The Gap 201

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10 Jahre »Maschin«

Wie ein gelber Lamborghini zum Symbol für neuen österreichischen Pop wurde

AUSGABE OKTOBER / NOVEMBER 2023 VERLAG SPOSTAMT 8000 GRAZ, P.B.B. | MZ 18Z041505 M N ° 201 € 0,—

HELNWEIN

25. 10. 2023 BIS 11. 2. 2024
©
/ Bildrecht Wien,
Gottfried
Helnwein, Pink Mouse 2 (Detail), 2016, ALBERTINA, Wien
Gottfried Helnwein
2023

Ja, ich gönne mir die Bühne

Im Prinzip hab ich ja mal Theaterwissenschaften studiert. Also im üblichen Wiener Theater-, Film- und Medienwissenschaft-Trippelpack. Zum T von TFM hab ich dann aber irgendwann nach dem Studium ein bisschen den Anschluss verloren. Ich könnte es mir jetzt leicht machen und das – wie so vieles – einfach auf die Pandemie schieben. Und sicher, geholfen hat die theatrale Zwangspause nicht und meinem Performance-Durst wohl endgültig den Hahn abgedreht. Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich die Schuld woanders, muss ich sie nicht zuletzt bei mir selbst suchen. Denn die ungeschminkte Wahrheit ist: Theater ist anstrengend.

(Dramatische Pause für die empörten Zwischenrufe.)

Immer mit der Ruhe! Tief durchschnaufen, ich erklär das gleich: Gutes Theater ist deswegen anstrengend, weil es dich herausfordert. Bei einer Aufführung bist du direkt mit den Leuten im selben Raum, während die das Ding vor deinen Augen erst herstellen und du noch zuschaust. Du schaust zu und sie schauen zurück. Du reagierst und sie reagieren auf die Reaktion. Eine Feedbackschleife zwischen Publikum und Darsteller*innen, die ja den Kern einer Performance ausmacht.

Aber genau diese Feedbackschleife heißt eben auch, dass – sofern sie gut funktioniert – da ständig Strom zwischen Bühne und Zuschauer*innenraum fließt. Da gibt’s kein Verstecken, kein Sich-passiv-Zurücklehnen, kein Sich-berieseln-Lassen. Theater kann dich involvieren, dich direkt ansprechen und dir so Erfahrungen bieten wie kaum eine andere Kunstform. Aber gleichermaßen verlangt es eben auch Einsatz von dir, erfordert Energie und schlussendlich also Anstrengung.

Da haben wir den Salat! Denn hier eine weitere Wahrheit: Ich bin ein fauler Hund. Auch wenn ich weiß, dass es mir schlussendlich etwas bringt, dass es mein Leben bereichert, dass es mir schlichtweg Spaß macht: Die Überwindung, mich im Wissen der zuerst notwendigen Anstrengung aufzuraffen, ist schlussendlich meist zu viel. Im Studium war das leichter, da gab es äußeren Druck. Nicht zuletzt meine Kommiliton*innen (sagt das heute überhaupt noch wer?), die in puncto Theater eine oft unbändige Leidenschaft und Energie an den Tag legten, von der ich dann schlicht mitgerissen wurde. Und in der Gruppe ist auch der Effekt ein ganz anderer –wenn du gemeinsam Teil der Feedbackschleife wirst, wenn du dich danach zusammen über das Gesehene austauschen kannst; wenn die Erfahrung am Ende nicht doch wieder eine individuelle, sondern eine gemeinschaftliche ist. Das relativiert dann auch gleich die Anstrengung.

Also, langer Rede kurzer Sinn: Hat irgendwer Lust, mit mir ins Theater zu gehen?

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Bernhard Frena

Chefredakteur • frena@thegap.at

Herausgeber

Manuel Fronhofer, Thomas Heher

Chefredaktion

Bernhard Frena

Leitender Redakteur

Manfred Gram

Gestaltung

Markus Raffetseder

Autor*innen dieser Ausgabe

Victor Cos Ortega, Astrid Exner, Barbara Fohringer, Oliver Maus, Martin Mühl, Tobias Natter, Dominik Oswald, Felix Schmidtner, Mira Schneidereit, Werner Schröttner, Jana Wachtmann, Thomas Weber, Sarah Wetzlmayr

Kolumnist*innen

Josef Jöchl, Christoph Prenner

Coverfoto

Nikolaus Ostermann

Lektorat

Jana Wachtmann

Anzeigenverkauf

Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl

Distribution

Wolfgang Grob

Druck

Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung

Thomas Heher

Produktion & Medieninhaberin

Comrades GmbH, Hermanngasse 18/3, 1070 Wien

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6 Ausgaben; € 19,97 abo.thegap.at

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Erscheinungsweise

6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 8000 Graz

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Die Redaktion von The Gap ist dem Ehrenkodex des Österreichischen Presserates verpflichtet.

Editorial
Alexander Galler

Magazin

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Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind

10 Jahre »Maschin«, eine Oral History

020 Als Wien lebendig wurde Die Punkszene der Hauptstadt in Buchform

024 Das rockige Haus im Felsen 30 Jahre Rockhouse Salzburg

026 Tiktok und Mental Health

Wie Social Media unsere mentale Gesundheit beeinflussen

030 Intendant*in, wechsel dich Alles neu an den Bühnen Österreichs?

036 Welches Theater passt zu mir? Der große BühnenPersönlichkeitstest von The Gap

004
Rockhouse, Jan Capeet, Coop 99 Filmpro duktion, Anna Weszelits, Nikolaus Ostermann, Huizi Yao
024

060

Werner Schröttner

Werner kann getrost als The-GapUrgestein bezeichnet werden, ist er doch schon 1998 zu uns gestoßen. Sein Faible gilt den härteren musikalischen Genres, was wohl nicht zuletzt seinem Background in der Punkszene zuzuschreiben ist. Dort war er unter anderem mit seiner Band Programm C unterwegs, deren Genre Powerviolence ziemlich exakt hält, was der Name verspricht. Doch nur musikalisch, denn im zivilen Leben tut Werner keiner Fliege was zuleide und kümmert sich lieber um seine griechische Straßenkatze.

Nikolaus Ostermann

Mittlerweile tanzt Niko – nach eigenen Angaben – auf weniger Hochzeiten als früher. Umso schöner, dass er für uns immer noch (fotografisch) tätig ist. Diesmal hat er seinen Fundus durchwühlt und Bilder von einem gewissen gelben Lamborghini ausgegraben. Privat sieht er Autos eher ambivalent, wobei er den Lamborghini geschenkt vermutlich schon nehmen würde. Damit käme er auch recht schnell zu den diversen Drehorten in ganz Europa, an die es ihn in seinem Zweitjob als Fernsehproduzent regelmäßig verschlägt.

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Comics aus Österreich

Janne Marie Dauer

Auf unserer Seite 6 zeigen Comickünstler*innen aus Österreich, was sie können. Als »großer Bilderbuch-Fan« hat es sich Janne Marie Dauer für diese Ausgabe nicht nehmen lassen, das Coverthema zu verarbeiten. ———— Sie arbeite recht schnell, sagt Dauer, als wir mit ihr den Comic für diese Ausgabe vereinbaren. Das stimmt, und vielleicht ist es gerade diese Schnelligkeit, die ihre Arbeiten so dynamisch und lebendig wirken lässt. Für die nächste Seite legt sie – quasi analog zu einem Musikvideo – einen Musikcomic vor, inklusive gelbem Auto. Dauers Arbeit lebt von den verschwimmenden Farbflächen, die sie gerne mit Airbrush aufträgt. Im Original gleich auf A2. Die Verschwommenheit verleiht ihren Bildern etwas Entrücktes. Wenn sich dann das gelbe Auto zum Text von »Maschin« durch die träumerischen Landschaften schlängelt, wird daraus der archetypische Roadtrip schlechthin.

Von Janne Marie Dauer erscheint am 10. Oktober die gleichnamige Graphic -Novel-Adaption des Romans »Auerhaus« von Bov Bjerg beim Berliner Verlag Blumenbar. Zudem ist sie Mitherausgeb erin der Comic-Anthologie »Spross Magazin«.

Kolumnen

003 Editorial / Impressum 006 Comics aus Österreich 007 Charts 018 Golden Frame 038 Workstation 042 Lyrik: Maë Schwinghammer 044 Gewinnen 045 Rezensionen 054 Termine 062 Screen Lights: Christoph Prenner 066 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl
Rubriken 020
Special
Bühne Von österreichischen Theatern und Performance-Spaces
Die Rubrik »Comics aus Österreich« entsteht in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Comics. www.oegec.com
006

Charts Barbi Marković

TOP 10

Pudelsorten für eine »Faust«-Oper

01 Labradoodle

02 Apricot-Pudel

03 Geisterpudel

04 Huskydoodle

05 Poochie

06 Elvis-Pudel

07 Maltipoo

08 Schnoodle

09 Doxiepoo

10 Riesenpudel

TOP 03

Hundesongs

01 Slim Gaillard »Serenade to a Poodle«

02 Patti Page »(How Much Is) That Doggie in the Window?«

03 Bukka White »Sic ’em Dogs On«

Auch nicht schlecht: Pudelzombie im Film »The Boneyard«, Pudelfitnessvideo mit Mariko Takahashi

Barbi Marković ist Autorin. Sie wurde in Belgrad geboren und lebt in Wien. Ihr neuer Roman »Minihorror« erscheint am 9. Oktober. Außerdem arbeitet sie gerade an einer »Faust«-Oper namens »Seven Deadly Poodles«.

Charts Renate Mowlam

TOP 10

Comics

01 Catherine Meurisse »Die Leichtigkeit«

02 Alan Moore und David Lloyd »V wie Vendetta«

03 Alison Bechdel »Wer ist hier die Mutter?«

04 Liv Strömquist »Der Ursprung der Welt«

05 Albert Mitringer »Requiem«

06 Julia Bernhard »Wie gut, dass wir darüber geredet haben«

07 Bastien Vivès »Der Geschmack von Chlor«

08 Max Baitinger »Röhner«

09 Camille Jourdy »Rosalie Blum«

10 Émilie Gleason »Trubel mit Ted«

TOP 03

Katzen

01 Mein Kater

02 Meine Katze

03 Meine verstorbene Katze

Auch nicht schlecht

Radio Ö1, Radio Superfly und Radio Ö1

Renate Mowlam ist Comiczeichnerin für Sach- und Wissenschaftsthemen. Ihre Comics veröffentlicht sie u. a. auf ihrer Website www.renatentwurf.at.

KLEINE CREMA GANZ GROSS

Krä iger Geschmack und perfekte Crema mit unserem Caffè Crema Bio, herangewachsen in den besten Anbaugebieten, gehandelt nach Fairtrade-Regeln.

JHORNIG COM
Apollonia Theresa Bitzan, Mario Lang
008

Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind 10 Jahre »Maschin«, eine Oral History

Am 17. Oktober 2013 wurde das ikonischste aller zeitgenössischen österreichischen Musikvideos auf Youtube hochgeladen. 15 Millionen Views, 32 Millionen Spotify-Plays von »Maschin« und zehn Jahre später blicken an dieser Stelle zehn Wegbegleiter*innen von Bilderbuch auf einen generationsprägenden Moment zurück.

Zebo Adam, Produzent und Musiker aus Wien, hat die ersten zehn Bandjahre mit Bilderbuch zusammengearbeitet und die Alben »Nelken & Schillinge«, »Die Pest im Piemont«, »Schick Schock« und »Magic Life« produziert.

Das Who’s Who des Bilderbuch-Universums

Andreas Födinger: Weil ich nicht mehr aktiv Teil der Band war, hab ich die Veröffentlichung und den Erfolg von »Maschin« aus der Ferne beobachtet. Einerseits mit wahnsinnig viel Stolz als Gründungsmitglied und Co -Writer des Songs. Andererseits auch mit etwas Irritation: Wir wussten immer, dass die Band geil ist.

Nikolaus Ostermann: Den Erfolg hab ich in den Jahren 2014, 2015, 2016, als ich mit ihnen so viel auf Tour war, sehr intensiv erlebt.

Andreas Födinger gründete Bilderbuch 2005 gemeinsam mit Peter Horazdovsky, Klemens Kranawetter und Maurice Ernst. Im Laufe der Sessions, in denen »Maschin« entstand, stieg er aus der Band aus. Er spielt bei Farewell Dear Ghost, gewann 2018 einen Amadeus Award und macht seit 2022 als AF9 0 Musik.

Alex Tomann: Die über vier Alben dauernde Zusammenarbeit mit Bilderbuch startete auf Initiative von Zebo Adam (und Manfred Franzmeier), die bei einem Konzert auf die Band aufmerksam wurden und mich fragten, ob ich mir vorstellen könnte, die Produktion von ein paar Demos als Tontechniker zu unterstützen.

Zebo Adam: Die Produktion und Veröffentlichung von »Maschin« habe ich als eine sehr intensive und konzentrierte Zeit erlebt. Man hat gespürt, dass da was in der Luft liegt, und darum noch mehr versucht, das Bestmögliche rauszuholen. Es war eine sehr aufregende, neue und tolle Zeit.

Antonin B. Pevny: Auch jetzt, zehn Jahre danach, kennen und lieben die Menschen den Song und dieses Video. Es freut und ehrt mich, ein visuelles Statement gesetzt und damit viel bewegt zu haben.

Hannes Tschürtz: Wir waren mit Ink Music das Label für Bilderbuchs erste zwei Alben, haben die Band rundum vor allem über die Liveebene als betreuende Agentur aufgebaut, seit die Jungs 17, 18 Jahre alt waren.

Lisa Humann ist Director Creative Sync & Music Supervision bei BMG in Berlin. Zuvor hat sie in Wien die Syncund Licensing-Agentur Swimming Pool mitbegründet und das Programm des Musikfilmfestivals Poolinale kuratiert.

Reinhold Seyfriedsberger: Mit der Veröffentlichung von »Plansch« haben wir alle gemerkt, dass es gewaltig zu brodeln beginnt und die Band plötzlich und vor allem in Deutschland in aller Munde war.

Lisa Humann: Ich durfte mit der Band im Bereich Sync & Licensing zusammenarbeiten. Im Herbst 2013 bin ich ziemlich gleichzeitig mit dem Release von »Maschin« nach Berlin umgezogen und habe den großen Erfolg des Songs in Deutschland hautnah miterlebt.

Louise Lässig: Als »Maschin« veröffentlicht wurde, hatte ich schon gute drei Jahre in der Wiener Musikbubble gearbeitet und war gefühlt rund um die Uhr auf Konzerten und Partys. Und da kannte man natürlich Bilderbuch und auch die Leute aus ihrem Umfeld, die schon davor felsenfest an den großen Erfolg der Band glaubten. Bis »Plansch« hatte ich aber die Musik der Band nicht so richtig auf dem Schirm.

Gerhard Stöger: Als Hörer und Musikjournalist habe ich Bilderbuch bis zur »Feinste Seide«-EP unterschätzt. Oder genauer gesagt: Bilderbuch hatten anfangs einen schweren Stand bei mir.

Ambitionen vor »Maschin«

Stöger: »Nelken & Schillinge« halte ich inzwischen längst für ein großartiges Debüt, zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung 2009 aber dachte ich: Eh nett – aber wozu brauche ich Bilderbuch, wenn ich Ja, Panik haben kann? 2011 hat sich dieses Spielchen wiederholt. Ja, Panik haben ihr Opus magnum »DMD KIU LIDT« veröffentlicht. Auch Bilderbuch gaben sich 2011 extrem ambitioniert. Nur: »Die Pest im Piemont«, ihr zweites Album, war unterm Strich halt einfach ein bisschen angestrengt und anstrengend.

Tschürtz: Ich habe so oft erlebt, dass eine Band erste beachtliche Erfolge erzielt, beim zweiten Anlauf dann an der eigenen Erwartungshaltung verkrampft – und oft zerbricht – und erst beim Überschreiten dieses Punktes begreift, wer sie eigentlich ist. Bilderbuch haben unzählige vermeintliche Fantasien in »Die Pest im Piemont« gesteckt und dann langsam bemerkt, dass das ganze Herzeigen, was man alles im Kopf hat, viel zu viel war.

Födinger: Die Band hatte sich zum Zeitpunkt der Sessions für das dritte Album frei-

Louise Lässig hat von 2009 bis 2017 in Wien gelebt, studiert und in der österreichischen Musikbranche gearbeitet. Seit 2017 lebt sie in Berlin und ist Geschäftsführerin bei Landstreicher Booking, der deutschen BookingAgentur von Bilderbuch.

010
Sandra Ludwig, Christoph Liebentritt, privat, privat, Ingo Pertramer, privat, Nikolaus Ostermann
»›Maschin‹ ist ja nicht aus dem Nichts entstanden, da waren die fünf Jahre Vorarbeit schon sehr mitentscheidend.«
— Zebo Adam

gespielt. Es war jetzt nicht so, als wäre »Die Pest« eine Enttäuschung gewesen, ganz zufrieden waren wir aber im Nachhinein auch nicht. Der Plan danach war, etwas zu schaffen, das in erster Linie uns selbst wegbläst und überrascht. Insgesamt entstanden im Zuge dessen vor meinem Ausstieg 18 Songskizzen. Einer davon war »Maschin«.

Besetzungswechsel am Schlagzeug

Adam: »Maschin« ist ja nicht aus dem Nichts entstanden, da waren die fünf Jahre Vorarbeit schon sehr mitentscheidend.

Ostermann: Der größte Faktor war, dass es die Band schon acht Jahre gegeben hatte. Das waren zu dem Zeitpunkt – obwohl noch jung – alle schon sehr gute, erfahrene Musiker.

Stöger: Der Ertrag war vergleichsweise bescheiden. Ein bisschen Schulterklopfen in der FM4-Welt, ein umjubeltes Clubkonzert hier, ein freundliches Review dort, ein Mittagstermin auf der großen Festivalbühne da. Irgendwann stand eine Weichenstellung an: Es bleiben lassen oder noch einmal die Energien bündeln und alles auf eine Karte setzen? Bilderbuch haben sich bekanntlich für Zweiteres entschieden.

Tomann: Bei »Nelken und Schillinge« und »Die Pest im Piemont« schrieb und erarbeitete die Band ihre Songs im Proberaum. Fürs dritte Album wanderten Bilderbuch erstmals nach Steyr, wo sie im Studio eines Freundes während der Probensituation einzelne Parts gleich aufnehmen und bearbeiten

konnten. Der Prozess war also nicht mehr linear, sondern das Songwriting geschah verschränkt. Einzelne Bruchstücke wurden entwickelt, überarbeitet, verworfen und Teil für Teil zu einem Ganzen zusammengesetzt – und das immer wieder im Kreis. Bilderbuch sind sicher nicht die Erfinder dieser Produktionsweise, aber gerade im Kontext einer Band war das durchaus unüblich.

Stöger: Die Geschichte wurde ja oft erzählt: Indierock-Buben hören vermehrt USRap, entdecken den – zu dieser Zeit noch zurechnungsfähigen – Kanye West für sich und beschließen, dessen Musik in ihr Gitarrenband-Vokabular einfließen zu lassen.

Födinger: Es gab ein paar Songs, die in der Entstehung von »Maschin« referenziert wurden bzw. die als Inspiration dienten. Einer davon war »Fifteen Floors« von Balthazar. Das Ziel war es, das Gitarrenriff durch diese leicht trashigen Trompetensounds durchlaufen zu lassen, um diesen In-theface-Effekt zu erzielen. »The Seed« von The Roots und Cody Chesnutt war ebenso ein Song, der immer wieder herumgeisterte, wie auch »Simple Song« von The Shins – Songs, die Chord-Folgen als Riff inszenieren. Ich meine, mich erinnern zu können, dass Maurice den Rhythmus vorsummte, Mike kam dann mit den Chords. So ist das Riff entstanden. Die Idee zu den Intro-Kicks, die ursprünglich half-time waren, kam von Coldplays »Violet Hill«, weil es eine immense Power hat, wenn drei Instrumente Vierteln spielen. Zebo Adam bearbeitete das erste ur-

Niko Ostermann hat 2009 das Artwork des Bilderbuch-Debütalbums fotografiert und ist seither mit der Band befreundet. Speziell in den Jahren 2014 bis 2016 war er als Tourfotograf häufig mit ihr unterwegs.

Der ausgebildete Grafikdesigner und Illustrator Antonin B. Pevny arbeitet freiberuflich als Regisseur, Kameramann und Cutter. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Visualisierung von Musikvideos, insgesamt sechs davon hat er mit Bilderbuch gedreht.

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»Maschin« war der richtige Song zur richtigen Zeit –für die Band, wie für das Publikum.

Heute sind Bilderbuch nicht zuletzt eine erfolgreiche TouringBand. Bis weit hinein nach Deutschland und in die Schweiz.

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Pascal Schattenburg, Ingo Pertramer, Al Bird Sputnik, privat, Markus Sandner

sprüngliche Demo und verdoppelte die Vierteln einfach. Wir haben dann stundenlang auf diesem Riff bzw. dem Loop gemeinsam gejammt. Wie es bei Bilderbuch anfangs üblich war, hat Maurice im Laufe des Jams einfach eine Vocal-Line drübergesungen. Etwas, das sich für ihn richtig anfühlte. Ich erinnere mich, dass die Line »Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind / Uns Schuppen von den Augen geregnet« gleich von Anfang an da war. Die Frage »Willst du meine Frau werden?« ebenso. Das Sample, das auf die Frage folgt, ist aus Muddy Waters’ »Mannish Boy«. Das habe ich in Cubase im Studio von Josef Haidenthaler in Steyr aus dem Originaltrack und recht dilettantisch einfach in unser Demo reinkopiert.

Tomann: Nach zwei Wochen wollten sie Zebo und mir die Ergebnisse präsentieren. Aus den angekündigten fünf neuen »KillerDemos« wurde plötzlich nur mehr: »Wir haben einen Song vorbereitet.« Und selbst dieses Demo war sehr unausgegoren. Die Band zog nicht mehr an einem gemeinsamen Strang. Andreas Födinger am Schlagzeug, lange Zeit Energiequelle der Band, konnte sich im neu eingeschlagenen Kurs und kreativen Prozess nicht finden. Auch sonst waren die Perspektiven mit den übrigen Bandmitgliedern nicht

Adam: Wir haben damals parallel an fünf Computern gearbeitet. Jede Idee hat ihren Platz und ihre Zeit bekommen, kein Stein wurde nicht umgedreht, und gemeinsam haben wir versucht, dass immer nur das Bestmögliche am Ende übrigbleibt.

Tomann: »Maschin« wirkte auf mich wie eine Offenbarung. Musik, die vor Referenzen nur so strotzt und dennoch nicht zuordenbar ist. Maurices unverwechselbare Verwendung von Sprache. Sounds von Mike Krammer, die fast eine Revolution des Gitarrespiels einläuten. Die unermüdliche Arbeit von Peter Horazdovsky, alle Punkte zu verbinden. Und unter alledem ein Drum-Track, der einerseits so basic und unaufgeregt anmutet, andererseits aber so solide und am Punkt ist, dass er mühelos durch den ganzen Song trägt.

Zuerst dippst du den Fuß, dann lässt du dich fallen – Plansch!

Födinger: Ich muss gestehen, dass »Maschin« im Zuge der Albumsessions für das später eben verworfene dritte Album für mich nur ein Song von insgesamt 18 war. Für Maurice war’s allerdings ein ziemlicher Motivationsschub. Ich erinnere mich, dass er nach einem Gig in Graz das Demo in voller Lautstärke übers Radio seines Autos (damals

Booking-Anfragen für Bilderbuch-Konzerte in Österreich landen seit 2008 auf dem Schreibtisch von Reini Seyfriedsberger. Selbiger stand anfangs noch bei Ink Music. 2016 gründete Seyfriedsberger seine eigene Firma, Spoon Agency, die es, wie er sagt, »ohne Bilderbuch nie gegeben hätte«.

Gerhard Stöger schreibt seit 2001 für den Falter, Bilderbuch-Fan ist er erst seit 2013.

