Rock The Casbah — Der Sound des arabischen Frühlings Hipster — Ein Nachruf / Homeland / Soap & Skin 123 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 123, FEBRUAR 2012
Marsimoto. PS Vita. Lana Del Rey. Das Märchen von der Subkultur. Charlie Brookers »Black Mirror«. Copyright im Design. Cindy Sherman. Cloud Nothings. John Talabot. Friederike Pezold. Im Wortwechsel: Was soll die Festplattenabgabe?
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Die Jagdsaison ist eröffnet.
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Leitartikel von Thomas Weber
Weltuntergang, der
I
ch habe keinen einzigen dieser blödsinnigen Artikel über den Weltuntergang gelesen. Maximal den Titel, aber spätestens beim ersten Maya-Blabla bin ich ausgestiegen. Nicht, dass ich mich nicht für frühe Hochkulturen begeistern könnte. Doch welchen Erkenntnisgewinn, welchen Mehrwert kann einem die massenmediale Aufbereitung antiker Weissagungen über das angebliche Ende aller Tage im Jahr 2012 bieten, der es ernsthaft wert wäre, dafür Lebenszeit zu opfern? Eben. Ich weiß: Wäre ich konsequent, dürfte ich selbst kein Wort darüber verlieren. Dennoch beschäftigt mich das. Da ist ein Thema, das keines ist, das niemand ernst nimmt (außer ein paar wirklich bedauernswerte Angsthasen vielleicht), das keinem etwas bedeutet und das trotzdem alle Welt nachbetet. Beängstigen muss einen das nicht, nein. Denn dazu ist es viel zu egal. Und die Argumentation, dass dadurch Brisantes und Entscheidendes aus dem Blickfeld verdrängt würde, ist spätestens mit der 1.0-Weltsicht untergegangen. Es ist nicht mehr so, dass ein Weltuntergang die Kanäle fürs wirkliche Weltgeschehen verstopft. Befremden tut mich das alles aber dennoch.
Denn er war nicht nur flächendeckend präsent. Es erscheint sogar ein eigenes Magazin – 2012: das vielleicht letzte Magazin. Ja, ich habe es durchgeblättert. Professionelle Notwendigkeit halt und natürlich auch Neugier. Erster Eindruck: Passt eh alles. Schönes Layout, teure Autoren, wertige Haptik, ein ordentlicher Ziegel. Herzblut: null. Zweiten Eindruck wollte ich mir gar keinen mehr machen. Einfach nicht konsequent obskur genug. Wer’s braucht, greift gleich zu Peter Moosleitners interessantem Magazin (PM) mit seinem trashigen Zugang zwischen »Jackass« und »Curiosity Show«. Und das hab ich nicht zufällig das letzte Mal mit 14 in der Hand gehabt. Bekömmlich ist er ja, der Weltuntergangs-Hype: Als lauwarmes WellnessGruseln ermöglicht er es einem, sich beim Überblättern und Zappen vom Alltag abzulenken. Ganz schön absurd: ein Weltuntergang zum Wohlfühlen. Man kennt das von Roland Emmerich. Neu ist daran nur, dass jetzt nicht Hollywood, sondern sogar die »seriösen« Medien darauf setzen und ganz billig auf Pop machen. Vielleicht bin ich aber auch nur nostalgisch und manches – zumindest so ein Weltuntergang – war früher einfach wirklich besser? Das vielleicht letzte Wörterbuch, das es in meinen Bibliotheksbestand geschafft hat, ist der »Millenniums-Langenscheidt«. Den gab’s kurz nach der Jahrtausendwende bei Libro: einen glänzend
folierten Folianten Deutsch / Englisch – Englisch / Deutsch mit einem Appendix, der Begrifflichkeiten wie Y2K (year two kilo) oder Millennium-Baby dem Vergessen entreißt und absonderliche Akronyme auflöst: teotwawki etwa, das verrät einem mittlerweile auch Wikipedia, steht für The End Of The World As We Know It, das irgendwann einmal Nostradamus prophezeit hatte. Sogar eine »Pre-Millennium Tension« meinte ein finsterer Geselle namens Tricky schon 1996 zu spüren – und widmete ihr ein gar nicht ganz schlechtes Album. Kreative Geschäftemacherei, damals wie heute. Nur, wo heute ohnehin alles messbar ist, würde mich interessieren: Liest diesen ganzen Scheiß auch irgendwer, oder wird er bloß geschrieben?.
Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber
Bild michael winkelmann
Keiner glaubt dran, alle schreiben darüber. Wie selbst gute Berichterstattung ein Nicht-Ereignis fördert. Oder: It Is The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine).
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Soap & Skin Wie ein tiefschwarzer Komet ist Soap & Skin in Sphären aufgestiegen, die für Musik aus Österreich jahrelang unerreichbar schienen. In den drei Jahren seit ihrem Debüt und dem großen Rauschen im Blätterwald ist viel passiert, vielleicht zu viel. Der Kampf um das zweite Album schien lange Zeit ungewiss.
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Magazin Der Sound des Arabischen Frühlings 020 —— Ein Jahr nach den Erhebungen im arabischen Raum hat auch die Musikszene neue Helden, neue Idole und Stars. Wir porträtieren vier herausragende, teils ambivalente Protestmusiker.
Golden Frame: Friederike Pezold 024 —— In den 60ern konnte man mit nackten Brüsten noch provozieren. Und das umso mehr, wenn man sie verformt, entpersonalisiert und demontiert zeigt – wie Friederike Pezold das getan hat. Das Märchen von der Subkultur 026 —— Das alte Modell von der guten Subkultur gegen den bösen Mainstream funktioniert in Europa nicht mehr. Was stattdessen kommen kann, erzählt Jonas Vogt. Hipster – Ein Nachruf 028 —— Der Hipster war eines der bestimmenden Phänomene der letzten zehn Jahre. Ein Sammelband zerlegt die Figur abseits der üblichen Bashings. PS Vita 030 —— Sonys neue mobile Konsole brilliert wieder einmal durch technische Features, begibt sich aber auf heiß umkämpftes Terrain.
Ludwig 032 —— Die Agentur Ovos hat mit »Ludwig« das erste Serious Game entwickelt, das Schüler gerne spielen. Ganz nach dem Physik-Lehrplan. Charlie Brookers »Black Mirror« 033 —— Der britische TV-Macher Charlie Brooker nimmt uns in der Mini-Serie »Black Mirror« mit in eine verwirrende Medienzukunft. Homeland 034 —— Die US-Serie »Homeland« zeichnet ein Bild der allgemeinem Verunsicherungen im und durch den Krieg gegen den Terror. Soap & Skin 036 —— Nach einer langen Reise hat Soap & Skin ein Album aus sich heraus gequetscht. Ein Minialbum. Was ist seit ihrem fulminanten Debüt passiert? A Thousand Fuegos 038 —— Prägnant gegenwärtiger, überbelichteter Dunkelkammer–Discopop – das neue Album von A Thousand Fuegos. Cindy Sherman 040 —— Sie zählt zu den herausragendsten Künstlerinnen der Gegenwart. Die Kunstabteilung des Verbunds eröffnet erstmals Einblicke in ihr Frühwerk. Copyright im Design 042 —— Gegen Sampling kann geklagt werden, gegen Produktpiraterie kann man dagegen fast nichts machen. Peter Stuiber über Graubereiche im Design.
KLANGTHEATER NEU IM RADIOKULTURHAUS Es ist dunkel, unterirdisch und schalldicht – eine Art Stollen unter dem Funkhaus: Das KlangTheater wurde ursprünglich nur für das Hören gebaut. Gleich mit vier neuen Veranstaltungsreihen wird dieser einzigartige Raum seit Jänner 2012 bespielt.
WEITERE INFORMATIONEN UNTER: http://radiokulturhaus.ORF.at
Lana Del Rey Wir haben es geschafft: Wir haben Lana Del Rey nicht aufs Cover gegeben! Selten war ein Thema so bestimmend, selten ein Pop-Act so breit und überall besprochen wie Lana Del Rey. Was hat man nicht schon alles gehört, was ist nicht schon in ihre Lippen, ihre Vergangenheit, ihre Videos hineininterpretiert worden? Wir machen alles anders, ein bisschen.
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Kolumnen Zahlen, bitte Know Nothing
Bild der Ausgabe Gefühlte 123 Jahre hat uns der The-Gap-Stand begleitet, uns gute Dienste erwiesen, sich von euch bebrunzen lassen und war auch immer wieder Grund für Ärger und Mühsal. Beim FM4-Fest am 21. Jänner haben wir ihr das letzte Mal aufgebaut und bespielt – nun ist er entsorgt. Es gibt keinen Himmel und keine Hölle, auch nicht für einen The-Gap-Stand.
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© Ingo Pertramer
Leitartikel Inhalt Editorial Porträt / Impressum Fondue Fabula Rasa Unbezahlter Anzeiger Splitter Prosa: Swantje Marx Wortwechsel: Was soll die Festplattenabgabe? Workstation: Arnold Poeschl Garmz / Lookk: Das Geld-Paradoxon Reviews Trackspotting Introducing: Michael K. Williams Termine
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Drei Wunder auf einen Streich Bumm, wir haben gleich drei mittelschwere Wunder vollbracht: Wir haben uns unters Messer gelegt. Facelift, Rhinoplasty, Dekolleté straffen und auch das Hinterteil ist wieder knackig. Unsere Grafik-Abteilung nennt das Rebrush, ach was, Schönheits-OP volle Dröhnung. Mindestens! Wir mussten nur doch ein wenig ansparen, deswegen haben wir uns erst ein halbes Jahr später rundum erneuert, als geplant war. Dass jetzt alles lesbarer und aufgeräumter ist, muss noch am lebenden Objekt – also dem Heft, das du jetzt in Händen hältst, sofern du es nicht illegal runtergeladen hast – von dir getestet werden. Hate-Mails und Blutsbrüderanträge bitte bei den Adressen da unten einwerfen. Und noch etwas ganz Erstaunliches ist passiert: Wir haben es geschafft, uns in verschiedenen Storys jeweils den Theorieboden unter den eigenen Füßen wegzuziehen. Zuerst ist da die Subkultur (s. 020), die es – jetzt wissen wirs – in Wahrheit nie gegeben hat (s. 026). Der Hipster hat das immerhin verstanden, ist aber auch schon wieder weg (s. 028), und was danach kommt, bleibt maximal ungewiss. Ein umgedrehter Münchhausen sozusagen. Wir ziehen uns am eigenen Kragen in den Schlamm. Wunder Nummer drei: Wir haben Lana Del Rey nicht aufs Cover gegeben. Wer noch mehr Wunder braucht, zieht sich den haarsträubenden Plot von »Homeland« rein und staunt, wie unterhaltsam und nervenzerfetzend das trotzdem sein kann (s. 030). Oder, einer geht noch: Der Karl-Heinz ist noch immer nicht im Häfen. Wobei, das Wunder hatten wir definitiv nicht bestellt. Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap
Moritz Gaudlitz
Selina Nowak
Überqualifiziert und unterbezahlt — Frischlinge haben bei uns traditionell keine Eingewöhnungszeit. Wer nicht vom ersten Tag an Top-Qualität liefert und sich ein dickes Fell zulegt, geht mitunter freiwillig gleich wieder. Für Multitalent Moritz kein Problem. Nachdem wir uns daran gewöhnt hatten, dass er den obersten Hemdknopf prinzipiell geschlossen trägt, empfahl sich der geborene Münchener neben top Praktikanten-Jobs (»Bitte bla ankündigen«, »Gallery?«) auch für höhere Weihen und überzeugte mit entspannten Auflegereien bei The-Gap-Partys oder Texten über die Parallelen zwischen David Guetta und The XX. Musikalisch machte Moritz nach dem Kauf seiner ersten LPs im Alter von 14 eine relativ typische Entwicklung von BaggiePants zu engen Hosen durch und landete zuerst im Umfeld des Harry Klein, später dann in Wien. In weiterer Folge plant er den Weltruhm mit seinem zwischen München, Wien und Paris pendelnden Bandprojekt Poétique Électronique. Oder halt erfolgreich schreiben. Fun Fact: Moritz absolvierte sein Bachelorstudium in Theater-, Film- und Medienwissenschaft in einer Rekordzeit von zwei Jahren. Damit ist er für The Gap akademisch bereits deutlich überqualifiziert.
Trans-Orient Express — Selina Nowak stand eines Tages plötzlich bei uns auf der Türschwelle. Sie: Coverstory? Wir: Kein Problem. Oder so. Sie hat Arabistik studiert, nach dem Bachelor aber beschlossen, das Studium seltener linguistischer Wurzelkonstruktionen erst einmal auf Eis zu legen und sich ihrer journalistischen Karriere zu widmen. Nach einem Radiojahr in Hamburg bei ByteFM lebt sie nun wieder frisch und voller Tatendrang in Wien, schreibt für diverse Zeitungen und Magazine (norient.com, www.zenithonline. de, Standard, Wiener Zeitung), produziert monatlich eine Radiosendung mit dem monströsen Namen »Frau Nowaks Transorientalischer Musikexpress«, bereist die Welt, malt Bilder, pflanzt Gemüse, singt, boxt und freut sich des Lebens. Um vielleicht doch noch irgendwann ein MA auf ihre Visitenkarte drucken zu können, studiert Selina jetzt außerdem Islamwissenschaft. Ihre Spezialgebiete sind wenig überraschend die Schnittbereiche von (meist arabischer) Musik, Literatur, Popkultur und Politik. Wen könnte es da noch wundern: Wärme mag sie, Kälte nicht. TEXT HANS HORVATH BILD selina nowak
TEXT Jonas Vogt BILD Tim Oliver Schultz
Impressum
HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Katharina Abpurg, Niko Acherer, Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, David Bogner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Lisa Gotthard, Manfred Gram, Dominique Gromes, Manuel Fronhofer, Benedikt Guschlbauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Lukas Hoffmann, Peter Hoffmann, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Enrico R. Lackner, Artemis Linhart, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Florian Obkicher, Michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karoline Podolecka, Christian Prenger, Teresa Reiter, Werner Reiter, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Bernhard Schmidt, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Cornelia Stastny, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Raphaela Valentini, Jonas Vogt, Ursula Winterauer, Imre Withalm, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Andreea Dosa, Moritz Gaudlitz, Teresa Pentzold termine Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Sig Ganhoer, Philippa Grob WORKSTATION-FOTOstrecke Arnold Pöschl ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Monopol Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, Codeon, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Bernhard Schmidt PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— erscheinungsweise 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
JÉRÔME BEL (F) The show must go on
FR 17. FEB. & SA 18. FEB. 20.30 h in TQW / Halle E (Wiener Version) — Diese Veranstaltung ist Teil des neuen TQW 3er-Abo im Frühjahr 2012 mit FABRICE LAMBERT (F) & CAROLYN CARLSON (USA) — Mehr Info unter www.tqw.at, T.: 01-581 35 91 und abo@tqw.at —
© Mussacchio Laniello
Ein Klassiker der PerformanceGeschichte mit Hits aus 30 Jahren Popmusik – exklusiv in Wiener Version.
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N DU E
Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at
BILD ANDREA FAISSNER-MUTH
Drüben werden die Dinge halt beim Namen genannt … fotografiert in Mariska-Székesfektérvár.
BILD lisa stadler
Das Puff hat immer Saison, bzw. wie es im Lokalkolorit lautet: „Eineg’steckt is!“ Später geht’s rüber zur »Bloshittn«.
BILD brigitte woda-stabl
BILD daniel vonier
Dauerparker á la Costa Concordia sind in den heimischen Binnengewässern ja nicht so gern gesehen.
BILD NIKO ALM
Auch Giorgio »Al Clonno« Clooney musste als Werbeträger klein anfangen, bis ihn Nescafé schließlich aus seinem Deal mit der »Pizzeria Risotto« auskaufte. BILD sigrid bürstmayr
Heute saugen wir, bis der Notarzt kommt! Oder das hurnsvermaledeite ACTA.
Da wäscht die öffentliche Hand hoffentlich nicht nur die andere, sondern am besten gleich alle, die in den Topf langen.
kt dir? e? um stin für die Bühn ra e b ro it re e b ! Der P ! t e and is endwo Chanc icht irg en Deine B dBy ist EURE n r a w r te . Und z eschafft hab Suppo Bühne g auf die die es schon eichs h c u e llen sterr ands, Ö s B n n Wir ste o o ti v pport n Loca » als Su ngesagteste a n e d » in f ht’s au Los ge
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Fabula Rasa Die Kolumne von Georg Cracked. Neue Standards in Sachen vertretbarem Kulturpessimismus.
Praktikant_in: sehr gern! Das Monopol Medienhaus sucht 2012 Praktikant_innen Grafik / Design. Du bist motiviert, Medien aller Art (von The Gap über Waves Vienna zu Corporate Publishing) mitzugestalten und dabei Know-how mitzunehmen? Du kannst deinen Photoshop, deinen Illustrator und dein Indesign? Bist aber auch abseits der Adobe-Suite gestalterisch und / oder konzeptionell tätig?
Passt. Portfolio bitte an ganhoer@monopol.at
Betretenes Schweigen verboten. Im Sauwald hirscht Ruhe und Ordnung. Alleinsein ist die beste Medizin gegen Einsamkeit. Auf der Saualm gibt’s keine Hündin. Es reicht. Und dann war zu Weihnachten schon wieder einmal Silvester und ich mag Silvester nicht. Wegen dem Rumgeknalle, dem verordneten Saufen und wegen der ganz allgemeinen Sinnlosigkeit des ganzen Tages vor und des ganzen Tages nach Silvester (inklusive Neujahrskonzert). Aber dann war es auch schon wieder vorbei und es sind zumindest ein paar Dinge geblieben, die die diesjährige Silvesterparty bei Freunden denkwürdig gemacht hat. Und zwar insbesondere die eine Frau aus Niederösterreich, MBAKollegin der Freundin eines der zwei Gastgeber und nicht zu erfinden. »Dass es jetzt so viele Produkte aus Heumilch gibt, finde ich richtig gut«, sagt sie, »weil seitdem ich Veganerin bin, sind mir Joghurt und Milch und Käse schon sehr abgegangen, irgendwie.« Betretenes Schweigen rundum. »Mein Lieblingsschriftsteller ist Haruki Murakami«, sagt sie, „aber ich lese seine Bücher nur im englischen Original. Das bin ich mir als Literatin schuldig.« Betretenes Schweigen rundum. »Ich finde Nestroy total gut«, sagt sie und meint das Indie-DanceProjekt aus den USA, doch da kommt plötzlich Zustimmung, auch wenn ich natürlich ausschließlich an den österreichischen KlassikerDramaturgen dachte. Aber was soll’s? Niemand hat jemals behauptet, das neue Jahr würde mit Sicherheit viel besser werden als das vorige – außer vielleicht Matthias Horx und Werner Faymann und ob es beide selbst glauben, ohne in ihren Think Tanks nachgefragt zu haben? Nein, die ersten paar Wochen haben schon bewiesen, dass sich einzig geändert hat, dass die Unerträglichkeit ein Ausmaß angenommen hat, dass sie endlich, nun ja, unerträglich macht. Denk mal über diesen Satz nach: Die Unerträglichkeit wird immer schlimmer! Wie denn, noch schlimmer als unerträglich? Die Antwort: so schlimm, dass inzwischen alteingesessene Kabarettisten das Handtuch werfen, weil sie links und rechts von der Realität überholt werden. Selbst für diese kleine Kolumne wird es immer schwieriger, Themen und Aussagen zu finden, die noch satirisch sind, nicht real aber auch nicht menschenverachtend und oberflächlich. Wenn ihr also Vorschläge habt, dann schickt sie bitte. Danke. »Let the train blow the whistle when I go.« (Johnny Cash, 1932–2003 – R.I.P.)
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Das neue album „befehl von ganz unten“. mit Dem hit „bück Dich hoch“ u.v.m. ab 10.02.
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Alle Waren und Dienstleistungen dieser Welt sind gleich gut. Die scheinbaren Unterschiede werden nur im Kopf der Konsumentinnen erzeugt, u.a. bzw. v.a. mit Werbung, d.h. z.B. mit bezahlten Anzeigen. Auch in diesem Heft gibt es davon welche, und nur die bewusste Verknappung vermag dem Impact noch ein zusätzliches Momentum zu verleihen. Um einer drohenden Branchenmonopolisierung eine angemessene Blockade entgegenzustellen, finden sich an dieser Stelle einige unbezahlte Anzeigen – Segnungen des Konsumiversuns.
Unbezahlter Anzeiger
AIRDROP IRRIGATION
Ist kein Dateiwurmloch aus dem Mac OS X Reklamezettel, sondern Preisträger des heurigen James Dyson Awards. Und dient zur Gewinnung von Wasser aus Luft, v.a. auch in trockenen Gebieten. Weil auch in der wüstesten Wüste mitunter eine relativ hohe relative Luftfeuchtigkeit herrscht – z.B. 64 % in der Negev-Wüste. Sprich da könnte man theoretisch 11,6 ml Wasser aus einem Kubikmeter Luft melken. Dazu braucht’s allerdings etwas mehr als vorgewärmte Hände, und Edward Linacre hat eine Lösung gefunden. Damit sich der Beduine bald wirklich nur mehr ums Filesharing Sorgen machen muss.
APP GUN
Schluss mit hornhäutigem Gefummel bzw. traniger Schlierenbildung auf der iPhone-Auslage. Mit den Fettfingern am Abzug bleibt zukünftig das Glas schön sauber, während man einen Gegner nach dem anderen mit der Plastikwumme zu Eingeweide-Eierspeise schießt. Derzeit gibt es lediglich drei Spiele die damit funktionieren, daher gibt‘s das Augmented Reality-Spiel »Alien Attack« auch gleich mal dazu. Da tauchen Aliens hintem heimischen Sofa auf, und gehen erst nach wildem Geballere drauf. Bzw. falls nicht, packen sie beim zehnten Versuch ihre Sachen und ziehen erst mal für ein paar Wochen zu Mama.
AERODREAM ONE
Seit 2011 produziert Jean-Michel Jarre nebst Weltraummusik und Laserspektakeln auch Lautsprechersysteme. Diese richten sich bislang an »iDevice«-Besitzer. Auch der spektakuläre neueste Streich, der AeroDream One, gilt dem iPad, schenkt mit seinen bescheidenen 3,5m Höhe (Leiter inkludiert) und 10.000 Watt den iPad-Sound aber schon mit ordentlich Prozenten aus. Und erinnert dabei auch noch an einen LKW-Auspuff. Der Preis des lauten Ungetürmchens ist unbekannt, jedenfalls aber sind 2 Konzerttickets sowie ein meet-and-greet mit Jarre inkludiert. Woohoolloomooloo! www.jarre.com
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Philippa Grob (Künstlerin / Super-Fi)
TOP 10 ÄRGERLICH
01 Rauchverbot 02 Musicals 03 Menschen mit Normalgewicht auf Diät 04 Kreischende Babys 05 Erwachsene, die Babysprache sprechen 06 Kleidungstipps von Verwandten 07 Worte wie »Chakra« und »däncen« 08 Das Kinn von Keira Knightly 09 Psychosemmerl 10 Harte Kiwis
TOP 5
FEMINISTISCHE HORRORFILME
01 I Spit On Your Grave 02 Ginger Snaps 03 The Slumber Party Massacre 04 The Company Of Wolves 05 May
auch nicht schlecht:
Digitale Mixtapes auf www.8tracks.com
Vera Kropf (Louise Pop)
TOP 10
ZUM SCHEITERN VERURTEILTE VORHABEN
01 Sich verlieben 02 Sich nicht verlieben 03 Drüber stehen 04 Einen Café Latte im Westend bestellen (Julia W., Berlin) 05 Ein Kamel durch ein Nadelöhr bringen 06 Mit Wildschwein im Sacher dinieren (schön wär’s aber!) 07 Einen Hypochonder heilen 08 Mit einer Würgeschlange kuscheln (Mogli) 09 Mit einem Kolibri knutschen 10 Keinen Wutanfall bekommen
TOP 5
INSTRUMENTAL SURF CLASSICS FÜR HERZ UND HÜFTEN
01 Sleep Walk – The Lively Ones 02 Rumble – Link Wray 03 Theme From Endless Summer – The Sandals 04 Walk Don’t Run – The Ventures 05 Tales Of A Raggy Tramline – The Shadows
auch nicht schlecht: Steak (oder, für Vegetarier: Filme von Ernst Lubitsch) gegen Liebeskummer.
