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Dass das Jahr 2022, das sich nun mit dem Schwinden des Sommers ins letzte Quartal begibt, trotz weitestgehender Bemühungen zur Restabiliserung des öffentlichen Lebens nicht unbedingt ein übertrieben lustiges war, scheint keine bahnbrechende Erkenntnis. Die beginnende Zeit der fallenden Blätter und Übergangsjacken tut ein Übriges und legt gleich eine ordentliche Portion Melancholie drauf, was vielleicht sogar noch zu genießen wäre, würde das Menschenrecht auf Wohnen umfassend geachtet – und wären jene teils hypothetischen Wohnungen in der kommenden Saison leistbar zu beheizen. Es verlangt einiges ab, mit diesen Vorzeichen die Perspektive nicht zu verlieren.
Die Coverstory dieser Ausgabe beschäftigt sich mit Personen, die von derartigen Anstrengungen ein Lied singen können: FLINTA Kabarettist*innen machen dem männlichen Monopol auf alles, was lustig sein soll, immer mehr den Platz streitig. Sie kämpfen dabei nicht nur um ihre eigene Sichtbarkeit, sondern auch gegen die krachenden Mühlen des Patriarchats. Zusätzlich erschwert wird das durch Auslastungszahlen von Theater und Bühnenhäusern, die sich nun, »nach« der Pandemie, in einem prekären Tief einpendeln – wie in der Rubrik »Wortwechsel« diskutiert wird. Währenddessen erreichten die Affenpocken auch Österreich, ohne dass ihrer Verbreitung allzu viel entgegengesetzt worden wäre. Nach und nach kommt zwar Bewegung ins Spiel, aber Expert*innen befürchten, dass auch hier zu langsam gehandelt werde. Ob wir es in dieser Saison mit einer zweifachen Verwendung der PCR Test Technologie zu tun haben werden?
Peter Nachtnebel, langjähriger Programmchef im Wiener Fluc, lässt es derweil bleiben. The Gap erzählte er, wie er in einem anderen Wien zum Veranstalten und schließlich zur Verantwortung in einem der mittler weile alteingesessensten Clubs der Stadt kam.
Und falls man sich nach dem Sommerloch, das keines war, nicht ohnehin schon zur Genüge gruselt, ist Halloween auch um die Ecke. Susanne Gottlieb sprach mit Stefan Sonntagbauer über seine Arbeit an und mit der »Horror Academy«, die zwar wenig mit Kürbissen zu tun hat, aber sich ebenfalls mit furchteinflößenden Themen beschäftigt –etwa dem österreichischen Hang zur Verdrängung. Jenem wollen wir hiermit nicht nachgeben, deshalb wünschen wir klare Sicht im Herbstnebel und einen möglichst freudvollen Beginn der coughing season!
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Herausgeber
Manuel Fronhofer, Thomas Heher
Chefredaktion Sandro Nicolussi
Leitender Redakteur
Manfred Gram
Gestaltung
Markus Raffetseder
Autor*innen dieser Ausgabe
Christoph Benkeser, Barbara Fohringer, Susanne Gottlieb, Oliver Maus, Victor Cos Ortega, Dominik Oswald, Helena Peter, Felix Korbinian Schmidtner, Ghassan Seif-Wiesner, Jana Wachtmann, Christoph Waldboth, Sarah Wetzlmayr
Kolumnist*innen
Josef Jöchl, Imoan Kinshasa, Christoph Prenner
Fotograf*innen dieser Ausgabe
Alexander Galler, Aslan Kudrnofsky
Coverfoto
Aslan Kudrnofsky
Lektorat
Wolfgang Grob, Jana Wachtmann
Anzeigenverkauf
Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl
Distribution
Andrea Pfeiffer
Druck
Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung
Thomas Heher
Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien
Kontakt
The Gap c/o Comrades GmbH Stauraczgasse 10/4, 1050 Wien office@thegap.at — www.thegap.at
Bankverbindung
Comrades GmbH, Erste Bank, IBAN: AT39 2011 1841 4485 6600, BIC: GIBAATWWXXX
Abonnement
6 Ausgaben; Euro 21,— (aktuell: Euro 19,97) www.thegap.at/abo
Heftpreis
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Erscheinungsweise
6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1052 Wien
Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz
www.thegap.at/impressum
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber*innen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmi gung der Geschäftsführung.
018 »Ich hatte das Gefühl, Teil einer Bewegung zu sein« Fluc-Programmchef Peter Nachtnebel hört auf
022 Verdrängung um jeden Preis Stefan Sonntagbauers »Horror Academy«
026 Bürokratische Hürden statt schneller Kampagnen Die Vernachlässigung der Affenpocken
privat (2), Adobe Stock, Sarah Morris / Air de Paris, A slan KudrnofskyDie Gestaltung des Covers ist jedes Mal eine neue, aufregende Herausforderung. Leichter fällt es in der Schlussproduk tion, wenn man Professionals wie Aslan am Telefon hat, die trotz aller Kurzfris tigkeit entgegnen: »Klar, für euch mach ich das gerne!« Die 37-jährige Cineastin, seit 17 Jahren in Wien lebend, fotogra fiert in den Bereichen Kunst, Porträt und Street. Für diese Ausgabe lichtete sie drei Protagonist*innen unserer Coverstory so ab, dass die Aufregung spontan in Vorfreude umschlug.
Als freier Autor und Filmemacher ist Christoph natürlich Leser von The Gap. Das schrieb er jedenfalls in seiner ers ten Mail an uns, mit der er eine Zusam menarbeit anstrebte. Sie mündete in seinem Text zur Intimitätskoordination in The Gap 194. In der vorliegenden Ausgabe folgt nun gleich sein zweiter Streich: die Coverstory. Der Jungautor mit steiler Karrierekurve sucht übrigens auch nach einem Buchverlag und Film produktionskoops. Schnappt ihn euch, bevor er endgültig »an der Kunstfeind lichkeit dieser Welt verzweifelt«.
Dinge, die Zugfahren lebendig machen
01 Zwei Wochen vorab reservieren und die Zuggarnitur fällt aus
02 »Verspätung aus dem Nachbarland«
03 Gruppenbuchungen U20 oder Ü50 mit Alkohol
04 Der Sitzplatz bei der Gepäckablage
05 Sitze ohne Fußraster
06 »WLAN«
07
Der Kaffee aus dem Bordbistro
08 Eine leere erste Klasse, aber eine überfüllte zweite Klasse
09 Leberkäsesemmel im vollen Zug, im Sommer (ohne Maskenpflicht)
10 Drängeln beim Ein- und Aussteigen (Reißverschlusssystem, kennst?)
Schriftarten für den Alltag
01
02 Comic Sans – aber nur in dieser Farbe: #41A5EE
03 Ink Free – als Unterschrift
Auch nicht schlecht:
Ein Gespenst – »Bei Tageslicht«
Francesca Herr ist Mitorganisatorin der 26. Deutschsprachigen Poetry-SlamMeisterschaften, die von 2. bis 6. November in Wien stattfinden.
Naturweine, die ich auch nur wegen des Namens kaufen würde
01 Superglitzer (Rennersistas)
02 Toast Hawaii (Herbert Zillinger)
03 Voodoo Child (Michael Wenzel)
04 Blonde by Nature (Pittnauer)
05 Frauenversteher (Michi Lorenz)
06 My Sexy MF (Leo Uibl)
07 Rumble in the Jungle (Kobatl)
08 Hunny Bunny (Judith Beck)
09 Hokus Pokus (Christian Tschida)
10 Dope (Claus Preisinger)
Lebensmittel, für die es ein klares Ja oder Nein gibt
01 Koriander
01 Rosinen
01 Sellerie
Auch nicht schlecht Verbranntes Kraut
Katrin Hofmann ist Mitbegründerin des Feschmarkt (14. bis 16. Oktober, Graz, Seifenfabrik — 11. bis 13. November, Wien, Ottakringer Brauerei).
Ihr neuestes Projekt »Mit alles« ist gutem Essen und gutem Wein gewidmet.
Das sagenumwobene linke Beisl Kuku, das seit mehr als 40 Jahren besteht, sucht, nachdem der langjährige »Präsident der Herzen« Uli im Juni verstarb, nach neuen Wirt*innen. ———— »Wir haben lange überlegt, wie wir als Verein und Vorstand des Kukus mit Ulis Tod umgehen. Letztendlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass uns allen die Kraft und die Zeit fehlt, um das Lokal ohne unseren alten Wirten weiterzubetreiben«, liest man Ende Juni auf den SocialMedia-Kanälen eines der ältesten noch bestehenden linken Beisln Wiens. Das Kuku – kurz für: Verein zur Förderung von Kunst, Kultur und Kommunikation – mit seinen mittlerweile über 40 Jahren lin ker Beisltradition einfach zu schließen, bringe der restliche Vorstand aber auch nicht übers Herz.
Ulrich Martin Andreas Domforth war in der Szene alles andere als ein Unbekannter. In den 80ern und 90ern stand er mit seiner Band B.O.R.B. – er war Texter, Gitarrist und Sänger – auf allen möglichen politischen Bühnen Wiens und der Nachbarländer. Auch abseits der Musik volles Programm: Von WUK-Besetzung über EKH bis Opern balldemos war alles dabei. Seit 1981 war er dann stadtbekannter Wirt. Nun hofft der Vorstand des Kuku, Einzelpersonen oder eine Gruppe zu finden, die mit Leidenschaft hinter der Beisltradition stehen oder einfach immer schon mal Wirt*in sein wollten.
Sollte sich keine Nachfolge für das Etablissement an der Linken Wienzeile finden, wird dieses Kapitel Stadtgeschichte mit 13. Dezem ber geschlossen. Derzeit schaut es allerdings gut aus, dass es nicht einmal eine Abschiedsveranstaltung geben wird, sondern nahtlos angeschlossen werden kann: »Aktuell können wir sagen, dass es tat sächlich sehr viele Interessent*innen gibt, und wir hoffen, dass sich daraus eine Gruppe ergibt, die nach uns übernehmen wird und das Kuku in seiner altbekannten Form weiterführt, also als linkes Beisl mit günstigen Getränken und kulturellem Programm.«
Herzlich willkommen, ihr Interesse zu bekunden, seien jeden falls alle, die sich mit dem Selbstverständnis des Lokals identifizieren können – »außer man heißt Martin Ho«. Sandro Nicolussi
Sollte das Kuku Nachfolger*innen finden, wird es auch in Zukunft an gewohnter Stelle, der Linken Wienzeile 94, zu finden sein. Weitere Infos gibt’s auf den Kuku-Seiten auf Facebook und Instagram.
04/10/22
PIPPA
Pippa Gesang, Hans Wagner Keyboards, Gitarre, Gesang, Tim Tercero Bass, Gitarre, Michael Lind Schlagzeug 02/12/22
Paul Buschnegg Gesang, Gitarre Romy Jakovcic Bass, Gesang Xavier Plus Schlagzeug Kilian Hanappi Percussion 20/01/23
Florence Arman Gesang, Keyboards Johannes Schweiger Keyboards John Arman Gitarre
24/02/23
»Alone, Not Alone« 17/04/23
AVEC
Veranstaltungen im Abonnement und einzeln erhältlich. Weitere Informationen unter konzerthaus.at/2223SIN
AVEC © Martin MorscherImmer mehr erwachsene Menschen, allen vo ran FLINTA*, werden als autistisch diagnos tiziert. So auch ich. Natürlich war ich nicht vom einen auf den anderen Tag vom Autismus »besessen«. Die Erkenntnis kam schleichend, der Autismus war schon immer da. Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich endlich den Brief mit der Diagnose in meinem Postkasten fand. Konzentriert habe ich mich durch sieben Seiten medizinisches Blabla gekämpft, bis es auf der letzten Seite lautete: »… zeigt eindeu tig die Merkmale einer Asperger-AutismusStörung.«
Das hat einiges verändert, obwohl an mir nichts anders war. Autismus ist der Sammel begriff für eine tiefgreifende Entwicklungsstö rung und wird meist schon im Kindesalter dia gnostiziert. Wenn man online nachliest, erfährt man, dass die meisten Betroffenen Probleme mit Kommunikation, sozialen Kontakten oder Spontaneität haben. Autismus ist ein Spektrum, jede autistische Person hat andere Stär ken, Schwächen und Probleme.
In den Medien dominiert das Bild vom stoischen Nerd. Man denke etwa an Sheldon Cooper (»The Big Bang Theory«), der seinen perfekten Sitzplatz mit seinem Leben vertei digt. Gleichzeitig muss ich an mich denken, denn auch ich hab e für mich absolut gute Gründe, warum ich genau da oder dort sitzen muss, sonst bekomme ich schlechte Laune. Oder nehmen wir Shaun aus der Serie »The Good Doctor«, der vor seinem inneren Auge die menschliche Anatomie in 3D abrufen kann. Auch das kann mein Gehirn bewerkstelligen.
Das autistische Stereotyp ist ein emoti onsloser, roboterhafter weißer Mann, meist ho chintelligent, aber ohne soziale Kompe tenzen. Er wirkt fast kindlich, wenn es um »Erwachsenensachen« geht – etwa selbstän dig zu wohnen und sein Leben zu organisie ren. In der Realität sieht es so aus, dass ich viele Emotionen habe. Manchmal vielleicht zu viele. Ich kann euphorisch werden bis zu einem High-Gefühl. Ich kann traurig sein, bis es mich innerlich zerreißt.
Bevor ich den Termin vereinbart habe, um mich testen zu lassen, habe ich mich ein halbes Jahr mit dem Thema auseinandergesetzt. Aus schlaggebend für mich war Tiktok. Ich konnte mich ein bisschen zu gut mit einem Mädchen identifizieren, dass dort über sich und ihren Alltag sprach. Der Algorithmus hat mir immer mehr ähnlichen Content in meinen Feed gespült. Mehr und mehr Menschen berichten vom großen Erwachen durch Social Media und erkennen sich in Tiktoks über Autismus wie der, was wiederum zu mehr Diagnosen führt, weil sie dadurch bestärkt werden, Ärzt*innen zu konsultieren.
Ich hatte endlich eine Antwort darauf, warum ich so starke emotionale Reaktionen auf Situa tionen habe, die für andere eine Kleinigkeit sind. Es tut gut zu wissen, dass es nicht meine Schuld ist, dass ich zwischenmenschliche Codes nicht verstehe. So habe ich also eine Community ge funden, die mich dazu ermutigt hat, weiter nach Antworten zu suchen. Böse Zungen behaup ten, der beschriebene Anstieg wäre ein Trend. In Wahrheit ist jedoch einfach der Zugang zu Informationen diesbezüglich einfacher gewor den, daher diagnostizieren sich mehr Personen selbst, bevor sie Fachpersonal aufsuchen. Was in der Community genauso angenommen wird wie ärztliche Diagnosen. Dieser »Trend« hat vie len von uns das Leben verbessert.
Mir wurde bewusst, dass meine späte Dia gnose eine Kombination aus sexistischen und rassistischen Biases war. Eine Problematik in der Medizin, die bereits in einigen Fachartikeln belegt wurde. Viele Prozesse und Untersu chungen wurden für den weißen, männlichen Patienten optimiert. FLINTA* schauen dabei durch die Finger – besonders nicht-weiße.
FLINTA* berichten regelmäßig, dass sie spät diagnostiziert wurden, einige sogar erst im Rentenalter. Wie ich hatten sie vorangegan gene Diagnosen wie Depressionen, Borderline oder Bipolare Störung. Und das, obwohl man rückblickend die Anzeichen erkennt.
Meine Lehrer*innen haben auf meinem ersten Zeugnis schon Anmerkungen über mein Verhalten gemacht, die man dem Au tismus-Spektrum zuordnen kann. Die Anzei chen waren da, sie waren offensichtlich, aber weder Psycholog*innen, Lehrer*innen noch Psychiater*innen haben es geschafft, mir eine Diagnose für meine Probleme zu stellen. Da ich kein ruhiger, in sich gekehrter Bursch war, wurde ich halt einfach als komisch abgestem pelt. Das Kind hatte halt keine Eltern, wuchs bei den Großeltern auf.
Verlustängste und Angststörungen waren meine erste Diagnose im Grundschulalter. Probleme und Schwierigkeiten, die ich im Alltag hatte, wurden mir als persönliche Schwäche präsentiert.
Die Diagnose hat mich zu einem freien Menschen gemacht. Ich kann achtsam mit mir und meiner Energie umgehen, weil ich mich kennenlernen konnte. Fehler kann ich mir leichter verzeihen, meine starke Gefühlswelt habe ich gelernt zu akzeptieren.
Ich habe es sogar geschafft, meine Stär ken und Talente hervorzuheben, von denen einige dem Autismus zuzuschreiben sind. Man kann sagen, ich bin endlich mit mir im Reinen und kann leben, anstatt zu überleben. Wenn andere von meiner Diagnose erfahren, kühlt die Stimmung aber oft ab. Die oben beschriebenen Stereotype haben ein Bild da von in die Köpfe der Menschen gebrannt, wie Autist*innen zu sein hat.
Es gibt viele undiagnostizierte und uner kannte Autist*innen in unserer Gesellschaft, denn einige verstecken ihre Diagnose im All tag, weil sie Repressionen befürchten. Auch ich verheimliche sie oft aus Angst, als unzu rechnungsfähig abgestempelt zu werden. Jah relang galt ich als neurotypisch und gesund. Mich also nun, nach einer offiziellen Diagnose, plötzlich anders zu behandeln, so, als wäre ich geistig stark beeinträchtigt, ist ableistisch. Lasst uns an einer Gesellschaft arbeiten, in der sich niemand mehr verstecken muss.
kinshasa@thegap.at @imoankinshasaa
Kinshasa beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus Roman StrazanecFür ein gesundes Miteinander bei der Arbeit: Lassen Sie sich impfen! Sie brauchen drei Impfungen für einen guten, langanhaltenden Schutz gegen eine schwere COVID-19-Erkrankung sowie Long-COVID, auch wenn Sie genesen sind. Nach spätestens sechs Monaten ist eine Auffrischungsimpfung empfohlen, be sonders für Risikopersonen und ältere Menschen. Holen Sie sich daher rechtzeitig Ihre COVID-19-Schutzimpfung. Informationen erhalten Sie bei Ihrer Ärztin, Ihrem Arzt, in Ihrer Apotheke und auf gemeinsamgeimpft.at
Um die Realität zu ertragen, hilft manchmal ein Witz. Um sie zu verändern, benötigt es einen Humor, der anders ist. Den liefert seit einigen Jahren die junge nicht-männliche Comedy- und Kabarettszene in Österreich. Progressiv und politisch korrekt weisen ihre Protagonist*innen auf Missstände hin, kom mentieren klug den Status quo, und sorgen dafür, dass sich die ser langsam aber sicher ändert. ———— Was ist Humor? Eine scheinbar einfache Frage, auf die es so viele Antworten gibt wie Menschen. Im Falle der Kabarettistin Malarina klingt sie so: »Ich denke, Humor ist ein Mecha nismus, der Unerträgliches erträglich macht. Häufig ist er auch das Mittel, mit dem Themen zuerst thematisiert werden können.« Das Unerträgliche trägt viele Namen und ist zumeist die Konsequenz eines patriarchalen Gesell schaftssystems, für das der Humor ein Spiegel ist. Schaut man in ihn hinein, blicken Misogynie, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit zurück. Sie sind nur die Spitze eines Eisbergs, dessen Schmelze eine Reihe aufstrebender Künstler*innen zu forcieren versucht. Sie erklären politische Korrektheit zur Selbstverständlichkeit und sind darum bemüht, in einer von Männern dominierten Humorlandschaft keine Kom promisse einzugehen.
Wir schreiben das Jahr 1963. Dolores Schmidinger ist etwa 18 Jahre alt, und als Frau auf einer Kabarettbühne eine echte Ra rität. Bei einer Operettenparodie spielt sie eine Sängerin und macht sich über das Milieu lustig, das sie wegen des Berufs ihres Vaters gut kennt. Die Männer im Publikum und auf der Bühne sind verstimmt, da sie begreifen: Diese Frau ist genauso komisch wie sie. Sie ist
nicht länger nur Deko im Hintergrund, son dern eine valide Stimme, die heute besonnen von damals erzählt: »Diese ganze Kabarettclique wollte mich als Frau im Grunde nicht. Wir sind in die Männerkabaretts gegangen, umgekehrt ist nie einer zu uns gekommen.« Schmidinger blickt auf eine lange Karrie re zurück. Sie war provokant, brach Tabus,
»Wenn ich scheitere, dann repräsentativ für alle Frauen.«
— Elena Wolff
und füllte damit mühelos Abend für Abend Säle. Als eine der Ersten sprach sie auf der Bühne über heikle Themen wie Missbrauch, Essstörungen oder Sexualität. Dass man als Frau damit aneckt und womöglich seine Karriere riskiert, wusste sie. »Ich hatte einen guten Agenten. Dann hat mich aber der Teu fel geritten, und ich habe mich des Themas Sadomaso angenommen. Völlig harmlos, aber unglaublich komisch. Mit diesem Programm habe ich mir die Karriere zerstört. Hätte das ein Mann gemacht, wäre es höchstens als exotisch eingestuft worden, aber nicht mehr. Aber ich bin nicht einsichtig. Ich mache kei ne Kompromisse, bin nicht spießig. Sexualität war für mich nie ein Tabu.«
Sprung in die Gegenwart. Auftritt, Denice Bourbon. Als Veranstalterin des Politically Correct Comedy Club, kurz PCCC*, ist sie bestrebt, die österreichische Comedyszene zu verändern. Als sie den Club im Jahr 2017 gemeinsam mit Josef Jöchl gründete, gab es nur wenig Repräsentation von Minderhei ten in der Szene. Erwartungen an den Erfolg ihrer neuen, diversen Bühne hatte sie keine: »Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie die Szene auf meine Arbeit reagieren würde, be sonders nicht an den heteronormativen Teil. Seitdem hat sich in der globalen Comedy szene sehr viel verändert.« Bourbon ist es zu verdanken, dass zahlreiche neue Gesichter die Bühnen betraten – und mit ihnen ein Humor, der sich deutlich vom Mainstream abhebt. Trotzdem kämpfen FLINTA* Personen wei terhin gegen Vorbehalte einer heteronorma tiven Denkweise.
