The Gap 116

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Markus Schinwald – Manipulierte Körper Tyler, The Creator / iTunesU / Kreisky 116 Magazin für Glamour und Diskurs. MoNATLICH. VERLAGSPoSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 116, MAI 2011

Cherry Sunkist. Crysis 2. Folge Mir. mischer’traxler. Schwarzkopf. Portal 2. Alfred Goubran. Friendly Fires. Identities. Texta. 1810 – Kaspressknödel. Jamie Woon. Katie B. Im Wortwechsel: Warum gehst du nicht in die Politik?

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► l e i ta rt i k e l ►Von Thomas Weber

konfliktkultur

BILD MICHAEL WINKELMANN

Zehn Jahre Museumsquartier – eine Institution, eine neue Ära, ein Grund zu feiern wie zu streiten. ch durfte das größte Kulturprojekt der Zweiten Republik umsetzen«, meinte Wolfgang Waldner unlängst in der Presse am Sonntag. Waldner, nunmehr Sekretär im Außenamt, war bis vor wenigen Wochen Chef des Wiener Museumsquartier (MQ), das er von der Konzeptionsphase bis unmittelbar zum Beginn der Zehnjahres-Feierlichkeiten verantwortete. Die Aussage des gelernten Diplomaten klingt aber ‒ ich durfte ‒ nur aufs Erste bescheiden. Tatsächlich steckt in ihr auch ein Hauch Größenwahn. Der ist zwar nichts Ungewöhnliches unter den monomanischen Museums­direktoren des Landes. Er verdeutlicht aber, warum es ein ganzes Jahrzehnt lang immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den im MQ angesiedelten ‒ unabhängigen ‒ Kultureinrichtungen und Waldner kommen musste. Denn auch wenn sich die einstmals kaiserlichen Hofstallungen heute Flaneuren, Kulturtouristen und Restaurantbesuchern ganzheitlich als gastronomisch belebter, offener Kultur-Businesspark präsentieren: das Museumsquartier gibt es so nicht. Es handelt sich um eine Vielzahl kleiner Kulturinitiativen und einige wenige größere Museen einerseits und die Errichtungs- und Betriebsgesellschaft andererseits. Letztere leitete Waldner bis zuletzt – und lag mit seinen »Mietern« de facto permanent im Clinch. Streitpunkt waren vor allem Rolle und Funktion der Betriebsgesellschaft, die über das Vermarkten und Verwalten hinaus auch selbst als Kulturveranstalter aktiv ist. Durchaus mit ansprechendem Programm – von exquisit kuratierten Medienkunst- und Modefestivals im Quartier 21 bis zum publikumswirksamen Literatur- und Lesefestival O-Töne. Waldners Bilanz ist alles andere als schlecht. Obwohl die 3,8 Millionen Besucher, die 2010 an den Eingängen des Areals gezählt wurden, zur »Größe des Kulturprojekts« nicht zwingend beitragen und sich in Relation zum realen Besucheranklang des Kulturangebots ähnlich ausmachen dürften als käme man im Burgtheater auf die Idee, dem Theater­publikum auch die Sonnenanbeter im sommerlichen Burggarten und die Promilleklientel am Christkindlmarkt zuzuzählen. Er hat das Areal zweifellos belebt und kommerziell urbar gemacht. Doch während sich die MQ-Einrichtungen im MQ-Chef auch heute noch einen besseren Hausmeister wünschen, der nebenbei Sponsoringgelder aufstellt, um »seine« Institutionen finanziell zu entlasten, verstand sich Waldner eben auch selbst als Kulturmacher, der in epochalen Maßstäben (»Zweite Republik«) und Quantifizierbarkeit dachte. Derlei Auffassungsunterschiede sind nicht ungewöhnlich. Doch sie gehören genau jetzt, da der Posten

vom Ministerium neu ausgeschrieben ist, für die Post-Waldner-Ära diskutiert, definiert und verbindlich fixiert. Das ist im Sinne aller Beteiligten. Diese sollten ihre Zeit und Energie sinnvoller nutzen können, als sich weitere zehn Jahre in derselben Sache in den Haaren zu liegen.

»WIENER URBAN LIFESTYLE«

Interessant am MQ war zuletzt ‒ noch kurz bevor Wolfgang Waldner ins Außenamt wechselte ‒ vor allem, dass dessen Chef sich der Wiener Volkspartei als Vorsitzender einer Arbeitsgruppe zum Thema »Stadtleben ‒ Wiener Urban Lifestyle« zur Verfügung stellte. Das mag ein wenig auch den Verzweiflungsgrad der marginalisierten Stadtbürgerlichen verdeutlichen, die sich in einem Orientierungsprozess im Rahmen einer »Agenda Wien+« derzeit selbst zu finden trachten. Großartiges Gespür für moderne urbane Kultur und deren Mobilisierung hat man im MQ in den letzten Jahren nämlich gerade nicht gezeigt. Punktuelle Ausnahmen gibt es zweifellos. Doch die »Electric Avenue« im MQ verbreitet an den allermeisten Tagen den Charme und die Besucherfrequenz einer U-Bahnpassage kurz nach Betriebsschluss. Und die Fehleinschätzung der eigenen Zielgruppe, als es um das Alkoholverbot auf dem Areal ging, und die Reaktionen auf deren Facebook-Protest sind als medialer Worst Case in die hiesige Social-Media-Geschichtsschreibung eingegangen. Darüber hinaus ist 2011 ohnehin spannender als das Museumsquartier, was sich in Linz auf dem Gelände der ehema­ ligen Tabakfabrik oder in Wien-Favoriten auf dem Areal der Ankerbrotfabrik entwickelt. Da wie dort sollen Kultur- und Kreativzentren entstehen, die eben genau »nicht wie das Museumsquartier« werden wollen. Das MQ selbst hat ‒ im positiven Sinne ‒ ein ähnliches Schicksal wie der öffentlichrechtliche Jugendkultursender FM4 erlitten: Beide taugen als Reibebaum, sind heute aber Institution, auch weniger aufregend und haben an Bedeutung verloren. In beiden Fällen nicht unbedingt aus eigenem Verschulden, sondern weil das Angebot heute ungleich größer und vielfältiger ist als noch vor ein paar Jahren. Dennoch: Man kann und will sich ein Leben in dieser Stadt ohne sie nicht mehr vorstellen. ¶

Thomas Weber, Herausgeber weber@thegap.at

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Marku s Sc h i nwa l d

Bio-Wissen

Wenige Künstler stellen mit Ende 30 einen österreichischen BiennaleBeitrag. Nach Personalen in mehreren europäischen Städten ist dieser Auftritt gleichzeitig Bürde und Karrieresprung. The Gap zeigt vorab und exklusiv erste Arbeiten von Markus Schinwald für die 54. Biennale in Venedig. Wir haben den Künstler außerdem im Vorbereitungsstress zum Interview getroffen.

Es gibt kein gutes Essen im Falschen. Davon ist das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) überzeugt und verbreitet deshalb Bio-Wissen. Das unterstützen wir gerne – und haben FiBL eingeladen, eine Design-Strecke zum Thema zu gestalten. Umgesetzt von den Agenturen D+ Wien und Science Communications zeigen wir eine Liebeserklärung ans Format Info-Grafik.

Magazin

034 1810 – Für eine Handvoll Kaspressknödel

Die Tiroler Daniel Lenz und Harald Haller nähern sich Andreas Hofer – auch für Nicht-Tiroler durchaus unterhaltsam. sind in seinem Werk Irritationselemente. Über den Zusammen- 036 folge mir Für sein fragmentarisches Familiendrama hang von MacGyver und Sigmund Freud. »Folge mir« wird Regisseur, Produzent, Drehbuchautor, Kame022 Golden Frame: Rudolf Schwarzkogler Eine ramann und Cutter Johannes Hammel international gefeiert. Frau wird mit blauer Farbe übergossen und einem toten Huhn 038 games apocalypse Spiele setzen gerne auf die geschlagen. Rudolf Schwarzkoglers Aktion »Hochzeit«. (Post-)Apokalypse als Setting. Aktuell etwa »Motorstorm: 024 Tyler, The Creator Michael Aniser zeichnet eine Apocalypse« und »Crysis 2«. Geschichte des Hipster-Rap von den 80ern bis in die Ära der 040 paul virillio Cyberkrieg, Urbanisierung und postmoderPost-Ironie nach. Jüngster Hengst im Stall: Tyler, The Creator. ner Methodenmix. Merve veröffentlicht eine Blase, in der sich 025 Jamie Woon Auf seinem Debüt brechen sich die aufgezeichnete Interviews mit Paul Virilio eingenistet haben. Ausläufer von Dubstep in Soul und Pop. 042 Alfed Goubran Das späte Romandebüt des einstigen 026 Cherry Sunkist Im weiteren Umfeld feministischer Verlegers ist eine literarische Sensation: »Aus.«. Ein kluges Theorie befragt Cherry Sunkist Repräsentationsformen Buch über Männerfreundschaft, Tod und Außenseitertum. und Images. 044 mischer’traxler Designstuben wie mischer’traxler 028 friendly fires Das britische Trio im Feld zwischen Pop, oder breadedEscalope nähern mit limitierten Kleinserien Dancefloor und avancierter Soundästhetik unter Beschuss. auch von Österreich aus Design der Kunst an. 030 Katie B Die Klassenkollegin von James Blake, Adele und 046 itunes u Ein Apple-Service, der Uni-Vorlesungen Amy Winehouse entwächst dem Londoner Club-Untergrund. international öffentlich zugänglich macht. 032 identities Beim Queer-Filmfestival laufen heuer zwei 048 Neue Töne: Status Einreichung Drei Panels Filme, die sich mit Musikerinnen-Identitäten auseinandersetzen: lang wurde diskutiert, kein Fördercall von departure von Das Biopic »The Runaways« und die Doku »The Topp Twins«. derart langer Hand vorbereitet. Ein Zwischenstand.

018 Markus Schinwald Prothesen und Körperapparaturen

Basislogo-Anwendun

4c, 2c, 1c Positiv:

Aktuelle Raiffeisen Club­Eventtipps: GASOMETER

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16.06.2011


Editorial bi l d dER d e r au sga b e Für unsere Festivalbeilage »Festivalsommer« ist es mittlerweile schon gute Tradition, dass Magda Vukovic und Kurt Prinz mit einschlägigem Personal Jugendkulturen neu inszenieren. Nach Grunge und Metal waren heuer die Rauschkinder der 60er Jahre dran. Vorschläge für die kommenden Jahre: Swing Kids, Krocha, Oi! Punks oder Drum’n’Bass Headzzz.

Rubriken 003 Leitarti k e l 005 Edi toria l 006 Port räts / Im p r ess um 009 Fondue 010 Fabul a Ra sa 011 Un bezah lte r A n z e ige r 012 Charts / Sp l i tte r 050 Wortwec h s e l :

Es ist ein düsteres Heft geworden, mit kalten Bildwelten und mitunter ein wenig verkopft in den Themen. Das war nicht unbedingt so beabsichtigt, aber wir können ganz gut damit leben. In Sachen Games nähern wir uns dem Setting der Apokalypse (Seite 038), in der Musik feiert Tyler, The Creator durchaus brutal Hipstertum (Seite 024) und noch selten haben wir uns so ausgiebig in diverse Kunstwelten vertieft. Klar gibt es auch Humorvolleres und dann schließen sich die Zugänge ja auch nicht aus: Mit »1810« (Seite 034) nähert sich ein Film klamaukhaft der Heldenfigur Andreas Hofer und bei »Portal 2« verbinden sich mitunter böser Humor und ordentlich Rätselspaß auf willkommene Weise. Auch außerhalb des Hefts tut sich Einiges: Beim vierten twenty.twenty-Event am 14. April haben wir über Allgemeinbildung 2020 diskutiert, als Medienpartner haben wir kurz darauf die unternehmerische Aufbruchsstimmung bei Sime Vienna genossen, und während das Heft in Druck geht, gibt es im Rahmen des Wiener Popfests am 7. Mai einen weiteren Talk der Reihe »Neue Töne« und dann beginnt im Mai auch schon unsere Volksbank Festival-Tour mit der Poolbar-Party in der Pratersauna (19.-21. Mai). Wir kommen also weiterhin viel rum und wir hoffen, dass wir euch auch weiterhin viel sehen. Etwa in unserem neuen Club »Jack by The Gap«, programmiert von den beiden Szene-Größen Laminat und Moogle im Wiener Morisson-Club. Erster Jack: 27. Mai mit Drei Farben House. Bis bald! ¶

ngen (Abfallend+Satzspiegel)

Waru m ge h st d u n i c ht i n d i e Pa rt e i -P o l i t i k ?

052 Prosa: n a dja bu c h e r 054 Bildst r ec k e Wo r kstati o n : J u l i a n e F i s c h e r 060 Gründe r s e r i e Ga rmz 071 Revie ws 073 Lost in M u s i c : l ittl e r i c h a r d 075 Tracksp otti n g 090 Ter mine

4c, 2c, 1c Negativ:

Kolumnen 016 Zahlen, b i tte ! 082 Know-N oth i ng - G es e l l s c h aft

Illbilly – auch diese Nummer wieder sehr originell.

4c, 2c, 1c Neg mit Outline: Martin Mühl, Chefredaktion muehl@thegap.at

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TEXT thomas weber ► 0 0 6 / AUSGABE 116

Handwerk - Mundwerk Teresa Reiter, 22, hat die wichtigste Hürde bei The Gap bereits genommen: nämlich mit viel Hartnäckigkeit die gelegentliche Unerreichbarkeit des Kernteams zu überwinden. Zwei, dreimal bei einer Redaktionssitzung den Mund ordentlich aufgerissen ‒ selbst wenn man nicht derselben Meinung ist, schindet das Eindruck. Frei heraus zu sagen was sie denkt, ist eine ihrer großen Stärken. Im Musikteam ist sie eine derjenigen, die ohne Untergriffigkeiten und ohne Umschweife erklärt, warum sie eine Band scheiße findet. Ihre Deckchair Orange-Besprechung war eigentlich recht wohlwollend gedacht, und selbst dann noch wurde der Text als »Verriss zwischen den Zeilen« wahrgenommen. Im zarten Alter von 17 hat sie bereits ein Redaktionspraktikum beim Kurier absolviert, ein Jahr später bei der Krone, sie schreibt schon mindestens so lange für FM5, dort ist sie mittlerweile auch im Vorstand, und seit letztem Jahr auch für The Gap. Irgendwann wird sie auch ihre Lehre als Buchhändlerin abschließen, wenn sich ein Zeitfenster auftut. Von sieben angebrochenen Studien sind heute immerhin noch Germanistik und Orientalistik übrig geblieben. Nebenbei veranstaltet Teresa die Konzertreihe Club Nolabel mit dem Ziel, österreichische Nachwuchsbands zu fördern. Im Sommer ist dann der Balkan angesagt. Für Die Presse erforscht sie dort die Musikszene in Serbien und im Kosovo; womit sie auch ihr Türkisch, Italienisch, Spanisch oder Serbisch aufbessern wollte. Das wissen wir jetzt leider nicht mehr genau. Zwischenzeitlich träumt sie wechselseitig von ihrem geistigen Führer Jim Morrison oder redaktionellen Deadlines. Deadlines, ha!, da ist sie bei uns genau an der richtigen Adresse. ¶ TEXT stefan niederwieser

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

Er ist gekommen, eine Lücke zu schließen. Ab dieser Ausgabe leitet Peter Stuiber in The Gap das neu geschaffene Design-Ressort. Auf seinen Job als Pressesprecher des Wien Museum hat das allerdings keine Auswirkungen. Warum wir glauben, dass The Gap bislang ein Design-Ressort gefehlt hat? Diese Frage beantwortet Peter Stuiber am besten selbst: »Warum Design? – Bei 80 Prozent von Design geht’s um Oberfläche und Konsum. Aber beim Rest geht’s ums Ganze.« Genau. bei uns wird sich der studierte Historiker und Germanist jenen 20 Prozent widmen, die andernorts kaum Beachtung finden, weil man Design gemeinhin bloß als Dekor oder schickes Wohnen sieht. Bei uns bedeutet Design vielmehr Alltagsdesign, experimentelles Design, Designkritik und visuelle Kommunikation. Auch Porträts von jungen Design-Büros und Initiativen wird es in Zukunft regelmäßig in The Gap und auf www.thegap.at geben. Diese Beschäftigung fehlt insgesamt in Österreich, sie fehlte bislang in The Gap – und mit Peter Stuiber haben wir unseren absoluten Wunschkandidaten für die Sache gewinnen können. Einen, den wir schon lange als unaufgeregten Kenner der Materie schätzen. Zuerst fiel er uns als Publizist auf (lange Jahre arbeitete er als Chef vom Dienst für das Schaufenster, die Lifestyle-Beilage von Die Presse), dann als Buchautor (etwa seine Reihe über Adolf Loos), seit 2005 als wohltuend professioneller Pressesprecher und im Vorjahr erstmals auch als Co-Kurator (»Design in Wien 2000 bis 2010«). Nicht zuletzt passt auch die Sozialisation des bald 39-Jährigen perfekt zu The Gap. »Aufgewachsen in Randlage, in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Favoriten. Eine gute Schule, die einen lebenslang vor Schnöseltum schützt.« Wir gratulieren! Uns, ihm und vor allem natürlich unseren Leserinnen und Lesern. ¶

teresa reiter

Busching, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Daniel Garcia, Lisa Gotthard, Manfred Gram, Dominique Gromes, Benedikt Guschlbauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Peter Hoffmann, Lena Hopp, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Markus Köhle, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Johannes Luxner, Julia Melcher, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Florian Obkicher, Michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karoline Podolecka, Christian Prenger, Teresa Reiter, Werner Reiter, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Lukas Schmid, Bernhard Schmidt, Johann Scholz, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidl, Wolfgang Smejkal, Cornelia Stastny, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Ursula Winterauer, Imre Withalm, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Lisa Dreier, Johannes Rausch termine Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Raphaela Valentini, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Klaus Mähring, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVERBILD Markus Schinwald WORKSTATION-FOTOstrecke Juliane Fischer DESIGN Monopol, Super-Fi ILLUSTRATIONEN Iris Kern, Claire Paq Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, Codeon, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Christoph Ullmann, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Manz Crossmedia GmbH & Co KG, Stolberggasse 26, A-1051 Wien geschäftsFÜHRung Bernhard Schmidt PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2.00 erscheinungsweise 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien

Mister 20 Prozent

Impressum HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Katharina Abpurg, Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Christine Baumgartner, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, David Bogner, Klaus Buchholz, Johannes

BILD alain poirson

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voices of the unknown – the breath of silence Barbara Kraus art for a lonely heart Anna Mendelssohn Show Ghost Jan Machacek Rühren, Berühren, Aufruhr Jean-Luc Nancy 12 Songs Katherina Zakravsky / Radek Hewelt Sofamaschine Hubert Lepka / lawine torrèn voices of the skin Moravia Naranjo / Anna McRae / The Diving Home Band Pénombre Rosalba Torres Guerrero / Lucas Racasse / Les ballets C de la B How Far Can We Talk? Martina Ruhsam / Vlado G. Repnik Uhlich Doris Uhlich Shoot me Luke Baio / Dominik Grünbühel STÜCKWERK 2011 Lieder von Liebe und Krieg deufert&plischke — www.tqw.at —

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Hast auch du einen Blick für das Bemerkenswerte da draußen? Dann halte deine Handycam stets im Anschlag, fang die Stilblüten und optischen Querschläger ein, und schick sie uns per MMS oder E-Mail an fondue@thegap.at BILD THoMAS WEBER, MICHAEL oRTNER, LINA MARIA GÄRTNER, BARBARA PILLER, PHILIPP GoTTSCHALL, SToF HoFER

nicht immer verbirgt sich eine Flasche hinter einem Polizei-etikett, aber: es kann schlicht passieren.

nach der Pilotproduktion wurden lediglich namen und Titel geändert, und jetzt läuft’s als »desperate Housewives« im TV.

»die Vegetarier sind ja alle komplett irre«, lautet die einschätzung von Fleischermeister Jakob Creutzfeldt.

ich füttere dich, dickes gelbes Vögelchen! Jetzt mach schon den Mund auf … Mist. Jetzt hab ich doch danebengekotzt.

die Ostmafia verschleudert ihr verschnittenes Zeug da muss ich raten. P. Hofbauer? mittlerweile kiloweise. Mit etwas Glück muss man nur stundenlang kotzen, mit etwas mehr Pech wird man der nächste Gast in Mörtels Opernball-loge.

Have a look: Weitere Höhe- und Tiefstpunkte sowie upload-Möglichkeiten für neue Fotofundstücke, gefischt aus dem eintopf des Alltags — www.thegap.at inserat_nite 17_5:Layout 1

02.05.2011

14:15

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MAK NITE Dienstag / 17.5.2011 / 20.00 Uhr ©

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»Man sollte alle Tage wenigstens ein     kleines Lied hören, ein gutes Gedicht     lessn, ein treffliches Gemälde sehen und,     wenn es möglich zu machen wäre, einige     vernünftige Worte sprechen.«     (johann wolfgang von g.)

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Ich mach mir nichts vor, wenn ihr mir nichts nachmacht. Am 7. September 1772 stand Freiherr Edmond von St. Stäuben vor der Herausforderung seines bereits langen Lebens. Mit seinen 42 Jahren war er weiter und höher in den Rängen der habsburgischen Monarchie gestiegen, als jeder andere aus seiner weit verzweigten Familie. Er, der Gesandte im Dienste des Kaisers, der ausgeschickt worden war, um das Reich des russischen Zaren zu erkunden, der Kontakte zur Hohen Pforte geknüpft hatte, der in der gesamten Agäis gereist war, sollte nun in einer halb offiziellen, halb inoffiziellen Mission an den Hof des Kaisers von Frankreich reisen, um dort eine äußerst delikate Angelegenheit einzuleiten: die erste Anbahnung der Idee der Heirat der habsburgischen Kaisertochter mit einem Cousin des französischen Kaisers. Die Geschichte lehrt uns, dass aus dieser Idee nichts wurde, aber die Details ihres Scheiterns stehen sinnbildlich durch die gesamte moderne Geschichte. Edmond von St. Staubern fiel nämlich in Versailles in eine höfische Intrige, die ihn beinahe zu Fall gebracht hatte. Und dabei drehte sich alles um ein zu hart gebackenes Brötchen, das dem französischen Kaiser zum Frühstück vorgesetzt worden war und der fiebrigen Suche nach dem Schuldigen dieses Skandals bzw. den Vorstößen französischer Höflinge, eben unseren Edmond von St. Stabrich zum Schuldigen zu machen. Hatte er sich doch in nur wenigen Wochen seiner Anwesenheit am Hof von des Kaisers persönlichem Ausritt-Pferdehalter über seinen Arschwisch bis zum Mundschenk hochgebeugt. Und dieser kometenhafte Aufstieg war den anderen Höflingen ein schwerer Dorn im adeligen Auge, also schmiedeten sie den Plan zu Vernichtung Edmonds. Die weiteren Details sind nicht überliefert, aber Edmond von St. Stullen reiste überstürzt nach einem kurzen Aufenthalt von nur vierzehn Monaten mitten im Winter nach Wien zurück. Der geringe Erfolg seiner Mission dürfte auch dazu beigetragen haben, dass von ihm keine weiteren kaiserlichen Aufgaben dokumentiert sind. Es findet sich nur noch ein ungarischer Gutsherr namens Edmond von Schaubrich in den kaiserlichen Hofdokumenten. Also ist anzunehmen, dass sich Edmond schnellstens in eine ihm gnadenhalber angewiesene Reichsstellung zurückgezogen hat und von 1774 an weit außerhalb des Glorienscheins des kaiserlichen Hofes zu Wien sein Leben verbrachte. Immerhin, dem Sonnengott in Versailles ein eingetrocknetes Brötchen zu reichen kommt in etwa dem Versuch gleich, Gott selbst zu vergiften. Jetzt wissen wir natürlich heutzutage nicht mehr, ob es Gott wirklich gibt. Aber damals, im 18. Jahrhundert, war man sich dessen völlig gewiss, immerhin waren seine prächtigen Wohnstätten nicht zu übersehen, und konnte man mit viel Glück an einem schönen Tag einen Blick auf ihn werfen. ¶ cracked69@hotmail.com

Die NDU ist eine Studieninitiative des WIFI und der Wirtschafskammer NÖ.

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Unbezahlter Anzeiger

Alle Waren und Dienstleistungen dieser Welt sind gleich gut. Die scheinbaren Unterschiede werden nur im Kopf der Konsumentinnen erzeugt, u.a. bzw. v.a. mit Werbung, d.h. z.B. mit bezahlten Anzeigen. Auch in diesem Heft gibt es davon welche, und nur die bewusste Verknappung vermag dem Impact noch ein zusätzliches Momentum zu verleihen. Um einer drohenden Branchenmonopolisierung eine angemessene Blockade entgegenzustellen, finden sich an dieser Stelle einige unbezahlte Anzeigen – Segnungen des Konsumiversuns.

LASER PLATTENSPIELER

Es gibt immer eine dritte Option. Auch für Audiophile, die sich nicht zwischen der analogen Wärme der LP und der digitalen Präzision der CD entscheiden können: Den postmodernen Laser-Plattenspieler mit pico bello Schubladenlaufwerk. Und selbst wenn weder das eine noch das andere erfüllt werden sollte, gehört die entrückte Laune der Hi-Fi Elektronik in den Turm einer jeden gear slut mit Betamax-posttraumatischen Realitätsschwierigkeiten. Für 33 bzw. 45 RPM kommt entweder ein Gas- oder ein Rubinlaser zum Einsatz (… nicht wirklich). www.audioturntable.com ▪▪

PREGGIE POPS

Vom Lutschen kann man ja keine Kinder bekommen. Indes für den Fall, dass schon welche unterwegs sind, sorgen die »Preggie Pops« fürs schwangerschaftliche Wohlgefühl. Ätherische Öle nehmen die morgen- bzw. magendliche Übelkeit, Fruchtextrakte heben die Laune, und Rohrohrzucker den Blutzucker. Im Sortiment: Himbeere, Lavendel, Minze, Ingwer oder Mandarine. Allein »Schoko-Salzgurke« fehlt im Sortiment, Angebot und Nachfrage (d.h. hysterische hormonelle Weinkrämpfe im Reformkaufhaus) werden das aber in kurzer Zeit erledigt haben. ▪▪

OMG-1

Ein Dekadenz-Frankenmonster von einer SynthWorkstation. Der OMG-1 ist eine Einzelanfertigung von Eric Persing und Hauptpreis eines Wettbewerbs der Bob Moog Foundation. Die Zutatenliste liest sich wie die Wixvorlage des digitalen Nachwuchsproduzenten: 1 Moog Little Fatty, 2 iPads, 2 iPods, 1 Mac Mini, 1 Akai Controller, 1 Airport Express. Das alles ist nebst Audio-Peripherie-Rattenschwanz säuberlich in eine gediegene Holzkonsole eingeschraubt. Da wird Franco Bontempi (Name von der Redaktion erfunden) noch im Grab nervös. www.spectrasonics.net ▪▪


Clara Luzia

(Musikerin, Label-Betreiberin)

TOP 10

DINGE, DIE ICH MIR VoN MEINEN KATZEN ABSCHAUEN KÖNNTE Zehennägel abbeißen Menschenkenntnis Schnurren Sabbern Ausdauer Sekkatur Gelenkigkeit Stimmvolumen Schlafausdauer Scheiße vergraben

TOP 05

GITARRE-AKKoRDE 01 02 03 04 05

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AUCH NICHT SCHLECHT: Leitungswasser.

Friedrich Plöckinger (Market Vinyl – www.dasmarket.at)

TOP 10

IN My Box RIGHT NoW

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Al Green – Love & Happiness (Shoes Edit) Auto Delta Time – Inception (Acoustic Division) Marcello Napoletano – Target House (Hotmix) Mid Air – Ease out (Full Scope) Instant House – Dance Trax Raw EP (Not on Label) J. Junker – Unclean Muthafucker (Neurhythmics) Ricardo Miranda – Thank you Chicago (Reincarnation) Ike Strong – Boogie Land (Willkerr Records) T. Kouzuki – The House of The Rising Sun (Mathematics) Humandrone – Rude Low (Wphyellow)

TOP 05

BEST HIDEAWAyS – SCHÖNSTE VERSTECKE AM MITTELMEER 01 02 03 04 05

Villa Chiara (Nardo) Palmarola (Ponza) Lubenice (Cres) Giglio (Toskana) Castro (Apulien)

AUCH NICHT SCHLECHT: Sassicaia 2003 (Rot, Toskana).

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Trendforschung via Kurzfilm, Teil 2

Einmal Schwarz-Weiß bitte, mit Überblendung und in hD!

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Dass Kurzfilm der unübertreffbare Gipfel aller Kunst von Menschenhand ist, haben wir in Teil 1 bereits unwidersprochen festgestellt. Hier trifft sich die Avantgarde, wenn es wieder einmal darum geht, die hippsten Trends der kommenden Jahre auszubaldowern. Hier wird mit den ausgefuchstesten formalen Spielregeln experimentiert, bis auch der letzte Farbfilm vor Schreck erbleicht. Und hier wird auch dem überzeugtesten Skeptiker klar, dass nach 31.941 gesichteten Kurzfilmminuten – jede für sich genommen ein innovativer Paukenschlag – selbst ein Technikspektakel wie »Avatar« im Anschluss nur noch ein müdes Lächeln auf die Lippen zu zaubern im Stande ist. Wir befinden uns also im Gravitationszentrum der filmischen Erneuerung, im Tempel der göttlichen Eingebung, wo die Fäden von Moderne und Postmoderne am Flatscreen zusammenlaufen, um sich zu noch unvorstellbaren Leinwandutopien zu verknüpfen. Wer das nicht so recht glauben mag, kann gerne mal in unserem Büro vorbeischauen, einem kleinen Träumchen für jede seriöse Trendforschung (nicht zuletzt auch in den Bereichen Inneneinrichtung und New Media). Aber genug, es geht hier schließlich um eine kritisch-analytische Betrachtung der formalen Entwicklungen im Kurzfilmbereich. Wohlan! Die digitale Revolution hat eindeutig Spuren hinterlassen – wenn man bei einem De-Facto-Kahlschlag im 35-mm-Bereich überhaupt noch von »Spuren« sprechen will. Kurze Filme auf Filmmaterial sind ein bisschen wie positive Förderbescheide. Man freut sich sehr über sie, wundert sich aber auch hin und wieder, dass es sie wirklich gibt. Inzwischen kommt alles in HD oder als Quicktime-File oder mit Vimeo-Passwort verschlüsselt – was die Filme ja nicht per se schlechter macht. Aber offenbar länger. Tatsächlich neigt der durchschnittliche narrative Kurzfilm mittlerweile zu einem ausschweifenderen Verhalten als noch vor ein paar Jahren, was sich mittelfristig wohl auch auf verwandte Formen wie Sakralarchitektur und Gesundheitsvorsorge auswirken dürfte. Unterdessen hält die Liebe zu SchwarzWeiß auch mehr als 80 Jahre nach dem vermeintlichen Siegeszug des Farbfilms unvermindert an. Zwangsweise davon betroffen ist das internationale Grafikdesign, das sich seit geraumer Zeit ausschließlich mit Grautönen beschäftigt, um der Einbettung vormals farbiger Sponsoren-Logos in unzähligen farblosen Kurzfilm-Abspännen endlich Herr zu werden. Zum Schluss noch ein paar überlebenswichtige Do’s and Don’ts für Dummys: Nein, ein Kurzfilm braucht keine Pointe am Schluss. Nein, er muss sich im dramaturgischen Aufbau auch nicht am aristotelischen Modell orientieren (damit gleich alle sehen, dass der erste Langfilm schon im Hinterkopf kauert und nur darauf wartet, aus seinem Käfig rausgelassen zu werden). Und nein, der Film wird durch ein kontrastloses Video-Schwarzweiß oder gefinkelte Filter und Überblendungen definitiv nicht tiefgründiger oder künstlerischer. Was dagegen nie schaden kann: sich im Vorhinein mal zu überlegen, ob die gewählte Form der Umsetzung mit dem Inhalt in irgendeiner Art und Weise korreliert. Nicht, dass das jemals nicht der Fall wäre. Wir sagen’s bloß mal. ¶ VIS Vienna Independent Shorts 8. Ausgabe des internationalen Kurzfilmfestivals, 26. Mai bis 1. Juni 2011 — www.viennashorts.com

TEXT RAIMUND LIEBERT, DANIEL EBNER BILD NUIT BLANCHE / SPy FILMS / VIS

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Peer-Group- und Remix-Learning

BILD FLo AUER

Was wird man wissen müssen? Was wird künftig einen gebildeten Menschen ausmachen? – Fragen wie diese wurden im Rahmen der Diskussionsreihe twenty. twenty diskutiert. Schon die Blogparade zum Thema – Allgemeinbildung 2020 – war hochkarätig, der Abend selbst gut besucht.

Was wird man im Jahr 2020 wissen müssen? Die Suche nach Antworten, Mitte April im Wiener HUB.

Für eine gebührende Gesprächsgrundlage und Diskussionsstoff war gesorgt: Bereits im Vorfeld des vierten Abends unserer Diskussionsreihe twenty.twenty hatten zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens die Blog-Parade genutzt und Kommentare zum Thema Allgemeinbildung im Jahr 2020 verfasst: der Industrielle und Ex-Politiker Hannes Androsch ebenso wie der Wiener Kultur- und Wissenschaftsstadtrat Andreas Mailath-Pokorny oder Harald Walser (der Bildungssprecher der Grünen), Kultur-Blogger Christian Köllerer oder Sigrid Neudecker, bis vor Kurzem Gründungsmitglied von Zeit Wissen. Fokussiert: die Keynote von Ursula Maier-Rabler. Darin schilderte die Salzburger Bildungswissenschafterin unseren Weg zu einer Netzwerkgesellschaft und die »Nonlinearität als Herausforderung«. Im Anschluss diskutierte sie – moderiert von The Gap-Chefredakteur Martin Mühl – gemeinsam mit Rupert Corazza vom Stadtschulrat Wien, Series-GamesEntwickler Jörg Hofstätter und Bernadette Bayrhammer, Redakteurin des Lehrerportals auf DiePresse.com. Erläutert wurden dabei moderne Formen des Lernens wie etwa Peer-Group-Learning (das Lernen von Gleichaltrigen) oder der Umgang mit bereits von anderen erarbeitetem Wissen (Abschreiben? Plagiat? Zitat?) oder auch die mögliche Einbindung technischer und spielerischer Hilfsmittel. Ursula Maier-Rabler sprach sich dabei zentral für einen Wandel weg von einer Antwort-Kultur hin zu einer Fragekultur aus. Am Podium bestand darüber hinaus Einigkeit, dass der Weg in eine berufliche Selbstständigkeit früher gefördert werden müsste, um auch Veränderungen am Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen, und Rupert Corrazza fasste den Umgang von Kindern und Online-Medien pointiert zusammen: »Computer auf, Kind rein. Anders geht es nicht.«. ¶ twenty.twenty ist eine gemeinsame Diskussionsreihe von The Gap und A1, die über unsere Lebensrealität im Jahr 2020 nachdenkt. Infos und Videos zu den bisherigen Abenden unter — www.twentytwenty.at

Das Brandneue Album! Ab Dem 29.4. Inkl. Der Hitsingles: “Tokyo (Vampires And Wolves)” “Jump Into The Fog” + “Techno Fan” Weiterhin Erhältlich:

www.thewombats.co.uk www.14thfloorrecords.com


Martin Drexler, der Sime nach Wien geholt hat, im Gespräch mit Therese Engström von Sime Non Profit. Unten: Chairman Ola Ahlvarsson lässt sich von Ace Of Base Ulf Ekberg dessen Erfolge erklären.

Felix Bergleiter / Bnckd (Praterei, RUN VIE)

TOP 10

KASTLN ZUM MUSIKMACHEN

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Fender Rhodes Roland TR-909 oberheim Matrix 6 Roland TB-303 Korg Monopoly yamaha Dx7 Technics 1210 Acidlab Miami Roland Juno 60 Clavia Nord Modular

TOP 05

HERMES EPISoDEN (WILLKoMMEN ÖSTERREICH) 01 02 03 04 05

Zaubererball in Linz David Hasselhoff im Praterdome Erdapfelkirtag in Stattersdorf Esoterikmesse in Wien Pyjamaball in Zell am Moos

AUCH NICHT SCHLECHT:

Rodriguez – Cold Fact (1971, A&M Records).

Unternehmertum als Mindset: #sime11

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Florian Bogdan (Praktikant Marketing)

TOP 10 KoNZERTE

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At The Drive-In – 2001 Flex, Wien New End original – 2001 Chelsea, Wien Beastie Boys – 1998 Libro Music Hall, Wien The Kooks – 2006 La Cigale, Paris Motorpsycho – 2007 Rockefeller, oslo Turbonegro – 2007 Bla, oslo Chk Chk Chk – 2007 Vulcan Scene, oslo I Am Kloot – 2007, Flex, Wien Aphex Twin (Dj-Set) – 2009 Donaufestival, Krems Autechre – 2008 Postgarage, Graz

TOP 05

LIEBLINGSWERBESPoTS 01 02 03 04 05

Nike Skateboarding – Running Nike Skateboarding – Tennis Argentina New Cinema Film Festival 2009 Canal+ – The Closet Snickers – Mr.T, Speedwalker

AUCH NICHT SCHLECHT: Klub Kariert.

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Auch rein zahlenmäßig muss die Sime Vienna 2011 als Erfolg gefeiert werden. Rund 1.100 angemeldete Gäste kamen zu einer wirklich vollen Konferenz in die Ottakringer Brauerei in Wien. Geboten wurden ihnen unterhaltsame Vorträge und Panel-Diskussionen zu allerlei Themenbereichen des digitalen Unternehmertums. Und eine beispiellose Möglichkeit zum Netzwerken. Schon in seinem Eingangstatement lud Chairman Ola Ahlvarsson nicht nur dazu ein, sich das Programm auf der Bühne anzusehen, sondern empfahl ganz offen, auch die vielen anderen Räume zu nutzen und während man den Vorträgen über Beamer und Lautsprecher lauscht, neue Leute und möglicherweise Geschäftfelder kennenzulernen. Es stimmt schon, für Auskenner waren viele der Sprecher ebenso bekannt wie manche ihrer Vorträge. Während der Konferenz gab es außerdem ein bisschen Unmut, in erster Linie via Twitter und von Agenturmitarbeitern, die eine stärkere inhaltlichtere Ausrichtung der Sime Vienna erwartet hatten. Doch darum ging es eben nicht. Im Zentrum standen nur bedingt Cutting Edge-Technologien und neuestens Marketing-Wissen, sondern globale Trends, ein bisschen ein How-To erfolgreicher Beispiele, das Treffen mit internationalen Persönlichkeiten sowie der lokalen Szene. Sime ist es gelungen, erfolgreiche Unternehmer-Figuren (Stefan Glaenzer, Daniel Mattes, Matt Stinchcomb / Etsy, Dan Schatt / Paypal u.a.) nach Wien zu bekommen, die sich in direkten Austausch mit den Besuchern begaben. Zu den Highlights zählten für viele darüber hinaus die Vorträge von Wired Europe-Editor David Rowan über das Positive und Notwendige am Scheitern, MITs Asaaf Bidermann über die Stadtforschung, oder auch TED-Speaker Pablos Holman, der sich humorvoll als Hacker inszenierte und darüber hinaus innovativste technische Ideen für globale (Umwelt-)Probleme präsentierte. Bei prickelnden Getränken tauschten sich die Akteure in den weitläufigen Räumlichkeiten aus und es gelang die gewünschte Vernetzung. Selbstständigkeit, Unternehmertum und Gestaltungswille waren auf der Sime Vienna jederzeit präsent – eine Basis für weitere Veranstaltungen sollte hiermit gelegt sein. ¶ — www.sime.nu

BILD GIL CHENG

Am 28. April 2011 brachte die erste Sime Vienna internationales Digital Entrepreneurship nach Wien. Ein willkommener Motivationsschub für eine heimische Szene in Aufbruchsstimmung.


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Messe Wien, Messeplatz 1 1020 Wien, Eingang A U2: Messe-Prater Do 11.00—19.00, Fr 11.00—21.00 (Performance Nite ab 18.00) Sa 11.00—19.00, So 11.00—18.00

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www.thegap.at /  gewinnen

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NIKE V SERIES 01

Sie haben schnittige Namen wie Vector, Vengeance oder Vortex. Die V-Series von Nike wird neu aufgelegt. Außen blieb alles gleich, aber die inneren Werte der V-Series wurden erneuert: mit Lunar- und Air-Technologie geht es gegen die Schwerkraft. Wir verlosen 1 Paar Vortex. Betreff: 116 Schritte wie damals

FIVB WORLD TOUR SWATCH 02

Der A1 Beach Volleyball Grand Slam feiert sein 15. Jubiläum. Swatch ist Hauptpartner der FIVB World Tour und hat der FIVB Swatch 2011 zum Jubiläum ein weiß-goldenes Outfit verpasst. Volksbank, der Presenting-Partner des Klagenfurter Sand-Auflaufs, verlost im Mai online Karten für das Event, wir 1 × die besagte Swatch-Uhr. Betreff: 116 Sandkörner halten kein Uhrwerk auf. Betreff

MICKY EPIC 03

Ein paar Monate nach Erscheinen des Warren Spector-WiiGames »Micky Epic« erscheint nun ein Comic zum Spiel. Anlass genug, 1 großes Gewinnspiel-Paket (Spiel, Comic, Figur & T-Shirt) zu verlosen. Betreff: 116 Farben machen Mickys Welt gleich bunter

SPURLOS – DIE ENTFÜHRUNG DER ALICE REED 04

Der Hochspannungs-Thriller als Katz- und Mausspiel. Die Entführung der Millionärs-Tochter war genauestens geplant – und dann kommt doch alles anders. Wir verlosen 3 Exemplare der DVD (Ascot). Betreff: 116 Mal anders als geplant

THE INFORMERS 05

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Bret Easton Ellis selbst hat das Drehbuch zur Verfilmung seines Romans verfasst. Ein All-Star-Ensemble verfeinert den Blick auf ein Los Angeles der 80er Jahre; das Leben der Protagonisten wird von Reichtum und innerer Leere bestimmt. Wir verlosen 1 × Buch, 1 × DVD und 1 × Blu-Ray. Betreff: 116 Reichtümer gegen die Langeweile

VIE NN AF AIR

THEINTERNATIONAL CONTEMPORARY ARTFAIRFOCUSED ONCEE

WWW.VIENNAFAIR.AT

Hauptsponsor


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►KOLU M NE / Z a h l en , b i t t e ! ►Von Thomas Edlinger

26,5 Prozent der Kinofilme sind angeblich Komödien. Sollten es vielleicht noch viel mehr werden?

New Black: mitten in NiederOEsterreich

Da wir aber auch später nicht über den höheren Sinn dieser Aktion aufgeklärt werden, müssen wir annehmen, dass wir es hier mit einer unfreiwilligen Persiflage (post-)postkolonialer Verhältnisse zu tun haben. Immerhin ist der Agent Provocateur ja der eingeladene Künstler mit Bleiberecht und die Blaskapelle die vom Gelände unverzüglich abzuschiebende Masse. Und hat offenbar in Sekunden erkannt, dass man den Aufmarsch der Uniformierten mit den goldenen Blechfetischen in der Hand am besten mit jenem Verhalten begegnet, das erwartet wird – und das noch ein bisschen aufbläst. Der Performer gibt der befremdlichen und latent bedrohlichen Szene also einen komödiantischen Anstrich, indem er sich genau so verhält, wie es der rassistische Andere von ihm erwartet: als aggressiver »Wilder«, als reiner Körper, der nicht Geist sein kann und seinen Weißenhass im Blut hat. So ähnlich sind New Black auch schon am Abend zuvor im Kremser Stadtsaal vorgegangen. Dort gab der schwarze Tänzer Gotta Depri einen Edutainer, der uns in die Geschichte der zeitgenössischen Tanzinnovationen aus den Straßen afrikanischer Metropolen einweiht. Ihm zur Seite gestellt war der weiße, »natürlich« ungelenkere Hauke Heumann, der die eingestreuten französischen Kommentare ins Deutsche übersetzte und die Moves zu synchronisieren versuchte. Diese auch ziemlich komisch anzusehende Umkehrung der Dressur- und Anleitungsverhältnisse zwischen Afrika und Europa, bzw. einem »farbigen« und einem »weißen« Paris, wurde dann auch noch mit einer Parodie auf den zeitgenössischen westlichen Tanz und seine Pathosgesten verschnitten, die im Gegensatz zur zuvor dargestellten sozialen Erdung der afrikanischen Expressivität etwas fast schon rührend Gespreiztes hatte. Und am Ende zeigte uns diese Verwechslungskomödie über die Körper auch noch am Beispiel der André Heller-Show »Afrika! Afrika!« und ihrer Eingemeindung verschiedener »fremder« Bewegungen, wie Subkulturen systematisch soweit abgeschliffen und verwestlicht werden, bis sich der Wunsch nach exo► 0 1 6 / AUSGABE 116

tisch-erotischen und bitte schon auf Modelmaße normierten, schwarzen Körperbildern und die Anforderung von »künstlerisch wertvoller« Anmut in der Verkitschung treffen. Applaus und Tusch!

Auschwitz? ‒ Genial!