Pro Games: Spiele und die Wissenschaft Am 1. März 2012 ist Martin Lorber, PR Director von EA Deutschland, zu Gast bei Subotrons Pro Games und spricht über die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft in der digitalen Spielkultur. Was ist der jeweilige Beweggrund für Spiele(-Industrie) und Wissenschaft, sich miteinander zu beschäftigen? martin lorber: Für uns geht es in erster Linie um Erkenntnisgewinn. Die Wissenschaft beschäftigt sich aus ganz unterschiedlichen Richtungen mit Games. Nicht immer fließen Erkenntnisse der Wissenschaft direkt in die praktische Arbeit ein, aber über den Gegenstand, mit dem man sich beruflich beschäftigt, zu reflektieren, ist immer hilfreich. Und es hilft dabei, Vorurteile abzubauen. Was unterscheidet die wissenschaftliche Beschäftigung mit Games von anderen Feldern der Medienwissenschaften? Wir erleben gerade den Prozess der Ausbildung einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin »Gameswissenschaft« oder »Game Studies«, wobei hier vieles noch im Fluss ist. Es handelt sich bei Computerspielen um ein interessantes mediales Phänomen, das sich sehr schnell weiterentwickelt, viele technische und ästhetische Möglichkeiten der audiovisuellen Gestaltung vereint, in vielerlei Hinsicht avantgardistisch ist und das Mediennutzungsverhalten vieler Menschen prägt. Daher verwundert es nicht, dass sich viele wissenschaftliche Disziplinen dem annähern. Die oft zitierten Game Studies machen nur einen sehr kleinen Teil der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Spielen aus? Dass die Wirkungsforschung außerhalb des akademischen Bereichs deutlicher als andere wissenschaftliche Disziplinen wahrgenommen wurde, liegt daran, dass man im deutschsprachigen Raum nach dem Aufstieg der Computerspiele zu einem Massenmedium sich diesen zunächst sehr vorsichtig, gelegentlich auch alarmistisch genähert hat und darin eher ein Gefahrengut und kein Kulturgut gesehen hat. Diese Zeit haben wir aber hinter uns. Welchen Wert haben Untersuchungen, die sich im Abstand von Monaten oder Wochen ständig widersprechen? Ich denke, der pauschale Vorwurf, Wissenschaft könne willkürlich jede These und jede Ansicht belegen, ist unangebracht. Das heißt natürlich auf der anderen Seite auch nicht, dass alle wissenschaftlichen Aussagen die gleiche Güte haben. Dass sich Wissenschaft aber beständig weiterentwickelt, neue Fragen stellt und bestehende Antworten überprüft, gehört zu den Wesensmerkmalen des wissenschaftlichen Fortschritts. Man sollte aber auch bedenken, dass nicht jeder »Experte« Wissenschaftler ist oder mit wissenschaftlichem Anspruch arbeitet. Gibt es konkrete Beispiele, die Ihnen einfallen, in denen die Games-Industrie direkt auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen hat? Viel spannender finde ich die Entwicklung, wie Erkenntnisse aus der Games-Industrie in anderen Branchen benutzt werden. »Gamification« hat ja als Motivations– und Belohnungskonzept durchaus einen neurowissenschaftlichen Hintergrund. Müssten nicht viel mehr Wirtschaftsbereiche Interesse daran haben, an gesicherte Erkenntnisse aus der Gamesforschung zu kommen? Das kann ich mir gut vorstellen. Ich glaube auch, dass wir in den kommenden Jahren noch viele spannende Entwicklungen und Vernetzungen sehen werden. subotron.com/pro-games — Eine längere Version dieses Interviews ist auf www.thegap.at online.
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Mobile Award Austria 2012 Business goes mobile
Gewinner Gala Julius Raab Saal, WKÖ Donnerstag, 01. März 2012
Fauners Ende?
19:00 – 20:30 Uhr
www.mobileaward.at
Am 31. Jänner 2012 ging die letzte Folge der ersten Staffel von »Fauner Consulting« online. Regisseur Georg Weissgram hat uns ein paar Fragen beantwortet. Wie waren die Rückmeldungen zu eurer Serie? Allgemein positiv, weil etwas passiert? georg weissgram: Die Reaktionen waren überwiegend positiv. In erster Linie das Gesamtprojekt und die Sendung übers Internet betreffend, aber auch einzelne Bereiche wie Schauspiel, Kamera oder Drehbuch wurden immer wieder hervorgehoben. Gab es auch Kritik oder Verbesserungsvorschläge? Gab es natürlich auch, aber meistens betraf die Kritik Bereiche, wo wir aufgrund der knappen Ressourcen nicht viel Spielraum hatten. Wie war das Feedback aus der Branche? Etwa von Programmgestaltern von TV-Sendern? Auch das Feedback von Kollegen war sehr wohlwollend. Und ja, es gab schon zarte Kontaktaufnahme von Seiten der Programmgestalter und Produzenten – was uns besonders gefreut hat. Denkt ihr daran, das Projekt nun weiter zu verwerten, etwa als DVDVeröffentlichung? Wir planen eine DVD herauszubringen, konkrete Details wird es hoffentlich in den nächsten Wochen geben. In Interviews erzählt ihr von der genossenen Freiheit, die ihr auch in einem Nachfolger gerne hättet. Woraus bestand diese Freiheit? Manche Dialoge und die Freiheit in der Handlungsgestaltung wären in einer größeren und kommerzielleren Produktion wahrscheinlich schwierig umzusetzen gewesen. Es war aber nicht unser Ziel, zu provozieren oder unbequem zu sein. Die Serie sollte möglichst authentisch und realitätsnah sein. Wir wollten Dinge ansprechen, die aus dem Leben gegriffen sind, ohne uns der politischen Korrektheit oder den Konventionen der Branche unterwerfen zu müssen. Könnt ihr konkrete Learnings benennen, die euch vielleicht auch für zukünftige Jobs und Aufträge helfen? Da kann ich nur für mich sprechen. Ich hab sehr viel mitgenommen aus den letzten Monaten, zuviel, um Einzelnes aufzählen zu können. Die intensive Arbeit mit dieser Gruppe von tollen Kollegen ist eine Erfahrung, die unbezahlbar ist. Bleibt uns »Fauner« erhalten oder denkt ihr auch an gänzlich neue Projekte? Wir würden gerne eine zweite Staffel drehen, es müssen aber die Rahmenbedingungen passen. Eine Fortsetzung unter den Umständen von Staffel 1 ist sehr unwahrscheinlich.
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Motion-Design & mehr www.fauner-consulting.at acebook.com/nkedfilm www.nked.at
Film, Motion-Design & mehr www.facebook.com/nkedfilm www.nked.at
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Niko Ostermann (The Gap, Fußball, und so)
TOP 10
MUSIKVIDEOS OHNE FARBE
01 Radiohead – Street Spirit (Fade Out) 02 White Stripes – I Just Don’t Know What To Do With Myself 03 Nirvana – In Bloom 04 Eels – Novocaine For The Soul 05 Apparat feat. Soap & Skin – Goodbye 06 Tyler The Creator – Yonkers 07 Amy Winehouse – Back To Black 08 Nine Inch Nails – Pinion 09 Björk – Big Time Sensuality 10 Woodkid – Iron
TOP 5
NAMEN, DIE ICH MIR AUCH NICHT AUSGESUCHT HABE
01 Haitiopfer 02 Vietnamopfer 03 Kakaobär 04 Easter 05 Lukas
auch nicht schlecht: Drei Mal täglich Pho gà.
www.thegap.at/gewinnen HTC RADAR
HTC baut immer schon äußerst schöne und angenehm zu handhabende Handys. Seit einiger Zeit harmonisieren diese auch mit Windows – aktuell in der Ausführung 7.5. Wie von diesem Betriebssystem gewohnt, kommt der Kontakte-HUB besonders gut, in dem alle Infos – von der Telefonnummer bis zum Facebook-Status – übersichtlich vereint werden. Die Gesichtserkennung der Kamera macht die Zuordnung der Freunde noch leichter. Wir verlosen 1 Exemplar in weiß. Betreff: 123 People in meinem HTC
Luups
Anna Kohlweis (Paper Bird, Squalloscope)
TOP 10
ALS ERSTES BEIM AUSSER HAUS GEHEN ZU HÖRENDE LIEDER
01 Bill Wells & Aidan Moffat – (If You) Keep Me In Your Heart 02 Sound Of Rum – Concrete Pigeon (feat. Polar Bear) 03 Sage Francis – Love The Lie 04 The Zombies – This Will Be Our Year 05 TV On The Radio – Repetition 06 The Great Park – The Royal Canal 07 Neuschnee – Kettenkarussell 08 Mountain Goats – If You See Light 09 John Frusciante – The Past Recedes 10 The Due Diligence – I Will Wreck Your Life
TOP 5
MENSTRUATIONSBESCHWERDEN
01 Unterleibskrämpfe 02 Kribbeln im linken kleinen Finger 03 Temporäres umfassendes Wissen über Quantenmechanik 04 Unerklärliche orale Absonderung von Gewöll 05 Röntgenblick
auch nicht schlecht: Orangen im Salat.
Luups ist ein wunderbares Geschenk, denn man schenkt im Grunde Zeit: In einem Luups-Buch werden Gasthäuser, Geschäfte, Museen, Clubs und einiges mehr vorgestellt und gleich ein Gutschein obendrauf gelegt. Nimm zwei, zahl eins – so lautet meistens die Devise. Und so kann man alte Schulfreunde auf ein Essen ins Aromat einladen, mit der neuen Kollegin einen Abend in der Postgarage verbringen oder den Papa ins Wien Museum einladen. Und es kostet nicht mehr, als wenn man alleine gehen würde. Erhältlich für Graz und Wien. Wir verlosen je 2 Exemplare. Betreff: 123 Mal Zeit dank Luups
I’m Still Here
Joaquin Phoenix, der lebende kleine Bruder, gibt die Schauspielerei auf und wird lieber verwahrloster Rapper – und lässt sich dabei von Casey Affleck, dem cooleren kleinen Bruder, filmen. Einer der feinsten Hoax-Filme überhaupt und wie gemacht für uns coole Medien-Checker. Wir verlosen 3 DVDs. Betreff: 123 Minuten Phoenix aus der Rapper-Asche
2 × peter kern
Peter Kern ist seit Jahrzehnten einer der verlässlichsten und mitunter unbequemsten Filmemacher Österreichs. Die Filmgalerie 451 huldigt seinem Werk nun mit der Veröffentlichung mehrerer DVDs. Wir verlosen 2 Pakete bestehend aus »Blutsfreundschaft« (im Spannungsfeld zwischen NS-Phrasen und Homosexualität) und »Hamlet – This Is Your Family« (der Doku über Schlingensiefs »Hamlet«-Inszenierung). Betreff: 123 österreichische Großtaten wider die heimischen Unerträglichkeiten
Cineproject
20th Century Fox erweitert ab Februar seine Cineproject-Reihe (www.fox.de/cineproject). Wir verlosen ein Paket bestehend aus je einer DVD von »Win Win«, mit Paul Giamatti als erfolglosem Anwalt und Trainer, dessen Leben von einem Teenager durcheinander gebracht wird, plus Danny Boyles »127 Hours« und Terry Gilliams »Brazil«. Betreff: 123 Filme unserer Jugend
AM RAD
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Fuchsbau für Kreative In einem leerstehenden Gebäude in der Wiener Westbahnstraße eröffnet am 1. März das 365 – The Fox House. Die Betreiber wollen ein Jahr lang Kreativen die Türen öffnen. Die Fassade von ROA bemalt zu bekommen, ist mal ein guter Start … Das war irgendwann im Sommer 2011, zu dieser Zeit gab ROA eine Ausstellung in Wien, Nicholas Platzer von der Inoperable Art Gallery hat den Kontakt eingefädelt. Und wir haben das alles ganz amtlich gemacht, von der Genehmigung vom Eigentümer bis hin zur beaufsichtigten Malaktion vor Ort. Das Motiv ist dabei spontan entstanden und mittlerweile Namensgeber des Fox House. Wer ist 365 – The Fox House? Toni Tramezzini hatte den Kontakt zum Eigentümer und die Gelegenheit sprichwörtlich am Schopf gepackt. Er bringt die nötigen Kontakte zur Baubranche ein, die bei einem baufälligen Gebäude notwendig sind. Katrin Hofmann und David Kreytenberg machen den Fesch’markt und bringen die nötige Erfahrung als Veranstalter mit. Womit können Besucher konkret rechnen? Platz für Raum! Das Fox House bietet fünf Bereiche mit unterschiedlichen Themen: Fox Gallery (für Urban und Documentary Photography), Fox Off-Space (für Kunst und Installationen), Fox Fashion Store (für Design und Mode), Fox Kitchen (für wechselnde Köche), Fox Atrium (für Kunstinstallationen und gesellschaftliche Events und Fox Creatives mit Büros für Start-ups, Künstler und Handwerker. Auf eurer Liste fehlen Musik und Partys. Wollt ihr euch mit den Anrainern nicht anlegen oder hat das einen anderen Grund? Ja. Sorry! Was in diese Richtung entsteht, soll spontan passieren, behutsam und im kleinen Kreis. Uns wurde ein unendlich großer Vertrauensvorschuss gegeben und den möchten wir nicht verspielen. So ein Haus ist teuer – selbst wenn es baufällig und verrucht ist. Habt ihr reiche Eltern? Ein gesundes Maß an Naivität ist natürlich vorhanden, aber auch der wirklich ehrliche Wunsch, einfach mehr Ideen umzusetzen, die uns seit Jahren im Kopf rumschwirren. Derzeit finanzieren wir alles aus eigener Tasche. Wirklich Geld kosten die Projekte und der damit verbundene Aufwand. Wenn Förderer und Sponsoren ausbleiben, machen wir uns einfach einen Spaß zu dritt und spielen eben nur Tennis im Hof. Spielt ihr mit dem Gedanken, nach dem Jahr in einem anderen Gebäude mit ähnlicher Struktur weiterzumachen und eure Erfahrungen zu nutzen? Ja. Dieser Traum besteht tatsächlich. Auch weil wir mit dem Fesch’Markt und ähnlichen Konzepten bisher großen Erfolg haben, suchen wir einen solchen Ort, um all diese Projekte dort zu bündeln. Ich glaube auch, dass von Seiten der Investoren und Immobilienfirmen großes Interesse besteht. Denn was wir können ist, in einem relativ kurzen Zeitraum ein ganzes Viertel zu beleben. facebook.com/365thefoxhouse David Kreytenberg ist ein Mitarbeiter der Super-Fi-Gruppe.
SUBOTRON pro games:
Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen jeden Donnerstag im MuseumsQuartier / quartier21 / Raum D, 1070 Wien subotron.com/pro-games Diese wöchentliche Veranstaltungsreihe hat zum Ziel, durch die Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Community die Weiterentwicklung und Etablierung der österreichischen Games-Szene zu unterstützen und zu begleiten. Im Raum D des quartier21 im Wiener MuseumsQuartier präsentieren SpieleentwicklerInnen die Geschäftsmodelle, Finanzierung, Projekte, Vermarktung und Vernetzung ihrer Firmen, Ausbildungsstätten geben Einblick in Voraussetzungen, Lehrpläne, Schwerpunkte und Ziele ihrer Lehrgänge, die verschiedenen Berufe in der Gamesbranche werden erklärt und jeden letzten Donnerstag im Monat trifft sich die Games-Szene zum networking.
Do. 26.01.12 „Gamers Gathering“ – Branchenmeeting Do. 02.02.12 Die European Game Developer Federation: What do we need to fight for? Dr. Malte Behrmann, Generaldirektor des Europäischen Spieleentwickler-Verbandes, Berlin Do. 09.02.11 Spieleentwickler stellen sich vor : ovos media GmbH : Jörg Hofstätter Do. 16.02.11 Ausbildungsstätten stellen sich vor : Fachhochschule Joanneum Graz / Informationsdesign : Orhan Kipcak Do. 23.02.12 „Gamers Gathering“ – Branchenmeeting Do. 01.03.12 Eine schwierige Allianz – Chancen und Probleme der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft in der digitalen Spielkultur Martin Lorber, PR Dir. Electronic Arts Deutschland Do. 08.03.12 Spieleentwickler stellen sich vor : Team Vienna Games GmbH : Kaweh Kazemi Do. 15.03.12 Ausbildungsstätten stellen sich vor : Fachhochschule Salzburg / MultiMediaTechnology : DI Robert Praxmarer Do. 22.03.12 Gamer als Unternehmer Infoabend der Wirtschaftskammer Wien zu Unternehmensgründung und Businessmodellen in der Gamesbranche: Dr. Karoline Simonitsch Do. 29.03.12 „Gamers Gathering“ – Branchenmeeting Powered by www.creativespace.at – Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien
Medienpartner
Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger
65.000 65.000 Patente besitzt allein das chinesische Telekommunikationsunternehmen Huawei. Und das, obwohl Copyright und Originale in China angeblich nichts gelten.
M
an kennt das Gemaule: ein italienisches Modelabel, ein französischer Parfümhersteller, ein deutscher Ingenieur erfinden etwas, und die chinesische Wirtschaft imitiert die Erfindung. Im Silicon Valley wird programmiert, in Shanghai wird das Programm verwendet. Hollywood filmt, und in Peking verkauft man auf der Straße die Raubkopien. Die Kunstwelt malt, und in China gibt es ein eigenes Künstlerdorf, das Nachahmungen auf Bestellung im Akkord anbietet. China, so das gängige Urteil, ist eine Nation von Kopisten, die sich weder scheut, eine Reproduktion der berühmten Terrakottaarmee auf Museumstouren einzuschmuggeln und diese nach Auffliegen des Schwindels als gleichwertig mit dem Original auszugeben, noch das Beste aus anderen Ländern anzueignen. Die medial geschürte Angst vor der neuen Supermacht fördert das antichinesische Ressentiment, das in etwa so geht: Die Chinesen sind erstens zu viele, und zweitens gemein, denn sie kennen keine Ehre. Dass die Chinesen allesamt Betrüger sind und deswegen nicht einmal ein schlechtes Gewissen kennen, weil sie den Betrug nicht als Betrug anerkennen, davon war schon Hegel vor rund 200 Jahren überzeugt. Die Chinesen handelten »auf eine listige und abgefeimte Weise«, weshalb sich die Europäer hüten sollten, mit ihnen Handel zu treiben. Woher aber kommt diese moralische Verworfenheit? Hegel befragt seinen Weltgeist, und der gibt ihm die Antwort: Der Buddhismus ist schuld. Als Religion bete er das Nichts an und betrachte die Verachtung des Individuums als höchste Vollendung des Daseins. Der in Seoul geborene und in Karlsruhe lehrende und ein Büchlein nach dem anderen veröffentlichende Philosoph Byung Chul-Han widmet sich in seinem bei Merve erschienenen Essay »Shanzhai« dem fernöstlichem Verhältnis zu Original und Fälschung, Ursprung und Modifikation, Echtheit und Fake. Kann es sein, dass die fernöstlichem Kultur und Tradition dem westlichen Denken über geistiges Eigentum
widerspricht? Chul-Hans These ist steil: China hat niemals, wie der Westen, eine Dekonstruktion nötig gehabt, denn China bzw. der Ferne Osten denkt immer schon dekonstruktivistisch. Chul-Han bemüht dazu auch eine Analogie aus dem Schiffswesen. Wenn ein Schiff nach einer langen Reise um die Welt, bei der in diversen Häfen irgendwann jede einzelne Schraube ausgewechselt wurde, mit mittlerweile neuer Besatzung in den Heimathafen einer Stadt einläuft, deren Bewohner längst andere sind – ist es dann überhaupt noch dasselbe Schiff, das einst dort vom Stapel lief? Gegen die westliche Metaphysik von Sein, Wahrheit, Schöpfung, Wesen und Substanz setze das von solchen Metamorphosen inspirierte fernöstliche Denken auf das Lob des Prozesses und des Wandels, basierend auf einem Nihilismus, der aus dem Nichts trotzdem etwas macht – sei es durch Nachahmung, Kopie, Aneignung, Zitat, Umarbeitung oder Verbesserung des Vorgefundenen.
Shanzai – die Welt als Fake Shanzhai ist das chinesische Wort für Fake. Shanzhai kennt nicht nur schlechte Markenkopien, wie wir aus schlechten Reportagen zu wissen glauben, sondern auch Handys, die spannendere Apps haben als das Original. Zum Beispiel – ausgerechnet – eines zur Falschgelderkennung. Mittlerweile hört eine ganze Kultur auf das Wort. Es gibt Shanzhai-Bücher, Shanzhai-Filme, ShanzhaiStars, Shanzhai-Abgeordnete und ShanzhaiNobelpreise. Chul-Han geht sogar so weit, den Maoismus als einen Marxismus-Fake zu betrachten: Der Maoismus, behauptet er, ist ein Shanzhai-Marxismus, weil er einerseits die fehlende Industriearbeit im ländlichen China kurzerhand durch Bauern ersetzt und zweitens so hybride und wendig gebaut ist, dass er sich nun auch noch den sogenannten Turbokapitalismus aneignen kann und vielleicht zu einer Shanzhai-Demokratie mutieren wird. Nun könnte man an dieser Stelle sicher einwenden, dass auch das vorrevolutionäre Russland von 1917 nicht industrialisiert war (was auch schon von vielen Historikern bemerkt wurde) und folglich auch niemand
ernsthaft behaupten würde, es hätte jemals etwas anderes gegeben als Adaptionen und Abwandlungen einer idealen revolutionären Situation, die im Sinne von Marx einen entwickelten Kapitalismus voraussetzt. Viel grundsätzlicher könnte man fragen: Heißt das, dass die westliche Dekonstruktion uns nun den Weg zu einem Denken ebnet, das China immer schon besaß? Und umgekehrt: Inwieweit verändert sich in einer globalisierten, »chinesisch« hybridisierten Welt nicht auch eine kulturelle Konstruktion wie der Ferne Osten durch wahrheits- und substanzzentriertes Denken? Mittlerweile sind die Verhältnisse wechselseitiger Durchdringung ja längst so fortgeschritten, dass die copyrightversessenen US-Industrielobbys das Klagen auch nicht mehr gepachtet haben. Neun chinesische Autoren forderten unlängst 1,88 Millionen Dollar von Apple, weil ihre Werke als illegale Downloads in Apples App Store angeboten wurden. Der Computerkonzern profitiere direkt von den verkauften, unautorisierten Downloads der Bücher, so der Vorwurf. Umgekehrt singen Gipfelstürmer der westlichen Kulturinnovation das Loblied der Übung. Soziologen wie Richard Sennett erinnern an die Segnungen des Handwerks und an die beflügelnde Kraft der Wiederholung, die erst ganz langsam die Fähigkeit zur Erneuerung schafft. Martin Scorsese, der einstige New Hollywood-Star, verneigt sich vor den »alten Meistern«: »Ich fühle mich immer noch wie ein Student. Es gibt immer noch so viel zu lernen.« Die chinesischen Traditionalisten, die jahrhundertelang fleißig Altes kopierten und dabei sachte mehr und mehr umschrieben, würden dazu wohl nicken – und vielleicht einmal ihren Shanzhai-de-Niro im Shanghai-Taxi fahren lassen. Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at
Mit Gleichgesinnten rund um die Welt.