Davon weiß auch Stefanie Sargnagel, weithin bekannte Autorin und Humoristin, zu berichten: »Ich habe vor Kurzem erfahren, dass ein Literaturkritiker herumtelefoniert hat und meinte, man müsste mich ausladen, weil ich zu sehr spalte. Ein Bekannter hat mir auch erzählt, dass in Redaktionen gesagt wür de, ich sei optisch nicht fernsehtauglich. Als Frau wird man viel stärker abgewertet.«
Die Kabarettistin Elena Wolff, die sich als nicht binär identifiziert, verspürt als weiblich gelesene Person den Druck, Frauen auf der Bühne zu repräsentieren. »Ich weiß, wenn ich scheitere, dann repräsentativ für alle Frauen. Es ist irrational, aber ich habe das Gefühl, da mit verrate ich das weibliche Geschlecht. Es muss als kunstschaffende Person aber mög lich sein, zu scheitern. Diesen Luxus hatte ich von Anfang an nicht.«
Antonia Stabinger, die seit 2009 im Duo Flüsterzweieck gemeinsam mit Ulrike Haidacher Kabarett macht, erzählt: »Als wir im Duo angefangen haben, gab es kaum
Frauen in unserem Alter. 95 Prozent waren männlich. Wenn man als Frau auf die Bühne gegangen ist, hatte man also noch eine Zusatz herausforderung. Ich musste beweisen, dass man auch als Frau Kabarett machen kann.« Seitdem habe sich einiges geändert. »Man wird sich einfach bewusst, auf welche Bühnen man passt und auf welche nicht. Man sucht sich die Bubble, in der man funktioniert.«
Denice Bourbon hat sich und ihren Mitstreiter*innen eine solche Bubble ge schaffen. Einen Raum, in dem Diskriminie rung und fehlende Sensibilität keinen Zutritt haben sollen. Ausverkaufte Shows geben ihr recht, dennoch kämpft das Format PCCC* laut Bourbon mit fehlender Aufmerksam keit. Obwohl die Nachfrage von Seiten des
Publikums groß sei, finde es in den Medien im Vergleich zu länger Etabliertem kaum Platz. Das ärgert Bourbon, dennoch ist sie optimistisch: »Langsam finden einige mei ner Performer*innen den Weg in den Main stream. Dabei reden die meisten von uns gar nicht über Feminismus oder Queersein. Wir reden über alles Mögliche.«
Dieses Alles Mögliche hat den Anspruch, politisch korrekt zu sein. Man einigt sich auf einen Humor, der nach oben tritt, nicht aber nach unten. Der marginalisierte Grup pen nicht als Spielball für einen Witz nutzt, sondern klug und sensibel auf Missstände aufmerksam macht. Unterschiedliche Aus legungen des Begriffs »politisch korrekt« finden sich aber dennoch. Elena Wolff setzt
Daniel Hill Denice Bourbon, PCCC*»Hätte das ein Mann gemacht, wäre es höchstens als exotisch eingestuft worden.« — Dolores Schmidinger
dabei voraus, auch weiterhin kompromisslos Realitäten wiederzugeben: »Wenn der Begriff bedeutet, dass ich nichts mehr mache, was po tenziell triggert, dann bin ich nicht politisch korrekt. Ich spreche über viele Dinge, die trig gern können. Nicht, um zu triggern, sondern um meinen eigenen Schmerz zu verarbeiten. Ich sage beispielsweise gewisse Worte (›Fot ze‹, ›Schwuchtel‹), um auf die verbale Gewalt in meiner Heimat aufmerksam zu machen. Ich muss wiedergeben, was stattgefunden hat. Wichtig ist, dass man meine persönliche Haltung begreift.«
Irina aka Toxische Pommes, die auf Tik tok eine große Fangemeinde um sich schart, wurde das Label »politisch korrekt« von Medien auch schon zugeschrieben. Damit habe sie kein Problem, sie kritisiert jedoch: »Dieser Begriff wird meiner Ansicht nach mittlerweile in den Medien – primär von weißen, autochthon österreichischen Re dakteuren – ausgeschlachtet und fast schon missbräuchlich verwendet, um Debatten zu führen, die mit dem eigentlichen Bestreben von weniger repräsentierten, marginalisier ten und diskriminierten Menschen nichts zu tun haben – beziehungsweise davon ablenken. Stattdessen scheint der mediale Diskurs um Political Correctness meiner Wahrnehmung nach, vielmehr dem Ziel zu dienen, die ver letzten Egos jener wiederherzustellen, die es gewohnt sind, Meinungsmonopol und Deu tungshoheit zu besitzen.«
Für Antonia Stabinger ist politische Korrekt heit eine Sache der Verantwortung. Grund sätzlich finde sie, Humor dürfe alles. »Aber wenn ich auf eine Bühne gehe, habe ich die Verantwortung, diese kleine Öffentlichkeit sinnvoll zu nutzen. Wenn man zur Gruppe gehört, über die man Witze macht, kann man sich einiges leisten, aber man muss sensibel sein. Lustig sein ist leicht, nur gut lustig sein, ist schwer.«
Um Künstler*innen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, helfen, etwa im Rahmen von PCCC*, Sensitivity Readings dabei, even tuelle Trigger oder diskutable Begrifflich keiten zu vermeiden. Ein Beispiel dafür ist das unscheinbare Wörtchen »normal«, dem gegenüber alles, was ihm nicht entspricht, automatisch als »anormal« gilt.
All diese Bemühungen stehen einem hu moristischen Status quo gegenüber, der in Ös terreich noch immer auf Klischees, Akzenten und Marginalisierung baut. Im von weißen cis Männern bestimmten Comedy Mainstream erkennt man die patriarchalen Machtstruk turen unserer Gesellschaft. Ihre Missstände sind mitunter Grundlage für problematische
Witze. Um den progressiven Humor der FLINTA* Szene zum neuen Standard zu ma chen, dürfe sich diese nicht an den heutigen (männlichen) Mainstream anpassen, findet Denice Bourbon. »Man darf sich nicht ver unsichern lassen. Es gibt schon einen Grund, warum man so weit gekommen ist. Die Leute werden immer wollen, dass du weniger frech, lesbisch, laut bist. Im Gegenteil, man muss immer weitermachen. Die Zeiten ändern sich, und der Mainstream muss mitgehen.«
Auf Bühnen wie im Kabarett Niedermair oder im Stadtsaal, beide programmiert von Andreas Fuderer, tummeln sich seit gerau mer Zeit einige der neuen Gesichter. Toxi sche Pommes, die im digitalen Raum bekannt wurde, wagte zunächst im Rahmen von PCCC* den Sprung auf die Bühne und trat jüngst im Niedermair auf. Auf die Frage nach vermeint
digitalen Comedians wie Toxische Pommes zugute. Sie sorgt mit der Integration ihrer Fangemeinde in alteingesessene Kabarettsäle für eine Durchmischung des Publikums. Das ist wichtig, um die Popularisierung progres siven Humors voranzutreiben. »Warum sollte das klassische Kabarettpublikum ausgeklam mert werden«, fragt Malarina und schlägt vor: »Geben wir diesen Menschen doch die Chan ce, etwas Neues kennenzulernen – wenn sie dann trotzdem weiter über Penisjokes lachen wollen, dann sollen sie.«
Es verwundert nicht, dass junge Künstler*innen mit realpolitischen The men vor allem beim gleichaltrigen Publikum punkten. »Früher war das alles noch etwas verhaltener, sanfter, weicher«, findet Andre as Fuderer. »Junge Frauen nehmen nun kein Blatt mehr vor den Mund und provozieren das Publikum. Sie überspannen den Bogen aus meiner Sicht auch etwas. Da geht es dann nur noch um Sexualität und Tabuthemen, die jetzt keine mehr sind. Das kommt bei jungen Zuschauer*innen gut an. Die ältere Zuschau erschaft hat andere Ansprüche und Gewohn heiten, was Kabarett sein soll.«
lichen Hürden, die den Sprung progressiver Comedy in den Mainstream verhindern, sagt sie: »Ich glaube, man muss die Frage anders bzw. eher jenen stellen, die Diversität verhin dern – also Veranstalter*innen oder Kollegen in der Branche, die ihre Reichweite etwa auch nutzen könnten, um andere Menschen als weiße cis Männer zu fördern.«
Laut Antonia Stabinger habe die Pande mie viel verändert und für eine Zäsur gesorgt. Nun, da die Bühnen nach langer Pause wie der spielen, fehle ein Teil des Publikums. »Es hat sich abgewöhnt, ins Kabarett zu gehen. Stattdessen hat man sich neue Unterhaltun gen gesucht und konsumiert vermehrt on line.« Dieser Umstand kommt ursprünglich
Laut Fuderer sei der Boom nicht männ licher Performer*innen Vorbildern wie Lisa Eckhart zu verdanken. Diese Einschätzung wird von den meisten Protagonist*innen die ses Beitrags bestätigt, allerdings unter dem Vorbehalt, Eckharts Rolle als unübersehbar präsente Frau im Rampenlicht zu würdigen, unabhängig von ihren Inhalten. Ein anderes, oft zitiertes Vorbild für die progressive Sze ne ist Stefanie Sargnagel. Von ihr habe Elena Wolff etwa »das klare, intuitive Schreiben, das so klug und so lustig ist, scharfsinnig und selbstironisch. Selbstironie fehlt sonst in meiner Szene.« Sargnagel hat den Humor der Szene maßgeblich beeinflusst. Was als kurze Facebook Posts begann, hat sich zu einem vielfältigen künstlerischen Werk entwickelt. Immer wieder überlegte Sargnagel, auch auf Tiktok aktiv zu werden. »Videos steigern die Reichweite enorm. Allerdings ist es mir zuwi der, zu strategisch zu denken.«
Im Jahr 2020 fand sich unter den Acts beim »ORF Sommerkabarett« keine einzige Frau. Das wurde nach einigem Protest zwar korri giert, ist jedoch die Fortsetzung einer langen Tradition. In diesem Jahr entschied sich der ORF dazu, das Debütprogramm von Malarina im Rahmen des »Sommerkabaretts« zu zeigen. »Mich hat es offen gestanden überrascht, dass der ORF den Mut hatte, einen einstündigen Auszug aus meinem Programm auszustrahlen. Es ist ein sehr kontroverses Programm, und doch hat man es gemacht.«
Stefanie Sargnagel, Autorin, Humoristin, Filmfigur (»Sargnagel – Der Film«) Anna Hawliczek / Carolina S teinbrecher, Muhassad Al-Ani»Als Frau wird man viel stärker abgewertet.«
— Stefanie Sargnagel
Malarina sei einfach zu gut, um ignoriert zu werden, findet Denice Bourbon. »Dass sie eine queere, serbische Frau ist, wollen die Leute gar nicht wissen. Generell glaube ich, dass man ab jetzt nicht mehr zurückkann. Er werden nicht mehr weniger Frauen im ORF. Eher mehr.« Hilfreich dürfte dabei die Besin nung auf traditionelle Kabarettformen sein. »Malarina beherrscht die klassische Form des Kabaretts perfekt und experimentiert formal nicht viel. Das ist sicher nicht von Nachteil«, so Antonia Stabinger. Sie selbst ist regelmäßig solo oder im Duo im linearen Fernsehen zu sehen. Ihre Erfahrungen mit dem ORF waren bisher positiver Art, aller dings vermisst sie den Mut zur Innovation. Zwar gäbe es reichlich Ideen und den Willen, diese zu fördern, letztlich scheitere das Neue aber häufig an den obersten Instanzen – und fehlendem Geld.
In Zeiten nonlinearen Medienkon sums stellt sich generell die Frage, ob Künstler*innen, vor allem jene, die im digita len Raum groß geworden sind, das klassische Fernsehen überhaupt noch brauchen. »Die Frage ist, wer wem nützt«, meint Stabinger. »Fernsehen hat den Vorteil, dass man meis tens gut bezahlt wird. Von Instagram und Tik tok kann man kaum leben. Ich finde es schön, dass Leute, die dort gute Sachen machen, jetzt davon profitieren.«
Der ORF bemerkt den Shift in Richtung progressiveren Humors und sieht sich un ter Zugzwang. Ignorieren ist nicht länger möglich. Ob die vermehrte Präsenz von Künstler*innen wie Malarina jedoch mehr ist als eine Maßnahme, um aufgebrachte Stimmen zu beruhigen, ist fraglich. Für Ele
Toxische Pommes: Bekanntheit durch Tiktok
na Wolff spielt das keine Rolle: »Im Endef fekt ist es Reichweite. Die innere Motivation der Verantwortlichen ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal, solange es einen positiven Ef fekt hat.«
Doch nicht nur von Seiten der klassischen Medien trifft die progressive Szene auf Wi derstand. Auch intern ist die Szene nicht frei von Problemen. Während Bourbon von einer fruchtbaren, kollektiven Zusammenarbeit spricht und betont, wie sehr man in der Sze ne aufeinander aufpasse, Malarina die Szene als »sehr kollegial und loyal« erlebt, und auch Stabinger findet, dass Kritik nur geäußert werde, wenn darum gebeten wird, vermisst Elena Wolff das beschriebene kollektive Ge fühl: »Ich erfahre von Menschen, die mir gleichgesinnt sind, viel Kritik. Die haben oft eine fast schon elitäre Einstellung. Wenn man in Sachen Sensibilität nicht up to date ist, wird man kritisiert. Außerdem scheint es gewisse
Kriterien zu geben, die es zu erfüllen gilt. Da bin ich dann manchen nicht queer genug, an deren nicht feministisch genug. Wenn ich ver suche, allen gerecht zu werden, werde ich mir selbst am allerwenigsten gerecht. Und da ist es oftmals so, dass ich Lust habe, aufzuhören. Ich persönlich habe nicht das Gefühl, wirklich aufgefangen zu werden.«
Die linke, progressive Szene von innen heraus auf den Arm zu nehmen und somit kritisch zu hinterfragen, wird laut Stefanie Sargnagel auch von anderer Seite immer schwieriger: »Man wird sehr leicht von Re aktionären und Rechten instrumentalisiert. Es ist ein Drahtseilakt.«
Man täte gut daran, interne Debatten zu klären und geschlossen gegen veraltete Machtstrukturen anzutreten. Im besten Fall strahlt der politisch korrekte Humor ebenso wie es dessen Antithese tut, von der Bühne in die reale Welt. Idealistisch gedacht kann diese sich unter dem Einfluss der Kunst zum Bes seren verändern. Potenzial gibt es reichlich. Oder man blickt fatalistisch in die Zukunft und betont, wie Dolores Schmidinger, mit ei nem grimmigen Lächeln, dass die Welt sich niemals bessern werde. Hoffen wir, dass sie falsch liegt. Christoph Waldboth
Wer die Künstler*innen der besprochenen Szene live sehen will, kann das etwa im Rahmen von PCCC* am 3. Oktober und am 12. Dezember im WUK tun. Toxische Pommes spielt am 10. und 11. November Soloshows im Kabarett Niedermair, Elena Wolff ist ebenda am 4. Oktober zu sehen. Und Malarina bringt ihr Programm »Serben sterben langsam« am 25. Oktober in den Kultur Hof Linz.
Kann man sagen, ein Film ist? Der Grundidee des Films »Sympoietic Bodies« von Flavia Mazzanti nach müsste es heißen: Ein Film wird. In diesem Film, er ist aktuell im Rahmen von »Speculative Fiction« in der Exhibit Galerie in Wien zu sehen, ver ändert sich nämlich alles, die ganze Zeit über. Er ist in einem Zustand des »konti nuierlichen Werdens«. Das macht ihn zum Ausdruck einer Vorstellung von Welt, die nicht die statische Perspektive des Menschen oder eines »Ich« ins Zentrum stellt, und noch nicht einmal die Idee einer abgeschlossenen Entität zulässt, sondern Kör per, Zeit und Raum in ständiger Bewegung und Veränderung versteht. ———— Die Grundidee von »Sympoietic Bodies« basiert im Groben auf folgenden zwei Vorannah men: Erstens wird die Welt in konstanter Veränderung angenommen – »a continuously changing state of becoming«. Zweitens, die Unmöglichkeit unabhängiger Entwicklung. »Nothing makes itself« – nichts erschafft sich selbst. Alles wird gemeinsam geschaffen. Statt Autopoiesis eben Sympoiesis. Ständige Bewegung findet sich in ähnlicher Form auch in der Physik. Nichts steht still, stellte diese fest. In Atomen rasen Elektronen um die Kerne und der Erdball dreht Runden um die Sonne. Alles – bis auf das Licht, das immer mit der Zeit durch den Raum reist – bewegt sich durch die Zeit. Gleiches Bild in der Metaphysik: »Alles fließt. Man kann nicht zwei Mal in denselben Fluss steigen.« So spricht Heraklit. Er findet überdies: »Alles ist gleichzeitig voll und leer«. Ausdruck von Misstrauen gegenüber dem Absoluten. So wie alles miteinander in Verbindung steht, so muss auch die Welt abhängig von unserer Wahrnehmung gedacht werden. Es gibt mehr als eine Welt.
Die Grenze zwischen dieser – dem »Äußeren« – und uns – dem »Inneren« – ist nicht leicht festzumachen. Das zu erkennen, fordert die einflussreiche Donna Haraway. Die Haut? Unsere Körper sind von Fremdkörpern durchzogen. Von Mikroplastik und Mikroben infiltriert. Die Haut lässt sich als abgrenzende Schwelle so nicht aufrecht erhalten. Ebenso wenig die Grenze zwischen Natur und Technik. Mein Flug gräbt am Ozonloch!
Flavia Mazzanti hat für den Film Bewegung in Zeit und Raum erforscht. Sie hat von mehreren Perspektiven aus gefilmt, zeitlichen wie räumlichen. Sie zeigt, wie die Vergangenheit der Gegenwart anhaftet. Wie Körper zerspringen können, zu Staub. Und wie sie daraus neu entstehen können. Der Film zeigt potenzielles Werden und Vergehen. Er zeigt, wie Stadt und Mensch einander durchdringen. Dabei ist das keine Fiktion. Jeder Einstellung liegen echte Filmaufnahmen zugrunde. Die Form, die die Aufnahmen in der Postproduktion letztlich angenommen haben, ist zwar eine unge wohnte, aber im weitesten Sinne dokumentarische Darstellung der Welt. Nur ist der Blick, der eingenommen wird, eben gleichzeitig ein gigantischer Überblick, der den Raum aus verschiedenen Perspektiven erfasst, und ein Blick durch das Mikroskop. Und er weist eine Sensibilität für Zeitlichkeit auf, die jedem fotografischen Medium eigen ist, die hier aber auf eine höhere Stufe gehoben wird. Streng genommen ist jeder Film im Zustand des kontinuierlichen Werdens. Nicht umsonst heißt es »motion picture«. Im vorliegenden Fall aber ist diese Eigenschaft des Mediums mit der spezifischen Form, die es annimmt, besonders verwoben.
Victor Cos OrtegaFlavia Mazzanti (geboren 1994) ist Absolventin der Akademie der bildenden Künste und lebt in Wien. Sie arbeitet bevorzugt mit den philosophischen Konzepten des Post-Anthropozentrismus und des Neuen Materialismus, die alternative Betrach tungen des Menschen und seiner Umwelt anstreben. Der mehrfach preisgekrönte Film »Sympoietic Bodies« ist noch bis 16. Oktober als Teil der Ausstellung »Speculative Fiction« in der Exhibit Galerie der Akademie in Wien zu sehen.
Das babyblaue Containerschiff am Praterstern war sein zweites Zuhause, über 20 Jahre lang war er dort für das Musikprogramm verantwortlich. Er führte den subkulturellen Kulturraum von seinen Anfängen zwischen Kunst- und Konzertlocation bis auf die Listen der besten Clubs in Europa. Peter Nachtnebel, der Mann mit den Chelsea-Boots und der Panto-Brille, hört auf. Zumindest für jetzt, zumindest im Fluc. ———— Peter Nachtnebel kommt 1975, ein Jahr vor der Arena Besetzung, zur Welt. Wie gar nicht so wenige in der Wiener Independent und Alternative Szene ist er in einem bürger lichen Umfeld aufgewachsen. Die Eltern sind Akademiker*innen und arbeiten im medizini schen Bereich. Als Kind habe er sich Hippie Eltern gewünscht, stattdessen erlebt er früh österreichischen Alltagsantisemitismus: »Ich hatte keine dezidierten Nazi Großeltern«, er zählt Nachtnebel, »aber weißt eh, ich hab als Kind dauernd die Sprüche gehört – auch von meinem Opa.«
Ein Milieu, in dem zu dieser Zeit in Ös terreich viele aufwachsen. Ende der 1970er Jahre dominiert in der Gesellschaft eine Mischung aus »kleinbürgerlichen, katho lisch postnationalistischen Werten«, wie Nachtnebel sagt. Die Waldheim Affäre wird erst Jahre später eine Aufarbeitung der nati onalsozialistischen Vergangenheit in Öster reich anstoßen. Wien sei damals eine Stadt gewesen, in der man durch die Straßen geht
und Menschen sieht, die cool ausschauen –oder vor denen man sich fürchtet.
