bist du toter Töchter«

Die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hatten sehr unterschiedliche Persön lichkeiten. Man macht oft den Fehler und wirft sie alle unter der Bezeichnung Gewal topfer in einen Topf, schreibt ihnen ähnliche Verhaltensweisen zu, doch so ist das über haupt nicht. Es gibt eine einzige Sache, die sie jedoch eint: Sie haben schlechte Erfah rungen mit Medien gemacht und hier muss man ihnen so viel Spielraum wie möglich in der Gestaltung des Interviews einräumen. Ein Ort, wo sie sich wohlfühlen. Das Ange bot, eine Begleitperson zu dem Gespräch mitzunehmen. Ich würde unbedingt zu per sönlichen Treffen raten, da entsteht mehr Nähe und Vertrauen. Die Frauen immer ausreden lassen, nie unterbrechen. Sich bei der inhaltlichen Ausrichtung des Gesprächs nach ihnen richten und nicht den Fragenka talog runterrattern. Ein Vorabtelefonat zum Kennenlernen ist auch ratsam. Ihnen Zeit geben, um sich die Zu- oder Absage zum In terview in Ruhe zu überlegen. Und auf kei nen Fall drängen. Gerade wurde in den USA das Abtreibungsrecht vom Obersten Gericht gekippt, in zahlreichen anderen Ländern kam es in den letzten Jahren zu einem anti-feminis tischen Backlash, ebenso werden die Rech te von Migrant*innen und queeren Men schen beschnitten. Wie schätzen Sie dies ein und wie wird sich Österreich künftig entwickeln? Ich halte dieses Urteil für fatal, in gesell schaftlicher Hinsicht ist es ein dramatischer Rückschritt. Ein Verbot verhindert diese Ab brüche nicht, es macht sie bloß strafbar und gefährlicher für die betroffenen Frauen. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass es auch in Österreich kein Recht auf Abtrei bung gibt. Sie ist auch bei uns strafbar. Sie ist bloß unter bestimmten Bedingungen, etwa in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten, straffrei. Die aktuellen Entwicklungen ha ben uns wieder einmal gezeigt: Frauenrechte müssen immer wieder aufs Neue erkämpft und verteidigt werden. Ich wünsche mir für Österreich eine fortschrittliche Frauenpoli tik, eine feministische Politik, für die Gleich stellung und zugleich der Schutz der Frauen wirkliche Herzensthemen sind und die sie deshalb auch beharrlich verfolgt.

035 ma auch Männer gefragt. Sie haben mit Expert*innen gesprochen, wie die Prävention hier aussehen sollte. Können Sie die Ansichten der Expert*innen skizzieren? Die Basis ist eine grundlegende Verän derung in der Gesellschaft. Femizide hängen stark mit veralteten Rollenbildern und patri archalen Denkmustern zusammen. Wir brau chen feministische Männer und Empörung über Männergewalt und Femizide bei allen Menschen. Ich habe vorhin gesagt, Gewalt anzuwenden, ist immer eine Entscheidung –und da sollten wir ansetzen: Gewaltkreisläufe unterbrechen, Gewaltgeschichten nicht fort setzen lassen. Buben sollen lernen, über ihre Gefühle zu reden, und dies als Stärke sehen. Gewaltpräventive Bubenarbeit wird bereits gemacht, sollte aber intensiviert werden, ge nauso wie die Unterstützung von Krisenfa milien. Forschungen zeigen, dass Kinder, die Gewalt erleben, diese mit hoher Wahrschein lichkeit später wieder erleben. Männergewalt beginnt nicht erst in der Partnerschaft, son dern entwächst meist aus der Sozialisation. Bei Männern, die schon älter sind und ihren Partnerinnen gegenüber gewalttätig, geht es in erster Linie darum, dass sie lernen, Verant wortung für ihre Taten zu übernehmen. Natürlich sind nicht alle Männer gewalt tätig gegenüber Frauen. Wie können sich gerade aber alle Männer bei diesem Thema verhalten? Es gibt hier ein gutes Beispiel: Die Kam pagne »Mann spricht’s an« des Sozialmi nisteriums ist an Männer gerichtet, die ein schreiten sollen, wenn sie in ihrem Umfeld Schieflagen bemerken. Auf einem Sujet ist ein junger Mann abgebildet, daneben steht der Schriftzug: »Checkst du, wie oag du über deine Freundin redest?« – Es fängt also schon dabei an, ob das männliche Umfeld bei einem frauenfeindlichen Witz mitlacht oder nicht. Es geht um Vorbildwirkung. Negative Männ lichkeitsbilder im Sinne der toxischen Männ lichkeit sind immer noch allgegenwärtig. Je mehr Männer sich im Sinne eines Vorbilds anders verhalten, desto mehr Männer werden ihnen in diesem Verhalten folgen. Sie selbst haben für Ihr Buch einige Betrof fene interviewt. Wie gehen Sie vor, um ge rade bei einem so heiklen Thema Vertrau en aufzubauen, und was raten Sie Ihren Kolleg*innen?

Ihr Buch enthält diese Widmung: »Für alle Frauen, die heute nicht mehr für sich selbst sprechen können. Für alle Frauen, die Opfer von Männergewalt wurden.«

PertramerIngoStock,AdobePhotography,MocnikIrina

Grenzen als Chance für kreative Alternativen Der Beruf Intimitätskoordinationder

Cornelia IntimitätskoordinatorinDworak,

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Intimitätskoordination ist in der Filmbranche eine recht neue Erscheinung. Dabei begleiten geschulte Vertreter*innen des Berufs die Abteilungen Schauspiel und Regie bei der Erarbeitung intimer Szenen. Was es zu beachten gibt und welchen Stellenwert der sensible Umgang mit persönlichen Grenzen einnimmt, erzählen uns die Intimitätskoordinatorin Cornelia Dworak sowie die Schauspielerin Pia Hierzegger. ———— Zeiten des progressiven Umbruchs erfordern stabile Maßnahmen, anderenfalls droht die ser nichts weiter zu sein als ein gut gemeinter, letztlich aber folgenloser Fingerzeig. Dass solche Maßnahmen in Bezug auf körperliche und seelische Übergriffe in der Film- und Fernsehbranche nötig sind, ist nicht von der Hand zu weisen – wie zuletzt die Schilderun gen der Regisseurin Katharina Mückstein er neut belegten. Die vergangenen Jahre zeigten der Weltöffentlichkeit das drastische Ausmaß: Zwischenmenschliche Begegnungen, Alltag am Filmset und patriarchale Machtstrukturen können zu Übergriffen und Machtmissbrauch führen. Insbesondere das weite Feld soge nannter »intimer Szenen«, etwa Sexszenen, ist davon betroffen. Noch bis vor einigen Jah ren wurde die Ausführung intimer Momente vor der Kamera recht frei gehandhabt – eben nach dem Motto, mal sehen, was geschieht. Spontan intim sein war das Credo zahlreicher Regisseur*innen, aber auch (vornehmlich männlicher) Schauspieler*innen. Noch bevor der Fall Weinstein Schlagzei len machte, initiierten andere, zumeist Frau en, einen Gedankengang, der schließlich zu konkreten Maßnahmen führte. Eine Pionierin auf dem Gebiet der Intimitätskoordination ist die Britin Ita O’Brien. Auf Basis eigener Un tersuchungen stellte sie im Jahr 2014 eine Art Richtlinie auf, wie mit intimen Szenen umzu gehen sei. Noch ist der Beruf aber nicht über all angekommen. Eine der wenigen Vertrete rinnen des Fachs in Österreich ist Cornelia Dworak. Sie ist die einzige Stuntkoordinatorin des Landes und wurde zu sensiblen Szenen gerufen, noch bevor es die Bezeichnung Inti mitätskoordination überhaupt gab. An ihrem Werdegang wird ein zentraler Gedanke des Berufs deutlich: Intime Szenen sollen nämlich wie professionelle Stunts be trachtet werden – und als solche einer genau en Choreografie folgen. Vorbereitung ist Vor aussetzung, erzählt Dworak – und beschreibt ihren Alltag als Intimitätskoordinatorin wie folgt: »Ich führe Gespräche mit Produktion und Regie, um meine Arbeitsweise zu erklären und zu verstehen, welche Geschichte erzählt werden soll. Ebenfalls wichtig zu klären ist die Auflösung der Szene, also in welchem Stil die se gefilmt werden soll. Der Filmstil beeinflusst maßgeblich, welche choreografischen oder kostümtechnischen Möglichkeiten ich habe, um zum Beispiel bestimmte Körperteile zu verdecken. Mit all der gesammelten Informa tion führe ich dann Einzelgespräche mit den Schauspieler*innen und spreche hier schon über die Szene, Regiewünsche, meine Arbeits weise, ihre Ideen, Fragen, Bedürfnisse, ihre Grenzen und mit welchen Mitteln ich sie bei ihrer Arbeit unterstützen kann.« Safer Spaces schaffen Während bei typischen Kampfszenen jeder Bewegungsablauf minutiös geplant wird, lie ßen intime Szenen eine solche Herangehens weise lange Zeit vermissen. Den vorbereiten den Gesprächen mit Regie, Produktion und Schauspieler*innen folgen Proben. Dabei werden Bewegungsabläufe und Berührungen geplant, jeweils innerhalb klar abgesteckter Grenzen erarbeitet. Doch auch andere Be rufsgruppen am Set sind von der Arbeit von Intimitätskoorinator*innen betroffen: »Ich führe je nach Notwendigkeit Gespräche mit di versen Departments, wie etwa Kostüm, Maske,

Notwendiger Wandel Bei alldem darf außerdem nicht vergessen werden, wo die Wurzel des Übels liegt. Über griffe sexueller Art sind kein exklusives Pro blem der Filmbranche, sondern das Ergebnis tiefsitzender gesellschaftlicher Missstände. »Ein neues Berufsfeld ändert noch nicht die Gesellschaft, lenkt aber den Blick auf mögli che Probleme und macht alle Beteiligten sen sibler für das Thema. Außerdem ist Struktur und Klarheit immer wünschenswert und hilft Missverständnissen vorzubeugen«, meint Hierzegger. Und auch Cornelia Dworak glaubt, dass das Thema Intimitätskoordina tion uns alle betrifft, egal in welcher Branche man zu Hause ist, denn: »Achtsamkeit im Umgang mit anderen Menschen und offene Kommunikation über Grenzen sollte auch im privaten Leben geschult und thematisiert werden. Eine freie Zustimmung kann nur dann erfolgen, wenn keine negativen Konse quenzen aus der Entscheidung resultieren.« Christoph Waldboth Eine reguläre Ausbildung zum*zur Intimitätskoordinator*in gibt es in Österreich bisher nicht. Vertreter*innen des Berufsfelds bieten aber immer wieder Workshops und Informationsabende an. Dennoch dürfte es noch etwas dauern, ehe Intimitätskoordination zum Standard am Filmset wird.