Auch in dem famosen Film »Der Namen der Leute« (Regie: Michel Leclerc) geht es um das multikulturelle Leben im Paris von heute. Und auch hier wird das Register der Komödie bedient, um ernste Themen in den Griff zu kriegen. Der Film handelt nämlich vom Traumawettstreit eines ungleichen Paars. Sie hat algerische Wurzeln, wurde als Kind vom Klavierlehrer missbraucht und parodiert nun den Freudomarxismus, indem sie mit »Faschos« vögelt, um diese politisch umzudrehen. Er ist Vogelgrippenspezialist und Enkel von Holocaust-Opfern. Beide, und das macht einen Teil der Komik des Films aus, leiden darunter, dass sie nicht mehr so leiden und leben können wie ihre Vorfahren. Der verschwiegene Arthur fühlt beim besten Willen zum Leid nichts Tragisch-Jüdisches mehr in seiner Mittelschichtexistenz. Die aufgedrehte Bahia kann sich trotz redlichem Bemühen nicht als die Fremde im eigenen Land gebärden, die sie gern wäre oder vielleicht nur für andere gern darstellen würde. Einmal sagt Bahia, fast eifersüchtig auf die leidvolle Geschichte des Anderen: »Auschwitz? Das ist doch genial!« Jetzt fragen wir uns natürlich: Dürfen wir über so etwas lachen bzw. wieso können wir gar nicht anders? Und warum macht uns das kein schlechtes Gewissen? Vielleicht liegt es am Genrewechsel von der Tragödie zur Komödie. Der Wiener Philosoph Robert Pfaller bricht in seinem aktuellen Buch »Wofür es sich zu leben lohnt« jedenfalls eine Lanze für die produktiven Missverständnisse, die das Komische anfeuern (und die er scharf von der heutigen Spaßkultur trennt, die im Unterschied zur erhellenden Komödie keinen Wahrheitsanspruch mehr erhebt). Wichtig ist dabei der Wechsel der Blickperspektive: Komisch ist man laut Pfaller immer für andere. Heroisch leiden kann man auch in seinem narzisstischen Gefängnis. Die erkenntnistheoretische Pointe, auf die Pfaller hinaus will, lautet: Der Idealismus der Tragödie redet uns ein, dass wir freier sind, als uns bewusst ist. Wir müssten nur die gesellschaftlich aufoktroyierten Masken abwerfen und als diejenigen handeln, die wir angeblich im Innersten sind. Die Tragödie kreist so um die Selbstachtung und Selbstbeobachtung des Menschen und verfehlt das Soziale. Der Materialismus der Komödie sieht das hingegen genau umgekehrt. Er sagt: Wir sind nur das, was die anderen glauben – und nicht das, wofür wir uns halten. Wir sind also nicht so frei, wie wir uns einbilden. Wir sind marionettenhafte Sinnverfehler. Und deshalb tanzen wir wohl auch so, wie wir tanzen. ¶

Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at

bild Ingo Pertramer

nd es begab sich neulich an der Donau im Fürstentum der Prölls. Ein schwarzer Mann mit nacktem Oberkörper hüpft breitbeinig vor einer Blaskapelle mit dem bösen Blick. Der Mann grinst provozierend, salutiert mehrmals und deutet mit den Händen: »Na los, kommt her, wenn ihr euch traut, ich hab euch zum Fressen gern!« Als Beobachter weiß man nicht genau, was einem da eigentlich gespielt wird. Schließlich passiert der Culture Clash ja mitten in der geschützten Werkstatt des Donaufestivals. Der Mann ist Mitglied der Performancegruppe New Black, und die zünftige Abordnung der deutschösterreichischen Leitkultur mit dem Marsch im Arsch, die da gerade das Festivalgelände entert, exekutiert vielleicht gerade eine »Intervention im öffentlichen Raum«, von der sie vielleicht sogar selbst gar nix weiß. Schließlich ist das Festival ja auf Experimentelles abonniert.


Von Strebersdorf auf den Bisamberg | Sonntag, 15. Mai 2011

Fotos: Johannes Cizek | Christine Schoppmann | Bence Thoroczkay | Privatbesitz

Ab 10.30 Uhr: Klassikbühne | Lesungen | Kinderprogramm | Naturführungen | Ab 11.30 Uhr auf der Ö1 Bühne: »gehört.gewusst.« – Das Ö1 Quiz live | Zwielicht | Adrian Gaspar Gypsy Combo | Waldeck feat. Zeebee | u. v. m. Eintritt frei! | Alle Details → oe1.orf.at/kulturwandertag

Klaus Waldeck

Kasperl

Woody Black 4

Wiener Art Schrammeln

Stefan Wagner Group

Federspiel

Adrian Gaspar Gypsy Combo

Zwielicht


► Ma r ku s Sc h inwa l d ► Biennale-Künstler vor Bürde und Karrieresprung

»Marion« wird in Venedig erstmals ausgestellt. Wenige Tage vor Druck hat der Künstler die Bilder freigeben, die im Schaffen Markus Schinwalds eine neue Nuanciertheit eröffnen.


DER DJ IN DER WUNDERKAMMER

links M arion 2011 – Öl auf Leinwand, 60 × 55 cm, Courtesy of the artist. © VBK, Wien 2011

rechts T en in Love, 2006. 35 mm Film, Farbe, Ton, 4,43 min. Courtesy of the artist. © VBK, Wien 2011

Markus Schinwald zählt zu den erfolgreichsten jungen Künstlern Österreichs. Er beschäftigt sich mit der Kulturgeschichte des Umgangs mit dem Körper, menschlichen Zwängen, versetzt Biedermeierporträts Prothesen und zitiert immer wieder aus der Populärkultur. Nun fährt er zur Kunstbiennale nach Venedig, gleichermaßen Bürde und Karrieresprung.

TEXT LISA GRÜNWALD / ERWIN UHRMANN

im Film »Ten In Love« aus dem Jahr 2006. Die künstlichen Arme, eigenartigen Schuhe und verkrampften Haltungen seiner Protagonisten nähren sich etwa vom Freud’schen Begriff des Prothesengotts. Demnach benutzt der Mensch Werkzeuge und Apparaturen, um seine Körperlichkeit zu vervollkommnen. Diese Prothesen, die Schinwald den Menschen in seinen Arbei­ ten anzieht, aufsetzt oder umbindet, sind hier meist Gerätschaften aus früheren Jahrhunderten, deren Sinn heute nicht mehr nachvollziehbar ist. So wird ein Ausstellungsraum mit Schinwalds Arbeiten oft zur Verlängerung einer Wunderkammer, die das Seltsame und Mysteriöse erahnen lässt. Der Körper ist in etonboden, hohe Räume, hie und da eine diesen Arbeiten ein kulturelles Konstrukt, das sich im Laufe der Skulptur. Markus Schinwald gibt momentan Zeit wandelt. Metamorphose oder die Technik des Morphing, die viele Interviews in seinem Arbeits­atelier im zum Beispiel in Science-Fiction-Filmen zum Einsatz kommt, 2. Wiener Bezirk. Er wirkt sportlich elegant übersetzt Schinwald in das System Kunst. Die Darstellung des Körpers, mit Haltung und Kleidung, und angenehm locker. Nervosität merkt man dem 1973 in Salzburg geborenen Künstler schlicht die Geste in Schinwalds Werk, lässt sich allerdings nicht an, obwohl er in Kürze eine hohe Bühne besteigen wird. auch mit der Oper erklären. Vor seiner künstlerischen Laufbahn Von 4. Juni bis 27. November wird er den Österreichischen Pa- sammelte er Erfahrungen bei den Salzburger Festspielen, wo er villon auf der 54. Kunstbiennale von Venedig, der wichtigsten schon als Fünfjähriger als Statist mitwirkte und über die Jahre Kunstausstellung der Welt, bespielen. In den vergangenen Jahren Wissen und geistiges Repertoire ansammelte. Maßgeblich gewurde Schinwald innerhalb der internationalen Kunstwelt mehr blieben für den Künstler Schinwald ist die Abstraktion in der und mehr bekannt. Seine verzerrten, entrückten Körper und Oper. Große Gefühle, Liebe und Tod vor einer Kulisse in Kos­ manipulierten Modeartikel erregten die Aufmerksamkeit der tümen zu besingen bedeutet, alles auf das Wesentliche zu reKritiker und des Publikums. Vertreten durch die renommierten duzieren und zu verdichten, was sich in den Performances und Galerien Georg Kargl in Wien und Yvon Lambert in Paris waren Filmen Schinwalds nachvollziehen lässt. seine Arbeiten ‒ Filme, Fotografien, Installationen, Skulpturen und Performances ‒ in mehreren Einzelausstellungen im Kunst- Der Körper als haus Bregenz oder in der Augarten-Dependance des Belvedere, Durchgangsmoment vor allem aber auch international in Zürich, Frankfurt, Budapest Alle vorsichtigen Beschreibungsversuche wären nur eine Anund Brüssel zu sehen. näherung an das, was ab Juni auf der Kunstbiennale in Venedig zu sehen sein wird. Gerne überrascht Schinwald den Betrachter. Er legt Wert auf die geeignete Präsentation der einzelnen ObFilme und Psychoanalyse Schinwald ist einer Künstlergeneration zuzurechnen, die jekte, inszeniert diese und bettet sie in ein möglichst klares und nicht mehr zwischen Hoch- und Populärkultur unterscheidet funktionelles Displaysystem ein. Nur so viel wie gerade notund wertet. Seine Arbeitsweise vergleicht er mit der eines DJs, wendig geht der Künstler dabei auf die Ursprungsarchitektur der ein Stück Musik verändern kann, wie er mag. Schinwalds ein. Manchmal lässt das jeweilige Raumsystem den Betrachter Ausgangsmaterial ist dabei immer der Raum, den er bespielt. näher an die Dinge heran, manchmal zwingt es ihn zu einem Lange im Vorfeld aber sammelt er schon die Ideen zusammen. distanzierteren Blick auf das Geschehen und die Objekte. Auch Dabei zählt der Film zu seinen wichtigsten Inspirationsquel- die genaue und hochästhetische Ausführung der Exponate und len. Der Künstler plündert buchstäblich, wie er in einem seiner die Veränderung ihrer Erscheinungsform schaffen eine klare Kataloge zugibt, Videotheken. Für seine Recherchen benötigt Distanz. Diese Mechanismen ermöglichen es, sich im Kontrast Schinwald immer wieder den Rückzug, den er als Pendler zwi- dazu in seiner eigenen Körperlichkeit wahrzunehmen. schen den USA und Österreich besonders Übersee in Anspruch nehmen kann. Beim Schauen von Filmen klaubt er sich all das heraus, was ihm von Interesse erscheint. In der nächsten Arbeitsphase angekommen, verschränkt er als Künstler das Erinnerte mit Theorie, etwa der Psychoanalyse, eine Technik, die ihm als Kontrolle dient. Wenn auch ein Universum an Quellen und Originalen vorhanden zu sein scheint: Der Betrachter muss laut Schinwald nicht in der Lage sein, all das zu decodieren. So ist es etwa zu jedem Zeitpunkt möglich, in seine Filme einzusteigen. Was man dann sieht, sind Körper in eingezwängt wirkenden Posen mit unheimlichen Gerätschaften, wie etwa AU S GA B E 1 1 6 / 0 1 9 ◄


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In Schinwalds Arbeit »Vanishing Lessons«, gezeigt 2009 auf drei Ebenen des Kunsthaus Bregenz, blieb der Besucher außenstehender Zuschauer. Auf den gegenüber den Bühnenkästen posi­tionierten Tribünen konnte er das Geschehen im Sitzen mitverfolgen. Anders wird es einem wohl in Venedig ergehen. Laut Kommissärin Eva Schlegel wird man als Besucher dort vielmehr zum Performer und der eigene Körper zum Bezugspunkt eines Korridorlabyrinths. Man beginnt einzutauchen in Schinwalds subtile Repräsentationsformen emotionaler Regungen. Dabei dockt er an die Physis des Betrachters an und rechnet damit, dass sich gleichzeitig auch die Schleusen zu dessen Gefühlswelten ein Stück weit öffnen. Seine Arbeiten dienen als Projektionsflächen und Spiegel. Der reale Körper des Betrachters wird zur Schnittstelle zwischen einem künstlerisch erschaffenen Illu­sionsraum und den eigenen, inneren Vorgängen.

Vom Verschwinden und Auftauchen

Bei den Darbietungen eines Illusionisten à la David Copperfield sind die Zuschauer weniger davon beeindruckt, dass die Tricks funktionieren, sondern sie sind verblüfft darüber, wie ihre Sinne getäuscht wurden. Markus Schinwald weckt im Umgang mit dem Feld des Unsichtbaren andere Reaktionen. Dort ist es weniger das Staunen, sondern viel mehr ein Gefühl der Irritation und des Nicht-Zuordnen-Könnens. Wer mit den von Schinwald übermalten und bearbeiteten Biedermeier-Gemälden und Lithografien, aber auch seinen mechanischen Marionetten konfrontiert wird, ist fasziniert von der Suggestionskraft der Leben­digkeit und der Feinheit der Ausführung. Im ersten Moment beeinträchtigen die störenden subtilen Eingriffe des Künstlers kaum, sie werden geradezu verdrängt und trotzdem wird es unvermeidbar, die Frage zu stellen, welcher Wirklichkeit diese Arte­fakte nun tatsächlich zuzuordnen sind. Markus Schinwald bezeichnete die Stützapparate, diese schlaufen-, halfter-, masken- und schmuckartigen Gebilde auch einmal als »nette launische Dinger, als Prothesen für unbestimmte Fälle«. Reagiert man auf den Anblick »zersägter Jungfrauen« also mit euphorischem Kribbeln ‒ schließlich weiß man ja, dass das, was man da sieht, so nicht sein kann ‒ hinterlassen Schinwalds Täuschungsmanöver ein Gefühl der Unruhe und Unbestimmtheit.

Venedig und die Welt

Nach Venedig wurde Markus Schinwald von der Künstlerin Eva Schlegel eingeladen, die heuer als Kommissärin des 1934 von Josef Hoffmann erbauten Österreich-Pavillon auf der Kunstbiennale auftritt. Die Arbeitsweise Schinwalds, für jeden Ausstellungsraum ein Konzept zu erarbeiten und umzusetzen, scheint Kuratoren obsolet zu machen. Für Schinwald selbst ist der Ausstellungskurator jedoch keine aussterbende Art, dient er ihm doch nach eigener Aussage als wichtiges Regulativ, auf das er nicht verzichten möchte. Respekt hat Schinwald auch vor dem Betrachter. Er hat vollstes Verständnis dafür, wenn jemand sich seiner Arbeit nicht ausliefern will und den Raum verlässt. In Venedig wird das wohl anders sein, werden doch in wenigen Wochen die Massen die Pavillons im Arsenale und den Giardini stürmen. ¶

Der Österreich-Pavillon bei der Biennale Venedig eröffnet am 2. Juni. Mit dem Coverbild »Nell« sowie der Abbildung »Marion« sind in The Gap erstmals aktuelle Arbeiten im Vorfeld von Venedig zu sehen. Experten kommentieren den Weg zur Kunst-Biennale auf — labiennale.at Von 28. Oktober 2011 – 5. Februar 2012 werden ausgewählte Arbeiten von Markus Schinwald in einer Personale im Lentos Kunstmuseum Linz zu sehen sein.

links A Stage Matrix II, 2006. Performance with Oleg Soulimenko, Protections, Kunsthaus Graz. Foto: Pilar Alcalá. © VBK, Wien 2011

Körperapparturen, funktionslose Prothesen spielen im Werk Schinwalds eine zentrale Rolle. Die hochtheatralischen Dressuren sind in den Filmen, Performances, Skulpturen und Bildern des Künstlers zu finden.

rechts L yndon, 2007 – Pigmentprint, 100 × 70 cm, Privatsammlung, Courtesy of the artist. © VBK, Wien 2011

»Mir ist MacGyver ein Stück weit näher als Godard.«


»er sang dieselbe arie nochmal, auch wenn er in der szene schon gestorben war.« Als österreichischer Vertreter bei der Biennale verändern sich die Erwartungshaltungen. Der Künstler Markus Schinwald über die Bürde Venedig. Inwieweit spielt es eine Rolle, dass du auch mit Populärkultur als Ausgangsmaterial arbeitest? markus schinwald : : Es ist naheliegend. Als Kind wächst man mit all diesen Dingen auf und nicht unbedingt mit der Kunst, die man suchen muss. Vieles aus der Popkultur übersetzt die Kunst in eine andere Sprache. Was interessiert dich am meisten? Filme schauen ist sicher das, was ich am Exzessivsten betreibe, und da auch weniger den Kunstfilm. Ich schreck vor gar nichts zurück. Jeder Blödsinn ist mir recht. Übersetzt du dann diese Dinge in die Kunst hinein? Ich gehe jetzt nicht mit einem Notizblock ins Kino und schau, was ich mir rausklauben kann. Bestimmte Sachen machen einen starken Eindruck und die verfestigen sich. Irgendwann kommt dann die Theorie dazu, oder? Die kommt quasi parallel und man braucht alles nur ab einem gewissen Zeitpunkt zu verschränken. In der Kunstwelt werden immer noch lieber bestimmte Filme analysiert, die eher der Hochkultur angehören. Man schaut sich, wenn man über Gesten spricht, Godard an, obwohl das bei MacGyver genauso gut funktioniert. Mir ist MacGyver ein Stück weit näher als Godard. Kannst du deine Arbeitsweise beschreiben? Es klingt ein bisschen missverständlich, aber ich arbeite am ehesten so wie ein DJ. Ich gehe dabei fast immer von einem bestehenden Objekt, Bild oder Raum aus. Auch ein DJ hat mit einem Stück Musik viel Handlungsspielraum. Er kann es rückwärts spielen oder langsam, er kann es unterbrechen, er kann es beschleunigen. Wie wichtig ist dir die Narration in deiner Arbeit? Gar nicht. Wenn das literarische Pendant zum Spielfilm der Roman ist, hab ich bei meinen Filmen immer geschaut, eher aufs Gedicht zu gehen, im höchsten Falle etwas Pseudonarratives zu machen. Geht es dir auch um den Betrachter? Ich arbeite eher betrachterfreundlich. Auch von der Zeit her ist es absolut zu bewerkstelligen, sich meine Filme im Ganzen anzuschauen und irgendwo einzusteigen, es gibt kein Initial. Kann man deine Arbeit vollständig decodieren? Das Decodieren bringt nicht sehr viel und deshalb vermeide ich es, Referenzen anzugeben, weil es eher zu Missverständnissen führt. Soll man als Betrachter ausweichen dürfen? Eigentlich ist es mir lieber, wenn man ausweichen kann. Was ich überhaupt nicht aushalte, ist, wenn man im Theater von einem Schauspieler direkt adressiert wird. Aus einer Ausstellung geht man einfach raus. Und ich hab Sympathie für Leute, die das tun, auch bei meinen Sachen. Im Kino wäre es auch einfach zu gehen. Warum bleibt man? Ich hab mal ein Interview mit John Waters gelesen. Er geht überhaupt nie aus dem Kino, und wenn ihm ein Film nicht gefällt, dann stellt er sich vor, dass er einen Film über Lampen sieht. Es geht mir eigentlich nur im Theater so, dass mir etwas peinlich ist für jemanden, stellvertretend, dieses Fremdschämen. So schlecht war bisher noch keine Ausstellung, dass ich mich geniert hätte für jemanden, und beim Film eigentlich auch nicht.

interview Lisa Grünwald & Erwin Uhrmann

Du hast selbst jahrelange Opernerfahrung gesammelt. Die Oper ist als Format schon so abstrakt und die Vorstellung, dass jemand über Tod oder Liebe vor einem Publikum singt, die ist so gaga, dass es diesen Peinlichkeitseffekt einfach nicht gibt. Bis in die 20er Jahre hat es auch während der Oper ein »Encore« gegeben. Der Tenor hat eine schöne Arie gesungen, die Leute applaudierten, und er sang dieselbe Arie noch einmal, auch wenn er in der Szene schon gestorben war. Die Verknappung und Verdichtung in der Oper hat auch mit deiner Arbeit zu tun, oder? Ja, und auch dieses abstrakte Level, das dabei ist. Der Zwang spielt in deiner Arbeit eine Rolle. Ich glaube, eine enge Uniform anhaben ist gar nichts Unangenehmes, solange man sie wieder ausziehen kann. Es gibt auch so Zwänge, die eher positive Aspekte haben als negative, also auch ein Stöckelschuh ist mit Sicherheit nicht bequemer als Hausschlapfen. Es gibt viele Gründe, warum man so einen Zwang selbst wählt. Frauen, die immer noch Korsett tragen, tun das nicht für den Blick der Männer, sondern weil es für sie angenehm ist, auch Männer tun das. Das Wichtige dabei ist die Wahl. Wie wirst du mit dem österreichischen Pavillon bei der Biennale in Venedig umgehen? Im Grunde mache ich einen zweiten Grundriss an der Decke, der aus vielen Korridoren besteht. Diese Korridore sind dann in der Körpermitte des Betrachters amputiert. Wenn man in die Knie geht, sieht man durch den ganzen Pavillon hindurch den ursprünglichen Grundriss. Wie geht es dir eigentlich in der Rolle als österreichischer Vertreter bei der Biennale in Venedig? Eigentlich geht es mir gar nicht so gut. Ich musste mich selbst daran gewöhnen, dass es keine normale Ausstellung ist, die der eine gut und der andere schlecht findet, sondern dass es da eine Art der Identifizierung gibt und noch dazu eine, die ich selbst nie gesucht habe. Ich habe nie ein großes Problem gehabt, Öster­reicher zu sein, aber auch keinen Vorteil gesehen. Es war mir immer egal und plötzlich kriegt es so etwas, dass man, ob man will oder nicht, damit verbunden ist. Und es unterstellen einem die Leute, dass es Weiß-Gott-Was wäre. Letztlich bedeutet es für Österreicher etwas, aber einem Belgier ist es ziemlich egal, wer das macht. Hast du keine Erwartungen? Ich hoffe schon, dass mir diese Teilnahme andere Möglichkeiten eröffnet. Aber ich erwarte mir jetzt nicht, dass die Karriere irgendwo hinkatapultiert wird. Oft sind die Ausstellungen, wo man am wenigsten glaubt, dass etwas passiert, die besten und umgekehrt. ¶ AU S GA B E 1 1 6 / 0 2 1 ◄


TE X T Margit Emesz BILD mumok

Der Aktionist als Zeremonienmeister: Rudolf Schwarzkogler vollf端hrt rituelle Szenen mit Fischen, Farben und Eingeweiden.


► Golde n Fra me ► »Hochzeit« von Rudolf Schwarzkogler

Hochzeit als Aktion Die 1965 durchgeführte Aktion »Hochzeit« ist der Beginn von Rudolf Schwarzkoglers aktionistischem Schaffen. Die wohl konsequenteste Persönlichkeit aus dem Dunstkreis der Wiener Aktionisten bannt Schmerz, Ästhetik, mystische Symbolik und rituelle Handlungen nach einem strengen Konzept in drastische Bildsprache. Mit gerade einmal 29 Jahren stirbt Rudolf Schwarzkogler unter ungeklärten Umständen nach einem Sturz aus dem Fenster seiner Wiener Wohnung. In seinen sechs dokumentieren Aktionen, mit denen er knapp vier Jahre vor seinem Tod begonnen hat, lotet er die Schmerzgrenze aus, untersucht körperliche Erfahrungen, zerlegt, zerteilt, fügt wieder zusammen. »Hochzeit« ist Schwarzkoglers erster Versuch in Eigenregie, davor nahm er als Statist bei Aktionen der Wiener Aktionisten, allen voran Hermann Nitsch, Otto Muehl und Günter Brus, teil. Im Ablauf der Inszenierung betritt der junge Aktionist selbst als Zeremonienmeister das weiß ausgekleidete Setting. Er begibt sich an einen Tisch und macht sich an diversen Gegenständen mit teilweise okkulter oder christlicher Konnotation zu schaffen: Fische, Eier, ein totes Huhn, Gefäße mit Flüssigkeiten, dazu Schere, Messer, Klebebänder. Die Fische werden seziert, ausgeweidet, mit Farbe übergossen, gestopft, letztlich mit Klebeband umwickelt und teilweise angezündet. Nach dieser rituellen Vorbereitung – ist es eine Kommunion, ein letztes Abendmahl, eine Opferung? – enthüllt er die Braut, in Person von Günter Brus’ Ehefrau Anni. Die in weiße Laken gehüllte Frau wird durch ein Loch in einem aufgespannten Leintuch hervorgeholt, mit blauer Farbe übergossen, schließlich gewaltsam entblößt und mit dem toten Huhn geschlagen. Man wird Zeuge einer Unterwerfung, die Frau fügt sich als unfreie Marionette. Im letzten Teil der Aktion betritt als dritter Akteur Heinz Cibulka den Raum, es kommt zu einigen szenischen Abläufen, bei denen immer wieder Farbe verschüttet wird.

Rituelle Handlungen und sexuell konnotierte Symbolik

Die Gegenstände, Farben und Handlungen der nach einem streng konzipierten Ablauf abgehaltenen Aktion verweisen auf mystische Zusammenhänge. Die Farbe Blau, die göttliche Farbe, kann Opferblut, Jungfernblut oder auch Ejakulat sein. Sie stellt eine Referenz zu dem von Schwarzkogler verehren Künstler Yves Klein dar. Der Fisch, Symbol Christi, hier aber auch phallisches Instrument, ist in den kommenden Aktionen Schwarzkoglers ein stets wiederkehrendes Bild. Auch das Ei, Andeutung von Fruchtbarkeit, Sexualität, Weiblichkeit, Geburt, bleibt ein Bestandteil weiterer Aktionen, in denen Schwarzkogler sich eingeschnürt und abgebunden, mit Farbe übergossen und verstümmelt präsentiert. »Hochzeit« kann als Anti-Hochzeit, als Kritik an der traditionellen Institution Ehe und den gesellschaftlichen Konventionen der späten 60er Jahre – in Zusammenhang mit der sexuellen Revolution – gesehen werden. An die Grenze gehen – und darüber hinaus – war die Intention des von Zeitgenossen als sensibel und verschlossen beschrieben jungen Künstlers. Ob er nun freiwillig aus dem Fenster gesprungen ist, als finale Aktion, ob es ein Unfall war – man weiß es nicht. Der tragische Vorfall hat jedenfalls zu einer zusätzlichen Mystifizierung des Rudolf Schwarzkogler beigetragen. ¶ Die Dokumentation der Aktion »Hochzeit« ist unter anderem in der Ausstellung »Direct Art - Wiener Aktionismus im internationalen Kontext« noch bis 29. Mai 2011 im Mumok Wien zu sehen. AU S GA B E 1 1 6 / 0 2 3 ◄


► Tyl e r , T h e Cr e ato r ► Wahnsinn, Hipsters, Gewalt sich am Establishment abzuarbeiten, um ein dissidentes Kalkül zu wahren und die langsame Unterwanderung des Mainstream vorzubereiten, ist Ironie heute ein fast allgegenwärtiger Zustand geworden.

Ironie-loop

so called hipster rap Von der Blogger-Nische ins Fernsehen, vom Bootcamp in die Charts. Tyler, The Creator ist nicht aufzuhalten und justiert nebenbei munter unser Popverständnis. n seinem Beitrag zum n+1 Essayband »What Was The Hipster?« versucht der afroamerikanische Blogger Patrice Evans eine Geschichte des »So Called Hipster Rap« nachzuzeichnen. Er geht von den 80ern aus als Acts wie Dana Dane, Will Smith oder Biz Markie begannen, ihre Rap-Texte als Geschichten mit Meta-Lyrics zu unterwandern und ein frühes Konzept distanzierter Ironie zu entwickeln, das HipHop zwar schon immer irgendwie inhärent war, jedoch erst durch ihre gezielten Angriffe auf die etablierte Methodik zu einer Weiterentwicklung führte.

»Post-Ironie« meint allerdings keine Epoche nach einer Phase der Ironie, sondern überführt eher ein postmodernes Konzept in die Ironie selbst: Post-Ironie funktioniert also ähnlich einer Impfung, die ja auch das System mit gering dosierten Krankheitserregern eher abhärtet als schützt. Wenn Tyler dann in seinem Video zur Single »Goblin« eine Küchenschabe verspeist und hinterher kotzt, ist das quasi seine Impfung mit der Post-Ironie. Kaum ein Interview, in dem Tyler nicht erwähnt, dass er wieder Stress mit der Mutter hatte. In seinen Lyrics thematisiert er, wie es ist, ohne Vater aufzuwachsen. Doch wird nicht etwa, wie noch 1995 in Larry Clarks Jugendfilmklassiker »Kids«, eine dunkle Generation X-Mystik heraufbeschworen, sondern eher an einem eigenen Konzept von Randständigkeit gewoben, womit gar nicht erst behauptet werden muss, wirklich abgefuckt zu sein, sondern eh schon jedem klar ist, dass sich Dinge wie Dosenbier und Drogen perfekt als Fashion-Utensilien nutzen lassen und Distinktion schon lange einem Konsens unter Führung des Vice Magazine gewichen ist. Odd Futures Sound definiert sich dann auch über zerhackte und verschrobene Beats, genauso wie es Vorreiter des Hipster Rap wie The Cool Kids oder Lupe Fiasco vorgemacht hatten. Mit den abgebremsten Chopped and Screwed Parts fügen sie sich auch grazil in den Zeitgeist ein. Für Tyler erklärt sich das Ganze natürlich wiederum ganz einfach: Er könne mit keinem Sampler umgehen, das sei ihm zu anstrengend, also bosselt er seine Beats und Sounds lieber in diverser Software zusammen. Da kommen dann eckige Beats raus, die sich jedoch perfekt mit seiner Trademark Bass-Stimme vertragen.

Business punks

Tyler, The Creator stellt seinen Output frei zur Verfügung und schert sich einen Dreck darum, was damit passiert. Falsch. Durch eine eigene Mikro-Infrastruktur, die zwar nicht Geld, aber Aufmerksamkeit generiert, kann er getrost auf das verzichten, was von den Resten der siechenden Industrie als Erfolg vorgegaukelt wird. Doch dieses komplette Sperren gegen jede Idee von Corporate Musikindustrie ist nur möglich, wenn eine gewisse Grundsicherung da ist, sprich Mittelklasse. Blipster nennt Evans seinen Entwurf eines schwarzen Hipsters. »No, I’m not no fucking Hipster«, rappt Tyler auf seinem vorigen Album »Bastard« und schreibt sich mit dieser Verneinung genau ins das Konzept ein. ¶ »Goblin« von Tyler, The Creator erscheint am 6. Mai auf XL Recordings.

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Dadurch waren sie immer schon eine Spur weiter als ihre vermeintlichen Ghetto-Kollegen und konnten sich einiges erlauben, unter anderem auch im Mainstream mitzuschwimmen. Will Smiths »Prince Of Bel Air« lässt sich wunderbar als Parabel des »Sophisticated Bourgeoise Niggers«, den Jay Z 2001 auch auf seinem Album »Welcome 2 Detroit« heraufbeschwört, lesen. Im Spannungsfeld zwischen Preppiness und Street Credibility entwickelt sich ein Diskurs, der die Mittelklasse mit neonfarbenen Ghetto Chic aus den frühen 90ern übermalt. War es damals noch nötig, sich bewusst ironisch zu positionieren und

michael aniser xl recordings

Preppiness


► Ja m i e Woon ► Magisch schimmernder Maschinensoul

jamie, jamie, jamie

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Stefan Niederwieser Phil Sharp / Universal

Ein halbes Jahrzehnt nach dem sonischen Boom von Dubstep brechen sich dessen zarteste Bassausläufer und elektronische Artefakte in Soul und Pop. Zum Beispiel magisch schimmernd bei Jamie Woon. ie Vergleiche mit dem anderen Jamie des Frühjahrs 2011 sind unvermeidlich. Der Tenor ist in etwa, dass Jamie Woon im Verhältnis zu James »Jamie« Blake näher am Club und näher am Pop dran wäre. Der Blake’sche Jamie hat dabei schon das Maximum der subtilen Expressivität für sich gepachtet und die Aufmerksamkeit des Feuilletons für sich besetzt. Beide stellen sie den Nachhall von Dubstep in den Dienst dunkel schimmernden Songwritings. Mit ihrem Beharren auf der eigenen Stimme ‒ und sei sie noch so elektronisch verfremdet ‒ spielen sie gerade in ihrer eigenen Liga. Beinahe. Den dritten Jamie, Jamie XX nämlich, haben nicht mehr ganz so viele Kommentare im Visier. Der dreht bei The XX an Reglern und MPCs, hat Anfang des Jahres Gil Scott-Heron remixt. Mit beiden Projekten hatte er diese maximal reduzierte Soundästhetik perfektioniert. Gerade die ultra entschlackten The XX schienen Ende 2009 eigentlich aus dem Nichts zu kommen. Aus heutiger Sicht lassen sich die Spuren von The XX relativ schnell zum Co-Produzenten von Jamie Woons Albumdebüt weiter zurückverfolgen. Will Bevan aka Burial lieferte mit den beiden Alben »Burial« (2006) und »Untrue« (2007) so etwas wie die gemeinsame Blaupause für die drei Jamies. Ein Track wie »Shell Of Light« hat bereits so gut wie alle Zauberzutaten beisammen, den verhuschten Soul, die radikal heruntergebremsten Beats, die verschliffenen Vocal-Schnipsel (gut, die fehlen bei The XX). Nur den Schritt zur Künstler-Persona, mit der eigenen Biografie ans Mikro und auf die große Bühne, hat Burial nicht gewagt. Auch wenn sich nun das Debüt von Jamie Woon nur mehr sehr selektiv am Zeichenvorrat von Post-Dubstep bedient, macht diese Genre-Zuschreibung über die historische Brechung bei Burial schon fast wieder Sinn. Am ganz anderen Ende der DubstepStange tanzen derweil eine Reihe von Artists in eine ganz andere Richtung – in Richtung Freiluftarena: Magnetic Man, Chase & Status oder Katie B geht es jeweils ganz unterschiedlich um die fette Breite.

Vorsprung durch Technik

Wer früher vielleicht klassischer Folk-Songwriter oder NeoSoul-Brother geworden wäre, kann heute die ästhetischen Möglichkeiten von Subbässen erkunden. Audio-Technologie hat heutzutage wieder Bass. Die Abspielgeräte legen wieder etwas mehr Wert auf Klangtreue, vor allem aber sind MP3s durch höheren Speicherplatz im Bassbereich leistungsstärker geworden. Die Songs von Jamie Woon funktionieren dabei zwar möglicherweise auch auf der Klampfe oder ganz ohne Begleitung – siehe das magisch schimmernde Video zu »Lady Luck (Al Fresco)«, in

25 dem Jamie Woon irgendwo im kambodschanischen Dschungel auf der Suche nach einem wahnsinnigen Marlon Brando ist – aber: Ohne die Funken digitaler Klangräume, dessen schwaches Wummern, würde nur einen Teil der Hörer die Ohren aufsperren. Sie bieten die Anknüpfungspunkte an aktuelle Lebens- und Soundwelten. Die Reduktion unterscheidet Jamie, Jamie und Jamie letztlich auch von Trip Hop-Einzelkämpfern wie Jay-Jay Johanson oder Perry Blake, die Ende der 90er ebenfalls die Seele in den Maschinen suchten. Sie waren aber theatralischer und vor allem viel opulenter. In Zeiten der Krise gehen auch jemand wie Jamie Woon verantwortungsvoll mit seinen Sound-Ressourcen um. Vielleicht wird der asketische Hall von cirka drei Basilikas in zehn Jahren ähnlich angestaubt wirken, wenn die Kernfu­sion dann endlich erfunden und Verzicht nicht mehr so sexy ist. Inzwischen gilt es, die musikalischen Mittel möglichst hauszuhalten. Die sanft sägenden Streicher im Hintergrund auf »Spiral« sind so niedrig dosiert wie nur irgend möglich. »Middle« ist der einzige Track, der es fast schon euphorisch knistern lässt. Schwaden von Burials Geist hängen in diesen Tracks. Gerade Beats, einfache Hooks, relativ wenig Produktionsspielerei, wenig expressiver Gesang rücken Jamie Woon in die Spitzenliga des Maschinen-Soul. ¶ »Mirrorwriting« von Jamie Woon ist bereits via Polydor / Universal erschienen. AU S GA B E 1 1 6 / 0 2 5 ◄


► che r ry s U N k i st ► Verquerter Pop TEXT bild

URSULA WINTERAUER MARTIN MUSIC

26 zu »Glass« mit Plattencover und Tracks von Planningtorocks Debüt, ist eine Nähe in Sound und Image kaum von der Hand zu weisen. Aber auch wenn Einflussnahmen aus dem näheren Umfeld bestehen, weiß da jemand sehr genau, wie der Vermarktungshase läuft: Selbstdarstellung und Inszenierung machen Cherry Sunkist zu einem der interessantesten musikalischen Acts Österreichs, der noch dazu mit unverwechselbarem Sound daherkommt – im DIY-Verfahren produziert, erarbeitet im Heimstudio mit Hang zum Zufallsexperiment, besitzen die Songs starken Wiedererkennungswert.

TAKE MY BODY AWAY FROM ME NOW

cherry cherry lady Dekonstruierter Pop, der keiner sein will: Cherry Sunkist schwemmt mit systematisch verkehrt-vertrackten Songs den Konsensfluss runter. Saurer Kirschgeschmack inklusive. or etwa einem Jahr überraschte Cherry Sunkist auf ihrer »Glass EP« mit schneidenden Gitarren, die sich praktisch nicht mehr von Synthesizerklängen unterscheiden ließen, mit Melodien, die zersetzt wurden von ihrer eigenwilligen, oft verzweifelt klingenden Stimme. Nun schießt sie ihr zweites Album »Projections Screens« nach, überfrachtet die Songs mit einem Haufen an Referenzen, bildhafter Sprache und Denkanstößen über Sein, Schein und allen Schattierungen davon. Klar ist, dass man hier ohne geeigneten Verweisradius innerhalb feministischer Theorie, Reminiszenzen an Künstlerinnen und Filmemacher, wie etwa (nach eigenen Angaben) Dietmar Brehm oder den audiovisuellen Highlights von Planningtorock, nicht auskommt. Denn vergleicht man Cherry Sunkists Video ► 0 2 6 / AUSGABE 116

Nicht nur als Musikerin, sondern auch als Filmemacherin konfrontiert sie sich stetig mit essentiellen Fragen zu Imagekonstruktionen, Körperlichkeit und vorgefertigten Lebensentwürfen. Inwieweit beugt man sich generell gesellschaftlich diktierten Normen, Wertvorstellungen und Systemen? Inwieweit projiziert man diese auf die Wahrnehmung anderer Personen, aber auch auf die eigene weibliche Identität? »Es geht darum, dass man immer das in einer Person sehen will und kann, was man selbst konstruiert bzw. wie man sich für andere konstruiert/inszeniert. [...] Personen können Projektionsfläche im übertragenen Sinne sein«, so Cherry Sunkist über ihre neue Platte »Projection Screens«. Der Titel also Konzept. Die Gegenüberstellung von Realität und Inszenierung schlagen sich nicht nur in ihren Texten, sondern auch im Songwriting nieder. Vielschichtige, sich überlagernde Sounds, bis zur Unkenntlichkeit verändert oder verlangsamt, sind mit Vocals überzeichnet, die zwischen diffusen Dissonanzen verschwimmen, oder auch ganz klar über den Songs thronen – hoch oben stehen, sich wenig in die Songs integrieren, den Text in den Vordergrund treten lassen. »I’m not here to entertain you«, singt sie bei »Weeping Over My Ideals« und dieser Satz kann stellvertretend für die ganze Platte gesehen werden. Auch wenn sich poppig anmutende Melodien und Atmosphären anschleichen – hier verlinkt sie etwa zarte Streicherarrangements mit an Dub geschulten Beats – werden diese immer wieder ad absurdum geführt, aufgebrochen und die entstandenen Leerstellen mit Noisedrones, verwaschenen Gitarren und nicht zuletzt dem Experiment gefüllt. Harmonien und Dissonanzen, liebliche Elemente und destruierte Sounds werden gegenübergestellt, bilden einen Pool an schöpferischer Kraft aus dem die wunderbar verkehrten Songs rauspurzeln. ¶

»Projection Screens« von Cherry Sunkist erscheint im Mai auf Comfortzone. Die Platte wird am 26.05. im Rhiz bei freiem Eintritt präsentiert.


poolbar mit pratersauna 19.-21.05. (W) festt 28.05. (OÖ) senfes wiesen Seewie Zone Open Air 18.06. (T) im Open Air 01.-02.07. (OÖ) heim tenshe Ottens (S tivall 09.07. (ST) SauTrock Festiva (S) 07. 15.-16. vall On The Rocks Festiva de 22.-23.07. (K) eside Acoustic Lakesi 30.07. (NÖ) F FAM JFAM Szene Open Air 04.-06.08. (V) poolbar Festivaall 01.07.-15.08. (V)

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► Fri en d ly F i r es ► Vertontes Inselparadies

die lebensfreude der insulaner Die britischen Elektropopper Friendly Fires sind zurück. Mit »Pala«, einem Album so bunt und vielfältig, als hätte Bob Ross ein Inselparadies auf die Leinwand geklatscht.

ine verhuschte Stimme unter anschwellenden Pianoakkorden und pulsierenden Synthies ist das Erste, was man von »Pala« wahrnimmt. »Live Those Days Tonight« nennt sich, pardon, nennen die Friendly Fires das Stück. Ein rhythmisch gewispertes »Don’t hold back«, Geklatsche und eine euphorische Singstimme lassen es zu einem prächtigen Crescendo anwachsen. Mit dem Post-Hardcore, den die drei Briten in ihrer Teeniezeit vor sich hin schrammelten, hat das nicht mehr viel gemein. Spätestens als es an die Uni ging, ließen Frontmann Ed MacFarlane, Schlagzeuger Jack Savidge und Gitarrist Edd Gibson das verschlissene Hardcore-Outfit im Schrank hängen und tauschten es gegen den verlockenderen

Disco-Anzug. Man machte fortan unter neuem Namen weiter, warf einige EPs auf den Markt und erregte die Aufmerksamkeit der Talentscouts von Musikzeitschriften und Labels, die sich in England ständig im Internet und auf Konzerten herumtreiben, auf der Suche nach dem nächsten großen Ding. So konzertierten die Friendly Fires Ende 2007 als erste Band ohne Plattenvertrag beim englischen Privatsender Channel 4 und schoben die Single »Paris« hinterher. Kurze Zeit später versüßte die nächste Auskoppelung »On Board« Nintendo- und PlayStation 3-Afficionados das Zocken. 2008 legten sie mit einer selbstbetitelten LP ihr Debüt ab, das nicht nur vom Hype-Generator NME jauchzend aufgenommen wurde.


Von der Garage in die Charts

In ihrer Anfangsphase waren die Burschen aus St. Albans bei London nur eine Band unter vielen, die auf der New-Rave-Welle ritten, eine Welle, die sich langsam über Großbritannien wälzte und die ersten Vorzeichen von Veränderungen in der Indieszene im Fahrwasser mitspülte. Veränderungen, die zwar nicht das gesamte System Pop aus den Angeln heben sollten, aber zumindest dem gitarrenhörigen Jungvolk eine Alternative zur Post-StrokesJüngerschar mit ihren Retrogitarren bot: Synthiekids voll neuer Ideen und Ideale, die im dunklen Kämmerlein an ihren Laptops herumschraubten. Ein paar Jahre später wateten die Friendly Fires aus diesen Wogen als eine der wenigen hervor, die es geschafft hatten. Von der Band ohne Vertrag, die in der elterlichen Garage an Songs bastelte, hatten sie sich gemausert zu Mercury Music Prize- und Brit Awards-Nominierten, die nachts als Hauptact Festivalbühnen bespielten und tagsüber im Radio auf Dauerrotation liefen. Für die Friendly Fires-Buben kein Grund, den Boden unter den Füßen zu verlieren: »I wouldn’t say we’re mega rockstarry«, meint Drummer Jack Savidge im Telefoninterview. »Es gibt schon diese gewissen Momente, wenn man auf der Bühne steht und denkt: ›Yeah, smashed it‹, aber generell sind wir ganz normale Leute, die einfach nur aufs Musikmachen stehen. Wir haben auch nicht besonders viele Prominente als Freunde oder stehen ständig auf Filmpremieren herum.« Und irgendwie ist Musikmachen auch nur ein Beruf wie jeder andere, mit Höhen und Tiefen: »Das Touren finde ich super. Wenn du gut drauf und in Form bist, dann gibt es nichts Erhebenderes als einfach Songs zu spielen, sie gut zu spielen und jede Nacht großartige Reaktionen darauf zu bekommen. Das Aufnehmen dagegen ist manchmal einfach nur harte Arbeit, wenn du zwar weißt, du hast etwas Gutes, musst aber noch an den letzten Details feilen. Das kann ganz schön frustrierend sein.« Für die Vorarbeiten zu »Pala« verbrachte Frontmann Ed Macfarlane über einen Monat in einer abgelegenen Hütte in Nordfrankreich, um an neuen Songs zu schreiben. In der französischen Provinz nahmen die drei Briten das Album schließlich auch auf, weitere Stationen waren London und New York. Die vielen Tonstudios haben durchaus ihre Berechtigung, erzählt Jack: »Die Aufnahmen waren extrem abwechslungsreich. Dadurch klingt das Album wohl auch so frisch und vielfältig.« Produziert wurde das Album gemeinsam mit dem schon für Bloc Party oder Florence And The Machine tätig gewordenen Paul Epworth, der bereits bei »Jump In The Pool« Hand anlegte.