Der Sound Engineer Alex »Fire« Tomann saß bei Bilderbuch und Wanda ebenso an den Reglern wie bei den Beatsteaks, Roy Bianco & die Abbrunzati Boys, Kreisky, Francis International Airport, Steaming Satellites, Ankathie Koi, Cari Cari, Farewell D e ar Ghost und AF90.

mehr recht unter einen Hut zu bringen –letztendlich trennten sich die Wege. So etwas hautnah zu erleben, war bitter. Umso erstaunter waren wir, als die Band nicht lange Zeit danach verkündete, einen neuen Schlagzeuger gefunden zu haben. Und diesmal kamen sie mit handfesten Ergebnissen aus Steyr zurück. Einige Wurzeln stammten durchaus aus der ersten Steyr-Session. Sie hatten einen Workflow gefunden, um ihre Ideen auf den Punkt zu bringen. Und was für ein Punkt das war!

Födinger: Die ersten Demos hatten schon das Feel von »Maschin«, wie wir es heute kennen. Finalisiert haben sie den Song allerdings erst mit meinem Ausstieg. Das Gitarrensolo, die zweite Strophe und der »Mhm«-No-Diggity-Teil waren im Demo noch nicht drinnen.

ein roter Renault Clio) laufen ließ. Ihm bedeutete es damals schon sehr viel. Ich fand’s gut, aber war von »Feinste Seide« oder »Katapult« (Arbeitstitel) mehr angetan.

Seyfriedsberger: Das erste Mal hab ich den Song gehört, als mir Maurice ein Demo davon beim Fortgehen am Gürtel vorgespielt hat. Fairerweise muss ich dazusagen, dass ich das damals nur so halb gecheckt habe und mich aufs Feiern fokussieren wollte. Dafür wurde ich zurecht ein paar Mal gerügt.

Tomann: Als die vier Songs fertig gemischt und gemastert waren, stand von der Band der explizite Wunsch im Raum, sie als EP zu veröffentlichen und nicht erst Material für ein ganzes Album zu sammeln. Wir haben dann ein Treffen mit dem Manager einberu-

Entdecker findet Hannes Tschürtz prätentiös, Förderer der ersten Stunde oder Evangelist gefällt ihm schon besser. Der Musikmanager fasst seine Rolle im Bilderbuch-Universum so zusammen: »Ich hab ihnen halt ihren ersten Plattenvertrag gegeben, als sie junge Hüpfer waren.«

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»›Plansch‹ war sozusagen die Verheißung und hat ›Maschin‹ den Weg geebnet.«
— Alex Tomann

Wenn bei Konzerten der gelbe Lederhandschuh übergestülpt wird, ist sofort klar: Jetzt kommt »Maschin«.

014
Nikolaus Ostermann

fen, bei dem ich mich dafür stark gemacht habe, »Maschin« als Single zu releasen. Ich war fast enttäuscht, dass sich die Band zuerst für eine Auskopplung von »Plansch« entschied. Im Endeffekt genau die richtige Entscheidung.

Tschürtz: Die Band hat mich gebeten, eine EP selbst veröffentlichen zu dürfen. Den Wunsch habe ich ihnen gewährt. Aus Label-Sicht war das schade, aber wir haben die Band live noch Jahre weiter betreut und dabei schönste Erlebnisse gehabt. Vor der Veröffentlichung sind wir gemeinsam die Demos durchgegangen und haben ewig lang über Einflüsse und Strategien gesprochen und darüber, warum »Plansch« die bessere erste Single sei.

Tomann: Mit »Plansch« konnte sich die Band ihrer Fanbase in neuem Gewand präsentieren und gerade in Pressekreisen viel Aufmerksamkeit erregen. Das ging schnell über die Landesgrenzen hinaus und ich kann mich an Facebook-Einträge von Cro und Casper erinnern, die das Video gefeiert haben, und die Beatsteaks, die sich mitten in der eigenen Albumproduktion vom Sound inspirieren ließen. »Plansch« war sozusagen die Verheißung und hat »Maschin« den Weg geebnet.

es Level gehoben hatte. »Maschin« hat dann noch eins draufgesetzt, und als ich den Song in Berlin einfach überall gehört habe, war klar, dass damit der große Durchbruch der Band in Deutschland gelingen wird.

Gelb ist das Feld –das ikonische Musikvideo

Lässig: »Maschin« war irgendwie wie ein eigenes Genre. Dazu hatte die Band dann natürlich die perfekte visuelle Begleitung.

Tschürtz: Was macht einen Hit aus? Simpelste Mittel und Wiedererkennungseffekt. Was »Maschin« geschafft hat, ist, das in Sprache, Stil, Gestik, Text, Musik und Video abzubilden. Die ersten Takte des Songs sind so einfach und prägnant wie sonst vielleicht nur »Billie Jean«, dazu ist es mühelos gelungen, einen gelben Lederhandschuh als Markenzeichen zu »ownen« und einen Spruch wie »Willst du meine Frau werden?« kulturell neu zu besetzen. All das macht diesen Song zeitlos.

Födinger: Hits macht man nicht, Hits werden zu Hits. Dass es gut war, war von Anfang an klar. Dass es aber zu einem generational Hit geworden ist, wurde mir erst 2019 in Schönbrunn bewusst.

Adam: Der richtige Song zur richtigen

Tschürtz: Ohne »Plansch« hätte »Maschin« nicht einen solchen Effekt gehabt. Dazu Maurices neuer Look, die fantastischen Videos von Antonin B. Pevny, den wir davor schon für »Karibische Träume« für die Band engagiert hatten. Das hat alles magisch zusammengepasst.

Pevny: Maurice ließ sich einen Tag vor dem »Plansch«-Dreh die Haare schneiden und wasserstoffblond färben. Mit seiner Sonnenbrille und meiner gelben Badehose, aufgebahrt auf einer dunkelblauen Luftmatratze – ein überstilisiert gestaltetes Bild zeigte den Fans einen ikonografischen Maurice und dieser kam mit einem komplett neuen Sound daher.

Humann: Bei ihrem Überraschungsauftritt beim Popfest 2013 (während des Slots von Francis International Airport, Anm.) im Brut haben Bilderbuch zum ersten Mal »Plansch« vor Publikum gespielt und ich denke, dass sich in diesem Moment alle bewusst waren, dass die Band ihren Sound auf ein ganz neu-

Zeit am richtigen Ort, so etwas lässt sich nicht planen, das muss passieren.

Ostermann: »Maschin« war – im Gegensatz zu allem anderen aus Österreich und Deutschland zu der Zeit – sexy.

Seyfriedsberger: Dass es komplett durch die Decke gehen wird, war mit der Veröffentlichung des Videos klar. Die Kombi ist nach wie vor unschlagbar.

Ostermann: An die Veröffentlichung selbst kann ich mich gar nicht so richtig erinnern, außer an den Videodreh, der eine Woche vorher stattgefunden hat. Der war – wie jeder Videodreh – vor allem stressig. Und wie man auch am Ergebnis sieht: eben auch schon sehr professionell.

Pevny: Eine Woche vor dem Dreh probte ich mit Maurice. Wir nutzten dazu den VW Golf von Pille (Philipp Scheibl, neu am Schlagzeug, Anm.) und übten damit unterschiedlichste Bewegungschoreos. Wir quälten den armen Wagen einige Stunden ziemlich. Motor an, aus,

Ausstellungsrundgang mit Rahmenprogramm täglich 10 – 18 Uhr 13. 14. 15. 20. 21. 22. Oktober 2023

»Wien war auf einmal die coole Pop-Metropole, in der die Impulse für Popkultur gesetzt werden.«
Andelsbuch, Bregenzerwald www.werkraum.at
— Louise Lässig

Fenster rauf, runter, Türen auf, zu, hin und her das Ganze. Bei der Sequenz, in der Maurice den Autositz einen Refrain lang verschiebt und der Situation dabei auch irgendwie ausgeliefert ist, musste ich herzhaft lachen. Ich dachte mir: »Ja, so wie Maurice gerade dabei aussieht, wird das die Stelle, die alle feiern werden.« Mein Bauchgefühl hat sich bewahrheitet: Es war exakt die Stelle, die das Publikum so oft teilte.

Tomann: Maurice hat schon während der Studioarbeit immer wieder von einem gelben Lamborghini und gelben Handschuhen gesprochen. Mir war das noch viel zu abstrakt und ich denke, auch die anderen konnten seine Begeisterung noch nicht so recht nachvollziehen. Wir fanden es eher affig. (lacht) Aber spätestens, als wir das Video zum ersten Mal sahen, war klar, dass er eine sehr schlüssige Vision hatte.

Pevny: Die Idee für den Charakter ging von der englischen Serie »Top Gear« und dem Moderator Jeremy Clarkson aus, der ständig testfahrend neue Autos vorstellte und dabei verdammt smart aussah. Dieser merkwürdige Vorgang, immer wieder mit derselben Emotion eines »Autositzqualitätsprüfers« ausgeführt, und dazu die genial eindringliche Textpassage des Refrains machten das virale Gift perfekt. Humann: Was »Maschin« für mich vor allem ausmacht, ist die ikonische Bildsprache des Videos und Maurices Performance im Video. Beides haben sie dann auch grandios auf die Bühne übersetzt. Bilderbuch haben nicht einfach ihre Songs gespielt, sondern es war von Anfang an eine Show. Das hat die Band in meinen Augen schon immer von den anderen Bands der Wiener Szene aus dieser Zeit abgehoben.

Lässig: Damals gab es um den Release ein Konzert im WUK, bei dem sie den Song schon live gespielt haben. Das war auf jeden Fall heftig, wie das Publikum den schon gefühlt hat, als würde es ihn seit Jahren kennen. Kurz darauf explodierte »Maschin« dann förmlich und war überall. Platinblonde Haare genauso, wie Lederhandschuhe zum Ausgehen zu tragen, und die Farbe Gelb. Und alle wollten natürlich bunte Hemden wie Maurice.

Seyfriedsberger: Die ganz große Geste, Sex usw., vor allem aber kein typisches IndieUnderstatement. Dieses Selbstvertrauen waren die Leute damals nicht gewohnt. Rückblickend betrachtet komplett eigenartig, dass wir uns oft alle viel kleiner gegeben haben als notwendig. »Maschin« und Bilderbuch haben mich gelehrt, größer zu denken und uns deutlich mehr zuzutrauen. Dafür werde ich ewig dankbar sein.

Diese eine Show im Brut

Adam: Dass »Maschin« ein Hit wird, hab ich persönlich bei dem Konzert im Wiener Brut gewusst, wo das erste Mal der ganze Saal mitgesungen hat und wir am eigenen Leib erlebt haben, dass auch das Publikum die Kraft des Songs spürt.

Stöger: Anfang 2014 haben Bilderbuch ihr erstes ausverkauftes Wien-Konzert gespielt, im Brut-Theater, das damals im Künstlerhaus am Karlsplatz untergebracht war. Allerlei Promis tummelten sich im Publikum, der Bassist der Toten Hosen etwa oder die Schauspielerin Birgit Minichmayr.

Lässig: Da wusste man schon vorab, dass dieses Konzert anders gut werden würde und

Wohl das einzige Auto, das sich ein The-Gap-Cover verdient hat: der gelbe Lamborghini Diablo

alle wollten dabei sein. Die halbe Stadt hat verzweifelt nach Tickets und Gästelistenplätzen gesucht.

Seyfriedsberger: Es war die Show in der Stadt. Alle waren vor Ort und die Bude dezent überfüllt. Die Band hat »Maschin« zweimal gespielt, als ersten und letzten Song. Auch so ein No-Go. Die Leute haben’s gefeiert hoch drei und es war eine Show to remember.

Stöger: »Maschin« haben sie relativ bald gespielt. Das Lied ließ das gesamte Brut plangemäß kopfstehen, doch der Höhepunkt des Abends sollte erst bei der Zugabe folgen. Seine Stimme schmerze plötzlich, erklärte Maurice, er brauche Unterstützung. Dann stimmte die Band noch einmal »Maschin« an. Besser gesagt: Sie ließ das Lied explodieren – und ausnahmslos alle im Saal brüllten den Text mit, während Maurice einfach nur den Moment genoss. Ich, als kritischer Beobachter zum Konzert gekommen, stand auf der Galerie, Grinser im Gesicht, Gänsehaut auf dem Rücken, und wusste, dass ich hier gerade den Beginn von etwas ganz Großem miterlebe.

Seyfriedsberger: Selbst damals gab es noch Leute aus der Branche, die skeptisch waren und das alles kleinreden wollten. Auch aus der Veranstalter*innenecke. Ich hab »Maschin« in der Zugabe aufgenommen, auf Youtube gestellt und danach war diese Diskussion erledigt.

Ostermann: 2014 ging ein Livevideo von ihrem Auftritt im Brut viral, bei dem das enthusiasmierte Publikum zum ersten Mal den Text mitgeschrien hat. Und dann kamen schon die Einladungen aus Deutschland für große Support-Shows bei Seeed, Casper und einer großen Beatsteaks-Tour. Ich erinnere

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Antonin B. Pevny

mich, dass Maxim von K.I.Z. bei einer CasperShow gesagt hat: »Das ist der Song, den die Leute auch in 20 Jahren noch von euch hören wollen.« Hat er ganz gut erkannt.

Lässig: Wien war auf einmal die coole Pop-Metropole, in der die Impulse für Popkultur gesetzt werden. Das hat man auf jeden Fall von Freund*innen in Berlin und Hamburg gespiegelt bekommen, für die Wien davor immer die angestaubte Sisi-Stadt war und die plötzlich mehr als hyped auf alles aus Österreich waren.

Stöger: Fünf Jahre später haben Bilderbuch 30.000 Menschen zu zwei Konzerten vor Schloss Schönbrunn gelockt. Den magischen Moment des Neuen Austropop haben sie aber nicht mit diesem Show-Doppelpack der Superlative geschaffen, sondern an jenem Winterabend im Brut.

Von Deutschland bis Schönbrunn

Tschürtz: Ö3 spielt den Song heute ab und an als »Golden Great«, hat aber zur Veröffentlichung reguläres Airplay verweigert, weil er zu schräg, zu progressiv war. Der Mut der Band hat sie überrollt. Und diese Geschichte, und dass sie für den Erfolg des Songs nebensächlich war, ist fast so etwas wie eine kondensierte Zusammenfassung der österreichischen Musiklandschaft der letzten 25 Jahre.

be, mein Part in dieser ganzen Geschichte war wohl einfach der, ihnen den Raum dafür zu geben und zu organisieren. Hätte Maurice 2007 im B72 mit blondgefärbten Haaren und bombastischer Theatralik »Maschin« performt, hätte das wohl nicht dasselbe auslösen können wie dann, als es wirklich gezählt hat.

Lässig: Als ich 2017 wieder nach Deutschland gezogen bin, habe ich das erste Mal selbst gesehen, dass alle wichtigen Akteur*innen der Berliner Musikbubble ganz selbstverständlich vor Ort sind, wenn Bilderbuch ein Konzert spielen. Klar, Auftritte in der Größenordnung Nova-Rock-Headliner oder RollingStones-Support im Happel-Stadion gibt es in Deutschland nicht, aber Bilderbuch sind eine Konstante in der deutschen Konzert- und Festivallandschaft, in der die extravaganten Liveshows wertgeschätzt werden und immer herausstechen.

Födinger: Als wir mit Bilderbuch anfingen, war es ein großer Erfolg, im Röda in Steyr 150 Tickets zu verkaufen. Nicht nur für uns, sondern für alle österreichischen Bands. Mittlerweile gibt’s eine riesengroße Nachfrage in allen möglichen Genres. Ich fand das Ukraine-Benefizkonzert im Stadion diesbezüglich sehr erhebend.

Stöger: Der zu Zeiten von »Schick Schock« bisweilen geäußerte ZeitgeistVerdacht war ein großer Irrtum: »Schick

Stöger: Schön auch, dass der größte Hit der Band nie in der Hitparade war, keinen Amadeus gewonnen und auch sonst nichts klassisch Messbares hinterlassen hat.

Adam: Mit diesem Song wurde die Glasdecke, unter der wir österreichische Künstler*innen uns befunden haben, gesprengt. Auf einmal gab es – parallel zu »Bologna« von Wanda – wieder Musik aus Österreich, die auch in Deutschland ernst genommen wurde.

Humann: Bilderbuch haben gezeigt, dass der österreichische Musikmarkt eine unglaubliche Relevanz haben kann – auch in Deutschland. »Maschin« ist sicher einer der größten österreichischen Hits und wird nicht selten mit Falcos »Der Kommissar« in einem Atemzug genannt. In meinen Augen absolut zurecht.

Tschürtz: Auch Bilderbuch mussten erst in diese Rolle hineinwachsen – und ich glau-

Schock« ist anno 2023 ein ebenso fantastisches Album wie bei der Veröffentlichung 2015 und in seiner Mischung aus Zeitgeist und Zeitlosigkeit durchaus mit Falcos Debüt »Einzelhaft« von 1982 vergleichbar. Während für »Einzelhaft« aber »von nun an ging’s bergab« galt, haben Bilderbuch weiterhin ausgezeichnete Alben veröffentlicht. »Gelb ist das Feld« hat stilistisch praktisch nichts gemein mit »Schick Schock« – und ist doch hundert Prozent Bilderbuch. Astrid Exner

Einige wichtige Stimmen fehlen natürlich in dieser Oral History. Allen voran die Band selbst, die seit einigen Jahren keine Interviews mehr gibt, der Bilderbuch-Manager Christoph Kregl, die ehemalige langjährige Tourmanagerin Corinna Maier sowie Lina Simon, die mit ihren Konzepten und Creative Direction die Neuausrichtung der Band hin zur »Maschin«-Ära maßgeblich geprägt hat.

www.steirischerherbst.at steirischerherbst’23 21.9.–15.10.23
»Bilderbuch haben nicht einfach ihre Songs gespielt, sondern es war von Anfang an eine Show.«
— Lisa Humann

Golden Frame

Zeitgenössische Kunst im angemessenen Rahmen

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(Black) Dada Adam Pendleton

»Untitled (Days for Drawing)«

Werke von Black-Dada-Vordenker Adam Pendleton sind in einer aktuellen Ausstellung im Mumok in Wien zu sehen. Er setzt sich darin auf abstrakte Weise mit der Geschichte von Kolonialismus, Rassismus und Schwarzer Lebensrealität auseinander. ———— Dada. Dada. D da. ada. D . a a. Dad. D d . Dada. Dadadada. Dadadadadadada. Worte verlieren ihre Bedeutung, wenn sie geteilt, isoliert oder oft hintereinander wiederholt werden. Aber entsteht daraus etwas Bedeutungsleeres? Oder nehmen sie nicht eher ein Mehr an Bedeutung an?

Wahrheit, Krankheit, Geschlecht, Sprache – all diese Begriffe sind den Veränderungen der Zeit und dem Glauben von Menschen unterworfen. Obwohl sie oft einen Anspruch auf Normativität behaupten, sind sie alles andere als statisch und unabhängig. Hinter ihnen verbergen sich Denksysteme, die Unterscheidungen zwischen korrekter und fehlerhafter Sprache vornehmen, zwischen zwei oder mehr Geschlechtern, zwischen Vernunft und Wahnsinn, Gesundheit und Krankheit, zwischen Wahrheit und Falschheit.

Als Europäer*innen mit ihren Schiffen den Atlantik, das Mittelmeer und den Pazifik überquerten, begann nicht nur eine Form der körperlichen Unterdrückung und Auslöschung, sondern auch eine gewaltsame Einsetzung europäischer Denksysteme, welche das Weiß-Sein mit all seinen Implikationen als Nullpunkt festlegte und alle Unterscheidungen davon als Abweichungen ausgrenzte, was bis hin zur moralischen Unterscheidung zwischen dem Töten der einen und dem Töten der anderen führte. Mit Kolonialisierung ist deshalb nicht nur eine Form physischer Gewaltausübung gemeint, sondern auch einer geistigen.

Vor 100 Jahren kam das Selbstverständnis Europas für einige zum Einbruch, als die Realität des Ersten Weltkriegs die ganzen großen Worte von Wahrheit, Vernunft und Menschlichkeit als Farce entzauberte. Der Verlust der moralischen und epistemischen Grundlagen brachte den Dadaismus als eine Form des Neubeginns hervor. Alte Systeme – allen voran jenes der Sprache mit festgelegter Syntax und Semantik – wurden überworfen. Eine Poesie der scheinbaren Sinnlosigkeit entwickelte sich, geprägt von Widersprüchlichkeiten, Überlagerungen, Dissonanzen, Fragmentierungen. Den alten Regeln und Bedeutungen beraubt, blieben leere Worthülsen übrig. Es entfaltete sich Rhythmus, Wortlaut und Schriftbild.

Solcherart Prinzipien greift Adam Pendleton in seinen Arbeiten auf. Auf den Leinwänden herrscht eine Polyphonie der Zeichen und Gesten, die sich einer vorgegebenen Lesbarkeit entziehen und stattdessen darauf warten, von den Betrachtenden selbst erfahren und gedeutet zu werden. Es ist dabei gerade der Gebrauch wiedererkennbarer Zeichen – von außen hereingetragen oder durch innerbildliche Wiederholung aus dem Bild selbst generiert –, der daraus keine rein sinnliche Angelegenheit macht, sondern einen Versuch des fruchtbaren Umsturzes.

Adam Pendleton wurde 1984 in Richmond, Virginia (USA) geboren. Seine derzeitige Ausstellung im Mumok in Wien ist eine gute Gelegenheit, sich mit der Idee von Dada und dem von Pendleton geprägten Begriff des Black Dada auseinanderzusetzen. Siehe hierzu auch die Publikation »Black Dada Reader« aus dem Jahr 2017, die ironischerweise sehr viel Sinn macht.

019 Adam Pendleton »Untitled (Days for Drawing)«, 2022; Tusche, Sprühfarbe und Öl auf Papier

Als Wien lebendig wurde Die Punkszene der Hauptstadt in Buchform

Mit »Als der Vorhang fiel« hat sich Claus Oistric an einer Geschichte des Punk im Wien der 90er-Jahre versucht. Durch ausführliche Abstecher in die 70er und 80er sowie zahlreiche Zeitzeug*innen-Interviews wird darin dokumentiert, wie der »toten Stadt« Wien (und ihrem Umland), durch die Sub- und Gegenkultur langsam Leben eingehaucht wurde. Werner Schröttner, Ende der 90er mit der Band Programm C selbst ein aktiver Teil der Szene, hat mit Oistric gesprochen.

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Sas, Janne Karvinen Die Band Programm C mit unserem Autor Werner Schröttner rechts hinten am Bass

First things first: Wir sind beinahe gleich alt und waren früher zwar in einer ähnlichen Szene unterwegs, haben uns bis vor Kurzem aber eigentlich nur vom Sehen gekannt. Was hat dich damals veranlasst, selbst in der Szene aktiv zu werden?

claus oistric: Das ist etwas schwer festzumachen. Bei uns in der Umgebung hat es zum Beispiel das Fanzine »Der Grüne Punk« gegeben. Die Erkenntnis, dass man selbst etwas machen kann, war mir komplett neu. Und die hat mir der Punk gebracht. Wahrscheinlich bin ich deshalb selbst aktiv geworden. Und: Ich war in Hainburg etwas abgeschnitten von der Welt, und Fanzines (zuerst »Oink«, dann »Spank Thru«, Anm.) waren da ein Vehikel, um selbst einzusteigen, mit Leuten ein Gesprächsthema zu haben und die eigene Unsicherheit und Schüchternheit zu überwinden.

Thomas Reitmayer, den wir beide ja gut kannten, hat im Jahr 2019 – kurz vor seinem überraschenden Tod – den Film »Es is zum Scheissn. Ein Film über Punk in Wien 1977–1988« herausgebracht. Dein Buch »Als der Vorhang fiel. Punk im Wien der 90er« schließt zeitlich quasi direkt daran an – auch wenn du dich im Buch überdies der Vorgeschichte in den 80er-Jahren und den Szenen außerhalb Wiens widmest. Ist das bewusst oder unbewusst das nächste Kapitel von Thomas’ Arbeit?