Pia SchauspielerinHierzegger,

Kamera oder Ausstattung, damit am Drehtag auch alles vorbereitet ist. Am Drehtag selbst checke ich mit den Schauspieler*innen ein, klä re, ob es noch Fragen zur Szene oder Choreo grafie gibt bzw. sich Grenzen verschoben ha ben. Gerne steige ich mit den Darsteller*innen vor Dreh mit einem körperlichen Warm-up ein und wiederhole den szenischen Ablauf rein technisch. Ich achte darauf, dass während des Drehs ein Closed Set eingehalten wird. Das heißt: ein kleines Team am Set und beschränkt zugängliche Videoausspielung.“

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Intimitätskoordination hat für Cornelia Dworak auch gesellschaftliche Implikationen: »Achtsamkeit im Umgang mit anderen Menschen und offene Kommunikation über Grenzen sollte auch im privaten Leben geschult und thematisiert werden.«

Beim Dreh selbst ist es laut Dworak Auf gabe der Intimitätskoordination, die Regie mit de- sexualisierter Kommunikation zu un terstützen, Anpassungen an die Darstellenden zu kommunizieren und darauf zu achten, dass choreografische Absprachen eingehalten wer den. Dem Ende der Dreharbeiten folgt im Re gelfall ein Gespräch mit den Darsteller*innen, bei dem Erfahrungen ausgetauscht werden. Doch wie reagieren die unterschiedlichen Ab teilungen auf den vergleichsweise neuen Beruf? Dworak zufolge trifft man die meisten Wider stände dort, wo noch unklar ist, wie sie arbeite: »Wenn ich meinen Arbeitsprozess, die Techni ken und die Möglichkeiten der Unterstützung erkläre, ist die Reaktion meist sehr positiv. Als Darsteller*in erfährt man, dass ein Raum für offene Kommunikation geschaffen wird und persönliche Grenzen abgesteckt werden.« Nicht alle sind jedoch glücklich über die Strenge, die der Beruf scheinbar mit sich bringt. Manche Regisseur*innen fürchten um den Verlust von Spontaneität oder der Aufgabe unvorhergesehener Kreativität. Die österreichische Schauspielerin Pia Hierzeg ger ist dahingehend optimistisch: »Wenn es klare Regeln gibt, kann Kreativität und Ge nialität noch immer Platz haben. Es werden normalerweise beim Drehen auch vorgegebe ne Sätze gesprochen. Vielleicht hilft es sogar, interessantere, intime Szenen zu entwickeln.« Cornelia Dworak stimmt zu: »Die kreative Freiheit beginnt in Wahrheit dort, wo eine Grenze aufgezeigt wurde. Meist entstehen ge nau dadurch neue Ideen, die aus den üblichen MusternSelbstausbrechen.«mitKoordinatorinnen wie Cor nelia Dworak gearbeitet hat Pia Hierzegger bisher noch nicht. Noch immer ist der Beruf in Österreich eher eine Seltenheit. Priorität Nummer eins sei es, ein Bewusstsein für das Feld zu schaffen. Dworak erfährt aus vielen Gesprächen von Übergriffen, beschreibt aber auch einen langsam stattfindenden Wandel, der die Notwendigkeit von Intimitätskoordi nation erkennt. »Wie immer liegt der Grund stein in der Ausbildung. Egal ob für Regie, Produktion oder Schauspiel. Grenzen müs sen schon in der Ausbildung thematisiert und respektiert werden. Filmschaffende brauchen Schulung, wie sie Grenzen als Chance sehen und kreative Alternativen erarbeiten können. Erst wenn es keine Stigmatisierung mehr gibt, als kompliziert zu gelten, wenn man Grenzen kommuniziert, können wirklich freie Ent scheidungen getroffen werden und Zustim mung aus voller Überzeugung erfolgen.«

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ZERKRATZENPROSA—ANJABACHL

Ich wär gerne so ein »Ich gebe Minze und Zitronen scheiben in mein Wasser und trink mindestens zwei Li ter davon«-Mensch. Aber irgendwie geht sich dauernd eher ein ich reiß was von der Küchenrolle zwischen dem Zähneputzen ab und fang damit schnell Staub flaunkerl unterm Couchtisch aus. Ich stelle mir mich gerne so buchlesend auf einer Bergspitze vor, aber ir gendwie bin ich eher die, die schauen muss, dass sie vor der Dunkelheit wieder runterkommt. Mein Han dy schreibt noch immer Chemie, anstatt Chemo, mein Geschirrspüler hat nach drei Jahren noch immer keine weiße Front und ich lass meinen Buben ne Stunde länger glotzen, wenn ich müde bin. Ich wär gern so ein »Ich treffe meine Freund*innen regelmäßig an der frischen Luft«-Mensch. Aber irgendwie geht sich dauernd eher ein »Ich schreib auf Nachrichten drei Wochen später zurück« aus. Manchmal zwinkere ich lässig und sag schelmisch, so ist das bittersweet life, manchmal frag ich mich aber auch einfach, welche Art von Systemsturz am schnellsten geht und wie das Leute machen. Also das ausreichend Schlafen und Cute-zu-sich-selber-Sein und so. Was anreißen. Sich nicht einschüchtern lassen. Aber hey. Wenn es eine Zauberformel gibt, dann wohl die, dass das Leben gerade jetzt stattfindet und es sowas wie Selbstwirksamkeit, Netzwerk, Liebe und das Was ser gibt. Das dich nicht schluckt, sondern untertauchen und aufatmen lässt. Oben bleibt man nämlich nicht nur schwimmend, sondern auch am Rücken treibend. Ich habe Angst vor der Sprachlosigkeit. Ich habe Angst vor Krebs und allem, was er anrichtet, und auch vor dem Plötzlich-aus-dem-Leben-gerissen-Werden. Ich habe Angst in Raststättenklos. Und vor Stromschlägen an Kuhzäunen, vor der Höhe beim Klettern. Ich habe Angst zu viele gschissene Fehler gemacht zu haben, was die Erziehung meines Sohnes betrifft. Ich habe Angst vor Unversöhnlichkeit. Auch mir selbst gegenüber. Mir macht die Macht Angst, die Männer in Entscheidungs positionen haben. Und Rassismus, Homophobie, Trans feindlichkeit, Sexismus und Ableismus. Und all die Gleichgültigkeit diesbezüglich. Ich habe Angst, mürbe zu werden und bequem. Mir macht das Funktionieren Angst und unsere Perfektionsansprüche. Ich hab Angst davor, nicht verstanden zu werden, und unterm Strich noch mehr vor der Tatsache, dass es mir so wichtig ist, verstanden zu werden. Ich hab Schiss, es nie wie der zu schaffen, pünktlich zu sein. Mir macht die im merwährende Zerstörung unserer Erde Angst. Ich hab Angst, mein Bub könnte zu lange unglücklich sein. Ich hab Angst, nicht auszureichen. Ich fürchte mich vor der Steuer. Und davor, niemals so viel Geld zu haben, dass ich meine, jetzt ist es gut. Mir macht Bewertung Angst und unser Schulsystem immer wieder. Ich scheiß mich an, irgendwann nichts mehr zu hören. Und manchmal vor betrunkenen Menschen. Vor Unehrlichkeit. Krieg. Ich hab Angst davor, dass wir irgendwann aufhören uns zu sagen, was uns Angst macht. Weil wir es zu einem Scheinindiz für Resilienz und Widerstandskraft hochsti lisiert haben, furchtlos zu sein. Angst haben die Schafe. Angst haben die Verlierer*innen. Und das ist so großer Unsinn. Angst erzählt uns etwas über uns. Sie flüstert, sie beißt. Und wir werden sie nicht einfach los, wir werden nicht bessere Menschen ohne sie. Angst ist ein Teil von uns. Und wenn wir ihr zuhören, können wir sie auch wieder ge hen lassen. Sie nicht zum Monster machen, sondern zu ei ner Information. Angst hat uns nicht, sie teilt sich mit. Sie nimmt nicht automatisch Platz, sie vermittelt. Gestalten tu immer noch ich. Furchtlos verbündet mit der Gewissheit, ich bin alles auf einmal und nicht nur entweder oder.

Die Salzburgerin Anja Bachl zeigt als Bloggerin, dass Lyrik und poetische Kurztexte nicht nur auf Social-Media-Kanälen funktionieren können und wie sie ihren Weg in Verlage finden. In ihrem Lyrikdebüt »weich werden« (Haymon) wird in Sechszeilern an den Krusten der Welt gekratzt. Für The Gap hat die 36-Jährige zwei Texte parat, die Einblick in ihr Schaffen geben.

DIE KRUSTEN DER WELT

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Zur Person Die Salzburgerin Anja Bachl ist Autorin, Kunsttherapeutin, Referentin und Mutter eines 15 jährigen Sohnes.

FrühlingSarah

Unter @mitunterdas veröffentlicht Anja Bachl regelmäßig Kurzprosa auf Instagram, in diversen Literaturzeitschriften ist sie mit Lyrik vertreten.