Die knackige Seite des Pop

»Don’t judge a book by its cover«, heißt es ja immer. Hier halten die Songs aber, was die tropische Plattenhülle verspricht, die von Sølve Sundsbø stammt, einem der gegenwärtig renommiertesten Mode-Fotografen der Welt, Schräg instrumentierte, fiebrige Popmusik, die tanzbaren Indierock mit elektronischen Elementen verbindet, durchzieht das Album. Den sonnengestählten Sound hatte die Band auch dringend nötig als Bewältigungsstrategie für die beiden englischen Winter, während derer das Album hauptsächlich aufgenommen wurde, verrät Jack. Was auffällt ist, dass »Pala« um einiges üppiger produziert ist als der Vorgänger. The Harlem Gospel Choir ist auf »Hurting« zu hören, Alex Frankel von Holy Ghost spielt Keyboards auf »True Love«. Streckenweise sind die verspielten Stellen fast zu episch, um sie beim ersten Hören vollständig erfassen und entsprechend würdigen zu können. Pop wird hier auf jeden Fall groß geschrieben. Stellenweise fast zu groß, wie Jack meint: »Es gab während der Aufnahmen Momente, wo wir darüber diskutiert haben, ob der Sound nicht zu poppig wird. ›Show me Lights‹ erinnert mich manchmal sogar ein wenig an *NSYNC, aber mit extrem progressivem Gitarrensound.«

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sandra bernhofer satoshi minakawa/xl recordings

29 I wouldn’t say we’re mega rockstarry. »Show Me Lights« knüpft sicher am ehesten an das alte Album – vor allem was die Geschwindigkeit und den Mitklatschreiz betrifft. Und ja: Es bewegt sich gefährlich nahe am Boyband-Territorium. »Hurting« dagegen lässt 80er Elektrofunk raushängen. Die Quellen, aus denen das experimentierfreudige Trio ihre Inspiration schöpft, sind also vielfältig. Das Beste auf der neuen Scheibe? Das ist, wenn es nach Jack geht, das mit treibenden Tribal-Beats gespickte »Hawaiian Air«, das erst kurz bevor das Album endgültig fertig sein musste geschrieben wurde: »Wir waren gerade von einer Welttournee heimgekommen, haben uns zusammengesetzt und versucht, noch einen Song zu schreiben, nur um zu schauen, was passiert. Wir dachten eigentlich nicht, dass wir fertig werden würden, weil wir normalerweise viel länger brauchen, um unsere Songs zu schreiben. Wenn ich das Lied höre, versetzt es mich zurück in die guten Zeiten des Recordens, als einfach alles gestimmt und funktioniert hat.«

Hier und Jetzt statt Eskapismus

Benannt ist das Album übrigens nach dem Handlungsort von Aldous Huxleys »Island«, in dem er einen utopischen Gegenentwurf zum schwarzmalerischen »Schöne neue Welt« ersinnt. Was »Pala«, das Album, mit Pala, dem fantastischen Südsee­ idyll, gemein hat? Jack erklärt: »Wir versuchen im Grunde immer Musik zu machen, die die Leute glücklicher macht. Rein textlich hat Ed auf diese Idee des Utopia aber gepfiffen und sich eigenen Erfahrungen gewidmet. Eigentlich drehen sich die Lyrics darum, den Sinn, den utopischen Aspekt, in alltäglichen Begebenheiten zu finden, die sehr real und flüchtig sind, und nicht um Eskapismus wie das literarische Vorbild.« Womit sie so weit doch nicht von Huxley weg sind: Der lässt nämlich Papageien durch das ganze Buch schwirren, die »Attention« in die Welt krächzen, um die Leute daran zu erinnern, dem was sie tun, die nötige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Da passt das kunterbunte Federvieh am Plattencover natürlich hervorragend ins Konzept. ¶ »Pala« von den Friendly Fires erscheint am 13. Mai auf XL Recordings. AU S GA B E 1 1 6 / 0 2 9 ◄


► kat y b ► Vom Piratenradio zum Popstar

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KLAUS BUCHHoLZ ABSyNTHE

die evolution von unten Die Karriere von Sängerin Katy B ist auch die Erfolgsgeschichte des Londoner Piratenradiosenders und Labels Rinse. Mit massentauglichen und dennoch gehaltvollen Tunes veranschaulichen sie, wann, wie und warum britische Untergrundmusik den Obergrund übernimmt.

as haben Amy Winehouse, Kate Nash, Jamie Woon, Adele, Katie Melua, James Blake und Katy B gemeinsam? So unterschiedlich ihre Songs klingen, so ähnlich sind ihre Bildungsbiografien. Sie alle haben an der Brit-School die Schulbank gedrückt. An jenem gebührenfreien College im Londoner Stadtteil Croydon, das von Staatsseite und der britischen Musikindustrie finanziert wird (das Akronym BRIT steht für British Record Industry Trust). Ausgebildet wird in den Bereichen »Performing Arts and Technology«, d.h. in den Fächern Tanz, Theater, Film, Kunst und Musik. Und dennoch: die vorhin genannten Namen sind nur eine kleine Auswahl international erfolgreicher Popstars, die dort gelernt haben. Die Liste ist lang und stetig länger werdend. Auch wenn es von der Schulleitung her offiziell heißt, »we are not a stage or fame school«. Es braucht also nicht zu überraschen, wenn Katy B, der neue junge Stern am britischen Club-Himmel, in Interviews davon erzählt, wie sie mit James Blake in der gleichen Klasse saß.

DAS BREITE ERBE VON GARAGE UND DUBSTEP

Ganz anders als sie, widmete sich ihr melancholischer Mitschüler James zunächst der Abstrahierung und Wattierung von Dubstep, bis hin zu epischer R&B-Electronica. In der Tradition von Burial und seinem sphärischen Knistern, gemeinsam mit anderen Bass-Feinfühlern wie Mount Kimbie, Darkstar, Joy Orbison oder Jamie XX, bildete er damit die international gefeierte Spitze von dem was nun grob unter Post-Dubstep zusammengefasst wird. Doch das Weiterdenken von Dubstep kann auch zu Pop führen. Am deutlichsten haben das Magnetic Man (bestehend aus Skream, Benga und Artwork) 2010 mit ihrem Album gemacht, indem sie das Genre für breite Massen auffächerten. Katy B eilte dieser Harmonisierung unter anderem mit der gemeinsamen Single »Perfect Stranger« voraus. Während bei James Blake und Co. das artifizielle und sphärische Komponie► 0 3 0 / AUSGABE 116

ren die Ästhetik der Tracks bestimmt, geht es bei Katy B um die Funktionalität im Club. Was aber nicht bedeutet, dass ihre Songs banal wären. Schon als sie noch als zarter Teenager unter dem Namen Baby Katy diverse Tunes veredelte, war sie auch an der Geburt des UK Funky mitbeteiligt. Das gemeinsam mit DJ NG und MC Versatile als White Label veröffentlichte Stück »Tell Me« gehört 2006 zu den ersten Initialzündungen von UK Funky. Gemeint ist jenes lebendige Sub-Genre, welches sich fast parallel zu Grime aus Garage heraus entwickelt hat, jedoch Tribal House, Broken Beat, R’n’B, Soca und Afrobeat zusammenwirft.

THE EVOLUTION WILL NOT BE TELEVISED

Hinter der Entwicklung Popularisierung sowohl von Grime, Dubstep, UK Funky, als auch von Katy B selbst, steht vor allem ein Akteur, der sich über 16 Jahre lang in der Illegalität bewegte: der Piratenradiosender Rinse FM. Als es 2010 zur offiziellen Lizenzierung kam, war Rinse zum wahrscheinlich wichtigsten Piratenradio Londons geworden. Die Karrieren, von Dizzee Rascal oder Wiley wurden dort ebenso etabliert, wie jene von Skream oder Kode9. Mit dem Album »On A Mission« von Katy B setzt der Chef des nunmehrigen Senders und Labels, DJ Geeneus, wieder einmal Trends. Das überwiegend von ihm, DJ Zinc und Benga produzierte Werk hat auf Anhieb die britischen Charts gestürmt. Breitenwirksamen aber intelligent gebauten House-, Funky- und Dubstep-Tunes haucht Katy B ein junges, selbstbestimmtes Nachtleben ein. Die Subkulturmaschine Rinse führt sie damit zwar endgültig auf den Obergrund. Doch die eigenständigen und gehaltvollen Popsongs, die dabei heranwachsen, geben ihr und ihrem Umfeld mindestens so lange Recht, bis im Club wieder das Licht angeht. ¶

Das Album »On A Mission« von Katy B ist bereits via Rinse/Columbia erschienen. Rinse FM kann per Stream unter www.rinse.fm auch hierzulande gehört werden.


Festival für eine enkeltaugliche Zukunft 18.-22. Mai 2011

Fernab Fernab Fe nab der Z Zwänge Zw wänge änge und O Ordnungen des Alltags entsteht ein fünftägiges Festival zum im M Mai ai 2011 in Liechtenstein Liechtens grenzverbindende TThema hema g gr enzvve erbindende Zukunftsgestaltung. Konz Kon Konzerte, ze errtte e e, V Vo Vorträge, ortträge W Workshops, orkshop Aussteller/innen u.v.m. laden dazu ein, vvor or dem Ho Horizont izon globaler Herausforderungen, lokale SSchritte chritte in eine enkeltaugliche Zukunft zu erproben.

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Müller

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► Ide nt i t i es Qu e e r F i lm F est i va l ► Zwei All-Girl-Bands im Filmporträt

zwei mal zwei macht queer Queere Identitäten in der Musikbranche stehen auch heuer auf dem Programm des Identities Film Festival. Die Lebens­-geschichten von vier Musikerinnen stehen dabei besonders im Vordergrund.

ass Kristen Stewart halbwegs gut singen kann, hat sie schon als Trailer-Park-Cutie in »Into The Wild« bewiesen. Mit E- statt Akustikgitarre ist sie nunmehr erneut in einem alten Wohnwagen beim Musikmachen zu sehen. »The Runaways« stellt als Biopic der titelgebenden Punkrockband der 70er vor allem Gitarristin Joan Jett (gespielt von Stewart) und Leadsängerin Cherie Currie (Dakota Fanning) in den Vordergrund. In dem Musikfilm mit Coming-of-Age-Elementen werden queere Thematiken jedoch nur gestreift. Ein anderer Musikerinnenfilm im heurigen Identities-Programm widmet sich einem neuseelandspezifischen Kuriosum: Jools und Lynda Topp sind ‒ simplifiziert ausgedrückt ‒ lesbische, jodelnde Zwillingsschwestern. Was auf dem Papier eher nach kommerziellem Ruin schreit, funktioniert in der Praxis einwandfrei. Als Country-Musikerinnen und Comedians sind sie in ihrem Heimatland höchst prominent. Die Doku über die beiden nennt sich zwar »The Topp Twins: Untouchable Girls«, präsentiert die Geschwister jedoch aus recht intimer Nähe und macht die Kultfiguren greifbar. Zwei All-Girl-Bands, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, porträtiert in zwei Filmen sehr verschiedenen Formats zeigen, dass man weder den Musikfilm noch »queere« Bands über einen Kamm scheren kann.

»The Runaways«: Videoclip-Ästhetik für die erste All-Girl-Rock-Band.

Für das Band-Drama »The Runaways« ist Gender-Uneindeutigkeit eine Facette von vielen im Image-Gemenge der stilprägenden Punkrockformation: Obwohl vom Manager Kim Fowley (amüsant dargestellt von Michael Shannon) als aufreizende Sex-Kittens mit ungestümem Hard-Rock-Temperament vermarktet, haben sowohl Joan als auch Cherie etwas Queeres an sich. Dies schlägt sich nicht nur ihrem androgynen Körperbau nieder, sondern auch in der Wahl ihrer Vorbilder. Während Cherie bei einer Talentshow David Bowie personifiziert, kommt Joan in ihrem Auftreten einer Mischung aus Suzi Quatro und Keith Richards gleich. »The Runaways« hat vor allem durch die Kussszene zwischen den beiden Up-and-Comers und »Twilight«-Co-Stars Stewart und Fanning für Aufsehen gesorgt. »I wasn’t allowed to grope her«, erzählte Kristen Stewart im Interview im Hinblick auf das zarte Alter ihrer erst 15-jährigen Kollegin. Dass die Szene auch für die Regisseurin Floria Sigismondi ein Rather Big Deal war, lässt die filmische Umsetzung erahnen. Dafür, dass der Kuss sowohl von Stewart als auch von der realen Joan Jett selbst als Banalität abgetan wird, wirkt der Moment etwas überstilisiert.

text Artemis Linhart bild Identities Film Festival

Jail-fucking-bait. Jack-fucking-pot.


The Runaways waren als eine der ersten Frauen-Rock­bands von 1975 bis 1979 aktiv. Im prüden Amerika zuerst nicht übermäßig erfolgreich, waren sie dann vor allem Big in Japan. Die Gitarristin und Sängerin Joan Jett landete nach Auf­lösung der Band mit Covers von Hits wie »I Love Rock’n’Roll« und »Crimson And Clover« große Erfolge und gründete als eine der ersten Frauen der Rockmusik ihr eigenes Label, Blackheart Records.

Die Topp Twins sind seit 1981 in Neuseeland als Musikerinnen und Comedians tätig. In den späten 90ern kreierten sie ihre eigene TV-Serie, die drei Staffeln lang lief. Darüber hinaus setzen sie sich kontinuierlich für unterschiedliche politische Anliegen ein. ◄

In rotes Licht getaucht, gehen die schemenhaften Gestalten in einer Menge Schall und vor allem Rauch unter. Das Ganze hat etwas sehr Musikvideohaftes, was die Vermutung aufwirft, dass Sigismondi angesichts der Konfrontation mit einem derartigen Halbwegs-Tabu im Zweifel in jene stilistischen Gefilde ausweicht, aus denen sie ursprünglich stammt. (Der Kreis schließt sich: Mitte der 90er drehte die Regisseurin zwei Clips für David Bowie.) Im Vordergrund steht aber das Female Empowerment der Gruppe. Mit Sprüchen wie »My brother says, guys don’t like girls that are tough« und »Girls don’t play electric guitars« konfrontiert, wollen die Mädchen aus der Tretmühle traditioneller Geschlechterrollen ausbrechen. Zwar bedarf es ein paar Schubsen von Seiten des profitgeilen Svengali Fowley, dennoch ist klar, dass die Musikerinnen als erste »all-girl rock band« eine bahnbrechende Rolle in der Musikgeschichte einnehmen.

Verliebt, verwegen – von verzopft keine Spur

Während in »The Runaways« gleichgeschlechtliches Experimentieren nur einen Teil der »Sex & Drugs & Rock’n’Roll«-Trinität ausmacht, haben die neuseeländischen Topp Twins Fragen sexueller Orientierung und geschlechtlicher Uneindeutigkeit gewissermaßen zum Programm gemacht. Sie treten ‒ auch mit konkretem politischem Engagement ‒ für Gleichberechtigung und Akzeptanz ein. Ihr Act ist höchst subversiv, zumal Country- und Western-Musik tendenziell sehr geschlechtsspezifisch codiert ist. Obgleich das Bild von Country als Musik weißer, männlicher, reaktionärer Hinterwäldler ein Klischee ist, sind die Geschlechterverhältnisse dieses breitenwirksamen Genres nach wie vor sehr klar verteilt. Die Topp Twins sind vollkommen Mainstream. Dass sie out-of the-closet sind, ist insofern von großer Bedeutung. Die Tatsache, dass sie ihre Beliebtheit bei den Massen nutzen, um sich für das Gay Rights Movement einzusetzen, macht sie gewissermaßen zu einem »anarchist variety act«. Auf humorvolle Art wird dem gängigen Bild der Redneck-Country-Musik etwas entgegengesetzt, mal subtilblumig in Form eines lesbischen Liebesliedes, mal aufrührerisch durch richtiggehende Protestsongs. Bereits seit 30 Jahren im Geschäft, stehen die Topps unter anderem auch mit dem beliebten Cross-Dressing-Act »Ken and Ken« für die Sichtbarmachung eines queeren Lebensstils. Anders als in der Punkrock-Szene der Runaways adressiert ihre Country-Musik nicht ein ohnehin tendenziell liberales Publikum und hat nicht mit dem Fallstrick des »Preaching-to-the-choir«-Dilemmas zu kämpfen.

Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Uneindeutigkeit als Programm: »The Topp Twins«.

Two voices, like the same voice in stereo

Dabei haben die Schwestern, wie die Doku »The Topp Twins« (Regie: Leanne Pooley) belegt, ganz einfach nur Spaß und das färbt auf das Publikum ab. Sie singen über Homosexualität und die Leute stört das kein bisschen. Der Unterhaltungsfaktor überwiegt. Auf der Bühne sind die Topp Twins ausgesprochen offen und bieten zu jedem Lied eine Anekdote aus ihrem Leben. Der Film tut es den Schwestern gleich: er überzeugt ebenfalls durch Unverblümtheit und Humor und wirkt in seiner Gesamtheit sehr stimmig. Er spannt den Bogen von der musikalischen und politischen Karriere der Topps zu ihrem Privatleben und zeigt sich gegen Ende von seiner ernsteren Seite, indem er Jools’ Kampf gegen Brustkrebs thematisiert. Nicht nur in Bezug auf seine Musik ist das Duo konsistent unisono. Der sehr enge schwesterliche Bund wird auch im Privaten deutlich, die lebensfrohen Schwestern wirken unzertrennlich in jeder Lebenslage. Diese Harmonie kontrastiert deutlich mit dem Ungestüm der Runaways. Schon im Sinne einer soliden Rock-Saga ist »The Runaways« auf bandinterne Dramatik angewiesen: In Widerspruch zu Erzählungen der realen Joan Jett wird die Beziehung zwischen Cherie und Joan im Film zwar als (sowohl psychisch als auch physisch) sehr eng dargestellt, endet jedoch in einem Zerwürfnis, das letztlich zur Auflösung der Band führt. Ein (historisch ebenfalls fragwürdiges) Happy End wird allerdings auch hier nicht gänzlich verwehrt. Was über solche Unterschiede hinweg aber von beiden Filmen im Gedächtnis bleibt, ist die unbändige Stärke und Dynamik ihrer Protagonistinnen, die die Ketten ihrer jeweiligen, sehr geschlechterspezifisch codierten Musikgenres sprengen. ¶ Das Queer Film Festival Identities findet von 2. bis 12. Juni statt. Programm und Details unter www.identities.at AU S GA B E 1 1 6 / 0 3 3 ◄


► »Fü r e in e Ha nd vo l l Ka s p r ess kn ö d el« ► Tirol befreit sich mit Klamauk vom Freiheitskampf

tirol isch nit lei oans

Überdosis Geschichtsrevisionismus

Andreas Hofer war ein Gastwirt und Viehhändler, der sich 1809 als Häuptling der Tiroler Aufstandsbewegung relativ erfolg­reich gegen die napoleonischen Truppen stellte. Er und seine bäuerlichen Mitstreiter gewannen drei von vier Schlachten auf dem Bergisel gegen die Besatzungsmächte. Nach kurzer Regentschaft und letztlich verlorenem Kampf wurde Andreas Hofer aber 1810 exekutiert. Seither richtet sich das traditionelle Tirol an einem Freiheitskämpfer auf, der für eine anti-aufklärerische, katholisch-fundamentalistische Heimat in den Krieg zog. Mythologisierung, Verklärung und Volkstümlichkeit prallen bei der Figur Andreas Hofer aufeinander. Identität stiftet er immer noch. Dementsprechend groß war auch die Aufregung, als etwa Gerhard Fritz von den Innsbrucker Grünen 2006 süffisant die historische Figur Andreas Hofer als »obersten Taliban« be-

zeichnete. Die Debatten, aus denen diese Bezeichnung stammt, hatten sich um das Andreas-Hofer-Gedenkjahr 2009 gedreht, bei dem an das 200-Jahr-Jubiläum der Schlachten am Bergisel erinnert wurde.

Freikämpfen vom Freiheitskampf

Als verspäteter Höhepunkt des Jubiläums wurde heuer im März das umstrittene Museum »Tirol Panorama« am Bergisel in Innsbruck eröffnet. Die angereisten Schützenkompanien feuerten Ehrensalven ab. Gleichzeitig fielen etwa 100 FlashmobAktivisten »tot« um. Ihre Kritik galt den über 20 Millionen Euro, die der Museumstempel letztlich gekostet hatte. Zahlreiche kleine Kulturinitiativen fühlten sich von Fördergeldern vernachlässigt oder kritisierten mangelnde Unterstützung vom offiziellen Tirol. Mit rund 20.000 Euro Budget finanzierte sich die Filmproduktion hingegen überwiegend aus Spendengeldern und wenigen Sponsoren. Als gemeinschaftliches Freundschaftsprojekt gestartet, wuchs der Film zu einer zwar leicht holprigen, aber überzeugend ambitionierten Kinokomödie an. Ihr Tiroler Freiheitskampf bedeutet sich mit Satire und Klamauk vom Tiroler Traditionalismus freizukämpfen. Die Dekonstruktion des Mythos Andreas Hofer erscheint dabei genauso folgerichtig wie unvermeidlich. Ein Gespräch mit den beiden Geschichtsschreibern.

text Klaus Buchholz bild Thimfilm

ndreas Hofer ist ein Piefke. Nach seiner Geburt wurde er von seinen beiden deutschen Eltern, die aussahen wie von der Pest gebeutelte Zombies, in einen Weidenkorb gebettet und in einem Fluss ausgesetzt. Von himmlischen Kräften beseelt, trieb das Baby im Korb gegen den Flussstrom an und landete schließlich im Heiligen Land Tirol. Geht es nach den beiden Kabarettisten Daniel Lenz und Harald Haller, dann schreibt sich die Biografie des Tiroler Volkshelden Andreas Hofer wie ein skurril gedehnter Sketch von Monty Python, aufgefettet durch kantige Dialekte und alberne Referenzen von »Der Exorzist« bis »Kill Bill«. In ihrem Film »1810 – Für eine Hand voll Kaspressknödel« wird Andreas Hofer zur aussätzigen deutschen Ulknudel stilisiert, die zwar mit der Sense zahlreiche Franzosen niedermäht, aber bis zum Tod fast vergeblich um Anerkennung kämpft.

In ihrer Klamauk-Satire »1810 – Für eine Hand voll Kaspressknödel« arbeiten sich die Tiroler Kabarettisten Daniel Lenz und Harald Haller am Mythos Andreas Hofer ab. Per Spenden finanziert, hat es ihr No-Budget-Stückwerk von einem Film nun bis in die Flachlandkinos geschafft.


Wie habt ihr 2009 das Jubeljahr zu Andreas Hofer erlebt? daniel lenz : Das haben wir schon eher fürchterlich empfunden. Das ist ja mehr so Mainstream gemacht worden, mit dem ganzen Aufzug und so weiter. Es hat schon einige wenige Künstler oder Bühnen gegeben, die einen Kontrapunkt gesetzt haben, aber die sind halt alle links liegen gelassen worden. So gesehen auch besser für unseren Film, dass er jetzt herauskommt und nicht in dem Jubeljahr. Vom Land Tirol habt ihr bescheidene 1.500 Euro zur Finanzierung bekommen. hh : 1.500! (lacht). dl : Wieso lachst du da? Ich finde das super, dass wir 1.500 Euro bekommen haben, sonst haben wir von niemandem etwas bekommen (grinst). hh : Hey, hey, Land Tirol! dl : Also: Land Tirol: super. Rest: Schaas. (beide lachen) Könnte diese Bescheidenheit inhaltliche Gründe haben? hh : Ich glaube, es hätte niemand für möglich gehalten, dass das tatsächlich so groß werden kann. dl : Trotz Stefan Eberharter haben wir ganz viele Sponsoren nicht bekommen. Es ist trotzdem genau so schwer, obwohl man mit klingenden Namen und bekannten Schauspielern aufwartet. Begründung gibt es da auch nicht, teilweise vielleicht inhaltlich. War das formale Kenntlichmachen und Ausstellen eures NoBudgets im Film eine bewusste Entscheidung vorneweg? dl : Die Idee gab es schon vor zehn Jahren, dass wir einen Film machen wollen, auch weil unser Kabarett so szenisch aufgebaut ist. Wir haben gesagt, wir ziehen das durch, auch wenn uns keine Produktionsfirma nimmt. Es hätte ein paar Interessierte gegeben, aber es hat dann nicht geklappt. Wurscht, wenn kein Schauspieler zusagt, spielen wir zu zweit alle Rollen (lacht). Geschrieben haben wir das Drehbuch eigentlich vor fünf Jahren, an der Machart hat sich sozusagen nichts geändert.

Hattet ihr Bedenken, dass der Film nicht ernst genommen werden könnte? hh : Nein, ich finde es extra deswegen lustig, weil man sieht, dass es frei montiert oder schlecht ist oder so. Die Not zur Tugend machen. Was sind eure nächsten Projekte? hh : Momentan schreiben wir an einem neuen Kabarettprogramm, aber wir wollen auch wieder einen Film machen. Wir gehen davon aus, dass der zweite ein Schas wird, obwohl wir immense Förderungen bekommen und beim dritten Film passt dann alles. Da ist dann sogar die Story ein Wahnsinn. ¶ »1810 – Für eine Hand voll Kaspressknödel« wird ab dem 6. Mai in ganz Österreich zu sehen sein, Genaueres unter: — www.1810-derfilm.com


► Folge m i r ► Ein radikales Debüt aus Österreich

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no direction home n graues, aber klares Schwarzweiß taucht Johannes Fragmentarisch erzählt »Folge mir«, wie jedes Mitglied der FaHammel in »Folge mir« den Alltag der Familie Blu- milie in einen Abwärtsstrom gerät und versucht, sich in »Normenthal. Die Blumenthals leben in einer herunter- malität« zu retten. Die Teilnahme an einem Maskenumzug, der gekommenen Wohnung im Hafenviertel einer Stadt. Kauf eines Fahrrades, das Renovieren der Wohnung – solche Wenn die Mutter morgens aus dem Fenster schaut, Ausbruchsversuche führen meist nur tiefer in die Verzweiflung. sieht sie Hafenarbeiter Schiffe beladen, ihren Mann in die Arbeit Die Mutter kann schließlich kaum noch unterschieden zwischen radeln und ihre Söhne ihm hinterher laufen. Die Tage, die vor Vergangenheit, Gegenwart, (möglicher) Zukunft und Tagtraum. ihnen liegen, sind jedoch fern der Harmonie. Der ältere Sohn ist Während das Erzählte unmittelbar aus den Gedanken- und Gestill und zurückgezogen, der jüngere wird nicht nur im Religions- fühlswelten der Figuren heraus wächst, bleibt die Kamera neuunterricht schikaniert. Die Mutter schwankt zwischen der Angst tral beobachtend: »Beinahe dokumentarisch«, meint Johannes vor einer undurchschaubaren Außenwelt und dem Bedürfnis, in Hammel, der als Kameramann vor allem im Dokumentarfilm dieser unterzutauchen. Nur in den grellbunten Super8-Aufnah- tätig ist, und der seinen Schauspielern größtmöglichen Spielmen von Wochenend-Ausflügen und Familien-Feiern sind die raum geben wollte. Dennoch entsteht eine überzeugend surreale vier fröhlich und in Eintracht. Bald jedoch merkt man, dass diese Atmosphäre, in der die Familie abgeschottet von der Außenwelt Familie gar nicht aussieht wie die Blumenthals. Vielleicht ist es lebt. Der Umgang mit Filmraum, der enge Wohnräume und eine andere Familie, eine ausgedachte, erträumte. Klassenzimmer mit der unendlichen Weite von Hafen und Industriebrache kontrastiert, verweigert das Bild einer normalen Filmproduktion im Alleingang Stadt, eines normalen Lebens. Für diese farbigen Super8-Sequenzen verwendet Johannes »Folge mir« ist kein pessimistischer Film. Vor allem der jünHammel Filme aus seiner eigenen Kindheit. Das passt zu die- gere Sohn Pius schaut stets mit so viel Interesse in die Welt, sem Film, nicht weil er so autobiografisch wäre, sondern weil dass er am Ende vom Küchenfenster über die Grenzen des Haer als eigensinnige Herzensangelegenheit realisiert wurde. Ein fens hinaus zu sehen scheint. Einen solchen Blick hinter den HoJahr lang hat Hammel, dessen experimentelle Kurzfilme schon rizont stellt »Folge mir« selbst dar: Sogar in der an Solitären und in Rotterdam und New York liefen, die Finanzierung seines Randpositionen nicht eben armen österreichischen FilmlandSpielfilm-Debüts »Folge mir« auf die Beine gestellt und den schaft wirkt der Film wie ein Einzelgänger. Ort und Zeit bleiben Dreh organisiert. Die Frage, ob er nicht mit einer anerkannten unkonkret, die Erzählweise nimmt Anleihen beim ExperimenProduktionsfirma zusammenarbeiten wollte, hat sich Hammel, talfilm, die Geschichte verweigert sich dem Realismus. »Dass ein gelernter Kameramann, nie gestellt. »Ich wollte unabhängig solche Filme entstehen können, hat auch mit der Unterstützung bleiben von diesen Produktionsabläufen«, erklärt er im Gespräch, jener Förderstellen zu tun, die in Österreich neben den großen »unabhängig in Bezug auf die Zeit, die ich mir dafür nehmen und Filmförderungen existieren und die in anderen Ländern nicht die Entscheidungen, die ich treffen wollte. Ich wollte meine eige- so selbstverständlich sind«, betont Hammel: Der Film wurde ne Arbeitsweise mit den Schauspielern entwickeln können und lediglich mit Mitteln der Innovative Film Austria und Wien Kulmeinem eigenen Rhythmus folgen.« Gedreht wurde über den tur finanziert. Nach Erfolgen bei Berlinale und Diagonale bevergleichsweise langen Zeitraum von drei Monaten, der Schnitt geisterte sich das Stadtkino für dieses Zeugnis finanzieller wie dauerte zwei Jahre. Dabei musste die gesamte Produktion mit stilistischer Unabhängigkeit: Dort ist »Folge mir« nun zu sehen. dem – auch für österreichische Verhältnisse – geringen Budget ¶ »Folge mir« läuft derzeit in den österreichischen Kinos. von 200.000 Euro auskommen. ► 0 3 6 / AUSGABE 116

TEXT Dominique Gromes BILD Stadtkino

Für »Folge mir« zeichnet Johannes Hammel als Regisseur, Produzent, Drehbuchautor, Kameramann und Cutter verantwortlich. Sein fragmentarisches Familiendrama ist ein Solitär, nicht nur in der österreichischen Kinolandschaft.


Alle Infos zu Bewerbung und Gewinnspielen sowie News, Festivaltermine und Fotor端ckblicke unter DiePresse.com/festival.


► Die A po k a ly p s e a l s S p i e l p l at z ► Setting der Zerstörung: »Crysis 2« oder »Motorstorm Apocalypse«

In »Crysis 2« wird ein zerstörtes New York zur Kulisse für Action im High-Tech-Bio-Kampfanzug.

wieder frisch zerstört leich nachdem in Japan ganz überraschend das Vorhersehbare passiert ist, waren die Redensführer politischer Korrektheit am Überlegen, was wir denn nun erst einmal nicht mehr dürfen. Einige »Simpsons«-Folgen wurden aus den Programmen genommen ‒ immerhin verschuldet Homer ab und an im Alleingang kleinere und größere atomare Katastrophen. Und dem Netz war die Info zu entnehmen, der Release des neuen »Motorstorm«-Titels »Apocalypse« würde verschoben. Tatsächlich ist der Fun-Racer nun aber doch seit Ende März im europäischen Handel; nur der Japanstart wurde um eine relevante Zeiteinheit verschoben. Schwer zu sagen, ob derlei Korrektheiten bewusst promotiontechnisch genutzt werden können. Fakt ist, dass unser gerade zerstörter Planet als Setting für Bildschirmspiele großen Anklang findet.

Ästhetisches

Wenn in »Motor Storm: Apocalypse« irrsinnige Rennfahrer auf ihren Offroad-Vehikeln durch zerstörte Großstädte brettern, kann die Postapokalypse nahezu nur Ästhetisches beisteuern. Spieltechnisch war hier ja schon der Unterschied zwischen Felsstrukturen (»MotorStorm: Monument Valley«) und tropischen Insellandschaften (»MotorStorm: Pacific Rift«) wenig spürbar. Anders war jedenfalls die Atmosphäre; und die post­

apokalyptische Stimmung ist eine ganz besondere. Schon dicht an der Oberfläche, an der Fassade einer Endzeit-Konstruktion, ist Reizvolles zu erkennen: Angekohlte, verbogene Skelette von Gebäuden, die vor ihrer Zerstörung als Inbegriff der sterilen Glätte der Moderne betrachtet werden konnten. Totenstille auf jenen Plätzen der niemals schlafenden Großstädte, auf welchen momentan geschäftiges Treiben in Dauerschleife läuft. Und in den Rissen im Asphalt beginnt die Fauna mit der Rückeroberung des Terrains. Derart vom Trubel verlassene Standbilder unseres Untergangs sind das pathosschwangere Memento mori unserer Kultur. Und an selbiges knüpfen sich verschiedenste ideologische Hirngespinste. Doch zurück zum Anfang: Als Electronic Arts die Spielenden 1987 mit »Wasteland« erstmals in ein postapokalyptisches Umfeld stieß, war von oben genannter Ästhetik noch wenig zu spüren. Die Gruppe von Desert Rangers, die es zu steuern galt, war eine eckige Figur in eckigem Umfeld, die Häuser erinnerten an erste perspektivische Zeichnungen aus der frühen Schulzeit und das sengende Flirren der Wüste erreichte die Wahrnehmung der Spielenden durch die Textzeile »It’s VERY hot!«. Trotzdem wird bis heute von »Wasteland« geschwärmt und das Spielsetting hat in Titeln wie »Fountain Of Dreams« und der »Fallout«Reihe seine inoffiziellen Fortsetzungen gefunden. Seither kann der Genre-Nachwuchs nur noch schwer überblickt werden und

TEXT Harald Koberg BILD Sony, Crytek/EA

Die Spieleindustrie liefert uns in immer kürzeren Abständen neue Versionen unseres frisch zerstörten Planeten. Offenbar scheint unser Untergang bei den Spielenden gut anzukommen.


39 wieder zu ordnen versuchen. Ganz in der Art der »GTA«-Reihe verabreichen also auch die »Fallout«-Titel systemkritischen Zynismus in kleinen Dosen. Und ebenso wie dort wird auch hier nur ein Bruchteil der Spielenden überhaupt wahrnehmen, dass die Spielwelt Derartiges zu bieten hat. Nachweise dafür finden sich mühelos in einschlägigen Online-Foren.

Simpleres

Eine postapokalyptische Stadtlandschaft als chaotischer Rennsport-Spielplatz: »Motorstorm Apocalypse«.

hat an Buntheit gewonnen: Von dunklen Straßenschluchten, wie sie in »Infamous« und »Prototype« durchwandert werden, bis hin zu nahezu fröhlich anmutenden Versionen der naturgeprägten Postapokalypse in »Enslaved« ‒ gemeinsam haben diese Welten ihre einsamen Krieger, die zwar häufig auf Leben, aber nur selten auf Wohlwollen treffen. Ein etwas verklärter Romantizismus darf all dem schon entnommen werden. Denn wenn der Mensch fern aller Zivilisation – einem einsamen Wolf gleich – durch die Landschaften zieht, dann kann neben dem Wilden Westen durchaus auch an JeanJacques Rousseau gedacht werden, der uns Menschen anriet, uns doch der Wurzeln des Daseins zu besinnen, um uns ‒ quasi vom Baum herunter ‒ unserem Überlebenskampf zu widmen.

Ideologisches

Relevantere Begründungen für die Popularität unseres Unter­ gangs und der Zeit danach finden sich möglicherweise in Titeln wie »Crysis 2«, der vor Kurzem auf PC, Xbox 360 und PS3 gelauncht wurde. Hier schleicht und schießt der Spieler sich als Soldat in einem High-Tech-Bio-Kampfanzug durch ein gerade eben erst zerstörtes Manhattan. Zum Einen gerät er dabei in Headshot-schwangere Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsleuten eines Konzerns, zum Anderen sind da aber auch okto­pusartige Aliens, die die Stadt heimsuchen. Ganz ideologiefrei ist freilich auch das nicht. Immerhin versuchen die paramilitärischen Truppen eines machtbesessenen Großkonzerns, aus der Katastrophe noch Kapital zu schlagen. Aber die Vertreter des Großkapitals sind als Bösewichte in den Unterhaltungsmedien gerade so überraschend wie Hundehalter als Bad Boys der österreichischen Lokalpolitik. Was Altes, was Neues, was Gruseliges und was Schönes. Was hier ganz nach der Abwandlung eines erbaulichen Hochzeitsbrauches klingt, könnte ein Schlüssel zur Faszination Post­ apokalypse sein. In peripher vertrautem Umfeld dürfen wir ganz gemäß den Gewohnheiten ein paar Menschen über den Haufen schießen, bevor plötzlich gruselige und entstellte Figuren auftauchen, die in dunklen U-Bahn-Schächten und kalten Bunkern ebenfalls ihrem Ende zugeführt werden wollen. Und plötzlich stolpert der Avatar wieder ans Tageslicht und schaut hinunter auf die glitzernde Oberfläche eines überschwemmten Platzes, auf dem, wie zufällig, der Kopf der Freiheitsstatue zu liegen gekommen ist. Mehr als all die anderen Spielewelten dürfen die postapokalyptischen alles miteinander vermischen. Realistische Kriegsschauplätze stoßen hier auf Fantasy und Science-Fiction, Menschen treffen auf Zombies, Mutanten, Aliens und andere Menschen. So können unsere Avatare ‒ und wir vor den Bildschirmen ‒ in vertrautem Umfeld auf menschliche Urängste stoßen. Insektenartige, Krankheitssporen verbreitende Fremde in unseren Großstädten verursachen wunderbares Unwohlsein. Und dem vermeintlich Systemkritischen wird das Reaktionäre gegenübergestellt. So schön es auch gewesen wäre, hier den subversiven Geist der Bildschirmspiele-Szene heraufzubeschwören, so sehr scheint sich der Reiz zerstörter Großstädte dann doch in den Möglichkeiten des Spannungsaufbaus und der Stimmungsmache zu finden. Denn im Erregen von Spannungs- und Angstgefühlen müssen Bildschirmspiele zur Hochform auflaufen, da sie doch in Bezug auf alle übrigen Emotionen fast immer noch kläglich versagen. Diese Vermutung führt zur Überzeugung, dass alle künstliche Aufgeregtheit ob derartiger Spielinhalte selbst im Angesicht realer Tragödien jeder berechtigten Grundlage entbehrt. Die Postapokalypse als meist unbunte Spielwiese, auf der alle Gesetze nach Belieben außer Kraft gesetzt werden können: Wir Spielenden dürfen uns in jedem Fall darauf freuen, mit allem rechnen zu müssen ‒ auch wenn letztendlich selten Überraschendes geschieht. ¶

Und damit wären wir wieder zurück beim ideologischen Ansatz. Dass einige Kulturpessimisten und diverse, dem präpotenten Westen feindlich gesinnte Interessensgruppen dem Ende unserer Gesellschaft recht vorfreudig entgegenblicken ist kein Geheimnis. Und selbst wenn es nicht immer so gemeint ist, dürfte der Geschieht-uns-eh-recht-Gedanke den Reiz futuristischer Horrorvisionen schon noch erhöhen. In diese Kerbe schlägt vor allem die bereits erwähnte »Fallout«-Reihe. Neben einer ganzen Sammlung boshafter Witze (»I once visited a crematorium where they gave discounts to burn victims.«) liegt hier ein Zynismus über der gesamten Szenerie, der kaum gute Haare an unserer Gesellschaft lässt. Vor allem jene NPCs (nicht spielbaren Charaktere), die sich in die Welt vor den Atomkrieg zurückträumen, frönen einem Ideal der Spießigkeit, dass vielmehr an das Setting eines »Nightmare On Elm Street«-Sequels erinnert als an die heile Welt. Ähnlich wie in genreverwandten Filmen lehrt uns die Handlung der »Fallout«-Spiele schnell, allem zu misstrauen, was nach Ordnung und System riecht. Stößt man auf ein übrig gebliebenes Hochhaus, in dem betuchte Überlebende einem abgesicherten Leben wie damals frönen, so stößt man dort auch auf den despotisch herrschenden Hausherren, der alles hasst und fürchtet, was jenseits seiner Gartenmauern geschieht. »Motorstorm: Apocalpyse« (Sony; PS3) und »Crysis 2« (Crytek/EA; Und die richtig Bösen sind ohnehin immer jene, die all das Chaos PC, Xbox 360 und PS3) sind bereits erschienen. AU S GA B E 1 1 6 / 0 3 9 ◄


► paU l v i r i l i O ► Zurück in die »Cyberwelt«

class of 1996 ine der Eigenheiten engagierter verlegerischer Tätigkeit ist, dass sie Diskurse nicht nur abbildet, sondern auch generiert. Texte, die vor dem Hintergrund eines bestimmten Verlagsprogramms auftauchen, werden auch in Bezug zu diesem Programm gelesen, was mitunter ihre möglichen Interpretationen ändert. Diesen Umstand nutzte der Merve-Verlag zeit seines Bestehens gezielt; erst, um die operaistischen, neo-marxistischen Diskurse der »Italiener« (Negri et al.) nicht nur zu dokumentieren, sondern auch als wirkmächtiges Dings in den deutschen Sprachraum zu importieren; später, um dasselbe mit der postmodernen Kultur- und Kapitalismuskritik der »Franzosen« (Foucault, Deleuze, Virilio et al.) zu machen. Womit ihm eine wichtige Funktion für die deutsche Verlagslandschaft zukommt. Dementsprechend lässt sich an der Publikationsgeschichte von Merve dieselbe Entwicklung von einer stramm linken zu einer postmodernen Gesellschaftskritik darstellen, die oft auch in den individuellen Alterungsprozessen von Revolten- und von Textemachern wirkt. Wir kennen etwa die neokonservativen Ansätze, die sich auf die Foucault’sche Position berufen, in jedem Fortschritt primär einen Fortschritt der Unterdrückung zu sehen. Zu den Eigenheiten vieler Merve-Bücher gehört, dass philosophische Ästhetik, Kunst- und Filmkritik als Hilfsdisziplinen von Soziologie, Urbanistik oder Nationalökonomie auftreten. Was natürlich Spaß beim Lesen macht, weil es im Einzelnen brillante Formulierungen zeitigt. Im Allgemeinen jedoch ‒ sagen wir, zur Beantwortung der Frage »Was wollt Ihr eigentlich?« ‒ versagt der postmoderne Methodenmix. Etwa im Fall des Interviewbandes mit Paul Virilio, den Merve kürzlich herausgebracht hat. Das Original war bereits vor 15 Jahren unter dem Titel »Cybermonde, la politique du pire« erschienen.

PARADIGMENWECHSEL NACH DEM KALTEN KRIEG

fessor an der École Speciale d’Architecture eingesetzt wurde, Interessantes zu sagen, als er 1996 von Philippe Petit aufs Kenntnisreichste interviewt wurde. Um den Paradigmenwechsel nach dem Ende des Kalten Krieges ging es da, um Roboter- und Cyberkriegsführung, um die Entwicklung der Ballungszentren zu einer einzigen virtuellen Megastadt und die Folgen dieser Entwicklung, nebst der Verlegung des öffentlichen Raumes auf die Fernsehcouch, für unsere Selbst- und Weltwahrnehmung. Die Kernthese, die immer wieder in den vier Kapiteln auftaucht, hat viel für sich: Dass die Suspendierung jeder Entfernung durch die »Cyberwelt« etwas unhintergehbar Neues darstellt, das nicht einfach als Fortführung des Projekts der Eisenbahnen und Flugzeuge verstanden werden kann, sondern die Raum- und Zeitwahrnehmung der Menschen qualitativ ändert ‒ was nicht folgenlos für Machtgefüge bleibt. Virilios Bewertung dieses Umstands jedoch läuft im Wesentlichen auf ein Lamento über den Verlust der raumzeitlichen Bezugsgrößen, über das Eingesperrtsein in einer offenen, erschlossenen Welt hinaus ‒ als wäre, was Virilio dabei empfindet, das Einzige, was dabei überhaupt empfunden werden kann. Offen bleibt, warum Merve diesen Interviewband gerade jetzt herausgebracht hat. Entweder, »Cyberwelt« ist intendiert als Zeitkapsel ‒ als Reminder daran, dass kritisches Denken über Technik und Krieg so ausgesehen hat, in diesem kleinen Zeitfenster zwischen Kaltem Krieg und dem War on Terror bzw. der analogen und der vollends digitalisierten Welt. Oder, und da liegt das Problem, es handelt sich um eine diskursive Blendgranate ‒ gezündet, auf dass über die Welt und den Menschen wieder geredet werde, als wäre die Desavouierung der Hoffnungen der Moderne im Jahr 1989 noch immer das letzte Ereignis von dauerhafter Bedeutung. Gut, dass der Band letztere Funktion nicht erfüllen wird können: Führt er uns doch deutlich vor Augen, dass selbst noch das Wort »ich« inzwischen etwas Anderes als 1996 heißt. ¶

Natürlich hatte der Theoretiker der Geschwindigkeiten, des Kriegsschauplatzes »Stadt« und der Chronopolitik, der im »Cyberwelt, die wissentlich schlimmste Politik« von Zuge der Pariser ’68er-Revolte von den Studierenden als Pro- Paul Virilio ist 2011 im Merve Verlag erschienen.

TEXT STEFAN SCHMITZER illusTraTion CLAIRE PAQ

Ein Interviewband mit dem französischen Philosophen und Mediendenker Paul Virilio erscheint 15 Jahre nach dem Original in deutscher Übersetzung bei Merve. Zeitkapsel oder Blendgranate?