Als die Polizei 1983 das autonome Kultur zentrum in der Gassergasse im fünften Wie ner Gemeindebezirk räumt, ist Nachtnebel acht Jahre alt. Aus dem Radio knarzen hoch polierte Eighties Hits genauso wie Ambros, Fendrich und Danzer. Punk kommt dagegen von der Straße. Schließlich habe es in Wien zu dieser Zeit noch lebendige Subkulturen gegeben, so Nachtnebel. Im Straßenbild der 80er seien Skinheads omnipräsent gewesen, genauso wie Mods, die mit ihren Parkas am Schwedenplatz standen. Außerdem habe man häufig Hooligans gesehen. Und eben: Punks, die ganze Häuserwände mit Sprüchen wie »Punk’s not dead« vollgesprayt haben.
Der junge Peter ist vor allem von Iros, Nietengürteln und der lauten Musik faszi niert. »Ich wusste, zu denen will ich gehören, ohne genau zu wissen, wer die Guten oder die Bösen sind.« Schließlich sei es zu dieser Zeit darum gegangen, sich vom Mainstream und der repräsentativen Hochkultur abzugrenzen. »Damit wurde man die ganze Zeit konfron tiert. Entweder über die Medien oder durch das Elternhaus. Ich hab schnell den inneren Drang gespürt, mich auf die Suche nach etwas anderem zu machen.«
1986 diskutiert Österreich über die NS Vergangenheit von Waldheim, bald darauf putscht sich Haider an die Spitze der FPÖ.
»Es war eine heiße Phase – und ich in der Pu bertät«, erinnert sich Nachtnebel. »Ich habe alles um mich herum aufgesaugt und das erste Mal bewusst reflektiert, was passiert.« Das ist der Moment, in dem er merkt: Die verschie denen Subkulturen, die man auf den Straßen sieht, sind nicht gleich. In ihrem Aussehen und ihrem Musikgeschmack grenzen sie sich zwar geschlossen vom Mainstream, aber vor allem voneinander ab.
»Mit einem Mal wusste ich: Die Punks sind leiwand, Nazis die Oaschlöcher.« Es kommt zur Revolution im Kinderzimmer. Nachtnebel lässt sich die Haare wachsen und trägt Dr. Martens. In der Schule wird er dafür verdroschen, von zu Hause zieht er früh aus. Bald verbringt er mehr Zeit in Wohnzimmern von WGs als im Klassenzimmer. Der Austro pop der Stunde ist für ihn plötzlich so weit weg wie Rapid heute von der Meisterschaft.
»Ende der 80er war Wien die östlichste Stadt von Westeuropa. Eine graue Stadt, wie man sie aus den Kottan Filmen kennt«, so Nacht nebel. Spätestens mit dem Zerfall der Sowje tunion ändert sich das. Wien findet zu seiner politischen Rolle in Europa. Im Rathaus re giert Helmut Zilk, »der beste Bürgermeister, den die Stadt zu dieser Zeit haben konnte«, wie Nachtnebel betont. »Es gab aber auch gute Kulturpolitiker*innen wie Ursula Pas
terk, die rote Urschel.« Sie habe viele Dinge möglich gemacht, das Kulturbudget der Stadt in ihrer Amtszeit fast verdoppelt. »Plötzlich habe ich wie viele andere gemerkt: Irgendwie fängt die Stadt grad ordentlich zu brodeln an.« Mit 14 beginnt Nachtnebel, auf Konzerte in die Arena zu gehen. Er sieht Fugazi und No Means No, die Bands des US Hardcore Labels Dischord Records. Bei Nirvana im U4 sei er 1989 übrigens nicht gewesen. »Dafür war ich zwei Jahre später in der Arena bei ihnen. Ich hab einen Security mit 100 Schilling ge schmiert und sah das gar nicht so legendäre Konzert in der großen Halle.«
Zur selben Zeit entwickeln sich in Wien neue Locations, Plattenläden und Labels. War die Stadt zuvor dark, Eighties, Underground, werden die Konzerte auf einmal bunter. »Man sah immer weniger Leute, die aussehen woll ten, als hätten sie bei den Stooges gespielt. Au ßerdem verschwanden die Punks auf einmal aus dem Straßenbild.«
Während der Sommerferien schleppt Nachtnebel Betonsäcke auf Baustellen in Wien, um sich ein Interrail Ticket leisten zu können. Er reist durch Europa, fährt zum Camden Market nach London und ins Melk weg nach Amsterdam. »Ohne Bild, man hatte ja nur den Mythos«, wie er sagt. Mit zurück nach Wien bringt er neue Platten und Fanzi nes – die Währung der Subkultur, denn: »Es war eine Zeit, in der man wissen musste, wie
man zu den Dingen kommt. Deshalb hab ich mir musikalisch alles reingezogen, was ich bekommen konnte.«
Heute wischt man drei Mal übers Smart phone, um sich eine Noise Rock Band aus Dschibuti reinziehen zu können. Anfang der 1990er ist die Informationslage so dünn wie eine Gitarrensaite. Der Westbahnhof mit sei nen Trafiken sei ein Fixpunkt gewesen. »Ich hab dort den Melody Maker, den New Music Express oder das Spex gekauft. Der Falter als linke Agitationspostille war für uns auch wichtig«, so Nachtnebel. »Und natürlich: die ›Ö3 Musicbox‹. Werner Geier, Fritz Ostermay er, Walter Gröbchen und Martin Blumenau. Die Typen haben uns die Welt erklärt und das Richtige für uns ausgesucht.«
Allerdings sei man auch an anderen Orten auf Insider Wissen aus dem Underground ge stoßen. »Wir haben oft Schule gestangelt und sind im Kaffee Alt Wien gesessen. Irgend wann kam der Pranzl mit neuen Skug Ausga ben hereinspaziert. Wenn im Heftl stand, dass es ein leiwandes Konzert geben wird, sind wir zu Rave Up Records, haben die Platten ange hört und dann entschieden, ob wir unser Geld für die Konzertkarte ausgeben.«
Es ist eine Zeit, in der Bands Messias Charakter haben und Konzerte wie Messen sind, erinnert sich Nachtnebel. Maische, die frühe Band von Christian Fennesz, sei eine wichtige Gruppe gewesen. Sonic Youth so
Peter Nachtnebel war über 20 Jahre lang im Fluc tätig.»Ich wusste, zu denen will ich gehören, ohne genau zu wissen, wer die Guten oder die Bösen sind.«
— Peter Nachtnebel
wieso. Mit Freunden eifert er den Vorbildern nach, lässt Elemente von Polka in eigenen Gi tarrensound einfließen. »Unsere Band hatte verschiedene Namen, ich will keinen davon öffentlich nennen«, zögert Nachtnebel. »Nur so viel: Es gab noch kein Internet, in dem man es dokumentieren hätte können. Zum Glück!« Melancholie und »Musicbox«
Als 16 Jähriger merkt Nachtnebel, dass er die Vergangenheit nicht mit drei Akkorden wiederbeleben kann. Punk ist tot. Die Haus besetzungen in der Gassergasse und der Aegidigasse liegen Jahre zurück. Aus der Er kenntnis, dass das revolutionäre Potenzial der vergangenen Popkultur nicht wiederholbar ist, sei eine »gewisse Wehmut« entstanden. Man habe schließlich zu jenen Leuten aufgeschaut, die dabei waren. Nachtnebel: »Ich war voller Ehrfurcht für sie, weil sie ein Arena punkiges Wien miterlebt haben, für das ich ein paar Jahre zu jung war.«
1993 schreibt sich Nachtnebel auf der Uni Wien ein. Er studiert Politikwissenschaft und Geschichte, weil er Marx, Bourdieu und anar chistische Literatur in die Hände bekam. Vor 16 Uhr habe man ihn aber selten in der Vorle sung gesehen. Häufiger sitzt er in verrauchten Beisln, wo John Lennon Verschnitte über die neuesten Entwicklungen im Kapitalismus re zitieren. Außerdem sei er zur selben Zeit be reits im Funkhaus unterwegs gewesen. »Un mittelbar nach der Matura hat ein Freund ein Praktikum bei Radio Wien gemacht. In der Kantine traf er Fritz Ostermayer. Weil der Freund das richtige T Shirt trug, hat ihn Fritz gefragt, ob er eine ›Musicbox‹ gestalten will. So ging das los.«
Will Oldham, den heute viele als Bonnie »Prince« Billy kennen, habe Nachtnebel da mals als erster Radiomacher in Österreich gespielt. Daneben sei Techno von Tunakan durchs Küchenradio gepfiffen. »Eine wilde Mischung, für die wir gutes Feedback beka men.« Deshalb ist Nachtnebel, als 1995 FM4 on air geht, mit dabei. »Und ich wäre wie vie le andere der ersten Stunde noch immer dort, allerdings herrschte in der Redaktion eine dermaßen ungute Stimmung, dass ich nach kurzer Zeit abgesprungen bin.«
Nachtnebel tauscht das Mikrofon gegen die Matrikelnummer. Den Hörsaal sieht er trotzdem nur selten. Schließlich kommt ge rade etwas Neues in Wien auf, für das man che bereits ihre Tocotronic Shirts vergessen: Techno. »Das war originär und frisch, so etwas wie der neue Punk«, erinnert sich Nachtnebel. »Ich hatte erstmals das Gefühl, Teil einer Be wegung zu sein.« Für ihn, der immer nur Teil einer Jugendbewegung sein wollte, kommt die Revolution aus dem Subwoofer gerade recht. Mit Techno entdeckt er die Stadt neu. In ab gelegenen Fabrikhallen und alten Schuppen
erobert sich eine Szene neue Räume. »Etwas, das ich mehr als interessierter Zeitgenosse verfolgte und weniger, weil ich nächtelang im Finsteren tanzen wollte.« Schließlich sei der anspruchsvolle Techno bald verschwunden gewesen. »Es gab nur noch Gabber und Happy Hardcore. Das war nichts für mich.«
Obwohl ihn das Vierviertelstampfen längst nicht so interessiert wie Gitarrenwän de und Verstärkertürme, organisiert Nacht nebel 1996 einen eigenen Rave am Matzleins dorfer Platz. Der Vater einer Bekannten habe dort eine Halle besessen. Unter dem Vorwand, eine Geburtstagsfeier zu veranstalten, sei man zu seiner Genehmigung gekommen. »So kam ich in die Veranstaltungsszene. Ich musste mir das erste Mal Gedanken machen: Wie organi siert man eine Anlage? Wo druckt man Flyer? Wer bringt die Getränke?«
Um 1 Uhr Früh sprengt die WEGA das Geburtstagsfest. »Irgendjemand ist drauf gekommen, dass es sich bei unserem Event weniger um einen Geburtstag und mehr um einen Rave handelt, bei dem 400 Leute auf Ecstasy abgehen«, so Nachtnebel. Dass es eine Spezialeinheit auf ein paar harmlose Raver abgesehen hat, habe aber gezeigt, dass die Stadt ein Exempel statuieren wollte. Bald findet Techno seltener halblegal in Fabrik hallen statt. Es kommt zu einem Rückzug in die Clubs. Die Entdeckung neuer Räume wird vom Trockeneisnebel verdeckt.
Nachnebel belegt internationale Politik als Studienschwerpunkt, will in den Journa lismus. Sein Wunschressort: die Außenpolitik. »Um überhaupt reinzukommen, hab ich ein Volontariat bei den Niederösterreichischen Nachrichten gemacht. Viel Außenpolitik hab
Martin Wagner»Ich hab mit Kofi Annan ein Interview geführt und auch mit Eva Glawischnig gesprochen.«
— Peter NachtnebelDas Fluc am Praterstern, einer der mittlerweile alteingesessensten Clubs der Stadt
ich dort aber nicht gesehen. Vielmehr hab ich in den Pausen präpotent Die Zeit gelesen. Da haben’s gemerkt, dass ich nicht der Richtige für das Ressort Hollabrunn bin.«
1999 lässt Nachtnebel den Lokaljournalis mus hinter sich. Er landet beim Standard – in der Außenpolitik. »Plötzlich war ich mitten drin. Ich hab mit dem damaligen Generalse kretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, ein Interview geführt und mit der nach vorne pushenden Eva Glawischnig gesprochen. Au ßerdem saß ich oft in der Hofburg neben der damaligen Außenministerin Benita Ferrero Waldner. Das war schon spannend!«
Trotzdem verlässt er den Standard nach weni gen Monaten. Für die Arbeitszeiten und den Stress des tagesaktuellen Journalismus sei er nicht geeignet gewesen. »Ich hab gemerkt, das geht nicht.« Nach Tocotronic Reviews und einem Bericht über die Blues Szene in Chicago, veröffentlicht im Presse Schaufens ter, landet Nachtnebel über Umwege bei ei nem alten Bekannten: dem Skug.
Das älteste Musikmagazin Österreichs wird zu einem Sprungbrett. Nachtnebel be sucht für das Skug 2002 die Gründungssit zung des Fluc, wird Mitglied – und bleibt. »Anfangs standen wir hinter der Bar, haben die Tontechnik gemacht und dafür gesorgt, dass die Band auf der Bühne steht«, be schreibt er den DIY Spirit der Gründungs zeit. In den ersten Jahren wandeln sich die Räumlichkeiten permanent. Das Fluc wan dert in die Mensa, zieht ins Exil, erfindet sich am heutigen Standort neu. Eine Konstante: Peter Nachtnebel, der bald internationale Acts ins Fluc holt.
Weil in Wien Mitte der Nullerjahre ein musikalisches Vakuum herrschte – Techno war vorbei, der Retro Indie blinzelte gera de erst um die Ecke – stößt das Konzept auf fruchtbaren Praterboden. Plötzlich steht das Fluc als einer der wichtigsten europäischen Musikorte in den Charts der wichtigen Pop kulturzeitschrift Spex. Über die Jahre seien die wildesten Dinge passiert. Nicht über alle müsse man reden, so Nachtnebel. Der Mythos gehöre zum Fluc dazu. Der Rest sei Geschichte. Zumindest für jetzt. Zumindest im Fluc.
Christoph Benkeser
Wer sich in der Romantisierung der popkulturellen Vergangenheit verlieren will, dem sei die gerade erschienene Doktorarbeit von Heinrich Deisl empfohlen: »Wiensounds. Topografie Wiener Soundkulturen 1976 bis 1995« findet man überall dort, wo man 282-seitige Disser tationen bekommt.
WE HAD A LOT OF BELLS von Damian Rebgetz | UA R. Damian Rebgetz Wiederaufnahme am 22.09.2022
FAARM ANIMAAL nach George Orwell | UA R: Tomas Schweigen Premiere am 19.11.2022
GRELLE TAGE von Selma Matter | UA R: Charlotte Lorenz Premiere am 12.01.2023
DIE ZUKUNFT REICHT (NOCH IMMER) NICHT. (KLAGT, KINDER, KLAGT! EIN UPDATE) von Thomas Köck | UA R: Elsa-Sophie Jach & Thomas Köck Premiere am 23.03.2023
DU HERBERT Ein Einblick in die Grausamkeit von Lydia Haider, Judith Goetz & Marina Weitgasser | UA R: Antje Schupp Premiere am 16.03.2023
EISBÄREN Dramolette zum Alleinesein von FUX (Rößler) | UA mit Stücken von Shari Asha Crosson, Mariam Gviniashvili, Tino Kühn, Nele Stuhler & Falk Rößler Premiere am 05.05.2023
THE VERY END OF IT ALL AND EVERYTHING | UA von Tomas Schweigen & Ensemble R: Tomas Schweigen EXTENDED VERSION 23.05.-25.05.2023
OXYTOCIN BABY Von Anna Neata | UA R: Rieke Süßkow 20.10.-23.10.2022
AM BALL. WIDER ERBLICHE SCHWACHSINNIGKEIT von Lydia Haider mit Esther Straganz | UA R: Evy Schubert Ab Oktober 2022 COMA von Mazlum Nergiz | UA R: Marcel Schwald, C: Johanna Heusser 19.04.-22.04.2023
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Carina Antl Stefan Sonntag bauer will die Horror-Community vernetzen.Wie identifiziert man den spezifisch österrei chischen Horror? Stefan Sonntagbauer, der derzeit an der Uni Wien seine Dissertation zum Thema Horror und Subjektivität verfasst, sucht nicht im Genre-, sondern im Unterhaltungsfilm. Mit seiner »Horror Academy« will er die bisher weitgehend unerforschte Nische mit Interes sierten teilen. ———— »Muttertag« – ein öster reichischer Horrorfilm? Das sagt zumindest der österreichische Horrorexperte Stefan Sonntagbauer. Im Horror gehe es stets darum, dass Verdrängtes wieder an die Oberfläche dringt und die Figuren verfolgt. »Muttertag« sei dabei eine ganz spezielle Form des Hor rorgenres, die man nur in Österreich finden könne. Und das vor allem in jenen Filmen, die gar nicht als klassischer Horror gedacht wa ren. »In ›Muttertag‹ bricht die Verdrängung nicht irgendwann durch, sie hört gar nicht erst auf.« Die österreichische Raison d’Être: sich einreden, dass eh alles ganz super ist.
Sonntagbauer, der derzeit an der Uni Wien seine Dissertation zum Thema Horror und Subjektivität verfasst, hat sich mit der Befor schung des dezidiert österreichischen Horrors eine bisher weitgehend unbearbeitete Nische ausgesucht. Eine Leidenschaft, die der gebür tige Welser nun auch mit anderen teilen möch te: Im kommenden Frühjahr soll seine »Horror Academy«, ein von ihm gestalteter Vlog, online gehen. Damit will er »die spannendsten, inte ressantesten und aufregendsten Themen mit der ganzen Horrorcommunity teilen«. Die »Academy« soll als Forum dienen, in dem sich die Fans sowohl mit den Forschenden als auch mit den Künstler*innen vernetzen können. Denn so, zeigt sich Sonntagbauer überzeugt, könne »ein richtig geiler Austausch« passieren.
Zum Horror ist Sonntagbauer bereits als Kind gekommen. »In der Videothek hat es immer diese Ecke mit den verbotenen Filmen gegeben. Das hat mich damals schon angezo gen.« Ein weiterer Einfluss sei der eigene Va
ter gewesen: »Der war sehr belesen und hat ir gendwie einen schrägen Geschmack gehabt.« Für ihn und seinen jüngeren Bruder stand da etwa »Der Struwwelpeter« auf der Leseliste – eine Geschichtensammlung des Frankfur ter Arztes Heinrich Hoffmann, in der Kinder nach unvorsichtigem Verhalten drastische Konsequenzen erfahren. »Andere Kinder ha ben dabei immer angefangen zu weinen, mir hat das aber extrem getaugt.«
Spaß an abgeschnittenen Daumen und ver brennenden Kindern? »Es geht darum, dass das so ins Extreme geht. Dieses Überspannte, Exaltierte, das Karnevaleske.« Die kindliche Leidenschaft schwappte dann im Studium ins Wissenschaftliche über. »Im Studium habe ich das Glück gehabt, dass die Profes soren mich da unterstützt haben.« Mit wis senschaftlichen Arbeiten, etwa über Dracula, konnte Sonntagbauer seine Leidenschaft wei terverfolgen.