2021 erhielt sie den Georg­TraklFörderungspreis für Lyrik und wurde für ihre journalistischen Beiträge mit dem ausgezeichnet.Irma­von­Troll­Borostyáni­PreisEndeAugust2022er­scheintihrLyrikdebüt»weichwerden«imHaymonVerlag.

es gibt einen Hirnmantel aber der schützt nicht vor Kälte es ist das pumpende Herz das wärmt es gibt einen Gänsewein aber der bringt dir keinen Rausch es ist ein Einswerden mit Säften das eint keine Rückschlüsse vor Erfahrungen heben nach Pronomen fragen Erben und Eliten das Hintenanstellen lehren Trugschlüsse benennen eine Unterredung einer Implosion vorziehen sich gedeihen lassen auch wenn es wuchert dem Schimmer die Konturen lassen und sich Korallenriffe und Ideen merken weil nichts egal oder austauschbar ist weil zwischen Witterung und Wetter Welten liegen und etwas über einen Kamm scheren nur Sinn macht mit Wolle dem Glanz den Schatten lassen ich jage verglühenden Kometen hinterher um ihnen Fragen zu stellen über Zeitspannen und Ablaufdaten um mich belehren zu lassen um mich zu vergewissern ob ich richtig liege mit der Annahme nichts ist auf Unversehrtheit hin konzipiert über den letzten Schluck Kaffee kann man streiten ist es der beste oder ist es der entbehrlichste über die Notwendigkeit der Milz kann man nicht streiten auch nicht über die Unentbehrlichkeit von Achtsamkeit aber über Übersprungshandlungen all we have is now ist ein Trugschluss alles was wir haben ist jede Sturmpause jedes damals unter gesprenkelten Sonnenschirmen jede Idee und jeder Fünfjahresplan all we have ist die Summe aller Atemzüge jede Ausdehnung und jedes Einsammeln

5 »Dark Glasses – Blinde Angst« Nach zehn Jahren ohne neuen Film meldete sich Meisterregisseur Dario Argento heuer mit »Dark Glasses« zurück, einem abermals pa ckenden Giallo-Thriller rund um die junge Sexarbeiterin Diana und einen S erienmörder. Surreale, düstere Bilder begleitet von einem betörenden Synthwave-Score. Ab 29. Juli als limitiertes Mediabook (DVD und Blu-Ray) erhältlich. Wir verlosen ein Mediabook. 4 5

Gewinnen thegap.at/gewinnen 1 2 3

1 Mieze Medusa »Was über Frauen geredet wird« The-Gap-Alumna Doris Mitterbacher aka Mieze Medusa ist Rapperin, Spoken-Word-Performerin und nicht zuletzt auch Autorin. Ihr neues ter Roman lässt sich als flammendes Plädoyer dafür verstehen, dass Frauen alles sein, werden und wollen dürfen. Und dass ihnen das, was über sie geredet wird, herzlich egal sein kann. Das Buch erscheint am 13. September im Residenz Verlag. Wir verlosen drei Exemplare.

2 Peter Waldeck »Spaß und Schulden am Neustifter Kirtag« Dass Peter Waldeck Humor hat, bewies er zuletzt mit dem grandio sen Roman »Triumph des Scheiterns«, in dem ein alter weißer Mann an seinem B e deutungsverlust leidet. Diesmal steht die konservative Politprominenz im Zentrum der skurrilen Ereignisse, und zwar am Neustifter Kirtag des Jahres 1985. Das Buch erscheint am 20. Sep tember im Milena Verlag. Wir verlosen zwei Exemplare.

4 »Der schlimmste Mensch der Welt« Ein Film »für Erwachsene, die immer noch den Eindruck haben, dass sie nicht wissen, wie man erwachsen wird«, so beschreibt Regisseur Joa chim Trier »Der schlimmste Mensch der Welt«. Die junge Osloerin Ju lie (ausgezeichnet: Renate Reinsve) hadert darin mit sich selbst, den anderen und den gängigen Vorstellungen unserer Gesellschaft. Ab 25. August auf DVD und Blu-Ray erhältlich. Wir verlosen drei Blu-Rays.

3 Luise Wolf »Tiefenresonanz« »Klang, Körper und die Erfahrung sonischer Materialität von Drone Mu sic«, so der Untertitel dieser kulturwissenschaftlichen Untersuchung. Ihr Anlass und Gegenstand: ein Konzert des Drone-Musikers The Haxan Cloak auf dem Donaufestival in Krems im Jahr 2013. Das Buch ist in der Reihe »Transdisziplinäre Popkulturstudien« im Transcript Verlag er schienen. Wir verlosen drei Exemplare.

Album Release Show Debut Album Release Volkstheater, Rote Bar 17 09 22 19 08 22

Rezensionen Musik 041 WuermerMichel

Wenn die Angst, wie Sophia Blenda auf ihrem Debütal bum singt, ein leerer Raum ist, dann steckt darin zwar möglicherweise viel Beklemmendes, gleichzeitig aber auch die große Chance, ihn zu füllen. Mit Musik, Mantras und einer neuen Heiterkeit, die viel mehr ist als nur ein Hoffnungsschimmer in düsteren Zeiten. Es gleicht eher einem Aufblitzen, wenn Helligkeit die beim ersten Hören düster wirkende Grundstimmung durchbricht. Blendend zwar, aber niemals verblendend, denn auch mit zugekniffenen Augen lassen sich die dunklen Gestalten, die sich der eigenen Selbstermächtigung ganz selbstverständlich in den Weg stellen, noch erkennen. Um diese Schattenwesen geht es auf »Die Neue Heiterkeit«, dem Solodebütalbum der Singer-Songwriterin, aber gar nicht so sehr, sondern vielmehr um die Frage »Wo bleib ich«. Irgendwo zwischen Verletzlichkeit und Mut, Abhängigkeit und Selbstermächtigung, Angst und Hoffnung, könnte die Antwort lauten. Zwischen diesen Gegensätzen bewegt sich Sophia Blenda, die einem bisher vor allem als Sängerin der Band Culk begegnete, wie auf einem Seil hin und her. Nicht immer spielt das Gleichgewicht mit, aber wie soll es auch, wenn unaufhörlich daran gerüttelt wird, wie Angst und Hoffnung ei nander gegenüberzustehen haben. Im Song »BH« verkapselt sich die Am bivalenz der Welt auf besonders explizite Weise. Einerseits ein Kleidungs stück, das eine »befangene Haltung« liefert, andererseits die »bohrende Hoffnung«, dass die Ungleichheit eines Tages endet. Die Eindringlichkeit, mit der sich die Hoffnung immer wieder zu Wort meldet, wird zusätzlich von der Musik unterstrichen, die einen Klangraum eröffnet, in dessen Zentrum ein Klavier umgeben von Streichern steht. »Die Heiterkeit hole ich mir selbst«, singt Sophia Blenda im Titelsong. Und dort, wo früher Angst war, ist nun Platz für eine neue Heiterkeit.

(VÖ: 19. August) Sarah Wetzlmayr

Live: 17. September, Wien, Volkstheater — 24. September, Wels, Alter Schlachthof — 11. Oktober, Jena, Trafo — 12. Oktober, Hamburg, Nachtasyl — 13. Oktober, Berlin, Berghain Kantine

Sophia Blenda

Die Neue Heiterkeit — PIAS 09

Da haut’s euch die Saitn auf’d Seitn – oder so. Kisling, bisher herumschwirrend im Umfeld von Kunstuni, Viny lograph und Hyperreality, legt ihr Debütalbum vor und damit wird es sich gut fischen lassen in den Sümpfen des heimischen Undergrounds, denn: Es ist sehr gut, aber eben auch sehr eigen. Letzteres wiederum ist auch, was es hörenswert macht. Auf elf Tracks mit einem Dreieinhalb-Minu ten-Durchschnitt werden dabei Gitarrenmelodien via Pioneer CDJs ver zerrt, zerhackt und arrangiert. Richtig gehört: Emergency Loop trifft auf Neofolk – den ausgestreckten Mittelfinger an die Vinyl-only-Fraktion gibt’s gleich auch mit dazu. Die Mische aus Minimal- und Turntablismus will laut Liner Notes ein Gefühl hervorrufen, dem das Vergessen zu dro hen scheint: »Die Lebendigkeit spiritueller Lieder, das Nachglühen von Lagerfeuermusik , die Melodien einer tausendjährigen Jugend und Erin nerungen an eine allzu idealisierte Vergangenheit.« Kinda relatable, im merhin machte der Discman der Jugend ähnliche musikalische Spompa nadeln, wenn die CD nur mal die richtige Anzahl an Kratzern aufwies.