MUSIK UND KULTUR VON NISCHEN BIS POP

POOLBAR MIT PRATERSAUNA

19 & 20 & 21 MAI

TIGA ‡ DIE STERNE THE AGE OF CONSENT ‡ GINGA ‡ ICE BLACK BIRDS ‡ ETEPETETE ‡ KEN HAYAKAWA ‡ JOHN MEGILL (BRUNCH AM POOL) IMPULSTANZ-PERFORMANCE, POETRY SLAM, AUSSTELLUNGEN, U.V.A. Und später im Sommer: poolbar-Festival, 01 Juli – 15 August, Feldkirch– Altes Hallenbad Musikalische Headliner (weitere folgen): Portugal.The Man, The Sorrow, Weakerthans, dEUS, Hercules & Love Affair + Wolfram (RBMC), This Will Destroy You, The Thermals, Long Distance Calling, Molotov, Santigold, Ke car, Macy Gray, Mahala Rai Banda, beat! beat! beat!, OK GO, The Subways, Kosheen, Sco Ma hew, FM Belfast, Holstuonarmusigbigbandclub, The Real McKenzies, Get Well Soon, MEN, u.v.a. Tickets & Info: .poolbar.at


► alf r e d goub r an – »Aus . « ► Ein Roman, ein spätes Debüt, ein großer Wurf

ansichten aus dem abseits Klug, ergreifend und eigen: Alfred Goubrans spätes Romandebüt »Aus.« erzählt eine verworrene Geschichte über den Tod, Männerfreundschaft und das aufrichtige Leben. Mit großer Gelassenheit und poetischer Präzision. TE X T thomas weber BILD Florian auer

Alfred Goubran ist nicht nur ein hervorragender Autor, sondern kann sein Werk auch eindrucksvoll vortragen. Fast wünscht man sich ein von ihm selbst gelesenes Hörbuch.


s gibt da diesen Gemeinplatz, von dem viele zurück­ bütierten hier Ende der 90er Jahre als Schriftsteller mit ihren kehren, die dem Tod verdammt nah waren: Das Büchern »Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen kaputtganze Leben sei im Kopf wie in einem Film noch gemacht geworden sind« und »Immer nie am Meer«. Seit 2006 einmal vor ihnen abgelaufen, erzählen diejenigen, verkauft der Kleinstverlag nur noch Restbestände. die noch einmal davon gekommen sind, jenen, die Alfred Goubran war in seiner Unbeugsamkeit unpragmatisch, das wohl oder übel glauben müssen. Alfred Goubran kehrt diese unbequem anspruchsvoll und deshalb vielleicht kein guter, besesoterische Legende in seinem Romandebüt um, grundskeptisch ser: kein geeigneter Verleger. Goubran ist in seinem jetzigen und im Wortsinn. Der Punkt im Buchtitel »Aus.« deutet schon Leben ein brillanter Autor. Vielleicht der größte, den Österreich an, dass es da weitergeht; dass es ein Leben nach dem Tod gibt: derzeit zu bieten hat. ¶ Eben für die Zurückgebliebenen. Zwei Männer gehen nach einem Begräbnis vom Zentralfried- Alfred Goubran ist im Mai und Juni als »Writer in Residence« am hof in die Wiener Innenstadt. Der eine, Münther, ist Journalist Deutschen Haus der New York University, N.Y.C. zu Gast ‒ eine und hat sein Kind verloren, das gleich nach der Geburt gestor- Auszeichnung, die zuvor etwa Daniel Kehlmann, Alain-Claude ben ist. Die Kindsmutter liegt nach einem Unfall im Koma. Der Sulzer, Thomas Brussig oder Ingo Schulze zuteil wurde. andere, Muschg, ist Theaterdisponent und begleitet seinen Freund. Ein Gespräch wäre absolut fehl am Platz. Was soll man an diesem Wendepunkt im Leben des einen schon sagen? Was wäre nicht banal, unüberlegt, daneben? Im Kopf lassen beide ihr Leben vor sich ablaufen, nicht als linear konstruierten Film, sondern über gedankliche Umwege, Abschweife, verworrene Selbstbeschwörung und Reflexion über die eigene »Existiererei«, Umgangsformen und die »Gedankenersparnis« der Mitmenschen. Wir begleiten die beiden Männer auf ihrem »schweigenden, gemeinsamen Gang« in zwei einander abwechselnden inneren Monologen. So entwickelt sich beim Lesen ein intimer innerer Dialog. Wir hören Kopfstimmen, ein Gespräch, das so nie geführt würde, ausgebreitet in endlosen Satzkonstruktionen. Kein Mensch denkt nach Punkten und Beistrich. Goubran gelingen dabei absolute Sentenzen voll scharfem Sinn, Blick und, ja, auch Witz. Überhaupt ist es die große Gelassenheit, die dieses Buch in all seiner poetischen Präzision und seinem unsympathischen Personal erträglich machen. Lesbar als Roman, aber auch als schier unfassbare Sammlung an Aphorismen und unbequemer Lebensweisheit. Unbequem, weil unangepasst, sprachlich diszipliniert und völlig unschematisch. Goubran macht es weder sich selbst, noch seinen Lesern, noch seinen Figuren leicht. Ein rundum gelungenes Buch: Das Titelblatt gestaltete

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EINE POETIK DES NICHT-DABEI-SEINS

Es ist ein Freundschaftsdienst, einander Gesellschaft zu leisten, Beistand und Präsenzdienst. »Ich glaube, dass Freunde immer eine Welt teilen. Sie begründen sie, sie teilen sie«, sagte Alfred Goubran bei der Präsentation des Buches in der Nationalbibliothek. So skizziert sein Roman auch eine Männerfreundschaft, die zumindest in dieser Situation ohne direkten Dialog auskommt. Gleichsam als gedankliche Schittmenge kommt es in den Überlegungen der beiden Schweigenden auch zu einer Wiederauferstehung eines gemeinsamen verstorbenen Freundes. Es ist vermutlich Goubran selbst, der in Gestalt des verstorbenen Dichters Aumeier in Erscheinung tritt. Postuliert »der strenge Aumeier«, auch »General Aumeier« genannt, doch auch Goubrans Poetik und Lebenshaltung als Künstler: Der Dichter zeichne sich durch eine »Entscheidung zur Macht­ losigkeit« aus, ein bewusstes Leben im Abseits und ein selbst gewähltes Nicht-Dabei-Sein ‒ um sich die eigene Souveränität zu bewahren. Der Autor selbst verneint im Gespräch zwar den autobiografischen Gehalt des Romans, relativiert aber gleich wieder wenn er sagt: »Man schöpft aus der Welt, in der man lebt.« Alfred Goubran war in seinem früheren Leben ein ambitionierter und verdienter Verleger. Mit seiner Edition Selene, 1993 gegründet, hat er Autoren wie Paul Divjak, Michael Lentz oder Stefan Alfare entdeckt und gefördert. Auch Stermann & Grissemann de-

der Wiener Comic-Künstler Nicolas Mahler.

»Wir leben in ruinösen Verhältnissen. Die Katastrophe, so Aumeier, ist längst eingetreten, der Versuch, das Grundlose auszuschließen, gescheitert – dies nicht zu sehen, wegzuschauen und die Propaganda, das propagierte Weltbild zu glauben, bedeute Dabeisein. Zu leben, als ob alles in bester Ordnung oder wie es heißt auf dem besten Weg sei, bedeute Dabeisein, bedeute die Katastrophe ins Anonyme abzudrängen, sie unkenntlich zu machen, sie zu verbreiten wie einen Infekt. Die Wahrnehmungsstörung sei kollektiv, so Aumeier, das Verharmlosen die Norm, im Handeln, im Denken, im Reden. Öffnet einer den Mund, spricht die Kolchose. Muss man schweigen. Spricht man sich aus. Ich erinnere mich: Es konnte vorkommen, dass Aumeier auf einen Weltverbesserer traf, einen Studenten, Politiker, Zwangsoptimisten, der ihm Destruktivität vorwarf. Ein Vorwurf, den Aumeier immer mit demselben Satz quittierte, der jede weitere Diskussion im Keim erstickte: Ich bin an einer Verbesserung des Falschen nicht interessiert.« Aus: »Aus.«, erschienen im Braumüller Verlag, Wien. AU S GA B E 1 1 6 / 0 4 3 ◄


► mis c h e r ’ t r a xl e r /  b r e a d e dEs ca lo p e ► Design trifft Kunst

wege aus dem mainstream Einige junge heimische Designbüros arbeiten im Grenzbereich zwischen Kunst und Design. Das bedeutet mehr Risiko, aber auch mehr Freiheit. ls vor rund zehn Jahren die österreichische Designszene aus ihrem Dornröschenschlaf erwachte, waren Büros wie EOOS oder For Use die Vorreiter. Sie hatten den Mut, bei der Mailänder Möbelmesse jene großen Möbelproduzenten anzusprechen, für die (fast) alle entwerfen wollen. Renommierte Namen wie Cappellini, Magis, Moroso, MDF Italia oder Walter Knoll zählen heute zu ihren Abnehmern. Mittlerweile ist eine jüngere Generation von heimischen Gestaltern nachgewachsen, die teils andere, experimentellere Wege gehen. Damit vollziehen sie einen Trend nach, der seit vielen Jahren international zu beobachten ist: Weg vom Auftragsdesign, hin zur Kunst. Vorgegeben haben diese Richtung Stardesigner wie Ron Arad, der abseits regulärer Aufträge immer wieder Kleineditionen realisiert, um formale und materialtechnische Experimente eingehen zu können. Die limitierten Stücke werden dann über eine Galerie oder über Auktionen zu astronomischen Preisen verkauft. Dies ist allerdings nur dadurch möglich, weil einige Sammler und Investoren vom überhitzten Kunstmarkt genug haben und seit Jahren ihr Glück im Designmarkt suchen. Und der boomt noch immer, trotz zwischenzeitlicher Wirtschaftskrise. Eine Chance für Jungdesigner also, gutes Geld zu verdienen? Endlich eine Befreiung von der Knechtschaft, an einem Entwurf für einen Stuhl läppische Summen zu verdienen? Ganz so rosig ist die Situation natürlich nicht. Viele Gestalter probieren es nach der Uni mit Kleinserien oder sogenannten One-Offs, weil sie gar keine »normalen« Aufträge an Land ziehen können. Aus der Not wird eine Tugend: Man organisiert sich eine Werkstatt, hämmert, klebt, feilt an Möbeln oder möbelähnlichen Objekten und hofft dann auf eine Gelegenheit, sie irgendwo ausstellen zu können. Und man profitiert von neuen Technologien, die mittels »Rapid Prototyping« zu verhältnismäßig akzeptablen Kosten die Produktion weniger Stücke ermöglichen.


selbst produzieren. Vertrieben wird die Serie von Michael Turkiewicz, der gemeinsam mit Klaus Engelhorn vor Kurzem im Stilwerk am Donaukanal seine »Limited Edition Design Galerie« eröffnet hat. Die Idee, nicht nur historische Raritäten, sondern auch zeitgenössische Entwürfe abseits des funktionalen Mainstreams anzubieten, hatten die beiden von Anfang an. Doch erst in jüngster Zeit ist Bewegung in die Szene gekommen, langsam gibt es auch Kundschaft dafür. Wobei auch sie einem Dilemma nicht entkommen: Die Anhänger der »jungen Wilden« sind traditionell auch jung und »alternativ« (zu sehen bei der Vienna Design Week), als Käufer kommen sie jedoch kaum in Frage: Wer kann und will sich schon eine Lampe um 1.800 Euro leisten? Turkiewicz entgegnet: »Erstens gibt es bei uns zum Beispiel von mischer’traxler auch faszinierende Schalen ab 50 Euro und zweitens kostet eine Lampe von einem renommierten italienischen Produzenten auch nicht weniger. Man muss ja den Arbeitsaufwand der Designer dahinter sehen, jedes Stück ist ein Unikat, es handelt sich um Handwerk.« Klar sei, dass man sich so etwas nur dann leistet, wenn man es absolut haben will und Verständnis dafür aufbringt, dass Design eben nicht nur Funktion bedeute, sondern Grenzen erweitere, Sichtweisen verändere, emotionale Aspekte beinhalte. »Wer nichts damit anfangen kann, wird es auch nicht kaufen, wie bei der Kunst.«

Erst Design, dann Kunst

TEXt Peter Stuiber

bild mischer’traxler

Experimentierstube M’T

Das derzeit international erfolgreichste österreichische Büro auf diesem Gebiet ist mischer’traxler. Katharina Mischer und Thomas Traxler studierten zunächst an der New Design University in St. Pölten und wechselten dann zur Design Academy in Eindhoven, einer international renommierten Hochschule, die für ihre experimentelle Ausrichtung bekannt ist. Vor drei Jahren haben sich die beiden in Wien niedergelassen, von hier aus bearbeiten sie das weite Feld freier Gestaltung von extravaganten Lampen über Installationen wie ihrer Rumkugelbahn bis zum preisgekrönten Projekt »Idea Of A Tree«, bei dem eine selbstkonstruierte solarbetriebene Anlage Möbel produziert, deren Aus­ sehen von der Dauer und Intensität der Sonneneinstrahlung abhängen – gleichsam als dreidimensionaler Speicher eines Tages. Warum sie sich fürs Experiment entschieden haben? »Für uns kommt herkömmliches Produktdesign auch infrage, nur haben wir unseren eigenen Zugang zu Problem- und Aufgabenstellungen. Wir behandeln eher Themen und nicht Objekte«, so die beiden. »Wenn wir uns beispielsweise mit dem Thema ›Aufbewahren‹ beschäftigen, kann das ein Regal, ein Kasten, eine Truhe, aber auch eine Schuhschachtel, ein Mistkübel oder ein Koffersortiment werden. Je nach Projekt werden Materialien, Formen, Volumen und Farben getestet und viel selbst ausprobiert.« Die Zusammenarbeit mit Firmen würden sich die beiden schon wünschen, nur habe es sich eben noch nicht ergeben. Sieht man sich die ungewöhnlichen Arbeiten an, ist das auch nicht weiter verwunderlich. Bei ihrem jüngsten Streich, der »Relumine«-Serie, werden jeweils zwei alte ausgemusterte Lampen, die früher Glühbirnen hatten, mit einer energiesparenden Leuchtstoffröhre verbunden, woraus ein eigenwilliges Lichtobjekt entsteht, das nicht nur weniger Energie verbraucht, sondern einen auch mit Fragen konfrontiert; wie etwa woher wir Energie beziehen. Die Serie ist auf 33 Stück limitiert. Für einen großen Produzenten käme so etwas kaum in Frage: zu teuer, zu sperrig, zu wenig marktkonform. Also muss man es

So beschwerlich der Weg zum Kunden sein mag, so erfreulich sind die Ermunterungen, die Katharina Mischer und Thomas Traxler entgegengebracht werden: Einladungen zu internationalen Festivals und Ausstellungen sind auf der Tagesordnung, Auszeichnungen ebenso. Nach einem Preis beim DMY Designfestival in Berlin 2009 erhielten sie diesen April bei der Mailänder Möbelmesse den »W Hotels Designers of the Future Award«, der ihnen einen Auftritt bei der Design Miami / Basel im Juni ermöglichen wird ‒ ein heißbegehrtes Ticket fürs internationale Parkett, direkt im Kunstumfeld. Doch als Künstler möchten sie nicht bezeichnet werden. »Wir sehen uns definitiv als Designer. Wir beschäftigen uns mit Aufgaben zu Schwerpunkten und suchen in gewisser Form nach neuen Wegen und Lösungen.« Nach solchen suchen auch andere experimentelle Studios aus Österreich. So das Trio breadedEscalope (zu Deutsch: panier­tes Schnitzel), dessen Performances ‒ zum Beispiel ihre InstantProduktionen des Hockers »Original Stool« ‒ seit drei Jahren Freude und Anarchie in die Szene bringen. Zurückhaltender, jedoch ebenso konzeptuell sind die Arbeiten von Vandasye. Georg Schnitzer und Peter Umgeher entwickeln ihre Ideen aus der Auseinandersetzung mit prototypischen Gegenständen und Werkzeugen, die man etwa im Baumarkt kaufen kann. Dazu entwerfen sie dann Verbindungsteile, mit denen man einen Tisch, einen Kleiderständer oder einen Hocker bauen kann. Eine Art visionäres Ikea-Prinzip, bei dem der Designer nur noch die Schnittstellen kontrolliert. Vandasyes funktional strenge, beinahe spröde Möbel erschließen sich erst bei genauerem Hinschauen. Doch wer macht das überhaupt noch? Vielleicht ist die Galerie tatsächlich der richtige Ort dafür, dort nimmt man sich gewöhnlich mehr Zeit als beim Möbel-Shoppen im SchwedenDiscounter. Ein Massenphänomen wird experimentelles Design nie werden. Muss es auch nicht. Das wichtigste Ziel, das wohl für alle involvierten Designer gilt, haben mischer’traxler so formuliert: »Geschafft haben wirs dann, wenn wir ›normal‹ von unseren Arbeiten leben können und immer noch spannende Projekte machen können bzw. dürfen.« ¶ Am 24. Mai findet eine Präsentation ausgewählter Arbeiten in der Wiener Limited Design Galerie im Stilwerk (2., Praterstr. 1, 3. Obergeschoss) statt. — www.mischertraxler.com — www.vandasye.com — www.breadedescalope.com — www.designandart.at. AU S GA B E 1 1 6 / 0 4 5 ◄


► iTunes U ► Universität im Ohr

bildungsverhippung Apple entstaubt die Universitätsbildung. Seit 2009 streckt iTunesU seine Fühler nach den Universitäten aus und bietet freien Vorlesungszugang – online und weltweit. tundenlang auf steinharten Bänken zu sitzen, um bei Neonlicht und wahlweise Eiseskälte oder Affenhitze der dünnen Stimme eines Professors zu lauschen, der mit der Hörsaaltechnik kämpft, ist definitiv out. Wie verzweifelt dieses Bild nach etwas Glamourfaktor und Bequemlichkeit schreit, mag der eine oder andere bereits bemerkt haben. Apple hat darauf eine Antwort. 2009 launcht der multinationale Riesenkonzern den Service iTunesU ‒ U steht für University. Der Dienst nimmt zwischen Universitäten und Studierenden auf der ganzen Welt eine Art Unterhändler-Rolle ein. Die Universitäten richten sich einen Account ein und können von da an ihre Vorlesungen Lernwilligen rund um den Globus zur Verfügung stellen. Per Podcast oder Video-Stream kann man so von jedem beliebigen Computer mit Internetzugang Harvard in sein Wohnzimmer holen. Hochschulen auf der ganzen Welt, darunter auch zwei österreichische, beteiligen sich begeistert an dem Projekt. Für die Universität ist das Einrichten eines Accounts weder kostenpflichtig noch muss eine andere Bindung mit Apple eingegangen werden. »Lifelong learning« heißt das Stichwort, mit dem sich die teilnehmenden Universitäten gerne schmücken. »Lebenslanges

Lernen ist ein wesentliches bildungspolitisches Ziel, dem sich auch die Universität Innsbruck verpflichtet fühlt«, erklärt auch der zuständige Professor Christian Flatz von der Uni Innsbruck. Die Uni Innsbruck nahm im Sommer 2009 als erste österreichische Hochschule den Betrieb von iTunesU auf. Kurz darauf folgte ihr die TU Graz. Von der Uni Wien hieß es, man hätte urheberrechtliche Bedenken. Vorlesungen sind auch an der Universität Wien öffentlich. Das heißt, jeder kann als Gasthörer daran teilnehmen, wenn er möchte. Dieses Konzept der Öffentlichkeit auf die ganze Welt auszuweiten, davor schreckt die Uni Wien aber noch zurück.

Das Balzen um die Aufmerksamkeit

Apple stellt sich damit einer Realität, die viele Unis noch nicht wahrhaben wollen. Der Durchschnittsstudent hat sich verändert. Während vor 20 Jahren noch die Hochschulen die größten Zentren zur Wissensvermittlung darstellten, so läuft ihnen heute das Internet oftmals den Rang ab. Die Universitäten sehen sich mit einer Generation konfrontiert, die in ihrer Medienkompetenz ihren Vorgängern überlegen ist. Der Student von heute hat einen iPod, ein Smartphone und einen Laptop. Er


hat im Schnitt 300 Facebook-Freunde und twittert seine Befindlichkeit in die Welt hinaus. Er ist rund um die Uhr vernetzt. Warum also diese Entwicklung nicht auch auf den Bildungserwerb anwenden? Die Aufmerksamkeit der heutigen Studierenden ist viel weiter gestreut als noch vor einigen Jahren. Um sie als Universität für das eigene Produkt ‒ in diesem Fall Vorlesungen und Wissenschaft ‒ zu begeistern und bei der Stange zu halten, muss man ihnen ein attraktives Angebot machen. iTunesU ist ein solches Angebot. Mit wenigen Mausklicks kann man über ein riesiges Spektrum an Themen verfügen. Viele Unis nutzen iTunesU einfach als Plattform ergänzend zu den Vorlesungen. Die Studierenden haben so den Vorteil, nicht mitschreiben zu müssen. Die Streams können auch über iPod oder iPhone gehört werden. Man kann also ‒ wo immer man gerade ist – einen Vortrag hören. So konnte sich tatsächlich schon eine gehörige Menge von Usern für den Onlinedienst erwärmen. Das weltweite Vorlesungsverzeichnis von iTunesU enthält Streams aus fast allen erdenklichen Studienrichtungen. Besonders gerne stellen die Hochschulen die Vorträge prominenter Gastredner ins Netz. Auf iTunesU finden sich also auch Vorlesungen von Larry King, Ronald Reagan und vielen anderen Celebrities. Man kann die Geschichte von Oprah Winfreys erstem Fernsehjob hören. Watergate-Aufdecker Bob Woodward erzählt von sein Interview mit George W. Bush und Michael Douglas gesteht den Studenten, dass seine Studienwahl hauptsächlich damit zusammenhing, dass die University of California in St. Barbara und somit am Meer gelegen ist. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil es so einfach ist, einen Vortrag schnell online zu stellen, hat sich hie und da aber ein gewisser Schlendrian eingeschlichen. Die Plattform enthält auch viele qualitativ fragwürdige Aufnahmen. Oft lässt die Tonqualität zu wünschen übrig und auch viele inhaltlich schwache Vorträge haben es auf iTunesU geschafft.

TEXt Teresa Reiter

illustration iris kern

Die Popularisierung von Wissen

Auch außeruniversitäre Institutionen entdecken iTunesU nach und nach für sich. Unter der Karteikarte »Beyond Campus« finden sich bereits einige renommierte Museen, darunter auch die Wiener Kunsthalle. Seit zwei Jahren ist sie auf der Plattform vertreten. Ihr Angebot enthält verschiedenste Streams zu Ausstellungen und Künstlern, aber auch Pressekonferenzen und künftig auch Ausstellungskataloge. Viele der Materialien wurden aus Dokumentationsgründen aufbewahrt. Mit dem Launch von iTunesU hat die Kunsthalle das meiste davon aufgearbeitet und frei zugänglich gemacht. Das Ziel sei, so Pressesprecherin Claudia Bauer, aus dem Elfenbeinturm, in dem Kunst und Museen lange Zeit waren, herauszukommen. Auch zu Recherchezwecken nutzt die Kunsthalle das Portal. Zwar sind noch nicht viele Museen und Galerien dort vertreten, doch einige haben schon ihren Weg dahin gefunden. Klar ‒ ohne die Universitäten und Museen funktioniert iTunesU auch für Apple nicht. Es ist also keineswegs so, dass der Vortragende durch die Maschine ersetzt wird. Was Apple aber gelingt, ist eine Popularisierung von Bildung. iTunesU bietet Inhalte auf sehr hohem Niveau. Der Service wird zunehmend als Recherchequelle genutzt. Im letzten Jahr erreichte man die unglaubliche Zahl von 300 Millionen Downloads. Die Nachfrage ist also da. Das Ziel, das Apple damit verfolgt, ist wohl, sich mit der wertvollen Konsumentengruppe Student gut zu stellen. Wenn man diese einmal in den iTunes Store gelockt hat, wird sich vielleicht auch der eine oder andere nach Filmen und Musik umsehen. Dieser Meinung ist auch Sigrid Maurer von der ÖH der Uni Wien. Sie kritisiert die Notwendigkeit der Software iTunes für den Zugang zu den Inhalten und fordert freien Zugang zu wissenschaftlichen Materialien, ohne dabei auf die Software eines kapitalistischen Riesenkonzerns

47 Jetzt auch mit den größten Hits von Yale und Harvard im Gratis-Download: Apple macht Bildung mit iTunesU frei im Netz zugänglich.

angewiesen zu sein. Außerdem, so Maurer, gäbe es andere Plattformen, die kostenlose Vorlesungsstreams zur Verfügung stellen. Beispiele dafür sind das Massachusetts Institute of Technology oder Academic Earth. Letzteres ist allerdings nicht für alle Hochschulen gedacht, sondern nur für die Elite-Unis. Ist iTunesU nun ein Werk des Teufels? Christian Stiegler, Medienwissenschaftler an der Universität Wien und FM4Redakteur, sagt dazu Folgendes: »Grundsätzlich ist jede Maßnahme, die Bildung über die Mauern der Universitäten hinausträgt, zu begrüßen. Das ist ein moderner, medienbedingter Zugang, vor dem sich auch österreichische Universitäten nicht verschließen können und sollten.« Die Vorreiterrolle von Apple findet er nicht problematisch, denn wenn finanzielle Schwergewichte wie Apple Interesse an den unterfinanzierten Unis zeigen, dann kann das der Anfang einer Zusammenarbeit sein, die für beide Seiten profitabel ist. Natürlich bekommt man auf iTunesU keinen Studienabschluss und es ist kein Ersatz für ein Studium. Das Konzept des Onlinestudiums reduziert den Wissenserwerb auf das Hören der Vorträge. Somit fehlt die soziale Komponente des Studiums. Man lernt keine Menschen kennen, es ist nicht möglich, eine Diskussion mit den anderen Hörern zu starten und man kann keine Fragen stellen. All diese Dinge bleiben nach wie vor denen vorbehalten, die sich in den Hörsaal setzen. ¶ AU S GA B E 1 1 6 / 0 4 7 ◄


► Neu e Tö n e : Statu s Ei nr e i c h ung ► Der Focus-Call Musik von Departure

the time is now Miete zahlen. Ja, selbst hier im Medienhaus Monopol, der Heimat von The Gap, arbeiten gleich mehrere Leute am Clubfestival Waves Vienna. Das sind nun allesamt sehr klassische Ansätze, mit Musik sein Auskommen zu finden. Dazu gehören noch einige Jahre Erfahrung, um gesund zu wachsen, die eigenen Stärken auszuloten und die eigene Nische aufzubauen. Für noch eine Sync-Agentur in Österreich ist die Nische schlicht zu klein (es sei denn sie konzentriert sich auf Metal oder Drum’n’Bass). Zero Inch ist mit MP3s in sehr hoher Qualität und einem Redaktionssystem von Wien aus angetreten, den Primus für Club-MP3s, Beat Port, einen Teil der Käufer abzugraben. Noch besser aber wären Services, die es so noch gar nicht gibt. Play.fm hat so etwas für den Bereich von DJ-Set-Streamings geschafft. Departure fördert als Kreativwirtschaftsagentur der Stadt Wien genau das, fördert Geschäftsmodelle, keine Bands, wahrscheinlich auch keine ganz klassisch strukturierten Labels, sondern Projekte, die dauerhaft für Arbeitsplätze in der Wiener Kreativwirtschaft und Vernetzung sorgen. Seit Ende 2010 unterstützt The Gap schon die Kreativagentur der Stadt Wien redaktionell bei der Vorbereitung des Fördercalls Focus Musik unter dem Titel Neue Töne der Musikwirtschaft. Bei den drei Panel-Diskussionen im Wiener Mica wurden eine Reihe von Ideen geboren, viele schöne Worte sind in viele kleine Sackerln geredet worden. Damit das nicht ganz verschwindet, hat Peter Tschmuck alle drei Diskussionen auf seinem Blog zur Musikwirtschaftsforschung zusammengefasst. Die Transkripte sind auf www.thegap.at nachzulesen. Als letzter Impulsgeber veröffentlicht Departure Mitte Mai ein White Paper.

text Stefan Niederwieser

ngefähr jetzt sollten die Köpfe spätestens intensiv rauchen. Denn wer den waghalsigen Plan verfolgt, sein Leben voll und ganz mit Musik zu verbringen, bekommt ab Mitte Juni von Departure die Rute ins Fenster gestellt ‒ die Rute, das ist in dem Fall ein besonders gut gefüllter Sack Geld. Rund 800.000 Euro sind drin. Innovative Ideen braucht es, um sich bis zu einem Viertel davon abzuholen; hört sich ja easy an. Wenn man aber nicht mit einem Projekt, das jemand anders auf dem Globus so ähnlich aber besser umgesetzt hat, ein paar Jahre unglücklich oder nicht von allgemeinen technologischen Entwicklungen überrollt werden will, heißt es, den Recherchemodus für einige Tage auf höchste Leistung stellen. Wer dann immer noch von seiner Idee überzeugt ist, sollte sie der eigenen Mutter in drei Minuten erklären können. Wenn sie es nicht versteht, hat man ein Problem. Und es gibt sie, die positiven und funktionierenden Beispiele österreichischer Musik, nicht nur in Form großartiger Bands, sondern auch als Labels und Musik-Services. Das Indie-Imperium von Ink Music berichtet 2010 von deutlich gestiegenem Mitarbeiterstand und fast kolossaler Steigerung im Live-Bereich. Allein für die angeschlossene Sync-Agentur Swimming Pool haben die Betreiber drei Monate, eines davon sehr intensiv, damit zugebracht, sich zu überlegen, wie die Agentur in konkreten Zahlen funktionieren könnte. Eine One-Man-Army wie Seayou Records bekommt neuerdings ebenfalls einigen Zuwachs, um die verschiedenen Äcker zu bedienen, die die Ernte abwerfen bzw. die

bild christian aysner

Kein Förder-Call von Departure wurde bisher von derart langer Hand vorbereitet wie jener zum Thema Musikwirtschaft. Ab Juni kann eingereicht werden. Die letzte Zwischenzeit vor dem Ziel.


Links: Sync-Agentur Gründer und Indie-CEO Hannes Tschürtz bei der Panel Diskussion zu Rights Management. Rechts: Für die Diskussion hatte sich unsere Altherrenrunde herausgeputzt. Besen, Jenner, Everke, Duffek, Heher, Niederwieser über Events. Fesch.

als appetithappen zur einreichung bündeln wir hier noch einmal wortfetzen, informationen und ideen der panel-diskussionen im wiener mica:

Management

Klassisches Musikmarketing wird kaum noch betrieben. Weil die alten Modelle nicht mehr funktionieren, sind Chancen und Risiken hier am höchsten. Vernetzungpotenziale müssen genutzt werden. Genau hier sieht Departure auch zwischen den Zeilen die größten Chancen für innovative Management-Ansätze. Wo soziales und kulturelles Kapital aufgebaut und Aufmerksamkeit generiert werden kann, stecken auch Chancen auf neue Erlöse. ◄◄

Rights Management / Distribution

Der Lizenzmarkt ist derzeit extrem komplex und unübersichtlich. An einer Vereinheitlichung wird in Form der globalen Repertoiredatenbank (GRD) gearbeitet, Bemühungen in diese Richtung verliefen aber bisher im Sand. Kaum jemand fühlt sich zuständig, diese Datenbank zu erstellen. Dabei sind es die Rechteinhaber selbst, die dafür sorgen müssen, dass ihre Rechte von ihren Interessensgemeinschaften auch durchgesetzt werden (in Österreich: AKM/Austro Mechana / LSG). Die völlige Transparenz in Sachen Musiknutzung ist zwar mittlerweile technisch möglich, die Datensätze aber unvollständig. Streaming-Services wie Simfy oder Spotify scheinen Hörer zu legalen Angeboten zurück zu bringen. Premium-Abos oder Bündelung in Mobilfunkpakete sind das Ziel ihrer Betreiber. Das Thema Vertrieb/Distribution wird von 8. bis 10. Juni ausführlich bei den Wiener Tagen der Musikwirtschaftsforschung besprochen. Themen sind u.a. Streaming und die globale Repertoiredatenbank (GRD). ◄◄

Cloud

Für zusätzliche Cloud Services ist es zu spät. Große Konzerne wie Amazon, T-Mobile oder Sony haben bereits ähnliche Dienste. Ein Dienstleister für genau solche Services, der das Reporting und die Koordination mit den Urheberrechtsgesellschaften übernimmt, existiert zumindest in Europa noch nicht. Tools, um Abrechnungsdatenbanken nach einem gemeinsamen Datenstandard, wie er über DDEX eingeführt werden soll, miteinander zu verbinden, existieren ebenfalls nicht. ◄◄

Events / Live-markt

Die Rückgänge am Livemarkt waren 2010 in Europa weniger drastisch als in den USA. An zusätzlichen Services ist vieles vorstellbar, etwa ein Aggregator von Events auf Social Media-Websites, die auf einer eigenen Website gebündelt werden; oder beim Einschätzen von Booking-Preisen helfen, automatisierte Anbindungen an Event-Listings und -Blogs, ein Tool für Veranstaltungsanmeldungen bei Behörden. Agenturen für Musikexport am Livesektor, für Corporate Events als Schnittstelle zwischen Bookern und Marketeers, automatisierte Merch-Abwicklung, ein Email-Marketing-Service für Events oder ein Service um Live-Mitschnitte direkt nach dem Konzert mitnehmen zu können, waren weitere Ideen, die bei den Panels aufkamen. Sponsoren haben am Live-Markt wiederum ihre Engagements im Zuge der Wirtschaftskrise gedrosselt. Sie wollen heute ganzheitlich integriert werden, sehen sich selbst als Partner und wollen einen Mehrwert für ihre Marke erzielen. ◄◄

Intermediäre

Die Verschränkung und Harmonisierung verschiedener Bereiche der Wiener Kreativwirtschaft ist generell Ziel von Departure. Dabei kann es sowohl um die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Bereichen der Musikwirtschaft (Booking, Licensing, Publishing etc.) gehen, wie auch zu anderen Bereichen wie Film, Games, Kunst oder Design. ◄◄

Social Media

Ist ein guter Kanal, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen oder Leute besonders direkt anzusprechen und zu aktivieren. Direkt darüber Musik zu verkaufen, funktioniert bisher kaum. Mit Last.fm, Reverbnation, Next Big Sound, Band Metrics, Wavemetrix, Soundcloud, etc. stehen aber reichlich Services für Marktforschung und Reporting zur Verfügung.

musikwirtschaftsforschung.wordpress.com www.play.fm www.zero-inch.com www.seayourecords.com www.swimming-pool.at AU S GA B E 1 1 6 / 0 4 9 ◄


► wO rt w ec h s e l ► Parteipolitik vs. Engagement?

www.thegap.at/wortwechsel

warum gehst du nicht in die parteipolitik? Die Parteien haben ein veritables Nachwuchsproblem. Die angebliche »Politverdrossenheit« der Jungen ist allerdings eine Ausrede der Apparatschiks. Denn Aktivisten gibt es ebenso genug wie Handlungsbedarf. Wir haben Menschen gefragt, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, ob Parteipolitik für sie (k)eine Option ist.

»POLITIK VERSTÜMMELT«

»ES LIEGT AN DEN STRUKTUREN»

Martin Aschauer

Ich engagiere mich politisch, doch eine Partei kommt für mich nicht in Frage. Ich setze mich für Global 2000 und damit für den Umweltschutz ein. Ich war bei den Demonstrationen in Kopenhagen, bei der Castor-Blockade oder bei der Giftschlamm-Katastrophe in Ungarn vor Ort. Es gibt wirklich viel zu tun. Es liegt sowohl an den Strukturen als auch an den Angeboten der Parteien. Diese dürfen sich nicht wundern, wenn sich Leute nicht engagieren wollen. Schon mal selbst versucht, mitzumachen? Es gibt kaum Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Warum sollte ich mich dann engagieren? Die Partei, die (m)ich vertreten würde, die gibt es im Moment einfach nicht. ¶ Martin Aschauer, 32, ist engagiert – unter anderem bei Global 2000.

In eine Partei- oder andere Politik-Funktion möchte ich nicht, weil man dort sozial verstümmelt. Wo wirklich etwas entschieden wird, herrscht unvorstellbarer Druck. In solchen Machtstrukturen kann man nicht bestehen, ohne Beziehungen zu vernachlässigen: zu sich selbst, zum privaten Umfeld und zur Öffentlichkeit (in fast jedem ZIB2-Interview beobachtet man die fortgeschrittene Unfähigkeit, in Beziehung zu Wählern zu treten). Übrig bleiben halbe Menschen ‒ sozial und emotional beschädigte Zyniker. Wer sich Empathie, Verletzlichkeit und Ideale bewahren will, hat’s schwer. Ich bedauere das sehr, da ich ein überzeugter Demokrat bin. Zehn Jahre habe ich bei SOS Mitmensch Politik im Kleinen gemacht. Das war mir persönlich Druck genug. Vielleicht kann ich einmal mithelfen, politische Strukturen für ganze Menschen zu entwickeln. Das wär was. ¶ Philipp Sonderegger, 36, war Sprecher von SOS Mitmensch und ist derzeit auf Bildungskarenz in Hanoi, Vietnam. Er bloggt zu politischen Themen unter www.phsblog.at

KOMMENTAR THoMAS WEBER

Philipp Sonderegger

DOKUMENTATION LISA DREIER

nd sie bewegt sich doch. Schon glaubt man, die offizielle Politik wäre endgültig an einem Endpunkt in Sachen Handlungsunfähigkeit angelangt. Dann prescht doch wieder jemand mit einem nicht abgesprochenen Vorschlag vor, erntet Beifall beim Boulevard und Kopfschütteln bei denen, die Politik nicht nur aus dem Bauch betreiben. Oder Zustimmung bei den wenigen, die zynisch in Kauf nehmen, Inhalte für überholt und Hochrechnung für das Maß allen Tuns halten. Was das beweist? Bloß, dass das Bild von Stillstand und Erstarrung in der traditionellen Parteipolitik ein falsches ist. Treffender, wenn auch mindestens genauso abgedroschen, ist das der Abwärtsspirale. Denn die Erkenntnis derer, die sich nicht angewidert vom politischen Tagesgeschäft abgewandt haben und als Beobachter dranbleiben, ist: Es geht noch tiefer. Grüne, Freiheitliche, die beiden Volksparteien ‒ aus dieser Fundamentalkritik ist keine der Parteien auszunehmen. Bloß dass es sich diejenigen mit einem letzten Hauch von Anspruch und Moral nicht ganz so einfach machen. Dabei begehen die Altparteien (schwarz, rot, grün) einen fatalen Fehler und fehlinterpretieren die allgemeine Proteststimmung. Denn anders als viele der freiheitlichen Funktionäre sind deren Wähler nicht durchwegs Nazi-Sympathisanten. Ihr Votum ist in vielen Fällen nicht mehr als ein – verzweifelter, vielleicht unzulässiger, jedenfalls faktischer ‒ Aufschrei. »Revolution!?!« Dabei ist die Zivilgesellschaft wach wie nie. NGOs und Interessenvertretungen mit humanitären, manchmal auch humanistischen Motiven machen uns stark, machen mobil, machen es sich aber manchmal auch zu leicht ‒ im Wissen, dass sie nur einen geringen Teil der Bevölkerung wirklich erreichen können und mit ihrer Konsequenz, den Rest der Bevölkerung zu ignorieren. Es soll in diesem »Wortwechsel« nicht vordergründig darum gehen, Auswege aus dieser Situation zu schildern. Überlegungen über eine Änderung des Wahlrechts (Stichwort: Mehrheitswahlrecht), die Gründung einer neuen Partei (links?, liberal?, atheistisch?) oder eine Umwandlung Österreichs von der Republik in ein italienisches Bundesland wären zu diskutieren. Wir begnügen uns dennoch vorerst damit, Menschen, die bereits zivilgesellschaftlich und politisch engagiert sind, zu fragen, warum sie das nicht im Rahmen einer politischen Partei tun. Vielleicht die falsche Frage, vielleicht zu kurz gegriffen. Wir freuen uns über eure Beiträge. ¶


»ABER HIER LEBEN – NEIN DANKE.«

Niklas Schinerl

»ES GEHT AUCH ANDERS«

Es gibt für mich zwei Hauptgründe, die dagegen sprechen, in die Parteipolitik zu gehen: Erstens existiert in Österreich bislang keine Partei, die bereit wäre, Menschen wie mich in einer meinen Qualifikationen entsprechenden Funktion aufzunehmen. Die Möglichkeit für Menschen mit Migrationshintergrund, in der Parteipolitik Fuß zu fassen, ist lediglich in weniger relevanten Positionen gegeben. Zweitens ist die Politik einfach zu kurzlebig, um wirklich etwas umsetzen oder verändern zu können. Die vier Jahre einer Legislaturperiode bieten zu wenig Zeit für tatsächliche Umsetzungsarbeit. Man bereitet sich auf eine Wahl vor, braucht dann wiederum bis zu ein Jahr, um sich mit der Arbeit und dem Team vertraut zu machen und dann steht schon wieder die nächste Wahl vor der Tür. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, um tiefgreifende gesellschaftspolitische Änderungen durchzusetzen. Deshalb bin ich der Meinung, dass man, um Gesellschaftspolitik machen zu können, nicht notgedrungen in die Parteipolitik gehen muss. In NonProfit-Organisationen hat man die Chance, langfristig zu arbeiten und auf diesem Weg wirklich etwas zu bewirken. Der Nachteil daran ist aber, dass man von staatlichen Fördergeldern abhängig ist, die in Zeiten wie diesen keine Selbstverständlichkeit sind. Ein echtes Dilemma! ¶

Es ist das Gefühl, durch parteipolitisches Engagement derzeit nicht viel bewegen zu können, das mich unabhängig bleiben lässt. Vor allem in ÖVP und SPÖ werden wichtige Entscheidungen von den Parteispitzen getroffen, die von Kommunikationsagenturen und Umfrageinstituten beeinflusst werden. Von Lobbyismus ganz zu schweigen. Veränderung bräuchte es hier dringend! Die Qualität einer Partei erkennt man vor allem daran, wie sie mit den Schwächsten einer Gesellschaft umgeht. Stichwort: Asylpolitik und Bettelverbot. Von Solidarität oder christlich sozialer Verantwortung ist bei den Regierungsparteien hier kaum eine Spur. Ich habe Respekt vor Menschen, die die Courage haben, sich gegen die Führungsriege und den Fraktionszwang zu stellen. Leicht ist das sicherlich nicht. Eine solche Entscheidung bedeutet oft den Verlust von Aufstiegschancen und somit auch von Gestaltungsmöglichkeiten. Die Grünen sind hier aufgeschlossener und haben dementsprechend geringere Nachwuchsprobleme, aber sie erreichen nur eine bildungsnahe Zielgruppe. Wie es um Kompetenzmangel und Nachwuchs in der ÖVP aussieht, zeigt deren neues Regierungsteam. Klar wünsche ich mir, dass sich viele junge Menschen politisch engagieren, um hier was zu verändern. Auf Dauer politisch mitgestalten kann man in einer repräsentativen Demokratie in erster Linie über Parteien. Aber es geht auch anders: Zum Beispiel habe ich gemeinsam mit vielen anderen über die Plattform www.machenwirunsstark.at die Demonstration Ende April gegen das »FremdenUNrechtspaket« unterstützt. Persönlich scheint mir dieses freie Engagement gerade am sinnvollsten, um mich für ein mir wichtiges Anliegen einzusetzen. Parteien sind aber keinesfalls ein Feindbild. Ich hoffe nur, dass die Großen wieder mutiger und offener werden. Denn wenn sie sich dogmatisch an diversen Umfrageergebnissen orientieren und ihr aalglattes Image behalten, könnte es ihnen ergehen wie der Kirche. Davon profitieren würden die rechten Parteien, und das gilt es zu vermeiden! ¶

Béatrice Achaleke, 41, ist aktiv bei der unabhängigen Organisation AFRA, wo sie sich für die Rechte schwarzer Frauen einsetzt. Außerdem ist sie bei Black Austria und als Organisatorin des Diversity Congress aktiv.

Romy Grasgrüner, 27, studiert Internationale Entwicklung in Wien. Vor zwei Jahren war sie eine der Initiatorinnen einer Lichterkette rund um das Parlament, deren Ziel es war, ein Zeichen gegen rechte Hetze zu setzen.