Sowohl als auch. Thomas und mich hat eine längere Freundschaft verbunden. Wenn ich mich richtig erinnere, war sein Film anfangs eigentlich als Buch konzipiert. Ich möchte mich aber nicht mit ihm vergleichen,

er war weit besser vernetzt, hatte genreübergreifendes Detailwissen und allein dadurch wäre seine Herangehensweise sicher eine andere gewesen. Ich hätte es geliebt, ein solches Buch von ihm zu lesen. Ich habe eher den Blick des Historikers, bin Fragen nachgegangen, die sich mit den Auswirkungen äußerer Einflüsse auf die Szene auseinandersetzen.

Es gab nie die eine Punk- oder die eine Hardcore-Szene in Wien. Das waren immer sehr heterogene Gruppen und Individuen, die teilweise gemeinsame Schnittmengen hatten. Du musstest für »Als der Vorhang fiel« eine Auswahl treffen und gibst als Disclaimer an: »Das Buch versteht sich nicht als Chronik, sondern als geschichtlicher Einblick in eine Welt von gestern, als man sich Punk noch ohne Internet aneignen musste.« Wie war da deine Herangehensweise?

Ich hatte die Idee einer Geschichte im Kopf, die relativ nah an der jetzigen Endfassung des Buches dran war. Anfangs waren die Gespräche mit den jeweiligen Zeitzeug*innen ein Vehikel, um an Hintergrundwissen zu kommen. Relativ bald habe ich aber gemerkt, dass es weit mehr Sinn macht, all jene Menschen tatsächlich – in Form von Zitaten – zu Wort kommen zu lassen. Schon alleine, um verschiedene Sichtweisen zu eröffnen und darzulegen. Weil, wie du sagst: Es waren immer sehr heterogene Individuen am Werk.

Wie hast du all die Leute eigentlich aufstöbern können?

Das war wie ein Schneeballsystem. Ich habe bei Mäcks (Markus Henschl, Anm.) an-

gefangen. Er ist wahnsinnig gut vernetzt und hat mir viele Kontakte vermittelt. Vor allem, was Bands wie Pot-Sche-Mu und die Piranhas betrifft, also die Frauenszene aus der Aegidigasse. Da hat er mir eigentlich alle Kontakte zur Verfügung gestellt, weil ich die Beteiligten aufgrund meines Alters nicht gekannt habe.

Wie kann man sich den Entstehungsprozess des Buches vorstellen? Du hattest diese Idee einer Geschichte und hast dann dazu recherchiert? Oder hast du den roten Faden, der sich durch das Buch zieht, erst im Zuge der Recherchen gefunden?

Irgendwie ist mir aufgefallen, dass aus meinem Blickwinkel vieles mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zusammenhängt. Es war sicher kein Zufall, dass danach eine Menge passiert ist. Das hat mich angetrieben. Dieses ewige »Wien, du tote Stadt« und auf einmal ist da was los. Alle meine Gesprächpartner*innen haben gesagt, es war nichts los in Wien. Auch in den 80er-Jahren nicht. Das war der Kern, von dem das Projekt ausgegangen ist. Danach habe ich weiterrecherchiert, wie es von diesem »Es war nichts los« dazu kommen hat können, dass Punk auf einmal in Hainburg, in Bruck an der Leitha, in Petronell, in Himberg bzw. wo auch immer aufgetaucht ist. Das war letztlich mein Erzählfaden.

Es wird sicher einige Zeitzeug*innen geben, die sich vergessen oder übergangen fühlen. Hast du dir schon überlegt, was du zu denen sagen wirst?

Klar, die gibt es immer. Aber, wie gesagt: Dieses Buch ist keine Chronik und hat keinen

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»Mir ist aufgefallen, dass vieles mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zusammenhängt. Ewig dieses ›Wien, du tote Stadt‹ und auf einmal ist da was los.«
— Claus Oistric
Autor Claus Oistric war ab Mitte der 1990er Herausgeber mehrerer Fanzines und in diversen Bands aktiv.

Anspruch auf Vollständigkeit. So etwas könnte ich gar nicht leisten, es würde mir auch keinen Spaß machen, so ein Buch zu schreiben. Ich wollte eine Geschichte schreiben und nicht irgendwelche Egos streicheln. Mir ist aber durchaus bewusst, dass es da draußen noch einen Haufen interessanter Menschen gibt, mit denen es sich durchaus gelohnt hätte, ein Gespräch zu führen.

An kritischen Protagonist*innen in der Szene hat es ja nie gemangelt. Erwartest du dir auch negative Kritik am Buch?

Natürlich erwarte ich mir auch negative Kritik. In den allermeisten Fällen werde ich diese aber ohnedies nicht zu Ohren bekommen. Wir sind hier schließlich nach wie vor in Wien und wie wir wissen kommt Kritik hier meistens hintenrum. Ich werde damit leben können.

Wie schwer war es eigentlich an Illustrationsmaterial wie Fotos, Flyer oder Fanzines zu kommen? Vor allem aus den 80er- und frühen 90er-Jahren?

Anfangs war es gar nicht so einfach, aber als der Schneeball erstmal ins Rollen kam, erhielt ich großartiges Material. Dierk Rossiwall hatte großartige Fotos in seinem Archiv, Jan Gallhuber ebenso –und auch dir muss ich für einige großartige Bilder und Flyer danken.

Der Film von Thomas, die Ausstellung »Da könnt’ ja jede/r kommen. Circa 10 Jahre DIY-Kultur in Wien.« in der Plattform Quelle in Favoriten, die Ausstellung »Punk in Wien« 2010 in der Pankahyttn in Rudolfsheim-Fünfhaus und jetzt dein Buch – hat diese Subkultur einen besonderen Drang oder Anspruch sich selbst zu dokumentieren?

Mäcks, einer der Protagonist*innen in meinem Buch, hat einmal – angesprochen auf Veränderungen in der Szene – sinngemäß zu mir gesagt: »Damals waren wir die Arschlöcher, heute wirbt der Tourismusverband Wiens auf der ganzen Welt mit dem Flex.« Wenn wir nicht wollen, dass »unser« Ding durch den Fleischwolf der Vermarktungs- und Verwertungssindustrie gedreht wird, müssen wir das selbst in die Hand nehmen. Diese Subkultur bedeutet ganz schön vielen Menschen ja nach wie vor sehr viel. Insofern kann es nicht schaden, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Sofern es aus der Szene für die Szene kommt, kann es so falsch nicht sein.

nigen Locations schon ganz gut nachvollziehen. Es muss nicht unbedingt live geteilt werden, wie viele (oder wenige) Menschen sich gerade in einem x-beliebigen Haus aufhalten. Bei deiner Recherche zum Buch bist du auch auf die Gründungsvereinbarung für die A.R.S.C.H.-Partei, der »Autonom-revolutionär-subversiv-chaotischen Hackler-Partei«, gestoßen. Dazu gibt es mittlerweile eine lustige Anekdote mit Armin Wolf und Peter Filzmaier.

Die Partei wurde im ORF/FM4-Podcast »Der Professor und der Wolf« erwähnt, mit einem Aufruf an die Hörer*innenschaft, Hintergründe zur Partei zu suchen. Mir war sie im Zusammenhang mit dem Lokal Rotstilzchen untergekommen und so habe ich einige Informationen an Peter Filzmaier weitergeleitet. Danach hat dieses Thema eine Eigendynamik bekommen, die ich in der Form nicht erwartet hätte.

Welche Anfragen haben dich diesbezüglich schon erreicht?

Zuletzt werden Konzertorte verstärkt mit »Secret Location« oder »Ask a Punk« angekündigt. Bei Shows gibt es teilweise ein striktes Fotoverbot. Wie schätzt du die Auswirkung dieser Entwicklung auf die künftige Dokumentation der Szene ein?

Ich glaube, wir leben ohnedies in einer Zeit der visuellen »Über-Dokumentation«. Ich kann die Gründe für das Fotoverbot in ei-

Ich habe auf Google entdeckt, dass Menschen sich Gedanken machen und herumschreiben, was aus dieser A.R.S.C.H.Partei geworden ist. So ist es zuletzt auch zu einer Einladung zum Podcast »Erinnerungslücken« gekommen, da man durch Stöbern im Internet bei mir gelandet ist. Das ist ganz lustig. Für mich war das so ein Nebendetail der Recherche, aber offensichtlich gibt es Interesse an der Geschichte. Es hat mich darin bestätigt, dass die zweite Hälfte der 80er-Jahre im zeitgeschichtlichen Kontext eine interessante Periode war.

Abschließend muss ich natürlich fragen: Wie ist meine frühere Band Programm C so prominent am Cover deines Buchs gelandet?

Andi (Thier, Anm.) und Christian (Hochmuth, Anm.) kenne ich schon seit gemeinsamen Schulzeiten. Wir waren befreundet und über die Jahre durchgehend in losem Kontakt. Ich war damals beim ersten ProgrammC-Gig dabei und habe mich später sehr gefreut, als die erste Seven Inch herauskam. Für mich steht die Band stellvertretend für die damalige Zeit und das Cover ist ein Dankeschön an diese Freundschaft.

Dafür, dass die Punkszene kein reiner Männerverein war, sorgte etwa die Frauenszene in der Aegidigasse.

»Als der Vorhang fiel« von Claus Oistric erscheint am 10. Oktober 2023 beim Verlag Glitzer & Grind. Die Release-Party findet am 12. Oktober im Arena Beisl in Wien statt (live: Dim Prospects, Extrem, Programm C, Brambilla). Weitere Präsentationstermine: 14. Oktober, Exil Records, Neunkirchen — 14. Oktober, Wiener Neustadt, Triebwerk (live: Flowers in Concrete) — 26. Oktober, Graz, MusicHouse (live: Flowers in Concrete). Auch Salzburg und Linz sind geplant, Details in Kürze auf www. glitzerundgrind.at.

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»Ich wollte eine Geschichte schreiben, nicht irgendwelche Egos streicheln.«
— Claus Oistric
Archiv von Issy Fellmann

V°T//music powered by

27.11.2023 | WIENER STADTHALLE, Halle F 08.01.2024 | SALZBURGARENA

performed by

Amazing Spider man 2 | The Dark Knight | Lone Ranger | Interstellar | Dune Gladiator | Sherlock Holmes | Man of Steel | Wonder Woman | Spirit Pearl Harbor | Pirates of the Caribbean | Inception | Madagascar | The Lion King

www.artconcert.at

Foto © Marcel Urlaub

Das rockige Haus im Felsen 30 Jahre Rockhouse Salzburg

Die »Fischgräten« im großen Saal sind nicht nur optisch markant, sondern helfen auch dem Sound.

Nach drei Jahrzehnten lohnt es sich ohne Zweifel, mal einen Blick auf jenen Veranstaltungsort zu werfen, der es geschafft hat, neben Festspielen und »The Sound of Music«-Tour zu einer Salzburger Institution zu werden. Das Rockhouse gibt internationalen Acts wie der lokalen Szene gleichermaßen eine Bühne. Letzteren nicht zuletzt mit der Schiene »Local Heroes«. Eine Bestandsaufnahme. ———— Salzburg ist ein Freiluftmuseum. Das war meine Erfahrung als Jugendlicher vor zwei Jahrzehnten und dieser Eindruck hat sich bis heute gehalten. Die Innenstadt ist Kulisse für Tourismus und Festspiele. Junge Menschen scheinen in der Stadt allerhöchstens geduldet. Nur nicht zu laut, nur nicht zu spät, nur nicht zu auffällig.

Räume, in denen Jugend- oder ganz allgemein Popkultur passieren kann, sind dementsprechend rar gesät. Einer, der schon seit 30 Jahren besteht und dadurch zu einem Fixum für die Salzburger Szene geworden ist, liegt ein bisschen außerhalb des Stadtzentrums, am Fuße des Kapuzinerberges, in einem 1842 erbauten Gebäude, mit Veranstaltungsräumen, die zum Teil in den Berg hineingegraben wurden. Die Rede ist natürlich vom Rockhouse.

Erkämpfter Raum

Entstanden ist das Rockhouse – wie könnte es anders sein – erst nach langwierigen Kämpfen. »1981 sind ein paar Musiker*innen im Sternbräu zusammengesessen und wir haben

festgestellt, dass man nicht einmal nett ignoriert wird in Salzburg«, erinnert sich Wolfgang Descho. »Damals haben wir beschlossen, es braucht eigentlich so was, wie sie es auch in Linz oder Wien gefordert haben, ein Haus für unsere Musik, ein Rockhouse.« Bis dieses dann tatsächlich aufsperren konnte, zogen allerdings noch zwölf weitere Jahre, diverse Benefizfestivals, Anzeigen wegen Ruhestörung, Petitionen und politische Wechsel ins Land. »Wir haben oft vor den Wahlen Gebäude besichtigt – und nach den Wahlen war alles vergessen«, so Descho.

Doch am 14. Oktober 1993 öffnete das Rockhouse dann endlich seine Tore. »Das Konzept, mit dem wir damals gestartet sind,

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Ludwig Seidl, Rockhouse (3)

Von Lärmbeschwerden bleibt das Rockhouse aufgrund seiner Lage eher verschont.

ist in den Grundzügen nach wie vor dasselbe wie heute. Zuerst eben das kreative Arbeitshaus mit Proberäumen, Rockhouse-AcademyWorkshops, Fortbildungen, einem Treffpunkt – sprich Bar – und dann natürlich die Präsentation einer nationalen und internationalen Szene, wobei wir besonderes Augenmerk auf die heimische Szene legen«, fasst Descho die Grundpfeiler des Rockhouse zusammen.

Wolf Arrer, hauptverantwortlich für die Programmierung, ergänzt die Booking-Philosophie: »Das Erste ist natürlich, dass wir ein Haus für die regionale Szene sind. Aber wir sind auch international orientiert, holen internationale Trends nach Salzburg. Wir sind interessiert an Pop-Subkulturen, an Nischen, an neuen Tönen. Wir sind stilistisch offen. Wir schließen grundsätzlich gar nichts aus. Und wir sind auch ein generationenübergreifendes Haus, wo von 15 bis 75 Jahren alles vertreten ist.«

Wo die Jugend jammt

Auch Giovanna Fartacek, bekannt unter anderem als eine Hälfte von Mynth und durch ihr neues Soloprojekt Berglind, war schon in jungen Jahren im Rockhouse unterwegs: »Mein großer Bruder hat damals die Workshop-Band geleitet. Wir haben auch immer Proberäume

dort gehabt und es gab eine Veranstaltung mit Open Stage für Sessions. Für uns war das ein Fixpunkt. Da sind wir regelmäßig zum Jammen hingefahren. Es waren immer junge Leute dort, das hat sich angefühlt, als gäbe es eine junge Szene in Salzburg. Allein schon deswegen bin ich mit dem Haus sehr verbunden.«

Eine Rockhouse-Schiene, die Giovanna besonders hervorhebt ist »Local Heroes«, bei der (noch) großteils unbekannte Acts aus der Umgebung die Gelegenheit bekommen, im Rockhouse zu spielen. »Mit unserer ersten Band Deadnote Danse! sind wir gleich einmal im Rahmen von ›Local Heroes‹ auf der großen Bühne aufgetreten. Das ist ein Konzept, das sie sich nach wie vor bewahren: Junge Bands dürfen gleich auf diese richtig große Bühne. Man erlebt so recht früh, wie es vielleicht mal ist, wenn man ein bisschen bekannter ist. Uns hat das damals schon sehr geholfen und es ist auch heute noch eine große Ehre, auf dieser Bühne spielen zu können.«

Sebastian Abermann, Frontman der Band James Choice, verbindet ebenfalls eine lange und erlebnisreiche Geschichte mit dem Rockhouse. Bei »Local Heroes« ortet er jedoch Kritik im Hinblick auf die Bezahlung der Bands: »Es gibt dort keine Gage, sondern du musst praktisch als Band alle deine Freund*innen dazu bringen, dass sie dir deine Karten abkaufen, und kriegst dann die Hälfte vom Geld aus dem Kartenverkauf. Die Bands machen da die Arbeit, die eigentlich das Haus machen sollte. Vor allem, wenn es eine Förderung kriegt. Das geht mit aktuellen Konzepten wie Fair Pay halt nur schwer zusammen. Stattdessen ›regelt‹ der freie Markt sozusagen, wie viel Kohle man bekommt.«

Nachwuchsförderung

ziellen Gewinn. Es sei auch wichtig, dass sich die Bands aktiv in den Prozess einbrächten.

Abschließend wünscht Sebastian Abermann dem Rockhouse aber vor allem: »Alles Gute zum Geburtstag! 30 Jahre zu bestehen, ist nicht selbstverständlich. Ich erinnere mich gerne an all die wunderbaren, durchgemach-

Auch Giovanna Fartacek meint, dass sich Häuser wie das Rockhouse durchaus eine Fixgage leisten können müssten, selbst wenn sie nur gering ausfällt. Wolfgang Descho sieht einen Auftritt bei »Local Heroes« allerdings weniger als klassisches Booking, sondern mehr als Förderung für junge und regionale Bands. Das Rockhouse mache dabei sicher keinen finan-

ten Partynächte bei geilen Bands im Rockhouse. Im Rockhouse passieren nach wie vor coole und spannende Sachen. Wie bei jeder Institution, die so lange besteht, gibt es allerdings Punkte, die man genauer anschauen muss und hinterfragen darf. Letztlich bin ich sehr froh und dankbar, dass es diesen Ort gibt. Ich würde mir wünschen, dass er weiter besteht, aber auch noch stärker ein Nährboden für neue Leute wird, der niederschwelliger zugänglich ist.«

Das Rockhouse Salzburg feiert am 13. und 14. Oktober seinen 30. Geburtstag mit Acts wie Avec, Bon Jour, Please Madame und Berglind. Letztere nützt ihren Auftritt gleich als Release-Show für ihr Solodebüt »Feste Feiern Fallen«, das am 13. Oktober erscheint. James Choice veröffentlichen ihre neue Platte »So It Goes« am 20. Oktober.

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Wolf Arrer Programmleiter
»Wir sind interessiert an Pop-Subkulturen, an Nischen, an neuen Tönen. Wir sind stilistisch offen. Wir schließen grundsät zlich gar nichts aus.«
— Wolf Arrer
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Tiktok und Mental Health Wie Social Media unsere mentale Gesundheit beeinflussen

Es scheint paradox, dass sich gerade jene Plattformen, die uns ein vermeintlich perfektes Leben vorleben, allzu oft negativ auf unsere Psyche auswirken. Doch seit ein paar Jahren bekommen psychische Erkrankungen in den sozialen Netzwerken vermehrte Aufmerksamkeit. Ob Borderline, Depressionen oder ADHS/ADS: Zu fast jedem Krankheitsbild gibt es mittlerweile Sharepics und Tiktoks. Wiegt diese neue Sichtbarmachung die negativen Effekte von Social Media auf? ———— Satte 39 Prozent aller Österreicher*innen leiden oder litten schon unter einer psychischen Erkrankung. Das ergab eine Befragung im Auftrag des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP) aus dem Jahr 2020. Betroffene sind damit also alles andere als alleine. Es ist wichtig sich das zu vergegenwärtigen, denn über Angststörungen, Depressionen, ADHS/ADS, Schlafstörungen oder Suchterkrankungen zu sprechen, ist oft tabu. Dabei können sie bei Betroffenen und Angehörigen für großes Leid sorgen. Unter diesen Umständen ist ein geregelter Lebensablauf nur bedingt möglich, nicht umsonst zählen psychische Erkrankungen zu den häufigsten Gründen für Fehlzeiten. Bei Jugendlichen sind Suizide gar eine der häufigsten Todesursachen.

Im Schatten der Pandemie

Wie schlecht es um die psychische Gesundheit der Jugend bestellt ist, zeigt die Studie »Health Behaviour in School-aged Children«, deren Daten 2021/22 im Schatten der Pandemie erhoben wurden. Sie besagt, dass im Zeit-

raum der letzten zwölf Jahre Beschwerden wie Gereiztheit, Nervosität, Niedergeschlagenheit oder Schlafschwierigkeiten deutlich anstiegen. Fühlten sich 2010 noch weniger als zehn Prozent niedergeschlagen, sind es 2022 über 20 Prozent. Gleichfalls verdoppelte sich der Anteil der Schüler*innen, die sich im Alltag gereizt fühlen auf 35 Prozent.

Nicht nur online ist toxisch Seit 2018 ist in dieser Erhebung Handynutzung auch ein Thema. Rund neun Prozent der Jugendlichen weisen starke Anzeichen für »problematische Nutzung« sozialer Medien auf, bereits jede*r zweite Jugendliche zeigt leichte bis mittelstarke Anzeichen. Die Studie assoziiert »problematische Nutzung« mit Abhängigkeitssymptomen und zieht eine Verbindung zu anderen gesundheitlichen –insbesondere psychischen – Problemen.

Inwiefern sich diese Zahlen in den letzten Jahren wieder verändert haben, ist schwer zu eruieren. Brigitte Sindelar, die das Sindelar Center leitet und an der Sigmund-Freud-Uni forscht, berichtet jedenfalls von einem »massiv erhöhten Bedarf an psychotherapeutischer und klinisch-psychologischer Hilfestellung«, worauf mit einer Verdoppelung der Kapazitäten in Wien reagiert worden sei.

Tobias Dienlin von der Uni Wien beschäftigt sich mit der Thematik, wie soziale Medien unser Wohlbefinden beeinflussen. Auf die Frage, ob diese nun gut oder schlecht für Menschen sind, gebe es keine eindeuti -

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ge Antwort aus der Wissenschaft: »Man kann leider nicht einfach einen Mittelwert für Online- oder Offlinekommunikation bestimmen.« Es gebe auch offline toxische Beziehungen und außerdem verschiedene Nutzungsarten von Onlinekommunikation, so Dienlin. »Pauschal gesprochen haben soziale Medien einen kleinen negativen Effekt. Zwar können Menschen, denen es bereits gut geht, eher ihre Stärken über soziale Medien ausbauen. Denjenigen, denen es eh schon schlechter geht und die beispielsweise Schwierigkeiten bei der Impulskontrolle zeigen, tun soziale Medien allerdings nicht gut.«

Wie zweischneidig soziale Medien sind, veranschaulicht auch das Phänomen der Influencer*innen: Für die einen können sie als positive Inspiration dienen, für die anderen werden sie zum unerreichbaren Ideal. Dass Inhalte über psychische Erkrankungen im Trend liegen, sieht Dienlin verhalten positiv: »Was ich wirklich positiv und als schönen Teil von Social Media empfinde, ist wie dort zur Destigmatisierung beigetragen wird. Dennoch gibt es auch Kehrseiten: So kommt es zu einem ›washing‹, bei dem es fast schon schick wird, wenn man eine Diagnose als Label vor sich hertragen kann. Aber natürlich haben nicht alle, denen es eine Woche schlecht geht, eine Depression und nicht alle, die Depressionen hatten, sind automatisch Expert*innen.«

Borderline laut Internet

Christiane Eichenberg von der Sigmund Freud Privatuniversität Wien setzt sich damit auseinander, wie neue Medien die psychotherapeutische Praxis beeinflussen. Ihr Urteil klingt ähnlich: »Der Einfluss sozialer Medien auf die Wahrnehmung psychischer Erkrankungen und die Effekte auf die Einzelnen sind komplex und können positiv, aber auch negativ sein. Neben positiven Effekten wie der Enttabuisierung der Krankheiten und dem Durchbrechen der sozialen Isolation der Betroffenen, sehen wir auch, dass Betroffene vermehrt zur Psychotherapie ermutigt werden.«

Gleichzeitig bringe die erhöhte Aufmerksamkeit für psychische Krankheiten die Gefahr von unsensiblen bis diffamierenden Kommentaren mit sich, was den positiven Effekten entgegenstehe, so Eichenberg. Zudem verstärke sich auch das Risiko von fehlerhaften Selbstdiagnosen: »Betroffene holen sich dann keine Hilfe oder sie gehen in eine Psychotherapiepraxis und meinen, sie hätten Borderline, weil es ihnen das Internet so gesagt habe.«

Videoblogging werde für die Betroffenen von psychischen Erkrankungen aber durchaus positive Effekte zugeschrieben. Eichenberg: »Hier kamen Forscher*innen 2019 zum Schluss, dass es die Genesung der Erkrank-

ten fördert, indem es Unterstützung durch Betroffene und Interessierte bietet, die sich über die Kommentarfunktion äußern.«

Die negativen Auswirkungen von Instagram und Co auf Heranwachsende bestätigt hingegen eine geleakte interne Studie des Facebook-Konzerns Meta: Bei 32 Prozent der Mädchen im Teenageralter verstärke Instagram bestehende Verunsicherungen, was den eigenen Körper betrifft, so die firmeneigene Präsentation. Weiters würden Teenager die Schuld für zunehmende Angststörungen und Depressionen bei Instagram sehen – manche sogar für Suizidgedanken. Wie repräsentativ und robust diese Erhebungen waren, ist strittig. Jedenfalls wurde die weitere Entwicklung einer eigenen App für Kinder unter 13 nach großem Aufruhr eingestellt.