KohlweisKlemensBencze,Andor

Feldkirch, Vorarlberg

— Cut Surface 042

D er Titeltrack »Old Life« kommt mit soothing Gesang daher, der – im Gegensatz zur Gitarrenbasis – nicht als kaputter Loop passiert, sondern so ganz »normal«. Auf »Scha« klingt das gleich anders, denn da wurden auch die Vocals Teil der Verwurstung. Das baut erst mal eine spannende Unruhe auf und ist auf eine Art ungewohnt, die den Millennial-Ordnungs zwang kurz ankitzelt, aber immerhin folgt gleich die Erlösung: »Musick« ist dem Vernehmen nach der einzige Track, der von vorne bis hinten ein linear arrangiertes Klangerlebnis bietet und gleichzeitig die Frage aufwirft, ob es sein kann, dass »Scha« aus »Musick« entstand. Eine Mail an die Künstlerin schafft – Ob acht, Spoiler! – Klarheit: ja. »Old Life« ist ein Album, das sich am Ende des Jahres in Best-of-Listen wiederfinden wird, weil es sich traut, etwas anders zu machen, ohne sich dabei selbst zu überladen. (VÖ: 26. Juli) Sandro Nicolussi 09 Kisling Old Life — Serious Serious Zieh das kleine Schwarze an, lass den Kopf hängen und stell dich unter die nächste Nebeldusche, während du die Hände um deine Hüften baumeln lässt! Grotto Terrazza aka Thomas Schamann ist mit seinem zweiten Album am Start, und sommerlicher lässt es sich dieser Tage kaum kränkeln. Die zwölf Tracks, die der Münchner mit »Kal te Köstlichkeiten« – wie schon sein Solodebüt als Cut-Surface-/MapleDeath-Joint-Venture – vorlegt, lassen eine kühle Brise beim Fenster der Melancholie herein, sind aber niemals um ein Augenzwinkern verlegen. Ein warmes Tape-Hiss liefert die vergangene Grundstimmung für die Platte, die im Pingpong-Verfahren zwischen alt und irgendwie neu, zwi schen Vocal-Track und Instrumentalnummer bounct: Springs, Reverbs, vertraut klingende Korg-Sounds – umgarnt von einem rar gesäten, aber eindringlichen Gesang. Umschrieben wird »Kalte Köstlichkeiten« im Gen rehagel als Intersektion von EBM, Drum-Machine-Punk, Cold Wave, Neue Deutsche Welle und gar Musique concrète – was denn eigentlich nicht? Mit Field-Recordings und eingespielten Vocal-Samples wurde nicht gespart, oft sind sie als das bereits erwähne Augenzwinkern zu verstehen. Und so la den selbst die Skits und Kürzestnummern »Preludio«, »Dusty Kapers« und »Neurolink« zum schmunzelnden Replay ein. Thematisch bewegen sich die zwölf Tracks in der maroden Morbidität der nächtlichen Dunkelheit. Haupt sache, es klingt düster und abgekühlt, denn im nicht wirklich stattfinden den Sommerloch sind es doch die Gemüter, denen Überhitzung droht. Die Gassenhauer des Albums, die sich hauptsächlich auf der Uptempo-B-Seite finden, zwingen zum blutleeren Tanz. Auch die tatsächliche Krankheit kommt nicht zu kurz. Mal direkt aufs Auge (»Krank in the City«, »Tropische Krankheiten«), mal subtiler (»Der Zaubergeselle«). Und weil Recycling heutzutage der letzte Schrei ist, gibt’s noch etwas Bekanntes obendrauf: »Was leben will, muss sterben können« hört man in »Kurze Arme«, das erinnert doch sehr an die Nummer »Was leben will muss sterben« vom Solodebüt. Gewohnheit sticht! (VÖ: 26. August) Sandro Nicolussi 08 Grotto Terrazza Kalte Köstlichkeiten

Rezensionen Musik

Nischen poolbar Festival Feldkirch, Vorarlberg Feldkirch, Vorarlberg DJ PARADE, OPEN AIR KINO, JAZBRUNCH UND VIELES GEFÖRDERT VON: STADT FELDKIRCH, LAND VORARLBERG, BMKOES.KUNST&KULTUR., STADT HOHENEMS, AKM, SKE

JOB S IMMO

Ich weiß ja nicht, ob wir denselben Lippen Glauben schen ken, aber mein Volksmund sagt: zweites Album, immer schwierig. Für das erste hast du ein Leben lang Zeit, für das zweite muss es schnell gehen. Wobei, ist auch immer so eine Sache, da ist der Volksmund manchmal weniger schlau, als er tut. Zwei Jahre arbeiten und proben Witwer am Nachfolger ihres Debüts, das im 18er-Jahr den Namen »Fluss« bekom men hat. Und – hier sind wir uns einig, Weisheiten hin, Weisheiten her – in diesen letzten Jahren gab es einiges, das nicht gerade die feine Englische war. Wo man sagen muss, da müsste man die Mistgabeln anzünden, wenn man auf die Barrikaden steigt. Und das machen auch die fünf Mander aus Wien, die ihrem Zweitwerk »Aber bitte nicht hier!« ein erlebtes Zitat der Spießbürgerlichkeit voranstellen: »Oh, wenn sie tanzen, dann bitte nicht hier!« heißt es da schon im ersten Stück »Ernte«. Sowieso sind alle neun Stü cke Kampfansagen ans Leben im Hier und Jetzt in all seiner Bescheidenheit. Witwer, lösungsorientiert wie es eben eine spätkapitalistische Dys topie von seinen Subjekten verlangt, haben gleich zwei Patentrezepte auf Lager. Erstens, die Flucht, der reichlich Platz eingeräumt wird. Ich sage die Titel, du sagst, stimmt: »Flucht«, »Schiff«, »Albatros«, ciao, baba. Zweitens, das Ergeben. Hände hoch. Bestes Beispiel dafür der tolle Hit »Taube«, der vom (Über-)Leben mittelalter Menschen in der Großstadt erzählt, gefangen zwischen der Belanglosigkeit des Brotjobs und utopi schen Träumen; alles grau, grau, grau. Aber natürlich, nicht nur Toten gräberstimmung. Immer wieder werden die Augen auch auf vereinzelte Hoffnungsschimmer gerichtet. Für die sorgt auch die Musik, weil natür lich: Die hat Hand und Fuß; da sitzt jeder Millimeter beim Akkordeon, je der Saitenstreichler, jede verschleppte Silbe; aber vor allem: Tanzbarkeit über weite Strecken, da gibt’s wenig bis kein Auskommen. Redewendung, Zungenbrecher: Zu den Witwer wippen. Klar, man cherorts gibt’s statt Folk-Pop Wiener Prägung ein bisschen ein proggy Mäandern, Ausnahmen bestä tigen hier wieder einmal die Regel. Oder umgekehrt: In der Regel sprechen Alben wie »Aber bitte nicht hier!« für eine Ausnahmeerscheinung im heimischen Pop-Zirkus. (VÖ: 22. Juli) Dominik Oswald

Witwer Aber bitte nicht hier! — Strizzico 08 045

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Waves Festival Das Wiener Club- und Showcase-Festival erschließt sich heuer – u. a. bedingt durch die Renovierung des WUK – neue Spielstätten. Mit vier zusätzlichen Venues am Gürtel erstreckt sich das Festivaltreiben nun vom neunten bis in den 16. Bezirk. Und auch das neue Generalthema Diversity wird frische Akzente setzen. Live zu sehen gibt es wie gewohnt Entdeckenswertes: etwa Bryan’s Magic Tears aus Frankreich, Vanille aus Kanada oder W1ze aus Österreich (Foto). 8. bis 10. September Wien, diverse Locations Baits / Laundromat Chicks

Die Konzertreihe Loftival bietet österreichische Musik (und mehr) bei freiem Eintritt im Wiener Club The Loft. Als Kooperationspartner präsentiert und kuratiert The Gap den Termin Ende September – und macht auch gleich eine rauschende Heft-Release-Party draus. In diesem Sinne: Lasst uns zum dynamischen Noise-Pop-Punk von Baits (Foto) und dem Bedroom-Wave-Pop der Laundromat Chicks auf das Erscheinen unserer 195. Ausgabe anstoßen! 29. September Wien, The Loft c radiokulturhaus.ORF.at steht.

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Termine Musik

KlangfestivalAir

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Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Thalia Linz, oeticket und alle oberösterreichi schen Raiffeisenbanken. FerrigatoRolandBild: highlights 25.08. Buntspecht 01.09. Mathea 02.09. Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys 03.09. Akne Kid Joe 11.09. The Baseballs 13.09. Verena GlücklicheKoch:Tage 15.09. Gregor Seberg & Band 15.09. Grossstadtgeflüster 16.09. Johann König 20.09. The Zombies 22.09. Daniela Dett & Henry Mason 24.09. Querbeat 30.09. Michael Hatzius 05.10. Berge 05.10. Cari Cari 06.10. Wallis Bird 06.10. Thomas Maurer 07.10. Mathias Tretter 07.10. Versengold 08.10. Philipp Hochmair & die Öst. Salonisten 08.10. Christoph Fritz 10.10. Tanja Raich 15.10. Katja Gasser 15.10. Die Sterne 17.10. Lisa Eckhart 17.10. Kiefer Sutherland & Band 22.10. Macy Gray & The California Jet Club 25.10. Nadja Maleh 27.10. Dirk Stermann 28.10. www.posthof.atFlüsterzweieck

Paradies Garten Festival Ein neues Festival für elektronische Musik in der Nähe von Wien. Und eine Location, die wahrlich beeindruckend ist. Die Veranstalter*innen des Paradise City Festivals bei Brüssel ver suchen sich am Standort Bruck an der Leitha. Mit dabei: Âme, Jayda G, DJ Koze, Salute und viele mehr. Sowie die Ambition, das grünste Musikfestival Österreichs zu werden. 5. bis 7. August Bruck an der Leitha, Schloss Prugg Sziget Festival In Budapest werden beim Sziget Festival heuer wieder das Mit einander, die Vielfalt, der Sommer und – natürlich – die Musik gefeiert, wenn sich die dortige Donauinsel zur »Island of Free dom« wandelt. Neben Headlinern wie Dua Lipa, Kings of Leon, Tame Impala oder Arctic Monkeys bietet das Line-up viele weitere Goodies aus den unterschiedlichsten Genres. 10. bis 15. August Budapest, FrequencyÓbuda-Insel Festival Nach zwei Jahren ohne kann es heuer wieder stattfinden, das Frequency in St. Pölten. Zu sehen gibt’s jede Menge alte Bekann te, die die Crowd vom Zeltplatz vor die Bühnen locken werden. Allen voran Bilderbuch, Annen May Kantereit sowie Raf Camora & Bones MC. Das Prequency legt schon am Tag vor dem eigent lichen Festival los, u. a. mit Gayle, SSIO, Yugo (Foto) und Eli Preiss. 17. bis 20. August St. Pölten, Green Park Tocotronic Parallel zu den Konzerten anlässlich ihres neuen Albums »Nie wieder Krieg« (fein wie immer!) holen Tocotronic aktuell die letzten Termine ihrer »Let There Be Tocotronic«-Tour nach. Ihr wisst schon, die Pandemie und so … In Wien stehen jedenfalls beide Teile dieses Best-ofs in Konzertform an, zuerst »The Ham burg Years« und dann »The Berlin Years«. 8. und 9. September Wien, Arena Open