»PARTEIPOLITIK ZU KURZLEBIG«

BILD GLoBAL 2000, SoS MITMENSCH, AFRA, CHRISTIAN AySNER, GREENPEACE

Romy Grasgruber

Béatrice Achaleke

Als ich vor Jahren bei der Bundesjugendvertretung arbeitete, kam oft die Frage nach der Politikverdrossenheit der Jugend. Meine Antwort stets: Das ist keine Ablehnung gegenüber der Politik, sondern lediglich gegenüber der Parteipolitik. Die Jugendlichen würden sich weiterhin für Umwelt, Menschenrechte oder Sozialfragen engagieren. Die Reaktion war immer ein wohlwollendes, ein fast erleichtertes Nicken. Diese jugendliche Ablehnung schien mir leicht nachvollziehbar, prägte doch der Begriff Parteipolitik auch in mir Bilder von alten Männern in miesen Anzügen, von holzvertäfelten Sitzungszimmern voller verlorener Lebenszeit und abgestandenem Filterkaffee, von Klubzwang, von innenpolitischem Kleingeld, von Beißreflexen, von Stillstandverwaltung, von OTS-Aussendungsschlachten, von Absprache mit Boulevardmedien, von Diskussionssendungen mit den Klubobleuten, bei denen es nicht gelingt, einen einzigen klaren und selbstständigen Gedanken zu formulieren. Als Marcus Omofuma bei einer Abschiebung getötet wurde und eine schwarz-blaue Regierung vor der Tür stand, begann für mich eine intensive Auseinandersetzung mit der Parteipolitik, die das Bild noch mal erweitert, vielleicht verschoben hat – in Richtung zu junger und zu gut aussehender Männer in Hugo Boss, Abputzen und Aussitzen, Richtung Sprechblasen, Abstreiten, Dummstellen, Ausweichen und Stehsätzen. Richtung Diskussionsverweigerung. Abschalten und zynische Distanz war beim Zuschauer die Folge – das Abschotten der Parteien eine Reaktion. Die Partei als ein System, das eigenen Dynamiken unterworfen ist und die nur mehr wenige Ventile und Austausch zulässt. Kein Quereinsteiger mit Ausnahme von Alexander van der Bellen konnte sich längerfristig in den Parteien halten. Wer in eine Gestaltungsposition kommen möchte, braucht die vielzitierte Ochsentour und die Homebase in der Partei oder man wird gnadenlos abgesägt. Die Vertreter der Parteien leben in einem ideologischen Elfenbeinturm, immer um Aufstieg bedacht. Sinnbild für die Entfremdung zwischen innerparteilicher Logik und realpolitischer Sinnhaftigkeit ist die Besetzung des Integrationsstaatssekretärs. Dank dieses Elfenbeinturms verwechseln die Entscheidungsträger hier sexistisch und doof mit jung und frech. Was bleibt, ist Verdruss und Unverständnis ob dieser Entscheidung. Möchte ich selbst gestalten, weil ich denke, dass weit mehr geht, als der derzeitige mit Sachzwängen argumentierte Stillstand? – Sehr, sehr gerne. Möchte ich ein solches Leben führen? – Auf keinen Fall. Niklas Schinerl, 34, ist NGO-AtompolitikExperte bei Greenpeace. AU S GA B E 1 1 6 / 0 5 1 ◄


► pr o sa ► Nadja Bucher

subkutan anders Was tun, wenn man bemerkt anders zu sein, es aber keinen interessiert, weil es niemand sieht? Nicht ganz ironiefrei gibt Nadja Bucher Auskunft, was zu tun ist, wenn man bemerkt, dass sein Körper mit Kügelchen gefüllt ist. Kügelchen

Nadja Bucher Rosa gegen den Dreck der Welt (milena)

hr damaliger Freund hatte es entdeckt. Bis dahin war alles normal verlaufen. Nicht, dass es nach der Entdeckung gleich wahnsinnig anders geworden wäre. Aber die Entdeckung gab den Impuls, aufmerksamer dafür zu werden. Es war eine völlig unverfängliche Situation, wie ja meist völlig unverfängliche Situationen Ausgangspunkt für größte Katastrophen waren. Jedenfalls lag er wie schon oft an ihrer linken Seite, seinen Kopf an ihre Schulter gelehnt und streichelte die Innenseite ihres Oberarms. Plötzlich hielt er im gedankenverlorenen Streicheln inne und tastete zwischen Bizeps und Trizeps herum, als suchte er in ihrem Körperinneren nach versteckten Schätzen. »Was ist denn?«, fragte sie und er, ganz auf seine Fingerspitzen konzentriert, sagte »da, da«, und drückte auf eine bestimmte Stelle ihres Arms, die er auch für sie als betastenswert lokalisierte. Sie befühlte die Stelle, erkannte aber nicht was »da, da« abwegig sein sollte. »Spürst Du das nicht?«, fragte er ungläubig und

setzte nochmals seinen Finger an, um sicher zu gehen, dass das Erspürte noch am selben Platz und ihre Finger in richtiger Position waren. »Diese Kügelchen, spürst du die nicht, hier, gleich unter der Haut«, er war baff über ihre Reaktionslosigkeit. Doch, sie spürte die Kügelchen unter ihrer Haut, die sie schon immer gespürt hatte, weil ihre Haut von jeher ausgesprochen dünnhäutig war. Aber sie konnte daran nichts Verwundernswertes erkennen. »Greif mal«, forderte er sie auf, seinen inneren Oberarm abzutasten. Sie kam seiner Aufforderung nach, aber unter seiner Haut, die zugegebenermaßen fester als ihre war, stieß sie auf keinerlei Kügelchen. Sie zuckte die Schultern, lachte und sagte »Na ja, du hast eben ein anderes Füllmaterial.« Er sagte »was?«, und betastete schon wieder ungläubig ihren Oberarm. »Na, ich bin halt mit Kügelchen gefüllt, wie ein Teddybär«, sagte sie spaßhalber, um ihn von seinem kuriosen Interesse ihren Oberarm betreffend abzulenken. Er reagierte zwar nicht auf ihren Scherz, grübelte noch ein wenig tastend nach, aber bald war die Episode samt ihren Kügelchen in Vergessenheit geraten. Dort blieb sie auch, bis nach einigen Monaten ein Arztbesuch, reine Routine, sagen wir eine Vorsorgeuntersuchung, unternommen wurde. Dabei wurde ihr Blut und Harn abgenommen, Herztöne, Lungenfunktion und Puls gemessen und abschließend ein Ultraschall durchgeführt. Sie, die doch bis dahin keinerlei Interesse für die Unlesbarkeit solcher Ultraschallbilder gezeigt hatte, sah jetzt deutlich unzählige kleine, dicht an dicht gedrängte Kügelchen am Monitor. Sofort fiel ihr die Geschichte mit dem Exfreund ein. Dem behandelnden Arzt hingegen fiel nichts ein, noch auf, war er doch vollends mit etwas anderem, dem Ultraschallgerät, dessen elektronische Auswertungen oder der Krankenkassenabrechnung beschäftigt. Sie jedoch machte die Wiederentdeckung der Kügelchen stutzig, bis erneut einige Monate vergingen und sich ein Unfall ereignete. Also eigentlich ereignete sie einen Unfall, da sie sich ziemlich tief in den Oberschenkel schnitt. Weshalb sie dies genau tat bleibt dahingestellt, nur so viel, sie wollte ein Stück Karton unprätentiös mit dem Stanleymesser auseinander schneiden, nahm hierfür ihren Oberschenkel als Unterlage, Stichwort: schnell, schnell, und dachte nicht mal im Traum daran, dass so ein Stanleymesser nicht nur Pappe, sondern auch Oberschenkel richtig gut durchtrennen konnte. Zu ihrer schrecklichen Überraschung quoll aus der Wunde jede Menge Blut, was aber noch schockierender war, im Blut schwammen jede Menge Kügelchen. Weiter und weiter liefen Blut und Kügelchen aus ihrem


Körper und schon bemerkte sie, wie sich mit den Kügelchen die Substanz ihres Oberschenkels verringerte. Sie presste den Schnitt zusammen, fixierte ihn mit Pflaster und Druckverband und fuhr mit dem Taxi ins Spital. Die machten da kein langes Federlesen. Mit vier, fünf Stichen war die Wunde zugenäht, Blut- und Kügelchenverlust gestillt, die Naht desinfiziert, verbunden und sie als Ganzes wieder nach Hause geschickt. Niemand kümmerte sich um die doch deutlich sichtbare Mulde am Oberschenkel, erzeugt vom Kügelchenschwund. Denn zugenäht war zugenäht, die Lebensgefahr gebannt, einem Wundbrand vorgesorgt, gab es für die Ärzteschaft nichts mehr zu tun. Zuhause saß sie mit ausgestreckten Beinen am Sofa und betrachtete ihren Verband unter dem sich deutlich ein Krater abzeichnete. Sie wurde das Bild von ihrem Blut, in dem diese seltsamen Kügelchen schwammen, nicht los. Immer und immer wieder sah sie die Kügelchen aus der Wunde kullern, als wären sie Agavensaft. Am nächsten Tag jedoch flachte der Krater unter ihrem Verband ab, am darauffolgenden war er vollständig aufgefüllt. Als sie nach einer Woche zur Verbandsabnahme ins Spital musste, wiesen ihre Oberschenkel wieder identischen Umfang auf. Von einer Delle oder Mulde war nichts mehr zu sehen. Die Kügelchen ließen sie trotzdem nicht in Ruhe. War sie wirklich, wie ein Kuscheltier, mit Kügelchen, vielleicht sogar mit Styropor gefüllt? Da die Schulmediziner bisher so gar kein Interesse gezeigt hatten, versuchte sie es bei sogenannten Alternativ- oder Ganzheitsmedizinern. Sie ging zur Energetikerin, stellte sich auf Kupferplatten, bekam Stromwellen durch den Körper gejagt und sollte auf Milchprodukte verzichten. Milch brächte ihr Blut zum Stocken und würde diese Kügelchen, ähnlich einem Hüttenkäse, erzeugen. Sie ging zur Homöopathin, die sie auf ihre runde Persönlichkeit und ihre Neigung auch im Köperinneren zu Rundheit zu tendieren, aufmerksam machte. Sie verschrieb ihr einige kleine Kügelchen, die den ihren recht ähnlich sahen, aber diesmal eindeutig als Globoli ausgewiesen wurden. Doch niemand konnte ihr die Kügelchen ausreichend erklären. Obwohl sie alle an die Innenseite ihres Oberarms greifen ließ. Von einer neuerlichen Wundzufügung, als mögliche Beweisführung, sah sie allerdings ab. Nach ihrer Odyssee durch die Heilerinnen gelangte sie zu der Erkenntnis tatsächlich mit Kügelchen gefüllt zu sein und dort, wo andere Menschen Muskeln haben, kugeliges Füllmaterial aufzuweisen. Sie war zu diesem Zeitpunkt der Ignoranz der Ärzte recht dankbar. Denn hätten die ihre

Ad Personam Nadja Bucher, die besser als Diva der Wiener Poetry Slam-Szene bekannte Autorin und Dramatikerin, hat nicht nur ein Faible für schrille Röcke und Hosen, sondern ist auch ständiges Mitglied der monatlichen Lesebühne »Dogma Chronik Arschtritt«. Die Beschreibung, oder besser, das Hervorkehren von Vorgängen unter der Oberfläche zieht sich durch ihr literarisches Schaffen. Gut nachzulesen in der hier abgedruckten Kurzgeschichte »Kügelchen«, noch deutlicher zu sehen in ihrem Debütroman »Rosa gegen den Dreck der Welt« (Milena). Mit hintergründiger Ironie lässt sie darin ihre Heldin die Drecksarbeit verrichten und legt dabei ein Sitten- und Traumbild der Biobobos frei. Bucher veröffentlichte Beiträge in diversen Anthologien (zuletzt in »Mundpropaganda – Slam Poetry erobert die Welt« (Milena). Nach absolvierten Studium der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte und einem Aufenthalt an der University of Sussex lebt die Autorin nun wieder Wien. ▪ TEXT Eva Morocutti

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Besonderheit erkannt, wäre sie sicherlich zum Untersuchungs-, Anschauungs- und Ausstellungsobjekt geworden. So war sie ganz glücklich mit ihren Kügelchen unerkannt geblieben zu sein und lernte ihre Abartigkeit akzeptieren. Was dennoch äußerst schwer fiel. Wer wollte denn schon ein menschlicher Teddybär sein? Wer wollte denn so gänzlich anders als andere Menschen befüllt sein? Man will ja doch lieber sein, wie alle anderen, ja, vielleicht im einen oder anderen Bereich sich etwas hervortun, aber in anerkannten, für die Allgemeinheit normalen Bereichen. Nicht ganz aus der Art schlagen wollte man und statt Muskeln Kügelchen haben. Das war schon ein bisschen zu viel. Da konnte es leicht passieren als Freak, Abartige oder Monster in irgendwelche Anstalten oder Laboratorien gesteckt zu werden. Das wollte sie natürlich nicht. Daher machte sie um ihre Besonderheit kein Aufhebens, sondern begnügte sich damit, ab und an im Stillen zu sitzen und die Kügelchen

unter ihrer Haut abzutasten. Die Entdeckung ihrer Andersartigkeit leitete jedoch gemächlich Veränderungen ein. Sie mied Gefahrenquellen, die sie bisher nicht als solche angesehen hätte. Sie passte im Haushalt vermehrt auf scharfe Gegenstände auf, verzichtete aufs Autofahren oder auf Risikosportarten. Übrigens sowieso alles Tätigkeiten, die für Teddybären nicht von allzu großem Interesse sind. Ja, das war die Konsequenz ihrer Entdeckung oder die Konsequenz, die sie aus der Tatsache ihrer Kügelchenfüllung zog: sie würde das Leben eines Teddybären führen. Hierzu wechselte sie ihren Beruf und wurde Tagesmutter. Ihre Beliebtheit bei den Kindern gab ihr Recht. Nichts liebten die mehr als sich an sie zu schmiegen. Die hyperaktiven Kinder schmissen sich gegen ihre Beine und wunderten sich ob ihrer Weichheit. Und alle, alle fanden, dass man sich in keine andere Erwachsene derart tief hineingraben konnte. ¶ AU S GA B E 1 1 6 / 0 5 3 ◄



► wO r kstat i O N ► Menschen am Arbeitsplatz

FoTo & doku JULIANE FISCHER

PABLo KonRAD Y RUoPP, 20, SChAUSPiELER DER JUnGEn BURG

»Der Wunsch Schauspieler zu werden hat sich in den letzten Jahren durch den Bezug zur Bühne gefestigt, zum einen als Konsument und zum anderen als Ausführender.« Dieser Berufswunsch schwebt vielen vor. Rausfinden, ob man das Zeug dazu hat, kann man am Burgtheater. Das »TheaterJahr« zeigt zwölf Auserwählten, wie hart der Beruf ist – und wie schön. »Das was ich jetzt mache, das Theater-Jahr ist – was den Alltag angeht – dem eines echten Schauspielers schon etwas näher. Tägliche Proben, regelmäßige Vorstellungen, Alkohol, Zigaretten etc.«, meint Pablo. Es ermöglicht den Teilnehmern, intensiv alle Vor- und Nachteile, Wunder und knallharten Hierarchieverhältnisse zu erleben, hoch dosiert Praxis zu sammeln und für diesen Zeitraum von zehn Theater-Jahr-Monaten Teil der großen Burgfamilie zu sein. »Diese Erfahrung hat meinen Berufswunsch noch gefestigt und ihn vor mir selbst etwas mehr legitimiert«, so der ehemalige Waldorf-Schüler. Dafür nahm der Ravensburger auch ein Leben in Österreich in Kauf. »Was ich hier noch schätze sind die grün blinkenden Ampeln und die allgegenwärtigen Geldautomaten«, grinst er in die Kamera. Als Grinsekatze steht er in »Alice im Wunderland« auf der Bühne. AU S GA B E 1 1 6 / 0 5 5 ◄


Cornelia Travnicek, 24, Schriftstellerin

Cornelia studiert Sinologie und arbeitet als Researcher im VRVis (Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung). Das sind an sich schon zwei sehr konträre Beschäftigungen. Zusätzlich ist das Fräulein auch Studienassistentin an der Uni Wien (im Bereich Frauenförderung am Dekanat für Informatik), Schriftstellerin und zukünftige Übersetzerin. »Teilweise ergänzen sich die Bereiche gut und alle Erfahrungen lassen sich beim Schreiben verwerten oder dienen als Inspiration.« Cornelia Travnicek ist nämlich krankhaft süchtig nach dem geschriebenen Wort – laut Eigendiagnose. Wie sie selbst bestens erklärt, schreibt sie nicht zu knapp an ihrem eigenen Leben vorbei und meistens ein großes Stück weit darüber hinaus. Die Entscheidung zur Schriftstellerei war eine sehr bewusste und aktive. »Das will ich auch können«, war explizit der Gedanke, der an einem bestimmten Punkt im Kopf war. Mit Kritik an ihren Texten habe sie kein Problem. Manchmal nimmt man diese Kritik durchaus als Ansporn für zukünftige Texte, man möchte natürlich an den Texten auch wachsen. Drei eigenständige Werke und mehrere Anthologien brachten einen gewissen Rang in der Liga der Österreichischen Gegenwartsliteratur. Es werden wohl noch viele Worte folgen. — www.cornelisatravnicek.com


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Advertorial — powered by impulse

Die Wiener Szene ist seit einiger Zeit um zwei Figuren reicher: Mike und Moriz betreiben ein Label für Maß-Jeans, das so gar nicht in die Modeszene passt. Sie haben ihre vergleichsweise ungewöhnliche Geschichte schon oft erzählt und machen das aber immer noch gern. Es ist der Realität gewordene Mythos zweier Werber, die ihren Brotjob aufgaben um ein Jeanslabel zu gründen. Die offensichtlichen, gut merkbaren Schlagworte: Die Jeans sind maßgeschneidert, handmade, aus biologischen Stoffen und sehr individuell nach Kundenwunsch gestaltet. Der Modewelt fühlen sie sich nur zum Teil zugehörig, und ihnen ist dabei schon klar, dass sie einen eigenen Zugang haben: »Wenn drei Leute die gleiche Idee umsetzen, kommt dreimal etwas Grundverschiedenes dabei heraus. Wir kommen aus dem Marketing, daher kommt vermutlich der ganze detailverliebte Scheiß auf unsere Hosen: das handbesiebte Innenfutter, die KeramikKnöpfe, die bunten Arschlabels, … da toben wir uns voll und genüsslich aus!« Nach einigen Monaten in einem Beta-Store in der Gumpendorferstraße haben sie nun ihre charmante Werkstatt im 12. Wiener Gemeindebezirk. In dieser werden nicht nur die Hosen mit den Kunden geplant und dann hergestellt, sondern auch Stitching Sessions veranstaltet, in denen sich Kunden selbst – angeleitet von Lehrmeister Walter – an die Nährmaschine setzen und ihre Hosen kreieren. Der Andrang ist derzeit ebenso groß wie die Wartezeit und die Gebrüder Stitch echte Szene-Größen. www.gebruederstitch.at

»Wir können jetzt alles umsetzen, was uns früher zu Agenturzeiten die Kunden nie hätten durchgehen lassen!« (Gebrüder Stitch über die Vorteile ihres Unternehmertums)

Fotos: Oliver Capuder / kidizin.com / shootthemodel.com

_ Denim dich bitte anständig!


Moriz und Mike, die sich als Gebrüder Stitch auch gleich in ihrem Logo untergebracht haben. Moriz über impulse Wir haben auf gut Glück bei impulse für das xs-Programm eingereicht. Weil wir nicht aus der Modeszene kommen und uns ja vor einem Jahr noch kein Mensch kannte, haben wir uns nicht allzuviel erwartet. Die Förderung war dann der Boost und gibt uns die Möglichkeit, unser Projekt weiterzuentwickeln und laufend zu verbessern. Aus eigener Kraft hätten wir uns ausschließlich auf die täglichen Arbeiten und das Überleben konzentrieren müssen und wären im ersten Jahr sicher nicht so weit gekommen ...

Ihr kommt aus der Werbung, welche Aspekte aus eurer Tätigkeit könnt ihr immer noch gut brauchen? Alles was wir vorher gemacht haben, können wir jetzt gebrauchen. Wir können jetzt alles umsetzen, worauf wir Bock haben, früher zu Agenturzeiten hätten uns die Kunden das nie durchgehen lassen! Es war früher unser Job, Dinge zu verkaufen, die manchmal gar keiner braucht und jetzt machen wir etwas, das die Leute offensichtlich brauchen. Der Job erledigt sich also quasi von selbst. Wie wichtig ist der nachhaltige, ökologische Ansatz für euch? Sowohl persönlich als auch als Geschäftsmodell? Wir sind keine Ober-Ökos, fliegen auf Urlaub und fahren manchmal Auto. Aber wir haben Bock drauf ein Produkt zu machen, dass »gut« ist, also ökologisch und sozial fair produziert. Bei unseren Hosen zahlen die Kunden den Preis, nicht Lohnarbeiter oder ein Ökosystem in einem weit entfernten Land. Unsere Kunden bekommen für 200 – 500 Euro Stoffe aus Organic Cotton, lokale Fertigung in Wien oder FairtradeProduktion in Italien bei unserem industriell vorproduzierten Halbmaßprodukt, dem Schneidersitz. Bei weniger als 10% unserer KundInnen spielen soziale oder ökologische Aspekte eine entscheidende Rolle bei der Kaufentscheidung; ökofair ist kein Umsatzbringer. Wir finden, wer heute ein neues Biz startet, sollte ganz selbsverständlich die Basics im ökosozialen Bereich beachten. Ich habe früher selbst containerweise »Werbe-Klumpert« aus China geholt. Ich weiß wie dort gearbeitet wird und darauf hatte ich definitiv keine Lust mehr. Wie ist euer Zugang zur Modeszene? Seht ihr euch als Teil dieser oder versucht ihr bewusst anders zu sein? Wir müssen gar nicht verkrampft versuchen, anders zu sein. Wir werden allerorts als Designer bezeichnet, obwohl wir das weder können noch wollen. In der Mode gibt es ein paar Hansln im Farbenrat, die Jahre im Vorhinein die Farben und

Schnitte bestimmen, die dann Jahre später nach kurzer Zeit in der Altkleidersammlung landen. Das ist doch halbpervers. Unser Job ist es nicht, uns irgendwas auszudenken oder zu diktieren. Wir versuchen, mit dem Kunden gemeinsam im Hosengespräch eine Jeans zu entwickeln, die genau so ist wie du sie haben willst und perfekt sitzt. Ihr bietet neben maßgeschneiderten Hosen auch Sessions an, in denen man selbst schneidern kann. Wie interpretiert ihr die hohe Nachfrage, woher kommt das Bedürfnis? Viele Leute haben keinen Bock mehr auf billig produziertes Einheitsgewand, und stattdessen Lust, selber kreativ zu werden. Oder sie finden einfach nirgends genau das, was sie suchen und machen es sich dann kurzerhand selbst. Walter, der uns am Anfang die Basics in Sachen Nähen und Schnittezeichnen gezeigt hat, ist ein super Lehrmeister und bringt Leute, die noch nie an der Nähmaschine gesessen sind dazu, in kurzer Zeit etwas Eigenes zu kreieren. Das Förderprogramm impulse unterstützt Gebrüder Stitch im Rahmen von impulse XS. www.impulse-awsg.at

kreativwirtschaft in österreich by


►Grün d e r s e r i e Vo l . 2 ►Garmz #12: Es gibt keine Landesgrenzen, jeder Mensch ist international

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TEXT ANDREAS KLINGER BILD Garmz.com

london, europa, österreich Als Letzter des Garmz-Teams ist Andreas Klinger schließlich in London angekommen, blickt auf eine Stadt, die geballter voll verschiedener Eindrücke kaum sein könnte und berichtet weiter von der Unternehmung, ein österreichisches Start-up auf dem internationalen Parkett bekannt zu machen. ch sitze auf der Dachterasse eines verrückten Office Space. In der vorsommerlichen Hitze Londons dreht sich derzeit alles um eine königliche Hochzeit. Wir hingegen kommen kaum aus Büro und Nähstudio heraus. Um die Teammoral hochzuhalten, wurde der Kühlschrank so weit gefüllt, dass er sich leicht mit den umliegenden Pubs messen kann. Tempo muss gemacht werden, denn die Lernkurve, die unser Start-up in den letzten Wochen erlebt hat, war beeindruckend. Unser Produkt ist konzeptionell mit Meilenstiefeln vorangeschritten, Top-Designer und A-Level-Modeblogger gaben uns wertvolles Feedback. Die Kontakte, die wir hier in kurzer Zeit aufbauen konnten, scheinen unglaublich. Die junge Dame, die plötzlich in unserem Büro sitzt, ist die Chefin der Modeabteilung der wichtigsten Mode-Universität von England. »Hello, very nice to meet you. Let’s do something.« Ja, die Dinge gehen gut voran unter Englands Sonne. Und so zählt man zum Einschlafen statt Schäfchen Hipster, isst zum Frühstück sein English Breakfast, bestehend aus portioniertem Herzinfarkt, und freut sich, endlich in London angekommen zu sein.

Verrückt und zugereist

Man muss nicht in London sein, um erfolgreich zu sein. Man soll dort sein, wo es für das eigene Unternehmen am besten ist – und wenn dafür nötig, eben im Ausland. Das Learning der letzten Monate: Es gibt keine Landesgrenzen, jeder Mensch ist international. Hier in East London ist niemand wirklich aus London. Jeder ist zugereist, um Ideen zu verwirklichen. Menschen ziehen hierher, weil sie kreativ sein möchten und Ideen verwirklichen wollen und hier unter Gleichgesinnten sind. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gebäude, in dem sich unser Studio befindet. Es ist der Inbegriff von random. Kein Studio gleicht dem Nächsten. Über uns ist ein Tattoo-Studio, in dem sich Menschen Enterhaken in den Rücken rammen lassen und

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gegeneinander im Rückenseilziehen antreten, daneben der Turbo Yoga-Trainingsraum, in dem das Klischee eines AerobicTrainers zu Lady Gaga-Beats unterrichtet. Direkt unter uns wird gerade ein Video für die britische Garage-Legende Wiley gedreht. Und zur Abrundung ist unser Nachbar ein kleiner Buchverlag, der mit Blumensamen zum Kinderbuch den Lesern Verantwortung beibringen möchte. Dazwischen wir – die verrückten Schnitzelländler – die die Welt der Mode auf den Kopf stellen möchten. Vermutlich halten die Enterhakenjungs uns für verrückter als wir sie.

Bewegung bringt Erfolg

Es gibt kein Österreich, es gibt kein Europa, es gibt nur eine Welt voller talentierter Menschen. Landesgrenzen sind – wenn überhaupt – Probleme für Steuerberater und Logistiker, nichts Weiteres. In London angekommen, denke ich oft an Wien und die dortige aktuelle Szene talentierter Start-ups. Eine kommende Generation wächst heran, ohne unternehmerisches Schrebergartendenken in Landesgrenzen, ohne Netzwerkprotektion, sondern mit aktiver, gegenseitiger Unterstützung und Förderung von Talenten. Die Kunst am Unternehmertum ist aus meiner heutigen Sicht, der ich mit Sicherheit jede Kleinigkeit einmal falsch gemacht habe: Den Arsch hoch kriegen, in Bewegung kommen und den eigenen Weg stets objektiv hinterfragen. Erfolge sind in Bewegung geratene Ideen. Wer international Großes bewirken will, sollte Österreich nicht als Ausrede verwenden. ¶

Wer selbst eigene Ideen umsetzen möchte oder einfach nur mal gleichgesinnte Unternehmergeister treffen und das Potenzial einer Idee erkennen möchte, sollte sich auf www.starteurope.at informieren. Das nächste Workshop-Wochenende findet am 27. Mai in Wien statt.


super-fi.eu


EINMAL DURCH EUROPA:

HAMBURG SETZT IDEEN IN BEWEGUNG

Die Ausstellung aus Hamburg. European Green Capital 2011 Der „Train of Ideas“ kommt nach Wien! Mit der wandernden Ausstellung tritt Hamburg in den internationalen Dialog mit anderen europäischen Städten, darunter auch Warschau, Malmö, Kopenhagen, Brüssel, Barcelona, Marseille, Oslo, Paris und Zürich. Die kostenlose, interaktive Ausstellung zeigt, wie die umweltfreundlichen Städte der Zukunft aussehen. Lassen Sie sich inspirieren von visionären Projekten aus ganz Europa, die bereits heute Realität sind. www.train-of-ideas.net

Bahnhof Heiligenstadt, 20. Juni 13 – 19 Uhr, 21. – 22. Juni 10 – 19 Uhr

Offizielle Premiumpartner

Offizieller Sponsorpartner


Bio→Gemüse /→Getreide /→Wein/→Obst/→Milch /→Fleisch

www.bio-wissen.org

Bio-Wissen Die vier Dimensionen der Ernährung Wir alle müssen essen und tun dies meist auch mit Genuss. Essen macht uns aber nicht nur satt und zufrieden, es hat auch eine Vielzahl direkter Auswirkungen auf Umwelt und Klima, Biodiversität, Ressourcennutzung, Tierhaltung, Handelsbeziehungen, Arbeitsbedingungen, Struktur und Identität ländlicher Regionen, Gesundheit… Für die Qualität eines Lebensmittels sind daher nicht nur Inhaltsstoffe, Geschmack und Aussehen entscheidend, sondern der gesamte Produktionsprozess vom Feld bzw. Stall bis auf den Teller. Aus diesem Grund wird in der Biologischen Landwirtschaft – neben dem wesentlichen Ziel, KonsumentInnen qualitativ hochwertige und optisch einwandfreie Produkte anzubieten – auch der Einfluss unseres Ernährungssystems auf die Dimensionen Ökologie, Ökonomie, Soziales und Gesundheit besonders berücksichtigt. In dieser umfassenden und ganzheitlichen Definition von Lebensmittelqualität liegt die Besonderheit und Einzigartigkeit biologischer Lebensmittel begründet. Da sich jede dieser vier Dimensionen in unseren Lebensmitteln wiederfindet, liegt es auch an uns KonsumentInnen, welche Produktionsweise wir mit dem Kauf unserer Lebensmittel unterstützen möchten: Eine intensive, konventionelle Landwirtschaft mit all den bekannten negativen Folgewirkungen auf die einzelnen Ernährungs-Dimensionen oder eine ökologisch und sozial nachhaltige, tiergerechte, für Umwelt und Gesundheit förderliche Produktionsweise, wie sie die Biologische Landwirtschaft garantiert. → Lust auf Bio-Produkte? Bezugsadressen finden Sie unter www.bio-austria.at/biomaps → Lust auf Bio-Wissen? Spannendes, Innovatives, Einzigartiges, Unbekanntes, Interaktives, Zukunftsweisendes – kurz gesagt alles was das Besondere der Biologischen Landwirtschaft ausmacht, finden Sie unter www.bio-wissen.org Impressum Bio-Wissen: Herausgeber und Redaktion: FREILAND Verband und Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) Österreich, 2010. Seidengasse 33/13, 1070 Wien, www.freiland.or.at, www.fibl.org Projektkoordination und Text: Dipl.-Ing. Elisabeth Klingbacher | Konzept: Juliane Sonntag, dform Wien, Mag. Maja Tumpej, Science Communications | Design: Juliane Sonntag, dform Wien | Produktion: Mag. Maja Tumpej Science Communications | Druck: Druckerei Janetschek | Diese Veröffentlichung wurde aus Mitteln der EU, des BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft sowie den Bundesländern gefördert.

Mit Unterstützung von Bund, Ländern und europäischer Union


Flavonoide zählen zu den wertvollen sekundären Pflanzenstoffen. Eine langjährige Untersuchung zeigte, dass mit zunehmender Dauer der Bio-Bewirtschaftung der Flavonoidgehalt in Tomaten anstieg und die Menge der analysierten Flavonoide in BioTomaten um bis zu 97 % höher war als in konventionellen. Man schloss daraus, dass der Flavonoidgehalt auch von Menge und Art des für die Pflanze verfügbaren Stickstoffs abhängt. Anders gesagt: Neben ökologischen Vorteilen kann der, im Biolandbau übliche Verzicht auf mineralische Stickstoffdünger, auch den Gehalt wertvoller pflanzlicher Inhaltsstoffe positiv beeinflussen.

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Ginge es nach Ratten und Mäusen, Bio-Gemüse stünde auf ihrem Menüplan an 1. Stelle: Futterwahlversuche, bei denen Ratten frei zwischen biologischen und konventionellen Karotten wählen durften, zeigten klar: Die intelligenten Tiere bevorzugen Bio. In weiteren Fütterungsversuchen bekamen die Nager Bio-Futter kredenzt, während eine Vergleichsgruppe konventionelle Kost erhielt. Tierrassen, Haltungsbedingungen und Nährstoffgehalt des Futters waren identisch, doch schon ab der zweiten Generation nahmen die „Bio-Tiere“ schneller zu, die Fruchtbarkeit war höher, die Sterberate bei Neugeborenen geringer.

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Die Vorfreude auf saisonale, sonnengereifte Bio-Tomaten lohnt sich nicht nur geschmacklich: Konventionelle Tomaten, die in Österreich außerhalb der Saison in mit Erdöl/Erdgas beheizten Glashäusern kultiviert werden, verursachen bis zu achtmal mehr CO2-Emissionen als saisonal geerntete Bio-Tomaten aus dem Freiland. Der Einsatz erneuerbarer Energien würde den CO 2Ausstoß deutlich reduzieren – Glashaustomaten aus dem winterlichen Österreich hätten dadurch wieder eine deutlich bessere CO 2-Bilanz als z. B. aus Spanien importierte Tomaten.

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CO2-Emissionen saisonal geernteter Tomaten

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CO2-Emissionen außerhalb der Saison kultivierter Tomaten

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Samenfeste Sorten werden immer mehr von Hybriden verdrängt. In der EU liegt der Anteil der Hybridsorten allein bei Karotten jenseits der 70 %. Einheitliche Form und Farbe, lange Haltbarkeit und einfache Kulturführung werden dabei über Geschmack, standortangepasste Sorten und Vielfalt gestellt. Hybridsaatgut muss zudem jedes Jahr neu zugekauft werden, da die gewünschten Eigenschaften bereits in der Folgegeneration verloren gehen. Im Biolandbau sieht man dies kritisch und setzt vermehrt auf alte und samenfeste Sorten, die durch Geschmack – und bei entsprechender Sortenwahl – auch durch gute Erträge überzeugen.

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Bio-Gemüse

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www.bio-wissen.org


Aus 100 kg Braugerste entstehen etwa 85 kg Malz und daraus 400 bis 500 Liter Bier. Das stärkste Bier der Welt kommt übrigens aus Schottland und hat 41 Volumsprozent Alkohol.

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Um 1 kg Brot backen zu können, bauen Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern auf einer Fläche von 2–3 m² Bio-Getreide an. Somit können KonsumentInnen mit dem Kauf von einem Kilo Bio-Brot dafür sorgen, dass etwa 2 m² Ackerfläche biologisch, frei von schnelllöslichen Mineraldüngern und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bewirtschaftet werden. Mittlerweile stammt in Österreich beinahe jedes zehnte Getreidekorn aus Biologischer Landwirtschaft – Tendenz steigend.

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Agrotreibstoffe werden häufig als Wundermittel im Kampf gegen Klimaerwärmung und Erdölverknappung gepriesen – aus ökologischer und entwicklungspolitischer Sicht eine durchaus problematische Strategie. Bis auf wenige Ausnahmen bestimmen Monokulturen, starke Bewässerung, intensiver Einsatz schnelllöslicher Mineraldünger und Pestizide sowie teilweise gentechnisch verändertes Saatgut den Anbau. Abgesehen davon: Um einen Autotank mit 95 Litern Ethanol zu füllen, sind etwa 200 kg Mais nötig – genug, um einen Menschen ein Jahr lang zu ernähren.

200

Von weltweit rund 250.000 bekannten Pflanzenarten sind etwa 30.000 essbar. 150 Arten spielen für die menschliche Ernährung eine bedeutendere Rolle und nur drei – Weizen, Reis und Mais – decken 50 % des menschlichen Energiebedarfs. Alleine im Laufe des 20. Jh wurden laut FAO weltweit rund 75 % der Kulturpflanzensorten von wenigen Hochleistungssorten verdrängt. Die Biolandwirtschaft setzt auf Vielfalt statt Einfalt, kultiviert alte Getreidearten und sorgt dafür, dass geschmackliche Highlights wie Emmer, Einkorn, Kamut, Waldstaudekorn uvm. wieder verstärkt auf Österreichs Bio-Feldern zu finden sind.

3

Bio-Getreide

2 m2

BIO

Ernährung für 1 Jahr

200 kg Mais

1 Autotank

www.bio-wissen.org


99 4,

50 5,

98 9,

7,3

14

10 0

,8

3

3 8, 0

50 3,

BL AU

80 3,

ROT

5

WE IS S

GR ÜN

Der subjektive Geschmack von Lebensmitteln lässt sich offenbar auch durch die Raumbeleuchtung beeinflussen. Hunderte WeinverkosterInnen testeten ein und denselben Wein bei rotem, blauem, weißem und grünem Umgebungslicht. Besonders Rotlicht ließ den Wein fruchtiger und 1,5 mal süßer erscheinen als etwa blaues Licht, zudem erhöhte es die Einschätzung des Kaufpreises pro Flasche um einen Euro.

70 8,

1,5

www.bio-wissen.org

95 6,

Ein normaler Weinkorken hat einen Durchmesser von 24 mm und wird in einen Flaschenhals mit 18 mm Durchmesser gepresst. Noch werden jährlich bis zu 15 Milliarden Weinkorken weltweit produziert. Dennoch, durch den zunehmenden Umstieg auf andere Weinverschlüsse sind Korkeichenwälder, die einen wertvollen und vielfältigen Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten liefern, massiv bedroht.

11

0

15.000.000.000

Dass Bio nicht automatisch teurer ist, lässt sich an Wein besonders gut demonstrieren: Das oberste Preissegment österreichischer konventioneller Weine liegt bei ungefähr 150 Euro. Günstige Bio-Weine starten preislich bei etwa 3,50 Euro.

3,5

ÖsterreicherInnen sind einem Glaserl Wein nicht abgeneigt: Etwa 29 Liter werden pro Kopf und Jahr konsumiert – der Bio-Weinanteil nimmt dabei in den letzten Jahren stetig zu.

29

Im Biologischen Weinbau schätzt man die vielfältigen Leistungen der Nützlinge und sorgt dafür, dass es ihnen gut geht. Das zahlt sich auch aus – allein in der „Schädlingsbekämpfung“ leisten Nützlinge ganze Arbeit: Florfliegenlarven beispielsweise, auch bekannt als „Blattlauslöwen“, beweisen eindrucksvoll, dass ihr Name nicht von ungefähr kommt: Während die erwachsenen Florfliegen eher dem Honigtau zusprechen, vertilgen deren Larven in Bio-Weingärten bis zu 500 Blattläuse oder Spinnmilben pro Tag.

500

Bio-Wein

15


Bis zu 50 kg Pestizide werden pro Hektar und Jahr auf konventionellen Bananenplantagen ausgebracht. Der Großteil dieser Pestizide bleibt im Erzeugerland und beeinträchtigt dort Boden, Wasser, Umwelt und Gesundheit der lokalen Bevölkerung. Rückstandsmengen finden sich aber auch an Schalen und in Früchten. Bio-Bananen sind daher die bessere Alternative – für KonsumentInnen, Umwelt und ProduzentInnen. Ein weiterer Vorteil: Am österreichischen Markt stammen bereits 9 von 10 BioBananen aus Fairem Handel.

9/10

Streuobstwiesen sind äußerst vielfältige Ökosysteme. Sie tragen nicht nur zur Erhaltung alter Obstsorten bei, sondern bieten bis zu 5.000 verschiedenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum – ein einziger Streuobstbaum kann mehrere Hundert verschiedene Tierarten beherbergen.

5.000

Bis zu 10.000 verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe finden sich in pflanzlichen Lebensmitteln. Sie bringen Farbe, Duft und Geschmack ins Obst und schützen die Pflanze vor Krankheitserregern und Schädlingen. Auch unser Immunsystem profitiert vom positiven Einfluss dieser Stoffe. Im Biolandbau sind Pflanzen stärker auf eigene Abwehrmechanismen angewiesen. Untersuchungen zeigen, dass sie zwischen 15 und knapp 100 % mehr sekundäre Pflanzenstoffe enthalten als konventionelles Obst und Gemüse.

10.000

In Österreich gibt es über 560 Bio-Obstbaubetriebe, die mehr als 1.860 Hektar an Obstanlagen biologisch bewirtschaften. Verzicht auf Pestizide, Anbau robuster Sorten, Förderung von Nützlingen, Begrünung der Obstanlagen, organische Düngung… – alles eine Selbstverständlichkeit für diese Bio-Obstbäuerinnen und -Obstbauern.

560

Bio-Obst

HO

OH O

O

OH

OH OH HO

OH

OH

O

O

O

O

O

OH

OH

O

CH3

www.bio-wissen.org


Selbst für eine Hochleistungskuh unerreichbar: Ein Blauwalweibchen produziert mindestens 200 Liter Milch pro Tag.

200

Tausende wissenschaftlich untersuchte Milchproben – ein Ergebnis: Bio-Milch hatte in diesen Untersuchungen, verglichen mit den analysierten Milchproben aus Intensivtierhaltung, 70 % höhere Gehalte an ernährungsphysiologisch wertvollen Vitaminen, Carotinoiden und anderen Antioxidantien sowie bis zu 90 % höhere Gehalte an mehrfach ungesättigten Fettsäuren.

1

Die Nutzungsdauer von Hochleistungsmilchkühen beträgt meist weniger als 4 Jahre. Dies ist mit einer verantwortungsvollen Nutztierhaltung nicht vereinbar. Deshalb steht im Bio-Landbau nicht die kurzfristige Spitzenleistung frühreifer Kühe, sondern eine ökologische, tiergerechte Haltung und kontinuierliche Erträge im Vordergrund. Kurz gesagt: Lebensleistung statt Höchstleistung.

4

Bio-Kühe fressen hochwertiges, gentechnisch nicht verändertes Bio-Futter. Mindestens 60 % des täglichen Bedarfs muss durch Raufutter gedeckt werden (Kleegras, Heu…). Das entspricht den physiologischen Ansprüchen der Wiederkäuer, ist aber keine Selbstverständlichkeit: Konventionelle Hochleistungskühe bekommen vor allem Kraftfutter (Soja, Getreide) und werden so zu Nahrungskonkurrentinnen des Menschen.

60 : 40

Eine Bio-Kuh gibt durchschnittlich über 20 Liter Frischmilch pro Tag. Aus einer Tagesmelkmenge ergeben sich etwa 1 kg Butter oder 1,8 Liter Rahm oder 4 kg Topfen oder 2 kg Käse oder 22 kg Jogurt.

20/1/1,8/4/2/22

Bio-Milch

3

1 2

60 % Raufutter

3

1 2

3

1

2

1 kg Butter

3

1

2

1,8 kg Rahm

3

1

4 kg Topfen

2

3

40 % Kraftfutter

2 kg Käse

1

2

22 kg Jogurt

3

1

2

www.bio-wissen.org


Schweine haben 0 Schweißdrüsen – sie können daher nicht schwitzen. Deshalb findet man auf so manchem Bio-Betrieb eigene Duschvorrichtungen für Schweine – eine beliebte Abkühlung an heißen Sommertagen.

0

Hühnerfleisch erfreut sich in Europa wachsender Beliebtheit. Doch nur mehr jedes 5. Huhn landet als Ganzes auf den Tellern der EuropäerInnen. VerfechterInnen der leichten Küche bevorzugen Brustfilets, der unbeliebte Rest landet häufig am afrikanischen Markt, wo er zu Dumpingpreisen verkauft wird und lokale Strukturen zerstört. Aus ökologischer, ökonomischer und ethischer Sicht ein Wahnsinn – daher ein klares Ja zum Bio-Hendl.

5

Weltweit werden jährlich über 222 Millionen Tonnen Soja produziert, Tendenz steigend. Auch Österreich importiert pro Jahr 600.000 Tonnen – großteils gentechnisch veränderte – Sojabohnen, um sie an landwirtschaftliche Nutztiere zu verfüttern. In der Biologischen Landwirtschaft hingegen hat gentechnisch verändertes Futter nichts verloren.

222.000.000

Hoher Fleischkonsum wirkt sich auch auf die Umwelt aus: Industrielle Tierhaltung verursacht weltweit zumindest 18 % der Treibhausgasemissionen und zeichnet für 8 % des menschlichen Wasserverbrauchs verantwortlich (direkt und indirekt, z. B. über Bewässerung der Getreidefelder zur Futterproduktion). Im Gegensatz zur Intensivtierhaltung bietet die biologische Tierhaltung eine ressourcen- und umweltschonende Alternative.

18

Der weltweite Fleischkonsum ist von 1960 bis heute von etwa 70 Millionen auf über 260 Millionen Tonnen pro Jahr angestiegen und soll sich bis 2050 noch verdoppeln. Die konsumierten Mengen variieren allerdings sehr stark: so werden in den USA durchschnittlich 120 kg pro Kopf und Jahr konsumiert, in Indien hingegen nur 5 kg. ÖsterreicherInnen lassen sich knapp 70 kg Fleisch pro Kopf und Jahr schmecken, wobei Schweinefleisch mit etwa 40 kg deutlich vor Rindfleisch und Geflügel (jeweils 12 kg) liegt.

40/12/12

Bio-Fleisch

www.bio-wissen.org


ER T S Ü L F E G T D A T SSSKLAGENFURT GRTEO EO IN IM S R AL V I T S M E I E F S ME B T A E B XBLOO NIC O R GRAZ T N I C N E E T L E EN KASEMAT R CO VO S I D O E N

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IN WoRTEN: einundsieBziG

Wut im Anzug

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Die österreichische Band Kreisky hat ihr drittes Album veröffentlicht. »Trouble« ist zur kleinen Kurskorrektur in Sachen Schimpf & Zorn geworden. Kreisky Trouble

(WoHNZIMMER / BUBACK)

Stehsätze sind super. Vor allem, wenn man sie enttarnt und mit einigen sprachlichen Kniffen zur Kenntlichkeit verstümmelt. Die heimische Band Kreisky beherrscht diese hohe Kunst, geläufige Phrasen und Szenesprache zu sezieren und im neuen Kontext ihre lächerliche Hohlheit preis zu geben. Slogan-Pop? Natürlich, aber mit Nachdruck, tieferer Bedeutung und Perspektivenwechsel. In Begleitung mit treibendem Gitarrensound – dem man gerne das Etikett Postpunk draufkleben kann – und einer grimmigen, ja schon wütenden Vortragsweise entsteht so kluge Gesellschaftskritik. Unverblümt, ungeschönt, unzensiert in die Welt geschleudert. Gutes Beispiel dafür ist die erste Singleauskoppelung »Scheiße, Schauspieler« des neuen, dritten Kreisky-Albums »Trouble«. Wenn Frontmann Franz Adrian Wenzl die Zeilen »Ein ganz lieber Kollege, ein grandioser Mensch« ins Mikro brüllt, wird der Subtext dieser oft gehörten Phrase deutlich: Der liebe Kollege ist ein dummes, blödes Arschloch, eine nervige Sau. Was als Rundumschlag auf eine Berufsgruppe beginnt, kippt dann textlich und wird auch noch zu einer Abrechnung mit nicht minder anstrengenden Musikern – dabei nimmt man sich selbst nicht aus: »Martin sieht aus, als würde er jeden Moment explodieren/ hoffentlich treffen seine Trümmer die Burgwichser.« Das gibt durchaus eine neue Richtung im Kreisky-Gesamtwerk vor. Der Zorn des Schimpfenden richtet sich nun auch gegen sich selbst. »Nach zwei Platten haben wir uns einen fast schon comichaften Ruf als schlecht gelaunte Band erarbeitet. Da ist es gut, die eigene Erzählhaltung zu hinterfragen«, klärt Wenzl im Gespräch auf. Dass dabei auch fallweise Mitgefühl für die Umwelt entsteht, könnte auch als eine Art Radikalitätsverlust ausgelegt werden, ist aber letztlich nur eine weitere Doppelbödigkeit der Band. Nachzuhören etwa auf »Menschen brauchen Liebe«, eine für Kreisky-Verhältnisse langsame Nummer, die einen enggeistigen Mikrokosmos zwischen Eifersucht, Neid und Verderben karikiert und kollabieren lässt. Verständnis zeigen und trotzdem auf Kollisionskurs gehen, Liebe zum Figureninventar zeigen und dieses dann trotzdem mit ausgestreckter Hand verhungern lassen – das hat Eier. Tauchen dann Zeilen wie »Schließ Frieden mit deiner Frustration/ verwandle deine Wut in Energie« (»Schließ Frieden«) sanft gesungen auf, ist das trotzdem immer noch mehr Menetekel als Versöhnung. Denn letztlich geht es Kreisky auch ums Aufzeigen von Brüchen im System und seinen absurden Auswüchsen. Da müssen, ja sollen Boboblasen laut zum Platzen gebracht werden. »Die Weinkenner sitzen in besetzten Häusern, die Zahnärzte in den Kunstgalerien. Krankenhausclown ist ihnen nicht mehr genug, sie wollen jetzt richtige Künstler sein.« Große Kunst. 8/10 ALFRED MILoTINoVIC

AU S GA B E 1 1 6 / 0 7 1 ◄


Abt. Musik

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a. 116/ Reze nsi one n

Cat’s Eyes Cat’s Eyes

Various Artists What A Fine Mess We Made

( Lo og / Coo perative )

( Affine)

Am Tiefpunkt

_ Run, Vie, Run!