Wege aus der Krise aufzuzeigen. »Wichtig ist, dass die drei ›Papageno‹-Botschaften transportiert werden. Erstens: die Überwindung von Krisen. Zweitens: Hinterbliebene sollen zu Wort kommen, denn diese finden sich hinterher oft in ähnlichen Krisen wie Betroffene. Drittens: einen Umgang mit Gefühlen aufzeigen«, so Marboe. Um dieses Ansinnen zu unterstützen, wird seit 2019 in Österreich auch der Papageno-Medienpreis für suizidpräventive Berichterstattung vergeben.

Reflektierter Umgang

Mit Mental Health Days an Schulen setzt der Verein VSUM rund um Golli Marboe auch direkt bei Jugendlichen an und liefert ein gutes Beispiel, wie man die Situation verbessern kann. Tobias Dienlin rät trotzdem nicht völlig von sozialen Medien ab: »Social Media führt schon oft auch zur Verbesserung der sozialen Einbindung. Erkrankte können sich mit anderen Betroffenen vernetzen. Es ist aber wichtig, seinen Umgang mit sozialen Medien zu reflektieren und Achtsamkeit an den Tag zu legen.«

Golli Marboe setzt sich mit dem Verein zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien (VSUM) unter anderem für Medienkompetenz bei Jugendlichen ein, etwa in Bezug auf das eigene Körperbild. Durch den Selbstmord seines Sohnes hat er ein besonderes Bewusstsein für die psychische Gesundheit von Jugendlichen. »Gerade bei Menschen, die sich noch in ihrem Leben orientieren und einen Platz suchen, ist es wichtig, Resilienz und Vertrauen zu fördern. Oft sollen wir einen Schein waren und perfekt sein, aber wir bekommen nicht beigebracht, wie man damit umgeht, wenn die Mutter ein Alkoholproblem hat oder in der Schule jemand gemobbt wird«, so Marboe. »Was wir übersehen, ist, dass sich Betroffene aus dem sozialen Umfeld zurückziehen, aber weiter Medien – klassische und soziale – konsumieren. Es wäre daher absurd, nicht zu versuchen, auch diese Leute zu erreichen.«

Marboe plädiert daher auch dafür, von der reinen Vermeidung des »Werther-Effekts« –der Nachahmung von Suizid ausgelöst durch Berichterstattung – wegzukommen und in den Medien im Sinne des »Papageno-Effekts«

Es scheint auf der Hand zu liegen, sollte aber hier trotzdem noch einmal explizit gesagt werden: Niemand ist schuld an seiner eigenen psychischen Erkrankung. Neben genetischen Faktoren sind auch immer soziale und Umweltkomponenten für das psychische Befinden wesentlich. Ein komplexes Netz an Aspekten, das kaum einfache Erklärungsmodelle zulässt. Aufklärung allein kann daher auch keine psychischen Erkrankungen verhindern. Mit einer verbesserten gesundheitlichen Unterstützung und verbesserten psychotherapeutischen Versorgung könnte jedoch vielen Betroffenen geholfen werden. Schließlich sollte niemand im Umgang mit Krisensituationen und psychischen Erkrankungen auf sich allein gestellt sein. Die eingangs zitierte Befragung im Auftrag des BÖP kam jedoch zum Schluss, dass die Versorgungssituation für Menschen mit psychischen Erkrankungen unbefriedigend ist: 65 Prozent gaben hier an, dass sie sich eine notwendige psychologische Behandlung nicht leisten könnten. Hier wäre dringend Nachbesserung durch die Gesetzgeber*innen nötig.

Bei akuten Krisen gibt es viele Anlaufstellen, die Betroffenen und Angehörigen zur Seite stehen: Kinder und Jugendliche können sich an Rat auf Draht wenden – unter rataufdraht.at oder der Telefonnummer 147. Weitere Anlaufstellen sind bittelebe.at sowie der Kindernotruf unter 0800 / 567 567. Bei allgemeinen psychischen Notlagen helfen das Kriseninterventionszentrum unter 01 / 406 95 95, der Sozialpsychiatrische Notdienst unter 01 / 313 30 oder etwa der Männernotruf unter 0800 / 400 777.

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»Was wir übersehen, ist, dass sich Betroffene aus dem sozialen Umfeld zurckziehen, aber weiter Medien –klassische und soziale – konsumieren.«
— Golli Marboe

Gemeinsam das Unvorstellbare möglich machen

Der aufstrebenden Musikerin Neiyla sind Initiative und Engagement wichtig. Mit ihrem Song »Unthinkable« stellt sie der Kindernothilfe den passenden Soundtrack für deren »Herzensprojekt« in Nordthailand zur Verfügung: »Let’s do the unthinkable. Let’s make it possible.«

Sie freue sich sehr, so die Linzer Musikerin Neiyla, dass sie bei der Kindernothilfe mitwirken dürfe. Die Geschichten der Kinder, derer sich die Hilfsorganisation annimmt, hätten sie sehr berührt. »Ich finde es unglaublich bewegend, wie die Kindernothilfe das Leben so vieler junger Menschen positiv und nachhaltig verändert und ihnen die Chance gibt, ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen.«

Nur zu gut lassen sich diese Emotionen nachvollziehen: Die Kindernothilfe stärkt und schützt Mädchen und Buben in 33 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Insbesondere Waisenkindern, Mädchen, Kindern mit Behinderungen, Straßenkindern, arbeitenden Kindern und Kindern von ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen wird diese Unterstützung zuteil. In den Hilfsprojekten wird ausgewogene Ernährung, sauberes Trinkwasser, Schulund Ausbildung sichergestellt. Und auch im Katastrophenfall ist die Kindernothilfe dank lokaler Partner*innen rasch vor Ort.

»Herzensprojekt« Baan Doi

Mit ihrem Song »Unthinkable« unterstützt Neiyla nun das erste Kindernothilfe-»Herzensprojekt« und stellt diesem einen musikalischen Begleiter zur Seite. Im Rahmen dieses Projekts finden Kinder im Kinderhaus Baan Doi im Norden Thailands ein neues Zuhause. Die Anlage wird aktuell um ein Grundstück erweitert, um den Mädchen und Buben auf diesem Jobs und Wohnmöglichkeiten bieten zu können. Und um die Baan-Doi-Familie in Zukunft nachhaltig mit Obst, Gemüse, Geflügel und Fisch aus biologischem Eigenanbau zu versorgen.

Sich großen Herausforderungen zu stellen, das Unmögliche möglich zu machen, darum geht es in »Unthinkable«. »It’s not impossible, it’s not unthinkable to change the world that we are living in«, singt Neiyla in dem Popsong, den sie schrieb, als sie 17 Jahre war. Sie wollte sich darin auf positive Weise mit den Ärgernissen auf der Welt auseinandersetzen. Sie wollte dazu ermu-

tigen, globale Probleme nicht einfach tatenlos hinzunehmen, sondern ihnen ins Auge zu blicken. Schließlich sei es nicht unmöglich, etwas in unserer Welt zu verändern. Schritt für Schritt.

»Mit ›Unthinkable‹ wollte ich etwas bewegen«, sagt die Musikerin. »Und bei der Kindernothilfe Österreich hat mein Song seinen perfekten Platz gefunden.« Im Zuge der Zusammenarbeit ist auch ein Musikvideo entstanden, in dem unter anderem berührende Aufnahmen vom Kindernothilfe»Herzensprojekt« in Baan Doi zu sehen sind.

Mit Herz und Initiative

Ihre Musikkarriere startete Lena Hoffelner alias Neiyla schon mit 16 Jahren: »Ich wollte nicht mehr auf jemanden warten, der mir meinen Traum, Sängerin zu werden, erfüllt und entschloss mich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.« Sie begann damit, sich selbst Konzerte zu organisieren – anfangs in Österreich, später aber etwa auch in England, Schottland und Deutschland. Ihre Debütsingle »Good Thing« folgte 2020. 2023 war sie unter den Finalist*innen des Austrian Composers Songwriter Awards.

Mit ihrem positiven Sound und gefühlvollen Texten möchte die Linzerin vor allem junge Menschen ansprechen und sie ermutigen, selbst aktiv zu werden und selbstbewusst ihre Potenziale und Ziele zu verwirklichen: »Hab Mut, deine Ziele zu verwirklichen und arbeite hart für die Dinge, die dir wichtig sind. Das Leben ist kurz, genieße die Zeit, die du hast und gestalte sie so, dass du glücklich bist.«

Du möchtest nähere Infos zur Kindernothilfe und ihren aktuellen Projekten oder das »Herzensprojekt« Baan Doi als »Schrittmacher*in« unterstützen? Unter www.kindernothilfe.at/helfen/herzensprojekt erfährst du mehr dazu!

Musikerin Neiyla
PROMOTION Fotos Kindernothilfe / Julia Drazdil-Eder, Florian Koch
»Herzensprojekt« Baan Doi

Intendant*in, wechsel dich Alles neu an den Bühnen Österreichs?

Internationaler Theater- und Performancebetrieb bedeutet, was die künstlerische Leitung betrifft, immer wieder ein Kommen und Gehen. Doch gerade jetzt scheint in der veränderungsträgen Republik kein Stein auf dem anderen zu bleiben. Was die anbrechende Spielzeit an den verschiedenen Bühnen des Landes bereithält und welche Veränderungen sich möglicherweise anhand von Führungsentscheidungen ablesen lassen. ———— Es ist ein wirklich netter Weg zum Spazierengehen auf der schönen Allee im Mittelstreifen der Oswaldgasse in Wien-Meidling. Linker Hand dann ein Gebäude, das seit Kurzem einen neuen Anstrich verpasst bekommen hat: das Kabelwerk. »Theater am Werk« steht in serifenloser Schrift auf mintgrünem Grund. Versteht man diesen Titel als ein »am Werk sein« – und auch das soll die Bezeichnung evozieren –, so ist dies allein schon am Foyer auf dem Weg zur Pressekonferenz ersichtlich. Denn jenes zeigt überdeutlich, dass hier noch ziemlich Baustelle ist.

»Wir wissen, Theater sind nicht nur in Bewegung, sondern auch mitunter eine große Herausforderung für das gesamte Team«, eröffnet Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Ein »neues leuchtendes Zeichen« nennt sie das Theaterhaus, das man bislang als Werk X kannte und das vor seiner Neueröffnung steht. Die frisch gebackene Leiterin dieser Spielstätte heißt Esther Holland-Merten und sie ist nun auch zuständig für das Werk X-Petersplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk. Das aktuelle Spielzeitmotiv

zeigt eine Nahaufnahme roter Kirschen und den schriftlichen Zusatz: »Theater im Herzen von Wien«. Zu den Veränderungen der Theaterlandschaft äußert sie sich vorsichtig: »Ich glaube, dass erst einmal unser Start hier im Theater am Werk gelingen muss – mit unseren Eröffnungsproduktionen im Oktober.«

und Republik eine ganze Reihe Wechsel von Intendanzen stattfinden. Auf den Wiener Klein- und Mittelbühnen wie auch an den großen Häusern gehen Menschen, sie werden gegangen oder kommen neu hinzu, bringen neue Ideen mit an die Kulturstandorte. Das ist zumindest insofern bemerkenswert, als dass man Österreicher*innen im Allgemeinen und Wiener*innen im Speziellen nachsagt, es lieber gemütlich und nicht unbedingt reformbegeistert anzugehen.

The future is female

Wenn Kaup-Hasler bei der Pressekonferenz verlautbart, dass sich in dieser Stadt vieles tue, lässt sich das – genau wie die Baustelle – symbolisch sehen für allerlei Veränderung innerhalb der Wiener und der österreichischen Theaterszene. Mittlerweile lässt sich kaum mehr ausblenden, dass in Stadt

Einen Tag vor der Pressekonferenz im Theater am Werk stellt Anna Horn, neue Leiterin des Dschungel Wien, dessen kommende Spielzeit vor. Das Theater für Jugendliche und junge Menschen hat sie vor Kurzem von Corinne Eckenstein übernommen. Zusammen mit der Bildungsanthropologin und Performerin Myassa Kraitt, die die CoLeitung der »Digitalen Bühne« übernehmen wird, der Dramaturgin und Kulturvermittlerin Elif Bilici und der kaufmännischen Leiterin Alexandra Hutter beantwortet sie die Fragen der Presseverteter*innen. Ein wohl bewusst weibliches Team, teils migrantisierter Frauen. Im deutschsprachigen Raum war das zuletzt zumindest kein vollkommen ungewöhnlicher Anblick mehr. Unter anderem das Berliner Theatertreffen und das Deutsche Theater Berlin setzen mittlerweile auf weibliche Leitungen, wie auch in Hamburg das Thalia Theater und das Deutsche Schauspielhaus oder die Münchner Kammerspiele und das Schauspiel Hannover.

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Special Bühne
Julian Lee-Harather
»Wenn es den Theatern einer Stadt als Ganzes gut geht, dann haben alle was davon. Kein Haus profitiert, wenn die großen Tanker in der Krise sind.«
— Martina Grohmann

Schauspielhaus Wien

Gleich vier Menschen wurden als neue Intendant*innen des Schauspielhauses Wien vorgestellt: Regisseurin Marie Bues, die Dramaturg*innen Martina Grohmann und Tobias Herzberg sowie Autor Mazlum Nergiz. Sie stehen für den diversen Anspruch des Hauses. »Wir setzen auf partikulare Geschichten«, erläutert Mazlum Nergiz, »das heißt, wir wollen da hinschauen, wo es besonders auf die Details einer Erzählung ankommt, zum Beispiel auf die Details einer Identität, eines Bildes oder einer Erzählperspektive.« Dass das Ensemble größer, weiblicher, diverser werde, sei ein Unterschied zur vorigen Intendanz, meint Martina Grohmann: »Insgesamt wollen wir das Haus stärker öffnen – zur Nachbarschaft im Alsergrund und in der ganzen Stadt.« Für ganz Wien solle das Schauspielhaus ein zugänglicher Ort sein, ergänzt Tobias Herzberg: »Ein Theater, das niemanden abweist oder einschüchtert, sondern stattdessen Barrieren aktiv abbaut.«

Andreas Fleck, der designierte Intendant der Performing-Arts-Schiene des WUK, bekräftigt diesen Eindruck auch für Wien: »Zumindest in der Tendenz lässt sich ablesen, dass die Besetzungen weiblicher werden, was eine total positive Entwicklung ist. In den Klein- und Mittelbühnen tut sich da wirklich etwas.«

The future is under construction

Zurück zum Thema Baustelle: Auch Fleck übernimmt eine solche, denn noch bis Ende des Jahres befindet sich das Kulturzentrum im Umbau und so beginnt der Theaterbetrieb erst 2024. Neben den fixierten Produktionen des kommenden Spielplans möchte er auch Platz lassen für Formate, die in kürzerer Vorlaufzeit wachsen – eine fortwährende Programmierung under construction. Nicht zuletzt darin sieht Fleck auch einen Vorteil gegenüber den großen Bühnen der Stadt: »Tendenziell ist man nicht abhängig von einem Abo-Publikum, das man irgendwie bedienen muss. Man kann versuchen, in junge Publikumsschichten reinzuprogrammieren.«

Durch die grundsätzlich knapper angelegten Planungszeiten für Projekte sei man auch näher an dem, was Menschen konkret gerade umtreibt: »Man ist viel flexibler in den Themen, die gerade in der Stadt wichtig sind – wenn man sich zum Vergleich etwa das Burgtheater anschaut, das wahrscheinlich schon an der Planung für 2026 dran ist und Stücke dafür organisiert.« Er selbst habe hingegen, so Fleck, die Möglichkeit 2024 ein kleines Format zu machen und sich darin mit dem, was bis dahin passiert, zu beschäftigen. »So lässt sich einfach direkter auf die Ereignisse in einer Gesellschaft reagieren.«

031
»Ob das Theater zu unserer Eröffnung in die Luft fliegt –vor Empörung oder Euphorie –oder ob es doch noch eine Chance bekommt, wissen wir noch nicht.«
Tobias Herzberg

Dschungel Wien

»Ein aufregendes Programm, das sich mit den Fragen und Wünschen junger Menschen in Wien auseinandersetzt und gleichzeitig Mut macht und zum Laut-Sein anstiftet«, verspricht Anna Horn, die neue Intendantin des Dschungel Wien für ihre erste Spielzeit am Haus. Die studierte Theaterwissenschaftlerin hatte bereits in Berlin, Köln, München und Hannover gearbeitet, bevor sie die Leitung von Corinne Eckenstein übernahm. »Ich baue auf dem auf, was am Dschungel Wien bisher etabliert wurde. Nachhaltigkeit, Teilhabe, Diversität und Inklusion bleiben, wie an den meisten Theatern, die großen Themen«, erklärt sie die Herangehensweise an ihre Intendanz. Das Dschungel Wien möchte sie als einen Ort gestalten, an dem junge Menschen herausfinden können, wer sie sind, wie sie leben möchten, und den sie mit ihren Themen besetzen.

WUK Performing Arts

Falls ihr Andreas Fleck seht und euch fragt, woher er euch so verdammt bekannt vorkommt, könnten die »Fearleaders Vienna«-Wandkalender eine Antwort darauf liefern. Neben seiner Tätigkeit als Cheerleader ist Fleck seit einigen Jahren als freischaffender Dramaturg und Produktionsleiter in der freien Wiener Theaterszene aktiv. Im WUK wird seine Intendanz zunächst im Zeichen von Performance- und Tanzarbeiten stehen. Die erste Frühjahrshälfte soll sich mehr auf Gastspiele konzentrieren, dann folgen Koproduktionen mit der Wiener Szene. Zwischendrin soll es laut Fleck aber auch immer wieder kleine oder größere Partyveranstaltungen geben. Als Intendant möchte er offen bleiben für das, was in der Stadt passiert, das, was die Künstler*innen umtreibt, die gerade produzieren. Als einen seiner Schwerpunkte sieht er das Thema Nachhaltigkeit – »auch dahingehend, wie wir produzieren, wie Theater und ein Touring-System funktionieren können und mit welchen Materialien, mit welcher Technik wir arbeiten müssen, um zukunftsfit zu werden«.

032 XXX Special Bühne

Theater am Werk

Unter Esther Holland-Merten, der vormaligen Intendantin der Performing-Arts-Schiene des WUK, verbinden sich das Werk X in der Oswaldgasse und das Werk X-Petersplatz unter dem Namen Theater am Werk. »Die beiden Orte bilden eine Spange, die sich über die Stadt spannt, und an beiden Orten werden spannende Projekte ermöglicht. Darin soll vor allem dem Dialog mit der Stadt Raum gegeben werden«, führt Holland-Merten aus. Die gebürtige Berlinerin kann eine lange Laufbahn in der deutschen Theaterszene vorweisen. Seit 2013 lebt sie in Wien und hat hier einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden. Sie hat sich das Ziel gesetzt, die zwei Häuser gleichberechtigt zu bespielen – zwei Spielorte in zwei Herzen Wiens. »Beide sollen offen sein für Themen der Stadt, für die Künstler*innen, die hier leben und arbeiten, und für das Publikum, das hier lebt und neugierig ist auf das, was wir anbieten.«

Hinsichtlich der vielen Intendanzwechsel sieht er durchaus ein bewusst gesetztes Signal – auch abgekoppelt von Fragen nach (Geschlechts-)Identität –, und zwar dahingehend, dass ein bestimmter Führungsstil schlicht als nicht mehr zeitgemäß gesehen werde. Fleck: »Wie man Häuser leitet, wird schon sehr stark hinterfragt. In welchen Strukturen man arbeiten möchte, wie Hierarchien funktionieren. Da sehe ich eine Entwicklung und ein Nachdenken darüber, wie man das zukünftig gestalten kann.«

The future is democracy

Zu diesem Hinterfragen von Führungsmodellen kann auch die Bestellung der Viererformation gezählt werden, die zukünftig das Schauspielhaus Wien leitet. Regisseurin Marie Bues, die Dramaturg*innen Martina Grohmann und Tobias Herzberg sowie Autor Mazlum Nergiz wurden bereits im Mai letzten Jahres als Leitungsquartett vorgestellt. Inhaltlich beschrieb das Intendant*innenteam die angestrebte Ausrichtung des Spielorts damals als »Tummelplatz der Ausdrucksform«. Darauf angesprochen präzisiert Marie Bues: »Wir finden, dass Autor*innentheater und starke Regiehandschriften einander nicht ausschließen. Im Schauspielhaus war schon immer Platz für verschiedene ästhetische Zugänge. Schauspiel ist eine sich stets wandelnde Kunstform.«

Als erste Premiere in der im November beginnenden Spielzeit hat man sich für die österreichische Erstaufführung von Sivan Ben Yishais Stücktext »Bühnenbeschimpfung« entschieden. Im Gegensatz zu Peter Handkes »Publikumsbeschimpfung« werden hier nicht Publikum – sondern als Selbstbeschimpfung – Machtstrukturen und die Arbeitsbedingungen im Theater angegriffen. Dramaturg Tobias Herzberg, in freudiger Erwartung des Spielzeiteinstands: »Ob das Theater zu unserer Eröffnung in die Luft fliegt – vor Empörung oder Euphorie – oder ob es doch noch eine Chance bekommt, wissen wir noch nicht. ›Bühnenbeschimpfung‹ ist auch eine Liebeserklärung an ein kritisch durchleuchtetes Theater und macht Lust darauf, sich vorzustellen, was wäre, wenn alles ganz anders wäre.«

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»Wie man Häuser leitet, wird sehr stark hinterfragt. In welchen Strukturen man arbeiten möchte, wie Hierarchien funktionieren.«
— Andreas Fleck
Franzi Kreis, unkitschig, Franz Jachim

Tiroler Landestheater

Irene Girkinger kennt die österreichische Theaterlandschaft nach Stationen am Volkstheater Wien, dem Theater Phönix in Linz, dem Schauspielhaus Salzburg sowie bei den Salzburger Festspielen gut. Nun wechselt sie als Intendantin von den Vereinigten Bühnen Bozen zum Tiroler Landestheater. Für die neue Spielzeit verspricht sie »spartenübergreifende Produktionen, ein Bekenntnis zur Zeitgenossenschaft, Diversität und Vielseitigkeit im Ensemble sowie eine Aufwertung für das junge Theater und die Vermittlungsarbeit.« Das Tiroler Publikum sei ein sehr erfahrenes, was Musiktheater angeht: »Ich bin überzeugt, dass auch seltener gespielte Werke durchaus von Interesse sind. Wir müssen Erstaufführungen verstärkt fördern und auch Werke zeitgenössischer Tiroler Komponist*innen auf die Bühne bringen.« Ihren Auftrag versteht sie (auch) als einen gesellschaftlichen: »Theater soll unterhalten, aber Theater ist auch politisch. Es muss einen Beitrag zum politischen Diskurs leisten und auch das Publikum zur Diskussion anregen.«

Schauspielhaus Graz

Andrea Vilter, der neuen Intendantin des Schauspielhauses Graz ist wichtig, ein Stadttheater zu leiten, das Publikum vor Ort anspricht und zugleich auf hohem Niveau zeitgenössisches Theater macht. Zu ihrer Vita gehören Stationen an einigen Theatern in Deutschland wie auch ihre Arbeit als freie Dramaturgin u. a. am Burgtheater in Wien. Was man sich von ihrer ersten Spielzeit erwarten kann? »Das Besondere am Theater im deutschsprachigen Raum ist die immense Vielfalt an Theaterformen, Stilen und Handschriften. Ich sehe meine Aufgabe darin, möglichst viel davon für das Grazer Publikum zu zeigen.« Eine zentrale Veränderung, die sie als Leitung vornimmt, betrifft die Spielstätten. Aus dem vormaligen »Haus zwei« wird ein »Schauraum«. »Die Idee ist, die Gleichwertigkeit zur Hauptbühne beizubehalten und zugleich den Fokus auf den speziellen, intimeren Charakter dieser ehemaligen Probebühne zu setzen«, erklärt Vilter. Das »Haus drei« heißt fortan »Konsole« und soll dem Forschen an digitalen Theaterformen gewidmet sein.