R e I s e Nº 25
»Auf den Spuren der k. u. k. Monarchie« Eine Ö1 Kulturreise, begleitet von Ö1 Redakteurin Mag. Friederike C. Raderer
dynamowien | Foto: shutterstock
Galizien kam 1772 durch die Erste Polnische Teilung an die Habsburgermonarchie. Vor allem unter Joseph II. wurden Galizien und die Bukowina zu »Musterländern« der Donaumonarchie, in denen viele Investitionen getätigt und auch Verwaltungsreformen ausprobiert wurden.
Reisetermine: 2.– 12. 6. 2012 7.– 17. 7. 2012 25. 8.– 4. 9. 2012
Ö1 Club-Preis: € 1.320,– p. P./DZ (statt € 1.390,–) ez-Zuschlag: € 175,–
Mehr zu Ö1 Reisen: i oe1.oRF.at/club Katalog beim Ö1 Service: t (01) 501 70-371 e oe1.service@orf.at
Beratung und Buchung: RUEFA Kultur- und Studienreisen t (01) 514 45 - 802 e mario.aininger@ruefa.at i www.ruefa.at
Der Sound des arabischen Frühlings Pop, Subkultur und Revolutionsmusik – Porträts aus Ägypten und Tunesien
Kann Pop die Welt verändern? Im Arabischen Frühling wurden unbekannte Musiker zu Symbolfiguren der Protestbewegungen. Haben sie den Aufstand befeuert oder nur die Begleitmusik eines Umsturzes geliefert, der auch ohne sie stattgefunden hätte? Über die Ambivalenzen von Revolutionsmusik.
Text Selina Nowak Bild #####
Text selina nowak Bild philippa grob, sig ganhoer, awk entertainment
2011 vom Time Magazine unter die 100 einflussreichsten Personen gewählt: El Général rappt zwar gegen Unterdrückung, aber ebenso gegen Amerika und Israel und scheint auch noch ziemlich religiös zu sein.
ede Revolution hat ihre Hymnen. Ob Kampflieder oder Freiheitsballaden – gerade in Zeiten des Umbruchs spielt Musik als Verstärker von Gefühlen eine große Rolle. Altmeister Gil ScottHeron meint gar: »Künstler sind dafür zuständig, bei den Leuten ein Umdenken zu bewirken. Wir bereiten den fruchtbaren Boden für Revolutionäre, sind aber selbst keine.« Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, das südafrikanische Anti-Apartheid-Movement, der Sturz der Diktaturen in Südamerika oder der Fall des Eisernen Vorhangs – all diese Ereignisse wurden von Musik begleitet, die bis heute noch legendär ist. Wie aber klingt der Arabische Frühling? Nicht erst seit 2011 singen und rappen junge Musiker in vielen arabischen Ländern für mehr Chancen und Gerechtigkeit. Die Videos stellen sie auf Youtube oder Facebook – und somit der ganzen Welt – zur Verfügung. Aber erst die Revolten in Tunesien und Ägypten rückten diese kleinen Musikszenen, die auch in ihren eigenen Ländern kaum mediale Präsenz hatten, plötzlich international ins Licht. Im Gegensatz zu den meisten arabischen Popstars zeigten viele unbekannte Künstler politisches Engagement, traten bei den Protesten auf und komponierten Revolutionssongs. Begeistert berichteten westliche Medien über täglich neue »Hymnen der Revolution«, die angeblich oder tatsächlich bei den Demonstrationen gesungen wurden. Im Juli 2011 erschien ein Sampler mit dem etwas sperrigen Titel »From The Kasbah / Tunis To Tahir Square / Cairo and Back – Our Dreams Are Our Weapons« (Network). Er versammelt viele dieser tunesischen und ägyptischen »Revolutions-Hits«, ist gewissermaßen ein Soundtrack zur Revolution in diesen beiden Ländern. Tunesien war das erste Land, in dem letzten Winter das Volk revoltierte. Auslöser war die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010. Die darauffolgenden Proteste richteten sich gegen das autokratische, korrupte Regime, die steigenden Preise und die hohe Arbeitslosigkeit, von der vor allem die Jugend des Landes betroffen war. Etwa 60 Prozent der tunesischen Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Der Akademikeranteil ist zwar relativ hoch, doch bedeutet ein abgeschlossenes Studium bei weitem keinen Ausweg aus der Perspektivlosigkeit.
El Général – die Stimme der tunesischen Revolution Einer, der sich mit den Zuständen in Tunesien nicht länger abfinden wollte, war der 23-jährige Pharmaziestudent Hamada Ben Amr. Als El Général veröffentlichte er schon am 7. November 2010 den Rap-Song »Rayes Le-Bled« (Präsident des Landes) über Facebook. Zum ersten Mal wagte es einer, den tunesischen Präsidenten direkt anzugreifen – manch böse Zungen spotten zwar, er wäre einfach nur zu blöd, seine Kritik an der Zensur vorbei in metaphorische Bilder zu verpacken, wie es die meisten seiner Rap-Kollegen taten. Allerdings: El Générals tunesischarabischen Lyrics trafen, untermalt von schweren HipHop-Beats, genau den Nerv seiner Generation. Der Song verbreitete sich wie ein Lauffeuer und wurde Teil der entstehenden Protestbewegung. Als dann im Dezember die großen Proteste losgingen veröffentlichte El Général ein weiteres Lied »Tunis Bladna« (Tunesien ist unser Land), in dem er direkt zur Revolution aufrief. Als das Regime auf seine Musik aufmerksam wurde, war es schon zu spät. Verhaftung und Gefängnis steigerten die Popularität des Rappers nur noch. Die internationalen Medien feierten ihn als »Stimme der tunesischen Revolution«, seine Songs erhielten weltweit Airplay auf etlichen Radiostationen und vom Time Magazine wurde El Général gar unter die 100 einflussreichsten Personen des Jahres 2011 gewählt. Dann hörten ein paar Journalisten bei seinen Liedern genauer hin und bemerkten: Der Typ rappt zwar gegen Armut und Unterdrückung, aber ebenso gegen Amerika und Israel und scheint dabei auch noch ziemlich religiös zu sein. In einem seiner Youtube-Musikvideos kämpft ein muslimisches gegen ein christliches Kreuzfahrerheer. »Mit der Unterstützung Gottes schaffen wir alles« heißt es da, von Palästina ist die Rede und der Befreiung aus der Sklaverei. El Général hängt sich auf seinen Konzerten die Nationalflagge seine Landes um, rappt »Allahu Akbar« (Allah ist groß), spricht in Interviews über eine internationale Verschwörung der Freimaurer und lässt markige martialische Kämpfersprüche. Groß war auch die Befremdung, als die »Stimme der tunesischen Revolution« ankündigte, er würde nicht zu den tunesischen Wahlen gehen. (Er tat es dann aber doch, wie ein weiteres Youtube-Video bewies.) Plötzlich wurde es in den westlichen Medien still um ihren einstigen Liebling. Hatte man sich zu euphorisch auf die Story dieses jungen Mannes gestürzt, hatte man einen Islamisten vorschnell zum Sprachrohr Tunesiens hochstilisiert? Umgekehrt stellt sich jedoch die Frage, warum wir bei US-Rapper Kanye Wests »Jesus Walks« mitwippen, aber Bauchweh bekommen, wenn junge Muslime ihre Religion propagieren. El Général’s Aussagen mögen vielleicht nicht die reflektiertesten sein, doch drückte er zur richtigen Zeit das aus, was die wütende tunesische Jugend fühlte – und die hört nach wie vor HipHop. Seine Songs haben in Tunesien eine Rap-Lawine ausgelöst. Unzählige neue HipHop-Gruppen sind entstanden, jeder (männliche) Jugendliche, der etwas auf sich hält, tut rappend seine Meinung kund. Früher wäre das undenkbar gewesen. Zwar gab es eine kleine Rapszene, doch wer bekannt werden wollte, hatte sich dem Regime unterzuordnen, es gab bestimmte thematische »No-Go«-Regeln, die man einhalten musste, um Konzerte spielen und CDs verkaufen zu dürfen. Heute ist HipHop sogar im tunesischen Fernsehen präsent und El Générals erstes Album »La Voix Du Peuple« (Die Stimme des Volkes), das dieses Jahr erscheinen soll, wird vom Kulturministerium gesponsert. Ob es uns nun gefällt oder nicht – Leute wie El Général haben das alte Regime in Tunesien gestürzt, Leute wie er haben aber auch im Oktober die an-Nahda Partei an die Regierung gewählt. (Ob diese Parte nun – »islamistisch«, »konservativ religiös« oder »moderat islamisch« ist, darüber scheiden sich die Geister und wird wohl an der zukünftigen Politik der tunesischen Regierung zu messen sein.)
Badiaa Bouhziri verbreitet die Atmosphäre von Woodstock.
Ramy Essam sang am Tahirplatz ein Ständchen für Mubarak: Hau ab!
Badiaa Bouhrizi – das Good Girl
Ramy Essam – der beharrliche Barde
Aus einem völlig anderen ideologischen Eck als El Général kommt Singer-Songwriterin Badiaa Bouhrizi. Wenn Général der Bad Boy der tunesischen Revolutionsmusiker ist, so ist sie als Pendant dazu das Good Girl. Ihre Musik ist eine Mischung aus arabischem Singer-Songwriting mit Jazz-, Reggae-, Rock und Popelementen, durchdrungen von orientalischen Verzierungen. Die Texte drehen sich oft um Liebe und andere menschliche Gefühle. Wenn Bouhrizi singt, schließt sie die Augen und legt ihre ganze Leidenschaft in diesen Moment. Vor allem in der Weltmusikszene ist die Sängerin ein Begriff, weshalb sie viel ins Ausland eingeladen wird. Bouhrizi engagiert sich schon seit Jahren auch politisch. Ihr Bruder, ebenfalls Musiker, wurde unter Ben Ali aufgrund seiner Texte eingesperrt, sie selbst musste nach London fliehen, als sie ein Lied über einen Demonstranten schrieb, der bei Antikorruptionsprotesten in der tunesischen Stadt Redayef 2008 getötet worden war. Während des Arabischen Frühlings protestierte sie singend mit der Gitarre in der Hand vor der tunesischen Botschaft in London. Genau dasselbe taten viele andere tunesische Musiker der alternativen Songwriter-Szene auf den Demos in Tunesien. Sie wirkten dabei weniger wie revoltierende Wutbürger, sondern mehr wie Friedensaktivisten auf den Anti-Vietnam Demos der 70er Jahre. Ihr Einsatz für Frieden und Demokratie ging auch nach dem Sturz Ben Alis weiter. Badiaa Bouhrizi und fünf weitere tunesische Musiker, wie der relativ populäre Bendir Man, haben vor den tunesischen Wahlen im Oktober im Auftrag der Vereinten Nationen einen Popsong mit dazugehörigem Video namens »Enti Essout« (Du bist die Stimme) aufgenommen, um die Leute zum Wählen zu mobilisieren. Ob es aber dieses Lied war, das zu einer 90-prozentigen Wahlbeteiligung führte, darf bezweifelt werden.
Auch in Ägypten stürzte das Volk seinen Präsidenten und wählte daraufhin eine islamisch geprägte Regierung an die Macht. Der Staat am Nil ist ein politisches, ökonomisches und kulturelles Schwergewicht: Ursprungsland einflussreicher Ideologien von Pan-Arabismus bis muslimischem Fundamentalismus, Sitz der Arabischen Liga, Standort zahlreicher Universitäten und seit jeher Zentrum der arabischen Medien-, Musik- und Filmindustrie. »Platz der Befreiung« ist passenderweise die Übersetzung von Midan at-Tahrir. Der Tahrirplatz in der Innenstadt Kairos wurde 2011 zum Symbol der ägyptischen Protestbewegung. Tausende Menschen versammelten sich dort, um gegen Präsident Mubarak zu demonstrieren. So auch Ramy Essam. Bis zur Revolution war der 23-jährige Ägypter ein einfacher Student gewesen, der zum Zeitvertreib dann und wann auf seiner Gitarre klimperte und mit seiner Band ein wenig Softrock spielte. Als sich Ende Jänner immer mehr Menschen zu Demonstrationen versammelten, erklomm Essam eine Bühne am Tahrirplatz und sang »Irhal« (Hau ab). Eine unmissverständliche Botschaft an den Präsidenten. Von da an begleitete Essam fast täglich die Demonstranten mit der Gitarre beim Skandieren von Parolen, die den Sturz Mubaraks forderten, harrte mit ihnen in der Zeltstadt am Tahrirplatz aus und wurde mehrere Male von regimetreuen Schlägertrupps verprügelt, ja sogar mit Elektroschocks gefoltert. Doch kehrte er – noch mit den frischen Wunden im Gesicht – immer wieder auf den Tahrirplatz zurück, um seine politischen Lieder zu singen. Am 21. November erhielt Ramy Essam für seinen Einsatz von der schwedischen Freemuse Organisation, einer Stiftung, die sich weltweit gegen Musikzensur einsetzt, den Freemuse Award 2011. Was aber ist ein Revolutionsmusiker nach der Revolution? Zwar haben Essams kritische Texte einen gewissen Witz und Charme, wirklich revolutionär klingt seine Musik aber nicht. Der Held mit der Gitarre arbeitet nun an einem Album mit Songs vom Tahrirplatz. »Al-Midan« (Der Platz) soll es heißen. Trotz schicker Pressefotos und mittlerweile professionellem Management – vermutlich wird Essam auch in Zukunft ein musikalischer Underdog bleiben.
Subversive Subkultur Im arabischen Raum haben Songwriter, Hip Hop und Metal noch ihre subversive Wirkung. Kritik an den Mächtigen wird bestraft und verfolgt. Streiflichter vom Sound des Arabischen Frühlings.
Wenn Punks durch die Straßen ziehen, schlottern den Bankern die Knie und die Polizei ist nicht weit. Das war einmal – im Westen haben Subkulturen ihre System-zersetzende Wirkung längst verloren (siehe auch »Das Märchen von der Subkultur« S. 026). Anders ist das vom Atlas- bis zum Elbrus-Gebirge. Kritik an Königen und Präsidenten kann handfeste Konsequenzen haben. Das reicht von Boykotten über Schläge, Folter und manchmal sogar tödlichen Unfällen. Die Repressionen sind vielfältig, die Formen der Opposition mit Hilfe von Musik ebenfalls. Als sich Mitte der 90er, ein libanesischer Jugend-
licher mit der Waffe seines Vaters, einem Offizier, erschoss, wurde der Schuldige schnell in seinem Kinderzimmer gefunden: Heavy Metal Musik. Es folgten jahrelange mediale Hetzkampagnen in arabischen Medien von Marokko bis Saudi Arabien, begleitet von religiösen Hasspredigten und Verhaftungen. Den Metalheads wurden Gewalttätigkeit, Sodomie, Satanismus oder gar Spionage für Israel vorgeworfen. Im Nahen Osten bekennender Fan einer Band namens Black Sabbath zu sein war höchst verdächtig und tatsächlich kommt die vielleicht bekannteste Metalband der Region, Orphaned Land,
Hamza Namira ist die nordafrikanische Version von Eros Ramazotti.
Hamza Namira – Ägyptens neues islamisches Idol Das neue große Ding in der ägyptischen Popwelt ist Hamza Namira. Sein großer Hit heißt wie Ramy Essams Album »Al-Midan« und ist eine Lobeshymne auf das neue Ägypten und die Leute, die auf dem TahrirPlatz in Kairo demonstrierten. Zwar haben auch viele andere Popstars nach der Revolution nationalistische Freiheits-Songs herausgebracht, einige Monate bestand sogar ein regelrechter Trend, die toten Märtyrer zu besingen. Die meisten dieser Lieder wirkten aber makaber und unglaubwürdig, da ein Großteil der althergebrachten Stars zur Revolution entweder geschwiegen oder sich sogar dagegen geäußert hatten. Hamza Namira hat kein Problem mit seiner Glaubwürdigkeit. Er hat sowohl die tunesische als auch die ägyptische Revolution von Anfang an offen unterstützt. Die Jugend liebt den Schnulzensänger, der zwar über weite Teile klingt wie ein arabischer Eros Ramazotti, dessen Texte sich aber um größere Themen als profane Liebe und Romantik drehen. Namira veröffentlicht auf dem Label Awakening Records, das auf islamischen Pop spezialisiert ist. Zufall oder nicht – parallel zur politischen Erstarkung religiöser Bewegungen und Parteien ist eine ähnliche Tendenz auch auf dem Musikmarkt zu beobachten. Aber es sind keine finster dreinblickenden bärtigen Gesellen, die hier mit erhobenem Zeigefinger oder der Faust Moralapostel spielen. Stars wie Hamza Namira geben sich als moderne weltoffene junge Männer, die sich philosophische und religiöse Gedanken über ihre Gesellschaft und die Welt machen. Im Prinzip sind sie die Gegenentwürfe zu den halbnackten Sängerinnen, deren Musikvideos im arabischen Musikfernsehen Dauerrotation haben. Hamza Namira ist somit konservativ und modern zugleich. Er steht für eine neue islamische Kultur und Identität, die im Post-Mubarak-Ägypten auch in der Popmusik eine immer stärkere Rolle spielen wird.
aus Israel. Dabei waren es gerade Musiker aus dem Metal, die mit Politik eigentlich nichts am Hut haben wollten. In den letzten Jahren hat sich die Stituation in den meisten arabischen Ländern gebessert. Es passiert nur noch selten, dass Jugendliche auf der Straße wegen seines Looks verhaftet wird und die Polizei ihm die Haare schneidet. Hip Hop spricht Missstände direkter an. In Palästina gelingt es immer wieder Konzerte und Workshops in Flüchtlingslagern zu organisieren und – allen behördlichen Widrigkeiten zum Trotz – ein Stück palästinensischer Realität in die Welt
Lokale Helden statt internationale Stars Auch wenn viele vorrevolutionäre Popgesichter wieder über die tunesischen und ägyptischen Bildschirme flimmern, in Tunesien und Ägypten wurden 2011 nicht nur die alten Machthaber gestürzt, sondern auch die Musikwelt wurde durcheinandergewürfelt. Manche Subkulturen – vor allem HipHop – haben Zulauf, andere, wie elektronische Musik oder Metal, profitieren von den Revolutionen sicherlich insofern, dass sie durch weniger staatliche Repression freier arbeiten können – falls denn die arabischen Gesellschaften und Regierungen langfristig tatsächlich liberaler werden. Gerade die UndergroundSzenen waren und sind im gesamten arabischen Raum und international gut vernetzt. Eine wirkliche öffentliche Plattform haben sie aber nach wie vor nicht. Transarabischer Popstar wird nur, wer länderübergreifend von den großen Medienkonglomeraten, wie z.B. dem saudischen Medienkonzern Rotana oder MTV Arabia, gespielt wird. Überhaupt ist der arabische Raum kulturell wie sprachlich keineswegs monolithisch. Er umfasst sowohl die reichen Erdölstaaten wie auch arme Länder wie den Jemen, hinzu kommen große sprachliche und kulturelle Unterschiede zwischen den Maghrebstaaten Westen und den Mashreqstaaten im Osten. Subkulturen müssen nicht einem westlichen Publikum gefallen oder auf dem arabischen Mainstream-Musikmarkt Millionen zu scheffeln. Alternative Musik- und Lebensstile ecken hier noch an, fordern allein durch ihre Existenz Machthaber und Establishment heraus, führen zu Repressalien bis hin zur Folter. Sei es der Rapper im palästinensischen Flüchtlingscamp, der Metalgitarrist in Syrien, der Experimentalmusiker in Kairo, genauso wie der Liedermacher in Tunesien – sie alle versuchen vielstimmig ihren Visionen einer besseren Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Sie waren schon vor der arabischen Revolution da und hören danach nicht auf. Auch wenn ihre Botschaften nicht immer eindeutig sind. Auch wenn nicht mehr tausende Menschen zu ihren Liedern demonstrieren, der verhasste Präsident verschwunden ist und die Kameras abgezogen wurden.
hinauszutragen. Auf den Straßen Algeriens rappen Jugendliche über Arbeitslosigkeit, die Unfähigkeit der Regierung, darüber, dass französische Frauen viel besser sind als algerische und über Widerstand gegen den ewigen Feind Israel. Neuerdings sind auch die Freimaurer als Thema beliebt – und: immer mehr auch Religion. In repressiven Systemen wird der Islam häufig zur Metapher für Widerstand. Die Einordnung mit westlichen Kategorien von konservativ-religiös bis fundamentalistisch fällt schwer. Die Vertreter von popmusikalischen Avantgarden wiederum waren und sind die Don Quichotes im
Kampf gegen die arabische Popindustrie, sie sind in regem Austausch mit internationalen Kunstkreisen und Independent Labels – in ihrem Heimatland sind sie aber nur einem kleinen Kreis bekannt. Im Mainstream sind ein Jahr nach dem Arabischen Frühling vor allem die neuen arabischen HipHop Stars angekommen. Mehr Texte zu arabischem Hip Hop, arabischem Metal, der syrischen Avantgarde oder eine kleine Enzyklopädie arabischer Protestmusik gibt es auf www.thegap.at
»Brustwerk«: 1973, 69 × 98 (Fotografien), courtesy Bank Austria Kunstsammlung
Friederike Pezold — Brustwerk«
Text Margit Emesz
Nippelgate 1973 Durch den Fokus auf weibliche Körperpartien arbeitet Friederike Pezold seit den 70er Jahren Aspekte feministischer und aktionistischer Kunst heraus. Mit einem ihrer frühen Werke kann man sich derzeit in der Ausstellung »Body Action« im Bank Austria Kunstforum auseinandersetzen. Als Pionierin der feministischen Videokunst gilt die 1945 geborene Friederike Pezold bis heute. Seit den 60er Jahren beschäftigt sich die gebürtige Wienerin mit Performance im feministisch-aktionistischen Bereich. Ihre Arbeiten, die um das Weibliche, die Selbstdarstellung und die Selbstbeobachtung kreisen, setzt sie mittels Fotografie und Video in Szene. In den frühen 70er Jahren entstehen so mehrere Serien von Bilderfolgen, die eigene Körperausschnitte in schwarz-weißem Kontrast zeigen – »Brustwerk« ist eine davon. Nicht Mund, nicht Nase, nicht die Augen stehen im Fokus, es ist die weibliche Brust: ein Frame um den entblößten Oberkörper der Künstlerin selbst. Pezold macht den Körper zu einem zentralen Gestaltungsmittel, er wird segmentiert, portioniert und in die Wiederholschleife gesteckt. Das Geschlechtsmerkmal Busen erfährt eine Depersonalisierung und wird durch die Abbildung aus dem stetig selben Blickwinkel auch entsexualisiert. Durch den hell-dunkel Kontrast in den Bildern, die Aufeinanderfolge und die in den zentralen Fokus eingreifenden Hände entsteht etwas Zeichenhaftes, vom bloß Körperlichen Abstrahiertes. Die anatomischen Gegebenheiten des Femininen werden aus der Form gebracht, fast karikiert. Ganz peripher nur mehr spielt dabei der Aspekt des sexuellen Anreizes mit hinein, besonders, wenn man das Werk im heutigen Kontext der Übersexualisierung betrachtet. Damals, 1973, feierte man die sexuelle Revolution und ein barer Busen war noch ein echter Aufreger. Entblößung hatte eine ganz andere Wertigkeit. In diesem Zusammenhang kann man sich die Frage nach der Veränderung in der feministischen Kunst stellen – reicht Nacktheit heutzutage noch, um eine Message zu transportieren? Das weibliche Sexualmerkmal Nummer 1 hat inzwischen an Intimität und Besonderheit eingebüßt und ist im wahrsten Sinne der Wortes zu einem Aushängeschild unserer Kultur geworden. Trotzdem oder gerade deswegen hat Pezolds »Brustwerk« noch immer etwas sehr Ironisches. Das gänzlich unerotische Kneten und Verformen der Brüste ist examinierend, prüfend, eine Versuchsreihe am eigenen Körper. Schönheit ergibt sich hier nicht durch wohlgeformte Rundungen, sondern durch die Linien und Bilder, die das Demontieren der weiblichen Brustform ergeben. Ein Körperteil kann durch Separation, Veränderung und Vergrößerung an Aspekten gewinnen und eine andere Qualität einer optischen Herausforderung ans Licht bringen. »Brustwerk« ist im Rahmen der Ausstellung »Body Action Collected« von 3. Februar bis 18. März im BA Kunstforum zu sehen.