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Cat’s Eyes lassen die 60er aufleben und nehmen uns mit auf eine romantisch-nostalgische Reise in die Untiefen der unschuldigen Liebe.

Das Wiener Label Affine treibt die Stadt vor sich her. Ihr Soundhybrid ist groß und einzigartig.

Macht man sich bewusst, wer sich hinter dem mysteriösen Namen Cat’s Eyes verbirgt – kein Geringerer als Faris Badwan von The Horrors, die mit »Primary Colours« ein psychedelisches Meisterwerk hingelegt haben, und die kanadische Sopranistin und Multiinstrumentalistin Rachel Zaffira – versteht man, welch kreatives Potenzial in jenem außergewöhnlichen Duo, bei dem zwei konträre Welten miteinander verschmelzen, seinen Ausdruck findet. Aus der naiven Leidenschaft für Girl Groups der 60er entstand eine ureigene Vision von experimentellem Gothic. Wie bereits das Artwork vorwegnimmt, gibt es keine klaren Linien, sondern Instrumente, oftmals ihres natürlichen Klangs beraubt, die ineinander verschwimmen, sich zu einem homogenen Ganzen verschlingen, in das sich der Gesang harmonisch einfügt, ohne je in den Vordergrund zu drängen. So werden Atmosphären geschaffen, in denen Augenblicke der verzweifelten Sehnsucht eingefangen werden. Insbesondere die einfachen, romantisch-verklärten Texte (»You are the best person I know/ All my best times are with you/ There is no one else I like as much as you«), welche die unschuldige Handschrift der Adoleszenz tragen ohne jedoch trivial zu wirken, stellen einen charmanten Gegenpart zu dem komplexen und gewagten Gefüge aus Synthesizer, Klavier, englisches Horn, Oboe und Orgel dar. Besingt Zeffira noch hoffnungslos den verlorenen Konkurrenzkampf (»She is better than me«), gelingt Faris in der verführerischen Tanznummer »Faces In The Crowd« der ersehnte Befreiungsschlag, wenn er treffend kontert: »Don‘t try to tell me that you are the only one/ You are not anyone at all«. Dennoch sind die Lieder durchgehend in tiefstes Schwarz gefärbt, wo weinerliche Streicher eine große Bühne für bittere Erkenntnisse schaffen und ein bedrohlicher Trauermarsch den Streifzug des »Bandit« ankündigt. Im ehrfürchtigen »I Know It Was Over« wirkt sogar Faris dunkle, unerschütterliche Stimme zerbrechlich. Dennoch sind Cat’s Eyes stets in der Lage, den Hörer aus jener tiefen Depression zu holen; am Tiefpunkt angekommen ‒ »When I see you holding her hand/ I feel like dying, dying, dying« ‒ erklingt plötzlich eine liebliche Klaviermelodie, die den verdunkelten Horizont aufbricht. Mit »Cat’s Eyes« liefern uns die beiden Ausnahmekünstler kleine Symphonien über den Weltschmerz und den ersten Liebeskummer. So kann man nur hoffen, dass uns diese magische Verbindung noch lange erhalten bleibt.

Das Label Affine lässt sich nicht leicht fassen, so wie seine Artists: The Clonious, Ogris Debris, Dorian Concept, JSBL, Cid Rim und die Neuzugänge Zanshin und Sixtus Preiss. Sie alle stehen für die nächste Generation heimischer Produzenten, die in den vergangenen Jahren im stillen, dunklen Kämmerlein an ihrer Definition von moderner Tanzmusik gefeilt haben. Dabei entstanden mutierte Hybride zwischen HipHop und Techno, aus gebrochenen und geraden Beats, aus verstrahlter Instru­ menten-Virtuosität, die mit Drum Computer, Sampler und Synth verzahnt wurde. Ist das etwa sogar der neue Wiener Sound? Ist Affine dieser Kristalli­sationspunkt, dieser Name, den man über das wild wuchernde Szenecluster, das sich schon längst über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht hat, schreiben kann? Kann man nicht. Dafür sind viel zu viel andere Artists, Locations, Medien, Veranstalter und Labels am guten Ruf der Musikstadt beteiligt. Aber Affine hat in diesem freundschaft­ lichen Konkurrenzpool eine herausragende Stellung. Sowohl was Einzigartigkeit des Sounds, wie auch Qualität betrifft. Nach fulminant abgefeierten EPs, umwerfenden Auftritten (wie etwa der Studio 2-Session von Ogris Debris mit JSBL als Bigband, ihre Re:HaydnPerformance), den Nominierungen von The Clonius und Ogris Debris für die Amadeus Awards und Tweets von Dorian Concept aus der ganzen Welt war es nun an der Zeit für die erste Label Compilation. Aus 14 Stücken besteht das Arsenal aus exklusiven und unveröffentlichten Geheimwaffen. Neben der Auswahl und der musikalischen Vielfalt ist auch die Anordnung überaus gelungen. Eine Art Wiener Version von wonky Bässen, verspulten Synths, angejazzten Harmonien und geschmeidigen Bässen. Die Jungs verstehen allesamt das Prinzip der fetzigen Entschleunigung und des gelassenen Voranpreschens. Dabei ist das eine Kombination, die so ähnlich schon Anfang der 90er in der Wiener Grundsteingasse zueinander fand. G-Stone, K&D, Geschichte. 2011 klingt dieser Teil von Wien zukunftsverliebter, nach schnelleren Fingern, dafür nach deutlich weniger Sampling und Dope (Beats). Hat der Hörer erst mal in dem »Sound Utility Vehicle« Platz genommen und die Gurte angelegt, geht es angenehm entspannt bis flott rasant auf die Piste. Affine liefert eine Werkschau, die von der Küche bis in den Club und von Gipfelkreuz bis Souterrain funktioniert. Jetzt mit noch mehr extremer Leiwandheit!

9/10 Raphaela Valentini

9/10 Stefan Niederwieser / Johannes Piller

► 0 7 2 / AUSGABE 116


Lost in Music — N°. 50 _

Q

QUALITÄT kann man sich leisten* a. 114/ Re zensi one n

Text Stefan Niederwieser

NEU

Little Richard Here’s Little Richard (Specialit y R ec ords, 1957)

Bringt eure Kinder in Sicherheit, und eure Moral, hier kommt Little Richard! Ein schwer ordinäres und hysterisches Gurgeln schmettert einem da vom ersten Ton an entgegen – die Stimme jauchzt und kieckst, kreischt und plärrt. Grausig, primitiv, und gerade deswegen so anziehend. Wer findet, dass ein brunftiger Schafsbock schöner singt als ein Zaunkönig, der zeigt auf. Ja? Dann bist du bei Little Richard richtig. Nik Cohn hat diese Musik als Nicht-Songs bezeichnet, ohne Melodie, ohne Text. Doch das wäre ungerecht. Es geht immerhin auch um Sex und Hedonismus. Die Textzeile der Live-Version »Tutti Frutti / Good booty / If it don’t fit, don’t force it / You can grease it, make it easy« können die Produzenten des schwulen Little Richard gerade noch verhindern. Die 50er Jahre sind in den USA noch nicht bereit für Analsex. Dabei singt er mit so viel Inbrunst und Feuer, dass man glaubt einen Gospel zu Ehren körperlicher Lust zu hören. Schweinepriester, selten war das Wort so passend. Später gilt Little Richard mit dieser Verschränkung zweier Welten auch als Wegbereiter von Soul und Funk. Ebenfalls bahnbrechend ist Richards Bühnenauftritt, bei dem er TravestieElemente in den Mainstream einführt wie das Jahrzehnte lang niemandem sonst ohne mittelschwere Sanktionen gelingt.

DATUM jetz t auch a

m

iPad!

*Preis am Kiosk: 5,50 Euro. Im Jahresabo 33 Euro. 11 Ausgaben zum Preis von 6. Infos unter www.datum.at Monatsmagazin für Politik und Gesellschaft.

Black / White

1955 bricht Rock’n’Roll – eine ehemalige Slangbezeichnung fürs Ficken und rhythmische Spiele aller Art – in den Mainstream durch. Die Musik dazu gibt es eigentlich schon längst. Neu ist allerdings, dass schwarzer Rhythm and Blues jetzt für weiße Jugendliche vermarktet wird und diese ganz gezielt zu Käufern erzogen werden. Auf billigen Kofferradios fährt der Rock’n’Roll mit ihnen quer durch das Land. Er wird in Alan Freeds Radiosendung zum Dachbegriff für eine wilde Mischung aus schwarzen und zunehmend weniger schwarzen Stilen. Die traditionelle Musikindustrie versucht in der Zwischenzeit, ihre Marktanteile zu halten, gezähmte Coverversionen der Originale an die Jugend zu bringen und den neuen Stil vorsätzlich auszubeuten. Elvis Presley und Buddy Holly bleiben immerhin den schweren Schlägen und zügellosen Shoutings ihrer Vorbilder treu. Ein ganzes Apartheids-System bröckelt da schon. Little Richard platzt in diese Verhältnisse mit ungebremster Intensität, mit exaltiertem Auftreten und enormer Lebenslust. Er ist einer der allerersten schwarzen Performer, der für seine Fans gar nicht schwarz genug klingen kann. Die weißen Kids lieben ihn. Crossover ist das. Noch nicht Integration.

Was ist Popmusik?

Dabei ist genau das das ganz große Versprechen von Popmusik: Mauern einreißen, Spiegel und Motor sozialer Veränderungen sein. Little Richard tat das so laut er nur konnte, als Clown und Hofnarr der Segregationsgesetze hat er sich Freiheiten erschaffen, die sich konzentrisch erweiterten. Genau hier passiert das, wozu Musik unter ganz bestimmten Voraussetzungen fähig ist. Hier ist sie – nichts weniger als eine Revolution. ¶

* I


Abt. Musik

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a. 116/ Reze nsi one n

Fleet Foxes Helplessness Blues

Foo Fighters Wastin Light

( S ub P o p)

( S ony )

Makellos und schal

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Mit ihrem zweiten Longplayer haben die Fleet Foxes alles richtig und nichts falsch gemacht. Trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack. Die Fleet Foxes sind aus dem Winterschlaf erwacht. Nach einem hochgelobten Album und einer ausschweifenden Welttournee verloren sich die Bartträger aus Seattle in stillem Rückzug. Das Szenario klingt bekannt: Die hohen Erwartungen, denen sich die Band in Anbetracht ihres Debüts zu stellen hatte, kulminierten in einer langanhaltenden Kreativpause. Nach drei Jahren der Selbstfindung hat man sich nun der eigenen Messlatte gestellt ‒ der schwierigen zweiten Platte. Dabei geht das bewährte Konzept oberflächlich betrachtet erstmal auf: »Helplessness Blues« macht alles richtig und nichts falsch. Wieder begegnen wir nostalgischem Westküsten-Americana-Folk, hymnischen Hippiemelodien und butterweichen Stimmchören, die Crosby, Stills, Nash & Young nicht besser hinbekommen hätten. Alles ist warm, sonnendurchtränkt, laid back. Auch die Produktion ist makellos. Trotzdem bleibt dem Album ein schaler Nachgeschmack haften. Man hört, dass hier Musiker mit Können angestrengt versuchen, ihr Können zu beweisen ‒ den Fans, der Presse, und vor allem sich selbst. »Helplessness Blues« stand angeblich bereits im Vorjahr kurz vor der Veröffentlichung – bis sich die Band dazu entschied, die Songs noch einmal komplett neu einzuspielen, da sie mit dem Sound nicht zufrieden waren. Das Resultat ist eine durch und durch audiophile Produktion – ein perfekter Klang, dem aber leider irgendwann die Seele entwichen ist. Um die Problematik zu präzisieren: Es gibt kein einziges wirklich schlechtes Lied auf dem Album. Songs wie »Montezuma«, »Bedoin Dress«, »Battery McKinzie« oder »Helplessness Blues« werden niemanden wirklich enttäuschen. Ob der Reiz und die Faszination des Liedgutes aber so langanhaltend wie das Material des verspielt-fragilen Erstlings sein wird, ist fraglich. Zu süß klingen die Stimmen, zu anbiedernd die Arrangements, zu dick aufgetragen die Dramaturgie der Lyrics, um sie wirklich dauerhaft ins Herz schließen zu wollen. Erst gegen Ende des Albums schimmert mit »Blue Spotted Tail« Beseeltheit auf: »Why is life made only for the end/ Why do I do all this waiting then?«, fragt Leadsänger Robin Pecknold in Begleitung zu einer scheu gestimmten Akustikgitarre. Der Song ist eine melancholisch-schöne Perle zum Immer-wieder-AnhörenWollen. Zeitgleich verdeutlicht das Lied den großen Schwachpunkt von »Helplessness Blues«: Wer am Ende der Reise die Perfektion erwartet, wird währenddessen etwas Wichtiges, Darunter-liegendes vergessen. Es ist ein gutes Album, aber keines für die ewigen Jagdgründe. 7/10 Michael Kirchdorfer

► 0 74 / AUSGABE 116

Seines Zeichens: Coole Sau _ Zurück in die Garage ist die Devise. Die Foo Fighters haben eine starke Rockplatte aufgenommen, und das mit vergleichsweise einfachen Mitteln. Die Foo Fighters sind von jeher Grenzgänger. Sie waren immer schon fähig, zumindest ein bis zwei wirklich geile Songs auf eine Platte zu packen. Der Rest war oft relativ belanglos. Für »Wasting Light« trommelte Dave Grohl ‒ seines Zeichens eine coole Sau ‒ die Band in seiner Garage zusammen und nahm auf rein analogem Equipment eine ehr­liche Rock-Platte auf. Bereits vor dem Release wurden Gerüchte um die angeblich härteste Foo Fighters-Platte aller Zeiten laut. Dieses Gerede bewahrheitet sich von Nummer zu Nummer mehr. Einfache Mittel, ohne viel Schnickschnack und einfach nur Konzentration auf die Musik kann klappen. Als nostalgischer Sidestep spielt Nirvana-Bassist Krist Novoselic bei »I Should Have Known« Bass und Akkordeon. Es ist einer der interessantesten Songs auf der Platte. Ein schräger Einstieg und eine fast pathetische Sounddramaturgie dienen Grohl als Sprungbrett für eine abgefahrene Vocal-Perfomance. Auf außergewöhnlich intensive Weise intoniert er die Lyrics beinahe wie ein Schauspieler. Dass auf einer Rockplatte, die eigentlich von Gitarre und Schlagzeug regiert wird, der Gesang die Aufmerksamkeit so auf sich zieht, soll was heißen. Für »Dear Rosemary« holte sich Grohl Verstärkung von Hüsker Dü-Frontmann Bob Moulde. Die beiden schaukeln einander hoch und treiben die Zweistimmigkeit auf die Spitze. Melodien aus Grohls Feder klingen dabei generell oft wie eine immer und immer wieder variierte Form des »Learn To Fly«-Chorus. Anstatt zu nerven, ist das jedoch zu einem schillernden Markenzeichen der Songs geworden. Sozusagen ein Foo Fighters-Jingle. Lärmende, kreischende Gitarren, dominante Drums sind zu einer Hölle von Rockplatte zusammengebraut. Sieben Alben lang hat es gedauert, dass die Foo Fighters Höchstform erreichen. Was auch daran liegen kann, dass man deswegen so genau hinhört, weil gerade kein Newcomer ansatzweise an die Aufmerksamkeitsspitzen der Foos herauskommt. Der genaue Hergang dieser Entwicklung hat die Band in einem Dokumentarfilm über sich verewigt, der 2011 in den USA herauskommt. »Wasting Light« ist eine Platte, die man ganz laut aufdrehen muss, damit sie ihre volle Wirkung entfaltet. Am besten treffen es immer noch die Worte der Band selbst. Der letzte Song »Walk« spricht davon, noch einmal gehen zu lernen. Für »Wasting Light« haben die Foo Fighters quasi neu gehen gelernt. 8/10 teresa reiter


a. 114/ Re zensi one n

Trackspotting

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12-Inch, Singles und Kleinformatiges für große Aufmerksamkeitsspanner TEXT Florian Obkircher

Einfache Papierhülle, spärlicher, gestempelter Aufdruck, kryptische Zeichen in der Auslaufrille. Das sind Whitelabels. Meist so geheimnisvoll wie streng limitiert. Oft sind es Vorab-Veröffentlichungen von vinylbewussten Artists als Zuckerl an ihre Fans – in Zeiten, in denen Plattenverkäufe aber ohnehin kaum mehr Geld abwerfen, erscheinen viele Whitelabels im Sinne analoger Exklusivität nicht selten aber gar nie regulär in hoher Stückzahl. Und mittlerweile nimmt das Geschäft mit den limitierten Platten absurde Züge an. Ein Beispiel: Theo Parish veröffentlichte eine Vinyl-Version seines Albums »Sketches« letzten Dezember. Auflage: 150 Stück. Was zur Folge hat, dass die Platte heute auf der Website discogs.com nicht unter 400 Euro zu kriegen ist. Noch aberwitziger ist’s bei der Vinyl-Version von Sandwell Districts Album »Feed-Forward«, das noch während der regulären Auslieferungszeit an Plattenläden im Internet schon abenteuerlich hohe Preise erzielte. Die Verkäufer waren in diesen Fällen natürlich keine Liebhaber, sondern Spekulanten, die sich einfach beim Release so viele Copys wie möglich besorgten, um die Fans via Discogs bluten zu lassen. Irgendwie riecht der Online-Second-Hand-Plattenverkauf derzeit unangenehm nach Aktiengeschäft, was auch den Artists und Labels, die Whitelabels pressen, zu denken geben sollte.

Unknown Artist – 006 (Knowone)

Deshalb hier gleich als Vorwarnung: Die Neue vom deutschen DubTechno-Geheimniskrämer Knowone ist fantastisch, aber auf 250 id11_ins_TheGap_105x140_id11_ins_TheGap_105x140 3/31/11 5:30 PM Page 1 Stück limitiert – »No Repress«, leider. Und angesichts der Tatsache, dass die letzte 12“ auf Discogs schon 25 Euro kostet, werden sich die Spekulanten wohl darauf stürzen. Schnell zuschlagen, denn die Bretter von Knowone kicken weit mehr als die jüngeren Releases von Genre-Kollegen wie Echospace. Vor allem »A1« hoppelt mit einer dicken Offbeat-Bassline so elegant wie treibend durch Echoräume VIS_ANZEIGE_gap_105X140.indd 1 27.04.1 und ist trotz frappanter Ähnlichkeit zu Maurzios »M«-Serie frisch wie Dub-Techno schon lange nicht mehr.

Jacques Greene – Another Girl (LuckyMe )

Auch wenn schon im März erschienen, diese Platte zu verschweigen wäre ein Verbrechen. Ein Verbrechen an allen, die noch nach dem perfekten Track fürs heurige Sommer-Mixtape suchen. Greene ist ein junger Kanadier, der klingt als wäre er Brite. Die Elemente, mit denen er jongliert – ein leicht hadscherter Garage-Beat, gepitchte Vocal-Schnipsel und surrende Schwell-Synths – lassen vermuten, ein gut gelaunter Jamie XX hätte Hot Chip mit Rhianna vermählt. Eine Erleuchtung, nicht nur für jeden Indie-Muffel, denen FutureBass bisher am Arsch vorbei gegangen ist. Ein Track, der die Mundwinkel nach oben reißt wie ein sonniger Morgen.

Deadboy – Here EP (Numbers )

Von einem Glasgow-Label zum nächsten: Jackmasters NumbersImprint und sein bester Stallhengst Deadboy holen zum nächsten Schlag aus. Und mit »Wish U Were Here« ist der Festplatte von Letzterem ein wahres Dancefloor-Monster entfleucht. Dem schiefen Charme seines Überhits »If U Want Me« hat er abgesagt und eine dramatische 8-Minuten-House-Hymne mit Cut-Up-Vocals und wabernden Synths kreiert, die poltert, mäandert, euphorisiert. Und Ibiza demnächst im Sturm erobern wird. Mehr noch, wir haben’s hier vermutlich mit dem diesjährigen »Coma Cat« zu tun.

My Panda Shall Fly – Sorry I Took So Long (Growing)

Diesem jungen Londoner wird die Party-Insel wohl noch länger erspart bleiben, schließlich experimentieren Suren Seneviratne alias MPSF und dessen Neo-Labelboss Dam Mantle lieber mit den Scherben, die der Dubstep-Boom hinterlassen hat. Das Tempo wird auf »Injury« gedrosselt, mit jazzigem Detroit-Synth kandiert und ins Weltall geschickt. In psychedelischer Manier geht’s mit »Xerox« weiter, das klingt als hätte sich ein bekiffter Gameboy auf eine DMZ-Party verirrt. Das verspielt dubbige »Yoyo« beschließt die EP und lässt auf baldigen Nachschub dieses Pandas hoffen. Die Entschuldigung im Titel haben wir angesichts dieser Großtat ohnehin längst angenommen.

identities QUEER FILM FESTIVAL 2.– 12. JUNI 2011

Gratisprogramm unter T. 01 - 524 62 74 oder office@identities.at www. identities.at

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Abt. Musik

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a. 116/ Reze nsi one n

Texta Grotesk

Rotterdam Cambodia

( G eco Tonwaren )

( Everest)

Zusammen alt werden

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Texta sind wiedergekommen, um zu bleiben. Wir hören ihnen aus Erfahrung zu, weil sie aus Erfahrung wissen, was sie tun. Texta haben noch lange nicht genug. Das hört man ihnen gerne an, frei von Peinlichkeiten oder Berufsjugendlichkeit. Nach bald 20 Jahren Bandgeschichte wird die Linzer Institution nicht müde, für und mit HipHop zu mobilisieren. Songs, die sich auf Durchhalteparolen stützen (»Nicht Genug«) werden so zum selbstverständlichen Teil ihres Repertoires. Genauso unweigerlich wie Welterklärungsversuche und politische Gesten der Altersweisheit (»Die Dramaturgie der Ereignisse«, »Imma So« oder »So änderst du nichts«). Mit Rap in Würde zu altern ist eine Prüfung, der sich Texta auf ihrem siebten Album abermals stellen. »Grotesk« lautet die neue Überschrift, unter der sie mit altbewährten Mitteln die Routine herausfordern. Hinter dem doch überraschenden Titel finden sich allerdings keine Verschiebungen ihrer musikalischen Parameter, keine größeren Sound-Experimente oder strenge konzeptuelle Ambitionen – aber auch keine enttäuschten Erwartungen. »Grotesk« soll hier zwar auch Unbestimmtheit oder Selbstreflexion von Welt und Über-Ich bedeuten. Texta wissen jedoch sehr gut was sie wie tun, egal ob auf Hochdeutsch oder im Dialekt. Die Jahre haben Texta als Kollektiv souveräner werden lassen. Daran haben auch die Soloprojekte einzelner Mitglieder nichts geändert. Der überragende Erfolg von Skero und seiner breitenwirksamen Hitsingle »Kabinenparty« fügt sich unauffällig in die Formation Texta ein, selbst wenn sein Album »Memoiren eines Riesen« (2009) jetzt im direkten Vergleich naturgemäß erfrischender klingt. Die neuen, erneut fast ausschließlich von Flip produzierten Nummern erinnern oft an den so gelungen organischen Funk-Soul-Sound seines Soloalbums »Umberto Ghetto« (2010). Platz für synthetische Stampfer, brummende Bässe und elektronische Verzerrungen räumt er dennoch ein, was besonders bei »Der Die Des« und »Strange« dem Albumtitel auch formal am nächsten kommt. Doch weil sich Texta über die Jahre mit einem gewohnt abwechslungsreichen Gesamtwerk auszeichnen, bestechen 2011 besonders ihre tiefer gehenden Stücke. Etwa, wenn sie bei »You‘re Driving Me Wild« interne Konflikte auf tragkomische Art transparent machen oder bei »Mein Baby« ihre Lebensleidenschaften offenbaren. Große Überraschungen können Texta mit »Grotesk« bestimmt nicht anbieten, aber dafür die überzeugende Souveränität erfahrener Kunsthandwerker. 7/10 klaus buchholz

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Gut Ding braucht eine Dekade

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Zehn Jahre haben Susanne Amann und Michael Klausner mit akustischen Sounds und elektronischen Produktionsmethoden experimentiert, bis sie ihr erstes Album veröffentlicht haben. Da darf auch The Gap etwas später mit der Besprechung der Platte dran sein. Ihr Instrumentarium ist größtenteils analog. Susanne Amann spielt Cello und Flöte, Michael Klausner akustische Gitarre. Die Produktionsweise ist aber digital. Cambodia verhäckseln das Rohmaterial, arrangieren es in feinen Loops zu pulsierenden Patterns und unterfüttern es mit minimalistischen Beats. Man merkt dem Album die Konzentration an, die die beiden Musiker innerhalb einer Dekade entwickelt haben. Eine Konzentration auf das Wesentliche. In einem zehn Jahre andauernden experimentellen Prozess haben sie einen Sound geschaffen, der sich durch extreme Verdichtung auszeichnet. In den pulsierenden Klanglandschaften ist kein Element zu viel, alles ist an seinem Platz. Die Monotonie darf ihre Wirkung entfalten und gleichzeitig sehr facettenreich sein. Die Fokussiertheit tut der Musik ausgesprochen gut. Leider ist sie aber der Bekanntheit von Rotterdam wenig förderlich. In der Wiener Clublandschaft sind kaum Spuren von Rotterdam zu finden. Dabei verdienen sie mindestens so viel Aufmerksamkeit wie Elektro Guzzi, deren Arbeitsweise recht ähnlich ist. Cambodia wurde von Kassian Troyer gemischt und von Stefan Betke (Scape) gemastert. Manche sagen, dieser akustische Techno sei Krautrock für das dritte Jahrtausend. Da ist schon was dran. Und weil gut Ding eben Weile braucht, das Album auch nicht über Nacht entstanden ist und sich Rotterdam ohnehin allen Hypes entzieht, erlauben wir uns, es erst einige Wochen nach seinem Erscheinen zu empfehlen. Und zwar wärmstens. Das mit der Bekanntheit muss sich ändern. 7/10 Werner Reiter


Abt. Musik

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a. 116/ Reze nsi onen

Ernesty International Not A Ship An Aeroplane

Battles Gloss Drop

(EMG)

( Warp)

Ungeschliffenes und Unmittelbares

Hit-Ballast _

Die folkigen Songs von Ernesty International schleimen sich auch beim dritten Album nicht reibungslos in die Gehörgänge. Unmittelbarkeit bleibt sein größter Trumpf.

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Battles beweisen mit ihrem neuen Album »Gloss Drop« einmal mehr, dass Menschen die besseren Drum Machines sein könnten.

Mit seinem dritten Album »Not A Ship An Aeroplane« festigt Ernst Tiefen­thaler sein Projekt Ernesty International endgültig. Es mag als Neben-Projekt zu den Bands Bell Etage und Hotel Prestige begonnen haben, derzeit scheint es eher sein Hauptbetätigungsfeld zu sein. Und so folgt wenige Monate nach »It Could Be The Sun, Mr. President« schon das dritte Album. Wie schon auf dem Vorgänger feiert er damit eine sehr eigene, mitunter verschrobene Spielart von Americana oder Folk. Er nennt im Interview große Songwriter wie Springsteen, Dylan, Young oder Cohen als vielgehörten Einfluss, als Hörer fühlt man sich meist eher an weniger bekannte (90er-)Helden wie Rex oder Califone erinnert. Tiefenthaler selbst wagt es nicht, seinen Songwriting-Prozess zu beschreiben, sondern greift auf »blumige« Metaphern zurück. Zumindest diese Unmittelbarkeit und Unperfektion bleibt dem finalen Werk erhalten. Die meisten Instrumente werden von ihm selbst eingespielt – auf dem Album entsteht neben den Songs eine zweite, situationistische Ebene, die sich zu einem LoFi-Folk-Klischee-Bild verdichtet und in erster Linie stimmig wirkt. Textlich feilt er nicht an Wörtern, Phrasen oder Aussagen, sondern hangelt sich assoziativ durch mitunter schwer bis zumindest nicht eindeutig dekodierbare Bilder. Die möglichst große Direktheit und Emotionalität stehen auch hier im Vordergrund. Anders als andere Songwriter, in Österreich etwa der etwas bemüht wirkende Son Of The Velvet Rat, feilt Tiefenthaler mit Ernesty International nicht am perfekten Song, sondern er möchte sich mit seinen Nummern »in die Seele schleichen«. Dem Hörer würde er es mit ein wenig geschliffenerem Songwriting sicher einfacher machen, aber dadurch eventuell seine Einzigartig – die nicht nur in der Stimme liegt – einbüßen.

Man muss eigentlich nicht mehr viel sagen zu Battles. Mit ihren kontinuierlichen Soundkaskaden haben sie vor ein paar Jahren Mathrock neu definiert und landeten prompt bei Warp Records. Das passte wunderbar, flächig rhythmisch und auch industriell. Sie waren und sind Bindeglied zwischen den elektronischen Warp-Artists und dem Indie-Zweig des Labels. Den 2007er Superhit »Atlas« werden sie wohl nie mehr los, fast so, als hätten sie es in der Namensgebung des Tracks geahnt, liegt ihr Schaffen auf den Schultern dieses einen Hits. Da ist es natürlich schwierig, ein Nachfolgealbum zu machen, insbesondere, da sich auch in der Bandbesetzung einiges geändert hat. Tyondai Braxton, vormals Kopf und Kehlkopf der Band, widmet sich nun mehr seiner Solokarriere und hat keine Zeit mehr für Battles. Dave Konopka, Ian Williams und John Stanier prügeln nun die Beats aus allen verfügbaren Synth und dreschen ordentlich auf die Drums. Live ist das ganze ein unglaubliches Erlebnis, man spürt förmlich, wie sich die Band aufarbeitet und gegen die Maschinen ankämpft, fast so wie ein Fließbandarbeiter, der sich auch der Maschine unterzuordnen hat. Das Album ist leider etwas weniger leicht zugänglich, da mit allzu eklek­ tischem Experimentieren versucht wird, an ihren vorherigen Erfolg anzuknüpfen. Die Neubewertung und Dekonstruktion von Reggae und Polka-Rhythmen wirkt allzu bemüht, als ob das Trio nur noch am Namen festhielte, um ein wenig Geld einzuspielen. Aber es gibt auch Lichtblicke, der Track »Ice Cream« feat. Matias Aguayo etwa ist ein zauberhafter Versuch, Sprache als Instrument einzusetzen, verjazzte Gitarren spielen wunderbar aus dem Hintergrund und schaffen so einen geschlossenen Sound, der spürbar eine Weiterentwicklung zum letzten Album darstellt. Das Ganze ist auch noch perfekt radiokompatibel. Leider kann der Rest nicht so ganz mithalten und irgendwie hat man nach mehrmaligem Hören ein verwischtes Gefühl, fast so, als fehle da noch ein ganzes Stück um ein befriedigendes Hörerlebnis zu schaffen.

7/10 martin mühl

5/10 Michael Aniser

AU S GA B E 1 1 6 / 0 7 7 ◄


Abt. Twitter-Reviews

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a. 116/ Reze nsi one n

Die Welt auf Scheibe – erklärt in 140 Ausführlicheres auf www.thegap.at

Zeichen zum Angeben in der Disco.

Agent Ribbons Chateau Crone acuarela/ broken silence Polka, Garage, Barockpop: Aus den unterschiedlichsten Musiken bauen Agent Ribbons etwas, das zumindest interessant ist. Sehr interes▪ sant sogar. 6/10 sandra bernhofer Asobi Seksu Fluorescence polyvinyl Asobi Seksu haben versucht, den Titel ihres Albums zu vertonen … fluoreszierendes Licht, auf eine metallene Scheibe gepresst … oder war das umgekehrt? 7/10 julia melcher ▪ Ira Atari Shift audiolith Ohne zu fallen gelingt es Ira Atari auf dem mitunter schmalen Grat zwischen Donna Summer und Peaches, zwischen Nachtschicht und Rhiz zu wandeln. 6/10 martin zellhofer ▪ Austra Feel It Break domino Austras Debüt unterlegt die dunkle Nacht in schmeichlerische Synth-Pop-Beats und spinnt klassisch ausgebildeten Operngesang drum herum. 6/10 stefan niederwieser ▪

The Feelies Here Before bare none 35 Jahre Geschichte, 20 Jahre Pause,wundervolle Rock­ musik, die zwar angestaubt klingt, aber für unzäh­ lige US-College-Bands ungemein prägend war. 6/10 gerald c. stocker ▪ Finn I Wish I Was Someone Else sunday service Die 13 Akustik-Cover sind gut sortiert und auf sehr simple Arrangements heruntergebrochen, die den Originalen mit nötigem Respekt begegnen. 5/10 gerald c. stocker ▪ Friska Viljor The Beginning Of The Beginning Of The End haldern pop Auch unter umgekehrten Vorzeichen: Schwedischer Power-Pop bleibt ▪ schwedischer Power-Pop. 4/10 werner reiter Gang Gang Dance Eye Contact 4ad/beggars Funkwellenkontakte der siebten Art, eine Space Odyssee in eine andere Welt – Gang Gang Dance sind ein beängstigend magnetisches Mysterium. 8/10 stefan niederwieser ▪

Adam Haworth Stephens We Live On Cliffs saddle creek Eine Hälfte der Two Gallants macht ▪ noch keinen Sommer. 3/10 werner reiter Herman Dune Strange Moosic city slang Back to the Sixties, Baby! Kurzweilige Folk-PopMusik, die die 60er musikalisch wiederaufleben ▪ lässt. 6/10 lisa dreier Keine Angst! Rock’n’Roll Selbsthilfe no label Das Grazer Rock’n’Roll-Punk-Trio erweist mit seinen verqueren Texten den Elements Of Crime und Ton Steine Scherben seine ehrfürchtige Referenz. 6/10 gerald c. stocker ▪ KK Null / Z’Ev Extra Space, Extra Time korm plastics Noise in Residence. Rhythmische Kon­struk­ ▪ tionen gefüllt mit Lärm. 6/10 werner reiter

Biodub Reisegefährte ki records Biodub ist der bessere Reisegefährte. Im Urlaub abseits der Zivilisation treffen sich Dub und Techno auf dem ▪ nächsten Plateau. 6/10 johannes piller Bruno Pronsato Lovers Do thesongsays Avantgarde-House auf reduzierten Umwegen samt Überlängen. Genau diese braucht es aber für den losgelösten Pronsato-Effekt. 8/10 johannes piller ▪ Coh Iiron editionsmego Coh meint mit »Iiron« schon in erster Linie Metal. Der Soundtüftler brachialisiert sich durch beatlose Riff- und Sound▪ experimente. 8/10 martin mühl Dakota Suite The Hearts Of Empty karaoke kalk Musik für langsame Tage. Damit sie noch langsamer wirken. Oder für Filme, in denen nichts passiert. Oder um ins Leere zu starren und schweren Wein zu trinken. 4/10 stefan niederwieser ▪

Gay Beast To Smithereens skin graft Die queere Krach-Combo pfeffert auf ihrem zweiten Album ziegelsteinschwere Brocken aus dem Ärmel. Zappelig, ADHS-geplagt und merklich auf Ritalin▪ entzug. 8/10 philipp lampert Ginga They Should Have Told Us Live monkey Ginga präsentieren ihr Debüt in Version 3 – diesmal live. Das Ergebnis ist charmant und verspielt, lässt aber uns aber weiterhin auf die Pop-Explosion ▪ warten. 7/10 martin mühl GusGus Arabian Horse kompakt Dieser Araber ist nicht ganz das Vollblut-Album, das GusGus gern gemacht hätten. Mehr eine solide Dancefloor▪ Züchtung. 6/10 matthias hombauer Mick Harvey Sketches From The Book Of The Dead mute Bei Harvey weiß man nie, ob er Heimweh nach den Bad Seeds-Zeiten hat oder wieder Energie in seine aufflackernde Solokarriere stecken ▪ will. 6/10 gerald c. stocker

Larkin Poe Spring edvins/alive Ohrwurmdompteure sind sie nicht, für hörenswerte Innovationen am Zupfgitarren-Sektor sorgen zwei Drittel der Lovell Sisters aber allemal. 7/10 sandra bernhofer ▪ Jerry Lee Lewis Old Time Religion bear family 1970 ringt seine Mutter mit Krebs, seine Cousine und dritte Frau will ihn verlassen. Der Killer schwört weltlicher Musik ab, kämpft um seine ▪ Seele. 6/10 stefan niederwieser Clara Luzia Falling Into Place asinella/broken silence Vordergründige Unaufgeregtheit, ein Brodeln dahinter, ein Klarwerden und ein Fallen – ein Album wie das Leben. 8/10 sandra bernhofer ▪ Metronomy The English Riviera warner In der Indie-Disco hat sich’s ausgetanzt, jetzt wird am Strand gechillt – mit Handclap-Beats und Indie-Gitarren. Der Sommer kann kommen. 7/10 sandra bernhofer ▪

Ear Pwr Ear Pwr carpark Die Songs von Ear Pwr versteigen sich in artifiziellem Gestus und drücken sich mit schweren Synth-Schwaden um die saf▪ tigste Melodie. 5/10 stefan niederwieser Eric Eckhart This Is Where It Starts a headful of bees Ein amerikanischer Songwriter entdeckt in Europa wieder seine Liebe zur Musik. Sein bluesrockiger Erfahrungsbericht ist nur bedingt span▪ nend. 5/10 kirin kohlhauser Kommando Elefant Kommt wir hauen Granaten rein. Das kleine bisschen Leben. las vegas Mit ihrer aktuellen Single »Party bis zum Untergang« haben Kommando Elefant gerade einen wunderbar ironischen Partykracher aufs ▪ Discoparkett gezaubert. 7/10 gerald c. stocker Er ist tot, Jim An der Spitze ist für alle Platz no label Man muss nicht StarTrek lieben (Band­name!), um dieser Band seine Sympathien ent­gegen zu bringen. Die Texte bergen Explosions▪ gefahr. 7/10 gerald c. stocker

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MEHR REVIEWS WWW.THEGAP.AT GROSSES ARCHIV

Aidan Moffat & Bill Wells Everything’s Getting Older chemikal underground Bill Wells schreibt Miesepeter Aidan Moffat für seine galligen Erzählungen einen Soundteppich. Entspannt und passend, aber wenig aufregend. 6/10 martin mühl ▪ John Morales The M+M Mixes Vol. 2 bbe Maxis und Mixes: Zwei CDs voller Remixe, teilweise unveröffentlicht, die mit viel Retro-Schmieröl die Gelenke und Glieder zum Tanzen einschwingen. 6/10 harald triebnig ▪ Chris Murderbot Women’s Studies planet mu Juke Continued: Das hyperaktive Fußwackeln aus Chicago bekommt bei Chris Murderbot mehr als acht Beine und 17 neue Grooves. 7/10 stefan niederwieser ▪ Naked Lunch Amerika monkey Episch melancholische Klangwelten vereinen sich mit Country- und Blues-Anleihen zu einem stimmigen Ganzen. WunderbaresTheater für die Ohren. 7/10 lisa dreier ▪


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a. 116/ Re zensi one n

Nôze Dring get physical Nôze auf ihrem World Wide Music Trip. Relaxt und entspannt. Also das Gegenteil von ihren Auftritten. Gypsy und Reggae ▪ meets House. Cirka 2006. 4/10 johannes piller Barbara Panther Barbara Panther city slang Vorbilder Björk und Fever Ray werden von Ms. Panther und Produzent M. Herbert mit Widersprüchen in Richtung Wohnzimmer-Elektronik umgedeutet. 6/10 stefan niederwieser ▪ Peterlicker Nicht editions mego Vier reformierte Dröhnjünger sondern dunkle Geräuschbrocken ab. Das ist grandioser Lärm. Und zugänglicher, als du ▪ glauben magst. 7/10 stefan niederwieser Rival Schools Pedals photo finish Melodiöser Wohlfühl-Indierock aus den USA von einer Band, die früher mal auch irgendwie anders klang. Eine Wiedervereinigung, die sich gelohnt hat. 7/10 teresa reiter ▪

Alexander Tucker Dorwytch thrill jockey Es riecht nach langen Haaren und Cannabis: Kurios gelungener Prog-Avantgarde-Freak-Folk made in ▪ Britannia. 6/10 michael kirchdorfer Van Der Graaf Generator A Grounding In Numbers esoteric Original Prog Material aus dem Jahr 2011 – VDGG arbeiten mit 13 kurzen Prog-Songs gegen die Mühlen der Zeit. Unterhaltsam und klarerweise vergeblich. 5/10 stefan niederwieser ▪ Various Artists What A Fine Mess We Made affine Run, Vie, Run! Das Wiener Label Affine treibt die Stadt vor sich her. Ihr Soundhybrid ist groß und ▪ einzigartig. 9/10 stefan niederwieser Various Artists Soma Coma 5 soma Soma wird zum Twen und zeigt mit der fünften Coma-Serie die Geschichte des Labels von Electronica über Ambient bis hin zu Dub großartig auf. Reinhören ▪ empfohlen! 7/10 johannes piller

Rubik Solar talitres Helsinki goes New York. Fein verspielter und leicht verstrahlter Indie-Pop, der von einer sauberen Produktion gezähmt wird. 7/10 martin mühl The Rural Alberta Advantage Departing saddle creek Musik mit kariertem Hemd. So als wäre sie immer schon da gewesen. 7/10 werner reiter Solange La Frange Solange La Frange two gentlemen Beim zweiten Mal Hören geht diesem hyperaktiven Elektro-Trash-Pop die Luft aus. 5/10 werner reiter Poly Styrene Generation Indigo future noise music Bei dieser Künstlerin kann man getrost von einer Kultfigur sprechen, auch wenn es in den letzten Jahren im Musikgeschäft ganz ruhig um sie geworden war. 7/10 gerald c. stocker

Various Artists Oh, dieser Sound! Stars spielen Superpunk tapete In erster Linie deutsche Musiker versuchen sich an den größten Hits von Superpunk. Und erinnern dabei meist an die Größe ▪ der Originale. Trotzdem fein. 6/10 martin mühl Various Artists Disco Love 2 bbe Mit »Disco Love« stellt Al Kent eine Compilation aus rarem Deep Soul und Funk zusammen. Für die Zielgruppe ▪ genau das Richtige. 6/10 matthias hombauer Roland Vogl Some People acute Ein AlleskönnerRoland Vogl geht nicht so leicht von der Hand, manche seiner Zeilen bringen sogar Goethe dazu ▪ in seinem Grab zu rotieren. 3/10 harald triebnig Weiherer Offline Live conträr musik Der breite bayerische Dialekt hat sich bewährt, wenn es ums Schimpfen und Revoluzzen ging. Christoph Weiherer macht all das mit Lust und Feinsinn. 6/10 gerald c. stocker ▪

Tennant/Lowe The Most Incredible Thing emi Diese Art der Ballettmusik ohne visuelle Unterstützung auf CD herauszubringen, macht im Unterschied zu den großen Meisterwerken von z.B. Peter Iljitsch Tschaikowsky keinen Sinn. 3/10 gerald c. stocker ▪ The Wombats The Wombats proudly present: This Modern Glitch 14th floor records Stimmungsvoller Party-Rock, der nicht mit Synthie-Sounds spart. Indierock meets Dance Pop. ▪ Schon wieder. 6/10 lisa dreier Thieves Like Us Again & Again seayou records ZurückgenommeneSynth-Pop Sounds mit RetroChic, die ein sphärisch-synthetisches Klanguni­ ▪ versum erstehen lassen. 6/10 lisa dreier Tied & Tickled Trio and Billy Hart La Place Demon morr Die Weilheimer Indie-Einstellung hat sich trefflich im Jazz eingerichtet. 8/10 werner reiter ▪

The Who The What The Yeah Nervöse Welt konkord Deutschsprachiger Langweiler-Indierock mit einer Prise aufgesetztem Revolutionsgeist lehrt uns das Fürchten vor der Zukunft. 2/10 teresa reiter ▪ Roddy Woomble The Impossible Song & Other Songs emi Das Idlewild Mastermind begibt sich bereits zum zweiten Mal auf Solopfade und präsentiert sich dabei wieder von seiner ambitio▪ nierteren Folkseite. 5/10 gerald c. stocker

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Abt. Film

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a. 116/ Reze nsi one n

Into Eternity

(von Michael Madsen) Wie das Untergrundlabor aus dem ersten »Resident Evil«-Film schaut die Anlage im 3D-Modell aus. Science-Fiction ist nicht die abwegigste Assoziation bei diesem ideengetriebenen Dokumentarfilm: Das Höhlensystem Onkalo, das derzeit in Finnland errichtet wird, soll das erste Endlager für Atommüll werden. Die Fertigstellung ist für die 2100er Jahre geplant, und das Lager soll halten, solange die Kraftwerks-Abfälle gefährlich sind. Bloß: Wie plant man ein Gebäude für die nächsten 100.000 Jahre voraus? Und wie hält man künftige Generationen am sichersten davon fern? In gespenstischen Kamerafahrten und nicht weniger unheimlichen Expertengesprächen geht Künstler Madsen den scheinbar unauflösbaren Widersprüchlichkeiten des Projektes Onkalo nach. Gezeigt wird der feine 75-Minüter auf einer Österreichtour samt Diskussionsveranstaltungen. 7/10 Joachim Schätz

Biutiful

(von Arman T. Riahi; mit Nazar u.a.)