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Bernhard Aichner, Johanna Lamprecht
Special Bühne

Auch außerhalb der Hauptstadt stehen aktuell Intendanzwechsel an. Am Schauspielhaus Graz hat Andrea Vilter mit der beginnenden Spielzeit die Intendanz übernommen – von Iris Laufenberg, die ans Deutsche Theater in Berlin wechselt. Und am Tiroler Landestheater folgt Irene Girkinger auf den langjährigen Leiter Johannes Reitmeier. Auch Girkinger setzt auf eine Diversifizierung der Leitung mit einem Team aus Co-Direktor*innen aus den verschiedenen Sparten des Hauses. »Prinzipiell geht es mir um die Verflachung der Hierarchie im Kunstbetrieb«, so Girkinger. »Ich habe die Verantwortung auf bestehende Positionen aufgeteilt und es gibt daher für die einzelnen Personen mehr Entscheidungskompetenz – sowohl nach innen als auch nach außen.«

Ein Thematisieren der Parameter soziale Herkunft, Sexualität und Geschlechtsidentität in Bezug auf Leitungsfunktionen kann man leicht abtun und auf Fertigkeit und Arbeitskompetenzen verweisen. Dahinter steckt aber auch die Frage, ob Frauen oder FLINTA* anders programmieren als cis Männer, die diese Positionen jahrhundertelang besetzt haben. Das muss nicht unbedingt so sein, Hinweise darauf lassen sich in den Spielplänen jedoch zur Genüge finden.

So setzte sich auch Andrea Vilter als Ziel für ihre Intendanz am Schauspielhaus Graz, Perspektiven zu suchen, die im klassischen Kanon oft nicht berücksichtigt werden. Im Zuge dessen stieß sie auf »Von einem Frauenzimmer« von Christiane Karoline Schlegel – »durch eine Fußnote bei Goethe«, wie sie berichtet. »Das Stück ist ein bürgerliches Trauerspiel, also ein Klassiker. Wäre Lessing der Autor, niemand würde sich wundern, dass man das Stück auf den Spielplan setzt. Was aber Schlegels Stück so spannend macht, ist das Thema Femizid, das zu Lebzeiten der Autorin als ›zu unmoralisch für ein Frauenzimmer‹ aus dem Theaterkanon aussortiert wurde.« Die Besonderheit sei, dass die Geschichte aus weiblicher Perspektive erzählt werde: »Ihr Blick auf den Täter unterscheidet sich merkbar von dem ihrer Zeitgenossen und das macht ihren Text spannend und relevant für die Gegenwart.«

Freilich rumort es auch an den großen Häusern in Wien und so ist fürs kommende Jahr bereits weitere Veränderung beschlossen. Die Wiener Festwochen werden dann

von Milo Rau geführt werden, die Leitung an der Wiener Volksoper übernimmt Ben Glassberg und Volkstheater-Intendant Kay Voges wird seinen Vertrag zugunsten einer neuen Führungsposition am Schauspiel Köln nicht verlängern.

The future is the past is the future

Auch für Martin Kusej, den scheidenden Burgtheater-Direktor, ist die letzte Spielzeit angebrochen. Auf ihn wird Stefan Bachmann als neuer Intendant folgen. In ihrer Vita unterscheiden sich die beiden Männer nur bedingt und so offenbaren sich hier vielleicht auch die Grenzen eines Strukturwandels, der niemals zu voreilig ausgerufen werden sollte. Wenngleich ein frischer Wind an einigen Häusern spürbar ist, bleiben die großen Hauptstadtbühnen weiter in Männerhand. Uwe Mattheiß kommentierte in der Berliner Taz den Direktorenwechsel am Burgtheater treffend: »Ein Neuanfang zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, Diversität, eine Antwort auf den Strukturwandel, den die Branche gerade durchlebt, ist diese Berufung nicht.«

Ob sich Bachmann an der Burg beweisen kann, wird sich zeigen, hat sich doch so mancher der zuletzt genannten Chef*innensessel als ziemlicher Schleudersitz erwiesen. Und inwiefern tangieren diese Rochaden die kleineren Häuser? Wird ihnen doch nicht selten eine angespannte Beziehung zu den großen nachgesagt. Martina Grohmann vom Schauspielhaus Wien sieht das Verhältnis eher entspannt, gibt aber zu bedenken: »Wenn es den Theatern einer Stadt als Ganzes gut geht, dann haben alle was davon. Kein Haus profitiert, wenn die großen Tanker in der Krise sind. Sich zu ergänzen und zu kooperieren ist unser Prinzip.«

Die neuen Spielzeiten am Tiroler Landestheater, am Schauspielhaus Graz und am Dschungel Wien sind bereits in vollem Gange. Das Theater am Werk zeigt am 5. Oktober »Die Verlorenen« an der Kabelwerk-Spielstätte und am darauffolgenden Abend »Romeo <3 Julia« am Petersplatz. »Bühnenbeschimpfung«, die erste Eigenproduktion der Saison am Schauspielhaus Wien, feiert am 3. November Premiere. Baustellenbedingt startet WUK Performing Arts erst im Jänner 2024 in die neue Saison.

Denise Ferreira da Silva & Arjuna Neuman

»Prinzipiell geht es mir um die Verflachung der Hierarchie im Kunstbetrieb.«
ANCEST RAL CLO UDS A NCES TRAL CLAIMS

Welches Theater passt zu mir? Der große BühnenPersönlichkeitstest von The Gap

Mal wieder ins Theater gehen … ach, wär das schön! Aber in welches nur?

Die Wiener Theaterlandschaft hat ja so einige Häuser zu bieten – von groß bis winzig und alles dazwischen. Da fällt die Auswahl nicht leicht. Zum Glück gibt es unseren, nach objektiven wissenschaftlichen Kriterien (citation needed) erstellten, Bühnen-Persönlichkeitstest. Nach nur einem Dutzend Fragen sagt er dir völlig klischeefrei, unvoreingenommen und mit hundertprozentiger Trefferquote, welche Bretter nicht nur die, sondern vor allem deine Welt bedeuten.

Wie ist deine Wohnung eingerichtet?

A Barockmöbel. Ausschließlich.

B Kitschig … aber edgy

C Wohnung?

D Hab ich alles am Neubaugassenflohmarkt gefunden.

E Die Möbel sind noch von der Vor-WG.

Was ist deine Lieblingspflanze?

A Englischer Rasen. Ja nicht drauftreten!

B Orchideen … solange sie blühen

C Ich bin mir nicht sicher, ob die Sukkulente noch lebt …

D Im letzten Tanzworkshop war ich ein Baum.

E Meine alte Venusfliegenfalle

Welches ist das Haustier deiner Träume?

A Perserkatze oder Jagdhund

B Labradoodle

C In den Spinnweben lebt bestimmt was.

D Ich hab gerade einen neuen Koi aus Japan eingeflogen.

E Mein Iguana ist nicht mein Haustier, sondern mein Mitbewohner.

Wohin fährst du im nächsten Urlaub?

A In mein Sommerhaus an der Amalfiküste

B Ins Londoner West End für das neueste Andrew-Lloyd-Webber-Musical

C Mit Interrail, weil das geht ja auch mit über 30!

D Zu einem Voguing-Ball in New York, da wollt ich immer schon hin!

E Im Austausch mit einem Frauenkollektiv nach Mexiko

Was machst du in deiner Freizeit am liebsten?

A Wirtschaftsteil der Presse lesen

B Ich singe im Schmusechor.

C Donnerstagsdemo organisieren

D Barfuß in der Lobau spazieren gehen, um der Natur näher zu sein

E Männertränen trinken

Welches ist deine Leib- und Magenspeise?

A Tafelspitz mit Apfelkren

B Cremeschnitte bei Aida

C Vegane Volxküche am Wagenplatz

D Peruanisch-japanisch-finnisch-äthiopische Fusion-Küche

E Swing-Kitchen-Burger

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Special Bühne

Was ist das letzte Theaterstück, das du gesehen hast?

A Goethes »Faust«

B »Hamilton« am Broadway

C Würdest du nicht kennen

D Ich war mit 100 anderen nackten Menschen in der Halle E

E Elfriede Jelinek . Aber nicht »Die Schutzbefohlenen«!

Magst du es, wenn auf der Bühne gesungen wird?

A Nur Einspieler von Opernarien

B Je mehr desto besser

C Singen. Schreien. Stöhnen. Alles super!

D Die menschliche Stimme kann so viel mehr als nur Gesang!

E Hip-Hop -Spoken-Word find ich besonders gut.

Bei welchem Musik-Act gehst du immer voll ab?

A Beim letzten Hit der Wiener Philharmoniker

B Beim Soundtrack von »High School Musical«

C Egal, Hauptsache Noise

D Die wahre Musik kommt aus deinem Inneren.

E Peaches, Bikini Kill, The Runaways, Hole … you get the drift

Welchen Song singst du heimlich unter der Dusche?

A »Time to Say Goodbye« von Andrea Bocelli und Sarah Brightman

B »Cell Block Tango« aus »Chicago«

C »Maschin« von Bilderbuch (siehe Coverstory)

D »I’ve Seen It All« von Björk und Thom Yorke

E »Respect« von Aretha Franklin

Wie erlangst du die Weltherrschaft?

A Ich hab sie schon.

B Meine Ideen hol ich mir bei »Les Mis«.

C Arbeiter*innen aller Länder, vereinigt euch!

D Solange meine Kommune gut leben kann …

E Smash the patriarchy!

L, G, B, T oder Q?

A B steht für Burg?

B Mein Outing als schwul haben meine Eltern supergut aufgenommen.

C Darf ich nur eins aussuchen?

D Poly! Was war die Frage?

E Das solltet ihr mittlerweile erraten können.

Auswertung

Der Buchstabe, den du bei den Antworten am häufigsten gewählt hast, entspricht deinem The-GapBühnen-Typ (patent pending).

Typ A

Das Burgtheater

Du bist weiß, cis und hetero. Gratulation dazu! Aber auch du hast natürlich Unterhaltung verdient. Für dich ist die Burg der ideale Spielort. Vielleicht würde es sich aber auch mal auszahlen, über den Tellerrand zu blicken. Mit der Lektüre dieses Hefts hast du ja immerhin schon den ersten Schritt gewagt.

Typ B

Die Volksoper

Wir wollen hier ja nicht in Klischees verfallen, aber dafür ist es vermutlich schon zu spät. Warst du in der Schulzeit schon ein theatre kid oder hast du es damals noch geheim gehalten? Egal, in der Volksoper wirst du jedenfalls herzlich willkommen geheißen werden. Nur nicht zu laut mitsingen bei den Showtunes!

Typ C

Das Brut

Einen völlig klaren Plan hast du zwar nicht immer, aber am Ende ist dein Herz doch am richtigen Fleck. Grenzen, Hierarchien und Labels sind dir ein Gräuel, deswegen bist du im Brut sicherlich gut aufgehoben. Schau halt nicht mit zu viel Argwohn auf andere Theaterfreund*innen, die es nicht ganz so experimentell mögen wie du.

Typ D

Das Tanzquartier

Du bist überall auf der Welt zu Hause und die ganze Welt bei dir. Theater, Tanz, Performance, Research – wie man das genau nennt, was du gerne anschaust, ist dir eigentlich gleichgültig. Da der letzte Impulstanz-Workshop ja schon länger vorbei ist, bist du wohl im Tanzquartier Wien am besten aufgehoben. Ob wir dir das wirklich sagen hätten müssen, sei dahingestellt …

Typ E

Das Kosmos Theater

Du bist feministisch, politisch aktiv, aber am liebsten im Untergrund unterwegs. Du machst dein eigenes Ding, mit den Leuten, die du gerne hast, und dort, wo du gerne bist. Einer dieser Räume könnte das Kosmos Theater sein. Hier findest du nicht nur Gleichgesinnte, sondern immer auch eine neue spannende Perspektive auf Theater. Geh hin und stell sicher, dass es dabei bleibt!

HIGH END ASIA BRUNCH

– den authentischen Geschmack Thailands jetzt jeden Sonntag im THAILANNA X MAE AUREL genießen.

Das THAILANNA X MAE AUREL ist bekannt für seine Brunch-Spezialitäten wie allerlei mit pochiertem Ei, frischem Lachs und einer feinen Auswahl an Süßem wie Pancakes und Porridge - doch jetzt kommt der neue Trend ASIA BRUNCH erstmalig nach Wien und ist für alle da, die einen ausgefallenen Brunch ausprobieren wollen!

037 www.thailanna-wien.at thailanna.vienna GEWINNSPIEL

Menschen am Arbeitsplatz

Workstation
Teresa Wagenhofer Bernhard Frena

Oisín Ó Manacháin / Oisín Monaghan

Visual Artist, Performer, Creator

Von den hektischen Wiener Straßen zum Interview mit Oisín Ó Manacháin zu wechseln, kommt einer Notbremsung gleich. Die ruhige Art, die getragene Stimme, der bewusste Rhythmus sind ein schockierender Kontrast zum termingetriebenen Alltag. Langsamkeit ist in der Tat ein Fokus von Oisín: »Mein Zugang nennt sich ›Cymatic Body Research‹. Es geht darum, selbst zu erforschen, welchen Einfluss Töne und Frequenzen auf unseren Körper haben, wie wir darüber Langsamkeit und Ruhe finden können. All die Dinge, die in der Welt da draußen als unwichtig gelten.« In der Tat, wenn Oisín einzelne Töne wie Mantras anstimmt – »Eeeee«, »Ohhhh«, »Schhhh« –, dann regt sich etwas im Inneren. Von diesen Regungen geht Oisín über zu fundamentalen Bewegungen und davon fließend zu Tanz. Damit möchte Oisín sowohl in den eigenen Performances als auch in gemeinsamen Trainings alternative Räume etablieren, um tiefere Verbindungen abseits unserer kapitalistischen Vernetzung zu finden: »Manche Leute kommen zum Training, um sich zu verstecken, manche, um in einer Gemeinschaft zu sein, manche, um etwas ganz Bestimmtes auszuprobieren. Für mich ist es all das zusammen, manchmal im selben Training.«

Das Bernhard Ensemble

Theatergruppe

»The Big Lumpazi«, »Wiener Wald Fiction«, »The Heldenplatz Thing« und ab 7. November »Natural Born Medea«: Im Mash-up von österreichischen Bühnenklassikern und internationalen Kultfilmen hat das Bernhard Ensemble eine Nische für sich etabliert. Auf der Bühne wird jedoch kein Stücktext voller Zitate vorgetragen, sondern alles wird jeden Abend frisch improvisiert. »Das Coole am Improvisieren ist: Du bist immer authentisch«, so Ernst Kurt Weigel, der Mitgründer, Leiter und Regisseur. »Du musst immer darauf reagieren, was dein Gegenüber sagt. Wenn du da nicht reagierst, kannst du nicht weiterspielen.« Für Darstellerin Yvonne Brandstetter verändert das die ganze Struktur des Arbeitens: »Es fühlt sich an, als ob wir das alle gemeinsam auf die Bühne stellen. Alle Schauspieler*innen bringen selbst etwas mit, und das wird dann angenommen und integriert. Dadurch entstehen Sachen, die man sich als Einzelperson gar nicht vorstellen könnte.« Wobei Ensemblekollege Kajetan Dick einwirft: »Es ist wichtig, dass jemand draußen steht und das Ganze bündelt. Wenn sieben Persönlichkeiten auf der Bühne herumimprovisieren und wahnsinnig viel Input liefern, muss jemand das dann auf einen Nenner bringen.«

Special Bühne

GANGKONTROLLE

Maë Schwinghammer aus Wien gibt Einblick in den Gedichtband »persönlich werden / person werden ein werdegang«.

Was man schon jetzt sieht: Es handelt sich formell um eine konkrete Angelegenheit, die sich dafür inhaltlich diverser präsentiert.

Auszüge aus: persönlich werden / person werden ein werdegang

(Gedichtband in Entstehung)

jedes pferd hat einen pferdegang

manche galoppieren

manche traben

manche trippeln

manche strampeln

manche stolpern

jedes pferd hat mehr als einen pferdegang

wichtig: wer sich irrt befindet sich nicht auf dem irrweg sondern auf dem holzweg da hat sich schon manch eine person geirrt sie werden sich auch fragen um was es sich bei einem handelsweg handelt nicht wenige haben sich dieser frage gewidmet sie in überaus langen ausführungen behandelt nun es handelt sich um einen weg der nicht handelt

tatsächlich hat der handel bereits stattgefunden wenn sich etwas auf dem handelsweg befindet es müsste daher genauer heißen: handelsfolgeweg

jeder mensch hat einen werdegang

manche galoppieren

manche traben

manche trippeln

manche strampeln

manche stolpern

jeder mensch hat mehr als einen werdegang

042
LYRIK — MA Ë SCHWINGHAMMERĆ

der lebensweg kann ein leidensweg sein das leiden kann ein lebenslanger weg sein das leben kann ein leidiger weg sein das leiden lebt besser wenn das leben leidet das leben leidet sich lebendig immer noch am besten

um den umweg machen sich viele leute sorgen aber nur wegen der eigenen verlorenen zeit um den umweg selbst macht sich niemensch sorgen wir sollten uns mehr um die umwege um uns herum kümmern

den mittelweg suchen

gemittelt sein

gedrittelt sein

nicht das eine nicht das andere eine sondern das andere dritte

den mittelweg finden

nicht-binär

dazwischen

darüber hinaus

mir fehlt der atem weg meine lungen weit ich fülle

ich fühle

ich kann nur ein aber schlicht nicht aus außer mir außer atem meine atemwege belegt verlegte atemwege verlegenes weg atmen

atmen

atmen

atmen

irgendwann aus irgendwann komme ich aus irgendwann komme ich aus dem atmen nicht mehr raus fülle und fühle ich mein atem mich

der geheimweg befindet sich

Zur Person

Maë Schwinghammer (hen/they), geboren 1993, studiert und lebt Sprachkunst in Wien. 2021 Dramatikstipendium der Stadt Wien. 2022 Burgschreiber*in zu Beeskow und Startstipendium für Literatur. 2023 Aufenthaltsstipendiat*in am LCB und beim Künstler*innendorf Schöppingen. Das Lyrikdebüt »Covids Metamorphosen« erschien 2022 im Wiener Klever Verlag. Das Romandebüt folgt im Herbst 2024 im Haymon Verlag

043
Michèle Yves Pauty

Filmpremiere

Ingeborg Bachmann –Reise in die Wüste

Gewinnen thegap.at/gewinnen

25�2 TICKETS ZU GEWINNEN

Vor 50 Jahren verstarb Ingeborg Bachmann. Regisseurin und Drehbuchautorin Margarethe von Trotta nähert sich der großen österreichischen Schriftstellerin über deren letztlich toxische Beziehung zu Max Frisch an, von der sich Bachmann Jahre später bei einer Reise in die Wüste endgültig zu lösen versucht. Mit Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld in den Hauptrollen.

Di., 10. Oktober, 19:30 Uhr Gartenbaukino Parkring 12, 1010 Wien

Wir verlosen 25 � 2 Tickets für die Premiere von »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste«, die in Anwesenheit der Regisseurin Margarethe von Trotta und der Hauptdarsteller*innen des Films stattfinden wird.

Die Gewinnspielteilnahme ist bis 5. Oktober 2023 unter www.thegap.at / gewinnen möglich.

In Kooperation mit

Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich unter der angegebenen Adresse erfolgen. Die Gewinner*innen werden bis 6. Oktober 2023 per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Mitarbeiter*innen des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.

1 »Sodom Vienna«

Die Utopie des Roten Wien der 1920er- und 1930er-Jahre nahmen Sodom Vienna als Ausgangspunkt, um Wien als queer-feministische, antirassistische Stadt zu inszenieren. Die Aktionen des Kollektivs lässt Gin Müller gemeinsam mit Zirkusforscherin Birgit Peter in diesem Band Revue passieren. Erscheint am 10. Oktober in der Edition Atelier. Wir verlosen drei Exemplare.

2 Barbi Marković »Minihorror«

Mini und Miki sind nicht von hier, aber sie bemühen sich, alles richtig zu machen – so die Prämisse von »Minihorror«. Beste Voraussetzungen, dass umso mehr schiefgeht und die lauernden Katastrophen erst recht schlagend werden. Barbi Marković legt mit »Minihorror« abermals ein großartig-komisches Buch vor. Erscheint am 9. Oktober im Residenz Verlag. Wir verlosen drei Exemplare.

3 »Habe bewurzelte Stecklinge«

Die beiden Herausgeber*innen Raoul Eisele und Lea Menges versammeln in dieser Lyrikanthologie (Subline: »Geografie meiner inneren Sprache«) Texte von 36 Autor*innen. Eine Annäherung an das Wachsen, das Entstehen, das der Buchtitel andeutet, und der Versuch, die innere Sprache im Zusammenspiel mit Fotografie zu entfalten. Erschienen in der Edition Lex Liszt. Wir verlosen drei Exemplare.

4

»Asteroid City«

Skurrile Figuren, ein Ensemble unzähliger Stars und sein idiosynkratischer Sinn für Ästhetik – die Zutaten für Wes Andersons Filme sind bestens bewährt. In »Asteroid City« entspinnt sich die Handlung rund um einen Junior-Stargazer-Kongress in einer fiktiven amerikanischen Wüstenstadt. Ab 13. Oktober digital und ab 26. Oktober als DVD sowie Blu-Ray erhältlich. Wir verlosen drei Blu-Rays.

5 »Bed Rest«

Nach jahrelangen Versuchen klappt es endlich: Julie ist schwanger. Bis zur Geburt soll die werdende Mutter vorsorglich eine strenge Bettruhe einhalten. Doch Fadesse und Isolation machen sich bemerkbar, als Julie plötzlich unheimliche Dinge wahrnimmt … Packender Psychohorror vom »Scream«-Team. Ab 6. Oktober als DVD sowie Blu-Ray erhältlich. Wir verlosen zwei DVDs und eine Blu-Ray.

Anna Krieps / MF A / Alamo de-Film
4 5 3 2 1

Rezensionen Musik

Buntspecht

An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte — Phat Penguin 08

Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran. Dieses uralte Mantra im deutschsprachigen Pop gilt für die Wiener Tausendsassas Buntspecht nicht nur bei ihren – so muss man das sagen – ekstatischen und dabei auch so wunderbar für alle Menschen offenen Konzertabenden. Ob Szene(n), ob Großmütter und Kleinkinder, ob Traumtänzerin und Traumfänger, auf diese Shows einigen sich quasi alle. Headliner der Herzen – selbstredend auch gepresst auf Platte. Das Album mit dem langen Namen ist bereits das fünfte in den letzten fünf Jahren. Da ist wenig Platz für Zeit, auch um sich etwa über Spitzenpositionen in den heimischen Charts zu freuen, wie zuletzt geschehen.