Subkultur — Das Ende eines Konzepts
Das Märchen von der Subkultur Liebe Punks, Hippies, Raver und HipHopper; Liebe Anarchisten, Hausbesetzer, Antifas und Aussteiger; Liebe Mods, Popper und Angehörige sämtlicher Subkulturen, die in den Annalen des Pops vor sich hin schlummern – ihr müsst jetzt ganz stark sein: Rein wissenschaftlich gesehen gibt es euch überhaupt nicht.
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»Partikularkulturen haben ihre eigenen Hierarchien, ihre eigenen Machtverhältnisse und ihre eigenen Reichen und Armen.«
Keine Angst, niemand will euch etwas nehmen. Aber die Vorstellung einer authentischen Subkultur, die sich klar vom Mainstream abgrenzt, ist so schön wie unhaltbar. Das war vielleicht einmal vor langer Zeit. Im Grunde war es früher einfach: Der Sohn eines Industriearbeiters aus Manchester wird ein Phänomen oder Ereignis völlig anders sehen und bewerten als eine Schweizer Bankierstochter: Sag mir, was deine Eltern beruflich machen und ich sage dir, was dir gefällt und nicht gefällt. So stellen sich zumindest die Subcultural Studies das mit der Kultur vor. Ihre akademische Auseinandersetzung mit dem Begriff »Kultur« begann im Birmingham der 60er Jahre. Die damals entstandenen Cultural Studies sahen Kultur als eine Praxis, durch die Menschen ihre soziale und materielle Existenz ausdrücken. Heraus kommt dabei eine ganz bestimmte Lebensweise von sozialen Gruppen und Klassen, mit jeweils eigenen »Bedeutungskartografien«. Ihre Kultur macht es ihnen möglich, ihre Umwelt sinnvoll zu begreifen. Dass diese kulturellen Muster dabei nicht statisch sind und ständig weiterentwickelt werden, versteht sich.
These: Der Irokese als Kulturkampf
Text jonas vogt bild istockphoto.com, corbis
Die frühen Theoretiker wie Stuart Hall oder Raymond Williams waren allesamt Marxisten, und demensprechend argumentieren sie auch. Für sie gibt es damals nicht nur eine herrschende Klasse, sondern damit auch eine herrschende Kultur. Und auch in einer modernen Gesellschaft gebe es noch immer eine solche Dominanzkultur, die versucht, allen »Subkulturen« ihre Sicht der Welt aufzuzwingen. Währenddessen warten die Subkulturen auf ihre Chancen, die gerade herrschende Dominanzkultur abzulösen. Es geht um Macht. Die Kultur, ein Schlachtfeld. Die Subkulturen attackieren ihren Feind vor allem auf der Ebene der Kleidung, Musik und mit ihrem Habitus. Ihr ein-
heitlicher und provokanter Stil entgegen der Norm ärgert die Vertreter der Dominanzkultur. Diese wehrt sich gegen diese Emporkömmlinge, indem sie deren Zeichen in den Mainstream aufnimmt und dort ent- Synthese: Mainstream sind immer die Anderen Und damit gibt es auch keine authentische Subkultur mehr. Doch schärft. Jede Subkultur kennt den Punkt, an dem ihr Baby plötzlich »Pop« ist. Früher hätte man an dieser Stelle wohl »Anarchy In The UK« andere gingen noch einen Schritt weiter. Die Kanadierin Sarah Thornoder die Sugarhill Gang angeführt. Heute ist es vor allem der Indie- ton attackierte den Mainstream. Sie entwickelte 1996 das Konzept des Rock der Telekom- und Vodafone-Werbungen, der die Vertreter der rei- »Subkulturellen Kapitals«, das bis heute als State of the Art gilt. Auch nen Lehre aufregt. Richtig erkannt: Da ist er, der kulturelle Ausverkauf. der Mainstream als klar definierte und dominante Kultur existiert ja Die Kulturindustrie lässt grüßen. Dick Hebdige hat das Phänomen »Stil gar nicht. »Mainstream« hilft aber einzelnen Szenen, sich durch Wials Abgrenzung« treffend beschrieben. Sein Buch »Subculture. The Me- derstand gegen eine fiktive »Massenkultur« abzugrenzen. Typisch daaning of Style« von 1979 ist bis heute die konsequenteste Anwendung für sind Gegensatzpaare wie Alternative – Mainstream, Independent der These, dass ein Irokese bereits Widerstand gegen das herrschende – Commercial, Specialist Genres – Pop. Ein »Ausverkauf« findet dann auch nicht mehr wirklich statt, sondern dient nur dazu, seine eigene System ist. Position zu stärken: Denn Mainstream sind immer die anderen. Aus Antithese: Authentizität ist ein Mythos diesem Grund eignet sich der Begriff »Partikularkultur« auch besser als Diese Theorien waren knackig: Hier der böse, dominante Main- die alte Oma-Opa-Kombo »Mainstream – Subkultur«. Es werden weder stream, dort die innovativen und spannenden Subkulturen. Doch die grundlegend alternative Konzepte gepflegt, noch sind diese irgendwie Autoren begingen den Kardinalsfehler der Soziologie: Sie glauben, untergeordnet. Partikularkulturen haben ihre eigenen Hierarchien, was Menschen über sich selbst behaupten, sei schon wahr. Aber nur ihre eigenen Machtverhältnisse und ihre eigenen Reichen und Armen. weil die Ablehnung des »Systems« zu Jugendkulturen gehört, muss das Es wird einfach nur in anderen Währungen bezahlt. Die Währung ist noch lange nicht wirklich so sein. An diesem Punkt traten die Post- das Subkulturelle Kapital. Es bestimmt, wie »cool« jemand ist. Es ist Subcultural Studies auf. Mit dem Widerstand von Subkulturen ist es das Gefühl dafür, was gerade »richtig« ist: Der richtige Haarschnitt, die bei ihnen nicht so weit her. 1993 erschien in dem Sammelband »Rave richtige Plattensammlung, die richtige Wortwahl. Dieses Bewußtsein Off« ein Aufsatz des britischen Soziologen Steve Redhead. Redhead äußert sich im Stil und wird von Thornton als »Hipness« bezeichnet. hatte den Acid House im Manchester der 80er Jahre studiert, hatte die Diese Hipness ist das Subkulturelle Kapital eines Menschen. Thornton Szene beobachtet und widersprach: Eine authentische Jugendkultur griff damit dem Hipster-Phänomen der Nullerjahre bereits vor, aber existiert genauso wenig wie ihre Mainstream-Variante. Nicht die »Be- man sollte sich von dem Begriff nicht täuschen lassen: Hipness ist wegung« macht durch ihre Handlungen eine Subkultur aus, sondern nichts Einzigartiges, es existieren so viele Arten der Hipness wie es erst die nachträgliche mediale und wissenschaftliche Beschäftigung. Partikularkulturen gibt. Ob ein Nietengürtel oder eine Fliege hip ist, Oder: »Subkulturen« erschaffen sich nicht selbst, sondern bekommen hängt nur davon ab, in welcher Szene ich mich bewege. von außen ein Label aufgedrückt. Und wenn es ohnehin keinen auApropos Hipness: Ironischerweise war das Hipstertum mit all seiner thentischen Kern gibt, kann es logischerweise auch keinen Sell-Out postmodernen und kulturellen Beliebigkeit die einzige Partikularkulmehr geben. tur, die das Ende der Subkulturen wirklich verstanden hat, ohne aber In eine ähnliche Kerbe schlägt der Soziologe und Musikkritiker ihren Folgen zu entkommen. Der Hipster bediente sich fröhlich an den Simon Frith, für den die Cultural Studies etwas verdreht hatten. Musik Insignien des White Trash, der Schwulenkultur und jeder Mode des ist nicht der authentische Ausdruck einer Subkultur – sondern umge- vergangenen Jahrhunderts; hörte gestern Rap, heute Techno und morkehrt. Es gibt in ihnen keine Werte vorab, die sich dann durch ihren gen Metal. Revolution in Permanenz, wie es im Sammelband »What Stil nach außen stülpen, sondern die Werte werden erst durch ästhe- Was The Hipster« heißt. Er war überall, um sich gleichzeitig auch von tische Urteile gebildet. Dies heißt auch, dass Identität nicht mehr aus allem abzugrenzen. Er klaute respektlos von den Codes sämtlicher den Menschen selber kommt, sondern dass Musik, Kleidung, Filme Partikularkulturen und nahm sie zu keinem Zeitpunkt ernst. oder Serien diese erst herstellt. Identität entsteht von außen, nicht Distinktion von allem und jedem. Irgendwie ist das dann doch wievon innen. der Subkultur.
hipster — Wie war das? Und was kommt danach?
Hipster – Ein Nachruf Der Hipster war eines der bestimmenden Phänomene der letzten zehn Jahre. Ein Sammelband zerlegt die Figur abseits der üblichen Bashings.
Text Michael Aniser Bild istockphoto.com, corbis
ine Jugendbewegung ohne Richtung, gelebte PostIronie oder ein bequeme Kategorie, um sich darüber lustig zu machen: der Hipster. Konsequente Leere, Imitation und Aneignung – in guten zehn Jahren »Hipster« hat sich einiges an argumentativem Ballast angesammelt, an klaren theoretischen Auseinandersetzungen mangelte es aber im deutschen Sprachraum. Nun ist mit »Hipster – ein transatlantisches Phänomen« ein Buch erschienen, das sich dem Thema annimmt. Herausgegeben von Mark Greif werden darin Wege beschritten, die abseits des üblichen Hipster-Bashings verlaufen. Vor zwei Jahren fand an der New Yorker New School, dem Zentrum urbanen Intellekts der ausgehenden Aughties, ein Symposium mit dem Titel »What Was The Hipster - A Sociological Investigation« statt. Das Magazin n+1 lud unter dieser Prämisse ein, sich auf akademischem Level mit dem Thema zu beschäftigen. »Bluescreens«, der jüngste Essay-Band von Herausgeber Mark Greif, erscheint übrigens zeitgleich auf Deutsch im Suhrkamp Verlag. Greif gilt als einer der schärfsten Denker unserer Zeit und versammelt in »Hipster - ein transatlantisches Phänomen« verschiedenste Perspektiven zum Thema.
Wer war der Hipster? Mark Greifs schlicht »Positionen« betitelter Vortrag gibt einen Überblick über das Thema und rollt die Geschichte des Begriffs auf. Das Wort »Hipster« ist keinesfalls neu. Der Begriff wurde schon in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts geprägt. Kurz zusammengefasst waren Hipster damals kaukasische Mittelschichtkids, die den Lifestyle afroamerikanischer Jazz-Musiker kopierten. Weiter geprägt wurde das Ganze dann von Norman Mailer, der in seinem berühmten Essay »The White Negro« den Begriff aufgreift und die Aneignung von Codes, das Kopieren von Styles als erstes Gebot darstellte. Die »exotische Energie«, die von den Schwarzen ausging, war spannend, außerdem verfügten sie über Wissensbestände und Codes, die den Weißen großteils verschlossen blieben. Mark Greif zitiert hier Anatole Broyard, der den Begriff des »Priorismus« verwendet. Ein Wissen, das von jeher, a priori vorhanden und keinem institutionellen Druck unterlegen ist. Heute wird der Begriff Hipster ausschließlich pejorativ gebraucht, was laut Greif, daran liegt, dass der Hipster längst eine »dominante Position in der Gesellschaft eingenommen hat«. Greif führt drei weitere Definitionen an, die sich dann auch durch das Buch ziehen und von den anderen Beiträgen aufgegriffen werden. Zuerst versucht er den Hipster anhand einiger Äußerlichkeiten zu kategorisieren: Trucker-Kappe, ironischer Porno-Schnauzer und Unterschichten-Verehrung.
Stichwort: Mode Die Accessoires, die das Hipstertum des 21. Jahrhunderts charakterisieren, sind vielfältig und ändern sich ständig. Oberflächlich betrachtet werden ganz einfach modische No-Go Areas beschritten: Earl-Sweatshirts, weiße Tennissocken beispielsweise oder verbrämte New-Age-Ästhetiken, vordergründig »uncoole« Dinge (z.B. das Wort »cool«). Sieht man genauer hin, handelt es sich zumeist um Artefakte unwichtiger, niedriger Schichten, die in direktem Kontrast zum eigenen, ziemlich narzisstischen Weltbild stehen. Durch diese Aneignung erfährt man eine Art gebrochener Authentizität, eine arrogantes Downgrading seiner selbst. Man kann es sich ja schließlich leisten, »so rumzulaufen« oder ironisch RTL2 zu schauen, weil man es ja eigentlich besser wüsste. Gleichzeitig ist es eine Sehnsucht nach dem wahren, rauen Leben, für das doch auch irgendwie Platz sein sollte im durchgeplanten, kreativen Lebensentwurf. Arbeiterbezirke werden bewohnt, Gentrifizierung passiert. Nachzulesen ist das in Dayna Tortoricis Essay »Man erkennt sie, wenn man sie sieht« und in Jens-Christian Rabes »Gegenwärtigkeit als Phantasma. Über den Hass auf den Hipster«. Beide greifen in diesen zentralen Texten des Buches ein außen auf und definieren den Hipster als »den Anderen«. Die zweite Definition Mark Greifs spürt den kulturellen Aspekten des Hipstertums nach.
Stichwort: Kultur
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» Er war das Produkt einer Ära, von Immobilienblase und Konsumrausch, ständig auf der Suche nach dem coolen Wissen und dem unwahrscheinlichsten Brillenmodell: der Hipster ist tot.«
Stichwort: Aneignung Wenn sich die New Yorker Band Liturgy mit Black Metal auf akademischen Höhen auseinandersetzt und gleich ein Manifest mit dem Titel »Transcendental Black Metal« mitliefert, das wunderbar schwurbelig eine neue Richtung im Black Metal ausruft und sich nicht vor esoterischen Kategorieren scheut, dann sollte klar sein, dass »hipster« als Vorsilbe weit mehr ist als Fensterglas-Brille und Dosenbier. Patrice Evans widmet sich in seinem Text »Hip-Hop und Hipsterismus. Anmerkungen zu einer Philosophie des Uns und der Anderen« dem Phänomen Hipster-Rap, einem Genre, das spätestens im Jahr 2011 mehrheitsfähig geworden ist. Durch Acts wie Tyler und seiner Wolf Gang, Shabazz Palaces und ihrer esoterischen Jenseitigkeit oder Death Grips und ihren schizophrenen Codierungen wurde das, was mit Andre 3000, The Cool Kids und nicht zu vergessen Lil’B vorexerziert wurde, zum Mainstream-Phänomen. In einer dritten Definition zeichnet Mark Greif den Hipster als modernen Schnösel, als KonsumationsDistinktionsmaschine, die sich selbst inzwischen obsolet gemacht hat.
Stichwort: Snobs Der Hipster ist vor allem cooler Konsument: das richtige Essen, der richtige Club und die Suche nach »Distinktion und Exklusivität innerhalb des Massenkommerzes«. Damit hat sich diese Bewegung auch schon wieder selbst erledigt. In Zeiten, in denen eben diese Individualisierung zum Massenphänomen geworden ist, in denen die ständige Suche nach Neuem und Unbekannten durch das Internet praktisch unmöglich geworden ist – eine simple Google-Suche genügt zumeist, um bei so ziemlich jedem hippen Circle-Jerk die noch unbekanntere Band zu finden – »brauchen« wir den Hipster ganz einfach nicht mehr. Cooles Wissen ist nicht mehr oberste Kategorie, ironischerweise wird Obskurität inzwischen zur langweiligen Hausaufgabe. Was soll jetzt noch kommen? Die Zukunft ist endlich ein weites, leeres Feld geworden, die wir entweder brav streberhaft weiter mit unserem lexikalischen Wissen auskacheln und brav in Instagram-Ästhetik dokumentieren oder aber wir wagen den Schritt aus dieser Schleife heraus und widmen uns wichtigeren Dingen und lassen den inzwischen sprichwörtlichen Hipster zurück und versuchen mutig genug zu sein, wie Jens-Christian Rabe so schön schreibt, »einen eigenen Gedanken zur Gegenwart zu fassen, der vielleicht falsch sein könnte.«
Bestes Beispiel hierfür dürften die Filme von Wes Anderson sein. »Formal haben wir es mit einer Radikalisierung und Ästhetisierung jener Technik der Pastiches zu tun, die Frederic Jameson in den frühen 80er Jahren als den prototypischen Erzählmodus der Postmoderne bezeichnete«, schreibt Greif. Jedoch, und das ist zentral, wird ganz unironisch und ohne Sarkasmus mit Retro-Phänomenen umgegangen. Eine Sehnsucht nach der Kindheit ist zu spüren, keine kritische Auseinandersetzung mit vergangenen Positionen. Ähnlich sieht es in der Popmusik aus, hier ist ganz klar eine Sehnsucht auf die Musik der Kindheit zu spüren, als alles noch easy war. »Hauntologie« ist hier das wichtige Wort. Der Begriff wurde von Jaques Derrida Anfang der 90er eingeführt und bezeichnet auf Pop umgemünzt eine Musik, die von den Geistern ihrer Vergangenheit so durchdrungen ist, das keine weitere Entwicklung mehr möglich ist. Das Ende der Geschichte, wie es auch Simon Reynolds in seinem Buch »Retromania« beschreibt. Doch ganz so einfach ist es nicht, die Vor- Das Buch »Hipster – eine transatlantische Diskussion« ist im englisilbe Hipster lässt sich heute an so ziemlich jedes Genre anfügen, in schen Original bereits 2010 im Verlag des n+1 Magazine, das bisweilen dem Entwicklung jenseits der grundlegenden Codes passiert, in dem als zentrale Hipster-Publikation beschrieben wird, erschienen. Die deutmusikalisch wie auch ideologisch die eingetretenen Pfade verlassen sche Ausgabe bei Suhrkamp wurde um aktuelle Texte von Tobias Rapp, werden. Hipster Black Metal beispielsweise (siehe The Gap 122). Nor- Jens-Christian Rabe und Thomas Meinecke erweitert. wegischer Black Metal, einst in dunklen Kellern entstanden als letztmögliches Rebellion gegen eine zu funktionale Gesellschaft, wird zum — www.suhrkamp.de — www.nplusonemag.com Fashion-Statement.
ps vita — Sonys neue mobile Spielkonsole
» Einmal alles, bitte. 030 Zum Mitnehmen.« Sony will es wissen und präsentiert die neue mobile Konsole Playstation Vita. Die kann so ziemlich alles, hat dabei aber harte Konkurrenz.
Verbindung Ein Großteil der Features betrifft entweder die Connectivität – die PS Vita ist nicht nur über Wi-Fi online, sondern auf Wunsch gibt es auch Modelle mit 3G – oder die vielseitigen Möglichkeiten der Spielsteuerung. 3G schafft die Grundlage, um tatsächlich über das Handynetz praktisch immer und überall online zu sein. Für eine mobile Spielkonsole ist das nur konsequent – und es ermöglicht allerlei Spielereien, die bei Sony »Near«, »Party« oder »LiveArea« genannt werden und dafür sorgen sollen, dass sich die spielende Community miteinander verbindet. Außerdem rückt die PS Vita damit gefühlt ein Stück weit in Richtung moderner Tablets. Selbst wenn es im Gegensatz zum iPad wohl auf Sicht keinen im Übermaß bestückten AppStore gibt (auch wenn Spiele, Demos und Videos im Playstation Store zum Download angeboten werden), und nicht wie bei so manchem Samsung-Gerät damit auch gleich telefoniert werden kann. Beides sind aber Möglichkeiten, die Sony mit Vita schon irgendwie nahelegt. Und zumindest andere Tablet-Funktionen – wie z.B. Textverarbeitung, etc. – könnten wohl in Bälde per Software nachgereicht werden. Die Klassiker Facebook, Twitter, Skype oder Flickr sind jedenfalls vom Start weg erhältlich. Mit dabei auch zwei Kameras – eine hinten, eine vorne, für Augmented Reality-Spielereien, Chats oder halt einfach zum fotografieren. Eine gelungene und erweiterte Verbindung geht das Gerät auch mit der Heimkonsole PS3 ein. Einige Titel können online gemeinsam ge-
spielt werden, einzelne bieten die Möglichkeit, in der PS3-Version zu pausieren, unterwegs auf der Vita weiterzuspielen und danach wieder daheim das Spiel aufzunehmen.
Berührung Ein Großteil der neuen Features betrifft aber das Spielen selbst und damit den Fokus und das Alleinstellungsmerkmal von PS Vita. Denn in erster Linie ist das Gerät die wahrscheinlich vollwertigste mobile Spielkonsole. Das 5"-Oled-Display macht eine bisher nicht gesehene grafische Qualität bei den Spielen möglich und erstmals lässt es sich auch unterwegs mit zwei Analogsticks – der mittlerweile etablierten Controller-Steuerung – spielen. Auch darüber hinaus wird geboten, was 2012 so alles möglich ist: Der Bildschirm ist ein Touchscreen und auf der Rückseite befinden sich berührungssensible Flächen, die zur Spielsteuerung eingesetzt werden. Bewegungs- und Neigungssensoren komplettieren diese Liste ebenso, wie ein elektronischer Kompass und Ortung per Wi-Fi oder GPS (nur 3G). Wer nun meint, in manchem Moment wären das vielleicht sogar zu viele Möglichkeiten, hat damit nicht ganz unrecht; in den meisten Fällen ist den Spiel-Entwicklern aber Vertrauen entgegenzubringen.