Zur Berufung wurde der Horror für Sonn tagbauer nach der erstmaligen Lektüre von H. P. Lovecraft, einem der wichtigsten ame rikanischen Horrorautoren. Der Schöpfer gruseliger, fremdländischer Monster wie des dämonischen Krakenwesens Cthulhu hat sei
»Österreichischer Horror besteht darin, dass die Verdrängung nicht endet.«
— Stefan Sonntagbauer
ne Spuren quer durch die Populärkultur hin terlassen. »Ich bin irgendwann in der Nacht heimgefahren, und das Buch hat dann noch so nachgewirkt, dass ich mit 22 Jahren in der Garage gesessen bin und mir gedacht habe: ›Zach, jetzt traue ich mich nicht mehr aus steigen.‹« Die Tatsache, dass ihm noch etwas Angst einjagen kann, sei frustrierend gewesen. Aber: »Das hat irgendwas in mir angezündet, danach habe ich mich so richtig in die For schung reingehauen.«
Über den Horror sei er auch schnell zu den psychologischen und philosophischen Themen gekommen, die unter der Horror oberfläche stecken. Wo wieder die eingangs erwähnte Verdrängung ins Spiel kommt: »Wir haben den Tod an den Rand gedrängt – und dann kommen die Toten wieder hoch. Meine Hypothese ist, dass Horror sich mit der Idee konstituiert, dass der Mensch selbst entschei den kann, wer er ist. Dass er rausgehen kann in die Welt und aus der Welt machen kann, was er will. Und da tauchen dann neue Ängste auf, auf die der Horror reagiert.« Ein klassi sches Beispiel wäre für ihn der Ursprung des neuzeitlichen Horrorgenres: Mary Shelleys »Frankenstein«. »Das Monster ist halt so, kann aber gar nichts dafür. Das ist einfach so gemacht worden von jemandem, der gar nicht wusste, was er da eigentlich tut.«
Doch was lässt sich daraus für den österrei chischen Horror ableiten? Ein Land, das eher weniger für dieses Genre bekannt ist, auch wenn es beinahe Handlungsort von Bram Sto kers »Dracula« gewesen wäre. Bisherige Ver suche, hier eine eigene Sprache zu entwickeln, hebt Sonntagbauer lobend hervor. Auf Filme wie »In 3 Tagen bist du tot« von Andreas Pro chaska könne man stolz sein. Aber sie würden
nicht wirklich eine eigene Version von Horror entwickeln. »Das hätte in Amerika durchaus so ähnlich gemacht werden können.«
Der Hauptunterschied sei, dass die USA »diesen fetten American Dream und diese brutale Selbstbegeilung« hätten. »Spider Man vor der amerikanischen Fahne«, laute das Credo. »Und die Leute springen im Kino auf, weil es ihnen so taugt.« Gleichzeitig gäbe es in den USA aber auch viel Albtraumhaftes. Das Amerika von Hollywood und Spider Man, in dem jeder frei ist, sei die eine Seite. »Und dann gibt es das Amerika der Slasher, wo keiner eine Chance hat. Wo einfach der Wahnsinn regiert.« Diese zwei Ebenen gebe es in Österreich nicht. »Bei uns ist das zusam mengeschlossen in einem Ganzen.« Teilweise herrsche der Konsens, dass man sich diesen Hurra Patriotismus gar nicht erlauben könne, nach dem, was im Zweiten Weltkrieg alles vorgefallen ist. »An der Österreichflagge wird kein Superheld vorbeifliegen. Wir haben eine andere Art der Kritik und Selbstkritik und eine andere Art des Umgangs mit uns selbst.«
Um die ureigenen österreichischen Mo tive genauer zu erforschen, musste Sonn tagbauer daher fast Pionierarbeit betreiben. Beziehungsweise international ausgerichtete Filme aussortieren, da diese andere Motive und Diskurse kopierten. Auftritt »Mutter tag«: »Ich habe ›Muttertag‹ gesehen und mir gedacht, das ist es!« Der Urtext der Horror theorie schreibe zwar die Wiederkehr des Verdrängten vor, in »Muttertag« sei dies aber genau andersherum: »Da hat jeder sein Ge heimnis und das steigert sich dann bis hin zum Mord, damit auch ja nichts wieder hoch kommt.« Die Figur der Evelyn werde umge bracht, weil sie die schmutzigen Geheimnisse von allen kenne. »Da verschwört sich die Fa milie, damit nichts rauskommt. Am Ende gibt
es dann ein Grillfest. Das hat für mich dieses Österreich Kolorit. Der Horror besteht nicht in der Auflösung der Verdrängung, sondern eben darin, dass die Verdrängung nicht en det.« Der österreichische Wesenszug zu sa gen: »Was ist denn? Ist doch eh gemütlich.«
Dieser Unwille, Dinge aufzuarbeiten, lasse sich laut Sonntagbauer auch aus der Ge schichte ableiten. Die zwei Weltkriege, an denen man Mitschuld trägt, die viel zu spät einsetzende Aufarbeitung der NS Gräuel und der Mittäterschaft. »Es gibt nach wie vor nicht wirklich einen Konsens, der sagt: ›Wir waren beim Holocaust dabei, das war furcht bar.‹« Dabei hätten sich eigene Diskursformen herausgebildet, etwa das Sudern: »Man sagt: ›Wir wollen nicht, aber wir müssen ja.‹« Das habe für ihn etwas typisch Österreichisches. »Ein verkappter Versuch der Aufarbeitung, bei dem aber trotzdem diese Verdrängung einfach weiter insistiert.«
Soll die entstehende »Horror Academy« hier als ein Aufarbeitungstool dienen? Sonn tagbauer verneint: »Um historische und per sönliche Traumata aufzuarbeiten, braucht es mehr als einen Vlog.« Sein Forum könne dafür aber andere Aufgaben erfüllen. »Da Horror einfach großartiges Entertainment ist, ist es damit möglich, Menschen Themen näherzu bringen, die sie sonst nicht so gern und gut aufnehmen.« Wie etwa, warum Nachbarin Evelyn letztendlich am Grill landen musste.
Susanne GottliebDie »Horror Academy« soll im Frühjahr 2023 starten. Stefan Sonntagbauer ist als @stefan.sonntagbauer auf Instagram zu finden. Seine bisherigen Bücher sind im Holzbaum Verlag erschienen.
Harald Sicheritz Der Film »Muttertag« von Harald Sicheritz – laut Stefan Sonntag bauer typisch öster reichischer HorrorNoch während Expert*innen von den CoronaEntwicklungen der kälteren Jahreszeiten warnen, schauten die Gesundheitsbehörden der Verbreitung der Affenpocken lange tatenlos zu. Denn: Die Krankheit betrifft mehrheit lich homosexuelle Männer. Was man über die Krankheit wissen muss, wie man sich schüt zen kann und wo nun rasches Handeln gefragt ist. ———— »Ich wünsche es niemandem! Es ist wirklich schmerzhaft und unangenehm«, erzählt Stefan (vollständiger Name der Re daktion bekannt) von seiner vergangenen Affenpocken Infektion. Zusammen mit sei nem damaligen Partner traf er an einem Frei tag im Juni ein anderes Paar auf ein Date, sie hatten Sex und waren am nächsten Tag mit einer großen Gruppe auf der Pride Parade in Wien. Eine Woche später hatte er die ersten Symptome: »Wir dachten beide, es wäre bloß ein Sonnenstich. Ich hatte schlimmen Schüt telfrost, weswegen ich mich krankmeldete. Erst später entdeckte ich pickelartige Haut veränderungen, die sich später als Pocken herausstellten.« Es waren nur vier Pusteln, aber eine war im Gesäß, die sehr schmerzte. Dabei hatte Stefan als jemand, der noch ge gen Pocken geimpft worden war, Glück: Sein Verlauf war schwächer als der seines Partners, der zeitgleich erkrankte.
Gerald Van der Hint, DJ und Veranstal ter der Clubreihe Meat Market, einer haupt sächlich schwulen Techno Party mit Dark
room, kennt Geschichten von »Leuten, die zu Hause die Wand anschreien und ihr Leben vor Schmerzen nicht mehr packen.« Affenpocken werden zwar im Vergleich zu sogenannten »echten Pocken« als mild eingestuft, das be zieht sich aber in erster Linie auf die damit verbundene Sterblichkeit.
Kurz nachdem Berichte über Affenpocken in Italien und England aufgekommen waren, erfuhr Van der Hint von ersten Betroffenen hierzulande. Für ihn sind die Krankheit und der Umgang damit ein ernstes Thema, denn er befürchtet, dass diese früher oder später auch durch die Clubs rauschen werde. Seine Partys stehen für Hedonismus und Körperlichkeit.
Auf diese zu verzichten oder Darkrooms zu schließen, kommt aber nicht infrage. »Das hat ja auch historische Gründe! Wir Schwule haben eine andere Art zu feiern, die soll man nicht judgen. Wir haben mehr Körperkontakt, auch im Club, tanzen oben ohne, umarmen uns«, so Van der Hint. Auf die anstehende Herausforderung reagiert er mit mehr Awareness im Club samt Postern der Aids Hilfe Wien. Und er spricht das Thema gezielt in sei nem Podcast »Warme Brüder« an. Es sei aller dings fraglich, wie viel Aufmerksamkeit man im Club darauf lenken könne: »Man muss wis sen, welchem Risiko man sich aussetzt. Da ist seitens der Regierung gar nichts gekommen.« Wie viele andere vermisst Gerald Van der Hint gezielte Aufklärungsangebote.
Ob die Prävention auf Männer, die Sex mit anderen Männern haben (kurz: MSM), fokussieren soll, spaltet dabei die Geister. Zwi schen der Angst, implizit Homophobie zu re produzieren, und dem drohenden Aufruhr in Online Kommentarspalten, geht es schließlich um die Frage, wie man die Aufmerksamkeit je ner mit dem größten Risiko erregt. Gerald Van der Hint meint, die Statistik spreche für sich: »Es ist nicht homophob zu sagen, dass die Hauptbetroffenen momentan homosexuelle Männer sind. Homophob ist zu sagen, dass das auf Grund ihrer ›schlechten Art‹ zu leben sei – oder dass man sich nicht kümmern müsse, weil es Homos seien.«
Gerald Van der Hint, Techno-VeranstalterStefan, der selbst Affenpocken hatte, befürchtet allerdings, dass es bei einem sol chen Fokus viele geben könnte, die glauben, nicht zum Arzt gehen zu müssen, weil sie hetero sind, oder sich nicht trauen, weil sie sich noch nicht geoutet haben. Karl Heinz Pichler, Allgemeinmediziner einer HIV Schwerpunktpraxis in Wien fürchtet zudem, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt: »Bei drei Wochen Quarantäne und einem Absonde rungsbescheid, der einen vor dem Arbeitge ber outet, werden viele nicht zum Arzt gehen wollen.« In seiner Praxis wurden 45 Prozent aller österreichischen Fälle diagnostiziert. Für ihn steht fest: »Die Affenpocken sind gekommen, um zu bleiben. Über kurz oder lang wird es aus der LGBTIQ+ Community rauskommen und auch Heteros treffen«, er klärt Pichler. Wichtig sei für ihn daher, dass die Impfungen breiter erfolgen. »Ziel ist es, 30.000 Impfdosen zu bekommen«, so Pichler weiter, »derzeit erleben wir ein klares Ver sagen des Bundes, der zu lasch reagiert hat.« Dabei sind die 30.000 auch nur eine Zahl, um jenen mit dem höchsten Risiko gerecht zu werden, schätzungsweise identifizieren sich nämlich sechs bis zehn Prozent der Bevöl kerung als homosexuell, also weit mehr als 30.000 Menschen.
Derzeit werden in Österreich nur Postex postionsimpfungen angeboten, also nach nachgewiesenem Kontakt. »Bei diesen sehen wir leider, dass sie sehr schlecht angenom men werden. Mit Ende August wurden nur 24 Menschen geimpft«, so Pichler. Neben Stigma und schwierigem Contact Tracing erwarte Betroffene stundenlanges Telefo nieren und das Beantworten intimer Fragen, anstatt unbürokratisch Zugang zu einer Imp fung zu erhalten. Van der Hint selbst wurde nach Kontakt auf einer Reise in Frankreich unkompliziert geimpft. Der Arzt bat ihn le diglich seinen Ärmel hochzumachen. Bei den vielen Hürden für eine Impfung hierzulande kann der Techno Veranstalter nur mit dem Kopf schütteln.
Bis Impfungen hierzulande auch vor Kon takt für alle Menschen möglich sind, wird es noch dauern. Die Impfempfehlung wurde jedenfalls schon angepasst, auch wenn der Impfstoff immer noch nicht reicht: Es gibt 4.400 Dosen für Österreich, diese werden zwar mittlerweile auf fünf Impfungen auf geteilt, für eine vollständige Immunisierung braucht es aber zwei Teilimpfungen. Bis zum Redaktionsschluss Mitte September war im merhin die Vormerkung zur Affenpockenimp fung der Stadt Wien freigeschaltet, allerdings nur für Gesundheitspersonal mit sehr hohem Expositionsrisiko und Menschen mit indivi duellem Risikoverhalten (sprich: Menschen mit häufig wechselnden Sexualkontakten).
Für die Impfstoffexpertin Christina Nico lodi ist die Verringerung der Impfdo sis auf ein Fünftel ein guter Ansatz, um die verfügbaren Dosen zu erhöhen. Ein Plan zur Steigerung der Kapazitäten fehle aber noch, genauso wie gezielte Präventionskampagnen. Ein Problem wird bleiben: Der Impfstoff wird aus speziellen für die Pharmabranche gezüchteten keimfreien Hühnereiern her gestellt. »Diese Ressource ist kapazitätsmin dernd«, so Nicolodi.
terschiede zu vergangenen Ausbrüchen, wie die geringere Anzahl an auftretenden Pusteln, die sich dafür im Urogenitalbereich konzent rieren, führt er auf das menschliche Verhalten zurück, weil Pockenviren als DNA Viren nur eine niedrigere Mutationsrate haben.
Generell sind viele Fragen zur aktuellen Affenpocken Situation noch offen. Pockenvi ren wurden seit Ausrottung der Erkrankung im Jahr 1980 wenig erforscht, sie waren vor dergründig ein Thema für Veterinärmedizin und Bioterrorismusprävention. Der bis 2022 größte Ausbruch außerhalb Afrikas umfasste weniger als hundert Fälle und ereignete sich nach dem Import von Tieren aus Ghana in die USA im Jahr 2003. Auffällig ist auch, dass das Affenpockenvirus bereits rund 40 Mutationen angesammelt hat, deren individuelle Bedeu tung noch unklar ist.
In den Clubherbst blickend mahnt Van der Hint jedenfalls: »Wenn wir jetzt anfan gen zu impfen, haben die Leute erst in zwei Monaten einen guten Impfschutz. Wir sind viel zu spät dran.« Er fordert, dass alle, die eine Affenpockenimpfung wollen, geimpft werden, dass eine breite Aufklärungskampa gne eingerichtet wird und darüber hinaus die Wiedereinrichtung niederschwelliger PCR Tests – sowohl für Covid 19 als auch für Af fenpocken. Damit lassen sich nämlich beide Infektionen erkennen.
Felix Korbinian SchmidtnerNorbert Nowotny, Professor an der Vete rinärmedizinischen Universität Wien, erklärt, dass das Virus von »einem für die Virusver breitung förderlichen Risikoverhalten« von MSM profitiert. Dies inkludiere häufig wech selnde oder neue Sexualpartner und Chem sex, also Geschlechtsverkehr unter Einfluss synthetischer Drogen. »Die Übertragung er folgt durch engen direkten Kontakt, was nicht unbedingt sexueller Kontakt sein muss«, so Nowotny. »Aber da viele Ansteckungen bei Sexualkontakt erfolgen, zeigen sich die Pus teln nun vermehrt an Penis oder Anus.« Un
Bei der letzten Erhebung im Mai gab es bereits in 103 Ländern registrierte AffenpockenFälle. Weder Herkunft noch sexuelle Orientierung spielen eine Rolle bei der Übertragung, das Virus kann jede*n treffen. Solltest du Fieber, Schüttelfrost oder geschwollene Lymphknoten in Kombination mit Pusteln feststellen, wende dich an die telefonische Gesundheitsberatung unter der Rufnummer 1450, deine Hausärztin, deinen Hausarzt oder deine HIV- oder PrEP-Behandler*in. Weitere Infos zu Affenpocken gibt es bei der Aids Hilfe Wien. Für die Impfungen vormerken kann man sich unter www.impfservice.wien/affenpocken sowie telefonisch unter 1450.
Christina Nicolodi, Norbert Nowotny, Karl Heinz Pichler Norbert Nowotny, Professor an der Vetmeduni Christina Nicolodi, Impfstoffexpertin Karl Heinz Pichler, AllgemeinmedizinerFür die Zeit »nach« der Pandemie wurde gerade im Kunst- und Kultursektor mit großen Anstürmen von Besucher*innen gerechnet. Diese blieben allerdings – ähnlich wie im Konzertbetrieb – für die meisten Theater- und Bühnenhäuser aus – eine Rückkehr zum Normalzustand scheint derzeit nur schwer vorstellbar. Wie bereiten sich Theaterinstitutionen also auf den kommenden Herbst und Winter vor, in denen die Pandemiesituation nach wie vor unsicher ist? Worauf ist die momentan schwache Auslastung von größtenteils unter 80 Prozent zurückzuführen? Und was muss unternommen werden, um die bereits bestehenden Besucher*innenbindungen zu erhalten und neue Publikumsschichten anzusprechen?
In den Daten aus repräsentativen Befragungen des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung sieht man, dass vor allem jene Menschen wie der ins Theater kommen, die auch schon vor der Pandemie zum Stammpublikum gehörten. Wer aktuell wegbleibt, sind vor allem Men schen, die zum ersten Mal oder nur gelegent lich ein Theater besuchen. Zum einen haben einige nach wie vor Sorge, sich mit Covid 19 zu infizieren. Zum anderen scheint es, als hät ten die Häuser und die Menschen durch die monatelangen Schließzeiten ein wenig den Kontakt zueinander verloren. Theaterhäu ser müssen sich beim Publikum erst wieder in Erinnerung bringen und die »Beziehung« erneuern. Schließlich sind finanziell weni ger gut ausgestattete Menschen während der Pandemie (noch) seltener ins Theater gegan gen – ein Trend, der sich durch steigende Le benshaltungskosten und Inflation sicherlich verschärfen wird.
Es gab aber bereits vor der Pandemie Entwicklungen, die sich bei vielen Häusern schleichend negativ auf die Zahlen ausge wirkt haben: Das Kernpublikum vieler Kultur
einrichtungen ist schon lange überaltert und jüngere Menschen interessieren sich für die Angebote nicht (mehr). Zugleich findet sich die Diversität unserer Gesellschaft oft nicht in den Programmen und im Personal von Thea terhäusern wieder. Und auch das Konsum und Freizeitverhalten der Menschen hat sich geän dert. Kulturangebote sind für viele Menschen inzwischen Freizeitangebote unter vielen. Theater konkurrieren um die gleichen Frei zeitressourcen wie beispielsweise Sportkurse oder Restaurantbesuche. Covid 19 scheint auf diese Aspekte teils wie ein Brandbeschleuniger gewirkt zu haben.
Jetzt geht es darum, all das nicht aus dem Bauch heraus zu bearbeiten, sondern eine solide Datenbasis aufzubauen. Wer kommt? Wer nicht? Welche Barrieren verhindern Be suche? Im nächsten Schritt muss sich jedes Theater die Frage stellen, wen es erreichen, welche Anreize es schaffen und welche Hin derungsgründe es beseitigen kann und will. Und das betrifft nicht nur Rahmenbedingun gen wie den Ausbau der digitalen Kommuni kation oder dass man auch mal sein Getränk mit in den Zuschauerraum nehmen darf. Am Ende geht es um den Kern der darstellenden Künste! Theater müssen sich fragen, mit welchen Themen, Formaten und Personen sie Angebote für die Freizeitansprüche der potenziellen Gäste machen und damit ihre gesellschaftliche Relevanz behaupten.
Vera Allmanritter leitet das 2020 gegründete Institut für Kulturelle Teilhabeforschung in Berlin. Thomas Renz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Experte für strategische Pub likumsentwicklung von Kulturorganisationen.
Sandro Nicolussi IKTf / Colya Kärcher (2), Lupi Spuma, Jakub Kavin, Anja KöhlerIst eine Rückkehr zum »Normalzustand wie vor der Pandemie« überhaupt erstrebens wert? Theater kennt doch an sich keinen Normalzustand, sondern ist immer Ausnah mezustand, Überraschung, Magie! Das ist sein Wesen. Mit all den Konflikten, Dramen, Kri sen, Herausforderungen, die auf und hinter der Bühne unser tägliches Brot sind, wachsen wir und entwickeln uns weiter.
Man spürt es inzwischen deutlich: Wir leben in einer Zeit, in der wir nicht mehr nur reden und Missstände auf der Bühne thema tisieren müssen, sondern vor allem auch als wichtige Institution in der Stadtgesellschaft durch unser eigenes Handeln Vorbild sein kön nen und müssen. Es ist nur konsequent, wenn sich auch der (Theater )Betrieb den gesell schaftlichen Veränderungsprozessen aussetzt und sie nicht nur auf der Bühne thematisiert. Wir haben bereits seit vielen Jahren daran gear beitet, an einzelnen Punkten das Theater nach haltiger zu gestalten, aber erst das Innehalten in der Pandemie hat uns Zeit gegeben, das »grüne Theater« mit viel Kraft als Kernmission des Hauses zu etablieren. Im März 2021 haben wir ein großes Pilotprojekt zur Verankerung von Nachhaltigkeit im Theaterbetrieb gegründet, das ganz unterschiedliche Maßnahmen des ökologisch nachhaltigen Wirtschaftens, Ar beitens und Denkens bündelt und durch einen Projektleiter und viele verschiedene Arbeits gruppen strukturell im Haus verankert ist.
Nicht verändert haben sich die kontinu ierlichen Bemühungen, mit Kreativität neue wie alte Besucher*innen durch Kontinuität (wieder) für das Theater zu begeistern. Im März 2020 sind wir im Schauspielhaus Graz mit einer Auslastung von 92 Prozent in den Lockdown gegangen, in der begonnenen Saison hoffen wir vor allem auf einen durch gängigen Theaterbetrieb, um den Fokus weg vom Krisenmanagement und hin auf die in haltliche Arbeit und die Zukunftspotenziale richten zu können: mit einem Spielplan, der inhaltlich und ästhetisch unterschiedliche Produktionen und Projekte aufweist, um als Stadttheater möglichst vielen Menschen An knüpfungspunkte zu bieten.
Das Vertrauen in die eigene Widerstands kraft und die Lust am Gruppenerlebnis wird zurückkommen, auch wenn es vielleicht et was Zeit braucht.
Iris Laufenberg ist seit 2015 geschäftsführende Intendantin am Schauspielhaus Graz. Sie verfolgt interdisziplinäre und genreübergreifende Kooperationen sowie die Erweiterung klassischer Theaterformen.