Buntspecht, diesen Vorteil haben sie vielen anderen voraus, sind aber auch eine Gruppe ohne viel Platznot. Für die seltsam betitelte neue Liedersammlung haben sie sich diese eine romantische Erzählung vom Rock ’n’ Roll gegönnt: fünf Freunde – es gab ja einen Abgang – in einer einsamen Hütte im Wald, oder im konkreten Fall im Burgenland. Ein Aufeinanderpicken wie Fliegen auf diesen ekeligen Klebestreifen von Großvaters Grillabenden. Entweder fängst du dann in dieser Abgeschottetheit zu fliegen an oder bleibst picken. Und natürlich – weil schließlich sind Buntspecht ja auch nicht irgendwer, das ist schon eine gute Band, neidlos – sind dann die ersten Stücke auch recht bald abgehoben, die Singles mal wieder direkt ein Riesenerfolg. »Schlaue Fische«, ein romantischer Schwofer, da gibt’s nichts; auch »Mojo Risin’«, das sicher schon überall bekannt ist, ein veritabler Sommerhit, fast schon Classic Rock fürs Cabrio; auch die psychedelische Klavierballade »Funny Faces«, klasse. Wenn wir schon dabei sind: Zum ganzen Genrethema gäbe es bei Buntspecht sowieso mehr aufzuzählen, als im Elektrofachhandel so ausgeschildert ist. Aber – und das ist auch das Besondere an der Band – das klingt trotz all dieser Millionen hörbarer Einflüsse immer unverwechselbar und zweifellos nach Buntspecht. Eine nicht gering zu schätzende Leistung, da wurden goldene Sterne schon für deutlich weniger ins Aufgabenheft geklebt.

(VÖ: 10. November) Dominik Oswald

045
Michelle Rassnitzer

Kenji Araki

Hope Chess — Affine

Die Buben im Pelz

08

Rhythmus und Ton sind eigentlich dasselbe – nur auf unterschiedlichen Skalen. Das ist soundtechnisch für mich einer der faszinierendsten Fakten. Wenn bei kontinuierlichen Beats die Abstände dazwischen immer kleiner und kleiner werden, ergibt das höhere und höhere Töne. Denn ein Ton ist nichts anderes als eine Schwingung, ein regelmäßiger Schlag – halt statt 120 Mal in der Minute bis zu 20.000 Mal in der Sekunde. Das funktioniert auch umgekehrt. Ziehst du die Wellenlinie von einem Ton lang genug auseinander, wird daraus wieder ein Beat.

Kenji Araki wagt auf dem neuesten Album »Hope Chess« ein ähnliches Experiment. Statt einzelne Töne auseinanderzuziehen, dehnt Kenji jedoch ganze Tracks, bis die Fäden sichtbar werden, aus denen das musikalische Netz gewoben ist. Stimmen, Synths, vereinzelte Drums, Sounds aller Art bekommen ungeahnten Platz sich auszubreiten, Raum einzunehmen. Indem einzelne Layer dadurch klar hervortreten und für sich allein stehen können, wird auch deutlich, wie dieses Gewebe geknüpft ist. Wo Kenji am Vorgänger »Leidenzwang« noch die Grundelemente von Elektronik zerpflückt, verdreht, verzerrt und neu zusammengesetzt hat, wird die Musik diesmal dekonstruiert, indem sie durchscheinend wird, transparent.

Am offensichtlichsten wird dies beim Track »Glitter«, der als einer der wenigen einen klaren, durchgehenden Beat enthält. Ruhepuls knapp über 50, an der Grenze zur Bradykardie. Wie eine Uhr, die eine Spur zu langsam tickt. Gerade noch schnell genug, um Rhythmus und nicht rhythmisches Element zu sein, trotzdem irritierend in seiner Langsamkeit. Stampfend, fast drohend zieht dich das Ticken in die Tiefe, sodass der Hall von Antheas Vocals eher nach einem unterirdischen Höhlensystems klingt.

Überhaupt mutet »Hope Chess« durch den vielen Raum insgesamt sphärisch an, aber gleichzeitig düster und schwer. Das Cover des Albums trifft wortwörtlich ins Schwarze. Mitten in der Nacht auf einer verlassenen Straße, nur die Scheinwerfer erleuchten die Finsternis und das Reh, das vor dir läuft. In Schrittgeschwindigkeit fährst du hinterher. Nur du, das Reh und rundherum die unendliche, umarmende Dunkelheit.

(VÖ: 10. November)

Bernhard Frena

07

Die Behauptung, dass ein Cover grundsätzlich immer ein gutes Original braucht, um selbst was zu taugen, ist vom Nachrichtenwert her nur unwesentlich größer null: Selbst ein Yankovic braucht seine Madonna, seinen Coolio. Und vielleicht ist selbst der Kurt Ostbahn ohne den Springsteen nur die halbe Miete, vielleicht sogar nur die Betriebskosten. Und natürlich – auch nicht vorstellbar – Die Buben im Pelz ohne ihre Velvet Underground bzw. ihren Lou Reed. Der hat vor knapp zehn Jahren den 71er genommen – auf gut Wienerisch –, kein Wunder, dass die Band rund um Christian Fuchs und David Pfister nicht nur ihre Großtat »Die Buben im Pelz & Freundinnen« mit dem legendären Wurst­Artwork neu auflegt, sondern dem Großmeister der geraubten Großstadtillusionen zum Todestag ein ganzes neues Sammelsurium an Coverversionen schenkt.

Selbstredend fällt auch auf diesem Album der eingangs erläuterte Grundsatz des Originals ins Gewicht. Merkbar bereits im ersten Stück »Candy sagt« (»Candy Says«) – dem letzten live von Reed performten Stück –, einer zauberhaften, reduzierten Trans­Ballade über unser aller Unsicherheiten, die auch im Wienerischen funktioniert; ebenso wie das vermutlich beste Stück Reeds »Pale Blue Eyes« (»Blassblaue Augen«), das nicht nur durch die lange erhoffte Reunion mit dem Ex­Neigungsgruppler Robert Zikmund zum Höhepunkt wird. Das flehende Mantra »Bleib no’ da und schau mi’ an« ist seltsam packend und lässt einen staunend zurück ob seiner Intensität, obwohl die Zeile ja simpler nicht sein könnte. Gut, dass so klassische Lou­Reed­Momente in allen Sprachen klappen.

Der Medaille Kehrseite: Die Zeit ist ein Hund. Bestehst du ihren Test nicht, bist du nicht nur durch­, sondern gleich aus ihr gefallen. Das gilt vor allem für die nicht wenigen rockistischen Lou­Reed­Songs, mit sehr männlich geprägten Rock­’n’­Roll­Erzählungen – wie etwa das überschätzte »Walk on the Wild Side« (»Die Wüdn«), »Vicious« (»Wischen«) oder »Rock ’n’ Roll«, die auch die liebevollen Hommagen der Buben im Pelz nicht mehr retten können. Aber das ist ja auch nicht ihre Aufgabe.

(VÖ: 27. Oktober) Dominik Oswald

Live: 27. Oktober, Wien, Rote Bar

046
David Prokop, Christian A. Zschammer Rezensionen Musik
— Konkord
Verwandler

The-Gap-Leser*innenführung:

»Gottfried

Helnwein«

Themen wie Schmerz und Gewalt prägen das Werk Gottfried Helnweins. Der in Wien geborene Künstler wird seinem Ruf als Enfant terrible dabei gerne gerecht – und zwar in Wort und Bild. Neben dem NS-Regime ist das unschuldige, verletzliche Kind zentrales Motiv seiner technisch perfekten, hyperrealistischen Arbeiten. In Helnweins albtraumhafter Bildsprache kommen psychologische und gesellschaftliche Ängste zum Ausdruck. Mit immer wieder verstörenden Ergebnissen. Zum 75. Geburtstag des Künstlers zeigt die Albertina Werke aus den letzten drei Jahrzehnten.

Die Gottfried-Helnwein-Ausstellung ist von 25. Oktober bis 11. Februar 2024 in der Albertina in Wien zu sehen. Unsere Leser*innenführung findet am 22. November um 18 Uhr statt. Wir verlosen 25 Tickets unter www.thegap.at/gewinnen.

The-Gap-Leser*innenführung:

Pure Painting«

Als einer der bedeutendsten Vertreter des abstrakten Expressionismus ist Robert Motherwell (1915–1991) für viele der intellektuelle Gegenpol zum medienwirksameren Jackson Pollock. Er gilt als Mitbegründer der New York School und fand seinen eigenen künstlerischen Weg zwischen der europäischen Moderne und der ausdrucksstarken gestischen Malerei der amerikanischen Nachkriegszeit. Die Retrospektive zeigt repräsentative Arbeiten aus dem gesamten Schaffen des Künstlers.

Die Robert-Motherwell-Ausstellung ist von 12. Oktober bis 14. Jänner 2024 im Bank Austria Kunstforum zu sehen. Unsere Leser*innenführung findet am 16. November um 17 Uhr statt. Wir verlosen 25 Tickets unter www.thegap.at/gewinnen.

61st VIENNA INTERNATIONAL FILM FESTIVAL VI23

19.– 31. OKTOBER

PROGRAMM AB 10. OKTOBER, 20 UHR

TICKETS AB 14. OKTOBER, 10 UHR

EN LE N VI
»Robert Motherwell.
Kevin Todora; Dedalus Foundation / ARS Collection Renate Helnwein / Bildre cht Wien

Rezensionen Musik

Generation Maximum — Siluh

Würde man das dritte Album der Band Culk mit dem formalen Korsett des ersten Songs des Zweitlings (»Leuchten und Erleuchten«) fortschreiben wollen, könnte das – angelehnt an Zeilen wie »Wir suchen, wir versuchen« –unter Umständen so klingen: »Wir sind mächtig, wir sind ohnmächtig.« Tatsächlich fassen sowohl die echte als auch die von uns generierte Songzeile perfekt zusammen, was auf »Generation Maximum« verhandelt wird: das Gefühl von Ohnmacht, bei gleichzeitiger Rastlosigkeit, das über jene Generation gestülpt wird, die gerade um ihre Zukunft bangt. So heißt es unter anderem in »Ein neues Lied«: »Wir erheben Stimmen, auf dass sie für immer klingen / Wo sollen wir heute Zukunft finden.« Ohnmacht vermischt sich mit einer leisen Macht – mit der Hoffnung, es vielleicht doch in der Hand zu haben. Dann fühlt sich diese Hand aber wieder taub an, wird irgendwann zu Staub, wie es der Song »Dein Gehen« nahelegt.

Ein Licht am Ende des Tunnels könnte es trotzdem geben. Um dort hinzufinden, sind Sophie Löw, Johannes Blindhofer, Jakob Herber und Christoph Kuhn mit Sicherheit die richtigen Reisebegleiter*innen. Auf dem Weg wird man von Löws subtil-machtvollen Stimme umhüllt. Bei aller Entrücktheit suggeriert sie stets Nähe, sie wird dabei von einem aus Postpunk- und Shoegaze-Klängen gestrickten Soundgewand begleitet. Sicher ist außerdem: »Wir brauchen eine neue Ode an die Freude.« Und ein wenig Mut, um die Rüstung abzustreifen und Verletzlichkeit zu zeigen, wie Löw im Song »Eisenkleid« singt. Führt man die am Anfang des Textes erwähnte Konstruktion konsequent weiter, könnte man sich außerdem noch fragen: »Baden oder ausbaden«, was die Generationen zuvor kaputtgemacht haben? Wohin der eigene Weg führt, muss natürlich jede*r für sich selbst entscheiden. Bis dahin lässt es sich aber grandios in den Klängen des neuen Culk-Albums baden.

(VÖ: 17. November)

Live: 9. Dezember, Linz, Stadtwerkstatt — 14. Dezember, Wien, Arena — 15. Dezember, Salzburg, Arge Kultur — 16. Dezember, Klagenfurt, Kammerlichtspiele

Esrap & Gasmac Gilmore

… weil sie Wien nicht kennen — Springstoff

Balkan-Sounds mit Austro-Hip-Hop-Flavour. Eine wilde Mischung aus rockigen Gitarrenriffs, schnellen Beats und arabesken Melodien bildet den Hintergrund, vor dem uns Esrap in ihre Welt zwischen Galata und Riesenrad mitnehmen. Folgerichtig erzählen die Geschwister Esra und Enes Özmen in einem Mix aus Deutsch und Türkisch von ihrer Kindheit, Identitätsfindung und dem Gefühl des Fremdseins im eigenen Land: ein Blick auf Wien aus der Perspektive von Kindern einer Gastarbeiter*innenfamilie in dritter Generation. Esrap teilen das mit ihren Hörer*innen durch kritische und harte Texte von Schwester Esra und türkisch-orientalische Hooks von Bruder Enes. Musikalische Unterstützung haben sich die beiden dabei auf ihrem neuen Album »… weil sie Wien nicht kennen« von der Band Gasmac Gilmore geholt. Die künstlerische Mischung ergibt ein eindrucksvolles Soundbild mit viel textlicher Power, das zwar unverkennbar nach Esrap klingt, allerdings auch ein gewisses Maß an Gewöhnungsbedarf für Leute, die sonst nur Cloud-Rap hören, mit sich bringt. Schnelle Beatwechsel und noch schnellere Flows tragen zu einer gewissen Hektik bei, die mitunter von den tiefgründigen Inhalten ablenken kann. Doch die Bars selbst sind stets on point. Esra rappt über brennende Benzer, Privileg und Polizei, aber auch über ihre Erfahrungen als Frau in der männerdominierten (Hip-Hop-)Welt. »Ich lebe Feminismus, wie ich leben will«, deklariert sie im rasanten Flow auf »Da Boss«, in dem Ansage auf Ansage folgt.

07

Thematisch ist die Platte umwerfend und unverfroren, der Sound wild und frisch. Nach einem kurzen musikalischen Schockmoment, taucht man voll in die turbulenten und doch harmonischen Melodien ein, lässt sich mitnehmen auf eine Reise in Esraps Welt und kommt nicht mehr an die Oberfläche, bevor die neun Tracks vorüber sind. Mit »… weil sie Wien nicht kennen« haben Esrap und Gasmac Gilmore ein Album geschaffen, das zeigt, dass sie selbst Wien wohl tatsächlich so gut kennen, wie wenige sonst.

(VÖ: 29. September)

Live: 30. September, Wien, Konzerthaus — 19. Oktober, Salzburg, Jazzit — 20. Oktober, Wolkersdorf, Gosh Art Festival

Sophie Löw, Christopher Glanzl
048
08 Culk
instrospection LIZ METTA YOUKI.AT WELS·AT @ALTERSCHLACHTHOF @PROGRAMMKINO @MEDIENKULTURHAUS NIGHTLINE TALKS KONZERTE WORKSHOPS YOUTH INT’L MEDIA 10—14 OCTOBER’23 INTERNATIONALER KURZFILM WETTBEWERB WAS DENKEN BERLINER ÜBER AUSTROPOP? Jetzt bestellen auf www.schallmagazin.de - für kurze Zeit versandkostenfrei!

Rezensionen Musik

Fuzzman

Willkommen im Nichts — Lotterlabel

Neuschnee

Der Lärm der Welt — Las Vegas

Als einer der beiden musikalischen Köpfe des zweiköpfigen Fabelwesens Naked Lunch trat er aus dem Schatten des Lindwurms und ging auf eine Reise durch dunkle Täler und über gleißende Gipfel, die nach England, Brasilien, in die USA und wieder zurück führte. Als Labelinhaber und Festivalmacher treibt er sein Unwesen. Als Film- und Theaterkomponist wurde er ausgezeichnet und als Studiobesitzer heißt er die heimische Musikszene willkommen. Nicht im Nichts, aber im Unruheherd des Umtriebigen, der nun als Fuzzman mit »Willkommen im Nichts« ein weiteres Fuzz aufmacht und sich dabei zwischen dem Pathos des Schlagers und der Renitenz des Indierocks bewegt. Mit nichts weniger als der Existenz selbst nimmt er den Kampf auf, singt von der Liebe und vom Überleben.

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Für »Kein Glück« wird dann gleich mal das Licht runtergedimmt. Da breitet sich Melancholie wie Nebel über Wien im November aus. Eine Erzählung über das Leben und dessen klaffende Wunden, mit lyrischer Kraft und tiefer Schwermut vorgetragen, ganz ohne kitschiges Übergepäck. »Die letzten Idioten« ist die schunkelnde Resignation vor jenen, die im Kondukt der Nützlichen eine ganze Welt im Sarg auf ihren Schultern zu Grabe tragen wollen. »Schrecken« stellt den dramaturgischen Höhepunkt dar. Eine Elegie, eine Trauerweide von einem Song. Das gravitätische Klavier, Fuzzmans Sentiment – ein Lied von herzzerreißender Schönheit. »Aber nein« dreht dann die Amplituden hoch und die Leichtigkeit des Indierocks hält noch mal Einzug. Fuzzman ist ein Erzähler des vermeintlich Alltäglichen. Er singt gegen die Malefiz-Beschwerden des Daseins an. Sein Liedgut vereint das Tragische und das Komische, besteht aus Episoden eines Lebens, das fast ein jedes sein könnte. Wenn das nicht die Kunst des Erzählens ist, was dann? (VÖ: 13. Oktober) Tobias Natter

Live: 13. Oktober, Linz, Stadtwerkstatt — 14. Oktober, Innsbruck, Bäckerei — 21. Oktober, Klagenfurt, Theaterhalle 11 — 10. November, Graz, PPC — 11. November, Weyer, Bertholdsaal — 25. November, Wien, Arena

08

Um das Seelenheil von Hans Wagner müssen wir uns eher keine Sorgen machen. Selbst wenn »Der Lärm der Welt« womöglich wirklich, wie in der Vorabinfo des Labels angekündigt, das letzte Neuschnee-Album bleiben sollte. Wegen des Aufwands, der Mühsal und des ganzen Drumherums, die so ein Album halt braucht und bedeutet. »Viel Kraft, Zeit und Ressourcen« habe die Produktion verschlungen, wird Wagner da zitiert. Er sei an einem Scheideweg angelangt, könne nicht versichern, ob es »noch einmal so ein Album geben wird«. Das klingt lapidar und vor sich hingesagt. Doch dass er sich mit den vorliegenden Arrangements verausgabt hat, dass Wagner mit »Der Lärm der Welt« einiges ausgereizt hat, an eigene Grenzen gekommen ist, hört man dem Album an.

Genau diese kompromisslose Herangehensweise macht Neuschnee zu einer singulären Erscheinung in der österreichischen Musiklandschaft. Die fast schon sinfonischen Songs, meist mit mehr Soul als Pop-Appeal, zeigen einen Perfektionisten, der den Pop locker herausschälen und aufblasen könnte. Doch ihm ist eben an der Seele gelegen, am eigenen Seelenheil und nicht am billigen Effekt oder am überstrapazierten Gefühl. Das ist keine Masche, keine Pose, sondern Strategie; vielleicht sogar die Überlebensstrategie eines Sensiblen, der den »Lärm der Welt« eben wahrnimmt, manchmal auch bestaunt, der sich aber – »mittendrin, doch nicht dabei / Heimatlos, doch dafür frei« – eben nicht abwendet oder abstumpft. Am klarsten wird diese Strategie in »U-Boot«, weil der Song sie explizit anspricht: »Und du fragst mich, wie leb ich mein Leben? / Na als U-Boot. Ja, als U-Boot.«

Auch dass es Neuschnee nie um die originellste Line geht, sondern um Treffendes, um Gültiges, im Grunde auch um Präzision (sprachlich wie an den Instrumenten), macht dieses Album letztlich zu einer lustvoll-abgeklärten Absage an jede Form der Lebensmüdigkeit. Schon sehr, sehr okay.

(VÖ: 20. Oktober)

Ingo
Pertramer, Nicole Brandstaetter
050
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J U K . A T
HOT

Rezensionen Musik

Rosi Spezial

Katza Jazz — Füdla

Auf »Frei Jass«, der ersten musikalischen Extravaganz auf »Katza Jazz«, wird jene Sorte fiebrige Unrast frei, mit der Pollok seine Gemälde gemalt oder Burroughs die Cut-up-Technik angewandt hat. Der elfminütige Eklektizismus ist aber – wie der Rest des Albums – mit viel Humor und einem »Saxophönle« ausgestattet. Warum? Weil das Sägewerk vom Heinrich seit dem frühen Morgen um halb sechs ein komisches Geräusch macht. Rosi Spezial manövrieren jenseits der Norm. Wäre »Katza Jazz« ein Museum, so wäre »Frei Jass« jene Klanginstallation gleich beim Eingang links, die die Besucher*innen mit einem Fragezeichen auf der Stirn zum Weitergehen drängt. Psychedelic Jazz – nichts für schwache Nerven! Auf »Hundeholz« geht es gleichermaßen artsy und doch ganz anders weiter. Andersartsy sozusagen. Geradeaus stampft der Beat zur gewürgten Gitarre. Hörspielelemente ergänzen die Darbietung. Der Furor kennt nur ein Ziel: die tonale Vernichtung von »Hundeholz«. In zwei Minuten ist alles gesagt. Erzählt wird auf Vorarlbergisch. Hinter dem Arlberg scheint somit der Exot*innenbonus fix. Aufgrund der musikalischen Eskapaden sicher auch davor.

»Ratzaköpfle« erstreckt sich dann über zehn Minuten, entwickelt sich vom sphärischen Erlebnis zur rhythmischen Ekstase: Repetitiv, etwas unheimlich und für Freigeister zum Robot-Dance geeignet. »Sure Kätzle« beginnt mit einer falschen Fährte, auf die die Hörer*innen gelockt werden sollen. Das hell klingende, herrlich poppige Gitarrenriff wird vor seiner Entfaltung abrupt abgeschnitten und von einer avantgardistischen Dampfwalze überrollt. Die Falle schnappt erbarmungslos zu. Die Enttäuschung, der Band auf den Leim gegangen zu sein, ist genau so groß wie die kurz zuvor zerstörte Hoffnung auf ein lauwarmes Poplied zur Entspannung zwischen den Herausforderungen auf diesem Album. Well played, Rosi Spezial! Auf »In Walked Evi« erlebt man zum Schluss noch einmal das freie Improvisieren der vier Katzaköpf aus dem Ländle. »Katza Jazz« ist frisch, wild und mit alemannischer Komik versetzt.

(VÖ: 29. September)

Live: 20. Oktober, Wien, Kramladen

Spilif

Irgendetwas das du liebst — Unserallereins

08

Wenn Spilif uns auf »Irgendetwas das du liebst« mit Leichtigkeit durch den vermeintlichen Ernst des Lebens führt, dann wirkt dieser Ernst gleich weniger fatal. Es geht um gesellschaftliche Erwartungen, Liebe und Freundschaften, ums Immer-wieder-Scheitern und ums Trotz-allem-danach-immer-wieder-Aufstehen.

Auf der gewohnten Soundmischung zwischen Boom Bap, Indie und Jazz rappt sie über persönliche Einschnitte in ihr Leben, mit denen sich wohl alle identifizieren können. Über Wege, die sich trennen und wieder finden, die Phase zwischen Stillstand und enormer Veränderung. Doch selbst auf dem Herzschmerztrack »Löwenzahn« – mit Abstand der mitreißendste Song des Albums – behält sie, trotz poetisch-trauriger Lyrics wie »Ich wollte, dass es für mich Rosen regnet / Doch am Asphalt blieb nur Löwenzahn«, eine positive Grundstimmung bei. »Mein größter Flex ist meine Unzufriedenheit«, erklärt sie und belächelt damit sich selbst und alle, die fokussieren, was ihnen fehlt, anstatt ihren Blick darauf zu lenken, was sie bereits haben. Am schmalen Grat, der aus den Abgründen der mentalen Gesundheit emporragt, beweist sie musikalisch und lyrisch einmal mehr, dass sie so was wie die Lil Simz des Austro-Hip-Hop ist. Den Rücken stärkt ihr dabei ihre Band, bestehend aus Andreas Steiner, Sebastian Schweiger, Christoph Pfister und Andreas Botzenhardt. Zusammen schaffen sie ein Album mit eingängigen Beats, das auf enormem textlichem Niveau um die thematischen Kerne Reflexion und Zufriedenheit kreist.