Hardcore Only? Bei den Spielen selbst bieten Sony und allerlei 3rd-Party-Hersteller vom Launch weg eine breite Vielfalt. Dazu gehören renommierte Serien-Ableger wie »Uncharted: Abyss«, »WipeOut 2048« oder auch »Motorstorm: RC« genauso wie auf die Konsole und ihr Möglichkeiten hin entwickelte Spiele wie »Escape Plan« und der Shooter »Unit 13«. Dazu noch beliebte Serien von EA (»Fifa Football«), Ubisoft »Rayman Origins«), Sega (»Super Monkey Ball Banana«) oder Konami (»Silent Hill: Book Of Memories«). Auf anderen Kontinenten ist die PS Vita bereits seit einigen Monaten erhältlich. Praktisch überall waren die Presseberichte begeistert. Will man so manch News-Meldung glauben, ist aber auch diese Konsole nicht von jenem Erfolg gekrönt, den die Qualität von Hard- und Software nahelegen würde. Mobiles Spielen wird zwar seit Jahren bedeutender und vielschichtiger – bekanntlich liegt der erfolgreiche Schwerpunkt hier aber auf Smartphones, Casual Games und anderen leichter zugänglichen Geräten. Das allerdings wiederum ist kein Grund, sich nicht doch eine Vita zuzulegen und damit viel Spaß zu haben. PS Vita kommt in Europa am 22. Februar 2012 in zwei Versionen auf den Markt. In der reinen Wi-Fi Ausführung (249,90 Euro) und mit 3G (319,90 Euro).
Text martin mühl Bild sony computer entertainment
Seit dem Launch der PSP, Sonys erster mobiler Spielkonsole im Jahr 2005, sind mindestens vier nennenswerte Hardware-Updates mit unterschiedlichsten Features auf den Markt gekommen. Sie alle haben wohl einiges verkauft, den einen großen und erhofften Hit konnte Sony damit aber nicht landen. Dabei hatte die Konsole immer ihre Qualitäten und PSP-Besitzer mit ihren Konsolen in den meisten Fällen wohl viele vergnügte Stunden. Höchstens mittelgut angekommen sind dabei zusätzliche Möglichkeiten wie jene, auf der PSP unterwegs auf deren UMD-Discs Filme anzusehen. Nun veröffentlicht Sony im Februar auch in Europa die PS Vita, eine neue mobile Spielkonsole, die optisch an die älteren Modelle anschließt. Und so mancher Journalist und Spieler könnte ob des häufigen Modellwechsels in der Vergangenheit beinahe übersehen, dass PS Vita – wie in der Vergangenheit – tatsächlich einiges drauf hat. Sony setzte deswegen schon seit letztem Sommer auf ausgiebige Möglichkeiten zum Hands-On-Vergnügen. Bereits auf der großen europäischen Spielemesse Games Com in Köln konnte man sich von der ausgiebigen Featureliste und deren Umsetzung in Spielen überzeugen.
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Escape Plan
Reality Fighters
Motorstorm RC
(sony); ps vita; www.funbits.com »Escape Plan« kommt ein bisschen bemüht um die Ecke, hat aber auch die schwere Aufgabe, PS Vita zu vertreten und zu zeigen, was hier möglich ist. Dementsprechend nützt das Spiel so gut wie alle Steuerungsmöglichkeiten, wenn es als Spieler gilt, eine Figur zum Ausgang des jeweiligen Levels zu bewegen. Die Präsentation ist modern und das Spiel nach einer kurzen Eingewöhnungsphase unterhaltsam.
(sony); ps vita; www.playstation.at Sony hat einigermaßen Erfahrung mit innovativen Augmented Reality Games, ein solches ist auch »Reality Fighters«, ein Beat ’em Up, das über die Kameras den Spielhintergrund oder auch Freunde als jubelnde Fans in den Hintergrund des Spiels einblendet. Erste Anspielversuche ließen uns die Begeisterung der Entwickler nur bedingt teilen.
(sony); ps vita, ps3; www.playstation.at »Motorstorm« ist Sonys erfolgreiche OffroadSerie, die mit »RC« eine neue Wendung erfährt: Aus einer schrägen Aufsicht lassen sich ferngesteuerte Autos über allerlei wilde Strecken jagen. Oldschool-Spaß auf technisch aktuellstem Niveau und darüber hinaus ein Paradebeispiel für die mögliche Verbindung von PS Vita und PS3.
LUDWIG — Ein Wiener Serious Game macht Schule
Spiel und Spaß nach dem Physik-Lehrplan 032 Nach rund zwei Jahren Entwicklungszeit haben Ovos das Physik-Spiel »Ludwig« im September 2011 an 300 Schulen gelauncht. Nach weiteren Verbesserungen folgt am 1. April der Verkaufsstart als Einzellizenz. Am Beginn von »Ludwig« stand nicht nur ein Projekt, das anders geplant war – nämlich als ein interaktives TV-Format –, sondern wie sooft auch die Unzufriedenheit mit den am Markt vorhandenen Produkten. Denn es gibt zwar einen Haufen Serious Games, jedoch haben diese nicht zuletzt bei der jungen Zielgruppe – großteils auch vollkommen zu Recht –, ein Akzeptanzproblem. »Ludwig« bildet hier eine weltweit ziemlich einzigartige Ausnahme. Partner in der Entwicklung waren nicht nur das Unterrichtsministerium und Förderstätten, sondern auch der Klima- und Energiefond und der Verbund. Beide unterstützten »Ludwig« in Form von Lizenzen, die seit September 2011 an Schulen vergeben werden konnten und dort zum Einsatz kommen. Bereits nach zwei Monaten waren diese 20.000 Lizenzen vergeben; rund 300 Schulen haben sich bisher an der Aktion beteiligt. Auch während der Entwicklungsphase hielt Ovos engen Kontakt zu Schulen: Das Spiel wurde in einem iterativen Designprozess entwickelt, in dem die zukünftige Zielgruppe von Anfang beteiligt war. Berücksichtigt wurde unter anderem die Rolle des Lehrers, aber auch Gender-Aspekte oder die technische Ausstattung an Schulen. Im Rahmen der Sparkling Science Förderung wurden die Ergebnisse begleitend überprüft und beforscht. Wir sprachen mit Jörg Hofstätter, dem Geschäftsführer von Ovos, und Jochen Kranzer, dem Projektleiter der Entwicklung.
interview martin mühl Bild ovos
»Ludwig« ist das erste Spiel, das dem Lehrplan entspricht. Was bedeutet das und welche Auswirkungen hatte das auf die Entwicklung? Wir hatten eine Kooperation mit dem Physikdidaktik-Zentrum der Universität Graz. Gemeinsam haben wir nach der Lehrplan-Didaktik ein kompetenz-orientiertes Lehrmodell entwickelt, in dem es um den Zusammenhang der physikalischen Prinzipien ging. Danach haben wir dieses mit einer Handlung und Geschichte verknüpft. Es geht um Verbrennung, Wind, Wasser und Solar – im Spiel gilt es, mit jedem Bereich Energie zu gewinnen. Die Schüler müssen, um im Spiel weiterzukommen, beweisen, dass sie die physikalischen Prinzipien verstanden haben und zur Anwendung bringen können. Ist diese Herangehensweise ein allgemein anwendbares Learning für euch? Ja, klar. Hier konnten wir einige Dinge lernen, die wir nun auch für andere Kundenprojekte einsetzen können. Gelernt haben wir aber vor allem auch etwas über die Zielgruppe der Elf- bis 14-Jährigen. Etwa in Genderfragen, oder aber auch die Tatsache, dass diese Zielgruppe E-Mail praktisch nicht mehr verwendet. Facebook Connect ist hier deswegen sehr wichtig geworden, obwohl wir anfangs natürlich bedenken hatten, dieses einzusetzen. Noch eine andere Erkenntnis war, dass in jeder Klasse rund zehn Prozent der Schüler gar nicht spielen und keine Erfahrung mit Videospielen haben. Vielleicht wird es diese Gruppe der Non-Gamer immer geben. Seht ihr Parallelen zwischen Werbespielen und Serious Games? In beiden Fällen soll eine Botschaft vermittelt werden. Unser Spiel ist ganz klar ein Serious Game, es geht um Wissensvermittlung und nicht um Werbung. Aber ja, die Learnings von »Ludwig« ließen sich auch in anderen Bereichen anwenden, etwa bei innerbetrieblicher Wissensvermittlung. Insofern war und ist »Ludwig« natürlich auch ein Positionierungs-Projekt. Das Lernen passiert bei »Ludwig« beinahe nebenbei und ich bin nicht sicher, ob wir diesen unterschwelligen Vorgang direkt auf Werbung umsetzen würden. Aber wir können uns schon vorstellen, dieses Wissen als Agentur für Werbung anzubieten – mit der Ausnahme von Rüstungs- oder Atomlobby als Kunden. »Ludwig« ist ab 1. April als Einzellizenz erhältlich. Alle Infos auf www.playludwig.com; weitere Projekte von Ovos und ein lesenswerter Entwickler-Blog auf www.ovos.at. Eine Langversion des Interviews online auf www.thegap.at
homeland — »War On Terror« auf einer neuen TV-Ebene
Der Feind im eigenen Kopf 033 Eine Fernsehnation setzt sich die Pistole an die Brust und streichelt unsicher den Abzug: Die preisgekrönte TV-Serie »Homeland« analysiert US-amerikanische Feindbildmechanismen nach der Ära Bush anhand einer psychotischen CIA-Agentin und einem Kriegshelden unter Terrorverdacht.
Text klaus buchholz Bild showtime / APA
Terroristen sind eindimensionale Geschöpfe, die aus Schurkenstaaten kommen, um die demokratische Freiheit aufzufressen. So lange die Ära von US-Präsident George W. Bush andauerte, schien das die offizielle Perspektive zu sein. Die Unterhaltungsindustrie unterfütterte sie mit gängigen Gut-Böse-Schemata. Die TV-Serie (2005–2006) »Sleeper Cell« war dagegen eine bereichernde Ausnahme. Ein muslimischer FBI-Agent schleust sich zwei Staffeln lang in eine islamistische Terrorzelle ein, während das Format versucht, den Ursprung von Extremismus zu thematisieren – aus der gesellschaftlichen Mitte heraus, fern von Kausalketten oder Klischees. Ende 2011 kam mit der TV-Serie »Homeland« ein weiterer Lichtblick, der sich simplen Erklärungsmustern widersetzt. Stattdessen wurden drängende Fragen nach Angstpolitik, Paranoia, Verantwortung und Würde gestellt.
Im Bett mit dem Terror Claire Danes hat sich ihren Golden Globe als beste Schauspielerin für »Homeland« redlich verdient: Sie zu sehen, wie sie sich die Seele aus dem Leib spielt, erzeugt genauso viel Begeisterung wie Beklemmung. Sie verkörpert die CIA-Agentin Carrie Mathison, die im Irak einen Mudschaheddin verhört und erfährt, dass ein US-Marine in jahrelanger Gefangenschaft zum Al-Qaida-Terroristen gewandelt wurde. Plötzlich wird der tot geglaubte Marine Nicholas Brody im Irak befreit. Acht Jahre lang war er verschollen. Daheim soll er als Kriegsheld gefeiert und von der Politik instrumentalisiert werden. Carrie verdächtigt ihn, genau dieser bekehrte Terrorist und Staatsfeind zu sein. Selbstjustiz wird fortan zum legitimen Pflichtbewusstsein in ihrem eigenen War on Terror. Ohne offizielle Genehmigung bewacht und bespitzelt
sie den geheimnisvollen Brody. Doch sie leidet unter einer bipolaren Störung, einer manisch-depressiven Psychose, die sie mit Psychopharmaka drosselt. Auch das muss unerkannt bleiben, um nicht gekündigt zu werden. Auf einer Spirale des psychischen Terrors drehen sich die trügerischen Ermittlungen langsam im Kreis, während Verdachtsmomente mehr oder weniger haltlos im Raum schweben. Ihre Überwachung erschafft ein fragiles Szenario von Argwohn, Angst und Paranoia, als sie nicht einmal mehr ihrem eigenen Misstrauen trauen kann. Sie beobachtet den Veteranen und seine Ehefrau sogar beim Sex, um Beweise gegen den Staatsfeind zu finden. Mit einer Armada an undurchsichtigen und ambivalenten Charakteren wirft »Homeland« die Frage nach den Guten und den Bösen immer wieder über Bord. Was passiert mit einer Gesellschaft, die sich dauerhaft bedroht fühlt und deshalb Methoden einer strukturellen Gewalt zulässt, die diese Gesellschaft bloß noch mehr verunsichern? Die Protagonistin Carrie und ihr vermeintlicher (?) Antagonist Brody verinnerlichen diese Pattsituation bis zum explosiven Serienfinale (und darüber hinaus). Auf dem Glatteis der verschachtelten Drehbücher schlittern beiden aufeinander zu und lassen das Publikum auch in dem Punkt ratlos zurück, wem gegenüber nun mehr Verständnis oder gar Sympathie entgegengebracht werden sollte. Einfache Schuldzuweisungen werden durch die stets mehrdimensionalen Konflikte verunmöglicht. Darin liegen die hohe Anspannung und die Qualität von »Homeland«. Terror bleibt besonders im Fernsehen eine Frage der Wahrnehmung. Die beiden Staffeln von »Sleeper Cell« sind via Paramount bereits auf DVD erschienen. Die Produktion der zweiten Staffel von »Homeland« (Showtime) beginnt im kommenden Frühjahr.
Charlie Brooker — Der Produzent der britischen Miniserie »Black Mirror« verzerrt die Zukunft der Medien
Fernsehen im Scherbenspiegel Charlie Brooker hatte wieder die Schnauze voll. Also entwickelte der britische Medienmacher abermals ein neues TV-Serien-Konzept, das kompromisslos und brutal zum Umdenken anstößt. »Black Mirror« ist eine wilde Satire-Serie, die künftige Medienwelten ad Absurdum führt. Für Charlie Brooker waren Störsignale und TV-Entertainment noch nie ein Gegensatzpaar. Deshalb konnte er zum Beispiel problemlos Untote im Blutrausch mit den Bewohnern einer Big-Brother-Behausung zusammendenken. 2008 veröffentlichte er mit der Mini-Serie »Dead Set« seine brachialste Satire, in der ein Zombie-Virus in der Gegenwart die Apokalypse ausbrechen und die mediale Extremsituation Reality-TV rammen ließ, um in sozialer Zerstörung zu enden. Brookers Glaube an die Medien und ihre Technologien bedeutet Erschütterungen. Als Englands großer Medienzerstäuber und Kulturkritiker etablierte er sich zuletzt mit Satire-Shows wie »Screenwipe« (2006), »Newswipe« (2009) oder »How TV Ruined Your Life« (2011). Seine aktuellste TV-Serie »Black Mirror« (2011) ist ein neuerlicher Höhepunkt seiner zynischen Karriere.
text Klaus Buchholz Bild apa
Der Premierminister und das Schwein Die erste Folge »The National Anthem« zielt auf die Macht von Social Media ab. Eine Angehörige des britischen Königshauses wird als Geisel genommen. Unter Tränen muss sie eine Erpresserbotschaft per Video an den Premierminister richten. Die Nachricht erreicht diesen via Youtube, wo der Clip verbreitet wurde. Um die Prinzessin zu retten, muss der Premier während einer live übertragenen TV-Inszenierung vor laufenden Kameras Sex haben, und zwar mit einem Schwein. Es geht um ihr Leben und seinen Medientod. Die passende Antwort des Beraterstabes auf die Ratlosigkeit des Premiers lautet: »This is virgin territory, Prime Minister. There is no playbook.« Wir werden Zeuge der Berichterstattung in grotesken Krisenzeiten, wenn Skandale einen größeren Marktwert haben als die Schadensbegrenzung. Auch die Newsrooms der staatlichen Medien rotieren nun unter Konkurrenzdruck. So lange, bis die Öffentlichkeit bekommt, wonach sie dank Youtube, Twitter und Facebook schon lechzt – eine staatsmännische Tragödie als internationalen Megaevent. Während die Darsteller die Absurdität der Story mit Ernsthaftigkeit und Dramatik überspitzen,
nimmt uns Charlie Brooker an der Nase. Alle werden Teil des fatalistischen Spiels um Öffentlichkeit und Verantwortung: die korrumpierbare Politik, die wetteifernde Berichterstattung und das geifernde Massenpublikum; inklusive uns als Reflektierende.
Neues aus der Vorzukunft Die zweite Folge (»15 Million Merits«) handelt von einer Zukunft, in der die Bevölkerung zur dauernden Unterhaltung über Bildschirme und interaktive Gadgets verdammt ist. Den einzigen Ausweg aus der Dystopie bietet eine Talentfernsehshow. Der dritte und letzte Teil (»The Entire History Of You«) spielt in einer Welt, in der die eigenen Erinnerungen im Kopf – ähnlich der Facebook-Timeline – problemlos zurückverfolgt und abgespielt werden können. Dass der skizzierte Technologiesprung zwischenmenschliches Chaos fördert, hat Charlie Brooker geschickt vorprogrammiert. Abermals stemmt sich Brooker gegen die Entfremdung in einer Mediengegenwart, die ihn zum gefeierten Zyniker machte. Auf die Redundanz seines prominenten Zeigefingers antwortet er mit clever-düsteren Visionen. Auch wenn so manche Szene bei »Black Mirror« mit der Brechstange ausagiert wird und auch er nicht vor Bockschüssen gefeit bleibt, so liegt seine Überzeugungskraft in den Details seines mehrdimensionalen Konzepts. Noch dringt sein kritischer Humor zu uns durch – noch sind wir keine Zombies. »Black Mirror« erscheint in Großbritannien am 24. Februar auf DVD (Channel 4 DVD). »Dead Set« ist bereits ebendort erschienen und soll in der ersten Jahreshälfte 2012 auch auf Deutsch veröffentlicht werden (Anolis Entertainment).
Festival des österreichischen Films Graz, 20.– 25. März 2012
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Großer Diagonale-Preis Spielfilm 2011: Die Vaterlosen von Marie Kreutzer Großer Diagonale-Preis Dokumentarfilm 2011: Nachtschichten von Ivette Löcker Diagonale-Preis Innovatives Kino 2011: Chiles en Nogada von Billy Roisz Diagonale-Publikumspreis 2011: Schwarzkopf von Arman T. Riahi
www.diagonale.at
Text stefan niederwieser Bild heide prange
soap & skin — Das schwierige zweite Album
For Father, Forever Ago 037 Ganz nebenbei rettet Soap & Skin mit »Narrow« das Kunstlied. Dabei wäre das Album beinahe nicht erschienen. Lange ist der Gaul geritten worden. Jetzt schmeißen wir ihn über Bord: den Autor. Oder besser, den Tod des Autors. Was soll Soap & Skin noch tun, damit niemand mehr vermutet, das sei alles ausgedacht und inszeniert? Written, arranged, performed and produced by Anja Plaschg. Oder anders gesagt: Die Musik wurde von Anja Plaschg im Alleingang geschrieben, eingespielt, umgesetzt, durchdacht, komponiert, verwirklicht, vollendet und schließlich in diese Form gebracht. Durfte man beim ersten Album noch verwundert sein und fragen, ob hier nicht doch zwei, drei Herrschaften im Hintergrund vorsichtig an ein paar Fäden ziehen, wenn eine 17-Jährige für solchen Karawummel sorgt und mit ihrem Debüt reihenweise Titelblätter erlegt, so hat sich das drei Jahre nach »Lovetune For Vacuum« völlig erledigt. Das ist sie selbst, die ungewöhnlich hohe, weil professionelle Anforderungen an Konzertveranstalter stellt, sie verweigert bestimmte Interviews, sie sucht ihr Coverfoto aus und bestimmt gemeinsam mit ihrer Schwester über das Artwork. Soap & Skin tut alles, damit jede Faser ihrer Arbeit in ihrer Kontrolle bleibt, damit dieser Schleier zwischen ihrer Musik und den Hörern möglichst verschwindet. Written, arranged, performed and produced by Anja Plaschg. Der Tod des Autors war wichtig. Hier wird dieses Konzept mit Wucht abgeschafft. Tschüss, wir sehen uns ja bald wieder. Auftritt Soap & Skin.
Da Capo Soap & Skin hatte Anfang 2009 eines der wichtigsten Alben, die in den letzten zwölf Jahren in Österreich entstanden waren, geschrieben. Selbst wenn man mit ihrem Drama, der Expressivität und ihrer grundösterreichischen Besessenheit vom Tod rein gar nichts anfangen kann, man musste ihr das erst einmal nachmachen: unbedingte Eigenständigkeit. So klang einfach sonst nichts … so wie diese Vermählung von Folk, gereiztem Piano, elektronischer Avantgarde, vergreistem Kunstlied und Intensität. Nirgends. Sie wurde gespielt und gefeiert, dann kam der echte Tod. Beim Interview in Wien ist Soap & Skin distanziert, vielleicht unsicher, vielleicht von einem viel zu teuren Rum betrunken, jedenfalls wortkarg. Wenn es aber etwas zu sagen gibt, tut sie das auch. Wie bei der Frage, wie viele Aufnahmen sie braucht, um die Stimme so hinzubekommen – sehr viele, teilweise fast für jedes Wort. Dabei hat Soap & Skin auf »Narrow« Vertrauen in ihre Stimme bekommen, sie ist vorerst die auffälligste Veränderung der letzten Monate. Aber jede Silbe, jede Phrasierung, jeder Laut und jede Tonhöhe ist genau vermessen. Immer wieder werden Tonhöhen nach unten verbogen, gedoppelt, verschliffen, Silben offener oder härter gesungen, als sie das nach strengem Gesangsknigge sein sollten. Manchmal so sehr, dass die Stimme überstrapaziert war. Nach Live-Auftritten fühlt sich Soap & Skin, als hätte sie eine halbe Stunde lang geschrien. Mit diesem Druck in dieser Lage zu singen, zwischen Brust- und Kopfstimme, ist ein Grenzfall. Soap & Skin versucht dem mit Training beizukommen und verbraucht ihr Organ in der Zwischenzeit. Ihre Stimme ist jetzt stärker, deutlicher, akzentuierter und nachträglich kaum noch verfremdet. Auch hier: Die Suche nach so etwas Veraltetem wie Wahrhaftigkeit.
Exposition Bon Iver, die Antlers oder Perfume Genius haben ihr, der Wahrhaftigkeit, ebenfalls nachgespürt. Im Internet lesen sich ihre Berichte über die Leiden in einsamen Hütten und Krankenhäusern aufreibend und bizarr faszinierend. Diese Qualen – und ihre Verarbeitung in Liedern – stehen bei ihnen am Beginn einer Karriere. Sie sind für Waldschrat-Folk schon fast so ein unumstößlicher Beweis von Authen-
tizität wie Schusswunden für Rapper. Aber wie seltsam ist es, ganz unmittelbar vom Tod des eigenen Vaters erzählt zu bekommen und davon, wie Soap & Skin – oder Anja? – fast daran zerbrach. Ein dreiviertel Jahr lang konnte sie keine Musik mehr machen, war in ärztlicher Behandlung, bis sie das mit den Tabletten nicht mehr aushielt und sich einen Monat in ein kleines italienisches Dorf zurückzog, um dort langsam wieder aufzutauchen. In all der Zeit war sie wie gelähmt, wusste nicht, wie sie ihren Song »Vater« zu Ende bringen sollte, den Eröffnungssong des Albums. Erst als dieser seine endgültige Gestalt annahm, fügten sich auch andere Fragmente zu einem Ganzen, das sie auch veröffentlichen wollte. Natürlich weiß Soap & Skin, dass sie diese Geschichte soeben der Presse erzählt hat. Wäre »Narrow« ohne dem weniger dramatisch? Eher nicht. Aber es stattdessen nicht zu erzählen, den Tode aussparen, wäre noch eigenartiger – gerade, wenn man sich schon früher an dem Thema abgeschunden hat. Stimme, Flügel, Rechner, Streicher und Bläser – ganz am Ende von »Vater« münden sie in einem triumphalen Finale. Die Sounds auf »Narrow« sind deutlich klassischer, reduzierter und expressiver geworden. Die elektronischen Verfremdungen von »Lovetune For Vacuum« sind so wie die Pfeifen, Orgeln oder der Leierkasten kaum noch auszumachen. Auch Soap & Skin musiziert mit dem weniger. Und rettet dabei wie im Vorbeigehen das Kunstlied. Den Wink mit dem morschen Holzpfahl, wenn sie in »Lost« Franz Schuberts Sehnsuchtswalzer verarbeitet, hätte es dafür gar nicht gebraucht. Bei all den brillanten Einzelsongs wirkt »Narrow« dennoch zerfahren, der innere Rhythmus beschädigt. Das Album will sich nicht zu einem schlüssigen Ganzen fügen – was man leicht verkraftet: »Wonder« ist ein bipolarer Gospel, berührend, tröstlich und schal zugleich, »Deathmental« ein Kanon, der in Verzweiflungsschleife hängt und noch einmal alles aus den Innereien des Rechners holt. Dafür allein lohnt es sich zuzuhören.