Im Herbst 2021 war auch bei uns zu spüren, dass weniger Menschen das Theater besuch ten als vor der Coronapandemie. Nach dem ersten Lockdown im Jahr 2020, vom Mai bis zum Sommer, als wir gezwungen waren, den Publikumssaal unter Einschränkungen zu öffnen, hatten wir sogar das Gefühl, mehr Besucher*innen zu haben als zuvor, weil der Saal nur zur Hälfte benutzt werden durfte. Wir haben das »Corona voll« genannt. Ich glaube, dass das Publikum damals, nach nur drei Monaten des Lockdowns immer noch an Kunst und Kultur dachte und sie auch ver misste. Irgendwann vermieden es die Men schen dann, Pläne zu machen, da sie nicht wussten, ob sie an dem betreffenden Tag die Termine einhalten können würden. Letztlich ist Kunst ja ein Luxus, den man sich leistet. Ohne Essen und Trinken, ohne einen warmen, ruhigen Schlafplatz wären Menschen nicht bereit, sich der Kunst und Kultur zu widmen. Es ist zu befürchten, dass die Inflation, die un ser Leben in Zukunft weiter beeinträchtigen wird, die steigenden Strom und Gasrechnun gen im Winter etc. die Entscheidungsmög lichkeiten der Theaterbesucher*innen noch weiter einschränken wird.
Wir planen daher bei jeder Eigenproduk tion mindestens einen »Pay as you can« Tag, um das Publikum frei über den Eintrittspreis entscheiden zu lassen. Wir möchten in die sem Rahmen auch eine Dialogplattform zum Thema »Wert und Kosten der Kunst für die Gesellschaft« starten. Wiederkehrende Pub likumsgespräche nach jeder »Pay as you can« Veranstaltung, bei denen unter anderem offen über die Produktionsbedingungen der eben gesehenen Produktion gesprochen wird und ein Austausch mit dem Publikum über alter native Finanzierungsmodelle für Kunst und Kultur stattfinden soll. Kunst ist der Ort, an dem sich Gedanken frei entfalten und aus drücken können – das schließt das Publikum mit ein. Wir hoffen auf einen Geisteswandel für möglichst viele Menschen, nachdem sie sich mit Kunst und Kultur vertraut gemacht haben. Wir sind überzeugt, dass diese Kom munikation zwischen Künstler*innen und Publikum in der Theater Arche möglich ist.
Manami Okazaki ist seit 2019 Co-Leiterin der Theater Arche im sechsten Wiener Gemeinde bezirk und dort regelmäßig als Schauspielerin und Sängerin auf der Bühne zu sehen.
Stephanie Gräve Vorarlberger Landestheater, Bregenz»So, wie es ist, bleibt es nicht.« Ein Zitat von Brecht und Titel des Liederabends, mit dem wir die Spielzeit begonnen haben. Ein sinnvol les Zitat in diesen Zeiten, funktioniert es doch auf mehreren Ebenen: Wir erleben massive gesellschaftliche Veränderungen und globale Krisen, alles ist in Bewegung, nichts bleibt, wie es ist. Und das soll es auch nicht. Weder soll der jetzige Zustand von Dauer sein, noch wollen wir zum Status quo der Vorkrisenzeit zurück. Viele von den heutigen Problemen waren schon angelegt. Im Brecht‘schen Sin ne müssen wir die Welt als veränderbar be greifen. Das Publikumsinteresse ist zu diesem Zeitpunkt für uns schwer einzuschätzen. Seit den Lockdowns buchen die Menschen kurz fristiger, das macht Prognosen schwierig, der Aboverkauf zeigt sich stabil. Allerdings hat uns der Publikumsschwund bisher nicht so hart getroffen, er lag vor dem Sommer unter 10 Prozent. Wohl weil wir in einem ländlichen Umfeld agieren und die Besuchszahlen nie so hoch waren wie in Großstädten.
Es herrscht Sorge, was der Krisenwinter bringen wird. Menschen beginnen zu spa ren und zu verzichten, weil sie Verarmung fürchten. Die Angst vor Covid ist noch prä sent, besonders bei älteren Menschen, die einen erheblichen Teil des Publikums aus machen. Die Menschen haben sich in den Lockdowns an einen anderen, privateren Lebensstil gewöhnt, brauchen und wollen weniger Öffentlichkeit.
Wir müssen kritisch überprüfen, wie viel wirklich produziert werden muss und in welcher Form. Die Ära der Überproduk tion ist vorbei, wir müssen Verantwortung übernehmen. Programmreduktion wird zu Publikums und Einnahmeverlusten füh ren, darum brauchen wir die Geldgeber der öffentlichen Hand als verlässlichen Part ner, um Verluste durch Neukonzeption und di e ma ssiven Teuerungen auszugleichen. Grundsätzlich bemühen sich die Theater schon lange um Öffnung, versuchen, neue Publikumsschichten zu erreichen, mit ästhe tischer Vielfalt, neuen Formaten, Kommuni kation, Vermittlung, Vernetzung. Am Vorarl berger Landestheater ist das Publikum seit unserem Start im Jahr 2018 sichtbar jünger und (gesellschaftlich) diverser geworden, trotz Pandemie. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Entwicklung fortsetzt, denn gerade in Krisenzeiten ist Kultur ungeheuer wichtig.
Stephanie Gräve ist Dramaturgin und nach Stationen in Moers, Bonn und Basel seit 2018 Intendantin am Vorarlberger Landestheater.
Iris Laufenberg Schauspielhaus GrazMan würde es nicht vermuten, aber im Innenhof eines großen Gemeindebaus in Wien-Meidling, in der ehe maligen Waschküche, befindet sich die Probebühne des Schauspielhauses. Ebendort wird gerade am Stück »Faarm Animaal« gearbeitet. Frei nach George Orwells Roman »Animal Farm« gehe es um Aufstand und Revolution, so Clara Liepsch, um das Verhältnis von Mensch und Tier. Im Team habe man zuletzt theoretische Texte dazu gelesen, Filme geschaut, sich darüber ausgetauscht. Als die 1995 in Weimar geborene Schau spielerin an einem Nachmittag im September für uns im Fundus des Theaters stöbert, hat die gemeinsame Stückentwicklung unter der Regie von Tomas Schweigen – es ist seine letzte eigene Produktion als Intendant des Schauspielhauses, Premiere am 19. November – gerade erst begonnen. Vieles sei daher noch offen. »Bei jeder Arbeit versuche ich relativ früh zu erfahren, welche Schuhe ich tragen werde«, erzählt sie mit Blick auf eines der Regale. »Wie man darin steht und sich bewegt, ist wichtig für die Identität der Figur.«
Alexander Galler Manuel FronhoferLavinia Nowaks erster Auftritt in Goethes »Faust« könnte kaum standesgemäßer ausfallen: In der Rolle des Teufels wird sie zu dramatischer Musik und im Trockeneisnebel aus der Unterbühne nach oben gefahren. Das rot-goldene Kostüm komplettieren dabei große, schwarze Flügel. Das Böse nicht als Klischee zu spielen, sei für sie der Schlüsselpunkt der Rolle, weshalb sie ihren Teufel als traurigen Typen aus der Hölle anlege, »der schon ziemlich abgehalftert ist und für den sich niemand mehr so richtig interessiert«. Zehn Tage vor der Premiere treffen wir die 1995 in München geborene Schauspielerin auf der Hinterbühne des Volks theaters zum Fototermin, bevor am Abend die Nullerprobe, also der erste komplette Durchlauf des Stücks, ansteht . In der Inszenierung von Volkstheater-Intendant Kay Voges sei der Augenblick zentral, so Nowak, weshalb auch mit Live-Fotografie gearbeitet werde. Eben nicht das Abarbeiten der Handlung, sondern das Festhalten des Moments: »Verweile doch, du bist so schön!«
2023 feiert das Theater-, Show- und Comedy-Ensemble Postmodern Talking sein zehnjähriges Bestehen. Nicht nur auf der Bühne, auch auf Youtube und Radio FM4 beglückt das MultimediaImperium seine Fans. Doch die maximal unkonzentrierte, weil radikal kollektive Arbeitsweise von Postmodern Talking bringt es mit sich, dass die allerbesten Ideen nie realisiert werden. Um der Welt aber wenigstens den Hauch einer Ahnung zu schenken, was sie so alles verpasst, gewährt das Ensemble weltexklusiv für The Gap Einblick in die schönsten, niemals umgesetzten und absolut unumsetzbaren Projektideen – aka »Best of Outtakes«!
DER GAG-FRIEDHOF – ALTE WITZE WERDEN WIEDER AUSGEGRABEN (THEATERSTÜCK)Wir sind auf einer Theaterprobe, ein Witz wird gestri chen und kommt auf den Gag-Friedhof. Der Friedhofs wärter nimmt den Witz in Empfang. Wir lernen den Friedhof kennen: Da drüben sind die schlechten Witze, dort liegen die Flachwitze, da ist das Massengrab vom Villacher Fasching.
In der Nacht tauchen die Gag-Zombies auf, z. B. die »Performance Brothers« – ein sehr schlechtes ComedyDuo aus den 20er-Jahren. Sie spielen jede Nacht ihr Stück »Mach ma ka Szene!«. Dann die Hitler-Witze, aber nicht über ihn, sondern von ihm. Das ist der Witz. Dass die Witze vom Hitler sind. Der Witz ist selber so schlecht, dass er auch auf den Gag-Friedhof kommt, es ist der Meta-Zombie-Gag.
Eines Tages taucht die Präsidentin vom Pointen schutz auf. Sie fordert die Rückgabe vom gestrichenen Witz, der nun doch plötzlich gut ist, weil sich die Zeiten geändert haben (hier Zeit-Geist-Witz?). Konflikt zwi schen Friedhofswärter und der Präsidentin. Endkampf: Die Präsidentin und der gestrichene Witz gegen eine Zombiearmee von schlechten Witzen. Schließlich siegen die beiden, weil sie den besten Witz des Jahrhunderts machen und sich die Zombies totlachen.
Zurück am Theater. Wir sind mitten in der Premiere, das Stück schnarcht so vor sich hin und ist voll fad, als plötzlich der gestrichene Witz zurückkehrt. Pointe, alle lachen, Standing Ovations, Happy End!
Mitten in einer Hausbesetzung bekommt Punkerin Tanja eine Nachricht vom Testamentsvollstrecker ihres Onkels. Und plötzlich ist nichts mehr so wie zuvor ...
Szene zwischen Tanja und Kalle. Kalle reißt gerade eine Wand ein. Tanja sieht es und kommt hinzu.
Tanja: Kalle! Nicht die Wände einreißen!
Kalle: Aber da kommt doch die Kegelbahn hin! Sag mal, was ist denn in letzter Zeit los mit dir?
Tanja: Kann ich mal unter vier Augen mit dir reden?
Kalle: Klar!
Tanja: Mein Onkel ist gestorben.
Kalle: Oh.
Tanja: Und ich habe ein Haus geerbt.
Kalle: Oh! Welches Haus?
Tanja: (blickt um sich)
Kalle: No way. Dieses Haus? Das ist unser Haus!
Tanja: Das ist – jetzt mein Haus. Was soll ich denn jetzt machen?
Kalle: Du musst es natürlich verschleiern. Tanja … wenn du schon so ehrlich zu mir bist … ich mach das auch. Ich hab reiche Eltern.
Tanja: Oh Gott!
Kalle: Schon seit meiner Geburt. An der Uni musste ich immer meine Herkunft verschleiern. Ich hab Jogginghose getragen und Billa-Sushi gegessen. Wenn ich auf Partys gegangen bin, hab ich meinen 87er-Barolo in 4-Euro Wein flaschen vom Lidl umgeschüttet und bin so losgezogen.
Tanja: Was soll ich jetzt machen?
Kalle: Du kannst es herschenken? Vergemeinschaften? Oder du gründest eine Postkastenfirma auf Panama. Und dann machst du eine Tochterfirma und überschreibst die Immobilie so oft, bis am Ende niemand mehr nachvoll ziehen kann, dass du die Besitzerin bist.
Tanja: Und dann lass ich’s räumen. Oh Gott … was hab ich gerade gesagt?
Kalle: Dass du das Haus räumen lässt.
Tanja: Von den Bu – Bul – Bull Kalle: Was ist denn?
Tanja: Bu – Bul … Ich kann das Wort nicht mehr sagen!
Kalle: Ja, ich weiß. Jetzt bist du eine von uns.
Thaur in Tirol ist das größte zusammenhängende An baugebiet Europas für Radieschen. Als Werbe-Testi monial für das Thaurer Radieschen wird jedes Jahr die sogenannte Thaurer Radieschenprinzessin gewählt, die bei Radieschenfest, Schützenball etc. das Thaurer Ra dieschen würdig vertritt. Die Familien Giner und Purner, deren Landwirtschaften jeweils ca. die Hälfte der Radies chenanbauflächen umfassen, sind jedoch verfeindet, was sich im alljährlichen Wettstreit darum niederschlägt, wel che Familie die Radieschenprinzessin stellt. Es kommen also zu Beginn der Filmhandlung wieder zwei Töchter der jeweiligen Familien ins radieschenprinzessinnenfä hige Alter, aber womit niemand gerechnet hat: Sie ver lieben sich im Zuge des Vorausscheidungsprozederes zur Radieschenprinzessin ineinander, was natürlich nicht sein darf, weil Familienfehde. Die Liebe wird durch ihre Unmöglichkeit natürlich nur angeheizt, ein Romeound-Julia-Ende zeichnet sich bereits ab, bei diversen ge walttätigen, bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen wird die Thaurer Bevölkerung dezimiert. Da beschließt Martin, noch in Unkenntnis der verworrenen Lage im Dorf, ebenfalls als Radieschenprinzessin zu kandidieren. Es sind viele Intrigen und Abenteuer erforderlich, aber Martin schafft es natürlich, Radieschenprinzessin zu wer den, übrigens die erste Radieschenprinzessin, die nicht aus den Familien Giner bzw. Purner stammt. So können beide Radieschendynastien ihr Gesicht wahren, was in Wahrheit auch der einzige Grund ist, weswegen Martin es geworden ist, aber was des Guten noch mehr ist: Beide Radieschenprinzessinnen verlieben sich natürlich schlag artig nicht nur erneut ineinander, sondern auch in Martin und vice versa. In den weiteren Rollen: Elias als namenlo ser Erntehelfer, Lia als DJane am Schützenball und Xaver als Thaurer Bürgermeister.
Manchmal hat man Glück. Zum Bei spiel, wenn in einem Vorspann (siehe links oben) schon alles drinnen steht, worum es geht und was wichtig ist. Noch mehr Glück hat man, wenn man das gar nicht selber schreiben oder gar Praktikant*innen dafür quälen musste. Deswegen Danke an die Stammcrew von Postmodern Talking, die da wäre: Franz-Xaver Franz, Martin Fritz, Lia Sudermann und Elias Candolini. Termine gibt es auch. Das Stück »Ischgl – Aufstand der Pinguine« ist am 27. September, am 18. Oktober und am 8. November im Kabarett Niedermair zu sehen. Am 26. Oktober spielt die Postmodern-Talking-Crew ein Best-of im Wiener Club The Loft. Näheres dazu ist auf der nagelneuen Website www.postmoderntalking.com zu finden.
Anlässlich des 30. Todes- und 80. Geburtstags von Emile Ardolino 2023 wollte es sich die Postmodern-TalkingCrew nicht nehmen lassen, ein Musical zu Ehren des Re gisseurs unserer beiden Lieblingsfilme »Dirty Dancing« und »Sister Act« zu entwickeln. Gescheitert ist es einzig daran, dass wir uns auf keinen Titel einigen konnten.
Liste der finalen Top 5 der Namensideen:
5. Act Dirty 4. Act Dancing
3. Dirty Sisters
2. Sister Dancing
1. Dirty Act
Carmen SulzenbacherIn Kooperation mit
Cem Kayas preisgekrönter Dokumentarfilm beschäftigt sich mit der Musikkultur türkischer Migrant*innen in Deutschland – von den melancholischen Liedern aus der Ferne, die die sogenannten »Gastarbeiter*innen« in den 1960er-Jahren mitbrachten,
türkischen
1 »Edition Privat – Claudias und Rudis Wien intim« Mit »Rokko’s Adventures« zeichnet Clemens Marschall seit 2007 für ein erfreulich eigenwilliges »Magazin für Menschen, Tiere, Sensati onen« verantwortlich, das vor einiger Zeit auch als Fernsehformat Premiere feierte. Im Buch »Edition Privat« widmet er sich der legen dären gleichnamigen Wiener Pornofilmproduktionsfirma – oder bes ser deren Köpfen Claudia und Rudi, die ihm und uns sehr persönli che Einblicke in eine verborgene, teils groteske Subkultur gewähren, ohne sie zu verklären. Nicht jugendfrei. Wir verlosen ein Exemplar.
2 »Film und Kino in der Steiermark«
Begleitend zur aktuellen Ausstellung »Film und Kino in der Steiermark«, die noch bis 8. Jänner 2023 im Grazer Museum für Geschichte zu se hen ist, gibt diese Publikation einen Überblick über 125 Jahre steiri scher Film- und Kinogeschichte. Man erfährt darin über Steirer*innen vor und hinter der Kamera, die Steiermark als beliebte Filmkulisse und die Filmstadt Thaliwood, in der einige frühe Highlights des Nachkriegs films produziert wurden. Erhältlich im Museum für Geschichte in Graz. Wir verlosen drei Exemplare.
»Broken beats, moldy loops, obscure music.« Der Linzer Krachmacher Andreas Haslauer führt seit Jahren das Label Epileptic Media in Wien und veröffentlicht dort unter anderem auch seine eigene Musik auf Tapes. »Phleg« zum Beispiel in streng limitierter Auflage von zehn Stück glänzend goldener Kassetten. Doch diese Ära endet bald, denn gegen Jahresende wird mit der 123. Veröffentlichung das Label vorerst auf Eis gelegt. Aber seid nicht traurig, it’s going down with a bang! Wir verlosen das allerletzte Exemplar des vorletzten Releases.
4 »Men – Was dich sucht, wird dich finden«
Ob als (Drehbuch-)Autor oder Regisseur, Alex Garland liefert zuver lässig gute Ware. Mit »Men« hat er zuletzt das Thema toxische Männ lichkeit zu einem durchaus verstörenden, fieberhaften Horrorfilm ver arbeitet. Nach einem schweren Schicksalsschlag sucht Harper in der ländlichen Idylle Abstand und Erholung, doch der Ausflug wird zum Albtraum, der von ihren dunkelsten Ängsten und Erfahrungen ge nährt wird. »Men« ist ab 27. Oktober digital, als Steelbook, Mediabook, Blu-Ray und DVD im Handel erhältlich. Wir verlosen drei Blu-rays.
Schall-Bumm — Numavi
Packt eure Mützen aus, Schapka werden zehn! Zum Ju biläum knallt die vierköpfige Band bestehend aus Lau ra Gstättner, Marie Lehner, Lilian Kaufmann und Dora de Goederen ihr zweites Album in eine Welt, die dieses zwar nicht verdient, aber dafür umso mehr braucht. Wer sich im Zuge von Teuerungen, Krisen und Abbau sozialer Leistungen schon auf den Demoherbst vorbereitet: Hiermit sei motivie rend versichert, es muss nicht mehr die Playlist aus den letzten acht Jah ren sein. Dieses Album hat alles, um den Umbruch von Ferlach bis nach Flensburg loszutreten.
Die elf Tracks kommen in Summe auf rund 30 Minuten und sind somit schnell weggehört – und ein zweites und drittes Mal aufgelegt. Spätes tens nach der zweiten Runde findet man sich als Teil des Schapka-Chors mitsummend wieder, denn: Schapka haben die Selbstreferenz zwar nicht erfunden, doch derart augenzwinkernd perfektioniert, dass etwa Jason Derulo, Shakira und Usher dieser Tage peinlich berührt ihre Setlists än dern. »Schapka-Lalaaaaaa. Schapka, Schapka!«
Auf dem Album finden sich übliche Themen aus Punk und Wider stand, garniert um zeitgenössische Erweiterungen: Antipathie gegenüber der Polizei (»Scheiß Kiwarei« feat. KMT), Sexarbeit (»Straßenstrich«), Revolution durch nicht-männlichen Widerstand (»Kämpferinnen«), Kör perbehaarung (»Mein Fell« feat. Kerosin 95) und selbstverständlich ein Cover (»Tango della femminista«). Der Dauergrinser wird dabei ebenso evoziert wie das Infragestellen von, ähm, quasi allem. Wenn man es aus der Weltgeschichte nicht besser wüsste, ist man beinahe geneigt, sich ein Fortbestehen des Patriarchats herbeizusehnen, damit das nächste Schapka-Album bald vorliegt. Aber die Stücke gefallen wohl auch in einer liebevollen, solidarischen Weltgesellschaft. Man darf es also ruhig besser wissen. Wie gewohnt von ehrlichem Punk als auch von Schapka als Band sitzen übrigens nicht immer alle Noten dort, wo sie vermeintlich sollten – aber sie sollen eben doch genau dort sein. Klingt ko misch? Nein. (VÖ: 8. Oktober) Sandro Nicolussi
Live: 8. Oktober, Wien, Treffpunkt: Reumannplatz
Oft ist es nur ein schmaler Grat zwischen einem in ge ordneten Bahnen verlaufendem Redefluss und wort schwallartigen Machtdemonstrationen, die mit unge heurem Tempo über einen hinwegfegen. Kurz mal auf Tauchstation zu gehen, wäre von all den verschiedenen Lösungsmodellen wohl das schnellste und unkomplizier teste. Obwohl ihr Bandname etwas anderes vermuten lässt, hält die Band Dives von dieser Idee ganz und gar nichts. Lieber feuern Dora de Goede ren, Viktoria Kirner und Tamara Leichtfried all den aufgeblasenen Egos da draußen mit feiner Klinge gestaltete Songtexte entgegen. Im Song »Burger«, der ersten Single des zweiten Dives-Albums »Wanna Take You There«, geht es weniger um Menschen, die andere nicht ausreden lassen, sondern um in Dauerschleife reproduzierte faule Ausreden. »You can not blame him anyway, ’cause honey you know, he doesn’t mean it that way«, heißt es unter anderem. »Dass dieser Satz in der Gesellschaft immer noch so existiert, ist ein Problem«, hält die Band fest.