Gleich zu Beginn der Platte erklärt Spilif, was Rap ausmacht: »Rap ist Idiotie, Utopie und Wahnsinn.« Sie beschließt das Album mit einem »Memento mori, Bitches!«, um uns alle zu erinnern, den Moment zu genießen und Dinge nicht immer auf die schwere Schulter zu nehmen. Sie wünscht uns allen mit diesem Album, etwas zu finden, das wir lieben. Denn sie hat es schon längst gefunden: das Idiotische, das Utopische, das Wahnsinnige, Rap. (VÖ: 6. Oktober) Mira Schneidereit

Tobias Natter

Live: 5. Oktober, Salzburg, Rockhouse — 9. Oktober, Wien, Flucc Wanne — 13. Oktober, Innsbruck, Treibhaus — 25. Oktober, Wien, Arena

Natali Glisic, Johannes Stöckholzer, Christian Koschar
07
052

Thalija IV — Pumpkin

Die letzte reguläre Veröffentlichung von Thalija liegt einige Jahre zurück. Aber regulär oder in üblichen Bahnen verlaufend ist bei Thalija sowieso wenig. Seit gut 20 Jahren veröffentlicht das Kollektiv Musik und hat dabei Genrezuschreibungen, die in dieser Zeit zunehmend sinnlos wurden und an denen nur mehr jene festhalten, die mit diesen aufgewachsen sind, schon immer verweigert. Viele Gitarren, Sounds und das Desinteresse an Songstrukturen legen die Basis. Meist darf es in den Nummern irgendwann lauter werden. Vergleiche mit einzelnen Bands haben noch nie funktioniert und auch die neuen Tracks »31« bis »39« lassen sich schwer als Ganzes beschreiben. Zu unterschiedlich sind die Spuren, die gelegt werden – mit Gitarren und anderen Instrumenten. Zu dicht und gleichzeitig vielschichtig das sonische Netz, an dem hier gearbeitet wird. Entscheidend scheint das freudige Zusammenspiel, die Reaktion der Musiker*innen aufeinander. Und doch laufen viele Tracks letztlich in vergleichbare Bahnen aus Feedback und Noise zusammen. Das ist vielleicht die größte Schwäche dieses Albums: Die einzelnen Tracks entwickeln sich aus sehr unterschiedlichen Motiven mitunter durchaus überraschend, münden dann aber oft in ähnliche Formen der Steigerung. Eine Steigerung, die ein bisschen Formsache bleibt und die klare Dringlichkeit vermissen lässt.

Stimmen waren bei Thalija auch immer schon in erster Linie weitere Instrumente. Worum es geht, sind Sounds und Muster, die in vielen guten Momenten bewegen, mitreißen, einladen, sich in ihnen zu verlieren. Gerade live funktioniert das. Hier ist auch noch mehr spürbar, wie die Musiker*innen mit viel Spiellust interagieren. »IV« macht die freie Form und das aufeinander reagierende Zusammenspiel der Musiker*innen erlebbar – die Nummern sind in gemeinsamen Aufnahmesessions teilweise vor Publikum entstanden. Das Album kann als Einladung verstanden werden, den in den Livesessions eingeschlagenen Wegen zu folgen.

(VÖ: 29. September)

Must have!

Sachen, die den Alltag schöner machen

Live: 6. Oktober, Wien, Rote Bar — 10. November, Graz, Volkshaus

Gut für die Umwelt

Die Natur denkt immer nachhaltig, auch beim Händewaschen: bi good seifenpulver mandelblüte reinigt sanft, pflegt die Haut –und duftet herrlich nach Mandelblüte und Kokos. Dank der wiederverwendbaren Glasflasche und dem Nachfüllbeutel sparst du mit jeder Befüllung Plastik. www.bipa.at / bi-good

Alternative Wien-Postkarten

bussi, wien, das junge Postkartenlabel aus Meidling, legt den Fokus auf alternative Ansichten der Hauptstadt, abseits der üblichen Motive. Im Mittelpunkt stehen jene Ecken Wiens, deren Charme sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Als Fünfer- oder Zehnerset erhältlich. www.bussiwien.at

Going for Metal

Anlässlich des 16. Jubiläums der Wiener Taschen-Brand ina kent ist der Klassiker moonlit ed. 1 in der limitierten sweet16Edition »rainbow ice« erhältlich – ein kühles, changierendes Silber, an dem man sich nicht sattsehen mag. Am 5. Oktober folgt die finale sweet16-Kollektion. www.inakent.com

07
PROMOTION

Termine Musik

Europavox

Die Initiative Europavox versteht sich als Plattform für europäische Musik und schafft folglich Auftrittsmöglichkeiten für europäische Acts – vor allem außerhalb ihrer Heimatländer. Seit einigen Jahren macht Europavox auch in Wien mit einem kleinen, feinen Festival Station. Im frisch renovierten WUK gastieren dabei heuer: Shame, Lucy Kruger & the Lost Boys, Pom Poko, Mnnqns, The Haunted Youth, Koikoi, Ada Oda sowie – als österreichischer Beitrag – Bipolar Feminin (Bild). 17. und 18. November Wien, WUK

Blue Bird Festival

Der Vienna Songwriting Association gelingt es immer wieder, fürs Blue Bird ein top Line-up auf die Bühne zu stellen. Auch heuer. Die Highlights: Porridge Radio (Bild) mit einer Soloshow, Lambchop mit einer »intimate piano performance«, The Magnetic Fields sowie Okkervil-River-Mastermind Will Sheff. Indie-Gold aus mehreren Generationen. Die genannten Acts – minus Lambchop – sind übrigens am selben Wochenende auch beim Autumn Leaves Festival in Graz zu sehen. 23. bis 25. November Wien, Porgy & Bess

Marx Halle Wien 10. & 11. Nov 2023 c
© Nicole Brandstätter 054
06.11.2023 NEUSCHNEE

Termine Musik

Islands of Resilience 25:25

1998 eröffnete das Rhiz am Wiener Gürtel. Hervorgegangen aus dem Phonotaktik-Festival, ist es rasch zum Wohnzimmer der Wiener Elektronikszene geworden. Zum Geburtstag wird nun in bester Rhiz-Manier gefeiert: mehr als 50 Club- und Live-Acts (im Bild: Christian Fennesz), ausgewählt von prominenten Kurator*innen, und dazu ein Diskursprogramm, das sich an Realutopien für die nächsten 25 Jahre versucht. 4. bis 15. Oktober Wien, Rhiz

Sleaford Mods

Wütend zu sein, das gehört bei Jason Williamson, der Stimme der Sleaford Mods, zum Normalzustand. Zu den rohen, minimalistischen Tracks von Andrew Fearn ereifert er sich über die Missstände, von denen (nicht nur) die britische Gesellschaft gebeutelt ist. In ihren scharfsinnigen Beobachtungen ist die Musik des Duos (zuletzt erschienen: »UK Grim«) hochpolitisch – und ein Spaß, weil mit ordentlich Humor ausgestattet. 26. Oktober Wien, Arena

Maiija

Es sei ein Neuanfang für sie, daher der neue Name, erklärt Marilies Jagsch, die sich nach zwei hochgelobten Alben nun, nach 13 Jahren, als Solomusikerin zurückmeldet. Atmosphärisch dicht wie damals, aber offener, vielschichtiger klingt die Musik auf »I Am«, dazu Jagschs eindringliche Stimme – sehr schön. 27. Oktober Wien, Radiokulturhaus — 28. Oktober Salzburg, ARGE Kultur — 24. November Wien, Porgy & Bess — 25. November Hollabrunn, Kulturmü

Cigarettes After Sex

Zur Intimität und Melancholie ihrer Musik würden kleinere Venues natürlich viel besser passen – oder Wohnzimmerkonzerte –, doch dafür sind Cigarettes After Sex einfach zu erfolgreich. Und, ja, es kann schon auch etwas haben, sich im schwermütigen Zeitlupenpop der Band aus El Paso, Texas, gemeinsam mit ein paar Tausend anderen zu verlieren. Aber letztlich singt Greg Gonzalez ja sowieso nur für uns beide. 2. November Wien, Gasometer

Teho Teardo & Blixa Bargeld

Der italienische Musiker und Komponist Teho Teardo und Einstürzende-Neubauten-Vorstand Blixa Bargeld brachten ihr gemeinsames Projekt zuletzt wieder öfter auf die Bühne – und auch neue Musik kündigt sich an. Gut so! Trifft dabei doch zeitlose Schönheit auf gepflegte Dissonanz, klassische Kompositions- auf tiefgründige Sprachkunst. 23. November Dornbirn, Spielboden — 24. November Linz, Posthof — 25. November Wien, WUK

Yves Tumor

Ein musikalisches Chameleon, das sich völlig ungezwungen zwischen Ambient-Collagen, entrücktem Soul und rauschhaftem Rock bewegt, den Punk im Herzen trägt und dabei so manches musikalische Experiment aus den Fingern schüttelt. Krass gut, diese*r Yves Tumor! 5. November Wien Ottakringer Brauerei

Leftovers

Ihren lärmigen Rock widmet die Wiener Band auf dem im November erscheinenden zweiten Album den »Katastrophen der Adoleszenz«. »Müde« schließt damit nahtlos ans gelungene Debüt »Krach« an. 3. November Linz, Posthof — 24. November Graz, PPC — 25. November Steyr, Röda — 30. November Wien, Arena

Tocotronic

Im Vorjahr holten Tocotronic noch ihre beiden coronabedingt verschobenen Best-of-Konzerte (»The Hamburg Years« / »The Berlin Years«) in Wien nach, nun sind sie mit dem aktuellen Album »Nie wieder Krieg« in der Stadt. Ein Wiedersehen, das stets Freude macht. 12. November Wien, Konzerthaus

Manuel Fronhofer, Jana Wachtmann Apollonia Theresa Bitzan, Dana Margolin, Luis Martins, Ewen Spencer, Michael Poetschko, Ebru Yildiz, Thomas Rabsch

Termine Festivals

3 Fragen an Sophia Hochedlinger &

Ihr bezeichnet euch selbst als »Internationales Jugend-Medien-Festival«. Medien sind ja ein weites Feld – wie schränkt ihr den Begriff ein?

Lisa Kainz: Im Grunde schränken wir den inflationär verwendeten Begriff nicht ein, sondern dehnen ihn aus. Das bietet Möglichkeiten, sich immer wieder neu Gedanken über den Status quo zu machen. Youki möchte junge Menschen zur aktiven Beteiligung einladen und das Interesse am Experiment wecken. Bei uns geht es nicht nur um einen Filmwettbewerb, sondern um gemeinsames Ausprobieren. Da hilft uns ein breiterer Medienbegriff.

Welche Schwerpunkte und Highlights möchtet ihr dieses Jahr hervorheben?

Sophia Hochedlinger: Unser thematischer Fokus liegt auf Gemeinschaft, Coming-of-Age und queeren Perspektiven. Wir haben viel queeres Erzählen in unserer Filmauswahl. Das Coming-ofAge-Thema dreht sich um Formen der Zuneigung, des Sich-Annäherns und des Zusammenhalts. Drei Highlights sind die Nightline am Freitag, 13. Oktober, mit Endless Wellness, Zak!, DJ Rich Parents und Treibhaus, das Screening des ukrainischen Spielfilms »Stop Zemlia« inklusive Filmgespräch mit Andi Eli am Samstag, den 14. Oktober, und die Ausstellung zu 25 Jahren Youki-Festivalgeschichte im MKH, kuratiert von unseren Vorgänger*innen Anna Rieder und Philipp Feichtinger.

Das Youki findet in Wels statt. Bietet der Ort besondere Potenziale und Herausforderungen?

Lisa: Das größte Potenzial sehe ich bei der Stadt selbst, sie kann sich den Leuten, die auf Besuch kommen, und eigentlich auch denen, die hier leben, zeigen. Die Akteur*innen der Stadt haben ja auch Einfluss auf die jeweiligen Veranstaltungen.

Sophia: Grundsätzlich finde ich wichtig, dass es nicht nur in den größeren Zentren ein vielfältiges Kulturprogramm gibt. Das ist fürs Zusammenleben essenziell. Eine Herausforderung ist, unterschiedliches Publikum zu gewinnen: Kulturnerds wie Festival-Neulinge, Welser*innen und Menschen von weiter weg, jüngere und ältere Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen.

Viennale

Wenn sich der Herbst in Wien breitmacht, ist auch die Viennale nicht mehr weit. Was ja durchaus Sinn ergibt – Kinowetter und so. Erste Programminfos sind schon raus: So wird es etwa einen umfassenden Blick auf das österreichische Kino der 80er-Jahre geben (programmiert vom Filmarchiv Austria), eine Retrospektive zu Ehren des chilenischen Filmemachers Raúl Ruiz und neue Arbeiten von Jessica Hausner, Christian Petzold und Wim Wenders. Besonders eindringlich: der diesjährige Festivaltrailer (Bild) von Pedro Costa. Das komplette Programm der Viennale wird am 10. Oktober bekanntgegeben, der Vorverkauf startet am 14. Oktober. Festival: 19. bis 31. Oktober Wien, diverse Locations — Retrospektive: 20. Oktober bis 10. Jänner 2024 Wien, Filmmuseum

056
Youki Festival 10. bis 14. Oktober Wels, Medien Kultur Haus und Alter Schl8hof Lisa Kainz Leiterinnen Youki Festival

Bernhard Frena, Manuel Fronhofer

Craft Bier Fest Wien

In Sachen Biervielfalt hat sich in den letzten Jahren auch hierzulande einiges getan. Nicht nur im Supermarkt – man beachte etwa die stattliche Anzahl neuer Kleinbrauereien, die ihr handwerklich hergestelltes Bier meist direkt vor Ort oder über regionale Partner*innen anbieten. Dass es sich dabei um eine nachhaltige Entwicklung handelt, zeigt auch das Craft Bier Fest Wien. Dieses findet immerhin schon zum 16. Mal statt. Vertreten sind wieder spannende Biere von internationalen sowie heimischen Hersteller*innen – etwa von Magic Road aus Polen oder Brauschneider aus dem Kamptal. 10. und 11. November Wien, Marx Halle

VIECC Vienna Comic Con

So viel VIECC wie noch nie – das versprechen die Veranstalter*innen von Österreichs größter Comic Convention, die heuer erstmals auf einer Fläche von über 42.000 m2 stattfinden wird. Seit jeher geht es dabei recht bunt und extravagant zu. Den breiten Mix aus Fankultur, Merch-Paradies und Gaming-Plattform wissen alljährlich immerhin 35.000 Besucher*innen zu schätzen. Mit dabei sind auch wieder diverse Stars aus den Bereichen Cosplay, Comics und Entertainment. Beispielsweise Jonathan Frakes (»Star Trek«, »X-Factor: Das Unfassbare«) und John Ross Bowie (»The Big Bang Theory«). 18. und 19. November Wien, Messe

An drei Terminen stellt der Feschmarkt auch in dieser Herbst/Winter-Saison wieder Kleinproduzent*innen aus den Bereichen Mode, Möbel, Kunst, Kosmetik, Vintage, Sport, Kids, Schmuck, Papeterie, Delikatessen, Food und Drinks aufs Podest. 13. bis 15. Oktober Graz, Seifenfabrik — 10. bis 12. November Wien, Ottakringer Brauerei — 15. bis 17. Dezember Feldkirch, Pförtnerhaus.

Cultiva Hanfexpo

Weit mehr als 100 Ausstellende aus dem In- und Ausland präsentieren sich und die neuesten Trends ihrer Branche bei Österreichs größter Hanf- und CBD-Messe. Begleitet wird die Cultiva Hanfexpo von einem Kongress, bei dem beispielsweise medizinische Aspekte und die Nutzung von Hanf als Baustoff Thema sind. 6. bis 8. Oktober Wien, Marx Halle

Hunger. Macht. Profite.

Die »Filmtage zum Recht auf Nahrung« zeigen heuer in sechs Bundesländern kritische Dokumentarfilme zu kleinbäuerlicher Landwirtschaft, Lebensmittelkriminalität, globalen Machtverhältnissen und zum Geschäft mit Pestiziden. Die Screenings werden jeweils von Filmgesprächen mit lokalen Aktivist*innen und Expert*innen begleitet. 12. Oktober bis 24. November diverse Städte, diverse Locations

Blickfang Wien

Die internationale Designmesse feiert ihr 20. Jahr im Museum für angewandte Kunst. 150 Labels aus den Bereichen Möbel, Mode und Schmuck werden sich dabei dem Publikum präsentieren, knapp die Hälfte davon zum ersten Mal. Zwei Wochen vor der Messe starten außerdem die Blickfang Design Days – eine Premiere. 20. bis 22. Oktober Wien, MAK

Queertactics

Wiens queer-feministisches Filmfestival bespielt zu seiner Eröffnung das Metro Kinokulturhaus, wechselt danach ins Admiral Kino und zieht schließlich weiter in die Breitenseer Lichtspiele, wo auch die Goldene Medusa, der Queertactics-Kurzfilmpreis, vergeben wird. Programmdetails waren zum Redaktionsschluss leider noch nicht bekannt. 16. bis 19. November Wien, diverse Locations

057
Termine Festivals A
Leah Hochedlinger, Pedro Costa /
Viennale, Christoph
damek, DavidBitzan / FRB Media

Not Either Or, But And

Eine Ontologie ist der Versuch, die Welt anhand der Dinge zu ordnen, die es gibt, und die Art und Weise ihres Seins zu beschreiben. Eine sehr übliche Einstellung zum Beispiel zum Verhältnis eines Selbst zu Erde/ Boden/Territorium ist, eine Trennung zu ziehen. Das hier bin /ich/, ich ende da, und das andere dort ist die Erde. Wir sind getrennte Dinge. Dieser Teil des Bodens dort, der gehört mir. Da darf ich machen, was ich will, und niemand sonst darf das. Diese Einstellung hat Vorteile für einige und Nachteile für viele. Aber auch die Profitierenden holen die Nachteile langsam ein. Acht Künstler*innen greifen die Ontologien von temporär ansässigen, migrierenden und Diaspora-Bürger*innen auf, um vielleicht eine Grundlage zu schaffen, etwas grundsätzlich zu ändern. bis 21. Oktober Wien, Das Weisse Haus

Termine Kunst

058

Luiz Roque

Vielleicht ist das keine schlechte Idee: Tiere herzunehmen, um über Körper, Geschlecht, (Um-)Welt zu sprechen. Auch, um über Intelligenz und ihre künstlichen Ableger nachzudenken – oder sogar die Bild-, Ton- und Trendflut, der wir uns ins unserem Jahrtausend aussetzen, zu reflektieren. In »The Story of Origins« geht der Brasilianer Luiz Roque das an und führt eine Reihe kurzer filmischer Erzählungen vor, deren Protagonist*innen Tiere sind, aber auch Häuser oder Kunstwerke sein könnten. Das klingt – muss ich schon sagen – extrem cool. bis 28. Oktober Wien, Kunstverein Gartenhaus

Eliza Wagener

Der Fuchs guckt nach hinten, als hätt’ er was gesehen, das nur er sehen konnte. Darüber ein Flügelschlag mit weit gespreizter Krallenhand über den Kiefernwipfeln. Des Nachts. Was nicht schläft, ist auf Umtrieben, ein Fremd- im Menschenkörper. Zombies vor dem roten Licht der Ampel. Die Farbe wechselt, der menschliche Automat wankt weiter, durch den grünen Fleck hindurch. Soweit meine Gedanken zu Eliza Wageners »Des Nachts«. Das Bild dazu gibt’s in der Ausstellung. 6. Oktober bis 17. November Salzburg, Elektrohalle Rhomberg

Noel W. Anderson

Das Bild Schwarzer Männlichkeit ist eng mit der Geschichte der Neuzeit verwoben. Es ist ein fremdbestimmtes Bild, eine Repräsentation, der die Repräsentanten ausgesetzt sind. Noel W. Anderson beschäftigen die Mechanismen dahinter und die Wechselwirkungen mit der modernen Welt. Ein Werk der Ausstellung »Black Exhaustion« heißt »From Velazquez to Bacon«. Ein Bild zeigt Michael Jordan. Ein anderes Männer in Unterhosen und gefesselten Händen vor einem bewaffneten Polizisten. 30. September bis 26. November Salzburg, Kunstverein

Flug der Vögel

Vor mehr als 800 Jahren zogen die Vögel aller Himmel aus, um den einen Vogel zu finden, der sie perfekt regieren würde. 30 von ihnen erreichten ihr Ziel, erkannten aber, dass sie in Wahrheit selbst die beste Regierung bilden könnten … Neben staatstheoretischem Zündstoff bietet das persische Epos »Die Konferenz der Vögel« bis heute einen fruchtbaren Boden für Reflexionen über eigentlich alles –wie es so ist mit »Klassikern«. 30 Vögel, 30 Künstler*innen zu allen drängenden Fragen der Gegenwart. 17. November bis 20. Jänner 2024 Wien, Hinterland

The Other

Wenn Ausstellungstitel groß und Infotext kurz sind, kann das ein sehr gutes, oder ein sehr schlechtes Zeichen sein. Das Andere liest sich immer nett im Programmheft. Mitunter gerät seine Behandlung aber zur Profilierungsübung und zum Show-off einer philosophisch-intellektuellen Spitzfindigkeit. Hinter all den großen Wörtern bleibt so ein bisschen die Frage zurück, wieso man ins Komplexe gehen muss, um Simples zu reflektieren? Bitte um Ausstellungs-Reviews, am besten in einfacher Sprache. bis 18. Februar 2024 Graz, Kunsthaus

Sterischer Herbst

Dem nicht ganz Bösen oder Guten, dem Menschlich-Widersprüchlichen widmet sich der Steirische Herbst dieses Jahr. Statt abstrakter Moral soll anhand konkreter Figuren erzählt, erfahren, erkundet werden. Etwa: ein Jazz-Aficionado in Nazi-Uniform, mit Musikern im besetzten Paris. Oder: eine Straße in Graz, aus der einst jüdische Geschäftsleute vertrieben worden waren, in die aber heute migrantische Communitys eingekehrt sind. Vier Ausstellungen über das Gegensätzliche, das Neben- und Ineinander. bis 15. Oktober Graz, diverse Locations

Termine Kunst 059 Victor Cos Ortega Abdul Sharif Oluwafemi Baruwa »S chirm«, 2023 / Videostill aus »Fleur d‘ ete«, Luiz Roque / Mendes Wo od DM, Andrew Phelps, Noel W. Anderson, Jakob Lindner, Bouchra Khalili / Bildre cht, Pavel Brăila

Termine Filme & Serien

3 Fragen an Jessica Hausner Regisseurin und Drehbuchautorin »Club Zero«

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste

Essen ist etwas Existenzielles: Es ist körperlich und intim. Essen sagt viel über uns Menschen aus, aber auch über unsere Gesellschaft. Wir kommen zum Essen zusammen und wir haben viele Rituale, die mit dem Essen zusammenhängen. Innerhalb einer Familie isst man oft gemeinsam und man muss Vorgaben erfüllen. Das hat mich immer gewundert. Warum ist uns diese Konditionierung so wichtig? Essen ist Ideologie. Wir definieren uns darüber; zeigen, wer wir sind bzw. sein wollen. Im Film ist die Essstörung ein Protest, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wie schnell konntest du dich in die Welt des Films und der Figuren hineindenken?

Man sollte die Thematik des Films nicht allzu sehr über den Begriff der Essstörung festmachen. Es geht eher um Ideologie, um eine Gruppe, die einem bestimmten Ernährungskonzept folgt und darüber eine ideologische Ermächtigung erfährt. Im Zuge der Recherche habe ich mich damit beschäftigt, welche Ernährungskonzepte es gibt und welcher Kult da teils dahintersteckt. Essen wird immer mehr zur Glaubensfrage. Im Film präsentiert Miss Novak anfangs ein Ernährungskonzept, das eigentlich okay ist. Aber sie treibt es immer weiter – bis daraus eine Glaubensfrage wird. Mich interessiert, wann es in Religion bzw. Ideologie kippt.

Wieso stehen wir Menschen wie Miss Novak (Mia Wasikowska) so wenig skeptisch gegenüber?

Interessant ist ja, dass Miss Novak anfangs nachvollziehbare Dinge sagt. Genau so funktionieren Verschwörungstheorien. Bis zu einem Punkt würde jede*r von uns sagen, dass das stimmt. Und sobald man einmal dabei ist, geht es immer einen Schritt weiter. Mia Wasikowska und ich sprachen auch mit Sektenmitgliedern. Für ihre Rolle war es wichtig zu verstehen, wie Manipulation funktioniert. Wir haben uns entschieden, dass Miss Novak wirklich an ihre Theorien glaubt. Mich hat es weniger interessiert, eine machtbesessene Person zu zeigen als vielmehr eine vermeintlich Heilige. Sie glaubt an ihre Thesen und lebt in ihrer eigenen Wahrheit.