Männer mit Migrationshintergrund

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»Schwarzkopf« will kein bloßes Porträt eines österreichischen Rappers mit persischen Wurzeln sein, sondern ein politisches Statement zu einer unterdrückten Integrationsdebatte, bei der die multikulturelle Jugend auf der Strecke zu bleiben droht. Das Regiedebüt von Arman T. Riahi schafft es, vieles sehr erfrischend auf den Punkt zu bringen, versprüht aber leider zu viel Testosteron.

(von Mark Romanek; mit Keira Knightley, Carey Mulligan, Andrew Garfield) Grauzone. Statt zu ergreifen, macht Mark Romaneks dritter Spielfilm enttäuschend wenig Eindruck. Ein Dystopie-Drama um drei Heranwachsende in einer Welt des medizinischen Fortschritts, in der das Heranwachsen für viele schon das ganze Leben ist: In einer Art Privatschule werden sie auf ein kurzes Dasein als Organspender vorbereitet. Das Grau in Grau von Kostümen und Kameraarbeit entspricht der Trägheit des Plots. Der Film wirkt so leblos wie seine Hauptfiguren und ähnlich ereignisarm wie deren Leben. Klassische Science-Fiction-Themen werden wiederverwertet, die Moralfrage dabei gar nicht erst aufgeworfen. Anstatt gegen ihr vorbestimmtes Schicksal aufzumucken, nehmen es die drei Hauptfiguren weitgehend hin. Dieselbe (Nicht-)Reaktion löst der Film beim Zusehen aus.

Rap ist Männersache, Integration sowieso. So verheerend dieser Satz klingt, so sauer stößt es nach der Sichtung von »Schwarzkopf« auf, wenn Frauen mit Migrationshintergrund, egal welcher Altersgruppe, einfach nicht zu sehen, geschweige denn zu hören sind. Wenn Repräsentation als eines der höchsten Güter einer grenzüberschreitenden, kommunikativen HipHop-Kultur gilt, aber etwa nur Männer adressiert werden, dann hat der gesamtgesellschaftliche Anspruch dieser Kultur ein massives Repräsentationsproblem. Das trifft auf den martialischen und politisch ambitionierten Nazar genauso zu wie auf Regisseur Arman T. Riahi. Ausgehend von der Biografie des Wiener Rappers Nazar will Riahi ein breites Bild von Österreichern mit Migrationshintergrund abstrahieren, Generationen porträtieren und mangelnde österreichische Integrationspolitik zumindest andeuten. »Gewidmet den Kindern dieser Stadt«, heißt es zu Beginn. Riahi will seinem jugendlichen Zielpublikum Verständnis für ihre Lebensumstände vermitteln und vor allem Selbstbewusstsein. Doch auch wenn die hier thematisierten innerösterreichischen Erfahrungen oft auf beide Geschlechter übertragen werden können, werden auf der Leinwand letztlich nur Jungs repräsentiert. Das ist insgesamt sehr schade, denn als dokumentarischer Spielfilm funktioniert »Schwarzkopf« recht gut. Seine dynamische und abwechslungsreiche Erzählweise geht weit über die Identität stiftende Figur Nazar hinaus. Die relativ intime Kamera fängt vielfältige Bilder eines narzisstischen Künstlers ein, dessen österreichisches Leben in Traiskirchen als um Asyl suchendes Kind begann. Ebenso werden Teenager gezeigt, die über ihre Probleme, Gefühle und Ambitionen reden, oder sich als Nachwuchsrapper Gehör verschaffen wollen. »Schwarzkopf« erweist sich als politische Heldengeschichte und selbstbestimmter Heimatfilm, der erfolgreich Mut macht. Besonders auch darauf, dass Arman T. Riahi bei seinen künftigen Projekten nicht nur Männergeschichten erzählen wird (etwa wenn im September seine multikulturelle TV-Serie »Neue Wiener« auf Puls 4 startet).

6/10 Artemis Linhart

7/10 Klaus buchholz

Never Let Me Go

► 0 8 0 / AUSGABE 116

thimfilm

8/10 Lena Nitsch

Schwarzkopf

bild

(von Alejandro González Iñárritu; mit Javier Bardem, Maricel Álvarez, Eduard Fernández) Ein Todkranker möchte nichts offen zurücklassen und seine Familie auch nach seinem Tod versorgt sehen. Den Kampf, den er dabei als Kleinkrimineller zu führen hat, schildert Regisseur Alejandro González Iñárritu vielschichtig wie intensiv. Die Szenerie dieser Passion ist ein Barcelona der düsteren Gassen, in denen Gewalt und Leid regieren. Nebenher greift »Biutiful« zahlreiche sozialkritische Themen auf, ohne ihnen immer gerecht zu werden. Doch allein für einen großartigen Javier Bardem abseits von Julia Roberts und Penélope Cruz lohnt es sich, diesem Sterbedrama eine Chance zu geben.


Abt. Film

_ NACHHALTIGKEIT IM BRIEFKASTEN? BIORAMA IM ABO: WWW.BIORAMA.AT

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081

MPA: der Städte LAND/ DIE PA DAS HINTER und Sommerfrische abseits tag im Landgasthof Nostalgie, All über Exzesse r eher Attwenge im Off-Space smusik-Verdr rverbunden und Bio kauft »Flux«: Die Volk djugend - natu Stadt, Land, ernative« Lan welchen Gründen So feiert die »alt enträger: Wer heute aus Club of Goa: enk Lifestyler, Bed Moralisten,

Scream 4

(von Wes Craven; mit Neve Campbell, Emma Roberts, Courtney Cox)

Schlitzen mit Augenzwinkern

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BILD constantin film

Ghostface ist zurück und trifft auf die alte »Scream«-Riege, aber vor allem auf eine neue Generation. Zwischen Live-Streaming und Torture-Porn-Hype schlitzt er sich ganz retro durch Woodsboro und lässt den Geist der späten 90er wieder auferstehen. Alles begann damit, dass Drew Barrymore ans Telefon ging. Kurz darauf baumelte sie auch schon aufgeschlitzt an einem Baum. Mittlerweile ist es 15 Jahre her, dass Horrormeister Wes Craven Ghostface auf das Städtchen Woodsboro losgelassen hat. Mit »Scream« erfand sich der Horrorfilm 1996 neu, indem er die eigenen Konventionen genüsslich kommentierte und parodierte. So kam es u.a. zu einem Cameo Cravens, der als Hausmeister Fred an einen populären Unruhestifter aus der Elm Street erinnerte. Ghostface selbst wirkte tollpatschiger und weniger knallhart als Vorgänger wie Jason Voorhees oder Michael Myers, behielt aber gegenüber seinen Opfern dennoch stets die Oberhand. Mit dem Spagat zwischen Klamauk und Horror gelang es Craven, eine neue Generation für das abgewirtschaftete Slasher-Genre zu begeistern. Mit den in kurzen Abständen nachgeschobenen Fortsetzungen sowie etlichen Parodien und Nachahmungen hat sich »Scream« fest in der Popkultur der Jahrtausendwende verankert. Jetzt geht’s weiter. Wieder hat Wes Craven die Zügel in der Hand und vereint das Triumvirat Neve Campbell, Courteney Cox und David Arquette. Die gealterten Stars stehen in der zweiten Reihe, eine junge Generation ist nachgerückt. Das Augenzwinkern ist aber geblieben und auch der dramaturgische Ablauf hat sich kaum verändert: Die meiste Zeit wird telefoniert, gelaufen und geschlitzt. Eher sind es die veränderten Rahmenbedingungen, die das Update ausmachen. Social Web, Smartphones und Livestreaming haben auch die Woodsboro High School erobert und prägen die Gewohnheiten einer neuen Generation auch beim Morden und Sterben. »Scream 4« blickt außerdem auf die Entwicklung des Horrorfilms in den letzten 15 Jahren und zieht dabei Trends zu Remakes und Reboots (mittlerweile läuft in Woodsboro auch schon Teil 7 der fiktiven »Stab«-Reihe) sowie das Torture-Porn-Genre à la »Saw« genüsslich durch den Kakao. Abgesehen davon macht »Scream 4« einfach Spaß, weil es gelingt, den alten Charme zu versprühen und gelegentlich noch zu überraschen. Natürlich erfindet sich »Scream« dabei nicht neu, aber für Fans der Trilogie bleibt diese Fortsetzung allemal sehenswert. Und kommendes Halloween wird die Ghostface-Maske wohl hier und dort wieder hervorgekramt werden. 6/10 jan hestmann

.14 DAS HINTERLAND / DIE PAMPA

Club of Goa: So feiert die »alternative« Landjugend – naturverbunden und im Off-Space Designstudie E-Bike-Tankstelle: Wie die E-Tanke das Stadtbild prägen wird Modestrecke: Das Bademodenlabel »Hinterland« Das Museum in der Pampa: Kulturlandschaft abseits der grossen Städte Street-Talk: Tut dir Gemüse leid?

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VoiceOver

_ Abt. DVD

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a. 116/ Reze nsi one n

Die unabsichtliche Entführung der Elfriede Ott ( Luna)

von Andreas Prochaska; mit Michael Ostrowski, Andreas Kiendls, Elfriede Ott; auf DVD und Blu-Ray

Zuerst erfolgreich im Teenie-Horror-Genre (»In 3 Tagen bist du tot 1+2«), jetzt dank Drehbuch-Allrounder Michael Ostrowski eine Punktlandung im Komödienfach – noch dazu vor den Kulissen der Mur-Metropole, die man eher mit widerborstigem Intellekt denn mit Schmäh assoziiert: Andreas Prochaskas Wien-Skepsis bleibt ungebrochen erfolgreich (Österreichischer Filmpreis, Romy). Auch wenn das unbeabsichtigte Entführungsopfer eine waschechte Wienerin mit entsprechendem Idiom ist, der mit Wortwitz und Slapstick überreich ausgestattete Film lebt mindestens ebenso vom Grazer Dialekt der beiden Hauptakteure Toni (Michael Ostrowski) und Horst (Andreas Kiendl). Der Inhalt selbst stammt aus dem Bermudadreieck Bummelstudent, illegaler Pflegegeldbezug und aufdringliche Lokalpolitik. Um beim angekündigten Gratulationsbesuch nicht aufzufliegen – die Oma ist längst schon verschieden, das Pflegegeld soll jedoch weiter fließen – reiten sich die beiden Freunde immer mehr in die Rue de la caque. Dass sich Elfriede Ott, umsorgt von einem betrügerischen Neffen, irgendwann komatös in der ziemlich mitgenommenen Oma-Wohnung wiederfindet, ist dabei keineswegs die letzte Eskalationsstufe dieser turbulenten Komödie, deren Esprit erst die Lust- und Einfallslosigkeit so manch anderer, in die Kinos gekommener »Wiener« Kabarettisten-Komödie deutlich macht. 9/10 hans-christian heintschel

text joachim schätz

My Own Private 90ies 90er-Revival? Mit der schönen College-Extravaganza »Kaboom« hat Gregg Araki ein höchstpersönliches Stück Nineties-Nostalgiekino gebastelt. Es begann mit Kuschel-R’n’B. Als Anfang des Jahres die RomCom »Freundschaft plus« mit Color Me Badds 1991er-Hit »I Wanna Sex You Up« eröffnete, konnte man das noch für einen Einzelfall halten: den etwas patzigen Versuch, auf einer Trendwelle der 90er-Jahre-Nostalgie zu surfen. Ein paar Monate später – nach »The Fighter« und »Scream 4« – ist klar, dass das 90er-Revival auch den KinoMainstream erreicht hat: Die Dekade des permissiven Cool ist bereits fern genug, um einer hurtig rotierenden Retrokultur als Rohstoff zu dienen. Noch keiner der filmischen 90er-Rückblicke hat bisher aber die alchemistische Präzision von Gregg Arakis schönem neuem Film »Kaboom« erreicht. Nicht, dass diese Horrorkomödie um den bisexuellen Collegestudenten Smith (Thomas Dekker) in den 90ern spielen würde. Aber Araki, der 1992 mit dem rotzigen Roadmovie »The Living End« (1992) bekannt wurde, stellt hier so detailgetreu seinen eigenen, in jenem Jahrzehnt kultivierten Stil nach, dass sich die richtige Mischung aus libertärer Abgeklärtheit und Lynch’eskem Unbehagen, Karneval der Subkulturen und Weltuntergangshysterie wie von selbst einstellt: Während seine beste Freundin eine heftige Affäre mit einer Hexe (noch so eine paradigmatische Figur der 90er-Popkultur) durchleidet, ermittelt der promiske Smith gegen geheimnisvolle Ritualmörder am Campusgelände. Turbulenzen folgen. »Kaboom« wirkt nicht so sehr wie eine Rückkehr Arakis zu vertrauten Themen und Stilmitteln der 90er, sondern eher wie eine nostalgische Rekonstruktion, bis hinein in den Placebo-Song über dem Abspann – ein »Gregg Araki-Film« nach dem Modell früherer Arbeiten (vor allem »Nowhere« von 1997), liebevoll gebaut um ein vertrautes Set von Zutaten: ein absurd attraktives Jungdarsteller-Ensemble; acrylbunte Comic-Kompositionen; hektisch schlingernde Ereignisfolgen; und hinter allem jugendlichen Elan die Ahnung einer großen Verschwörung. Das fährt ein und schaut – gerade in seiner selbstverständlichen, verblödelten Queerness – gut aus: noch immer, schon wieder. »Kaboom« läuft ab 20. Mai im Kino.

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Unverblümt – Nichts ist Privat ( Universum)

von Alan Ball; mit Summer Bishil, Peter Macdissi, Aaron Eckhart; auf DVD

Alan Ball verfilmt mit »Unverblümt« den Roman »Towelhead«. Der Drehbuchautor von »American Beauty« und kreative Kopf hinter »Six Feet Under« und »True Blood« fühlt sich dabei thematisch sicher zu Hause – ihm gelingt aber kein Film, der als solcher funktioniert. Die 13-jährige Jasira wird in den frühen 90ern von ihrer Mutter zu ihrem Vater geschickt, als sie sich vom Freund der Mutter die Schamhaare rasieren lässt. Beim strengeren Vater libanesischer Abstammung fühlt sie sich wenig zu Hause: Er kümmert sich lieber um seine neue Freundin und verbietet ihr Tampons ebenso wie den schwarzen Freund. Vom Nachbarn wird sie ungewollt per Finger entjungfert und auch sonst sprießt die Sexualität. Ball zeichnet die Figuren gewohnt grau, zeigt Verständnis für ihre Schwächen – schafft es aber nicht, eine interessante Story zu entwickeln. Unverblümt ist thematisch interessant, versagt aber formal als Film. 5/10 martin mühl

Snowman’s Land ( Zorro )

von Tomasz Thomson; mit Jürgen Rißmann, Thomas Wodianka, Eva-Katrin Hermann; auf DVD

The Killer Inside Me ( Universum)

von Michael Winterbottom; mit Casey Affleck, Jessica Alba, Kate Hudson; auf DVD

»Snowman’s Land« ist ein europäischer Glücksfall und erscheint in der Reihe »Junges Deutsches Kino«. Regisseur Tomasz Thomson hat sich für den humorvollen Genrekrimi von manchem CoenFilm zwar mehr als inspirieren lassen, nicht zuletzt dank seiner beiden Hauptdarsteller ist ihm dabei aber ein ziemliches Highlight geglückt. Die beiden Profikiller Walter und Micky sollen in einem ehemaligen Hotel auf einem verschneiten Berg (wir erinnern uns an »Shining«), auf den Auftraggeber Berger warten. Doch obwohl nicht viel passiert, geht schon bald einiges schief und die wenigen Protagonisten werden zu blutigen Rivalen. Wie gesagt, die Vorbilder sind nahe und offensichtlich, der Film ist aber fein geschrieben und noch besser gespielt. Wer etwas übrig hat für lakonische Krimis, wird mit »Snowman’s Land« ziemlich sicher glücklich. 8/10 martin mühl

In einem texanischen Nest in den 50ern trifft der vermeintlich gute Bulle auf eine verführerische Hure, die er wegschaffen soll. Sexuelle Energien und Machtfantasien entladen sich, zu Ungunsten der Frau. Zu Ungunsten sämtlicher Frauen, die hier instrumentalisiert werden. Die Abwärtsspirale dreht sich Richtung menschlicher Abgrund. Regisseur Michael Winterbottom spielt mit dem Genre Film Noir und stellt die Choreografie seiner Figuren leicht doppelbödig aus. So entsteht ein offenkundig bedrohliches Kammerstück, das sich Nerven kitzelnd zu exploitativer Bildgewalt aufbäumt. Casey Affleck (trefflich kalkuliert) wird zum brutalen Serienmörder, dessen Schuld zwar nicht nachgewiesen werden kann, jedoch ihn und die kleinstädtischen Untiefen in eine instabile Atmosphäre der Gewalt taucht. »The Killer Inside Me« wird von einer Unruhe durchzogen, die bis zum etwas holprig inszenierten Finale gut funktioniert und insgesamt positiv überrascht. 7/10 Klaus Buchholz


Kultur wandelt sich ständig. der Platzhirsch auch. 07. Mai - 07. August 2011

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Abt. Buch Jamuna Devi Jamuna

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a. 116/ reZeNsiONeN

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( E I C H B oRN) Wenn sie nicht die Erfindung der PR-

Abteilung des defizitären Frankfurter Verlags ist, stellt die 16-jährige Jamuna ein echtes Herzchen dar: der libanesische Vater ein saufender Staplerfahrer, die iranische Mutter eine fremdgehende Jugendbetreuerin, sie selbst wegen Körperverletzung in Bewährungshilfe, ihr Berliner Problemparteienhaus eine TV-Krimikulisse, und die Nachbarn prügeln sich auch in echt. Ihr Lebensmotto: »Fuck me now, love me later«. Gleichwohl ist sie in ihren indischen Fitnesstrainer verliebt und schreibt Gedichte in einer Text-AG, ihre Hauptschulkolleginnen wollen Pop- oder Pornostar werden. Jamuna aber schafft es fast: Als erst ihr Vater und dann auch sie beim bösen Mirko 7000 Euro Billardschulden machen, heuert sie geheim bei einem Escortservice an. Etliche Cumshots, Doppeldildos und Popospiele später fühlt sich das Lebensmotto seltsamerweise doch etwas schal an, statt Jamuna heiratet der Inder in Mumbai. Was liegt näher, als nach der Schuldenbegleichung in Goa einzufliegen, um mit einer Bochumer Bühnendekorateurin einen Pizzaladen aufzumachen? Hat man sich erst durch dieses Jugendslang-Tagebuch gekämpft, das auch vom Reißbrett eines von RTL II darob geschassten Dokufiction-Autors stammen könnte, vermag man zweckdienliche Hinweise zur Fortsetzung (»In Algier mit Hartz IV«) geben. Will man es? Nein.

2/10 RoLAND STEINER

Andrej Gelassimow Durst

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( S U H R K AMP) Knorrig und brutal, dann aber auch

lakonisch und anrührend schildert der 1965 in Sibirien geborene Autor in schroffen Dialogen und unsentimentalen Reminiszenzen das verkorkste Leben von Kostja, einem Gelegenheitshandwerker, Porträtzeichner und Quartalsäufer in Moskau. Im Tschetschenienkrieg hat ein Raketenangriff sein Gesicht zerfetzt, seine mitbeteiligten Kameraden Genka und Paschka kamen mit dem Trauma besser zurecht und betrügen sich seither gegenseitig. Serjoga aber, der sie in Grosny aus dem Panzer gerettet hatte, irrt seitdem verstört durch die Lande. Ihn suchen die drei nun, Kostjas bei der Moskauer Stadtverwaltung arbeitenden Vater, der ihn früh verlassen hatte, ist ihnen indirekt behilflich. Es sind aber vor allem die Rückblenden auf die Gräuel eines sinnlosen Krieges, die Schilderungen der Gefühle jener Soldaten bei Verletzungen wie auch Tötungen und ihrer verschieden manifestierten Traumata, die diesen schmalen Roman zu einem erschütternden Dokument machen. Denn das Morden im Kaukasus geht weiter, während die Veteranen der ersten Kriegsgeneration noch kaum zu einer geglückten Re-Integration in die Zivilgesellschaft finden.

Christian Futscher Nur Mut, kleiner Liebling ( CZ E R N I N V E R L AG )

Die Ansichten eines Venedig-Reisenden _ Christian Futscher dichtet wieder in Venedig. Der Gedanken-Berserker hebelt einmal mehr mit Sprach- und Wortspielen die Wirklichkeit aus. Venedig ist eine Reise wert – mehr wahrscheinlich, geht es nach Christian Futscher. Die Lagunenstadt wurde für den Vorarlberger Autor Christian Futscher ein Fixpunkt, der in seiner tagebuchartigen Litanei »Nur Mut, kleiner Liebling« Quartier in einer Autorenwohnung in St. Polo bezieht. »Nur Mut, kleiner Liebling« ist mehr oder minder die Fortsetzung von »Pfeil im Auge«, beide Bücher entstanden in derselben Venedig-Wohnung. Futscher lässt sich also für einige Zeit nieder. Von einem Rom-Aufenthalt jetzt nicht gerade gestärkt, in Rom sprang der kreative Motor einfach nicht an, machte er in Venedig aus der Not eine Tugend und lebte sich literarisch in den Tag hinein – »… ich habe das Gefühl, ich muss alles zusammenhalten, es darf nichts zerbröseln, zerflattern, verblasen werden, ich darf die Zügel nicht loslassen …«. So passiert es also, dass plötzlich der Tag zur literarischen Angelegenheit wird: In kurzen Abschnitten gibt er keinen erdachten Inhalt vor, sondern macht wahrscheinlich das Wichtigste, er teilt sich selbst mit. Futscher ist also sich selbst ausgeliefert, und das ist gut so. Einen gewissen literarischen Nährwert hat auch die Vergangenheit, in die er gerne eintaucht, wohnt der Autor doch wieder in derselben Autorenwohnung wie vor Jahren. Futscher notiert, was ihm unterkommt: Ein SMS, eine Flasche Bier, ein Gedanke an Leo, an Anne Marie, an seinen Vater, ein Witz über den Kunstbetrieb. Und dann wieder Unberechenbares: Futscher schreibt das Wort »schreiben« hundert Mal auf, um bei »schpeiben« anzugelangen. Was geht hier unbewusst im Dichterkopf vor? Strafübung, Schönschreibübung, Volksschuldrama? Wie dem auch sei, als Inspirationsquelle diente hier übrigens Friederike Mayröcker. Ähnlich auch das Gedicht »Prosa«, das nur aus Punkten und An- und Ausführungszeichen besteht. Hierfür stand übrigens Sabine Gruber Pate. Das geht sehr in die Sprach- und Wortspiele der Wiener Gruppe hinein. Das wird jetzt nicht jedermanns Sache sein, aber bei Futscher flutscht das so richtig schön, wenn er den Stift zu den Gedanken laufen lässt und ungeschönt zu Papier bringt, woran er gerade denkt. Ein Kaleidoskop der Gedanken, ein verrückter Wortteppich eben, und dann wieder ein Anlaufen gegen die Zeit, ein Unterfangen, dem man sich nicht unbegrenzt annähern kann, weiß der Autor zu berichten. »Non si può mettere il tempo in una bottiglia«, schreibt Flutscher – die Zeit lässt sich eben nicht in eine Flasche stecken. Einen dritten Venedig-Band soll es noch geben. Futscher wird also wieder in Venedig sein. Trifft man dort auf den Dichter, einen Grappa oder ein Birra Moretti könnte man ihm doch glatt spendieren. 8/10 MARTIN G. WANKo

8/10 RoLAND STEINER

Tino Hanekamp So was von da

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( K I E P E NHEUER & WITSCH) Klar, der Ahnherr je-

der deutschen Literaturparty bleibt Jörg Fauser. Die Party mit poppigerer Studentenliteratur eröffnete vor rund 13 Jahren jedoch Benjamin von Stuckrad-Barre. Aber: Wer jung ist darf schon Lärm machen, denkt sich Tino Hanekamp. »Vorglühen« muss Hanekamp für seinen Roman nicht. Er steigt gleich direkt am Tag der großen Silvesterparty ins Geschehen ein. Man muss sich das so vorstellen: die erzählte Zeit des Romans dauert nicht länger als eine Party, Tatsache. Hätte nie geglaubt, dass so ein Vorhaben gelingen kann, weil mit der auch noch so ausufernden Afterparty jede Party einmal sein Ende hat. Dramaturgisch gesehen aber sehr klug getimt, es soll das letzte große Fest sein, denn

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Abt. Buch

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a. 116/ reZeNsiONeN

dann wird der Club abgerissen. Fazit: Tino Hanekamp kann seine 24 Stunden wunderbar unterhalten und baut dazu eine sehr dichte Atmosphäre auf. Mal schauen, wie seine Literatur wird, wenn er den Partykeller verlässt. Und eh: Geiler Titel und gute Buchaufmache. 8/10 MARTIN G. WANKo

John L. Parker Cassidy’s Lauf

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(AUFBAU VERL AG) Die Temperaturen klettern

und die Laufschuhe werden wieder aus den Kellerregalen geholt. Passend dazu ist ein ultimativer Klassiker neu aufgelegt worden: John L. Parkers »Cassidy’s Lauf« wurde nach über 30 Jahren wieder aus den Archiven geholt und das zu Recht. »Cassidy’s Lauf« zeigt viel von Amerika. Zum Beispiel den »American Dream«, denn jeder Junge hat seinen Traum, vor allem, wenn es den Sport betrifft. Quentin Cassidy will zum Beispiel die Meile unter vier Minuten laufen. Was für viele Läufer ein Traum bleibt, wird für Quentin zu einem Muss. Er muss seinen Traum verwirklichen. Dafür verlässt er seine Freundin, fliegt sogar vom College und begibt sich unter die Fittiche des olympiasiegers Bruce Denton. Die Tempozunahme des Romans folgt im Schleichgang, da und dort werden die Köder gelegt und der Leser frisst sie gerne: Die mystische »Meilensteintheorie« oder »die Dämonen, die den Läufer auf die Laufbahn zwingen« zum Beispiel. Das sorgt für den hübschen, altmodischen Grusel, aber schlussendlich packt einen der Roman doch und schon zieht man im Geiste mit Cassidy seine Runden. Um diesen Roman zu mögen, muss man jetzt nicht zwingend in Laufschuhen stecken, schaden tut’s aber nicht.

7/10 MARTIN G. WANKo

Clemes J. Setz Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes

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(SUHRKAMP) Clemens J. Setz hat es vom Residenz-Autor und Geheimtipp in Insiderkreisen zum Suhrkamp-Autor und Preisträger im medialen Rampenlicht gebracht. 18 Erzählungen enthält das von der Leipziger Messe prämierte Buch mit dem ungewöhnlich unspektakulären Titel. Für alle

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Geschmäcker etwas aber für viele wohl etwas zu starker Tobak. Warum eigentlich? Weil sie die Realität, die sie in diesen Geschichten vor Augen geführt kriegen, nicht ertragen? Weil seine Metaphernauswahl so ungewöhnlich und seine Beobachtungsgabe so unerhört genau ist? Weil es viel zu viel um Gewalt, Sex und Einsamkeit geht? Weil man sich zu wenig unterhalten und zu sehr ertappt fühlt? oder bloß weil dieser Setz zu jung ist, um so gut zu sein? Wie auch immer. Wie immer bestechend sind die Dialoge, aus harmlosen Beziehungsgeplapper entwickeln sich ganz nebenbei wahre Schauergeschichten, vermeintlich Bedeutungsloses wird zunehmend gravierender. Im Spannungsaufbau und in der Zuspitzung hat der Großmeister alle Zügel fest in der Hand und seine Figuren hat er dermaßen lieb, dass er sie alles machen lassen kann. Das wirkt alles ungekünstelt nachvollziehbar und sei es auch noch so absurd oder durchgedreht und am besten sind die Geschichten, in denen entweder die Realitätsschraube einen Tick überdreht wird (es beispielsweise einen Mütterstraßenstrich gibt oder einfach alle Eheregeln umgekehrt und pervertiert werden) oder Surreales Einzug hält (Handtaschen von Pestbeulen befallen werden, sich Helden ins Innere von Dingen denken). Dazwischen gibt es gelegentlich auch solide Komik, die dann aber gleich wieder durch ehrliche Boshaftigkeit vertrieben bzw. vergessen gemacht wird. Was bleibt, ist die radikale Konsequenz all dieser Geschichten, da wird nicht moralisiert oder schöngeistig schwadroniert, da wird meist Unangenehmes ausgesprochen und zwar mit den adäquaten sprachlichen Mitteln. Das Debüt »Söhne und Planeten« war frecher (und großartig), der Schmöker »Die Frequenzen« verspielter (und ohnehin grandios), „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ ist angenehm sperrig (und ein sympathischer Ungustl) und auf jeden Fall zu empfehlen. 8/10 MARKUS KÖHLE

Michael Stavarič Brenntage

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(C.H. B EC K ) Vom Ich-Erzähler weiß man keinen

Namen und auch sonst sieht es mit Informationen eher mager aus. Die surreale Fantasie scheint sich

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MEHR REVIEWS WWW.TheGap.aT GRoSSES ARCHIV

zwischen Traum und Wirklichkeit abzuspielen, angesiedelt an deinem Nicht-ort der Zukunft, wo Tod und Leben ineinander übergehen und eine unnatürlich blasse Bedeutung haben. ohne instinktives Moralgefühl spricht das Kind vom Sterben und Morden. Wie Leben entsteht ahnt er nur leise oder gar nicht. In schaurig-schönen Bildern sieht er die Welt: bei einem Menschen erkennt man, dass er krank ist, wenn sich viele Fliegen auf ihn setzen und das Nachbarsmädchen bekommt plötzlich einen dicken Bauch und führt im Garten verstört Selbstgespräche. »Vielleicht verdienten wir auch etwas Besseres als die Wahrheit, vielleicht verdienten wir sogar etwas Schöneres als den Tod.« Tabuthemen werden gestreift, von ihnen aber nicht als solche wahrgenommen, was stimmungsmäßig dumpf an Wedekinds Frühlingserwachen erinnern lässt, diese kindliche Naivität in den Vordergrund rückt und das Buch zu einem Kinderbuch für Erwachsene macht. Stavarič, der gelegentlich auch Kinderbücher für Kinder verfasst, schafft es, dem Leser die kindliche Wahrnehmung zu vermitteln. Gleichzeitig aber entsteht durch die rare Schilderung örtlicher und zeitlicher Umstände auch ein Graben zwischen Leser und Protagonist. Die Siedlung ist fest zwischen Schluchten und Bergen abgeschottet von jeglicher Zivilisation. Die Bewohner sind gefangen in einer abgekapselten Gemeinschaft seltsamster Art. Nicht nur die Kinder erschaffen sich selbst eine Welt voller Rituale und Sitten, so beispielsweise die Titel gebenden »Brenntage«. Als das ganze Dorf abbrennt und die Bewohner, angeführt vom onkel, in die Minen umziehen, verliert sich der Roman endgültig in einem surrealistischen Erzählstrudel. Ein schillerndes Fabelbuch voller Geheimnisse und düsterer Naturverbundenheiten, das auf der zweiten Spur vom Krieg in vergangenen Tagen, Geistern und der Unterwelt der Minen erzählt. 8/10 JULIANE FISCHER

Andreas Unterweger Du bist mein Meer

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( D R o S C H L ) Vom Emblem der Humanisten bis zur

Graphic Novel sind Bilder und Worte auf spezielle Art miteinander verknüpft. Der Untertitel von Andreas Unterwegers Zweitling bezieht sich auch auf dieses Formenspiel. Das sieht dann konkret nach dem Slogan von Rittersportschokolade aus. Quadratisch, praktisch, gut. Und so liest es sich auch. Als ein Daumenkino aus erzählenden Frequenzen könnte man die Novelle in Bildern beschreiben. Nie mehr als zehn Zeilen pro Buchseite bilden die Skizzierung, die atmosphärisch Stimmungseindrücke malt. Zwischen impressionistischer Beleuchtung der verschiedenen Stadien des Urlaubsortes und Schnappschüssen, die nur im Kopf des Protagonisten entstehen, da dieser seine Kamera verloren hat, verliert sich der Leser an der idyllischen Küste. Viel Zeit bleibt ihm dabei nicht. Das Büchlein ist schnell gelesen. Viel Zeit hat auch der Schriftsteller zum Schreiben nicht gebraucht. Das effiziente Werk entstand in Pittenweem und St. Johann von März bis Mai 2010. Viel lässt er ja auch nicht passieren in seinem Büchlein, aber diese Ereignislosigkeit ist das, was es ausmacht. Privat und wirklich, denn was passiert denn schon, wenn ein junges Paar, wie jenes im Buch beschriebene, den letzten Zweisamkeitsurlaub vor der Ankunft des gemeinsamen Kindes verbringt? Ernst gemeinter und tiefgehender als es auf den ersten Blick (Wölkchen und Spiralen im Kinderzeichnungsstil am Umschlag) scheinen mag, gibt es Bezüge zu Philosophen, Malern und Dichtern zu entdecken. Das geht auch leichtfüßig und Wort für Wort, Satz für Satz, Bild für Bild. Motivisch und klug, poetisch und innovativ. Meer braucht es oft gar nicht.

9/10 JULIANE FISCHER

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Abt. Comic Chris C. Cilla The Heavy Hand

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a. 116/ reZeNsiONeN

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( S PA R K PLUG CoMIC BooKS) »The Heavy Hand«,

eine englische Phrase, die erdrückende Kontrolle, unausweichliche obrigkeit andeutet. Der Taugenichts Alvin verpackt seine Wünsche in Alltagsmärchen, bis aus seinen Lügen seine Wahrheit schlüpft. In einer Höhle sucht er nach Leitung für sein Leben, findet aber stattdessen Träume von Evolution und einen verrückten alten Mann. Während der Tod auf einem Stoffesel durch die Hitze reitet, um alle anderen am Ende zu erwarten, findet sich Alvin im Dienst von »The Heavy Hand«. Ein neues Zeitalter könnte eingeläutet werden um zu enden, bevor es sich entfaltet. Alvin ist zu gelangweilt, um sich darum zu kümmern. Cillas illustrierten Gedanken zu folgen ist ein Kraftakt, eine nahezu körperliche Anstrengung. Beinahe jeder Strich ist eine Metapher, aber nicht bloß vordergründig, nur als Nährbecken für den pilzgeflechtigen Wucher von »The Heavy Hand«. Falls Bilder eine orale Tradition haben können, dann ist sie wie »The Heavy Hand«. Psychedelisch-surreales für Freunde von Buñuel, Jodorowsky und Noé.

8/10 NURI NURBACHSCH

Darryl Cunningham Psychiatric Tales

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( B Lo o MSBURy) Für einen Künstler, der selbst an

einer psychischen Störung litt oder noch leidet, ist es manchmal beinahe zu einfach in Nabelbeschau zu verfallen, wenn diese Thematik in seine Arbeit fließt oder gar dominant wird. Darryl Cunningham hat dies nicht getan. Stattdessen berichtet er in oberflächlich nüchtern wirkenden Episoden über seine Erfahrungen während der Arbeit in einer Psychiatrie. Sein Vorhaben ist es, Aberglaube, Stigma und Missverständnis über diese ernst zunehmenden Krankheiten zu bekämpfen. Dem wird er gerecht, doch darüber hinaus erfährt man beim Lesen die Empathie, die in seinen Erfahrungen enthalten ist. Und das überzeugt einen umso mehr, eine Überprüfung der eigenen Einstellung zu beginnen.

8/10 NURI NURBACHSCH

Grant Morrison, Tony Daniel, David Finch, Frank Quitely u.v.m Batman: Time And The Batman

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( D C ) Ein Mythos unserer Zeit. Ein Archetyp unserer Gesellschaft. Das ist Batman. Bob Kane erschuf den in Schatten gehüllten Rächer als Amalgam aus den Legenden vorangegangener Zeiten. Batman nicht als Symbol für eine konkrete Sache, sondern als Platzhalter für die Symbolik einer Geisteshaltung. Ein Meta-Symbol? Grant Morrison, der chaos-magische Soziologe der Comic-Autoren, ist vielleicht der einzige, der diesen Aspekt der Saga von Batman in Form einer Erzählung wiedergeben kann. So geschehen im atemberaubenden »Batman: R.I.P.«. Aber für diejenigen, die sich noch nicht als Teil des Mythos Batman erkennen (können oder wollen), bietet »Batman: Time And The Batman« die Tangente, über die der Sprung vielleicht ermöglicht wird. Aus der scheinbaren Banalität einer ZeitreiseMär spinnt Morrison ein Goldenes Vlies, das die Ewigkeit des Batman als Meta-Symbol andeutet, so wie das Goldene Vlies auf die Existenz des Aries im Nachthimmel wies. 9/10 NURI NURBACHSCH

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Diverse Tonto #12 Nordpol ( To N To C o M I C S )

Ganz schön kalt

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Der neue Band der Comic-Reihe »Tonto« widmet sich im weitesten Sinne dem Nordpol. Frostbeulen holt man sich bei der Lektüre trotzdem keine, denn der Nordpol ist überall. »Tonto« nennt sich die mittlerweile zwölfteilige Reihe von Comic-Heften, die unter variierenden Themen vorwiegend Erzählungen österreichischer Comic-Zeichner präsentiert, aber zunehmend auch immer mehr internationale Beiträge enthält. Das alles in bester Independent-Manier und neuerdings auch in einem superben, ganz neu konzipierten Sonderformat. Dafür wurden zwei Hefte in ein Flex-Wraparound-Cover gelegt, die jeweiligen Innen- und Außencovers ergeben dabei sich fortsetzende Bildsequenzen. Die aktuelle Nummer »Nordpol« ist nach einer in Kollaboration ausgeführten Geschichte von Edda Strobl und Helmut Kaplan benannt. Diese autobiografische Geschichte führt uns allerdings nicht ins nördliche Eis, sondern nach Südamerika, wo sich zwei junge Frauen (Edda und Barbie) gerade auf einem Trip mit unbestimmtem Ausgang befinden. Die Reise hat schon ihre ersten Spuren bei den Protagonistinnen hinterlassen: Sie leiden unter Fieber und einer unvermeidlichen Reiselethargie. So sitzen die beiden orientierungslos in San Pedro La Laguna (Guatemala) inmitten internationaler und nationaler Krisen und mühen sich mit alltäglichen Beschwerlichkeiten ab. Barbies Fieberschübe zwingen schließlich zum Aufbruch nach Norden in andere klimatische Regionen und – in Andeutungen – auch in eine andere Zukunft. Es sind intime Bilder einer Freundschaft, die in langsamer Veränderung begriffen ist. Besonders eindringlich in der Szene zu sehen, in der sich Edda und Barbie von einer ausgelassenen Party im Erdgeschoß in den darüber gelegenen Stock zurückziehen. Die dunkle Wohnung wird mit der Taschenlampe ausgeleuchtet. Als geschlossener Innenraum ist das ein starker Kontrast zu den Reiseeindrücken der offenen Landschaften und durchwehten Hütten Südamerikas. Barbies Blick fällt auf einen Kühlschrank. Sie blickt in ein vereistes Gefrierfach – vielleicht ihr Nordpol? Edda, am anderen Ende des Zimmers, vertieft sich in gefundene Briefe. Etwas zieht die Mädchen langsam auseinander, richtet ihre Leben nach verschiedenen Vorstellungen und Wünschen aus. »Nordpol« bewegt sich erzählerisch zwar hauptsächlich im Konkret-Linearen, dennoch verdichten immer wieder deutungsoffene und symbolische Bilder die Text- und Grafik-Ebene. Der Wechsel zwischen spontan und skizzenhaft wirkenden Zeichnungen und präziser gearbeiteten, größeren Panels macht »Nordpol« zu einem sehr abwechslungsreichen Leseerlebnis. Neben der Haupterzählung »Nordpol« präsentiert die Anthologie eine Vielzahl weiterer Kurzgeschichten, die sich thematisch-assoziativ leise um diese Hauptgeschichte ranken. Internationale Gastautoren spüren ihren eigenen Echos zu Edda Strobls Erinnerungen nach. Herausragend dabei die Erzählung »Golden« von Simon Häussle, dessen feine und präzise Linienführung entfernt an japanische Kalligrafie erinnert. Häussle entwirft auf wenigen Seiten ein symbolisch aufgeladenes und grafisch wie textlich sehr bestimmt anmutendes Manifest gegen Angst, Schmerz und Krieg, deren Überwindung in der Verbindung zwischen Mensch und Natur gesehen wird. So kann man überleben – egal wo, egal unter welchen Bedingungen. Auch am Nordpol. 8/10 ALExANDER KESSELRING

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Abt. Games

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a. 116/ reZeNsiONeN Portal 2 (VALVE / E A ) ; x B ox 3 6 0 G E T EST E T, P S 3 , P C ; W W W. T H I N K W I T H P o RTA LS . C o M

Rätsel-Verpflichtung

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Vom Studentenhit zum Vorzeige-Produkt. Der Rätselspaß geht in die nächste Runde und überzeugt in allen Belangen: größer, schöner, komplexer und dabei genauso witzig und spielbar wie der Vorgänger. Von »Portal« schwärmen viele Videospieler noch heute zu Recht. Entwickelt als Studentenprojekt und Add-On zur »Half-Life 2«-Box überzeugte das Spiel mit innovativem Gameplay, Humor und Perfektion in der Ausführung. Mit den Mitteln eines Ego-Shooters erfanden die Entwickler einen Rätselspaß, der Geschicklichkeit und Hirnleistung gleichermaßen forderte. Die Portal-Gun ermöglichte es dem Spieler, in diversen Test-Kammern durch geschicktes Setzen von Eingang und Ausgang zum Level-Ende zu gelangen. Zum Einsatz kamen dabei auch Würfel – durchaus als Reminiszenz an die Kisten-Rätsel vergangener Tage. Teil Zwei nun wurde von einem größeren Team professionell entwickelt: Es gibt neue Mechaniken, wie etwa Laserstrahlen und Gel in verschiedenen Farben, das die physikalische Eigenschaft des Untergrunds verändert. Gefragt sind also: Ideen, Geschicklichkeit und Timing. Im Gegensatz zu der berechtigten und von Vorab-Videos geschürten Zweifeln ob der Zugänglichkeit fällt das Ergebnis aber extrem spielbar aus und es gibt nur sehr wenige Stellen, an denen man kurz hängen bleibt oder die man öfter versuchen muss. Dafür unterhalten die neun Abschnitte mit einigen Unterleveln durchgehend und auch der böse Witz funktioniert abermals. Dass in einer Meta-Ebene Wissenschaft als sich verselbstständigender Selbstzweck kritisiert wird, muss aber nicht überbewertet werden. Die Message kommt nur zum Teil an, während das Gameplay beinahe pausenlos fesselt. Wer die Single-Player-Kampagne durch hat, widmet sich eigenen Koop-Modi. Wäre »Portal 2« nicht so unglaublich einzigartig, gäbe es durchaus mögliche Verbesserungswünsche (Kampagne zu kurz, zu wenig Steigerung im Schwierigkeitsgrad, ...), so aber bleibt nichts als Begeisterung für dieses abermals gelungene VorzeigeProdukt. Wahrscheinlich einer der Top 5-Pflichttitel 2011: »Portal 2« muss man, wie den Vorgänger, einfach gespielt haben. 9/10 MARTIN MÜHL

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Abt. Games 01

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a. 116/ reZeNsiONeN

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Europa Universalis III Chronicles

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Das Hauptspiel »Europa Universalis III« ist mittlerweile vier Jahre alt. War es bereits damals grafisch schlicht und bieder, entlockt der bescheidene Brettspiel-Flair heute Spielern erst recht keine Euphorie. Die »Chronicles«-Edition enthält zusätzlich alle Add-ons und Ergänzungen der letzten Jahre. Im Gegensatz zur Grafik geht die musikalische Untermalung in ordnung, die Atmosphäre ist überraschend dicht. Eine ungeheure Flut an optionen gehört seit jeher zum Spielprinzip. Zwar kann das fortlaufende Geschehen jederzeit unterbrochen werden, Einsteiger sind dennoch maßlos überfordert, Fortgeschrittene sollten einen Blick wagen. Leider bietet auch das staubtrockene Tutorial wenig Hilfe, um wenigstens die Grundzüge zu erfassen. So positioniert sich der Titel noch enger in der ohnehin schon kleinen Nische. Schade, ein wenig Zugänglichkeit hätte auch diesem Profi-Strategiespiel nicht geschadet. 6/10 STEFAN KLUGER

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( N I N T E NDo); 3DS; WWW.NINTENDo.AT

Auch in der neuesten Version des beliebten Tamagotchi-Nachfahren fällt es nicht schwer, sich zu verlieben. Und sollte tatsächlich keiner der zahlreichen süßen Hunde das Herz erwärmen, sind da immer noch die Katzen; wenngleich nicht ganz so präsent. »Nintendogs + Cat« ist einer jener Titel, die ideal sind für Nintendos 3DS. Denn in 3D sind die Tiere noch süßer und scheinen tatsächlich Verbindung mit dem Spieler aufzunehmen. Lebendige Augen, flauschiges Fell und grandiose Animationen verstärken diesen Eindruck. Ballspielen, Gassi gehen, Shoppen oder neue Kunststücke trainieren – für Abwechslung mit dem kleinen Vierbeiner ist gesorgt. Die Eingaben per Stylus und Mikrofon funktionieren zudem einwandfrei. Es gibt spannendere Spiele, aber nur wenige, die so gemütlich sind wie »Nintendogs + Cats«. 8/10 STEFAN KLUGER

Pilotwings Resort ( N I N T E NDo); 3DS, WWW.NINTENDo.AT

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Der 3D-Effekt ist das größte Verkaufsargument von Nintendos 3DS. Idealerweise sollten die Starttitel ordentlich davon Gebrauch machen. »Pilot Wings Resort« macht das besser als die anderen Titel, die bislang für den Handheld erschienen sind. Mit diversen Fluggeräten erkundet man ein beschauliches Eiland und meistert zahlreiche Aufgaben. Das fühlt sich dank der neuen Hardware richtig gut, erfrischend neuartig an. Leider begeistert das Abenteuer nur kurze Zeit. Schnell ist die Insel erkundet, der Mangel an Abwechslung offensichtlich. Der beeindruckende 3D-Effekt entschädigt da nur zum Teil. Das gute Grundgerüst ist vorhanden; für den nächsten Teil wäre vor allem mehr Inhalt wünschenswert. 6/10 STEFAN KLUGER

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Die Sims: Mittelalter

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(ELECTRoNIC ARTS ) ; P C ( G E T EST E T ) , MAC; WWW.EA.C o M / D E / D I E - S I M S - M I T T E L A LT E R

( Ko C H MEDIA/PARADox INTERACTIVE); PC; W W W. KoCHMEDIA.AT

Nintendogs + Cats

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Serientypisch wird anfangs die eigene Spielfigur erstellt. Nur, dass es diesmal der König selbst ist, der erschaffen wird. Der wohnt in einem prächtigen Schloss, das über der Welt thront. Als Monarch ist man für den Schutz seiner Untertanen verantwortlich, und so verwundert es nicht, dass sich viele Aufgaben um Erhalt des Friedens und Bevölkerungsausbau drehen. In »Die Sims: Mittelalter« wird Hof gehalten, werden Gesetze erlassen und Abenteuer bestritten. Letztere laufen leider nur in Standbildern und mit Texttafeln ab. Und Alltägliches wie Schlafen, Beten und Bücher wälzen macht gut und gerne die Hälfte der Spielzeit aus. Aber das sind Sims-Spieler je gewöhnt. Durch erledigte Quests werden Gebäude errichtet, die neue Helden-Sims freischalten; das sorgt für Abwechslung. Die größte Stärke der Franchise punktet aber auch im inoffiziellen vierten Teil der Serie: das Eigenleben der Sims und deren spielerische Freiheiten. 7/10 STEFAN KLUGER

Socom 4: U.S. Navy Seals

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(SoNy); PS3; WW W. S o C o M . C o M

Sony konnte mit der »Socom«-Reihe einen taktischen Shooter etablieren, der von KonsoleneSportlern gerne angenommen wird. Nun gibt es ein willkommenes Update. Die Unterstützung von Move und 3D ist dabei eher als Gimmick für Gelegenheitsspieler zu sehen – eSportler werden um der Präzision willen auf diese verzichten. Die Einzelspielerkampagne ist gewohnt kurz und bietet in erster Linie einen Einstieg ins Spielgeschehen. Die viel diskutierten online-Probleme von Sony werden wohl bald geregelt sein und dann wird sich »Socom« wieder höherer Beliebtheit erfreuen. Viel Neues gibt es aber auch dann nicht und andere Shooter haben einige technische und spielerische Details in den letzten Monaten schon deutlich moderner gelöst. Taktik-Freunde kommen aber auf ihre Rechnung.