Musikalisch lädt »Wanna Take You There« dazu ein, sich dem Fluss der zwischen Powerpop, Surfrock und Dreampop angesiedelten Musik einfach hinzugeben, sich treiben zu lassen. Der für die Band typische mehrstimmige Gesang trägt ein Übriges dazu bei. Die Möglichkeit, sich in der Musik zu verlieren, ohne dabei ganz verloren zu gehen, macht »Wanna Take You There« perfekt für die letzten halbwegs lauen Abende des Jahres, aber auch für ausgedehnte Roadtrips – egal, ob diese tatsächlich stattfinden oder nur im Kopf. Orientierung und Halt bieten neben griffigen Refrains auch die oben bereits in aller Kürze besprochenen pointierten Texte, die stets sehr viel Haltung durchblitzen lassen. Im Gegensatz zum eingangs erwähnten Szenario, wünscht man sich hier, dass der Fluss ei nen noch ewig mitnimmt. »Say what you wanna say« als Credo, verpackt in mitreißende Musik. Nicht in Watte, so viel steht fest.
(VÖ: 14. Oktober)
Sarah Wetzlmayr
Live: 27. Oktober, Linz, Stadtwerkstatt —
28. Oktober, Graz, Orpheum — 3. November, Klagenfurt, Kammerlichtspiele — 4. November, Salzburg, ARGE Kultur — 5. November, Wien, WUK
Great, he did it again! Dorian Concept, wohl der virtuo seste Synthesist des deutschsprachigen Raumes (sor ry, Flake!), hat sein drittes Studioalbum finalisiert. Und das hat alles, wofür Oliver Johnsons Tastenakrobatik bisher schon stand: Verstimmungen, die nichts als Sinn machen, Grooves, die die Gelenke herausfordern, und Loop-Arrangements, die dem Begriff One-Man-Band alle Ehre erweisen. Auf Brainfeeder, dem Label von Flying Lotus, erscheinen nun 13 Tracks, die als Soundtrack für das Spiel des Lebens funktionieren. Auf der Büh ne und in den rezentesten Video-Teasern wurde der legendäre Micro korg, mit dem Johnson Gerüchten zufolge schon in der Wiege gesichtet wurde, zwar mittlerweile großteils vom Roland SH-101 abgelöst, weniger spannend macht das den Tastentanz allerdings keineswegs.
Die Arrangements der einzelnen Tracks kommen meist ohne gro ße Umwege straight to the point. Auch mit Vocals wurde nicht gespart. Diese erinnern durch massive Layerings und Effektierung aber mehr an eine zusätzliche Synth-Spur oder Chöre als an verständliche Lyrics zum Mitsingen oder überhaupt Verstehen. Bloß, mit Blick auf den Titel dieses Albums: Was tun wir nun eigentlich für andere? Inwiefern ist diese Art des Altruismus eine längst verlorene gesellschaftliche Tugend? Wo wird sie im künstlerischen Prozess zur Hürde? Johnson erklärt das mittels Einblick in die Entstehung des Albums: »Eine Sache, die ich an meinem kreativen Prozess oft interessant finde, ist, dass wenn ich glaube, etwas zu machen, das anderen gefallen könnte, es die Leute oft nicht wirklich anspricht. Wenn ich dagegen an diesem besonderen Ort ankomme und einfach aus dem Bauch heraus arbeite, spricht die Musik oft ganz natürlich mit der Außenwelt.« Was besagte Außenwelt von »What We Do for Others« mitnehmen dürfte ist etwa: Spaß macht Spaß und Musiktheo rie wird gerade im Pop erst besonders interessant, wenn man sie so kreativ wie möglich beiseite lässt. (VÖ: 28. Oktober) Sandro Nicolussi
Marie Haefner, Jakob Gsoellpointner, Petra WeixelbraunStrizzico
Was will er eigentlich noch? Er, das ist der Hirschl Elias, den hat man gleich am Foto erkannt. Der hat schon mehr Bücher geschrieben als ein durchschnittlicher Österrei cher gelesen hat; der ist häufiger auf dem gelb-beenteten Radiosender zu hören als eine kritische Stimme gegen das Festival, das dessen Namen trägt; der hat schon ei nen Bachmannpreis, zwar einen vom Publikum, aber das weiß ja in der Regel mehr als die Verleihenden, also zählen wir den und er selbst wird den natürlich auch zählen; der war im Fernsehen und das alles. Und jetzt – weil: bist du ein Getriebener, hält dich nichts auf – erscheint das Debütal bum seiner Gruppe Ein Gespenst, natürlich ein sehr tolles. Manchmal frag’ ich mich schon, wo das hinführen soll, mit diesen Multitalenten. Apropos tolles Album: Darum soll es hier ja hauptsächlich gehen. Gemeinsam mit seinem Kompagnon, Rapper und Producer Christopher Hütmannsberger – aber keine Sorge, man hört auf »Bei Tageslicht« kei nen »Rap« – wird 2020 Ein Gespenst gegründet. Schon die EP »Ich tanze nur aus Höflichkeit« wird hochgelobt, an dieser und an anderen Stellen. Im großen Format erstrahlen nun zwölf Songs, denen eines gemein ist: ganz schön viel Hall, ganz schön treibender, leicht schlagerhafter IndieWave, sicher ziemlich gut tanzbar, wenn sie das beim Fortgehen spielen würden, aber auch in der Kopfdisko wird die Nebelmaschine angewor fen. Die Texte – weil das ist das Unterscheidungsmerkmal im Endeffekt – sitzen. Etwa wenn’s um Fünfjahrespläne und das Neoliberale geht; auch beim Romantischen, da kann man mitfühlen. Besonders schön wird’s, wenn auf »The Smiths« erzählt wird, warum die Musiklandschaft jetzt fad ist, bisschen Boomer, nur die Smiths erregen eben noch. Die Debatte, Kunst vom Künstler trennen, ja/nein, wird gleich mitgeliefert, Antwort: jein. Morissey blöd, aber halt schon gut. Wir, als Fans von Ein Gespenst, brauchen da keinen Spagat, können sa gen: Musik gut, Künstler gut; Elias Hirschl ist nicht der österreichische Morrissey. Aber, du weißt ja nie, Multitalente, Genie und Wahnsinn, eng beinander. (VÖ: 14. Oktober)
Dominik Oswald
Live: 14. Oktober, Wien, Rhiz
Ifsonever — Jazz & Milk
Wollen wir wetten, wie lange noch Alben erscheinen, deren Recording-Prozess in die Anfangszeit der Coro napandemie datiert werden? Das vorliegende Album von Ifsonever ist nämlich noch so eines. Aber vielleicht muss man auch nicht so viel auf begleitende PR-Texte geben, denn immerhin steht dort auch eine dick aufge tragene Beschreibung, die lautet: »a blueprint of an urban ambient club record from a parallel universe«. In Zeiten des überbordenden Marketings scheint es also so zu sein, dass gute Musik vor allem jene Menschen zu Ohren bekommen, die am besten mit Begleittext-Cringe umgehen können. Denn tatsächlich ist das Debütalbum von Ifsonever – klingt unbekannt, ist er aber nicht, mehr dazu gleich – eines dieser Veröffentlichungen, die im Herbst genau richtig angesiedelt sind. Sind die nostalgischen RoadtripAlben des Spätsommers erst einmal im kalten Frühnebel des späten Ok tobers verschwunden, glänzen vor allem die reduzierteren Produktionen vom blätterbedeckten Untergrund hervor. Und zwar mit allen Details, die ein Ambient-Album vervollkommnen: Field-Recordings, Voice-Samples, starken Panorama-Arrangements und runden, weichen Bässen.
Verantwortlich für die vorliegende, selbstbetitelte Sammlung an angenehmen Sounddesign-Ambient-One-Takes ist Daniel Helmer. Klin gelt noch immer nicht? Okay: Teil von Gudrun von Laxenburg, die ab 2009 als Techno-Punk-Trio durch die Lande zogen. Nun eben solo, wie man das halt so machte, als in den Lockdowns Nummer eins bis un endlich soziale Nähe verboten war. Aber ganz ohne Miteinander geht es dann glücklicherweise auch nicht: Zwei Kooperationen mit Filmaka demie-Kollegen Millian X (»Jonesy Dreams of Birds«) und dem LondonJazzer Guido Spannocchi (»An Unexpected Error Occurred«) gibt’s obendrauf. Interessantester Aspekt ist der One-Take-Charakter. Der schafft Platz für happy little accidents und tut ne benbei der Direktheit gut, die durchpolierten elek tronischen Produktionen des Spätkapitalismus oft fehlt. Schwer empfohlen sei, die Hängematter nicht gleich einzumotten, sondern einen IndoorPlatz zu finden, um darin dieses Album zu hören.
(VÖ: 28. Oktober)
Sandro Nicolussi
Ein Tag im Freibad, die Finger kleben vom schmelzenden Jolly-Eis, der Geruch von Frittierfett liegt in der Luft. Ol gas Boris’ Debütalbum »Ja so war das« klingt so, wie ein perfekter Sommertag riecht. Ein paar Akkorde auf der Gi tarre, ein Discobeat in die Drum-Machine geklopft, Mikro an und los geht’s!
Was Anfang 2020 mit drei Schlafzimmer-Releases begonnen hat, ist über die Pandemiejahre zu einem runden und ausgereiften Sound gewor den, der seinesgleichen sucht: Das zwölf Tracks umfassende Debüt von Ol gas Boris klingt nicht wie ein Erstlingswerk. Ist es genau genommen auch nicht. Dass Tobias Dankl und Helene Griesslehner seit Jahren Musik ma chen und professionellen Hintergrund haben, hört man: Er hat Gitarre, sie Jazzgesang studiert. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Um das zu erkennen, bräuchte es nicht mal den lila Schal, den Dankl bei Auftritten zwi schen die Mikros spannt. Live hüpft Griesslehner zwischen Mikrofon und Laptop herum, während ihr Partner auf einem Bein schwingend den Harmo nien seiner Gitarre erliegt – auch das ist irgendwie Sinnbild für ihre Musik.
Nonsenstexte à la Der Nino aus Wien treffen auf Kinderliedmelodien, die sich nicht an den schrägen Synthesizer-Experimenten stoßen. Mal bunt wie ein Tim-Burton-Film, dann wieder düster stellt »Ja so war das« Beobachtungen, Erinnerungen und Überlegungen ins Scheinwerferlicht. Allerdings nie lang genug, um konkret zu werden. So entstehen beim Hören szenische Stillleben vor dem inneren Auge: Eimer voller Leere (»1000 Spuren«), Autofahren im Rückwärtsgang (»Schöner Nachbarin«) und gleich fünfzigmal geteilte Beiträge (»Herzchenlike«) – durch VoiceActing, Adlibs, Reverb und Verzerrungen zum Leben erweckte Sound collagen. Der Charme von Olgas Boris entsteht aus Detailverliebtheit, Ironie und dem Mut, etwas auszuprobieren. Trotz aller Schrägheit ist »Ja so war das« der perfekte Soundtrack für einen Roadt rip. Marmeladenglasmusik, die den schwindenden Sommer festzuhalten versucht.
(VÖ: 18. November)
Helena Peter Ursula Rinderer, Martina Stapf, Studio Tromp Est ate of Jean-Michel Basquiat Artest arDie radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen präg te sein Werk, und doch brachte es Jean-Michel Basquiat – als erster Afroamerikaner – in der von Weißen dominierten Kunst szene zu Weltruhm. »Kaum ein anderer Künstler steht als Aus nahmeerscheinung so repräsentativ für die 1980er-Jahre und deren pulsierende New Yorker Kunstszene«, so AlbertinaKuratorin Antonia Hoerschelmann. Gemeinsam mit Dieter Buchhart hat sie die Albertina-Retrospektive zu Basquiat zu sammengestellt. Rund 50 Werke, die Ausbeutung und Koloni alismus, Diskriminierung und Rassismus thematisieren – und den Künstler vom Außenseiter zum Star machten.
»Basquiat. Die Retrospektive« ist noch bis 8. Jänner in der Albertina zu sehen. Die The-Gap-Leser*innenführung durch die Ausstellung findet am 19. Oktober um 18 Uhr statt. Wir verlosen 25 Tickets unter www.thegap.at/gewinnen.
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Schauder! Wenn manche nur den Titel »Album für die Ju gend« hören, werden gleich die Kindheitstraumata Aufer stehung feiern, Bilder von weinenden Kindern der »Elite« vor den elterlichen Pianinos, Robert Schumann verflu chend. Kein Wunder, dass der ins Irrenhaus musste – hat er auch verdient, der Saubartel, der elendige. Auch Vienna Rest in Peace, die bewährten Chronist*innen für alles Makabre, Pessimisti sche und Abgründig-Jenseitige, die noch immer einen dicken Mantel des Schweigens über sich selbst hüllen, weil es darf ja auch einmal das Was und nicht nur das Wer zählen; aber beim genaueren Hinschauen erkennt man schon Bekannte, jedenfalls: Auch die sind dem Schumann ziemlich ver bunden, widmen ihm das zentrale, gar romantisch-bombastische Kernstück auf ihrem zweiten Album. Parallelen werden gezogen, gipfelnd in der wohl schönsten Zeile überhaupt: »Wir waren doppelt so traurig wie Kurt Cobain«, die vom Emotionalen her so ziemlich die Marschrichtung für das gesamte Album vorgibt. Es geht um die Scherben des Individuums in der Gegenwart und auch um das Aufkehren genau jener Splitter vom Selbst, von Versuchen, etwas zu werden, und vom krachenden Scheitern aller Vorhaben.
Musikalisch ist es – und das ist jetzt ein Bogen, den es für die Gruppe zu spannen gilt, Legolas, pass auf – so ziemlich eine Mischung, also von Robert Schumann und Kurt Cobain. Tendenz aber zum Älteren: Nachdem bereits das erste selbstbetitelte Album aus dem Jahr 2017 sich nicht zu schade für die ganz große musikalische Geste war, zelebriert die Grup pe nun orchestralen, aber dem Sujet entsprechend ziemlich düsteren Kammerpop, der immer wieder aus diesem klassischen Korsett ausbricht, schließlich finden auch immer wieder Americana und dessen twangy Gitarren, und sogar klassisches Wienerlied Einzug in das Klangbild, das genau deshalb in den schönsten Farben malt. Außerdem – auch sehr super – Preis-Leistungs-Verhältnis, jeden Schilling umdrehen und so: vom Qualitativen, aber auch vom Quantitativen her eins a mit Sternchen. Elf Songs, 74 Minuten, keiner kürzer als fünf, einer sogar neun. Das zahlt sich aus. Vielleicht sogar mehr als Klavier unterricht. Für die Seelenhygiene auf jeden Fall.
Normalerweise ist die Bescheidenheit bei uns ja eine Zier, Schulterklopfen wegen der schmächtigen Körper gleich lebensgefährlich, aber als wir vor acht Jahren als Erste über diese neue Band berichteten, die damals über die österreichische Musikszene kam wie ein Tornado aus Hits und Retrophilie und dem allen, konnten wir unser Fazit zu »Amore« nicht anders abschließen als: »Die werden ganz groß. Promise.« Und das sind sie dann ja auch geworden. Wanda ist zweifelsohne die größte lebende Band in Österreich, löste am Zenit Mitte der 10er-Jahre die große Entweder-oder-Diskussion aus, verkauft die größten Hallen im In- und Aus land aus. Die Alben haben ein Dauerabo auf die Chartspitze in Österreich und die Top 5 in Deutschland, Hits im Jahrestakt, frag nach bei »Columbo« oder »Ciao Baby«. Die Band ist größer als die Beatles und Jesus zusammen, im Schnitt hat jede*r Österreicher*in Wanda schon fünfmal live gesehen (keine echte Statistik, sondern Übertreibung). Wanda polarisieren – mit Aussagen, mit Songs, mit Gehabe sowieso. Aber nur das, was polarisiert, funktioniert auch.
Und auch das Jubiläumsalbum zu zehn Jahren Bandgeschichte, natür lich ein selbstbetiteltes, dürfte zumindest niemandem egal sein, auch hier ist das Polarisierende wieder spürbar. Weil: Licht und Schatten. Der düs terste Schatten liegt auf »Rocking in Wien«, einer peinlichen Mischung aus Falco und plattestem Stadionrock, der selbst dem Dinosaurier-Genre Rock, das sich viel zuschulden kommen hat lassen, nicht gerecht wird. Anderer seits: die Lichter, sie strahlen auch 2022 noch erkennbar. Wie etwa die be reits bekannten Stücke »Jurassic Park«, das im Stile von »Columbo« oder »0043« eher zum Schwelgen einlädt. Oder das psychedelischere »Wir sind verloren«, ein fatalistischer und gleichzeitig eskapistischer Interpretations spielraum von einem Song – Trennung oder Alkoholsucht. Also alles typisch Wanda, spätestens seit »Niente« hat man seinen Stil gefunden, unverwechselbar, aus schwer greifbaren Gründen, textlich wie seit jeher einfach, aber eben verständlich, da können und sollen alle mitsingen. So gesehen ist »Wanda« ein ziemlich gelungenes Jubilä umsalbum: ein Best of, nur eben mit neuen Stücken. (VÖ: 30. September) Dominik Oswald
Klaus Pichler, Tim Bruening, Kidizin SaneLaut und lost — Ink
Yasmo meldet sich mit der Klangkantine zurück und veröf fentlicht diesen Herbst ihr fünftes Album »Laut und lost«.
Aber war Yasmo eigentlich jemals weg? Nein, denn die preisgekrönte Autorin, Texterin, Musikerin und PoetrySlammerin ist in der Kulturwelt stets präsent gewesen.
Ob mit musikalischem Output oder bei literarischen Auf tritten, Yasmo ist fixer Bestandteil der heimischen Szene. Das neue Album »Laut und lost« beschäftigt sich mit Identitätswahrnehmungen und intros pektiver Reflexion. Kritik und Empowerment spielen dabei ebenso tragen de Rollen. Die Rapperin setzt dabei auf unterschiedliche Erzählebenen und ihren gewohnten eigenen Stil. Dieser kann als Fortsetzung der Verschmel zung künstlerischer Teilidentitäten verstanden werden. Die Darbietung ist für Yasmo & die Klangkantine charakteristisch und gilt bis zu einem gewissen Grad als Alleinstellungsmerkmal. Dichte Vocal-Parts sind dabei typisch für Yasmos melodischen Rap-Stil. Das Ganze wird zusätzlich mit den Live-Instrumenten der Klangkantine angereichert. Auch geht es bei Yasmo selten ohne Gesellschaftskritik. Neben deutlichen Positionierungen arbeitet man hier stets auch mit Wortwitz und einem Schmunzeln.