Eine spannende Kombination bietet das Klangfestival in Gall neukirchen: Indie-Schwermut trifft auf elektroakustische Experi mente, progressiver Pop auf Noise-Attacken (Foto: Gewalt). Über dies wird ein eigenes Zine zum Thema Kooperation präsentiert sowie ein Computerspiel, das die Geschichte des Festivals zum Leben erwecken soll. 19. und 20. August Gallneukirchen, Alte Feuerwehrhalle und Altes HallenbadSturm und Klang Das Stadtfestival Sturm und Klang bringt vielfältiges Kulturleben in die pittoreske Altstadt Mödlings. Neben Theater und bildender Kunst gibt es vor allem ein dichtes Musikprogramm, das zum Gustieren und Flanieren zwi schen den unterschiedlichen Spiel stätten einladen soll. 3 September Mödling, diverse Locations

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at

WachtmannJanaFronhofer,ManuelValerieLogar,KurtPrinz,ThomasCaks,SandorCsudai,MašaStanić,MagnusWinter,MichaelPetersohn

Termine Musik

Zu seinem Bergfestival am Klippitz törl lädt Herwig »Fuzzman« Zamernik alljährlich eine überaus feine Auswahl heimischer Acts ein, die ihm auf die eine oder andere Art nahestehen. Klar, dass das dann im besten Sinne famili är wird. Heuer u. a. mit dabei: Attwen ger, Resi Reiner und Viech. 26. bis 28. August Wolfsberg, Kippitztörl

Rostfest Als »Festival für regionale Impulse« versteht sich das Rostfest in Eisenerz. Und tatsächlich zeigt es, was Kultur und lokaler Tourismus für den länd lichen Raum tun können. Es wird re vitalisiert, gemeinsam gefeiert, disku tiert und gestaltet. Jede Menge gute Musik gibt’s natürlich auch. 18. bis 20. August Eisenerz, Festivalgelände

Nach dem zwölften und dem zwanzigsten zieht es die Vienna Design Week heuer in den sechsten Bezirk. Dort, in Mariahilf, wird es im Rahmen des wichtigsten Designfestivals des Landes einiges an Programm geben, das sich mit für den Bezirk relevanten Themen beschäftigt. Und natürlich die Festivalzentrale. Er verstehe die Vienna Design Week als »großes, einladendes Tor zum Thema Design«, so Gabriel Roland, der das Festival seit dem Vorjahr leitet (und in dieser Ausgabe seinen Hut als The-Gap-Modekolumnist nimmt; siehe Seite 8). Bei unzähligen Veranstaltungen aus den Bereichen Produkt-, Grafik- und Industriedesign, Architektur, Handwerk und Social Design werden Anliegen wie etwa soziale und ökologische Nachhaltigkeit oder Vermittlung und Partizipation angegangen. 16. bis 25. September Wien, diverse Locations

Termine Festivals

Vienna Design Week

Die Vienna Contemporary versteht sich als »Bou tiquemesse«. Wie wählt ihr die rund 60 Galerien aus, die zur Messe eingeladen werden? Lokaler Fokus und höchstes Qualitätsniveau sind die führenden Parameter. Damit ist die Qualität der etablierten wie auch der aufstrebenden Galerien und der von ihnen vertretenen Künstler*innen ge meint. Wir bauen sehr persönliche und direkte Be ziehungen auf und fördern den Austausch zwischen den verschiedenen Akteur*innen des Marktes. Mit »Statement Ukraine« reagiert ihr auch direkt auf den Krieg in Europa. Was erwartet uns? Für die Kuratierung von »Statement Ukraine« haben wir Kateryna Filyuk eingeladen, eine promi nente ukrainische Expertin der jungen Generation, die wir für absolut kompetent halten, diese grau same Dynamik kritisch zu beleuchten. Sie bringt ein Konzept mit, das die aktuelle Situation in einen internationalen Kontext stellt. Heuer findet die Messe zum ersten Mal im Kursalon Wien statt. Welchen Einfluss hat der neue, historische Rahmen auf die Veranstaltung? Der Kursalon ist eine Ikone der Wiener Architektur der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Er wurde im Stadtpark erbaut, war also von Anfang an den Men schen gewidmet. Wir möchten eine exzellente Mi schung aus Bewährtem und Neuem in einem Klima großer Gastfreundschaft bieten. Wir verstehen das wunderbare Stadtpark-Areal als unseren Stadtteil, den wir mit zeitgenössischer Kunst beleben wollen.

In einer Aussendung heißt es, dass ihr versucht, die Grenzen dessen auszuloten, was eine Messe sein kann. Wohin führt euch dieser Versuch? Wenn man auf den Markt geht, geht man nicht nur hin, um Gemüse zu kaufen, sondern auch, um mit Freunden ein Glas Apfelsaft zu trinken, ein paar Snacks zu essen, herumzulaufen, Musiker*innen zuzuhören und einfach eine gute Zeit zu haben. Der Markt ist ein Zentrum der sozialen, kulturellen und politischen Konversation im Ökosystem jeder Stadt. Das ist auch unser Ziel. Wir wollen in und mit der Stadt leben und mit kultureller und künstlerischer Produktion einen Beitrag leisten.

8. bis 11. September Wien, Kursalon Wien 4 Fragen an Boris Ondreicka Artistic Director Vienna Contemporary 048

049

22. September

Termine Festivals

Steirischer Herbst »Ein Krieg in der Ferne« – unter diesem Titel widmet sich der Steirische Herbst heuer der »bedrohlichen Präsenz von Schlachten, die unsere Gesellschaft geistig abschirmt«. Wie gewohnt gibt es dazu Ausstellungen, Performances und Dis kussionen. Der russische Angriff auf die Ukraine bilde den neuesten Eintrag in einer langen Liste drohender Kämpfe in unmittelbarer Nachbarschaft, so Chef kuratorin und Intendantin Ekaterina Degot. Doch: »Die Front wird auf Abstand gehalten, nicht gesehen und nicht gehört, bis das Verdrängte mit voller Wucht zurückkehrt.« bis Oktober Steiermark, diverse Locations

Calle Libre Das Street-Art-Festival Calle Libre bespielt in seiner neunten Ausgabe den brachliegenden Wiener Nord westbahnhof – und somit erstmals ein fixes Areal, anstatt einzelne Hauswände in verschiedenen Tei len der Bundeshauptstadt. Mit dem Festivalthema »Regeneration« rückt die Veranstaltung Umwelt schutz, ökologische Nachhaltigkeit und Klimawan del in den Fokus der eingeladenen Künstler*innen.

Insgesamt elf Locations im Linzer Stadtgebiet bie ten heuer im Rahmen des Ars Electronica Festivals der Medienkunst eine Bühne. Das Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft findet dieses Jahr un ter dem Motto »Welcome to Planet B« statt. Wobei »Planet B« nicht einen anderen Ort meint, an den wir flüchten könnten, sondern ein anderes Leben auf und mit diesem Planeten.

Die Kunstmesse Parallel Vienna feiert ihren zehnten Geburtstag. Das kura torische Team lädt dabei auch heuer wieder aufstrebende wie etablierte Künstler*innen aus dem In- und Ausland ein, ihre Arbeiten in der Semmelweis klinik im 18. Wiener Gemeindebezirk zu zeigen. In rund 170 Räumen der nach dem bedeutenden Arzt Ignaz Semmelweis benannten ehemaligen Geburtenkli nik und der Krankenhausschule werden mehr als 600 künstlerische Positionen zu sehen sein. Ein Performance-Programm im Außenbereich der Anlage rundet das umfangreiche Angebot ab. 6. bis 11. September Wien, Semmelweisklinik

7. bis 11. September Linz, diverse Locations

16.

WachtmannJanaFronhofer,ManuelKristinaKulakova,Bueronardin/ViennaDesignWeek,XeniaSnapiro,DanaKavelina»LettertoaTurtledove«

1. bis 7. August Wien, diverse Locations Hin & weg Die »Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung« im Waldviertel wollen Theater in all seiner Vielfalt zeigen. Heuer steht die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit und Herkunft ebenso auf dem Programm wie das künstlerische Vorpreschen in unkonventionelle gedankliche Richtungen. Und zwar an teils recht ungewöhnlichen Orten, in der freien Natur oder etwa im neuen flexiblen Thea tergebäude Moment. 12. bis 21. August Litschau, diverse SlashLocationsFilmfestival »Die Natur schlägt zurück und unser aller Ende ist nah!!!« So steht es geschrieben. Auf der SlashWebsite. »Das Slash im Herbst wird sich aber noch ausgehen.« Wer sich also bei Nacht und Nebel wie der ins fantastische Treiben des Genrefilmfestivals stürzen möchte, sollte sich schon mal den Termin blutrot im Kalender markieren. Zu sehen gibt es auch heuer: das beste Neue und diverse Spezialpro gramme aus den Bereichen Horror, Science-Fiction, Fantasy, Animation und Weird Cinema. 22. Septem ber bis 2. Oktober Wien, diverse Locations Parallel Vienna

wehtWindderWenn KunstDerBevölkerung.derinElementunsichtbaredasfürBewusstseinneueseinherrschtsind,gewordensystemrelevantAtemschutzmaskenseitist,AerosolenundTröpfcheninfektionenvonRededieSeitdem Einnimmt.LebenundgibtLebendieschaffen,undkannzerstörendieKraft,Einehinterlässt.SpurenderWind,derLuft:derKindeinbotLösungSujet.forderndeseinlängerschonLuft,dieElement,dieseswar schärft.wunderbarganzdafürBlickdendieAusstellung,eineUndhinterlässt.AbdrucktiefeneinenSpracheunsererinauchdasMotiv, August28.bisWien,KunstHaus Termine Kunst 050