Reprise Soap & Skin hat seit ihrem Debüt vor drei Jahren ins Gesicht der Welt des Pop geblickt. In der Royal Festival Hall in London eröffnete sie auf Einladung von Leonard Cohen für Patti Smith. In Paris spielte sie mit Mitgliedern von Radiohead, Air und Supergrass harmlose Coverversionen von Velvet Underground. »Femme Fatale« zu singen, lehnte sie ab, Feist war in der Nähe und sprang ein. Zur Kollaboration mit Apparat schnitt sie düstere Filmszenen von Fritz Lang zum pochenden Rhythmus des Schicksals um. Ein Duett mit Andreas Spechtl von Ja, Panik ließ wiederum völlig unerwartet das gesellschaftliche Ganze und The Money in die Blase von Soap & Skin einbrechen. Politik, das bleibt im Leidens-Spektakel von Soap & Skin normalerweise ganz draußen, ja es ekelt sie an, das gemeinsame Cover von Ja, Paniks Song »Trouble« soll dennoch veröffentlicht werden.
Coda »Narrow« ist nun nicht das neue Monument geworden, eher eine klaffende Wunde. Dafür hat der ganze Biografie-Kitsch gesorgt, der sich erst absondern musste. Soap & Skin hat ihren Ausdruck geschärft, sich eine neue Stimme gegeben. Auf der Suche nach Wahrhaftigkeit tut sie alles, damit die Mauer zum Beobachter und zu ihren Hörern einstürzt. Vielleicht kommt wie bei Bon Ivers »For Emma, Forever Ago« nach der Isolationsplatte ebenfalls der Schritt zum selbstbetitelten Album. »Soap & Skin« by Soap & Skin. Written, arranged, performed and produced by Anja Plaschg. Abgang. Da Capo. »Narrow« von Soap & Skin erscheint am 10. Februar via Solfo. soapandskin.com
A Thousand Fuegos — Dunkelkammer Disko-Pop
Schüchterne Hymnen 038 der Widersinnigkeit
text Michael Kirchdorfer Bild seayou
Spielzeug-Electronica, New Wave-Psychedelic und Lo-Fi-Folk: Matthias Peykers aka A Thousand Fuegos wandelt auf seinem neuen Longplayer »The Treachery Of Things« zwischen Vintage-Ästhetik und elektronischem Experiment. A Thousand Fuegos hat in der Nostalgie die Selbstauflösung gefunden: Gitarrenwände und hymnische Synthesizer schlafwandeln im Irrgarten der bipolaren Gegensätze. Irgendwann verliert man dann das Gefühl für Zeit und Raum. Ernsthafter Hippie-Quatsch, unterschwelliger Pathos und außerkörperliches Selbstmitleid lassen nebenher Melodien entstehen, die 2012 wie das neue 1982 klingen lassen. Doch ganz so oldschool ist »The Treachery Of Things« dann doch wieder nicht. 30 Jahre sind vergangen, seit Bands wie My Bloody Valentine, Slowdive, Cocteau Twins oder Young Marble Giants ihre Stimmen aus dem Untergrund erhoben haben, um mit Feedbackorgien seltsame Befindlichkeiten in Verzerrungen zu verpacken. Sie scheinen wie verflogen, wenn die Fuegos den dissoziativen Neo-Shoegaze mit traumwandlerischem Mantra-Gesang und psychedelischer Echo-Lyrik zelebrieren. »The Treachery Of Things« ist kein Verrat an der Ästhetik vergangener Alben. Das Fuego-typische Lo-Fi-Geschrammel ist immer noch da, nur badet es in elektrifizierten Soundcollagen. Zwischen den Fugen der Abstraktion aber steckt in jedem Song ein Kern, der nach Lagerfeuer und Heu riecht.
Der mythische Unterbau der LoslösunG Als sich Peyker 2011 in ein Haus am Fuße des Affenbergs zurückzog, stand die Idee im Raum, sich in das leerstehende Gebäude für drei Monate zurückzuziehen. Im Hall der ländlichen Kirchenräume fand A Thousand Fuegos eine Parallele zu den urbanen Clubs – im Einsatz von Licht, Stimme, ritualisierter Gestik und mythischem Unterbau. Statt Folk-Electronica-Miniaturen übernahmen Loops und unkonventionellere Songstrukturen die Atmosphäre des Klangs. Die Songs
sollten sich vom Spurenschichten am Rechner befreien: »Die Tracks entstanden aus der Arbeit an Samplern, Loopmaschinen und experimentellen Improvisationen.« Parallel dazu entstand in der Isolation ein Gefühl der Auflösung: »The treachery of things, der Verrat der Dinge, liegt in ihrer Eigenschaft, passiv zu verharren, während ihnen allerseits identitätsstiftende Attribute angedichtet werden. Nie können wir auf den Grund der Dinge kommen, losgelöst von ihren subjektiven Zuschreibungen und Bedeutungen. Auch die Texte des Albums drehen sich um das Spiel mit dem Gedankenexperiment, die Dinge von ihren Eigenschaften zu befreien.« Verhalten und sphärisch beginnt das Album mit dem Track »Naenie«. Der Winterfrost zeichnet Spuren ans Fenster, die Häuser draußen sind grau, die innere Sehnsucht in Technicolor. Aber was tun mit der Welt im Kopf, außer, sie zur Hymne werden zu lassen? Die offene Songstruktur von verschachtelten Widersinnigskeitshymnen wie »I Am Not There« oder »Savant Summer« bieten sich als Pforten der subjektiven Assoziation an. Es sind Lieder über den ewigen Zwischenzustand, in denen der Kopf hoch oben in den Wolken verweilt. »There is past and there is future and there is the moment in between moments«, singt Peyker auf der Single-Auskopplung »No Up And Down«. Die Loslösung passiert mehrfach: von traditionellen Songstrukturen und vom Emotionalen, Intimen – durch elektronische Sounds und durch Hall, der wie ein roter Faden im Album immer wieder Raum und Distanz schafft. Es ist ein zeitgeistig rückwärts gerichteter, dabei aber prägnant gegenwärtiger, überbelichteter Dunkelkammer-Disco-Pop. »The Treachery Of Things« von A Thousand Fuegos erscheint im Frühjahr 2012 via Seayou Records.
Claes Oldenburg The 60s
4. 2.–28. 5. 2012
museum moderner kunst stiftung ludwig wien MuseumsQuartier, A - 1070 Wien Mo 14–19, Di bis So 10–19, Do 10–21 www.mumok.at
Cindy Sherman — Das unbekannte Frühwerk einer Kunstikone
Frauen in Metamorphose
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Cindy Sherman ist eine der bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerinnen. Gabriele Schor arbeitete mit ihr gemeinsam drei Jahre lang intensiv ihr fotografisches Frühwerk auf. Bis heute war der Großteil jener 59 Arbeiten Cindy Shermans aus den Jahren 1975 bis 1977 der Öffentlichkeit völlig unbekannt. Die 1954 geborene Amerikanerin entdeckte bereits als Studentin an der State University of New York in Buffalo nach anfänglichen Malerei-Versuchen die Fotografie als ihr künstlerisches Medium. Beeinflusst durch New Yorker Künstler, die das dortige Künstlerzentrum Hallwalls aufsuchten, entstand innerhalb kürzester Zeit eine künstlerische Sprache, die Shermans Werk seit 30 Jahren prägt. Nach Abschluss des Studiums ging Sherman nach New York und wurde Ende der 70er Jahre mit der Fotoserie »Untitled Film Stills« (1977–80), in der sie fiktive Filmszenen nachstellt, international bekannt. In all ihren Arbeiten spielen Verwandlung, Maske und Inszenierung eine Rolle. In einer der jüngsten Serien, »Clowns«, etwa fotografiert sich die Künstlerin mit unterschiedlichen Clownmasken. Alles, was vor den »Untitled Film Stills« geschah, wird erst 25 Jahre danach durch zwei Editionen aus dieser Zeit, die die Künstlerin herausgibt, und eine folgende Ausstellung ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Die Sammlung Verbund, 2004 vom gleichnamigen Energieunternehmen gegründet, sammelt Shermans frühe Werke von der ersten Stunde an. Sammlungskuratorin Gabriele Schor wurde bereits vor einigen Jahren auf Cindy Shermans Frühwerk aufmerksam, das während ihrer Studienjahre in Buffalo entstand und bereits die künstlerische Sprache späterer Werke vorwegnimmt. Drei Jahre arbeitete Schor gemeinsam mit Cindy Sherman und der New Yorker Metro Galerie, die die Künstlerin seit Karrierebeginn vertritt, intensiv all jenes auf, was in der Studienzeit der Künstlerin entstand. Nun erscheint ein Catalogue Raisonné mit dem Titel »Cindy Sherman - Das Frühwerk 1975-1977«, der 59 Arbeiten aus dieser Zeit dokumentiert und analysiert.
Wie wurden Sie auf das Frühwerk von Cindy Sherman aufmerksam? gabriele schor: Als die Sammlung Verbund im Jahr 2004 gegründet wurde, haben wir gleich zu Beginn vier »Unitled Film Stills« von Cindy Sherman erworben. Ein Jahr später haben wir dann die sehr frühen Serien »Untitled (Bus Riders)« und »Untitled (Murder Mystery People)« angekauft gemäß unserer Maxime »Tiefe statt Breite«. So entstand meine Faszination für das Frühwerk von Sherman. Wir sammeln Kunst ab 1970, als Künstlerinnen und Künstler den Körper als Medium entdeckten, Fotografie, Video und vieles mehr als neue künstlerische Ausdrucksformen aufkamen. Viele international bekannte Künstler wollen mit ihren ganz frühen Werken heute nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Warum ist es bei Cindy Sherman anders? Erstaunlich ist, dass die Künstlerin in nur zweieinhalb Jahren ein komplexes, fast in sich geschlossenes Werk entstehen ließ, in dem schon alles, was später kam, enthalten ist. Könnte man sagen, dass die Künstlerin in dieser Zeit so etwas wie ein Vokabular für ihr Lebenswerk anlegte? Ja. Cindy Sherman hat bereits zu Studienzeiten – sie begann 1972 mit Malerei, wechselte dann zur Fotografie und schloss 1976 ab – ihre eigene und unverwechselbare künstlerische Sprache entwickelt. Und vielleicht ermöglicht auch der zeitliche Abstand von 35 Jahren für die Künstlerin, sich nun mit dem Frühwerk auseinanderzusetzen und so konnten wir dieses an die Öffentlichkeit bringen. Hat Sherman alle frühen Werke, die Sie gefunden haben, im »Catalogue Raisonné« zugelassen? Ja. Sie hat eigens für den »Catalogue Raisonné« Arbeiten zum Abbilden frei gegeben, die sie ohne den Anlass dieses Buches nie hätte veröffentlicht lassen. Manche Arbeiten sind leider verschollen.
Zur Person: Gabriele Schor leitet seit 2004 die von ihr aufgebaute Sammlung Verbund. Sie studierte in Wien, Berlin und San Diego, arbeitet als Kuratorin und lehrte an mehreren Universitäten international und war KunstKorrespondentin für die Neue Zürcher Zeitung.
Text erwin uhrmann Bild sammlung verbund
Wo haben Sie eigentlich die Werke gefunden? War denn alles verfügbar? Zum Glück hat Cindy Sherman selbst ein sehr gutes Archiv ihrer Arbeiten. Ich bin natürlich auch nach Buffalo an ihren Studienort gereist, war an der Universität und auch in Hallwalls, einem Künstlerzentrum, wo die Studierenden mit neuen konzeptuellen und performativen Ansätzen in Berührung kamen. Dorthin wurden viele New Yorker Künstlerinnen und Künstler eingeladen, dass war auch für Shermans frühes Schaffen sehr wichtig. Ich habe mir Installationsfotos von den Ausstellungen in Hallwalls angesehen und auf diese Weise Werke entdeckt. Wir haben auch Annoncen in den lokalen Medien in Buffalo aufgegeben, um Besitzer von Werken ausfindig zu machen. Wir haben die Chronologie ihrer Ausstellungen recherchiert. Manches war in Auktionskatalogen zu finden. Ein Teil der frühen Werke ist im Besitz der Familie oder von Freunden der Künstlerin, bei manchen Werken wusste sie noch, wer es hat, bei anderen wieder nicht. Es gibt also sehr viele Quellen, die berücksichtigt werden mussten. Und einige Werke, wie etwa alle Cutouts der »Bus Riders« oder »Doll Clothes« sind leider verschollen, die konnten wir aber anhand von Shermans Dias, Kontaktbögen und Aufzeichnungen rekonstruieren. Sie haben Cutouts erwähnt, also ausgeschnittene Fotos. Wie hat die Künstlerin gearbeitet in dieser Zeit? Ich teile Cindy Shermans Frühwerk in drei Phasen. Am Anfang konzentriert sich die Künstlerin auf die Verwandlung des Gesichts. Sie macht eine Serie, die mit dem Erwachsenwerden zu tun hat, wie ein Mädchen über viele Fotografien hinweg sich zu einer jungen Frau verwandelt. Dann kommt die nächste Phase, die erwähnten Cutouts. Die Künstlerin erweitert ihre Verwandlung auf den ganzen Körper. Cindy Sherman fotografiert sich in unterschiedlichen Posen und Rollen, schneidet die Figuren aus und reiht sie aneinander, es entsteht auch der Film »Doll Clothes«, wo es um Identitätsfindung geht. In der dritten Phase wird das Werk äußerst komplex. Es entstehen zahlreiche »Bus Riders«, die tatsächlich in einem öffentlichen Bus ausgestellt waren. Weiters setzt sie in Bildgeschichten die Charaktere in Beziehung zueinander. Sherman war begeistert vom Kino und davon auch beeinflusst. Es entstanden Serien, die filmisch eine Geschichte erzählten, es gab sogar detaillierte Drehbücher dafür. »A Play of Selves« etwa ist eine Abfolge von 72 Szenen mit 244 Figuren, die sie ausgeschnitten hat. Welchen Einfluss hatten die Künstler, die nach Hallwalls kamen, auf Cindy Sherman?
Wichtig etwa ist der Einfluss von Künstlerinnen und Künstlern, die Installation und Performance machten, wie etwa Vito Acconci, Bruce Nauman und Chris Burden. Viele Künstlerinnen machten ihr Mut, den eigenen Körper in der Kunst einzusetzen wie etwa Lynda Benglis, Eleanor Antin, Suzy Lake, Adrian Piper und Hannah Wilke. Ihr hat bei Benglis und Wilke die feministische Provokation gefallen. Es war ihr aber auch immer klar, dass sie ihren Körper nicht in dieser Form exponieren wollte, etwa nackt. Im Frühwerk ging es auch nicht um Provokation. Als Cindy Sherman nach New York ging, änderte sich ihre Arbeitsweise. Sie entwarf keine Szenen mit Cutouts mehr, sondern konzentrierte sich auf das Einzelbild. Warum? Ich denke, Cindy Sherman ist ein Mensch, der sich sehr schnell auf etwas Neues einstellt. Zunächst war sie Studentin und hatte viel Zeit. Die Cutouts, die sie machte, waren ja mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden. Dann endete ihr Studium, sie erhielt ein Stipendium und zog nach New York. Dort änderte sie sofort ihre Arbeitsweise und konzentrierte sich nur mehr auf das Einzelbild. Es ist wie der Sprung von der Moderne zur Postmoderne, den die Künstlerin hier selbst nachvollzieht. Noch ein Beispiel: In einer Arbeit aus dem Jahr 1975, die sie als ihre offiziell erste bezeichnet, zeigt sie in einer Abfolge von Bildern, wie sie sich von einem Mädchen mit Brille zu einer ganz anderen Frau, geschminkt und in selbstbewusster Pose, verwandelt, Schritt für Schritt. Sie hat jedes Bild in eine Plastikhülle gelegt und diese Hüllen vernäht. Man könnte also sagen, es handelt sich immer um eine Person, die sie hier aufgespalten hat in Einzelbilder. Später dann zeigt sie diese Verwandlung nicht mehr sondern nur mehr das Resultat. Thematisch aber scheint Sherman erstaunlich stringent und linear zu bleiben. Ja, es geht immer um Verwandlung, um die Frage: Wie kann ich mich in einen anderen Typus Frau verwandeln. »Catalogue Raisonné. Cindy Sherman. Das Frühwerk 1975–1977« ist im Jänner 2012 im Verlag Hatje Cantz erschienen. Die begleitende Ausstellung »That’s me – That’s not me. Cindy Shermans frühe Werke« in der Vertikalen Galerie der Verbund-Zentrale (Wallnerstraße 3, 1010 Wien) zeigt von 27. Jänner bis 16. Mai 2012 rund 50 Werke der Künstlerin. Geführte Kunstgespräche nach Voranmeldung jeden Mittwoch ab 18:00 und Freitag ab 16:00 Uhr, Anmeldung: +43 (0)50313-50044 oder: sammlung@verbund.com
Design-Copyright — Originalität, Kopie und Klagen in Graubereichen
Legal oder egal? 042 Nur die wenigsten Designer kümmern sich um die Wahrung ihrer Rechte, wenn es um die »Originalität« eines Entwurfes geht. Diese Passivität hat meist gute Gründe. Wer sich mit Kindermöbeln auseinandersetzt, wird um Thomas Maitz nicht herumkommen. Der Grazer Designer begann 2001 mit der Produktion eines Sitzwürfels namens »Max in the box«, der in Sachen Vielseitigkeit und Praxistauglichkeit viele andere Kindermöbel aussticht. Mit Beharrlichkeit hat sich der Steirer jahrelang um den Vertrieb seines Entwurfes gekümmert, heute verkauft sein kleines Unternehmen Perludi Kindermöbel in die ganze Welt. Doch der Markt ist begrenzt und Ikea lauert überall. Daher war Maitz nicht sehr erfreut, als er eines Tages auf ein Möbelstück namens »Baby Cube®« aufmerksam gemacht wurde, das von einem deutschen Unternehmen produziert wird und nach seinem Dafürhalten »Max in the Box« verdammt ähnlich sieht. »Ähnliche Produkte in ihrer Funktion als Würfelhocker gibt es schon seit vielen Jahren«, erklärt Maitz. »Aber in Punkto Multifunktionaliät, sodass man mit einem Set Tisch und Sessel mit mehr als nur zwei Sitzhöhen zur Verfügung hat, ist Baby Cube® das erste Produkt, das unserer Box gelinde gesagt stark ähnelt.« Die Darstellung und Beschreibung des deutschen Produktes scheinen »sehr angelehnt« zu sein, so Maitz,
ebenso die Farbkombinationen, die in der gleichen Reihenfolge ihrer Markteinführung wie »Max in the box« erschienen seien. »Sogar der Verpackungskarton hat dasselbe Format. Außerdem lässt sich ein Kontakt auf einer Messe vor wenigen Jahren nachweisen, wo man freundlicherweise Visitenkarten getauscht hat.« Maitz’ Konkurrenz sieht das naturgemäß anders. Eine direkte Anfrage von The Gap blieb zwar vom Produzenten unbeantwortet, aber auf eine weitere an das Versandhaus Jako-o (das den Baby Cube® zu Beginn der Recherchen noch verkauft hatte, diesen aber mittlerweile aus dem Programm genommen hat, ohne dafür Gründe nennen zu wollen) kommt folgende Reaktion: »Auf die Anspielung der fast detailgetreuen Kopie von ›Max in the box‹ weist der Lieferant ausdrücklich darauf hin, dass dem nicht so ist, da doch große Unterschiede zu sehen sind. Alle weiteren Ähnlichkeiten sind reiner Zufall.«
Industrial-/Mode-/Web-/Verpackungsdesign Und was unternimmt der Designer? Zurzeit nichts, auch weil er sich als Kleinunternehmer stets um den laufenden Betrieb kümmern muss – außerdem kostet ein eventuelles Vorgehen nicht nur Zeit,
Text PETER STUIBER Bild perludi
sondern auch Geld. In der Kreativbranche ist das der Normalfall, wie der auf solche Fälle spezialisierte Rechtsanwalt Meinhard Ciresa bestätigt: »Geistiges Eigentum ist ein nebuloses Begriffs-Wirrwarr. Der springende Punkt ist, dass der rechtliche Schutz im Industrial Design nicht greift. Es gibt häufig keinen urheberrechtlichen Schutz. Da hilft nur der Designschutz als Geschmacksmuster, der wiederum ein Registrierungsverfahren voraussetzt, womit entsprechende Kosten verbunden sind.« Im Klartext: Ein Entwurf ist kein »Original« wie ein Kunstwerk, die eher bescheidenen eigenen Rechte müssen erst angemeldet werden (ein sogenanntes Geschmacksmuster kostet 350 Euro für fünf Jahre und gilt in allen 27 EU-Ländern). Eher Chancen habe man bestenfalls mit einem Sessel-Prototypen, der extrem verspielt ist und über formal-künstlerische Eigenheiten etwas Außergewöhnliches darstellt. Was aber in den meisten Fällen eben nicht zutrifft, weshalb Produktdesigner generell wenig Interesse an dem Thema hätten. Ähnlich ihre Kollegen, so Ciresa: »Die Modedesigner sind am ärmsten dran, weil sie kaum juristische Möglichkeiten haben und meistens auch kein Urheberrechtsschutz besteht. Die Webdesigner interessiert das Thema meist gar nicht. Ein eigenes Genre sind die Verpackungsdesigner, die auch technische Probleme lösen. Die Grafiker wiederum benötigen zusätzlich Informationen über Markenrecht und Markenschutz, was noch viel komplizierter ist als das Urheberrecht.« Der Anwalt hat selbst großes Verständnis dafür, dass Designer im Fall des Falles lieber gar nichts tun. Denn die Kreativen leben bekanntlich oft in prekären Verhältnissen, die Anwaltsstunde kostet aber üblicherweise so zwischen 300 und 400 Euro. Und das Beste, was am Ende einer juristischen Auseinandersetzung herauskommen kann, ist eine Unterlassung seitens des Beklagten – von »Schadenersatz« können Designer nur träumen. Mittlerweile wird fröhlich weiterkopiert. Christi-
ne Lacroix kennt sich damit bestens aus. Sie ist Geschäftsführerin von Plagiarius Consultancy, einer Initiative, die seit mehr als 30 Jahren den in Deutschland bekannten »Plagarius« für dreiste Kopien vergibt: »In den 70er und 80er Jahren wurden überwiegend Luxusartikel kopiert, mittlerweile reicht die Bandbreite von Haushaltswaren und Möbeln über Kinderspielzeug, Sanitärprodukte und Lebensmittel bis hin zu hochkomplexen Geräten und Maschinen. Die Skrupel sind deutlich geringer, zugleich ist die Qualität der Kopien besser geworden, das ist ein globales Problem.« Erst recht, seit es das Internet gibt. Daher hat Lacroix wenig Verständnis dafür, wenn vor allem junge Designer jeden Entwurf sofort ins Netz stellen: »Wer seine Ideen kostenlos für jedermann verfügbar macht, verschenkt vielleicht eine gute Idee an skrupellose Nachahmer, die Profit daraus schlagen.« Ältere und erfahrene Designer seien hier vorsichtiger, meint Lacroix. Ähnlich äußerte sich jüngst der deutsche Stardesigner Stefan Diez, als er meinte, ein Entwurf, den man auf dem bekannten Designblog dezeen.com vorstelle, sei so gut wie verheizt. Doch welcher Designer will darauf verzichten, ein weltweites Publikum medial zu erreichen? Es gibt noch weitere Gründe, warum Entwerfer nur selten mit schwerem Geschütz auffahren: die natürliche Scheu, vor Gericht zu gehen, und die Angst, dann bei potenziellen Auftraggebern als Querulant verschrien zu sein. Typisch dafür ist der Fall einer Designerin, die bei einem Designwettbewerb eines deutschen Unternehmens mitmachte, diesen nicht gewann, einige Zeit später jedoch feststellen musste, dass ihr Entwurf in Produktion ging, ohne dass man sie davon in Kenntnis gesetzt oder dafür bezahlt hätte. Sie erstritt zwar nachträglich ein Honorar, ihren Namen will sie allerdings nicht publiziert wissen: Eine schlechte Nachrede würde ihrer allgemeinen schlechten beruflichen Situation noch eines draufsetzen.