Kampfspaß. Der 3D-Effekt ist eher eine nette Draufgabe, sorgt im Eifer des Gefechts doch mitunter für Verwirrung. Dank des stufenlosen 3D-Reglers bestimmt zum Glück jeder Spieler selbst, wie dreidimensional er seine Hadokens haben möchte. 8/10 STEFAN KLUGER

Total War: Shogun 2

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( C R E AT I V E ASS E M B Ly / S EGA ) ; P C ; W W W. ToTA LWA R . C o M / S H o G U N 2

Die »Total War«-Reihe kehrt wieder zu ihren Wurzeln zurück. Nach elf Jahren wird nun wieder im alten Japan um Ruhm und Ehre gekämpft. Längst wird dabei nicht mehr nur auf den hübschen 3D-Schlachfeldern über Sieg oder Niederlage entschieden. Auf der Rundenkarte kümmert man sich neben der Reichsverwaltung, wie dem Bau neuer Gebäude, die wiederum neue Einheitentypen frei schalten, nun auch um familiäre Angelegenheiten. Die Söhne und Brüder des Clan-oberhaupts werden zu den Generälen von Morgen, rollenspielähnlich können diesen spezielle Talente zugewiesen werden, auch einzelne Einheitentruppen lassen sich auf diese Art individualisieren. Die Diplomatie nimmt nun einen höheren Stellenwert ein – schließlich versuchen neun verschiedene Clans, den begehrten Titel des Shogun zu erhalten. Dieses Ziel zu erreichen kann schon mal mehrere Tage, in der großen Kampagne auch gerne Wochen, in Anspruch nehmen. Besonders spannend: Steht man kurz vor dem Ziel, kommt es zur »Reichsteilung« – nun muss man sich, entgegen aller Bündnisse, in einem Showdown tatsächlich gegen alle Clans kriegerisch behaupten. Leider hat aber auch dieser Teil der Serie mit den üblichen Macken der Vorgänger zu kämpfen. Die KI schwankt von Napoleon bis Baron Raglan. »Total War: Shogun 2« konzentriert sich im Gegensatz zu »Empire« aber mehr auf das Wesentliche und bringt durch sinnvolle Kürzungen mehr Spielspass aufs Schlachtfeld. 8/10 JoHANN SCHoLZ

6/10 MARTIN MÜHL

Super Street Fighter IV 3D-Edition

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(NINTENDo/CAP C o M ) ; 3 D S , WWW.CAPCoM-EU R o P E . C o M

Capcom ist ja dafür bekannt, seine etablierten Serien auszuschlachten. Und rechtzeitig zum Lauch von Nintendos 3DS gibt es auch schon wieder ein neues »Street Fighter«. Der Name ist bei »Super Street Fighter IV – 3D-Edtion« Programm: ein 3D-Update vom aktuellen Teil. Die Steuerung – das Herzstück jeden Beat’em’Ups – funktioniert auch am neuen Handheld; und das sogar überraschend gut. Dafür ist nicht nur die neue Analogscheibe verantwortlich. Auch die Möglichkeit, Special Moves mithilfe des Stylus auszulösen, schont die Nerven. Vor allem Einsteiger dürften sich über diese option freuen. Das nach wie vor tiefgründige Kampfsystem sorgt auch in der 3D-Edtion für monatelangen Lern- und

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poolbar style & architektur Wettbewerbe: Votings jetzt! Die Ausschreibungen der Wettbewerbe in den Bereichen Architektur und Mode sind abgeschlossen - jetzt geht´s darum, wer die Publikumspreise erhält. Die Galerien zu beiden Wettbewerben samt Votingmöglichkeit sind jetzt online. poolbar in Wien: 19.5. - 22.5. poolbar in Feldkirch: 1.7. - 15.8. Wer´s genau wissen will: www.poolbar.at

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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

LAURA & THE COMRATS UND MARY BROADCAST BAND

17.05.2011

KARTEN UND INFOS: http://radiokulturhaus.ORF.at

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Termine Musik

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»In the beginning, there was Jack, and Jack had a groove. And from this groove came the groove of all grooves.« Selbst am Strand rotiert dieser essentielle Satz im Kopf von Drei Farben House.

Jack by The Gap

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Phantom/Ghost

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Am Anfang stand das Vorhaben, gemeinsam John Cale-Songs zu spielen. Daraus entwickelte sich ein Projekt aus elektronischer Musik und Literatur und mittlerweile sind Phantom/Ghost dort angekommen, wo das Spiel mit Künstlichkeiten, exaltierten Zitaten und theatralen Posen vorzüglich hinpasst: auf der Bühne. Genauer gesagt, auf der des Stadtsaals, der mehr Vertontes in die samtene Atmosphäre und ins Programm bringen möchte. »Stadtsaal Samt Untergrund« lautet der Titel jener neuen Serie und der Name ist schon bei der Eröffnung Programm. Die Assoziationskette funktioniert folgendermaßen: »Stadtsaal Samt Untergrund« – Velvet Underground – John Cale – Phantom/Ghost, deren letztes Album den Titel »Thrown Out Of Drama School« lautet, womit wir wieder beim Theater wären. 05. Juni Wien, Stadtsaal

bild drei farben house, jutta pohlmann

Ab Mai haben wir unseren eigenen Monatsclub. Nicht unweit des Redaktionsbüros befindet sich zwischen Falcostiege und Kettenbrückengasse der eh schon grandiose Morisson Club. Dort wird nun jeden letzten Freitag zum Tanz gebeten. Den Anfang macht Drei Farben House. Der Wahlberliner hat mit seinem neuen Label Tenderpark den großen House-Entwurf gezimmert und wird selbst das letzte Holzbein zum Zittern bringen. 27. Mai Wien, Morisson Club Weitere Termine: 24. Juni (Parkwächter Harlekin), 29. Juli


91 Roedelius

Crystal Fighters _

Roedelius wird im Oktober 77 Jahre alt und feiert das schon am 7. Juni im Radiokulturhaus vor. 1934 in Berlin geboren, war er zuerst Krankenpfleger, Sterbebegleiter, Physiotherapeut und Masseur, bevor er sich der Komposition von Musik und später auch der Dichtkunst zuwandte. Seitdem mixt er als Künstler Stile und Ausdrucksformen, Improvisationen und Kompositionsstrukturen, Instrumente und Stimmungen. Die Gratulanten erwartet ein Set mit seinen aktuellen Piano-Werken und Gedichten. Roedelius präsentiert sich solo am Klavier mit der Rezitation eigener Texte, sowie mit der Formation »Tempus Transit« und Live-Visuals von Florian Tanzer aka Luma.Launisch. 07. Juni Wien, Radiokulturhaus

Ladyfest

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Luise Pop sind bezeichnet ein räudiges Gemisch aus Synthesizern, Gitarre und Schlagzeug. Die Indie-ElektroBand leistet Widerstand gegen eine männerdominierte Gesellschaft. Passenderweise sind sie am Ladyfest vertreten, das anlässlich des 100. Frauentags in Graz stattfindet. Neben einer Vielzahl an Workshops kann man dort auch noch Bands wie Elcassette, First Fatal Kiss, Grass Widow oder Get Out Josephine erleben. 27./28. Mai Graz, Sub

FM4 am Linzfest

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Seit bereits 20 Jahren wird das sehr ambitioniert gestaltete Linzfest im Donaupark gefeiert. Bei freiem Eintritt wird jedes Jahr eine internationale Liste für Kleinkunst, Literatur, Musik und Ausstellungen geboten. FM4 kümmert sich um die gute Musik und lädt die Lokolmatadoren Texta, die Wahlberliner Ja, Panik, Noah And The Whale und Ezra Furman & The Harpoons zum freitäglichen Vergnügen. 20. Mai Donaupark, Linz

Swans

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Wo ein baskisches Percussioninstrument und eine spanische Schnabelflöte auf esoterisch angehauchte, verzerrte Stimmen treffen, handelt es sich um das Phänomen Crystal Fighters, das schon im Vorjahr bis zum Anschlag medial gehyped wurde. Haben sie uns am FM4-Geburtstagsfest mit ihrer Tanzbarkeit die Zehen gewärmt, bringen sie diesmal das Wiener Flex zum Dampfen. 03. Juni Graz, Springfestival 04. Juni Wien, Flex

Amy Winehouse

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Die Skandalschlagzeilen, die Wespennest-ähnliche Frisur und die in alkoholgetränkte Stimme. Das Nova Jazz & Blues Nights holt Amy Winehouse erstmals nach Österreich. Nicht nur Boulevardmedien, sondern auch Amys Songexte geben tiefe Einblicke in ihr Wesen, was die Lieder im Gegenzug zur sonstigen Erscheinung so natürlich macht. Ausnahmslos von Gemütsbewegungen durchzogen ist der der Winehouse-Soul und ebenso launisch die Person dahinter. 23. Juli Nova Jazz & Blues Nights, Wiesen, Ottakringer Arena

Laibach

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Seit 30 Jahren schafft die slowenische Band Laibach politische Reibungspunkte. Niemand beherrscht das soziale Theater auf der musikalischen Bühne so perfekt. Ihre Kunst, oft missverstanden, ist Provokation und Kritik und wie es sich für ausdrucksstarke Künstler gehört, auch streitbar. In einer Welt, in der Style, Design und Image zentrale Begriffe unseres Lifestyles geworden sind, positionieren sich Laibach mit ihrer offensichtlichen Sozialkritik und ihrer erfrischenden Political Incorrectness zu einem wichtigen Gegenpol. Die Provokation mit dem Schwarzen Kreuz als Logo kann im Mai live in Wien erlebt werden. 16. Mai Wien, Szene

35 Jahre _ Mühle _ Cselley 1976 wurde die Cselley Mühle mit den Sinowatz’schen

In den 80ern schrie sich Michael Gira die Seele aus dem Leib, gab sich live seiner psychischen wie physischen Selbstentblößung hin und sorgte mit seiner Band Swans für Aufsehen. Mit ihrem außergewöhnlich brachialen Sound aus wenigen Worten und viel Monotonie und ihren tranceartigen, ekstatischen Konzerten wurden Swans zur düsteren Underground-Kultband. 13 Jahre nach der Auflösung, vereinigen sich der Mastermind und der Gitarrist Norman Westberg für ein neues Album und präsentieren selbiges rockigst in Salzburg. 25. Mai Rockhaus, Salzburg

Worten »Ich weiß nicht, was ich eröffne, aber ich eröffne es« in den burgenländischen Kulturring geschickt. Beides, die Mühle selbst und die Worte, mit denen sie eröffnet wurde, waren kein Zufall, sondern ein Symptom: Die Jugend der 70er Jahre war darangegangen, sich jene kulturellen Freiräume zu schaffen, die sie wenige Jahre zuvor bloß demonstrierend verlangt hatte. Auch heute erfreut man sich am Kulturprogramm, das sich zum 35-jährigen Jubiläum besonders attraktiv gestaltet. Unter die Gratulantenschar mischen sich Garish, die Hörspielcrew und Tanz Baby. 28. Mai Oslip, Cselley Mühle


jeunesse jazz+ experimental 08.05.

Termine Kultur

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14.05.

Steve Coleman & 08.05. Five Elements So | 20:00 : jazz : Porgy & Bess | Riemergasse 11 | 1010 Wien

»Astronomical/Astrological Music Project« Steve Coleman Altsaxophon | Jen Shyu Stimme | Jonathan Finlayson Trompete | David Virelles Klavier, Keyboard Miles Okazaki Gitarre Steve Coleman transzendiert die Grenzen des Jazz. Den Impuls dazu findet er in John Coltrane, in der Musik Westafrikas und im Werk großer afroamerikanischer spontaneous composers.

Porträt Pierluigi 14.05. Billone

Sa | 20:00 : neue.musik : ORF RadioKulturhaus | Argentinierstraße 30a | 1040 W ien Trio EIS | Anna Clare Hauf Stimme | Lorelei Dowling Fagott | Krassimir Sterev Akkordeon | Berndt Thurner Schlagwerk Im Fokus des Komponistenporträts steht Billones Kammermusik, geprägt u. a. durch die abstrakte Konzeption und das unkonventionelle kompositorische Denken.

NICE PRICE! <26 Jahre 10,– EUR Vollpreis 17,– EUR

Vor etwas mehr als einem Jahr sind die Enzis im Wiener Museumsquartier abgebrannt. Für die feierliche Auferstehung hat sich das kaiserliche Hofmöbelballett angekündigt.

Sofamaschine

Die Enzo und Enzi gehören zum Wiener Museumsquartier wie der 17-Uhr-Tee zur Queen. Klar, dass man die Kultmöbel in das zehnjährige Jubiläum einbeziehen muss. Die geschieht im Projekt »Sofamaschine«, einer Outdoor-Inszenierung des Tanzquartiers. Mit dabei rund um die Hofmöbel sind Tänzerinnen, Musikkapellen, Stapler und ein Kran. Performance: 25. Mai, 20.30 Uhr MQ Haupthof, Tanzquartier www.tqw.at

Wilde Zeichen. Graffiti in der Kunst

Der »Aufstand der Zeichen«, wie Jean Baudrillard das Phänomen Graffiti bezeichnet hatte, fand auch Eingang in der zeitgenössischen Kunst. Hausfassaden, U-Bahn-Züge oder frei gegebene »City Walls« fungieren als temporäre Plattformen. »Wilde Zeichen« stellt die Graffitikunst der Bildenden Kunst gegenüber und reflektiert die Grenzen zwischen Illegalität, Stadtraum und White Cube. Bis 29. Mai Kunsthalle Krems, www.kunsthalle.at

saison

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Ragnar Kjartansson: Take me here by the Dishwasher

Der isländische Künstler und Musiker Ragnar Kjartansson kommt nach Wien. Sein grobes Programm: Film bezieht sich auf Ausstellung bezieht sich auf Performance bezieht sich auf Film. Genauer gesagt auf den Erotik-Thriller »Mordsaga«, bei dessen Dreh einer Liebesszene er sich gezeugt vermutet. Über die gesamte Dauer der Ausstellung gibt es tägliche Performances von 16 bis 19 Uhr. Zehn Troubadoure werden auch dabei sein. Und: der Keyboarder der Band Sigur Rós. 5. Mai – 26. Juni, 19 Uhr Bawag Contemporary, www.bawag-foundation.at

Städtebauliche Avantgarde

Yona Friedman und Eckhard Schulze-Fielitz entwickelten im avantgardistischen Umfeld der 60er Jahre mit ihren Bauprojekten visionäre Lösungsansätze für die Probleme des Städtebaus. Sie schufen Grundlagen für eine neue Architekturphilosophie und ersetzten die Rolle des Architekten durch einen neuen Typus von Planer.

Mosaik DJ-Line designed by John Megill

26.05.

Donnerstag | 20:00 Einlass | 21:00 Beginn Badeschiff Wien | Eintritt Euro 5,–

www.jeunesse.at | (01) 505 63 56

Ausstellung: 16. April – 3. Juli Kunsthaus Bregenz, www.kunsthaus-bregenz.at

Get in the Haze

Wo endet Mode, wo beginnt Kunst? Der Freiraum Quartier 21 verwandelt sich zum dritten Mal in eine Mode/Kunst-Plattform. Der Frage zur Grauzone zwischen Kunst und Mode widmet sich »Get in the Haze«. Durch die Befruchtung von Kunst und Mode entstanden dafür hybride Kunstformen, die sich nicht nur auf Modekreationen beschränken, sondern auch Videos, Fotografien, Installationen, Skulpturen und textile Kunstwerke hervorbringen. Modekunstausstellung »Get in the Haze« Eröffnung: 19. Mai, 19 Uhr Freiraum Quartier 21 www.mqw.at

bild magdalena lepka

Ángela Tröndle &


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Termine Galerien

REDAktion Stefan Tasch

HIGHLIGHTS MAI / JUNI DI. 17.5. 20:00 | LITERATURSALO

N

CLEMENS SETZ: DIE LIEBE ZUR ZEIT DES MAHLSTÄDTER KINDES MI. 18.5. 20:00 | INDIE / POP

FRENCH FILMS / BO CANDY & HIS BROKEN HEARTS MI. 18.5. 20:00 | BLACK HUMOUR

YLLANA (ESP): ZOO

DO. 19.5. 20:00 | INDIE / POP

CLARA LUZIA / LUISE POP / SAWOFF SHOTGUN: INDIE-NATIVE # 8 DO. 19.5. 20:00 | BLACK HUMO

UR

STUFFED PUPPET THEATRE (AUS / NL): PUNCH & JUDY IN AFGHANISTAN

»O.T.«, 2005, Photogramm auf Alu, 126 × 126 cm, courtesy Hans Kuppelwieser

Hans Kupelwieser

curated by ‒ vienna

Die Arbeiten des 1948 in Niederösterreich geborenen Künstlers werden gerne als »postmediale Skulpturen« bezeichnet. Gemeint sind die Grenzüberschreitung im Materialbereich sowie die Verbindung der Skulpturen mit Sprache und Funktion. Plastiken aus Metall und Kunststoff, Installationen im öffentlichen Raum sowie Zeichnungen und Photogramme werden von Kupelwieser in ein dichtes Referenzsystem verwoben, das sich mit der Reflexion über historische Positionen ebenso auseinandersetzt wie mit Material- und Funktionstäuschung. Seine fotografischen Arbeiten stehen dabei im engen Zusammenhang mit seinen Skulpturen. Das hier abgebildete Photogramm bewegt sich zwischen Skulptur und Fotografie und versucht den Transformationsprozess von der Dreidimensionalität zur Zweidimensionalität oder auch vom Objekt zum Bild und umgekehrt sichtbar zu machen.

Der Schwerpunkt der dritten Ausgabe des GalerienKuratoren-Projekts liegt dieses Jahr auf Künstlern aus Ost- und Südosteuropa. 21 international renommierte Kuratoren, die großteils aus den Regionen des ehemaligen Ostblocks kommen, wurden eingeladen, um gemeinsam mit 21 Wiener Galerien Sonderausstellungen zu entwickeln. Thematisiert werden einerseits die Bedeutung Wiens für zeitgenössische Künstler aus Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Russland, Slowenien und der Tschechischen Republik. Andererseits der erweiterte kulturpolitische Begriff Europas vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Entwicklungen nach 1989, so wie der immer intensivere Dialog mit der Türkei. Ferner sollen aktuelle künstlerische Positionen sowie neue Konzepte und relevante Strömungen aufgezeigt werden.

GALERIE 422 MARGUND LÖSSL An der Traunbrücke 9-11, 4810 Gmunden Bis 29. Mai

Departure, Kreativagentur der Stadt Wien www.curatedby.at 12. Mai – 18. Juni

Wien GALERIE GRITA INSAM An der Hülben 3, 1010 Wien curated by Joseph Backstein Nadezhda Busheneva, Alina Gutkina u.a.

Niederösterreich GALERIE JÜNGER Pfarrgasse 1, 2500 Baden 20. Mai bis 11. September Jakob Gasteiger, Franz Graf, Karl-Heinz Ströhle, u.a. uomini illustri/donne superbe

KERSTIN ENGHOLM GALERIE Schleifmühlgasse 3, 1040 Wien curated by Adam Budak Armen Eloyan, Mekhitar Garabedian, Agnieszka Kurant u.a.

Oberösterreich GALERIE AM STEIN MONIKA PERZL Lamprechtstrasse 16, 4780 Schärding Bis 11. Juni Günter Brus, Burgis Paier. Phantasus II 2

CHRISTINE KÖNIG GALERIE Schleifmühlgasse 1A, 1040 Wien curated by Dessislava Dimova Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová

Salzburg GALERIE NIKOLAUS RUZICSKA Faistauergasse 12, 5020 Salzburg Bis 28. Mai Herbert Brandl, Brigitte Kowanz, Gerold Miller, u.a. Das Prinzip Meisterwerk

GEORG KARGL FINE ARTS Schleifmühlgasse 5, 1040 Wien curated by Ana Janevski Vlatka Horvat, Vlado Martek, Galerija Nova u.a. GALERIE KROBATH Eschenbachgasse 9, 1010 Wien curated by Marie Klimešová Jiří Kolář, Běla Kolářová GALERIE EMANUEL LAYR An der Hülben 2, 1010 Wien curated by Severin Dünser / Christian Kobald Liudvikas Buklys, Stano Filko, Michele di Menna GALERIE NÄCHST ST. STEPHAN ROSEMARIE SCHWARZWÄLDER Grünangergasse 1 / 2, 1010 Wien curated by Adam Szymczyk Daniel Knorr

Tirol GALERIE BERND KUGLER Burggraben 6 / II (Hörtnaglpassage), 6020 Innsbruck Bis 04. Juni Holger Endres Vorarlberg GALERIE LISI HÄMMERLE Anton-Schneiderstr. 4a, 6900 Bregenz 21. Mai bis 25. Juni Gabriele Fulterer, Christine Scherrer. what can’t be decided Steiermark GALERIE ZIMMERMANN KRATOCHWILL Opernring 7, 8010 Graz 20. Mai bis 25. Juni MM YU, Herbert Soltys Kärnten GALERIE 3 Alter Platz 25 / 2. Stock, 9020 Klagenfurt Bis 01. Juni Catrin Bolt, Nina Rike Springer, u.a. Jubel

MI. 25.5. 20:00 | BLACK HUMOUR

LES OKIDOK (BEL): SLIPS INSIDE SA. 28.5. 20:00 | BLACK HUMOUR

FEST ZU GERHARD HADERERS 60ER MI. 1.6. 20:00 | SINGER / SONGWRIT

CHRISTIAN KJELLVANDER / BOY OMEGA / I’M KINGFISHER / TARANTULA WALTZ

ER

SA. 4.6. 20:00 | ROCK

WHITE LIES / STEAMING SATELLITES

SA. 11.6. 20:00 | KABARETT

DIDI SOMMER: DU SAU MO. 20.6. 20:00 | METAL

BULLET FOR MY VALENTINE SA. 25.6. 20:00 | POP

SHOUT OUT LOUDS / DECKCHAIR ORANGE

Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstr. 43, A-4020 Linz Info + Tickets: Fon: 0732 / 78 18 00 www.posthof.at


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Termine Festivals

4 Fragen an

Gregor schneider Am Strom-Festival

HipHop war in Österreich noch nie so erfolgreich wie in den letzten beiden Jahren. Bemerkt ihr auch mehr Zulauf? Dass das Interesse für österreichischen Rap wächst, merken wir natürlich auch, alleine durch den Kontakt mit der Community über soziale Medien. Da wir ein junges Festival sind, wir starten heuer zum dritten Mal, steigen auch die Besucherzahlen. Sind Texta und Skero jetzt zu groß für Am Strom? Die Vamummtn sowieso? Und die Trackshittaz unpassend? Keiner ist zu groß für Am Strom. Texta, Skero und die Vamus waren alle schon Am Strom und es wäre langweilig, jedes Jahr die gleichen Acts auftreten zu lassen, auch wenn es sich ein Teil des Publikums wünschen würde. Zu den Trackshittaz fehlt uns der Bezug, wir wissen nicht einmal, ob sie sich als Teil der HipHop-Szene sehen.

Eure Grafik ist heuer »alpenländisches Idyll« – alles eitel Wonne oder gibt es aktuell irgendeinen Beef? Beef gibt’s bei Am Strom nur am Grill neben ein paar anderen Schmankerln. Natürlich ist nicht immer alles eitel, aber wir versuchen für zwei Tage, eine schöne Stimmung an der Donau zu produzieren. 27. – 28. Mai Strombauamt Greifenstein ► www.amstrom.at

Da wuselt es im Denkquadrat. Mit den Sessions ist das Springfestival eine ziemlich ideale Hirn-Nahrungsergänzung. Partys gibt’s noch dazu. Lecker!

Springfestival

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Bereits zum elften Mal findet heuer das Springfestival in der Unesco City Of Design statt. Vom 1. bis 5. Juni wird Graz zu Österreichs größtem wie vielleicht auch teuerstem Popkultur-Event umfunktioniert und die Stadt zur Metropole getunt. Szenegrößen aus diversen Bereichen der elektronischen Musik geben sich an der Mur ein Stelldichein. Darunter Caribou & Band, Hercules And Love Affair, Martyn und Atari Teenage Riot. Die heimischen Größen vor Ort spielen auch mit, wenn auch im Vergleich zur Wiener Kollegenschaft deutlich unterrepräsentiert. Die Programmierung fiel heuer eher vorsichtig aus, statt BlogHypes und Newcomern gibt es etablierte Artists. Dafür setzt die Spring Session neue Maßstäbe. Zwölf international anerkannte und etablierte Experten werden sich an drei Tagen den Themen elektronische Kunst, Design und Technologie widmen. Die Konferenz ist zwar nicht gerade billig, die auf springfestival.at präsentierten Arbeiten versprechen aber Großes. Das Springfestival bildet also auch dieses Jahr einen würdigen Auftakt zum Festivalsommer und ist sicher ein Highlight im österreichischen Eventreigen. 01. – 05. Juni Graz, diverse Locations

► www.springfestival.at

bild springfestival, privat

HipHop wird oft als authentischer Ausdruck migrantischer Kultur gesehen – versucht ihr, das als Festival ebenfalls mitzutragen? Wir unterscheiden nicht nach Herkunft oder Hintergrund. Bei Am Strom geht es um den Community-Gedanken. Da aber HipHop schon so viele verschiedene Facetten hat, haben sich auch schon verschiedene Parallelwelten entwickelt, die sich vielleicht gar nicht treffen (wollen). Ein Gangster-Rapper passt nicht zu Am Strom, egal ob aus Österreich oder Afghanistan. 2009 hatten wir Sua Kaan, die in der türkischen Community sehr stark verankert sind, 2010 war Kid Pex dabei, der in der »jugoslawischen« Community verwurzelt ist.


nuMbeR

Klar, es ist kein Leichtes, einen Klassiker wie die Viennale-Tasche, die sich immer vom jeweiligen Vorjahresmodell zu unterscheiden hat, auch jedes Jahr aufs Neue frisch zu halten. Heuer richtete das Wiener Filmfestival mit seinem Sponsor A1 einen Design-Contest aus. Über 250 Sujets wurden dafür eingereicht, fünf davon sind nun in der Endauswahl. Die Entwürfe dazu sind hoffentlich origineller als die Idee selbst. Der lärmende Knabe aka Boys Noize wird am letzten Tag des Europavox den Besuchern sicher nicht die stillste Seite Europas zeigen.

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EuROPAVOX FESTIVAL

Ganz im Sinne des europäischen Gedankens vereint das Europavox Festival Musiker und Künstler des gesamten Kontinents, um an vier Tagen in verschiedenen Clubs in Clermont Ferrand (Frankreich) Vielfalt und Qualität ins Rampenlicht zu stellen. Bei den über 60 Konzerten, zu denen insgesamt an die 20.000 Besucher erwartet werden, wird ein reichhaltiges Angebot von europäischen Kreativen aus so gut wie allen musikalischen Bereichen präsentiert. Zu den namentlichen Größen zählen unter anderem Gotan Project aus der Schweiz, Boys Noize aus Deutschland, Low Frequency Club aus Italien und Trouble over Tokyo aus Österreich. Davor, dazwischen und danach spielen Neuzugänge, Hoffnungsträger und Stars in spe. 25. – 28. Mai Clermont Ferrand, diverse Locations

► www.europavox.com

Festival for Fashion and Photography

01

Bereits zum sechsten Mal findet in der Modestadt Wien das »Festival For Fashion And Photography« statt. Abseits des Businesszwangs präsentieren sich Newcomer sowie etablierte Designer und Fotografen. 6. – 11. Juni Wien, diverse Locations ► www.11festival.at

Morgenland

02

Liechtenstein präsentiert sich enkeltauglich: Ein fünftägiges Festival zum Thema grenzverbindende Zukunftsgestaltung mit Konzerten, Vorträgen und Performances lädt dazu ein, Horizonte zu überdenken und lokale Schritte zu setzen. 18. – 22. Mai Liechtenstein, diverse Locations ► www.morgenland.li

Blu ist einer der gefeiertsten Graffiti-Artists weltweit. Sein Kurzfilm »Big Bang Big Boom« läuft im Festivalprogramm der Vienna Independent Shorts.

BILD BoyS NoIZE, BLU

VIENNA INDEPENDENT SHORTS _ VIS Vienna Independent Shorts ist Österreichs größtes internationales Kurzfilmfestival und findet bereits zum achten Mal statt. Durch den Wegfall des Hauptsponsors steckt das Festival in einer Misere. Der künstlerische Koordinator Daniel Ebner erklärt das so: »11.000 Euro vom Bundesministerium für Kunst und Kultur und 25.000 Euro plus Filmpreis von der Stadt sind einfach unrealistisch als Basis für ein Festival und schlicht zu wenig zum Überleben.« Durch ein selbst attestiertes zu schnelles Wachstum wird es vermutlich kein 2012 für diese Veranstaltung geben. Neben dem nationalen wie auch internationalen Wettbewerb für Kurzfilm und fast 2.500 Einreichungen aus 90 Ländern gibt es zusätzlich ein breites Programm für alle Interessierte. Die einzige Einschränkungen bei der VIS: Maximal 30 Minuten Spiellänge. Bleibt nur zu hoffen, dass Vienna Independent Shorts nicht selbst zum Kurzzeitprojekt wird. 26. Mai – 01. Juni Wien, diverse Locations

► www.viennashorts.com

Modepalast

03

Auf zwei Etagen werden 160 Designer aus 19 Nationen ihre Stücke ausstellen. Dabei wird auf Generationen verbindende sowie auf Green Fashion gesetzt und somit Modebewusste jeden Alters angesprochen. 27. – 29. Mai Wien, MAK ► www.modepalast.com

Seewiesenfest

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Laut Wikipedia 569 Einwohner und eines der gemütlichsten kleinen Festivals hierzulande. Mit dabei: die Horror-Popper von Esben And The Witch, Ra Ra Riot, FM Belfast, Kreisky, Bilderbuch und Parkwächter/Harlekin. Entzückend. 28. Mai Kleinreifling, Oberösterreich ► www.seewiesenfest.at


GET IN THE HAZE

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Termine Festivals

Modekunstausstellung 20.05. bis 05.09.2011 täglich 10 bis 19h Eintritt frei freiraum quartier21 INTERNATIONAL MuseumsQuartier Wien

Noch zwei Fukushimas und einmal Weltwirtschaftskrise und wir sehen 2051 aus wie die postapokalyptischen Reiter des Kunstkollektivs Monochrom.

VIERTELFESTIVAL NÖ INDuSTRIEVIERTEL

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Unter dem diesjährigen Motto »Industrie – Utopie« findet bereits zum 10. Mal das Viertelfestival in Niederösterreich statt. Bei der größten regionalen Kulturinitiative werden den Besuchern von Anfang Mai bis August 70 Projekte und mehr als 200 Veranstaltungen geboten. Darunter befindet sich auch eine Arbeit des Künstlerkollektivs Monochrom mit dem Titel »Postapokalyptica 2051 – Die erste postapokalyptische Industriemesse in NÖ«. Diese findet im relativ unzerstörten Wiener Neustadt statt (sieht man von Weltkrieg #2 und städtebaulichen Verbrechen ab), wo ein Wochenende lang diese Industriemesse als Live-Rollenspiel für beliebig viele Besucher und Aussteller aufgeführt wird. Neben postapokalyptischer Küche gibt es ein Symposium zu Fragen der Futurologie und Gesellschaftsorganisationen und Wirtschaftsweisen nach dem großen Knall. 6. Mai – 7. auGusT Niederösterreich, diverse Locations

► www.viertelfestival-noe.at

Die Ausstellung »Roma Protokoll« im Pressezentrum des Parlaments besteht aus einem kuratierten Programm Perfomativer und Neuer Medienkunst sowie einem Medienarchiv.

WIENER FESTWOCHEN »INTO THE CITy«

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Unter den 41 Produktionen aus 23 Ländern samt den neun Uraufführungen befinden sich auch Projekte von jüngeren Generationen, die gewiss mit den alten Dampfern Schritt halten können, und das auch zu zeigen wissen. Mit »Into the City« wird eine bestehende Programmschiene weitergeführt, Migrant Mainstreaming ist dabei ein wichtiges Thema, was bedeutet, Aspekte migrantischer Kultur zentral einzubinden. Und die ist nunmal häufig mit Stilmitteln wie DJing, Rap, Beatboxing und Breakdance verbunden. Die Installation »Safe European Home?« vor dem Parlament thematisiert die Grenzenlosigkeit Europas mit dem Versprechen von uneingeschränkter Mobilität. Und deren Schattenseiten. Ebenfalls wird am Siebenbrunnenplatz die Installation »Wünsch dir was« versuchen, die Wünsche der Bewohner zur Nutzung des öffentlichen Raums freizulegen. 13. Mai – 19. Juni Wien, diverse Locations

► www.wienerfestwochen.at

BILD DIETER WERDERITSCH, DELAINE LE BAS

Wo endet Mode, wo beginnt Kunst? Diese Frage steht im Zentrum der von Lliure Briz (ESP) kuratierten Ausstellung „GET IN THE HAZE“ im freiraum quartier21 INTERNATIONAL im MuseumsQuartier Wien. Die Schau nimmt eine innovative Generation von preisgekrönten und anerkannten ModedesignerInnen und KünstlerInnen unter die Lupe, die hybride Kunstformen nicht scheuen. Unter den TeilnehmerInnen sind Irene Alvarez (ESP), Rani Bageria (AUT), Bissy Bunder (AUT), Andrea Cammarosano (ITA), Michael Dans (BEL), Narelle Dore (AUS), Elise Gettliffe (FRA), Frederik Heyman (BEL), Hui-Hui (GER), LVMM (ESP/GBR/ GER/ITA/SUI), Mariel Manuel (SUI), Lars Paschke (GER), Pelican Avenue / Pelican Video (AUT/BEL), Daniel Sannwald (GER) und Pierre-Antoine Vettorello (FRA).


Die direkte Verbindung von der Uni ins Beisl.

Wir sehen uns auf Facebook! www.facebook.com/wienerlinien

www.wienerlinien.at

Die Stadt gehรถrt Dir.


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► KOLU M NE /  k now- not h i ng -g es e l l s c h aft ► Von Illbilly The K.I.T.T.

etztens musste ich leider feststellen, dass auch ich ‒ im Übrigen ansonsten ein Supertyp reinsten Wassers ‒ nicht davor gefeit bin, Verbalreflexen nachzugeben, wenn gerade wieder irgendwo ein dünnes Gesprächssüppchen gekocht wird. »Maiglöckchen, Maiglöckchen!«, schrie ich wie ein aufgescheuchtes Huhn, als meine Gegenüber das Wort Bärlauch in den Mund nahm. Wobei, Gegenüber war es keine, da wir gerade durch ein Waldgebiet wanderten. Eher eine Nebenher. Was die Angelegenheit jetzt auch nicht wirklich einfacher machte, denn weder Wandern noch ausführliche Gespräche über die Vermeidung der Verwechslungsgefahren zwischen Bärlauch und Maiglöckchen zählen zu meinen Top-Interessen. Und jetzt tat ich plötzlich beides. Noch dazu gekonnt, indem ich auch noch darauf hinwies, dass eine Verwechslung von Bärlauch mit den Blättern der Herbstzeitlosen und der gemeinen Garten-Tulpe, die heimtückischer Weise ab und an verwildert, ein bisschen sehr gefährlicher ist, als jene mit Maiglöckchen. Aber so ist das beim Wandern anscheinend. Da kriegt man einen Redeschwall nach dem anderen und findet plötzlich auch Menschen in knallfärbigen SoftShell-Jacken von Jack Wolfskin, die in klobigem Schuhwerk stecken, das von putzigen, dicken Schnürsenkeln zusammengehalten wird, nicht mehr ganz so arg verachtenswert. Zuviel Frischluft ist Gift fürs Gehirn. Zumindest für meines. Aber Gift in Maßen genossen kann heilsam sein. Jenes von Maiglöckchen wird seit dem Mittelalter etwa bei Herzschwächen verabreicht. Das und Ähnliches erzählte ich besagter Nebenher, die etwas abgeschlagen hinter einer Wandergruppe ‒ einem Pulk aus merkwürdig aussehenden Menschen ‒ durchs Gehölz trottete und auf mich traf. Wie ich erfuhr, handelte es sich bei diesem Aufmarsch um eine Veranstaltung für Alleinstehende, die sich im Internet organisieren, um sich unter den Rufen der Wildnis besser kennenzulernen. Die Dame, anscheinend auch schon ziemlich frischluftverwirrt, dachte ich gehöre dazu, ich erklärte ihr aber schnell, dass ich mich vielmehr auf einer Art Verdauungsspaziergang befände. Eine Art? Ja, eine Art, denn es sind vor allem Bilder und Sätze, die ich nicht mehr aus dem Kopf kriege und die irgendwie verarbeitet, sozusagen verdaut gehören, weil sie nichts bringen und zu nichts führen. Die Dame forderte Beispiele ein, was mir allerdings etwas lästig war, bin ich doch der Überzeugung, dass Verdauungsprobleme, egal welcher Art, nur bedingt jemanden etwas angehen. Als ich unter starken Blähungen litt und mich nachts im Schlaf oft mit lautem Getöse aus der R.E.M-Phase furzte, hab ich von diesem Leidensdruck auch niemandem erzählt. Im Gegenteil, ich legte mir ein Traumtagebuch zu, stellte meine Ernährung auf Bio um und probierte mich in natu-

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ralistischer Selbstmedikation durch die Fenchel-KümmelAnis-Produktpalette im Reformhaus, da diesen Pflänzchen in solchen Belangen großartige Heilwirkung zugeschrieben werden. Eine Qual im Übrigen, denn nach einer beinahe Alkoholvergiftung in frühen Studentenjahren, deren Basis eine Dreiviertel-Flasche isländischer Brennivin bildete, krieg ich den Geschmack von Kümmel und Konsorten nur noch schwerfällig übern Gaumen. 13 Weihnachten lass ich daher schon von Aniskeksen ab. Aber, Verbalreflex in freier Natur ist gefährlich und so erzählte ich dann doch, dass ich schon seit 36 Monaten mehrmals täglich eine Happy-Birthday-Verballhornung vor mich hinsumme, da immer irgendwo jemand den ich kenne 30 wird. »Dirty thirty to you / urviel Sperma im Schuh / und auch Somen am Abdomen / dirty thirty to you.« Stolz bin ich übrigens sehr, ob des dritten Verses dieses dann doch in Summe recht banalen Ständchens. Mir persönlich ist nämlich nicht bekannt, ob Somen, also die feine japanische Buchweizennudel, es bis dato zu Reimehren gebracht hat. Vor allem, wenn man weiß, dass ich ursprünglich den einfachen Weg mit Samen zu dichten gedachte. Aber Abdamen? Genau, das versteht niemand und ganz ehrlich: lange Fadennudeln, vielleicht sogar noch etwas warm, am Bauch kleben zu haben, ist dann doch ein Bild von ungemeiner erotischer Wucht. Ein metaphorischer Glückstreffer. Das sagte ich aber nicht, weil mir schien, dass das Gespräch ohnehin schon ein wenig aus dem Ruder lief. Da tat es gut zu wissen, dass der Buchweizen irgendwann einmal schon zur Arzneipflanze des Jahres ausgerufen wurde. Warum, habe ich aber vergessen. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine neugierige Nebenher beim Gehen etwas hinkte. Allerdings so ästhetisch, dass jeder, der neben ihr herspaziert wie ein Krüppel wirken muss. Geburtsfehler dachte ich, Skiunfall sagte sie und ich war fast ein wenig enttäuscht. Nachdem ich in Erfahrung gebracht hatte, dass sie Historikerin mit Schwerpunkt Wappenforschung ist, wollte sie natürlich auch wissen, womit ich mir so abseits von Verdauungsspaziergängen die Zeit vertreibe. Sie zeigte sich nicht besonders begeistert, als ich wahrheitsgemäß Kolumnist mit Schlagseite ins sexuell Mehrdeutige antwortete, sagte aber zu, mich jederzeit heraldisch zu beraten. Braucht sie aber nicht, ich weiß, was ich will. Das glühende Rot einer pulsierenden Eichel soll auf meinen Masturbationshintergrund verweisen und die Hauptfarbe sein. Darauf zu sehen wären drei Somen, die ein Maiglöckchen umschlingen. Es wäre wegen dem Herz. Sie lachte, verstand und wortlos hinkten wir im Tann von hinnen. ¶ www.singlewandern.at

ILLUSTRATION JAKOB KIRCHMAYR

die natur ruft!


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Zeichnung: Rainer Prohaska

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Moderne und zeitgenössische Architektur setzen ab sofort den neuen Standard für die Dauermarken der Österreichischen Post AG: Der bildende Künstler Rainer Prohaska hat eine zeichnerische Interpretation von Architektur für die neuen Briefmarken der Post entwickelt. In präzisen, feinen Strichen präsentiert er die einzelnen Gebäude in charakteristischen Perspektiven, die sie sofort erkennbar machen.

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Die Marken zeigen zehn österreichische und zwei internationale Häuser für zeitgenössische Kunst. Ab 1. Mai 2011 werden Marken mit Motiven von u. a. MUMOK Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, dem Kunsthaus Bregenz, dem Lentos Kunstmuseum Linz, dem Kunsthaus Graz, der Kunsthalle Krems und dem Austrian Cultural Forum New York erhältlich sein. Ab die Post! Zeichnen Sie das Gebäude zu Ende und gewinnen Sie Eintrittskarten in die interessantesten Kunsthäuser Österreichs oder eine Reise zum Austrian Cultural Forum nach New York. Das Gewinnspiel und weitere Informationen finden Sie auf: www.post.at/markenarchitektur

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