LopezCarreonManuelAfsah,Yalda/kunst-dokumentation.com,HelenFrankenthalerFoundation/BildrechtWien/TimPyle,MarleneFröhlich

Every Word Was Once an Animal In einem gemeinsamen Projekt mit dem Kunstverein München zeigt die Halle für Kunst Steiermark Filme der Künstlerin Yalda Afsah. Durchgängiges Thema der Arbeiten ist die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Sie wird entlang der Pferdedressur, dem Stierkampf und der Taubenflugkunst exemplifiziert. Dabei machen die sichtbaren ungleichen, aber auch differenzierten Machtverhältnisse ein grundlegendes relationales (Miss-)Verständnis des Menschen von seiner Um welt deutlich. bis 4. September Graz, Halle für Kunst Steiermark

Alina Strmljan und Vincent Elias Weisl, Curatorial Fellows am Haus, richten mit ihrem Projekt den Blick auf ein besonderes Element der Stadtstruktur: »Die Parkbank als soziale Skulptur«. bis 23. Oktober Wien, MUSA Startgalerie

Der umgebende Raum und die Materialität von Kunstwerken wird heutzutage fast immer in irgendeiner Weise mitgedacht oder thematisiert. Besonders stringente Ansätze haben dabei stets das Potenzial durch Cleverness zu überzeugen. Dass so eine enorme Bandbreite entsteht, die »die Skulptur« weit von ihren Ursprüngen entfernt hat, ist – unabhängig von ihrer Bewertung – ein Faktum. Die Zusammen stellung von Arbeiten junger und etablierter Künstler*innen soll dies zeigen. Und tut das auch. bis 30. September Wien, Neuer Kunstverein

Königshofer;UlrikeFoto:Graz,Medien,&KunstfürHalleAusstellungsansicht2015,Recorded«,»Wind,KönigshoferUlrikeOrtegaCosVictor

Hier und Jetzt. Wien Skulptur 2022

Zum ersten Mal ist Helen Frankenthaler eine eigene Ausstellung in Österreich gewidmet. Die Malerin zählt zu den Hauptvertreterinnen des abstrakten Expres sionismus und stellt der Monumentalität, die dieser -ismus häufig annimmt, doch etwas anderes entgegen. Zu sehen sind Werke aus sieben (!) Jahrzehnten ihres Schaffens. Frankenthalers Entwicklung wird hier vor allem anhand von Papier arbeiten aufgezeigt – über 70 an der Zahl –, zu denen sich einige Leinwände gesellen. bis 30. Oktober Krems, Kunsthalle Nehmen Sie Platz! Schon seit den späten 80ern bietet das Wien Museum jungen Künstler*innen eine Plattform für die erste institutionelle Ausstellung. Mittlerweile hat sich das Konzept hin zur Förderung aufstrebender kuratorischer Positionen gewandelt.

Malerische Konstellationen

Termine Kunst 051

Sept,16—252022 week.atviennadesign Carte Blanche (Cut)

Termine Filme & Serien

Ayub Den Horror des Alltags zeigen, das tut Kurdwin Ayub mit ihren Filmen – und mit Humor. Die 1990 im Irak geborene Filmemacherin flüch tete 1991 mit ihrer Familie nach Österreich und zog nach Simmering. Den Weg in die Medizin – wie ihre Eltern – wollte Kurdwin nicht gehen, stattdessen: Studien an verschiedenen Kunstunis und erste Kurzfilme, in denen sie sich anfangs noch selbst vor der Kamera präsentierte. Das Leben als Migrantin in zweiter Generation sowie die Selbstdarstellung auf Social Media sind dabei mitunter ihre Themen. Sie spielen nun auch in »Sonne«, ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm, eine Rolle: Der Film erzählt die Geschichte dreier junger Frauen, die dank eines Youtube-Videos, in dem sie im Hijab zu »Losing My Religion« singen und tanzen, Berühmtheit erlangen. Während Bella (Law Wallner) und Nati (Maya Wopienka) fasziniert sind von Yesmins (Melina Benli) Kultur, beginnt diese, sich davon zu distanzieren.

052 Das Drehbuch zu deinem neuen Film »Märzen grund« hast du gemeinsam mit Felix Mitterer und nach dessen gleichnamigem Theaterstück ver fasst. Wie kam es dazu? Der Produzent Michael Cencig hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, das Stück zu verfilmen. Ich hab es dann gelesen und war von der wahren Geschichte sehr angetan. Felix Mitterer schätze ich als einen hervorragenden Volksautor. Wir haben uns ein paar Mal getroffen und ausgetauscht. In der Praxis hab ich sein Stück adaptiert und er hat mir Feedback gegeben. Du hast bereits bei anderen Projekten mit Verena Altenberger zusammengearbeitet, allen voran bei »Die beste aller Welten«. Was fasziniert dich an ihrem Spiel und wie gestaltete sich auch die Zu sammenarbeit mit den anderen Darsteller*innen? Verena ist eine Vollblutschauspielerin, die sich mit Leib und Seele in die Projekte und die Rollen hineinwirft. Das ist genau das, was ich als Regis seur suche und weshalb sie auch so erfolgreich ist. Johannes Krisch, Gerti Drassl und Harald Windisch sind gestandene Schauspieler, die sich sehr präzise auf den Dreh vorbereitet haben. Für die beiden jun gen Hauptrollen haben wir viele Laien gecastet und Jakob Mader und Iris Unterberger mussten dann für ein paar Wochen auf eine Almhütte ins Zillertal, um an das hochalpine, bäuerliche Leben gewöhnt zu werden. Auch der Zillertaler Dialekt war für man che eine knifflige Aufgabe. »Die beste aller Welten« ist ein vielerlei Hinsicht ein anderer Film als »Märzengrund«, eine Ge meinsamkeit der beiden Filme liegt aber in der Mutter-Sohn-Beziehung. Kannst du uns dazu noch mehr erzählen? Das ist eher ein Zufall – oder ein unterbe wusstes Interesse. So gut wie alle menschlichen Tragödien haben ihre Ursache in der Kindheit oder in der Jugend und da sind die Eltern nun mal die zentralen Figuren. Die Beziehung, die die Mutter in »Märzengrund« zu ihrem Elias hat, würde ich aber als sehr schädlich und traumatisierend bezeich nen, also als das genaue Gegenteil von der MutterSohn-Beziehung in »Die beste aller Welten«. »Märzengrund«

Fragen an Adrian Goiginger Regisseur von »Märzengrund« Regie:RubikonMagdalena Lauritsch Ins All geht es mit »Rubikon«, dem Spielfilm debüt der österreichischen Regisseurin Magdalena Lauritsch, die das Drehbuch dazu gemeinsam mit Jessica Lind verfasst hat. Der Plot: Im Jahr 2056 reist die Soldatin Hannah Wagner (Julia Franz Richter) mit einem Team ins All, um an einem Forschungsprojekt zu arbeiten; und zwar geht es um Algen, die die Menschheit künftig mit Sauerstoff und Nahrung versorgen sollen. Als der Kontakt zur Erde abbricht, müssen Hannah und ihr Team entscheiden, ob sie zur Erde zurückkehren wollen oder nicht. Sind sie vielleicht die letzten Überlebenden? Ein moralisches Dilemma manifestiert sich an Board des Raumschiffs und unterschiedliche Mei nungen treffen aufeinander. »Rubikon« feierte seine Europapremiere beim Karlovy Vary International Film Festival. Start: 16. September

Start: 19. August 3

StudiosSkyNetflix,sek,FilmGraf/FilmSamsaraFilmverleih,StadtkinoTrumer,FohringerBarbara/PhilippBoz/AmusementParkFilm/CBSStudios

Regie:SonneKurdwin

Start: 9. September

The Sandman Idee: Neil Gaiman, David S. Goyer und Al lan Heinberg Bereits 1991 hätte die ses Projekt, das auf den DC-Comics basiert, realisiert werden sollen. 2013 gab es Pläne, den Stoff als Film umzusetzen. Nun ist »The Sandman« endlich doch zu sehen – bei Netflix. Morpheus / Dream (Tom Sturridge), der König der Träume, wurde gefangen genommen und 105 Jahre festgehalten. Nach seiner Flucht versucht er, das Königreich der Träume wie derherzustellen.

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Regie: Annika Pinske ———— Annika Pinskes Debütfilm erzählt die Geschichte einer Frau, die sich von ihrem Heimatort entfernt hat: Die fast 40-jährige Clara (Anne Schäfer) promoviert gerade und lebt in Berlin. Sie hat es geschafft, die Provinz zu verlassen und in den intellektuellen Kreisen der Hauptstadt anzukommen. Als sie für den Geburtstag ihrer Mutter zurück in die Heimat muss, merkt sie schnell, wie fremd sie sich dort fühlt.

Peele ———— Die Bedrohung kommt von oben: In Jordan Peeles neuem Film machen die Bewohner*innen einer einsamen Schlucht in Kalifornien eine unheimliche Entdeckung. Peeles Anfänge mögen im Comedy-Bereich liegen, seit »Us« und »Get Out« gilt er aber als Horror-Spezialist. Als während des Superbowls ein erster Trailer veröffentlicht wurde, stellten viele Fans die Theorie auf, »Nope« thematisiere eine Alien-Invasion. Start: 11. August

Idee: Michal Aviram 50 Jahre nach dem Münchner Olympia-Attentat soll ein Freund schaftsspiel zwischen einem deutschen und einem israelischen Fußballklub stattfinden. Die Sicherheitsvorkehrungen sind immens, befürchten doch alle Ausschreitungen. Polizei und Geheimdienste sind in höchster Alarmbe reitschaft. Wird sich die Geschichte wiederho len? Die Regie bei den sechs Episoden über nahm Philipp Kadelbach. Spannendes für den Spätsommer.