Christof Straub
der wortwechsel. vier personen zur frage:
Musiker
Was soll die Festplattenabgabe?
»Kunst hat Recht« — Die heute vorherrschende und zunehmende »Gratis-Mentalität« hat verheerende Auswirkungen auf die Musikszene. Der Umsatz des heimischen Musikmarktes hat sich allein in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Davon sind alle Akteure der Musiklandschaft betroffen: Von der jungen Band, die eines Tages von ihrer Musik leben möchte, über Songwriter, Produzenten bis zu Mitarbeitern von Labels und Verlagen. Menschen, die Künstlerisches schaffen, müssen davon auch leben können. Das wird in Zukunft nur möglich sein, wenn wir eine Lösung finden, die großartigen Innovationen der digitalen Welt mit einer fairen Vergütung der Urheber und Rechteinhaber zu kombinieren. Die Kriminalisierung von Usern ist keine Lösung. Ein sinnvoller Ansatz ist allerdings die Festplattenabgabe, die z.B. in Deutschland bereits existiert. Wir von der Initiative »Kunst hat Recht« schlagen hier Folgendes vor: Festplattenabgabe, ja. 50 % der Vergütung kommen den Fonds für soziale und kulturelle Zwecke zugute, mit denen die Verwertungsgesellschaften vor allem Nachwuchsförderung oder auch soziale Unterstützungen leisten. Die anderen 50 % verteilen die Verwertungsgesellschaften an die Kunstschaffenden nach etablierten Kriterien und Schlüsseln. Christof Straub, 42, ist Teil und Songwriter der Band Papermoon und Initiator der Organisation »Kunst hat Recht«.
Mehr zahlen für Festplatten, weil man darauf eventuell einige Musikfiles oder Filme speichern könnte? Keine Diskussion! Wenn es darum geht der fettleibigen Musikindustrie eines auszuwischen, sind die Positionen schnell bezogen. Eine Festplatte zu besteuern sei ja ungefähr so wie Papier zu besteuern, weil man darauf »Krieg und Frieden« von Tolstoi abschreiben könnte. Schnell nehmen Diskussionen über die faire Wertschätzung der Urheber Züge an, die eher an klassenkämpferische Parolen Wirgegen-die-da-oben erinnern oder sich in CAPS LOCK RAGE über die Unterstellung, man könnte etwas illegal kopiert haben, verwandeln. Dabei ist die Musikindustrie nicht mehr so fett wie früher, sprich: nur mehr halb so fett wie vor zehn Jahren. Aber das darf eigentlich kein Argument sein. Was ist passiert? In Österreich gab es seit den 80ern eine Leerkassettenabgabe. Schellacks und Vinyl zuvor waren ja schwer privat zu vervielfältigen. Mit Kassetten ging das plötzlich relativ einfach, Festplatten erleichterten das Verschieben von ein paar Tagen Musik und Filmen ebenfalls. Die Abgabe auf Kassetten und Festplatten ist dazu da, das Recht auf Privatkopien abzugelten. Dass mit diesen Medien oft Urheberrecht verletzt wird, wird auch von den Klägern gar nicht bestritten. Aber die Leerkassettenabgabe betrifft nationales Recht. Dadurch, dass Festplatten ohne Strafzölle aus anderen Ländern importiert werden können, wird der Wettbewerb verzerrt, Händler aus Österreich müssen Kosten weiterreichen, die in Irland oder Großbritannien nicht anfallen. Soll man jetzt schon wieder Amazon boykottieren, weil es eine Ungleichheit im Binnenhandel an seine User weiterreicht? Nein, es geht bei der aktuellen Aufregung im Wesentlichen um Rechtssicherheit. Die Diskussion zwischen den verschiedenen Klägern und Beklagten findet hinter den Kulissen sehr gelassen und einvernehmlich statt. Jetzt geht die Frage vor den Obersten Gerichtshof. The Gap wird das Thema auf www.thegap.at weiter verfolgen.
dokumentation moritz gaudlitz text stefan niederwieser
Im Jänner 2012 wurde die Abgabe auf Festplatten am Wiener Landesgericht gekippt. Die AK jubelte, während eine Künstlerinitiative genau diese Abgabe einforderte. Das drohende ACTA-Abkommen macht die Diskussion nicht eben sachlicher.
wolfgang renzl
günther friesinger
ursula sedlaczek
medienanwalt
medientheoretiker
vertretung der urheber
»Einheitlicher Rechtsrahmen innerhalb EU« — Aus Sicht der Kunstschaffenden ist natürlich jede Einnahme positiv zu beurteilen. Es sollte nicht den Verwertungsgesellschaften obliegen, neue Abgaben zu erfinden. Hier ist der (EU-)Gesetzgeber gefragt, einheitliche Tarife für die Urheberrechtsabgabe zu schaffen oder aber zu entscheiden, dass keine Festplattenabgabe einzuheben ist. Ein einheitlicher Rechtsrahmen zumindest innerhalb der EU könnte die Zahlungs- und Verteilungsgerechtigkeit bei den Konsumenten bzw. bei den Kunstschaffenden sicherlich erhöhen. Schön wäre es, wenn sichergestellt wäre, dass die Einnahmen auch tatsächlich den Kunstschaffenden und nicht deren Intermediären zufließen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass das Urheberrecht neue Wege finden muss; derzeit sind aber noch keine Gegenkonzepte auszumachen. Die Urheberrechte und die Rolle der Kunstschaffenden müsste gestärkt, die Position der zuliefernden Industrie überdacht werden. Die Kriminalisierung und Einforderung von polizeistaatlichen Methoden durch die zuliefernde Industrie sollte aber, soweit sie die Bürger unter Generalverdacht stellt, bald ein Ende finden. Wolfgang Renzl, ist Rechtsanwalt mit Fokus auf Medien-, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht. Er ist laufend mit urheberrechtlichen Fragestellungen befasst.
»Bestehende Modelle reichen nicht« — Die aktuelle Debatte um die Festplattenabgabe ist um eine Initiative reicher. »Kunst hat Recht« heißt die von einigen österreichischen Künstlerinnen und Künstlern mit Unterstützung durch die heimischen Verwertungsgesellschaften lancierte Initiative. Und diese stößt, wie zu erwarten war, gerade der Digital Bohème sauer auf. Wurde die Initiative doch auch zeitnah zur Unterzeichnung des umstrittenen Anti-Piraterieabkommens ACTA präsentiert. Mit Hilfe des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (kurz ACTA) Abkommens sollen in Zukunft Produktpiraterie und Urheberrechtsverstöße »nachhaltiger« verfolgt werden. Grundsätzlich Recht hat diese Initiative, wenn sie eine Reform der urheberrechtlichen Vergütungssysteme, insbesondere der Leerkassetten- und Reprographievergütung fordert. Die unter dem altbackenen Namen Leerkassettenvergütung für CDs und DVDs im Kaufpreis inkludierte Abgabe wird seit einiger Zeit in Österreich auch für Festplatten eingehoben. Aktuell wird die Festplattenabgabe aber noch vor Gericht zwischen HP und der Austro Mechana verhandelt. Ganz offensichtlich handelt es sich hier um einen Stellvertreterkrieg zwischen Computer- und Musikindustrie. Diese Situation zeigt den aktuellen Handlungsbedarf und es braucht neue und zeitgemäße Konzepte, wie die Verwertung von Content heute funktionieren sollte. Eines wird keinesfalls zu einer nachhaltigen Entwicklung der Verwertungsprozesse führen, nämlich das Festhalten und Fortschreiben von bestehenden Modellen. Als eine der möglichen Lösungen wäre hier eine Kulturflatrate anzudenken. So lange diese aber noch auf sich warten lässt, scheint eine Festplattenabgabe eine vorübergehende Lösung zu sein. Doch neue Lösungen müssen rasch gefunden werden, andernfalls sind die großen Verlierer die Künstlerinnen und Künstler sowie Nutzerinnen und Nutzer.
»Abgabe für das Recht auf Privatkopie« — Es gibt seit 30 Jahren das Gesetz der Leerkassettenvergütung auf EU-Ebene, die allen Urhebern zu Gute kommt. Laut österreichischem Urheberrechtsgesetz hat jeder Konsument das Recht, urheberrechtlich geschützten Content (Musik, Film, Literatur etc.) zum eigenen und privaten Gebrauch zu vervielfältigen und zu kopieren. Nun gibt es zwar kaum mehr klassische Leerkassetten, es werden aber nach wie vor Daten von Privatpersonen vervielfältigt und auf neuen Datenträgern gespeichert. Den Urhebern steht eine angemessene Vergütung ihrer Werke zu. Aus dem Anteil, der sich aus der Festplattenabgabe ergibt, wären ein Teil Tantiemen für Künstler aller Art. 50 % davon gehen in Fonds, die kulturelle Veranstaltungen organisieren und Künstler unterstützen. Österreich ist ein sehr stolzes Land, vor allem, wenn es um die Kultur und die Kulturschaffenden geht. Wieso sollten Österreicherinnen und Österreicher dann nicht bereit sein, die Kunst und die Kultur, und auch deren Urheber zu unterstützen. Die Festplatten sind einfach die neuen Speichermedien, wie es die Kassetten einst waren. Der nächste Technologieschub sind dann die Cloud-Services. Da sind wir bereits mit einzelnen Anbietern in Verhandlung. Doch auch die sollten gesetzlich geregelt werden. Denn das Prinzip ist schließlich das Selbe. Clouds sind ja nichts anderes als Repräsentanten für unzählige Server, die irgendwo stehen und Unmengen an Speicher für Daten bieten.
» Menschen die Künstlerisches schaffen, müssen davon auch leben können.« (Christof Straub)
Günther Friesinger, 39, ist Philosoph und ist als Mitglied der Künstlergruppe Monochrom tätig. Daneben ist er unter anderem Festivalleiter des Paraflows Festival.
Ursula Sedlaczek, 42, ist Geschäftsführerin der AustroMechana, der Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Österreichs.
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Kurt Freimüller, 34, Sattler
Für Kurt Freimüller ist Leder ein ganz besonderer, natürlicher Rohstoff. Jede Haut habe ihre Unterschiede, individuelle Merkmale und Besonderheiten, so der gelernte Sattler. Seine Erfahrungen und den Arbeitszugang hat Kurt Freimüller in den USA gelernt. Schon während seiner Schulzeit half er auf amerikanischen Ranches im Rahmen von Praktika und entwickelte dort die Liebe zur Sattlerei. Nach seiner Ausbildung hat er auch über ein Jahr in traditionellen Sattlereibetrieben in Andalusien die spanische Sattelkunst erlernt. Als Sattler berät Kurt Freimüller seine Kunden bei der Materialauswahl, informiert sie über sämtliche Modelle und Möglichkeiten, und fertigt schließlich ein Individualprodukt für den Kunden an. Wichtig für ihn ist es, dass er aus einem ursprünglich rohen Material, über mehrere Arbeitsschritte, mit traditionellen Werkzeugen und von Hand, ein ausgezeichnetes Produkt erstellt. Dies ist notwendig, um eine perfekte Qualität zu erreichen. Bei der Herstellung eines Maßsattels vermisst er das Pferd und setzt den Sattel in den unterschiedlichen Produktionsstadien auf das Tier, damit ein perfekter Sitz garantiert wird. www.sattlerei-freimüller.at
dokumentation Moritz Gaudlitz Bild arnold pöschl
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Steffi Feodorow, 36, Projektkoordinatorin
Sport ist wichtig für unsere Gesundheit und die körperliche Fitness, Kultur wiederum für die des Geistes. Steffi Feodorow, studierte Kulturwissenschaftlerin, arbeitet als Kulturvermittlerin, ist Schnittstelle zwischen Kulturkonsumenten, -produzenten und Referenten und organisiert in Kärnten die Kultur Rad Pfade. Diese verstehen sich als innovatives und interdisziplinäres Kulturvermittlungsprojekt, an dem sowohl Erwachsene als auch Kinder und Jugendliche aus Kärnten teilnehmen können. Mittels Fahrrad »erfährt« man einerseits die Landschaft, gleichzeitig »erfährt« der Beobachter Wissenswertes bzw. verborgenes Wissen aus der Kulturgeschichte der Umgebung. Der gemeine Radfahrer, meist durchtrainiert, fährt so schnell er kann und sein Fokus liegt eigentlich im Muskelaufbau sowie dem Ausschwitzen sämtlicher Gifte, die ihm der Alltag so zuführt. Der Kulturradfahrer hingegen ist auch ein begeisterter Fahrradfahrer, aber in gleichem Maße auch eine Person mit weltoffenem Blick, der die sich umgebende Wirklichkeit bewusst erfährt. Es ist nicht leicht, die perfekten Radrouten zu planen, in der die Teilnehmer sowohl körperlich als auch geistig gefördert werden. Steffi Feodorow ist stets damit beschäftigt, die Pfade so zu wählen, dass der Körper zum Schnittpunkt von kultureller und körperlicher Aktivität wird. Es gelingt ihr gut, und ab Frühjahr 2012 wird es auch Routen in die Nachbarländer geben. www.kulturradpfade.at
Advertorial — powered by impulse
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Design als Narration Angelehnt an das berühmte Faust-Zitat von Goethe gründeten die Architekten Nina Mair und Georg Öhler zusammen mit dem Designer Horst Philipp im Jahr 2006 das Unternehmen Pudelskern. Mit Firmensitz in der Alpenstadt Innsbruck und einem Büro, das in einer 300 Jahre alten Seifenmanufaktur liegt, entwirft das Team die vielseitigsten Design-Produkte. Die Alpen, ihre Landschaft und die ländliche Kultur fließen in ihre Arbeit mit ein. Natürliche Materialien und eine nachhaltige Produktion bilden den Ausgangspunkt aller Projekte und Objekte von Pudelskern. »Narrative Design« nennen die drei Unternehmer ihre besondere Art des erzählerischen Designs. Die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den Bereichen Materialforschung, Handwerk und Architektur ist dabei eine ihrer Hauptinteressen. Pudelskern hat sich deshalb auch auf Schafwolle konzentriert, da sie ein natürliches und hoch entwickeltes Material ist, aus dem wunderbare Design-Produkte gemacht werden können. »Die Wolle kann bei unterschiedlichen Temperaturen verformt und in Form gehalten werden«, so die Designer über Lanaforming, einem Vorgang, der die Struktur von Schafwolle durch Temperaturunterschied verändern kann. In ihrem Hauptquartier in Innsbruck produziert das Team, das aus vier Kreativen besteht, derzeit nur ein einziges Produkt selbst. Eine limitierte Edition der Stricklampe »Granny«. Alle anderen Produkte, werden zwar von ihnen entworfen, aber in Lizenz von internationalen Labels produziert und vertrieben. www.pudelskern.at
»Der Kern unserer Arbeit sind die gemeinsamen Entwurfs-Sessions, darin werden die Storys und Konzepte der Projekte entwickelt.« (Pudelskern)
Fotos: Pudelskern
Industrie-Design von Pudelskern: ein Fokus auf natürliche Materialien und handwerkliche Fähigkeiten.
Horst Philipp, Nina Mair und Georg Öhler sind Pudelskern und haben ihren »Faust« studiert.
pudelskern über impulse impulse | aws ermöglicht zeitintensive und wichtige Arbeit, um Technologie weiterzuentwickeln und sie für eine Umsetzung am Markt aufzubereiten. Die kleinen Schafbauern können für diese Arbeit nicht aufkommen, das heißt, am Ende gibt es einen wichtigen Impuls für eine ganze Wertschöpfungskette und für eine ganze Region.
Was war die Idee hinter Pudelskern? Pudelskern ist ein Designbüro, das sich durch seine interdisziplinäre Zusammensetzung mit Bereichen von Materialforschung, Handwerk bis hin zu Architektur beschäftigt. Dabei stießen wir auf die Schafwolle, ein natürliches, hoch entwickeltes Material. Schafe müssen sehr widrigen Witterungsverhältnissen standhalten und bleiben dabei immer weiß. Vorausgesetzt sie waren es schon vorher. Woher bezieht ihr eure Wolle? Woher kommen die Schafe? Die Wolle stammt vom Tiroler Bergschaf, einer Rasse, die im gesamten Alpenraum gezüchtet wird. Die Verarbeitung geschieht im Tiroler Ötztal. Pudelskern entwickelt mehrere Produkte in Zusammenarbeit mit anderen Firmen. Wie entstehen die Kollaborationen? Die Kollaborationen entstehen durch intensive Kommunikation. Offen zu sein ist enorm wichtig dafür, seine Arbeit zu präsentieren. Darüber zu sprechen und dadurch Interesse zu wecken, sind die Grundlagen für alle bisherigen und künftigen Kooperationen. Wie ist die allgemeine Resonanz auf eure Produkte? Die messbare Resonanz, zum Beispiel in Publikationen, ist sehr gut. Wichtiger sind uns aber die Rückmeldungen in persönlichen Gesprächen mit Ausstellungsbesuchern, Journalisten oder auch E-Mails, die wir aus der ganzen Welt bekommen und die von unserer Arbeit begeistert sind. Ein englischer Blog-Eintrag mit einem Foto unserer »Feeler«-Lampe erhielt innerhalb von 24 Stunden 6.000 Likes, Retweets und Kommentare – da ist man manchmal schon erstaunt.
Welche Produkte designt ihr und welche laufen am besten? Wir entwerfen eine große Bandbreite, hauptsächlich im Möbelbereich, machen aber auch Innenarchitektur, denn zwei Mitglieder unseres Kernteams sind Architekten. Ohne Zweifel ist unsere Stricklampe »Granny« ein globaler Verkaufsschlager. Ihr habt auch eine Dependance in London. Wie kam es dazu? London ist eine spannende Stadt, speziell für Interior Design. Das wollen wir dort intensivieren. vor allen Dingen aber sehen wir einen zusätzlichen Wert darin, eine Brücke zwischen zwei Ländern zu bauen und Ideen, Fähigkeiten und Inspirationen hin und her zu transferieren – nur wer wagt gewinnt bekanntlich!
Das Förderprogramm impulse der aws unterstützt Pudelskern im Rahmen von impulse XL. www.impulse-awsg.at
Kolumne: Gründerserie Lookk No 19 von Andreas Klinger
THE PARADOX … … OF MONEY Andreas Klinger, Co-Founder des österreichischen Web / Fashion-Startups LOOKK.com, über die Kosten, die Geld mit sich bringt.
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edes externe Geld bringt Kosten mit sich. Schlecht kalkuliert können diese Kosten den Nutzen des neuen Geldes leicht überwiegen. Auf der einen Seite steht der kostspielige Zeitaufwand, den es benötigt, das Geld überhaupt zu bekommen. Auf der anderen Seite stehen die mit der Aussicht auf neues Geld erzeugten Erwartungen. Diese werden auf der Basis von Umständen getroffen, die sich als falsch herausstellen können (und werden) und das neu entstandene Tempo wird jede falsche Entscheidung amplifizieren. Man korrigiert später, lernt langsamer und bricht sich dabei leicht das Genick. Externes Geld, das als Kerosin verwendet werden soll, wirkt auf junge Unternehmen in Form von Skalierung, Mitarbeiterhierarchien und Expansion und verlangsamt dadurch automatisch jegliches Learning. Je länger man diesen Treibstoff aufschieben kann, desto länger wird man First-handLearning haben, richtige Entscheidungen treffen und so das optimale Produkt finden.
Turbo-Kapital-Risiko VC-Investoren kommen oft historisch aus dem Bereich der Wachstums und Skalierungsinvestments. »Let’s figure targets and push the graphs to the top right«. Bei Startups geht es aber – vor diesem magischem Moment, in dem der Markt nach
dem eigenen Produkt schreit (Product Market Fit) – nicht nach Top Right, sondern oft rauf / runter oder gar in Loopings. Der VC-Investor versucht im Zweifelsfall, Loopings mit Druck in Pfeile zu pressen und nicht das Learning, sondern das Tempo zu bezahlen. Aber dass Investoren und auch Startups hier falsch agieren, liegt in der Spieldynamik der Startup-Welt. Startups überschätzen sich, VCs wollen so früh wie möglich auf einen Zug aufspringen und hoffen ab hier, dass es schon irgendwie gehen wird. In Wahrheit kollidiert das Geschäftsmodell des klassischen VCs mit dem von Startups.
»Aber ich kann’s ja mit Geld auch langsam angehen …« Kein Unternehmer will sich eingestehen, dass das Produkt noch nicht vom Markt validiert ist. Keiner! Man redet sich lieber ein, noch nicht ganz mit Produkt »fertig zu sein« oder die »richtigen« Kunden noch am Weg zu erreichen und erwartet das explosionsartige Wachstum hinter jeder nächsten Ecke. Komplette Ignoranz gegenüber der eigenen Situation trifft auf Unerfahrenheit der eigenen Person und hört auf Wachstumspläne und Best Practices externer Autoritäten. Man verwechselt Investorenvalidierung mit Marktvalidierung und verhält sich, als solle man nun bereits skalieren. Premature scaling kills. Kompletter Schwachsinn und dennoch bei Startups komplett normal.
Branchen-Know-how und Expertise Braucht man heutzutage VC-Geld? Definitiv nicht in Frühphasen des Unternehmens und wer sich damit aufhalten will, wird nur Zeit verheizen, vor oder nach Investment. Man kann nur einen Bruchteil des Kapitals wirklich effizient einsetzen und fährt Leermeilen. Institutionelles Geld macht erst nach einer Marktvalidierung wirklich Sinn. Das Startup braucht Branchen-Know-how und Expertise. Knowhow über das eigene Produkt bekommt man am besten via Learning-by-Doing und Gesprächen mit Kunden. Experten der eigenen Branche können Richtungen zeigen und Türen öffnen. Motivierte Experten werden zu Evangelisten und werden zu den ersten Angel-Investoren. 10–50.000 von den richtigen Leuten sind effizienter verwendbar als 500.000 institutionelles Geld oder Förderungen. Glaubt mir – been there, done that. Wer vor Product Market Fit nach VC Fundraising sucht, hat schon den ersten Fehler gemacht, denn der ist bereits im falschen Mindset.