Die Produktion strotzt vor geballtem musikalischem Wissen, das hier zusammengekommen ist. Die einwandfreien Recordings der Instrumente und die Verfeinerung durch zeitgemäße Effekte, die trotz vieler Details in den Spuren und instrumentaler Dichte genug Platz für glasklare Vocals las sen, zeichnen »Laut und lost« aus. Textlich bewegt sich Yasmo zwischen kritischem Dekonstruieren und motivierendem Aufbauen. Das Album ist insgesamt zwölf Tracks stark, bei denen für die Gesamtkomposition neben Yasmo Ralph Mothwurf, Tobias Vedovelli, Mirac sowie Luca Pivetz verant wortlich waren. Vier Nummern wurden bereits vorab veröffentlicht. »Rich« im Vorjahr, heuer folgten »Alle«, »Cheese« sowie »100k«, einer der beiden Feature-Tracks des Albums, eine Kooperation mit Mira Lu Kovacs. Als Gesamtwerk ist »Laut und lost« ein Schmankerl, das innovativen musikalischen Genuss bietet. (VÖ: 7. Oktober) Ghassan Seif-Wiesner
Live: 23. November, Salzburg, Arge Kultur — 26. November, Purkersdorf, Die Bühne
Der adventskalender von glossybox setzt neue Maßstäbe: Mit Produkten von Marken wie Babor, Kiehl’s oder L’Occitane kommt er auf einen Gesamtwert von unglaublichen 640 Euro. Überdies enthält er heuer nicht 24, sondern 25 Beauty-Überraschungen – um nur 99 Euro! www.glossybox.at
jägermeister lässt das Nachtleben besonders hell erstrahlen: Die aktuelle sonder edition der 0,7-Liter-Flasche ist eine Hommage an die Neonschilder der Bar- und Clubszene. Die drei Designs sind für kurze Zeit im teilnehmenden Lebensmitteleinzelhandel erhältlich. www.jagermeister.at
Der kaffee von black insomnia beinhaltet viermal mehr Koffein als andere Kaffeesorten. Die traditionell geröstete Arabicaund Robusta-Mischung besticht aber auch geschmacklich: mit samtig-weichen Aromen von Karamell, Haselnuss, Macadamia und dunkler Schokolade. www.blackinsomnia.at
Gerade eben ist »Welcome to Kookoo Island«, das zweite Studioalbum von Cari Cari, erschienen. Unter den heimischen Indie-Acts hat sich das Duo mit seinem Vintage-Sound, aus dem der Wüstensand rieselt, während im Hintergrund die Abendsonne den Horizont in sattes Orange taucht, ein erfolgreiches Alleinstellungsmerkmal erarbeitet – Didgeridoo inklusive. 30. September Dornbirn, Conrad Sohm — 1. Oktober Kufstein, Kultur Quartier — 5. Oktober Linz, Posthof — 6. Oktober Graz, Orpheum — 11. Oktober Salzburg, Rockhouse
Mit dem Zyklus »Singer-Songwriter« setzt das Wiener Konzerthaus auf Musik, die den Song ins Zentrum rückt – und mit ihm emotionales Gewicht, einnehmende Erzählungen, berückende Melodien. Klingt kitschig, wie Pauls Jets beweisen muss es das aber nicht unbedingt sein. Mit deren aktuellem Album »Jazzfest« kann man jedenfalls »So richtig in Love« sein, denn es ist eine große Wundertüte, in der Pop, Rock ’n’ Roll, Folk, Krautrock und sogar Schlager stecken – okay, ein bissi Kitsch vielleicht eh auch. 2. Dezember Wien, Konzerthaus
Die Band rund um Frank Spilker hat ein neues Album am Start. »Hallo Euphoria« heißt es und – was soll man sagen? Wäre nur jedes Wiedersehen mit alten Bekannten so erfreulich wie dieses hier! In der Hamburger Schule waren sie ja schon immer die mit dem meisten Funk und Soul. Politisch bleibt es ebenfalls. Und live gibt’s dann natürlich auch die alten Hits. 14. Oktober Wien, WUK — 15. Oktober Linz, Posthof
Wenn er nicht gerade Bass spielt – beim Nino aus Wien oder bei Clara Luzia –, macht der Mann mit der Kapitänsmütze seine eigene Musik. Auf seinem aktuellen Album »Weltraumkatzen« bezieht er sich dabei auf den psychedelischen Pop von Beatles und Bowie. Pauts abgedrehter Humor darf natürlich auch nicht fehlen. 19. Oktober Graz, Orpheum Extra — 20. Oktober Linz, Schlot — 21. Oktober Villach, Kulturhofkeller
Live lässt Sänger Samuel T. Herring zum bittersüßen Synth-Pop seiner Band nicht nur gerne den Ausdruckstänzer raus, sondern er überstrapaziert dabei auch immer wieder seine Stimmbänder. Den Schmerz macht das jedenfalls für alle im Raum spürbar. In der Musik der Future Islands ist diese Intensität auf subtilere Weise eingebaut, wie das neue Album »As Long As You Are« wieder einmal belegt. 31. Oktober Wien, Arena
Mit ans Herz greifenden Songs, die schon auch druckvoll nach vorne gehen können, ist Ezra Furman zu einer Ikone der Un verstandenen und Unterdrückten geworden. Wie darin Identi tät, Religion, Politik, Liebe und Anxiety verarbeitet werden, ist nichts weniger als inspirierend. Auf Tour nun mit im Gepäck: das brandneue Album »All of Us Flames«. 8. November Wien, Arena — 9. November Graz, Dom im Berg
Das fünfte Album der Nerven trägt einfach (?) den Bandnamen als Titel, es sei außerdem ihr erklärt »schwarzes« Album, so heißt es. Zwei Dinge, die darauf hindeuten, dass diese inten siven neuen Songs, mit denen sie nun auf Tour gehen, für Kevin Kuhn, Julian Knoth und Max Rieger einen besonderen Stellen wert in der Bandgeschichte haben. 23. November Wien, Grelle Forelle — 24. November Salzburg, ARGE Kultur
1999 trugen Sigur Rós den Postrock in Zeitlupe in so manches Jugendzim mer. »Ágætis Byrjun« hieß das Album, mit dem sich die Isländer auf die in ternationale Musiklandkarte hievten. Mehr als 20 Jahre später strahlt es –und vieles von dem, was folgen sollte – immer noch hell und geradezu ma gisch.
8. Oktober Wien, Gasometer
Ihr wisst eh: »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.« Danger Dan, der sonst mit der Antilopen Gang ger ne gegen rechts rappt, sitzt solo lieber am Konzertflügel und gibt den Croo ner – oder eben den Zeitgeist-Chro nisten. Haltung und Ironie bringt er auch dabei auf einen Nenner. 22. und 23. Oktober Wien, Volkstheater
2002 galten die Libertines um Pete Doherty und Carl Carl Barât als die aufregendste neue Band der bri tischen Musikszene. Sie lösten einiges ein, zerbrachen aber bald am ausführ lich dokumentierten und eher unge sunden Lebensstil Dohertys. Nicht zum ersten Mal heißt es nun: Reunion! 7. November Wien, Gasometer
06.10. Wallis Bird 07.10. Versengold 08.10. Philipp Hochmair & die Öst. Salonisten
08.10. Christoph Fritz 10.10. Tanja Raich 15.10. Katja Gasser 15.10. Die Sterne 17.10. Kiefer Sutherland 18.10. Donavon Frankenreiter 19.10. Josh. 21.10. Miss Allie 22.10. Macy Gray & The California Jet Club
25.10. Nadja Maleh 26.10. Austrofred & Kurt Razelli 27.10. Dirk Stermann 28.10. Flüsterzweieck 03.11. Yugo / Salò 04.11. Oehl / AYMZ / Aze 05.11. Edwin Rosen / Bibiza / Joya Marleen 09.11. Hosea Ratschiller 10.11. 15 Jahre
Science Busters 11.11. Camo & Krooked 13.11. Don McLean 15.11. Roland Düringer 17.11. Christoph & Lollo 18.11. Lemo 19.11. Robert Menasse 23.11. Benedikt Mitmannsgruber 26.11. Sophie Rois 29.11. Nathan Gray & The Iron Roses
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POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Thalia Linz, oeticket und alle oberösterreichi schen Raiffeisenbanken.
Manuel Fronhofer, Jana Wachtmann Andreas Jakwerth, Marcus Wagner, Brigitta Jahn, Carina Antl, Justin Flythe, Buck Meek, Lucia Berlanga Bild: Derrick RodgersKuratorin Herbstkabarett, Steirischer Herbst
Du verantwortest gemeinsam mit Miriam Schmid vom Forum Stadtpark ein neues Format beim Steirischen Herbst, das »Herbstkabarett«. Wie viel Humor verträgt ein Kunstfestival?
Humor ist ein wichtiges Mittel der Subversi on, genauso wie die Kunst es sein kann. Die beiden passen sehr gut zusammen, und obwohl die Kunst den Ruf hat, eine ernste Branche zu sein, haben Künstler*innen seit jeher in ihren Werken Humor eingesetzt. Mit dem Format des »Herbstkabaretts« knüpfen wir an eine besondere Tradition an: In Ös terreich war das Kabarett in der Zwischenkriegszeit sehr populär, aber auch nach dem Krieg, als die Ge sellschaft von Arbeitslosigkeit und Mangel geprägt war. Seine Aufgabe besteht darin, sich dort zu äußern, wo andere nicht einmal zu flüstern wagen.
Die Künstler*innen, die dabei auf der Bühne stehen werden, würde man nicht unbedingt mit Kabarett assoziieren. Was erwartet das Publikum?
Es war uns wichtig, möglichst unterschiedliche, zeitgemäße ästhetische Zugänge zu präsentieren. Les Trucs etwa kommen aus der Musik und dem Mu siktheater. Sie orientieren sich an Blandine Ebingers und Friedrich Hollaendes »Fox macabre« und werden einen kleinen, gesteppten »Danse macabre« in ihr Programm einbauen. Verena Dengler präsentiert eine Show, in der sich historische und politische Details mit Reflexionen über die ökonomischen Bedingungen ihrer künstlerischen Existenz verbinden. Sie plant, aus gefälschten Stromrechnungen minimalistische Zen-Papierbäume zu basteln. Und eSeL wird die Me chanismen des Kunstbetriebs ironisch untersuchen.
Abseits des »Herbstkabaretts«: Worauf freust du dich am meisten beim heurigen Festival?
Auf die Ausstellung »Ein Krieg in der Ferne« in der Neuen Galerie Graz. Dort treffen Werke aus der Sammlung der Galerie auf neu beauftragte zeitge nössische Arbeiten. Es wird auch ein performatives Programm zur Ausstellung geben – zum Beispiel eine neue Arbeit von Giacomo Veronesi, die diejenigen in den Mittelpunkt stellt, die im Kriegsfall mobilisiert werden würden: wehrfähige junge Männer.
Steirischer Herbst bis 16. Oktober Graz, diverse Locations — Herbstkabarett 1., 8. und 15. Oktober Graz, Forum Stadtpark
Zum 60. Mal findet die Viennale heuer statt. Ins Leben gerufen von einer Gruppe von Journalist*innen rund um Sigmund Kennedy, die Film als Kunstform verstanden, hat das Festival diverse Krisen über standen, hat sich weiterentwickelt, ist gewachsen. Längst ist die Viennale international anerkannt, aber auch das heimische Publikum liebt sie. Zum Jubiläum gibt’s wieder – unter der Leitung von Eva Sangi orgi – ein dichtes Filmprogramm: Die gemeinsam mit dem Filmmuseum gestaltete Retrospektive (Foto) ist etwa Yoshida Kijū gewidmet. Außerdem gibt es Specials zu argentinischem Film noir, österreichi schem Dokumentarfilm in Krisenzeiten sowie zu Elaine May, der »Queen of Comedy«, und Med Hondo, dem Begründer des afrikanischen Kinos. Festival 20. Oktober bis 1. November Wien, diverse Kinos — Retrospektive 21. Oktober bis 23. November Wien, Filmmuseum
… Kurzfilme umfasst die offizielle Auswahl für den Hauptwettbewerb des Linz International Short Film Festivals, mehr als 50 davon Österreichpremieren. Man versuche Filme auszuwählen, die ihre Herkunft widerspiegeln, so die beiden Festivalleiter*innen Pa risa Ghasemi und Ashkan Nematian, die dabei aber auf eine Weise erzählen, die von Menschen auf der ganzen Welt verstanden und gefühlt werden könne.
4. bis 8. Oktober Linz, Kunstuniversität
Rund 150 Labels aus 13 Nationen sind bei der heurigen Ausgabe der Blickfang in Wien mit dabei. Die Messe verwandelt das Museum für angewandte Kunst wieder in einen riesigen Concept Store für aktuelles Design. Dabei legen die Veranstalter*innen – egal ob Möbel, Mode, Schmuck oder sonstige Produkte – auf außergewöhnliche Gestaltung und hohe Qualität Wert. Sowie auf Neu heiten: Etwa die Hälfte der Ausstellenden ist zum ersten Mal mit von der Partie. Besonders erfreulich ist, dass Nachhaltigkeit für immer mehr Designer*innen einen hohen Stellenwert hat. 21. bis 23. Oktober Wien, MAK
Mit dem Digitalen Foyer stellt das Open Mind Festival in Salzburg heuer eine neue, digitale Spielstätte vor. Deren Besuch ist von der ARGE Kultur oder von zu Hause aus möglich. Neben Aufgeschlossenheit, wie es der Name der Veranstaltung na helegt, ist dafür auch ein »Digital Body« nötig, das verrät das heurige Festivalthe ma. Gemeint ist ein Avatar, ein digitaler Körper als Repräsentation in der virtuellen Realität. Ob und wie es dort ohne physische Präsenz so etwas wie Körperlichkeit oder Berührung geben kann, wird in Installationen, Performances und diskursiven Begegnungen thematisiert. 16. bis 19. November Salzburg, ARGE Kultur
Krieg, Autokratie, tradierte Bilder von Männlichkeit und Herrschertum – das niederösterreichische Theaterfestival wirft einen Blick darauf, inwiefern Machtstrukturen unser Leben bestimmen und uns als Menschen formen. Mit Shakespeares »Coriola nus« und August Strindbergs »Totentanz« stehen dabei etwa zwei Arbeiten junger Regisseur*innen auf dem Programm, die von einem frischen Blick auf klassische Stoffe geprägt sind. bis 16. Oktober Wiener Neustadt, Kasematten
Das International Youth Media Festival wird von und für junge Menschen gestaltet. Aber auch erwachsene Filmbegeisterte, Familien, ganze Schulklassen, Musikfans und allgemein Medien interessierte schauen angesichts des dichten Pro gramms gern vorbei. Geboten werden Filmvorfüh rungen inklusive Wettbewerb, diverse Workshops und Talks sowie eine Nightline mit Konzerten und Partys. 11. bis 15. Oktober Wels, diverse Locations
Jeden ersten Donnerstag im Monat bietet der Wie ner Club The Loft heimische Künstler*innen bei freiem Eintritt. Geboten wird vor allem, aber nicht nur Musik, wie der Termin im November zeigt. Prä sentiert von der Eventreihe »Rapper lesen Rapper« werden bei »Lit.eRa(p)tur« Lyrik, Turntablism, HipHop, Rap-Performance, Kabarett und Comedy fu sioniert. Sie nennen es »Österreichs erste Hip-Hop Late Night Show«. 3. November Wien, The Loft
Nicht selbstgenügsam, nicht um der Kunst willen, sondern interessegeleitet sei sie, die angewandte Kunst. Noch schlimmer: vom Kommerz bestimmt, manipulativ! Aber wer behauptet ernsthaft, Verführung sei keine Kunst?
In »Faking the Real« wird die gegenseitige Durchdringung von Grafikdesign und den bildenden Künsten am Beispiel der Plakatkunst aufgezeigt: Aus der Collage und Medienkunst von früher sind heute dynamische Wer bungen und Face-Filter geworden. Betrachtet man technische Neuerungen und Verkaufsstrategien, wird deutlich, dass Abhängigkeitsverhältnisse keinesfalls negativ zu verstehen sind. Vielmehr zeigt die massenmediale Ästhetik eine symbiotische Beziehung auf. Die Werbung bedient sich heute auch vermehrt des Prädikats »nicht retuschiert« als Qualitätsversprechen. Davon kann hier keine Rede sein. bis 8. Jänner 2023 Graz, Kunsthaus
Ab wann ist man alt? In diesem Fall zumindest zählt man ab 50 zu den Geal terten. Und hat damit, als Künstler*in, ganz eigene berufliche Herausforde rungen vor sich. Den »Senior Artists« wird hier eine Bühne gegeben, auf dass die Jüngeren von ihnen lernen. Eine Abkürzung zu Antworten auf Fragen, auf die man sonst ein bisschen länger warten dürfte. Müsste. Ein oft missachtetes Thema. Mit der Dringlichkeit des Unausweichlichen. Und mit dem Charme der Weisheit. bis 27. Oktober Wien, IG Bildende Kunst
Diese Ausstellung bringt alles mit, was es für eine gute Schauergeschichte braucht. Erstens: Grusel wie Hoffmann’sche Automaten und Oscar Wildes alternde Leinwände. Zweitens: ein Quant Psychologie; das Zuhause und der Hausrat als Metapher für Körper und Geist. Drittens: Humor; sprechende, lei dende, jammernde Couches, Gardinen und Blechbüchsen voller Herzschmerz (Hi, Marvin!). Ist aber mehr als eine Schauergeschichte, nämlich Installation, Schauspiel und Publikation. bis 29. Oktober Wien, Kunstverein Gartenhaus
Ungeahnte Querverbindungen finden, Muster erkennen und Neues aus Altem schaffen – das ist doch Kreativität? In Riccardo Giacconis Arbeit sind Historie, Kunst und Wissenschaft zu neuen Strängen verwoben, die neue Erzählungen zulassen und als Erzählungen neue Realitäten bilden. Ein Beispiel: »Was ha ben das Verschwinden einer Kuh, die Besessenheit von einer Marionette, ein Paradoxon in der Quantenphysik und der Sturz eines Busses in einen Fluss miteinander zu tun?« bis 4. November Klagenfurt, Kunstraum Lakeside
Können Worte wehtun? Ganz bestimmt. Kann man Malerei fühlen? Erst recht. Veronika Suschnig zielt in ihren aktuellen Arbeiten immer wieder darauf ab, die Sensibilität für alles Haptische wach zu halten. Die Sinne müssen betört werden. Das wäre hedonistisch, würde es nicht immer auch andere Wahrnehmungsebe nen einfordern. So stellen sich die Arbeiten in einen Diskurs, der um Medien spezifität und Abgrenzung kreist – und diese als Maximen nachdrücklich ver wirft. Hier wird ganzheitlich gedacht. bis 11. November Wien, Galerie Reinthaler
Mark Fisher wurde 2009 durch sein ersten Buch »Capitalist Realism« bekannt. Es zeichnete ein tiefes Misstrauen gegen die vorgeschobene Alternativlosigkeit des Kapitalismus aus. Als er sich im Jänner 2015 das Leben nahm, erschien fast zeitgleich »The Weird and the Eerie«. Schon der Titel macht die Bandbreite seines Denkens deutlich. Aber es war sein von Leidenschaft zur Musik durchzogener Blog K-Punk, den der Guardian in einem Nachruf zur Pflichtlektüre für eine Ge neration erklärte. Seine Gedanken, Geister der Vergangenheit, spuken weiter, in Ausstellungen wie dieser. bis 5. Dezember Eisenstadt, Kunstverein Eisenstadt
Intuition, heißt es, sei die treffende Anwendung von Regeln, die man nicht kennt. Dagegen sind die Fotografien von Helmut Newton lesbar wie ein gutes Buch, die Regeln durchaus offengelegt. Sehr direkt erzählen seine Bilder Geschichten. Diese handeln von Schönheit und Gewalt, von Hüten und Mördern, von der Intimität eines Hotelzimmers und der Wildnis der Stadt. Inszenierung durch Gegensätze. Aber das Literarische wäre bloß didaktisch, forderte es keine Intuition. Die Fotos sind in erster Linie Bild, nicht Buch. Formenspiel und Bildgewichtung, Farbkontraste, Ikonografie, … Hier wird mit Licht gemalt. bis 15. Jänner 2023 Wien, Kunstforum
Mira, die Hauptfigur in »Breaking the Ice«, ist ei nerseits Sportlerin und andererseits am Hof der Eltern tätig. Beiden Welten liegt eine gewisse Körperlichkeit zugrunde. Inwiefern spielt dieser Aspekt für dich eine Rolle?
Wir begleiten Mira in einem wichtigen Moment der Veränderung in ihrem Leben. Wie viele meiner Hauptfiguren ist sie nicht gut darin zu sagen, was sie braucht. Deshalb war für mich klar, dass ich eine Ebe ne benötige, auf der sie sich nonverbal ausdrücken kann. Profisport deshalb, weil auch die Selbstdisziplin, die dafür nötig ist, zu Mira passt. Die andere körper liche Ebene ist die Arbeit am Hof. Auch hier funktio niert Mira wie ein Rädchen im Getriebe. Über vieles, was Routine ist, muss nicht gesprochen werden, was es auch schwer macht, es zu verändern. Körper zu beobachten, ist etwas spezifisch Filmisches für mich. Körperhaltungen, Gesten, Bewegung im Raum, das Verhältnis der Kamera zu den Figuren – all das kann den inneren Konflikt der Figuren, die Temperatur der Geschichte am besten erzählen.
Der Film spielt in der Eishockeyszene. Warum gerade diese Sportart?
Ich war auf der Suche nach einem Teamsport, weil ich für meine Erzählung die Dynamik einer Gruppe wollte, um zu zeigen, wie es Mira mit den Erwartungen der Gesellschaft geht. Eishockey ist ein schneller, harter Sport und ich fand es bei der Recherche beeindruckend, Frauen* mit so viel Kraft, Teamwork, Unnachgiebigkeit und gleichzeitig Ele ganz zu sehen. Außerdem ist Eishockey ein Sport, bei dem keine Haut gezeigt wird, die Frauen* können bei seiner Ausübung nur schwer sexualisiert werden. Ihr Sport steht im Mittelpunkt.
In deinen Filmen werden immer wieder Gender rollen hinterfragt. Wieso ist dir das ein Anliegen?
Ich hatte lange selbst das Gefühl, nirgends rein zupassen, habe mir schwergetan, mich mit meinem Gender wohlzufühlen, weil ich oft den Eindruck hat te, wie ich bin, passt nicht zu dem, was von mir erwar tet wird. Das hat bei mir zu Selbstzweifel geführt, zu Selbsthass. Es war ein langer Prozess zu verstehen, dass nicht ich das Problem bin, sondern die engen Schubladen, die unsere Gesellschaft vorgibt.