Peter von Kant Regie: François Ozon ———— Der erfolgreiche Regisseur Peter von Kant (Denis Ménochet) führt eine Beziehung mit seinem Assistenten Karl (Stéfan Crépon), den er jedoch schlecht behandelt. Dann verliebt er sich in den aufstrebenden Jungschauspieler Amir (Khalil Gharbia). Amir wird zum Star – und verlässt Peter. Eine freie Adaption des Stücks »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« und des gleichnamigen Films von Rainer Werner Fassbinder aus 1972. Start: 23. September

Regie:FreibadDorisDörrie ———— In Freibädern treffen unterschiedliche Menschen aufeinander, so auch in Doris Dörries neuem Film: Er spielt im einzigen Frauenfreibad Deutschlands, wo sich Frauen im Bikini, Badeanzug oder auch Burkini tummeln. Auch eine Gruppe komplett verhüllter Frauen besucht das Bad – und dann ist da noch der einzige Mann, Bademeister Nils. Die Komödie thematisiert gesellschaftliche Diskussionen mit einer großen Portion Humor. Start: 2. September Alle reden übers Wetter

Start: 16. September Für die Vielen – Die Arbeiterkammer Wien Regie: Constantin Wulff ———— Die Arbeiterkammer feierte 2020 ihr 100-jähriges Bestehen. Im Zuge der Vorbereitungen darauf begleitete Regisseur Constantin Wulff (»Wie die anderen«, »Ulrich Seidl und die bösen Buben«, »In die Welt«, …) verschiedene Personen aus dem AKUmfeld. Er zeigt das Porträt einer Institution, die in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und verschiedenen Krisen für die Arbeitnehmer*innen kämpft. Start: 23. September

Start: 5. August Netflix Munich Games

Start: 4. September Sky

Regie:NopeJordan

Schnelle Schnitte und knallige Collagenästhetik zaubern in »Pistol« einen hyperaktiven Rock ’n’ Roll Swindle auf den Schirm.

Ja, je weiter man sich in den sechs Episo den vorwagt, desto stärker verfestigt sich sogar noch der Eindruck, dass Boyle hier tatsächlich betrüblich wenig eingefallen ist, was über das Deklamieren von Sprüchen für die nächste H&M-Punk-Kollektion, eine gewiss sehr persön liche Nostalgiereise und das reine Runterrattern von Bullet Points aus der Band-Wiki hinausrei cht. Man fragt sich, was uns »Pistol« eigentlich vermitteln möchte, was wir nicht bereits in zahlreichen zwingenderen Zeitzeugenannä herungen an Band und Bewegung – von Greil Marcus’ »Lipstick Traces« über Alex Cox’ »Sid and Nancy« bis Julien Temples »The Filth and the Fury« – erfahren durften? Was es uns zu er zählen hätte über die ja nicht nur popkulturelle Sprengkraft dieses kurzen, durchaus heftigen protoanarchischen Aufbegehrens, über einen gewissen damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel, der das Denken und Fühlen vieler jun ger Menschen nachhaltig verändern konnte? Ja, auch über allfällige Parallelen zur Gegenwart, die nicht ganz unabsichtlich zu Beginn dieses Textes evoziert wurden? Oder was es auch »nur« nicht schon zigfach Wiedergekäutes zu berich ten hätte über das (Innen-)Leben dieser geni alen Dilettanten im Auge ihres selbstkreierten Orkans? So bleibt wenig anderes übrig als final konsterniert zu konstatieren: The Punk Revolution Will Not Be Televised – oder zumindest nicht in dieser Form, die Rebellion bloß als pseu do-edgy, grell aufgemachtes Nachstellen für die Dauerrotation im nächstbesten Hard Rock Cafe versteht und dabei gar nicht auf die Idee kommt, den Blick auch nach vorne oder zumindest zur Seite zu richten. Solch seichte Retromanie ohne Eigeneinfall oder Erkenntnissuche hat völlig zu Recht: No Future. prenner@thegap.at • @prennero Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen.

Christoph Prenner bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber

Überschießende Parolen So nimmt es kaum Wunder, dass die zwei Serien architekten entlang der Leitplanken Bandfindung in ärmsten Verhältnissen und kometenhafter Aufstieg zunächst einen auf den ersten Blick ganz gut schaubaren Zugang finden: schnelle Schnitte und knallige Collagenästhetik zaubern einen hyperaktiven Rock ’n’ Roll Swindle auf den Schirm, über den sich auch Sex-Pistols-Impresa rio Malcolm McLaren gewiss gefreut hätte – oder zumindest amüsiert. Nicht ganz unironisch ist es freilich, dass ungefähr mit dem Auftauchen von dessen Serienversion eine Eintrübung des schö nen Scheins von »Pistol« einhergeht, die danach nie wieder vergeht. Überschießend flamboyant gezeichnet ist dieser McLaren nämlich eine jener unverzeihlichen Figuren, die es nicht nur nur in Biopics gibt, sondern die sich auch permanent wie im Wissen um ihre Existenz in einem eben solchen benehmen. Aufgehängt auf Dauer-Sloganizing (»I don’t want musicians, I want sabo teurs!«) kommt die Produktion bald kaum noch ohne jenes Megaphon-Messaging aus, das dir ohne Unterbruch versichern muss, dass hier ge rade Geschichte gemacht, dass Bahnbrechendes und ungemein Bedeutendes geschaffen wird, dazu bestimmt, die Welt tiefgreifend aus den Angeln zu heben. Doch selbst, wenn diese hier postulierten Prophezeiungen ja prinzipiell wahr werden durften: So hat sie damals ganz fix nie mand ausposaunt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt – dafür muss man noch nicht mal Pistols-Front-Zornbinkerl Johnny Rotten sein, der sich in gewisser Vorahnung schon früh vom Projekt distanziert hat.

Screen Lights Viel Lärm um wenig

054

Disney+Senoner,Luca

Der befreite Blick nach vorn: Er ist verstellt, nicht bloß ein bisserl, sondern ziemlich massiv und tendenziell dauerhaft. Die Welt, die dir bis her ohnehin nur äußerst selten Gutes verheißen wollte, sie scheint nun endgültig auf den Hund gekommen, am Ende angekommen. Die Preise schießen im Affenzahn durch die Decke, wäh rend deine eigenen Chancen täglich ein Stück weiter ins Bodenlose sinken. Rezession, Resi gnation. Dieses Schweinesystem hat dir wahr lich wenig mehr zu bieten außer die modrigen Ideen und Ideologien von Vorgestern, die man dir bei jeder sich bietenden Gelegenheit unge fragt aufs Auge zu drücken versucht. Das Heute saugt und der Ausblick auf noch Entstehendes ist längst auch nicht mehr das, was er einmal war. Aber wenn du schon No Future hast, dann soll das gefälligst auch die ganze Welt wissen – und vor allem: hören. Alles muss raus, so laut wie möglich. Anarchy in the UK Gegen die Agonie anschreien, die Zustände zulärmen: seit Urzeiten ein probates Mittel der Wahl – spätestens aber seit einem ganz be stimmten Urknall, der sich Mitte der 60er-Jahre in London zutrug. Zurückzuführen ist dieser auf eine Band(e) abgehängter Aufrührer, deren gemeinsamer Kürzest-Kreativfunkenflug eine Explosion entfachte, so laut und intensiv, dass deren Ausläufer bis zum heutigen Tage nachhal len. Die Story der, richtig, Sex Pistols ist einer jener Stoffe, aus denen die unkaputtbarsten Outsider-Rockstar-Träume sind – die erbau lichen genauso wie die entsetzlichen; in jedem Fall aber die aus der unstillbaren Verwertungslogik der Popkulturproduktion nicht mehr wegzu denkenden. Aus diesem Grund gibt es nun eine weitere Bewegtbildaufarbeitung jener Tage, in denen »Anarchy in the UK« herrschte: Die ab 28. September auf Disney+ abrufbare Miniserie »Pi stol« baut auf »Lonely Boy«, den Memoiren von Steve Jones, seines Zeichens Gitarrist und Grün der der Pistols, auf – fürs TV adaptiert wurden sie von einem Gespann, das auf dem Gebiet der Jugendkulturvermessung schon einschlägige Verdienste verbuchen konnte. Drehbuchautor Craig Pearce half neulich dabei mit, Elvis elek trisierend auf die Leinwand zu hieven, Regisseur Danny Boyle zeigte bereits vor einem Viertel jahrhundert in »Trainspotting«, wie es ist, young and restless im Reich der ewigen Queen zu sein.

J U K . A T GOT WHAT,S HOT

The Power of the Fucking Rainbow An einem prä-pandemischen Abend 2019 in einer Wiener Wohnung treffen vier Menschen aufeinander. Zwei Enkelkinder von Holocaustvertriebenen treffen sich mit ihrer Wahlverwandtschaft und diskutieren in den Abend hinein, arbeiten die Vergangenheit auf und geben sich der Erotik einer Sommernacht hin. »Gott des Gemetzels« meets »Will & Grace« meets Thomas Bernhard. Mitten im bunten Herzen Europas. 22., 24., 28., 29. und 30. September sowie 1. Oktober Wien, Werk AntigoneX-Petersplatz

Die kleine Schwester von Nett Josef Jöchl ist nicht nur der vielleicht netteste Kolumnist bei The Gap (»Sex and the Lugner City«), sondern auch der wahrscheinlich netteste Comedian Öster reichs. In seinem neuen Bühnenprogramm stellt der nette Josef Nettigkeiten auf den Prüfstand: »Wenn nett sein so toll ist, warum steht es dann in keiner Stellenausschreibung?« Außerdem: »Was bedeutet es, wenn sogar Banken zu einem nett sein wollen?«