»Club Zero« Start: 17. November

Europa

Regie: Sudabeh Mortezai Sudabeh Mortezai hat einen Blick für Menschen, die nicht von herrschenden Systemen profitieren. So dokumentierte sie in »Im Bazar der Geschlechter« die Zeitehe im schiitischen Islam und in »Joy« Prostitution in Österreich. Im Spielfilm »Europa« erzählt sie von der Managerin Beate Winter (Lilith Stangenberg), die nach Albanien reist, um den Bewohner*innen eines Dorfes ihr Land abzukaufen. Doch dabei entsteht ein Konflikt mit dem Bauern Jetnor (Jetnor Gorezi). Sudabeh Mortezai präsentiert ein Europa, das sich progressiv gibt, aber zutiefst in alte Machtverhältnisse eingebettet ist. Und sie legt dar, wer diese Verhältnisse für sich nutzt. Über die Bewohner*innen des Drehorts sagt sie in einem Interview: »Sie leben unseren Traum, kleiner und nachhaltiger zu werden, und es tut weh zu sehen, wohin die Reise führt, wenn sie vom Westen getäuscht werden.« Start: 2. November

Barbara Fohringer

Regie: Margarethe von Trotta Ingeborg Bachmann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller*innen. Sie rückte weibliche Erfahrungen in den Mittelpunkt. Ihre Werke waren radikal, politisch und poetisch. Sie verfasste Lyrik, Prosa, Hörspiele und Essays. Ihr zu Ehren wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Nun kommt ein Film in die Kinos, der das Leben dieser außergewöhnlichen Frau aufarbeitet. Vicky Krieps schlüpft in die Titelrolle und Ronald Zehrfeld ist als Max Frisch, einer großen Liebe Bachmanns, zu sehen. »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« wirft über sechs Jahre einen Blick auf Bachmanns Leben und Werk. Die Schriftstellerin habe sie schon lange begleitet, sagt Margarethe von Trotta, sie habe Bachmanns Gebundenheit sowie Freiheit thematisieren und damit zugleich auch die Kämpfe vieler Frauen zur damaligen Zeit zeigen wollen. Start: 13. Oktober 060
Barbara Seyr, Wolfgang Ennenbach / MFA / Alamode -Film, Fratella Filmproduktion, Netflix, Francesca Cassaro / Sky S tudios / Pant aleon Films / Indiana Pro duction In »Club Zero« nehmen Essstörungen eine zentrale Rolle ein. Was hat dich daran interessiert?

Dogman

Regie: Luc Besson ———— Zurück in alter Stärke präsentiert Luc Besson mit »Dogman« einen Film über einen Jungen (Caleb Landry Jones / Lincoln Powell), der misshandelt und zu Hunden gesperrt wurde – und später selbst zum Gewalttäter wird. Besson zeigt uns abermals einen ambivalenten Antihelden, über den das Publikum richten muss. »Dogman« vereint diverse Genres (wie psychologisches Drama, Thriller und Horror) zu einem frenetischen Ganzen. Start: 12. Oktober

Poor Things

Regie: Yorgos Lanthimos ———— Frankenstein, but make it feminist: In »Poor Things« wird – basierend auf dem gleichnamigen Roman des schottischen Autors Alasdair Gray – mit viel schwarzem Humor die Geschichte von Bella (Emma Stone) erzählt, die von einem Arzt (Willem Dafoe) zum Leben erweckt wird. »Poor Things« ist ein Steampunk-Feuerwerk, das nicht zuletzt von der Strahlkraft der Hauptdarstellerin lebt. Start: 12. Oktober

Ein ganzes Leben

Regie: Hans Steinbichler ———— Robert Seethalers Roman wurde als »kleines literarisches Wunder« bezeichnet, nun kommt er ins Kino. Erzählt wird das Leben des Hilfsarbeiters Andreas Egger (Ivan Gustafik / Stefan Gorski) voller Gewalt, Krieg und Armut, doch auch voll von Liebe zu seiner Frau Marie (Julia Franz Richter). Regisseur Hans Steinbichler sieht in der Geschichte »eine Parabel über das Wesentliche in unserem Leben: Liebe und Zufriedenheit«. Start: 9. November

Roter Himmel

Regie: Christian Petzold ———— Der titelgebende rote Himmel verweist auf den nahen Waldbrand, der ständig ins neue Beziehungsdrama von Christian Petzold einzubrechen droht. Nach dem Erfolg von »Undine« kehrt der Regisseur mit Teil zwei seiner Filmtriologie auf die Leinwand zurück. Dieser erzählt von vier Menschen, deren Wege sich in einer Hütte nahe der Ostsee treffen. Die anfängliche Sommerstimmung beginnt, sich zunehmend einzutrüben. Start: 24. November

Napoleon

Regie: Ridley Scott ———— Napoleon Bonaparte ist wohl eine der bekanntesten Figuren der Geschichte. Ridley Scott verpflichtete keinen Geringeren als Joaquin Phoenix für diese ikonische Rolle. Scott legt den Fokus auf die Beziehung zwischen Napoleon und seiner Frau Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby). Den Regisseur habe Napoleon immer schon fasziniert – wie er aus dem Nichts gekommen sei, um ganz Europa zu beherrschen. Start: 24. November

Mit Ohne

Alles Licht, das …

Idee: Steven Knight Netflix bringt mit »Alles Licht, das wir nicht sehen« abermals eine Literaturverfilmung. Marie-Laure (Aria Mia Loberti / Nell Sutton), ein blindes Mädchen aus Frankreich, und Werner Pfennig (Louis Hofmann), ein junger Soldat aus Deutschland lernen sich kennen, während Europa im zweiten Weltkrieg steckt. Schon der gleichnamige Roman war ein voller Erfolg, die Miniserie kann nun mit Stars wie Mark Ruffalo und Lars Eidinger aufwarten. ab 2. November Netflix

Unwanted

Idee: Stefano Bises Inspiriert von Fabrizio Gattis Buch »Bilal«, erzählt die achtteilige Dramaserie die Geschichte eines Kreuzfahrtschiffes, das von bitterer Realität eingeholt wird: Eine Gruppe Migrant*innen wird aus dem Mittelmeer gerettet. Das Schiff wird bald zum Brennglas für die weltweite Flüchtlingskrise. An Bord prallen Menschlichkeit und Grausamkeit, Toleranz und Rassismus, Hoffnung und Trauer, Leben und schließlich Tod aufeinander. ab 3. November Sky

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Christoph Prenner

Screen Lights Überlang? Überschwang!

Wenn es denn schon so sein soll, dass ich ausgerechnet am letzten glutheißen Sommertag, natürlich völlig selbstverschuldet, hier ein paar Worte verlieren (hoffentlich finde ich danach auch wieder ein paar neue) und mir einen Text aus den Fingern saugen darf (anatomisch funktioniert das angeblich so), dann möchte ich diese missliche Lage wenigstens dazu nutzen, auch gleich eine Sommerlochstory noch ein wenig weiterköcheln zu lassen. Denn nicht nur beispielshalber im Politik- und Gesellschaftsjournalismus, nein, auch in der über Kultur schreibenden Zunft weiß man angesichts des Aufeinanderprallens von meteorologischem Ausnahmezustand und thematischer Leere ja oftmals nicht so recht, woher der »Content« kommen soll. So oder so ähnlich muss es dem Spiegel-Redakteur gegangen sein, der sich jüngst unter der Überschrift »Hört das denn nie auf?« über die immer länger werdenden Laufzeiten von Kinofilmen erregte: »eine Tortur«. Oha.

Länge ohne Längen

Sicherlich fanden es in diesem Sommer einige befremdlich, dass »Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One« (allein schon der Titel!) 163 Minuten brauchte, um das eigentliche Finale für den kommenden Film einzuleiten. Und manch einer wird nicht zu Unrecht anmerken, dass mittlerweile jede Minute eines Marvel-Films eine zu viel sein kann – noch lange bevor der jeweilige generische CGI-Showdown überhaupt begonnen hat. Etwas skurril wurde es allerdings, als besagter Redakteur auch »Killers of the Flower Moon«, das neueste Werk von Martin Scorsese, das nach seiner Premiere in Cannes ab 19. Oktober auch in unseren Kinos zu sehen ist, ins Treffen führte. Schließlich war der Regisseur noch nie dafür bekannt, seine Kunst besonders kompakt und schnell konsumierbar einzurichten.

Sein Oscar-Triumph »The Departed« nahm 151 Minuten in Anspruch, sein größter Kassenerfolg »The Wolf of Wall Street« 180, schon

»Casino« brauchte 1995 drei Stunden für seine umfangreiche Erzählung, »The Irishman« zuletzt dreieinhalb – so lange wie jetzt »Killers of the Flower Moon«. Ja, diese Arbeiten gehen durchaus schon mal etwas langsamer voran, langatmig sind sie jedoch tatsächlich nie.

Die beiden letztgenannten, jüngeren Werke nehmen in dieser Aufzählung freilich eine gewisse Ausnahmestellung ein, die die Diskussion um die (Über-)Länge etwas komplizierter macht – wurden sie doch beide von Streaminganbietern in Auftrag gegeben, deren Interesse in erster Linie dem Schauen in den eigenen vier Wänden gilt – das lässt dann auch selbst gewählte Unterbrechungen zu – und weniger dem Erleben im Kino. Denn auch wenn die Regieikone das natürlich nicht gerne hören wird, muss selbst er sich natürlich der normativen Kraft des Geldfaktischen beugen, die besagt, dass in der aktuellen Lage der Industrie auch er epische Stoffe nur noch von Netflix (wie bei »The Irishman«) oder im aktuellen Fall von Apple als üppig ausgestattete Langfilme finanziert bekommt. Zumal sich die umfangreiche Sachbuchvorlage »Killers of the Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI« von David Grann durchaus für eine Binge-Marathon-gerechte Miniserie angeboten hätte – und in neun von zehn Fällen wohl auch eine geworden wäre, hätte nicht ausgerechnet Scorsese andere Pläne gehabt.

Der Western täuscht

Doch nicht nur das Format eines seiner mutmaßlich letzten Werke (»Ich will Geschichten erzählen und habe keine Zeit mehr«, klagte er kürzlich) hat der 80-Jährige nach eigenem Ermessen bemessen, sondern auch den Fokus entsprechend angepasst. Konkret bedeutet dies, dass die im Buch zentrale Ermittlungsarbeit des frühen FBI im Fall der Osage-Morde in den 1920er-Jahren, bei denen Dutzende von Indigenen im Rahmen einer großen Verschwörung zur Aneignung ihres ölreichen Landes

kaltblütig ermordet wurden, in seiner Adaption nur noch eine späte, wenngleich gewichtige Randnotiz darstellt.

Der rote Faden des Films ist nun vielmehr die Ehe zwischen der Erbin eines dieser riesigen Reservatsvermögen (eine Offenbarung: Lily Gladstone) und einem charmanten Chauffeur-Feschak (Leonardo DiCaprio), der sich – ebenso einfältig wie moralisch wankelmütig – von seinem doppelzüngigen Onkel (Robert De Niro, endlich wieder in finsterer Hochform) mit Dollarzeichen in den Augen alsbald zu unvorstellbaren Grausamkeiten verführen lassen wird.

Als Maestro Martys erster Western – wie einst kolportiert wurde – geht »Killers of the Flower Moon« trotz der betörend sandstaubigen Sepia-Shots von Kameragenie Rodrigo Prieto dabei allerdings nur bedingt durch. Doch auch wenn sich die Handlung anschickt, die Spuren eines jener Gangsterepen aufzunehmen, für die der Regisseur seit jeher steht, werden wir ein wenig hinters Licht geführt.

Seine wahre Natur offenbart der Film erst auf den letzten Metern, wenn Scorsese mit dem Pinsel des Ehedramas ein erschütterndes Sittengemälde auf die Leinwand (wirklich nur ausnahmsweise: auf den Bildschirm) zaubert und auf diese Weise eine uramerikanische Tragödie gleichsam auf einer bedrückend persönlichen Ebene aufblättert und eindringlich kontextualisiert. Also, ja: Es mag tatsächlich zahlreiche Minuten dauern, bis in diesem Epos das korrupte, kalte Herz von Kapitalismus und Kolonialismus dergestalt schonungslos offengelegt wird. Selbstredend hätte man aber auch keine einzige von ihnen missen wollen.

prenner@thegap.at • @prennero

Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast

Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen.

bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber
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Luca Senoner, Paramount Pictures
»Screen In »Killers of the Flower Moon« spielt Scorsese bis zum Ende geschickt mit Genreerwartungen.
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Die vielen Stimmen meines Bruders

Ein Bruder und seine Schwester begeben sich auf die Suche nach einer neuen Stimme für Ersteren, weil dieser seine eigene wegen eines Gendefekts nach und nach verliert. Aber die beiden wollen nicht nur eine einzige Stimme, sie suchen viele. Und der Bruder will sie nicht nur leihen, er möchte auch das Recht haben, sie – und damit sich selbst – zu erheben. Basierend auf der eigenen Familiengeschichte der Co-Autorin Magdalena Schrefel ist »Die vielen Stimmen meines Bruders« vor allem eine Geschwistergeschichte. Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Wien und dem Kunsthaus Weimar, sie wechselt im Februar 2024 vom Kosmos Theater ans Schauspielhaus Wien. 8. November bis 12. Jänner 2024 Wien, Kosmos Theater

Romeo <3 Julia

Cosmea Spelleken ist bislang vor allem durch ihre Arbeit mit digitalen Theaterformaten aufgefallen. Für eine der beiden Eröffnungsinszenierungen im neuen Theater am Werk bespielt sie hingegen den physischen Raum des Petersplatz-Kellertheaters. Das Publikum findet sich dabei inmitten von William Shakespeares 400 Jahre alter Tragödie wieder. Doch auch hier entsteht ein multimedialer Raum, in dem Film, Hörspiel, Stationentheater und Schauspiel verwoben werden. 6. bis 14. Oktober Wien, Theater am Werk (Petersplatz)

Bühnenbeschimpfung

Als eine Art Selbstbeschimpfung geht Sivan Ben Yishais zugrundeliegender Text hart mit dem Theater und dessen Produktionsprozessen ins Gericht. Die neue künstlerische Leitungsgruppe am Schauspielhaus Wien eröffnet mit »Bühnenbeschimpfung« ihre erste Saison mit einem Theatertext, der sich der Institutionskritik widmet und die Frage nach Veränderung weit über das Theater hinaus formuliert: nämlich, wie alle irgendwie in ihren Positionen feststecken. Von einer Dekonstruktion zu einer Erneuerung. 3. November bis 14. Februar 2024 Wien, Schauspielhaus

#dieteilzeitlosen

Der Text von Renate Aichinger beschäftigt sich mit einer Gruppe von Müttern, lose verbunden in ihrem Muttersein und dem Ort ihres Zusammentreffens, dem Kinderspielplatz. Es geht um ein Biedermeierleben der Vollzeitmamas, die das neueste I-Phone besitzen und ihre Kleiderschränke nach Anleitung von Marie Kondō sortieren, aber auch um Frauen, die ihre Zukunftswünsche gegen die Betreuung ihrer Kinder eingetauscht haben. Am Theater Kosmos in Vorarlberg kommt »#dieteilzeitlosen« zur Uraufführung. ab 16. November Bregenz, Theater Kosmos

Justitia! Il*legal Monsters

Die Performance »Justitia! Il*legal Monsters« erzählt die Geschichten von Leuten, die Grenzen überschreiten. Während Pässe und Identitätskarten Personen rechtlich identifizierbar machen, stellt sich die Frage: Wie kann ein Mensch illegal sein? Die Performer*innen Edwarda Gurrola, Johnny Mhanna und Faris Cuchi Gezahegn bespielen bürokratische Gerichtsszenarien und Fabelwelten. Sie stellen Migrationspolitiken, die rechtlichen Wege für Geflüchtete, nomadische Identitäten und die Motive hinter Fluchthilfe infrage. Als Rahmenprogramm für die Aufführung finden eine Reihe von Veranstaltungen statt – von Workshops über Round Tables und einen Artist-Talk bis hin zu DJ-Sets. 7. bis 12. Oktober Wien, Brut Nordwest

Fugue Four: Response

Unter Noch-Volkstheater-Intendant Kay Voges hat auch Performancekunst in das Stadttheater Einzug gehalten. Neben Florentina Holzingers »Ophelia’s Got Talent«, das im April als Koproduktion mit dem Tanzquartier gespielt wurde, zeigt das Volkstheater jetzt eine Wiederaufnahme von Olivia Axel Scheuchers und Nick Romeo Reimanns »Fugue Four: Response«, einer Performance über Selbstausbeutung, Schweißperlen und den Schrei nach einem Happy End – ursprünglich konzipiert im Rahmen des Wiener Porn Film Festivals. ab 1. Oktober Wien, Volkstheater

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Oliver Maus Heike Mondschein, Magdalena Fischer

Werden Sie Mitglied der STANDARD Publikumsjury bei der Viennale 2023.

DER STANDARD schickt heuer drei Leser:innen zur Viennale.

Drei STANDARD Leser:innen sehen und bewerten während des Filmfestivals (19. bis 31. Oktober) zwölf Filme, die in Österreich noch keinen Verleih haben. Der prämierte Film erhält vom STANDARD Inseratenraum im Wert von EUR 25.000,–. Bewerben Sie sich für die Jury bis Freitag, den 6. Oktober 2023. Mehr Infos auf: dSt.at/Publikumsjury

Der Haltung gewidmet.

Sex and the Lugner City Der Jäger und der Bobo

Deine Würstelstandbestellung verrät immer etwas über dich selbst. Wenn du was zu essen bestellst, willst du eigentlich heim. Wenn du was zu trinken bestellst, willst du noch ein bisschen aufbleiben. Und wenn du »a Eitrige mit an 16er-Blech« bestellst, bist du höchstwahrscheinlich ein Tourist.

Es muss zwischen zwei Lockdowns gewesen sein, als ich auf den Geschmack gekommen bin. Eines Nachts hatte sich ein Rapid-Fan mit seiner Hosenkette in der Sitzbank auf der Pilgrambrücke verfangen. Ich saß zufällig neben ihm und befreite ihn aus seiner misslichen Lage. Dafür war er so dankbar, dass er mich bei der »Würstelmausi« auf ein Bier einlud. Dort gesellten sich ein Philosophiestudent und ein Busfahrer zu uns, und aus dem einen Bier wurden fünf. Ich solle unbedingt mal mit ins Stadion kommen, meinte der Rapidler zum Abschied, es würde mir bestimmt gefallen. Mir gefiel schon allein die Vorstellung: ich, unter lauter Fußballfans, wie ich mit ihnen – ungeachtet aller gesellschaftlichen Barrieren – über ihre Sorgen und Nöte spreche. Josef Jöchl, man of the people!

Noch Wochen später schwärmte ich von diesem tollen Abend am Würstelstand. Corona hätte die Menschen einfach näher zusammengebracht, dozierte ich bei jeder Gelegenheit, gesellschaftliche Unterschiede fielen spät nachts, unter lauter Würsten, eben nicht mehr so stark ins Gewicht. Ins Stadion habe ich es seither zwar nicht geschafft, doch meine Abende ließ ich von nun an immer öfter am Standl ausklingen.

Sausage Party

Allerdings war ich ständig auf der Hut. Nur zu schnell konnte man am Würstelstand in ein Fettnäpfchen treten. Deshalb folgte ich immer demselben Schema: Ich kam um zwei oder drei, bestellte mir unauffällig eine Dose Bier und platzierte mich am Rande des Geschehens. Erst wenn es passte, fragte ich wie Toni Spira: »Na,

essen’s oft ein Würschtel?« oder »Sind’s zufrieden mit Ihrem Leben?« Manchmal sprudelten meine Gegenüber drauflos wie ich nach zwei Litern Kombucha. Manchmal beobachtete ich sie auch nur beim Armdrücken. Einmal nämlich forderte ein junger Dude den Würstler Gery zum Duell heraus – zu einem Wetteinsatz, der meinen kleinbürgerlichen Herzschlag für einen Moment aussetzen ließ: 4.000 Euro. Der Mittfünfziger Gery winkelte seinen Arm beherzt an, verlor jedoch binnen 30 Sekunden. Trotzdem gelang es ihm, den Wetteinsatz von 4K auf ein einziges Bier herunterzuhandeln und das Gespräch wieder auf den Beziehungsstreit zu lenken, in dem sich der junge Dude und seine Freundin befanden.

Weil Gery mich meistens neutral bis freundlich vorstellte (»Er ist ein Schwuler«), ließen mich die Würstelstandbesucher*innen gerne an ihren Problemen teilhaben. Polterrunden, kleine Schlägereien, irgendwelche Christians aus dem Sales-Bereich, die nach vier ihre tief vergrabene Bisexualität entdeckten: Selten zuvor erschien mir die etwas biedere Ecke der Innenstadt, in der ich wohne, so voller Leben wie in diesen Nächten. Vor allem, wenn Schnaps im Spiel war.

Verdinglichte Zuneigung

Eines Abends stieß ich auf eine Runde Männer. Sie war von der Sorte, die Brettspiele mag und nie aufgehört hat Cargopants zu tragen, und hatte sich um die Hauptattraktion dieser Nacht versammelt: zwei junge Frauen, Kellnerinnen des benachbarten Irish Pubs und von Berufs wegen an Incels gewöhnt. Der Vibe war Jägermeister. Gery stellte mich vor (»Er ist ein Stammgast«), und schon war ich in die JägerRunde eingebunden. Zsam, zsam, zsam.

Es herrschte eine ausgelassene Stimmung, die irgendwann auch einen Neuankömmling an den Stand lockte. Der Neue stand zunächst etwas schüchtern im Abseits, beantwortete je -

doch gewissenhaft alle meine Fragen (»Sind’s auch aus dem Bezirk?«, »Was bedeutet Glück für Sie?«). Er entpuppte sich als Küchenhilfe vom Plachutta. Auch er wollte sich in die Jäger-Runden einklinken. Doch als ihm Gery vorrechnete, wie viel neun Jägermeister kosteten, geriet er ins Wanken.

Ich persönlich hatte mir diesbezüglich schon längst eine Meinung gebildet. Eine weitere Runde Jägermeister hielt ich zu diesem Zeitpunkt für völlig übertrieben, schließlich hatten wir schon drei gehabt und selbst die waren noch nicht ganz ausgetrunken. »Die sind alle schon total besoffen«, beschwor ich den Neuankömmling, »spar’ dir dein Geld und kauf dir was Erfrischendes, dann hast du morgen kein Kopfweh.« Doch da drehte sich der Wind. Mein pädagogischer Impuls hatte einige der Anwesenden gehörig verärgert. Gery warf mir ein ungewohnt konfrontatives »Bist deppat, Oida?« an den Kopf. Die zwei Kellnerinnen pochten, obwohl bereits schwer angezählt, lautstark auf ihr Recht auf eine weitere Runde. Sogar der Pulk Incels sonderte sich von mir und der Küchenhilfe vom Plachutta ab.

Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass es den Anwesenden nie um den Jägermeister an sich gegangen war. Die kleinen grünen Fläschchen waren vielmehr eine verdinglichte Form der Zuneigung, nach der die Kreaturen der Nacht eigentlich suchten. All das erklärte ich der Küchenhilfe vom Plachutta, bevor ich sie einlud, mal mit zum Powerpoint-Karaoke oder zum Bikram Yoga zu kommen, was wir seither leider nie geschafft haben. Doch obwohl ich keine Eitrige bestellt hatte, beschlich mich am Heimweg das Gefühl, dass in diesen Nächten ich der Tourist gewesen war.

joechl@thegap.at • @knosef4lyfe

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Termine und mehr unter www.knosef.at.

Josef Jöchl artikuliert hier ziemlich viele Feels
066 Ari Y. Richter

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