Regie: Peter Hengl »Ein österreichischer psychologischer Horrorfilm«, das verspricht das Plakat zu »Family Dinner«. Das übergewichtige Mädchen Simi (Nina Katlein) soll am Bauernhof ihrer Tante Claudia (Pia Hierzegger) ihre Osterferien ver bringen und dort – besagte Tante ist Ernährungscoach – Gewicht verlieren. Bald merkt sie, dass hier ungewöhnliche Gerichte aufgetischt werden und auch sonst beginnt Simi sich zu fragen, wem sie vertrauen kann. Hengls erster Kinofilm feierte seine Premiere beim diesjährigen Tribeca Film Festival und war auch schon bei einigen anderen Festivals zu sehen. Gedreht wurde an 25 Tagen in Wien und Niederösterreich, die beiden jugendlichen Rollen wurden mit den beiden Nachwuchsdarsteller*innen Nina Katlein und Alexander Sladek besetzt. »Horror berührt unsere tiefsten Urängste, Horror ist immer eine Grenzerfahrung«, so Hengl. Start: 27. Oktober
Regie: Ruth Beckermann Ruth Beckermann widmet sich mit ihrem neuen Projekt dem bekannten wie kontroversen Roman »Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt«. Sie rief zu einem Ca sting auf (»Männer zwischen 16 und 99 Jahren gesucht«) und ließ anschließend die Männer Textpassagen aus dem Roman vortragen. Der Roman wurde 1906 anonym veröffentlicht, war eine Zeit lang verboten und wurde zugleich gefeiert. Lange wurde Felix Salten als Autor vermutet – er selbst hat dies nie bestätigt oder dementiert. Das Lesen der Romanauszüge führt bei den Männern zu Erinnerungen und Vorstellungen, aber auch zu Ablehnung und Versuchen der Distanzierung. »Heute ist Sex in allen Medien. Zugleich ist Sex kein Thema. Wie kann das sein? Woher kommt die Art und Weise, wie die westliche Welt mit Sexualität umgeht?«, so Beckermann in einem Statement zum Film. Start: 4. November
Barbara Fohringer Johannes Hoss, Felix Vratny, Ruth Beckermann Filmproduktion, Sky, Ken Woroner / NetflixRegie: Gina Prince-Bythewood In »The Woman King« erzählt Gina Prince-Bythewood –basierend auf wahren Begebenheiten sowie auf einer Geschichte von Maria Bello und Dana Stevens – von einer rein weiblichen Kriegseinheit, die im 19. Jahrhundert das westafrikanische Königreich Dahomey beschützte. Viola Davis ist in der Hauptrolle zu sehen, Teil der Crew waren größtenteils Frauen und People of Color. Start: 14. Oktober
Regie: Blerta Basholli »Hive« handelt von der Witwerin Fahrije (Yllka Gashi), deren Mann im Kosovo-Krieg verschwunden ist, weshalb sie sich alleine um ihre Kinder und ihren Schwiegervater kümmern muss. Um über die Runden zu kommen, gründet sie eine landwirtschaftliche Genossenschaft – den patriarchalisch geprägten Strukturen in ihrem Dorf zum Trotz. Nach einer wahren Begebenheit. Start: 21. Oktober
Regie: David Wagner Bei den 79. Filmfestspielen von Venedig erhielt David Wagners Regiedebüt den Preis für den besten Spielfilm in der Settimana Internazionale della Critica. Wagner behandelt das Doppelleben von Vizeleutnant Charles Eismayer (Gerhard Liebmann), der sich im Beruf als dominanter Macho inszeniert und seine Homosexualität nicht offen lebt. Doch dann verliebt er sich in einen Soldaten. Start: 28. Oktober
Regie: David Cronenberg David Cronenbergs neuer Film bringt Stars wie Viggo Mortensen, Léa Seydoux und Kristen Stewart gemeinsam auf die Leinwand. Inhaltlich trifft Science-Fiction auf Drama und Body-Horror: In der Zukunft durchlaufen alle Menschen das »beschleunigte Evolutionssyndrom«, das bei ihnen unterschiedliche körperliche wie mentale Veränderungen zur Folge hat. Nicht alle kommen damit gut zurecht. Start: 10. November
Regie: Claudia Müller Claudia Müller porträtierte bereits Jenny Holzer, Shirin Neshat, Valie Export und Helmut Lang. Nun widmet sie sich der ersten Österreicherin, die den Nobel preis für Literatur erhielt. Mit Archivmaterial und neuen Aufnahmen gelingt es ihr, ein Bild von Elfriede Jelinek zu zeichen, das lustvoll wie souverän ist. Leseproben aus dem Off geben Einblick in die Sprachwelt der Autorin. Start: 10. November
Idee: Michael Winterbottom Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson steht im Fokus dieser sechsteiligen Miniserie. Die Hauptrolle übernahm Kenneth Branagh. In »This England« begeben wir uns zurück in den Juli 2019, als Johnson wäh rend der Brexit-Verhandlungen die Nachfolge Theresa Mays antritt. Der neue Premierminister verspricht seinem Volk Wohlstand und neue Chancen, doch kurz darauf stellt die Corona pandemie die Welt und Boris Johnson vor Herausforderungen. Start: 6. Oktober Sky
Idee: Guillermo del Toro Gruselig wird es bei dieser Anthologieserie von Guillermo del Toro: Basierend auf acht Kurzgeschichten wird mit dem Genre Horror gebrochen bzw. dessen Spektrum aufgezeigt. Der Regisseur und Oscar-Preisträger, bekannt für Werke wie »Pan’s Labyrinth« und »The Shape of Water«, hat das Regie- wie Drehbuchteam ausgewählt und zwei Kurzgeschichten selbst beigesteu ert. Teil des Casts sind etwa Rupert Grint und Essie Davis. Halloween kann kommen!
Start: 25. Oktober Netflix
Es ist unendlich anstrengend und herausfor dernd. Und doch absolut unerlässlich. Die Rede ist vom Aushalten und Aufdröseln der zahlreichen Uneindeutigkeiten, die uns das moderne Leben tagtäglich aufs Neue auftischt. Im privaten Kontext, im gesellschaftlichen oh nehin. Und weil der alte Affe Ambiguität echt keinen Tanz auslässt, hat man natürlich auch in der Kunst allzeit mit unangenehmen Brüchen und Widersprüchen zu rechnen. Etwa, wenn auf Lieblingswerken aus offenbar heiterem Himmel von den Kunstschaffenden selbst verursachte, hässliche Flecken auftauchen, die den Blick auf das bisher so Bewunderte irreversibel verändern. Glücklich, freilich auch ein wenig nach- bis fahrlässig in der Betrachtung, wer da a) ungerührt einfach wieder zur Tagesordnung übergehen kann oder b) sofort und schonungs los sämtliche Brücken abfackelt – nicht nur jene zu den Fleck-Verantwortlichen, sondern gleich jene zu deren gesamtem Schaffen. Zu meist bleiben die Gefühle gleichwohl: gemischt. Und stetes Ringen und Hadern mit den mit ihr fortan verknüpften Ambivalenzen ist letztlich das, was von der einstmals ungebrochen ge schätzten Kunst bleibt.
Doch auch dort, wo die Ausmaße der Er eignisse nicht die größte Folgenschwere auf weisen, auf den Nebenschauplätzen, wo das vergleichsweise Unbedeutende bis Harmlose zur Aufführung gelangt, vermag sich biswei len ein zumindest ärgerlicher Schleier über Dinge zu legen, die in ihrer Essenz doch ei gentlich nur wundertoll (sic!) sein sollten. Was war es im ersten Corona-Spätsommer beispielsweise für eine bemerkenswerte Freude, endlich wieder mit anderen Men schen in Kinosälen sitzen, kollektiv Feste der Leinwandkunst feiern zu dürfen. Mit all den Gefühlen der filmverursachten Euphorie, die eben dann am üppigsten sprießen, wenn die Dynamik des Zwischenmenschlichen das Ge sehene auf eine Erlebnisstufe heben darf, die dem monatelangen, solitären Starren auf den Schirm fremd war, fremd sein musste. Ewig unvergessen diesbezüglich die zu jener Zeit
ausgerichtete Edition der Filmfestspiele von Venedig, während derer große Erleichterung für alle bemerkbar in der Luft hing. Ausge lassener, ausufernder als früher fielen dort un d da nn die Ovationen aus, unverkennbar: Versicherungen der Wichtigkeit der Situation und ihrer Wirkmacht.
Fast forward zur aktuellen Spielzeit am Lido. Wiewohl dort erneut fleißig und freudig ge klatscht wurde nach und auch schon mitten in den Abspännen, schien diese Geste in ihrer Wahrnehmung und Deutung in der Zwischenzeit augen- und ohrenscheinlich einem kühl kalku lierten Reframing zum Opfer gefallen zu sein. So durfte nunmehr keine Premiere mehr zu Ende gehen, ohne dass man nicht gleich direkt im Anschluss in sämtlichen Branchenmedien auf die Sekunde genau über die Dauer der Beifalls stürme informiert wurde – ganz so, als ob sich Gedeih oder Verderb eines Filmes am Ausschlag des Applausometers bemessen ließe: Brendan Frasers Comeback-Tour-de-Force »The Whale«: Wow, ganze sechs Minuten Ovationen! Timo thée Chalamets Kannibalismusromanze »Bones and All«: gleich zehn! Reichte indes auch nicht für den Sieg im Trommelfeuer der Pseudoneu igkeiten, denn: »The Banshees of Inisherin«, die Reunion des Trios Colin Farrell, Brendan Gleeson und Martin McDonagh wurde fast eine Viertel stunde lang beklatscht. Hui! Dass es für den Streifen selbst später auch noch für tatsächli che Auszeichnungen reichte, ging beinahe ein wenig unter in dieser krachend lauten Unterwer fung unter die Social-Media-Logik des größten anzustrebenden viralen Moments, unter diese Rotten-Tomatoes-isierung selbst der KinokunstKönigsklasse in Form eines weiteren geistlosen Zahlenvergleichs fürs PR-Toolset. Ja, auch bei mutmaßlich unschuldigen Angelegenheiten wie Applaus heißt es längst, mit begleitenden Schat tenseiten auskommen zu lernen. Schon schade.
Womit wir nun – endlich! – beim aktuellen Anlassfall für diese Kolumne angekommen wären, für den auch noch ein paar Zeilen blei
ben sollten. Auch hier hatte es mehrminütige Ovationen bei einem der Prestige-Filmfestivals – Cannes paschte acht Minuten für »Triangle of Sadness« (Kinostart: 14. Oktober) in die Hände, überreichte überdies später bereitwillig die Goldene Palme. Was für den schwedischen Re gisseur Ruben Östlund freilich keine neue Erfah rung war: Ihm war diese Ehre bereits fünf Jahre zuvor mit dem Vorgängerfilm »The Square« zu teilgeworden, nachdem 2014 sein »Höhere Ge walt« ebenfalls bereits wohlwollend an der Croi sette rezipiert worden war. Doch just an dieser Stelle schleicht leider erneut der alte Affe Am biguität durchs Bild. Waren die beiden letztge nannten Werke noch astreine Satiregroßtaten, die die makellosen Fassaden der Schönen und Superreichen mit raffiniertem, rabenschwarzem Schmäh Schicht für Schicht abzutragen wuss ten, übermittelt Östlunds jüngste Arbeit, in der einer ultraprivilegierten, in Seenot geratenen Luxuskreuzfahrtgesellschaft die Scheiße bald buchstäblich bis zum Halse steht, Systemkri tik nunmehr mit der Subtilität einer straight in die Beletage donnernden Abrissbirne. Und da mit ist man leider schon wieder mittendrin im erwähnten Dilemma: Eine an sich sehr erstre benswerte Sache – hier: eine von einem schlau en Kopf erdachte, saftige SpätkapitalismusFarce – erweist sich im Realitycheck leider bloß als gebrauchtes Geschenk: als oberflächliches, brachialhumoriges Bruhaha, das mit allem an gebrachten Furor eben leider nicht nur die ins Visier genommenen Ziele ins Lächerliche zieht, sondern solcherart auch die beabsichtigte Bot schaft ein Stück weit untergräbt. Unterm Strich steht: eine weitere Zwiegespaltenheit, die sich zu den bereits bekannten gesellt und mit der es fürderhin ebenfalls umzugehen heißt. Es ist, es bleibt: anstrengend und herausfordernd. Und doch unerlässlich.
prenner@thegap.at • @prennero
Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Filmund Seriengeschehen.
bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber Luca Senoner, Fredrik Wenzel / Alamode Film Kreuzfahrtgesellschaft in Seenot: »Triangle of Sadness«»Eine Reflexion über zwei der prägendsten menschlichen Ereignisse – Geburt und Revolution«. Unter dieser Prämisse arbeitet Künstlerin Rima Najdi in »I Grew an Alien Inside of Me« mit digitalisierten Loops, Rhythmus, Wiederholung. Choreografie. Eine Einladung, mit einer Geburt zu interagieren und Teil eines Protests zu werden. Aufgeführt wird die Performancearbeit im Rahmen des Tashweesh Festivals, einer intersektional-feministischen Plattform für interdis ziplinäre Kunst, welche zuvor schon Halte in Tunis und Brüssel eingelegt hat.
Im Anschluss an die österreichische Erstaufführung am 7. Oktober findet in den TQW Studios ein Talk mit den Kuratorinnen des Festivals, der libanesischen Künstlerin Tania El Khoury und der tunesischen feministischen Aktivistin Bochra Triki, statt. 7. und 8 Oktober Wien, Tanzquartier
Wie lässt sich ein nachhaltiges und gerechtes Leben in der Stadt vorstellen? Wie wollen wir miteinander leben? »Theaternyx*: Über.morgen Wien« ist ein Audiowalk »in die Zukunft«. Mit einer Frauenstimme im Ohr wird das Publikum durch ein Wien im Jahre 2050 geleitet – während es mit Möglichkeitsräu men der urbanen Stadt konfrontiert wird und ihm »Zeitzeug*innen der Zukunft«, die über die Kopfhörer eingespielt werden, Einblicke in die Entwicklungen der letzten (oder eben nächsten) 30 Jahre geben. 1. und 2. Oktober Wien, WUK
Lose orientiert sich »Herr im Garten« am Leben des österreichischen Pistolenherstellers Gaston Glock und es dreht sich doch letztlich um den Prototyp eines jedweden Großunternehmers, der sich auf ethisch und moralisch heiklem Terrain bewegt. Wie schaut das Selbstverständnis eines bedeutenden Akteurs der internationalen Waffenindustrie aus? Basierend auf dem gleichnamigen Hörspiel von Verena Dürr entwickelt Stefan Schweigert diese Umsetzung für den Theaterraum. 11. bis 30. Oktober Klagenfurt, Klagenfurter Ensemble
»Nobody on this planet is going to be untouched by the impacts of climate change.« Ausgehend von diesem Zitat von Rajendra Kumar Pauchari, dem ehemaligen Vorsitzenden des Weltklimarates, entwickeln Natalie Pichler und Peter Androsch ein »radikales, installatives Sinnestheater«. Es geht nicht um ein »Erzählen über«, sondern um ein sinnliches »Konfrontieren mit«, bei dem die Körper des Publikums Teil der Spielfläche werden. »Hier kann das Klima gehört, gesehen, gerochen, gefühlt und geschmeckt werden.« 13. Oktober bis 26. November Linz, Phönix Studio
Über die Abfolge von angebotenen Szenen entscheidet bei »Running Sushi« das Publikum. Es stellt sich so ein eigenes »Menü« zusammen. Inspiriert von japanischen Animes werden dabei Bildsequenzen eines Ehelebens präsentiert, deren Akteur*innen die Flucht in den Bildschirm planen. Die sequenzielle Per formance wurde bereits 2006 von der international arbeitenden Performance gruppe Liquid Loft konzipiert und wird nun als Teil von »Living Positions – Performing Arts Repertoire« wiederaufgeführt. Die Reihe widmet sich dem Repertoire von Wiener Kompanien aus den Bereichen Tanz, Performance und Musiktheater und holt Stücke zurück auf die Bühne, die oft nur für kurze Zeit in Wien zu sehen waren. 2. bis 5. November Wien, Odeon Theater
Ein Berg ist das Zentrum der Aufmerksamkeit von »Alles was glänzt«. Eine Schicksalsgemeinschaft von Bewohner*innen, die in dessen Schatten leben, vermutet, es tue sich etwas im Inneren des Berges – tief in den Stollen des Bergwerks. Einst zukunfts weisend, wird dieser Berg zunehmend suspekt und steht so für Veränderung, Wandel und die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Nach dem Debütroman von Marie Gamillscheg inszeniert das Wiener Künst lerinnenkollektiv Makemake Produktionen unter der Regie von Sara Ostertag Landschaften des Zerfalls zu Musik von Clara Luzia. 14. bis 22. Oktober Wien, Kosmos Theater
Oliver Maus Dorothea Tuch, Chris HaringNach der Arbeit saß ich mit einer Freundin im Garten vom Café Kriemhild beim ersten Bier. Ich erzählte gerade von meinen Eltern, die ich kürzlich besucht hatte und bei denen der Gro schen mit dem Klimawandel erst vor Kurzem so richtig gefallen war. Bei einem Frühstück hatten sie beide ziemlich schlecht gelaunt für Nachkriegskinder ihre üppigen Butterbrote ge schmiert. Auf meine Frage, was los sei, war die Antwort wie aus einem Mund gekommen: »Alles wird schlechter.« Das hatte mich ziemlich be eindruckt. Nie hätte ich geglaubt, dass ein paar Nachrichten über Waldbrände in Südfrankreich meine Boomer-Eltern in extreme Gefühlszu stände versetzen könnten, weil sie eigentlich immer die Felsen in meiner Brandung waren. Vielleicht trifft dich der Weltuntergang auch anders, wenn du im Teletext davon liest. Die Freundin meinte nur: »Kenn ich. Die letzten 15 Jahre ist alles wurscht, aber jetzt Energiespar lampen hamstern. Sie lernen es nie.« Ich fühlte mich verstanden. Wir prosteten uns noch ein mal zu, aber irgendwas war anders. Allerdings konnte ich nicht genau sagen, was.
Freundschaften sind ständige Wiederbegeg nungen. Du kannst dir 80 Nächte miteinander um die Ohren geschlagen und die andere Per son auf ein paar stimmige Ideen eingekocht ha ben, aber reinschauen kannst du in niemanden. Dass ich mich mit besagter Freundin wieder so gut verstehen würde, hätte ich lange nicht geglaubt. Wir hatten vor einigen Jahren einen bewussten Friendship Break-up vollzogen und wie bei einer Scheidung alles aufgeteilt. Das Café Weidinger gehörte ihr, der Sechste mir, gelbe Parisienne ihr, genervt Ausatmen, als hätte man gerade den 13A verpasst, mir. Ein zufälliges Treffen an einem Sommerabend hat te ausgereicht, uns einander wieder bekannt zu machen und ein paar Grenzen neu zu zie
hen. Seither testen wir sorgfältig aus, was bei der anderen gut reingeht und was nicht. So ist das okay. Die nette deutsche Bedienung erzählte jedem Tisch, dass man nun wegen den Nachbar*innen reinmüsse. Auf einmal fiel mir auf, was anders war. Mein Rucksack mit Notebook und allem war plötzlich nicht mehr da. Eine Frau in weißen Lackschuhen habe ihn mitgenommen. Meine Freundin ließ sich sofort eine komplette Personenbeschreibung geben und packte ihre Sachen: »Geht scho’, Josef, die find’ ma«.
Es gibt kein Patentrezept für freundschaftliche Beziehungen, weil jede anders funktioniert. Ein Freund von mir singt jedes Mal, wenn die S-Bahn auf dem Weg nach Schwechat an der Raffinerie vorbeifährt, in James-Brown-Stimme, »it’s a Mannswörth«. Ich schicke einer Freundin jedes Mal ein Foto, wenn mir Hank Ge irgend wo begegnet. So was wird dann irgendwann zu einem Ding. Dafür nimmst du dann auch gefühl te Stunden in einem griechischen Minimarkt in Kauf, wo plötzlich alle zu Weinkenner*innen mutieren. Wenn du allerdings zu lange auf einem Ding herumreitest und Gewohnheiten zu gefühlten Pflichten werden, kann es vor kommen, dass dir abhandenkommt, was Freund*innenschaft eigentlich auszeichnet: die Freiwilligkeit, sich immer wieder für sie zu entscheiden.
Spätkapitalistische Bedingungen engen bekanntlich Zeiträume zum Abhängen ein. Sie lassen sich aber auch trefflich vorschieben, um schmerzhaften Gefühlen auszuweichen. Da kann es dir schon einen Stich versetzen, wenn mal aus einem Gespräch mit einer Freun din keine Begegnung wurde und dir darauf der Insta-Algo mitten in der Nacht reinspült, dass ebenjene Freundin einen Post liked, der lautet: »Signs you have outgrown a friendship.« In
teressanterweise passiert so was auch immer um 23 Uhr, wenn Gastgärten gerade schließen, und nicht etwa um 14 Uhr, wenn man sich noch locker einen Iced Latte im shabby-chicen Am biente reinstellen könnte.
Unsere Ermittlungen im Nibelungenviertel wa ren ergiebig. Bald begegnete uns die Frau in den weißen Lackschuhen, die drei Rucksäcke trug und mit verschmierter Wimperntusche mit ein paar Polizisten sprach. Sie war ziemlich durch den Wind und gab mir den Rucksack zurück. Erst später fiel mir auf, dass sie ein T-Shirt von mir anhatte. Sogar die Polizisten verhielten sich okay. Nach diesem kleinen Abenteuer machten wir uns auf den Heimweg. Bzw. ging ich noch einen kleinen Umweg mit der Freundin.
Als wir uns vor Jahren kennenlernten, hat ten wir ein Fundament gelegt und beschlossen: »Wir zwei gegen den Rest der Welt«. Aber in den wenigsten freundschaftlichen Beziehungen kannst du dich ewig auf einen Pakt berufen. Ich glaube, das gibt es nur in Filmen. Du kannst einfach nicht jahrelang das Gleiche machen und die Lücke zwischen den Vorstellungen, die du projizierst, und dem, was diese Person gerade beschäftigt, einfach klaffen lassen. Meine Eltern werden in einer Akribie, die nur Pensionist*innen kennen, Papiersackerl wie derverwenden und irgendwann vielleicht sogar vorschlagen, Strecken über 500 Meter nicht mit dem Auto zurückzulegen. Es liegt dann auch an mir, das zuzulassen und die Strecke mit ihnen zu gehen und dabei an jedem einzelnen Baum stehen zu bleiben. Aber manchmal geht man eben ein paar Umwege.
joechl@thegap.at • @knosef4lyfe
Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Pro gramm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Aktuelle Termine findest du auf www.knosef.at.
Y. RichterDIE SCHÖNHEIT DES AUGENBLICKS. Gesehen von Gabi M.
Jean Michel Basquiat, Self Portrait (Detail), 1983, Collection Thaddaeus Ropac, London Paris Salzburg Seoul, Foto: Ulrich Ghezzi © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York