056

Welche Überschneidungen gibt es zwischen dem Theater und dem Hip-Hop bzw. der House-Dance-Kultur? Für »Flavourama Performatory & Voices« werden drei Tänzer*innen und drei Musiker*innen ausgewählt, um auf der Bühne des Toihaus Theaters musikalisch, tänzerisch, performativ zu improvisieren; ein Experimen tieren im Bühnenraum mit den Grenzen der jeweiligen Disziplinen. Zusätzlich werden die Tänzerinnen und Choreografinnen Alesya Dobysh aus den Nieder landen und Linda Hayford aus Frankreich ihre beiden Solos »Stop Making Sense« und »Shapeshifting« vorstellen. »Flavourama Performatory & Voices« ist Teil des Flavourama Streetdance Festivals, das über den Zeitraum von neun Tagen in ternationale Hip-Hop- und House-Dance-Artists sowie -Performer*innen in die Mozartstadt einlädt. 1. September Salzburg, Toihaus FestivalFlavouramaHill,DanielMausOliver

Termine Bühne

Elon Gold: Live Bekannt ist Elon Gold zum Beispiel durch Rollen und Gastauftritte in »Curb Your Enthusiasm«, »The Mentalist« oder »Bones – Die Knochenjäger«. Oder auch durch sein eigenes Netflix-Stand-up-Special. Bei der Liveshow des Comedians, Schauspielers, Drehbuchautors und TV Produzenten kann man sich auf allerlei US-amerikanische Popkulturreferenzen einstellen; auf Imitationen von Howard Stern, Jay Leno und ein gute Prise jüdischen Humor. 31. August Wien, Globe

Im Kampf zweier Brüder, die einen Krieg vor Theben verantworten, stellt sich Antigone, die gemeinsame Schwester der beiden, gegen ihren eigenen Onkel, den neuen Herrscher. Im Versuch, in dieser Verwicklung von Familienstreit und Staatsräson ihre Menschlichkeit zu bewahren. Die Regisseurin, Autorin und Friedensaktivistin Katja Ladynskaya ergänzt diesen antiken Stoff um eigene Texte und holt das Stück über unmenschliche Systeme und menschliche Werte in die Gegenwart. 29. September Linz, Theater Phönix Yishun Is Burning & Baba Karam … … – through Jamileh and Khordadian«. Zur Eröffnung der neuen Spielzeit hat das Brut Wien den in Berlin lebenden Künstler Choy Ka Fai aus Singapur und das schwedisch-iranische queerfeministische Künstlerinnenkollektiv Konstgruppen Ful eingeladen. Ein Abend, der verspricht Tradition und Hyperrealismus, Tanz und Performance aufeinandertreffen zu lassen: »Ritual and voguing ecstasy from Singapore meets queer Iranian dance party in drag!« 30. September bis 2. Oktober Wien, Brut Nordwest

Für seine nette Comedy bekam Jöchl auch schon ganz schön viel Aufmerksamkeit. Ein Journalist von Der Spiegel schrieb zum Beispiel: »Wer hier lacht, will freundlich sein« und welch größere Auszeichnung als ein Verriss im Spiegel kann es schon geben? 22. und 24. September, 22. Oktober, 19. November sowie 12. Dezember Wien, Kabarett Niedermair Flavourama Performatory & Voices

Bauen

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Sex and the Lugner City

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Der Charakter zählt

058 RichterY.Ari

Josef Jöchl artikuliert hier

ziemlich viele Feels

Einmal dachte ich mir, ich hätte einen Turn schuh-Fetisch. Sofort ging ich in den nächsten Snipes und kaufte mir ein Sneaker-Putzmittel. Dann suchte ich, kurz aber erfolgreich, nach einem Gleichgesinnten. Nach nur einer Begeg nung war mir klar, dass meine Beziehung zu Turnschuhen eine rein platonische ist. Ich mag einfach bequeme Schuhe, that’s it. Mit solchen Erkenntnissen kann ich arbeiten. Man weiß schließlich nicht immer genau, was gerade mit einem los ist. In meinem inneren Cockpit wird nämlich die meiste Zeit über gejausnet, während meine Psyche auf Autopilot geschaltet ist. Auf meinen erzwungenen Notlandungen zwischen Loveville und Sexytown kommt es deshalb hin und wieder zu mittelschweren Turbulenzen. Darum lasse ich regelmäßig den Flugschreiber öffnen, um herauszufinden, was auf der Langstrecke JOSEF1206 eigentlich schiefgelaufen ist. Damit möchte ich sagen: Ich bin therapieerfahren und habe eine proble matische Beziehung zu Sprachbildern aus der Welt der Luftfahrt. Talk, Valentina! Das ist nichts Ungewöhnliches. Wir alle ha ben unser Päckchen zu tragen, wie man so schön sagt. Manche bezahlen sogar extra für Übergepäck. (Stop it, Josef!) Je mehr Men schen du kennenlernst, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass mal jemand dabei ist, der psychisch etwas hat. Das finde ich nicht weiter schlimm. Trotzdem erzählen sogar jene, die von ihrer Depression, ihrer Anxiety oder ihrem Borderline wissen, selten davon in ihrer Tinder-Bio. Zu schnell gilt so etwas als eine Red Flag. Unpopular Opinion: Zu viele Red Flags zu haben, ist für mich die einzig wahre Red Flag. Wenn jemand beispielswei se auf einem ersten Date ausschließlich über seine*n Ex redet, muss das nicht bedeuten, dass die Airport Authority versagt hat. (Boah, Josef!) Es kann auch eine Gangway in eine Boeing 747 sein. Kiss and Ride, fasten your seatbelt, ready for take-off! (Peinlich, Josef!) Beziehungen zu und zwischen neurodiver genten Personen sind natürlich nicht davor gefeit, auf holpriger Piste zu starten. (Böser Josef!) Es kommt dabei immer darauf an, ob und wie man darüber spricht. In a minute I’ma need a sentimental man or woman to pump me up Zum Beispiel dieser neue Freund. Ich war mit ihm zum Kaffeetrinken auf der Mahü verab redet. Dazu sollte es aber nie kommen, weil er, kurz nachdem wir uns trafen, mitten im Frühjahr, vorschlug in den H&M zu gehen, um neue Fingerlinge zu kaufen. Dort angekommen probierte er eine Reihe weißer T-Shirts an, ent schied sich dann aber für zwei Jogginghosen, bevor er beschloss bei einem Barbershop einen spontanen Haarschnitt einzuschieben. Weil der zuhatte, gingen wir in einen Billa und erledigten dort seinen ganzen Wocheneinkauf. Dieses Treffen dauerte ca. 50 Minuten. Bei anderen Personen hätte mich dieses Verhalten zumin dest gewundert, schließlich höre ich nichts lieber als die Frage »Tee oder Kaffee?«. Doch weil er mir während dieser ganzen Zeit erklärte, wie er mit ADHS lebt, was für ihn geht und was nicht, fühlte ich mich okay und gut aufgehoben, in etwa wie auf einem Alpenrundflug in einer schmucken Cessna 172. Es war plötzlich alles normal. Allerdings herrscht nicht jeden Tag perfektes Flugwetter. Feelin’ fussy, walkin’ in my Balenci-ussies, tryna bring out the fabulous Beziehungen stellt dieser erhöhte Kommunika tionsaufwand oft auf die Probe. Das weiß ich von Frens, die mit Bipolaren oder Depressiven zusammen sind. Viel zu oft stellten wir uns bei akuten Problemen die Frage: Ist es die Störung oder ist er ein Arschloch? Mittlerweile glaube ich, dass es sich dabei um zwei völlig verschiedene Kategorien handelt. Es ist in jedem Fall, was es ist. Besser ist, wenn beide ihre Blackbox geöffnet haben. In Zeiten wie diesen schlägt so manches unbemerkt auf unsere Seelen. Deshalb frage ich lieber einmal öfter, wie es jemandem geht, den ich mag. Viel vorsichtiger bin ich bei den »Nor malen«, die jede alltägliche Einengung scheinbar mühelos bewältigen. Deshalb: Mehr Therapie auf Krankenschein! Wer es sich leisten kann, macht sowieso Sachen wie EMDR oder Somatic Ex periencing. Letzteres ist anscheinend eine Art Traumatherapie über die Füße. Dafür zieht man seine Turnschuhe aus (uuuughhhh…), was mich, wie eingangs erwähnt, auf sehr angenehme Ge danken bringt. Ich möchte es aber deshalb nicht unbedingt auf einer Flugzeugtoilette machen, wenn ihr versteht, was ich meine. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe Josef Jöchl ist Comedian. Sein neues Programm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Es feiert am 22. September in Wien Premiere. Aktuelle Termine sind auf www.knosef.at zu finden.

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TicketsStadthalle,WienerderinShows oeticket.combarracudamusic.at7999979+43-1Tel.·stadthalle.comauch:TICKETS UNTER: 07.10.2022FREITAGOETICKET.COM PPC GRAZ 08.10.2022SAMSTAG WUK WIEN WWW.OETICKET.COM - WWW.STADTHALLE.COM - TEL: 01 79 999 79 VöslauBad2540GmbH,ProduktionsHAVAlliancePrintHersteller:Wien1090GmbH,MusicBarracudaMedieninhaber: VÖSLAUBAD2540GMBH,PRODUKTIONSHAVALLIANCEPRINTHERSTELLER:WIEN1090GMBH,MUSICBARRACUDAMEDIENINHABER: RezvaniRahiPhotography: OETICKET.COM TICKETS SIND IN JEDER BANK AUSTRIA (ERMÄSSIGUNG FÜR TICKETING-KUNDEN) SOWIE UNTER TICKETING.BANKAUSTRIA.AT ERHÄLTLICH. 17.10.2022 GASOMETER WIENVöslauBad2540GmbH,ProduktionsHAVAlliancePrintHersteller:Wien1090GmbH,MusicBarracudaMedieninhaber:GREGORYALANISAKOV.COM TICKETS UNTER WWW.OETICKET.COM ERHÄLTLICH. 15. OKTOBER 2022 ARENA WIEN VöslauBad2540GmbH,ProduktionsHAVAlliancePrintHersteller:Wien1090GmbH,MusicBarracudaMedieninhaber:oeticket.com

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