Andreas Klinger @andreasklinger
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Prosa von Swantje Marx
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sex sells – logisch. swantje marx’ tagebuchroman »one night stand« hebt sich aber angenehm von den büchern ähnlichen inhalts der letzten jahre ab. es wird nämlich explizit reflektiert.
An und Einsichten einer Erotomanin 26. Juli Morgens wache ich auf und entdecke ein dickes schwarzes asiatisches Haar in meinem Bett. Noki37, Filmemacher aus Japan, lebt zurzeit in Europa. Es kam zu keiner Penetration. Vor dem Schlafen blies ich ihm einen: damit wir schlafen können. Bei Sonnenaufgang bat ich ihn gleich hinaus. Mir war schon auf dem Heimweg klar, dass es keinen Sex geben würde. Obwohl er den Körper eines 20-jährigen Triathleten (Regionalliga) hatte. Er macht grammatikalische Fehler à la »Ich komme immer wieder zu hier, alle zwei Monate«, ich antwortete, um dieses grammatikalische Verwirrspiel weiterzutreiben: »Aber nicht bei mir«, was niederträchtig, aber durchaus adäquat war. Meine Mitbewohnerin besitzt eine Flasche guten Wodka. Weil sie Angst hat – wohlbegründete –, dass während WG-Partys aus ihr getrunken wird, hat sie den aktuellen Wodkastand mit Kugelschreiberstrichen angezeichnet. Sie fordert von jedem 5 Euro, der einen Schluck trinkt. Nach dem Einkassieren zieht sie sich wieder in ihr Zimmer zurück. Laut-leise-lautlauter-leise-leiser-laut: Meine neue Theorie ist, dass sie DJ spielt. So wie ein kleines Kind, das in seinem Zimmer dem Ball nachjagt und glaubt, es sei Lionel Messi. Die Mitbewohnerin glaubt, sie ist ein weltberühmter DJ. Sie scratcht nicht, sie hat kein Vinyl, als Arbeitsgerät dient ihr nur ihre alte Anlage, und auf der dreht sie einfach ihr Volume lau-
ter und leiser, auf total geniale Art und Weise. Die Würste der Ekligen, die im Klo zurückbleiben, sind übrigens lang und elegant, winden sich graziös um sich selbst, Kunstwerke. Das irritiert mich. Es wäre genau die Wurst, wie man sie in der Werbung für verdauungsaktive Produkte verwenden würde. Ich bin mir sicher, dass sich die Eklige nicht abwischt, sie kackt ganz im Vorbeigehen, legt eine Wurst wie ein Ei ins Klo und verschwindet wieder in ihrer dunklen Höhle. Sie legt immer sehr viel Wert darauf, zu betonen, dass es sich um IHRE Wohnung handelt, ich habe den Verdacht, sie will mit ihren schönen Würsten ihr Revier markieren: Seht! Alles gehört mir. Auch wenn ich kaum aus meiner Höhle schlüpfe, so ist doch alles MEINS.
27. Juli Ich habe im Edge leider etwas Asoziales gemacht. Auf der Toilette hatte ein Mädchen ihre Handtasche vergessen, es war »sehr viel« Geld im Portemonnaie, und ich habe mir davon einen 50-Euro-Schein genommen. Aus schlechtem Gewissen kaufte ich sofort allen Whisky-Cola und gab dem Taxifahrer auf der Heimfahrt unvernünftig viel Trinkgeld. Ach, ich wünschte mir, ich wäre jemand, der so etwas nicht tut. Mit Architektur23 gab es kurzen SMS -Kontakt. Er antwortete, und zwar worst case: »Hallo! Bist du die aus Karlsruhe? Bin bis Montag weg, dann wieder da.« Damit hat er die Grenze meines Stolzes
überschritten, befindet sich außerhalb meiner Wahrnehmung. Er kann sich das leisten. Aber ich ebenfalls.
28. Juli Wenn man samstags, so wie ich, »zu früh« ins Bett geht, kriegt man den kompletten fast unerträglichen Sonntag mit, samt allen Lebensäußerungen der Mitbewohnerinnen. Ich trage Kopfhörer und versuche, Teile unseres Gesprächs am 2. Januar zu rekonstruieren. Ich kriege es immer schwerer zu fassen. Hätten wir weniger getrunken, würde ich mich an mehr erinnern. Doch dann hätten wir vermutlich auch weniger gesprochen. Meine Erinnerung beißt sich in den Schwanz. Es gibt nur noch Versatzstücke. Du hast damals gesagt, Kochen sei jetzt in Mode? Ich habe nicht widersprochen. Aber ist es nicht eher so, dass alle von Fusion und Anything goes reden und jetzt in den coolen Lokalen eben auch Thaigerichte dabei sind? Und dass man das Kochen gerne im Fernsehen sieht, aber nicht in der Wirklichkeit praktiziert? Ich glaube, es kocht immer noch nur der harte Kern und die Kleinfamilie. Die meisten Leute, die ich kenne, haben keine Ahnung davon. Meine Mitbewohnerinnen kochen gerne Huhn. Wahrscheinlich sind die Geräusche, die zu mir dringen, Huhnkochgeräusche der Ekligen und ihres Daddys. Sie bereiten es immer auf dieselbe Art zu. Sie schieben die Auflaufform in den Ofen wie in einen Müll-
Ad Personam: Swantje Marx
Die Infos, die der Rowohlt-Verlag über Swantje Marx, Buchautorin von »One Night Stand«, veröffentlicht, sind spärlich. Außer Alter (Jahrgang 1984), Studium (Philosophie und Literaturwissenschaften in Deutschland und England), Job (Werbebranche) und Familienstand (Mutter einer Tochter) weiß man nichts über die Person, die sich zudem auch noch hinter einem Pseudonym versteckt. Da drängt sich förmlich ein kleiner Exkurs in die Gefilde der Namensbedeutung auf, um sich vielleicht etymologisch der Autorin zu nähern. Nun denn: Swantje leitet sich vom Althochdeutschen swanhiltja ab und bedeutet »Schwanenkämpferin«. Das sind in der Mythologie meist Walküren manchmal auch Elfen, die sich ein Federkleid überwerfen und zum Schwan werden. Stiehlt nun ein unverheirateter Mann diesen freiheitsliebenden, feinsinnigen, elfengleichen Geschöpfen eine Feder aus dem Kleid, kann sich diese nicht mehr verwandeln, muss den dreisten Jüngling heiraten und kriegt dann meist auch noch ein Kind. Der Mythos will es, dass der Nachwuchs dereinst ausplappert, wo der Gatte die fehlende Feder versteckt hält und die Schwanenkämpferin dann wieder zurück in ihre Freiheit flieht. Das Pseudonym ist jedenfalls gut gewählt, denn um persönliche Freiheit, Freiraum abseits von Beziehungskerkern und bürgerlichen Lebensentwürfen geht es in Swantje Marx’ Tagebuchaufzeichnungen, die zudem erzählerisch geschickt von einer kleinen E-Mail-Rahmenhandlung zusammengehalten werden. Da die Dame ein »Fundamentalsingle« ist und selbstbewusst nimmt was sie braucht, kann es stellenweise schon mal recht explizit und unverblümt zugehen, wenn über Schwanzlängen und Schwanzumfänge diverser, wechselnder Liebhaber und Mini-Affären gesprochen wird. Aber das Buch ist mehr und fügt sich definitiv nicht in die Reihe der pseudoschockierenden Fick- und Fotziliteratur der letzten Jahre ein. Denn Swantje Marx reflektiert. Ihr Verhalten, ihr Leben und das Leben der ihr nahestehenden Personen. Das geschieht alles sehr unaufdringlich, ohne schwammiges Herummäandern oder Relativierungen und ist in erster Linie natürlich sehr persönlich gehalten. Gleichzeitig zeichnen die unbarmherzig witzigen An- und Einsichten der hintergründig sensiblen Erotomanin aber eine schöne Bestandsaufnahme einer studentischen Lebenswelt. Ein Alltag, der neben nervigen WG-Mitbewohnern, Partyleben, Drogenkonsum, Thailand-Aufenthalten und Praktikumsnöten letztlich auch eine menschliche Entwicklung der Protagonistin hin zur Ruhe in Manfred Gram Freiheit inkludiert.
eimer. Huhn + Gemüse + Kartoffel auf das Blech für die Liebsten! Das ist nicht Kochen, das ist ein Pseudo-Upgrade der Mikrowelle. Vor kurzem kam ein Mädchen zu Besuch in den Gemeinschaftsbereich der WG, das einmal mein Zimmer während meiner Abwesenheit untergemietet hatte. Auch für sie wurde die Auflaufform mit Huhn gefüllt, und es wurde so getan, als entstünde eine einmalig-exquisite Spezialität. Nebenbei führten sie mir durch regelmäßiges Kreischen, das bis unter meine Kopfhörer drang (während das Räuspern des Daddys immerhin ausgefiltert wurde), akustisch vor, wie lustig eine Mitbewohnerin im Vergleich zu mir (die nur circa drei bis zehn Sätze pro Woche mit den anderen wechselt) sein kann.
31. Juli Ich erhielt im Chat eine Einladung von Pete. Ich machte die Kamera an, er masturbierte, und ich sollte ebenfalls. Das brachte mich zum Erröten, und ich sagte, dass ich leider keine Zeit hätte. Bin ich verklemmt? Der Gedanke, dass er das von mir denken könnte, irritierte mich sehr. Ich versuche ja seit Jahren, Pete zu vermitteln, dass diese sexuellen Sachen für mich ebenso gewöhnlich sind wie für ihn. Ich will ja langfristig für ihn sexuell ebenso interessant bleiben wie er für mich. Eigentlich sollte sich dieser verwahrloste und nun fast 40-jährige Brite wegen meines Interesses glücklich schätzen, aber ihm scheint alles zu common zu sein. Ältere Männer haben es sehr gut, sie werden tatsächlich interessanter. In meinem Freundeskreis ist eine wahre Enddreißiger-Euphorie erwacht: cooler Job, soviel Erfahrung, schon ein Kind, langes Vorspiel, interessante Partys. Was es aus Männersicht mit den Reizen 40-jähriger Frauen – jene, die nicht aussehen wie 25 – auf sich hat, weiß man bekanntermaßen.
1. August Sommer im Edge. Es wäre so deprimierend einfach, einen dieser seitengescheitelten, kränkelnden Indierock-Typen mit FreitagTasche mitzunehmen. Ich beobachtete meine Freundin Amelie beim Flirten. Sie ist ziemlich dick, hat aber ein wirklich schönes Gesicht – und hatte bereits nach fünf Minuten Erfolg. Sie hat einfach ihre Bierflasche zu dem nebenstehenden Mann erhoben und »Prost« gesagt. So fing das Gespräch an. Ich sehe mich um, entdecke eine mittlere Schönheit und mache ebenfalls diese ProstGestik. Er geht drauf ein, aber mit ZWEI Bierflaschen. Das bedeutet: Nicht, dass du glaubst, ich hätte ein Alkoholproblem, die zweite gehört meiner Freundin. Die kam unverzüglich zurück, um ihr Revier zu besetzen. Anschließend flirtete ich mit einem Serben26, den ich gern geküsst hätte wegen seines schönen Munds, aber er hatte Knoblauch gegessen. Er meinte, wir könnten zu ihm fahren, er könnte die Zähne putzen, aber das schien mir doch zu viel Aufwand. Bald bekam ich Lust, allein nach Hause zu gehen.
super-fi.eu
AB HIER: REZENS ONEN
Lana Del Rey Born To Die (Universal)
Made in America
Bild Nicole Nodland
Es geht nicht um Musik. Es geht um US-Mythen und ihre Wiedergeburt. Vorerst. Star Spangled Banner, Skaten, Las Vegas, gefallene Stars, Hollywood – dass es bei Lana Del Rey ganz essenziell um die Melancholie des amerikanischen Traums geht, steht in ungefähr jedem Text über sie. Sogar die Bild schreibt in ihrer Review vom »Lebensgefühl einer von Abstiegsängsten und Selbstmitleid gequälten urbanen Mittelschicht«. Die Verzerrungen, die Wunden in diesem Traum sind offensichtlich. Seine mythischen Symbole werden mit Polizeigewalt, Glückspiel, Gangstern und barockem Dekor gegengeschnitten und erzählen so von ihrer eigenen Dekadenz. Lana Del Reys Videos sind voll von diesen inneren Widersprüchen. Ihre Bezüge auf die 90er – Tupac, Gangs und VCRs – und ihre MySpace-Hipstamatic-Video-Ästhetik werden dabei häufig übersehen. Es geht jedenfalls um viel mehr als nur schöne Bilder aus dem Gestern, um viel mehr als flauschige Nostalgie. Der Traum von Freiheit und dem Streben nach Glück ist so stark, dass er an seiner schärfsten Kritik noch wachsen kann. Die USA haben das in ihrer Geschichte immer wieder bewiesen, nach der Großen Depression der 30er, nach der Ölkrise und Deindustrialisierung seit den 70ern, nach der Immobilienblase. Lana Del Rey ordnet nationale Symbole neu an und webt diese in symphonischen Pop ein. Sie verkörpert eine Metamorphose der amerikanischen Diva, ihr Gesicht ist das Abbild einer Verwandlung. Oder aber – geht es am Ende doch um die Musik? Lana Del Reys Karriere wurde nach einem zittrigen TV-Auftritt bei Saturday Night Live bereits zu Grabe getragen. Die Diskussion über authentisch? oder fake? war doch schon erledigt. Ein Phänomen wie Lana Del Rey lässt sich nicht am Reißbrett erfinden, auch wenn die Behauptung, es wäre so, praktisch und gefällig ist. Der Vorwurf wiegt aber in den USA schwerer als diesseits des Atlantiks (wo das Konzept »Pop« in England im Umfeld der Pop Art erfunden und berühmt wurde). Immerhin war 2011 das Jahr ehrlichen, schnörkellosen Songwritings: Adele hat allein mit ihrer Stimme vorerst die Musikindustrie gerettet. Lana Del Rey hat dagegen gerade einmal eineinhalb echte Hits und bereits ein mächtiges Referenzfeuerwerk verschossen. Ja, »Born To Die« ist eine große Geschichte über die Erneuerungskraft der Vereinigten Staaten, die berauschend und intelligent in Szene gesetzt ist. Nur muss Lana Del Rey das Vokabular für ein komplettes Album, für Musik, die ihren Images nur halbwegs ebenbürtig ist, erst noch finden und entfalten. 07/10 Stefan Niederwieser
Mario & Vidis Changed (Silence Music)
Kaltes, klares Wasser Bereits im Dezember 2010 erschien das Album »Changed« in Litauen. Ein Jahr später ist es international erhältlich. Mario & Vidis treffen damit voll ins Schwarze des poppigen Deep House-Himmels. Nach der Veröffentlichung ihres Albums in Litauen beschlossen Mario Basanov & Vidis, einzelne Tracks als Singles diversen Labels zur Verfügung zu stellen. Gesagt, getan und so erschienen Stücke auf Future Classic, Endless Flight und Best Works. Vom Titeltrack »Changed« erarbeiteten Soul Clap einen Remix. Der brachte zwar gut Aufsehen, nur ist das Original so gut ausproduziert, dass die Version der Bostoner Produzenten da erst gar nicht herankam. Mehr als eine halbe Million Clicks auf Youtube bedeutet mindestens UndergroundHit-Status – was noch mehr beeindruckt, wenn man den völlig gelassenen Grundton des Tracks bedenkt. Aus der litauischen Hauptstadt Vilnius aus verbreiten Mario & Vidis ihren melancholischen, unaufgeregten, beinahe ausschließlich in Moll gehaltenen Deep House mit einer gehörigen Portion Pop. Ihre Arrangements scheinen schlank, damit die beinahe überbordenden Melodien genügend Raum haben sich zu entfalten. Auf ihnen machen es sich klassische Soulstimmen gemütlich, schmiegen sich eng an die Harmonien. Dazwischen wird jedes Detail mit Feinschliff herausgearbeitet – was nicht sonderlich verwundert. Mario ist Litauens gefragtester Pop-Produzent, der sich auch nicht daran stößt, mal HipHop, mal R’n’B aus dem Ärmel zu schütteln. Ihre Songs haben noch das reduzierte Club-Feeling, der Beat, der Bass, die Synths sind das Fundament, aber man merkt ihre Erfahrung in anderen Genres, der Flow ist anders, frisch wie kaltes, klares Wasser. Mario & Vidis teilen ihr Album in zwei Hälften: Auf der ersten versammeln sie Sänger um sich und auf der zweiten sind ihre Instrumentaltricks zu bewundern. Dort nimmt auch das Tempo allmählich zu und die Klangbilder der späten 80er und frühen 90er treten zum Vorschein. Das klingt nicht nach angestaubten Reminiszenzen. Selbst nach mehrmaligem Hören gibt es immer neue Details zu entdecken. Vom Wohnzimmer über den Dancefloor und wieder zurück. 07/10 Johannes Piller
m u si k
Marsimoto Grüner Samt (Four Music / Sony)
Grünes Gold Marteria hat seinem Kiffer-Alter-Ego Marsimoto ein drittes Album geschenkt und nebenbei schon wieder einen Genre-Meilenstein verankert. »Endlich wird wieder gekifft«, lautet der erste Satz auf »Grüner Samt«, einem Album, das mühelos das geistreichste Deutschrap-Album dieses Jahres werden könnte. Orchestrierte Wahnvorstellungen bilden das grundlegende Konzept von »Grüner Samt«. Dieses entfaltet sich zu Beginn noch in einem gemütlichen Tempo: behutsam mit einem Rauschen, Pfeifen und durchdringenden Wummern. Erregung liegt knisternd in der Luft. Was für zeitgemäßen Dub typischer nicht sein könnte, könnte für deutschsprachigen HipHop nicht untypischer sein. Marsimoto, das Alter Ego des Rap-Stars Marteria, sorgt dafür, dass die Welt 2012 zumindest in grünen Rauchschwaden, friedliebenden Fantasien und schnurrenden bis bellenden Bässen untergehen wird. »Jeder Song ist ein Welthit«, hat Marsimoto seinem nunmehr dritten Album vorausgeschickt und behält Recht. Dead Rabbit, Nobodys Face und Kid Simius sind verantwortlich für diesen umhüllenden Sound, der mit der hoch gepitchten Stimme der Kunstfigur Marsimoto (natürlich von Quasimoto a.k.a. Madlib inspiriert) und seinen Pausen im Reimfluss so sehr harmoniert. Dubstep-Bretter und vertrackter Synthie-HipHop weben sich in eine riesige Sample-Wolke ein, in der Dub, Techno und Wonky konzentriert werden. Nach dem ersten Tänzeln zu britischer Bassmusik hat besonders »Zum Glück in die Zukunft« (2010) von Marteria (und seinen damaligen Produzenten The Krauts) den Weg für dieses liebenswürdige Monstrum geebnet. Doch statt geradlinigem und melancholischem Club-Pop anno 2010 darf das Zweitgesicht Marsimoto hier in entsprechender Atmosphäre den Tag verträumen, das Anders-Sein halluzinieren. Mit kindlichem Humor rappt Marsi von Indianern, einsamen Tieren, einem Basketball, Tarzan und Jane oder »Roma und Synthies«. Seine unverkrampften Fantasien verpackt er in scharfsinnigen Sprachwitz, der seinesgleichen vergeblich sucht. Das Bewusstsein einfach ohne Kopfschmerzen erweitern – »Grünes Gold« ist auf höchstem Niveau albern und bei all der verdrehten Ironie zielsicher auf den Punkt gebracht. Der neue Maßstab für Realness im schillernden deutschen HipHop heißt fortan Surrealismus. 08/10 Klaus Buchholz
Bild Visvaldas Morkevicius, Four Music, Crammed Discs
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e gap h t × 0 1 : r e h ic s t is soviel mit etwas glück: 14 × pink Floyd Lonely Drifter Karen Poles (Crammed Discs)
Reise zum Ich Bei so viel gelebter Europäität hätte Victor Hugo seine Freude gehabt. Und musikalisch? Ein Album wie eine Discokugel: voller Facetten und mit wenig Schwarz und Weiß. Wer sich nach einer Figur aus einem der umstritteneren Lars von Trier-Filme benennt, der muss … zumindest ein interessanter Mensch sein. Und tatsächlich ist die Exil-Wienerin Tanja Frinta ein wenig wankelmütig, ein wenig rastlos, zieht als Nomadin von Stadt zu Stadt. In Österreich hat sie maximal noch ihren Zweitwohnsitz. In jüngeren Jahren musizierte Frinta mit der Wiener Riot-Grrrl-Band Holly May. Mit ihrer Übersiedlung nach Schweden erfand sie sich mit dem Soloprojekt Lonely Drifter Karen musikalisch neu. Zwei weitere Umzüge später ist das Domizil Brüssel und Lonely Drifter Karen zum Trio angewachsen: Der Spanier Marc Meliá Sobrevias drückt die Pianotasten und arbeitet an den Arrangements, Schlagzeuger Giorgio Menossi wurde inzwischen vom französischen Gitarristen und MultiInstrumentalisten Clément Marion auf die Ersatzbank geschickt. »Authentisch muss Musik für mich sein und eine grundlegende Eigenheit besitzen, Stilrichtungen sind mir dabei ganz egal«, meinte Tanja Frinta einmal in einem Interview. Die Klangfarbe hat sich von einer überwiegend klavierlastig-akustischen hin zu einer voller analoger Elektronik, geschmeidiger Gitarrenriffs, an alte Science Fiction-Filme erinnernder Synths und – vermutlich China-Tour bedingt – asiatischer Arpeggien (»Eyes Of A Wolf«) gewandelt. Textlich sind Lonely Drifter Karen dem Reisen verhaftet, sowohl jenem fantastischer (»Brand New World«) als auch jenem ganz gewöhnlicher (»Rain In Beijing«) Prägung. Tanja Frinta, der man einst die „mädchenhaft spröde Stimme Suzanne Vegas“ attestierte, hat ihre Stimme im Vergleich zu den beiden Vorgängeralben deutlich wandelbarer gemacht. Was »Poles« aber erst herausragend macht, sind seine Melodien, die sich immer etwas anders in die Ohrschnecke drehen als man denkt, kleine Winks in Richtung Brill Building Pop, unaufdringdliche Exzentrik und instrumentale Einsprengsel, die das Ausdrucksspektrum der Band anreichern. Bei all der musikalischen Dichte driftet »Poles« jedoch nie in eine undurchdringliche Wuchtigkeit ab, sondern bleibt immer luftig und beschwingt. Und das schaffen so nur wenige. 08/10 Sandra Bernhofer
The Gap haut dir Pink Floyd um die Ohren. Die britische Band ist nämlich vollkommen zu Unrecht als Musik für deine Großeltern verschrieen. In den Sechzigern haben sie angefangen die psychedelische Revolution einzuleiten, haben Rock ein riesiges Experimentierfeld eröffnet. Sie sind der Grund warum Popmusik heute nicht nur Musik für Boxer und Proleten ist, Pink Floyd haben vollkommen neue Skalen und Geräusche in den Pop gebracht. Ihr Cover zu »Dark Side Of The Moon« ist legendär. Wir verlosen ein Monster-14-Alben-Paket unter allen Neu-Abonnenten. the gap im jahresabo um € 16,50. unter allen neuabonnenten verlosen wir alle 14 studioalben von pink Floyd! www.monomarkt.at
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Cloud Nothings Attack On Memory (Carpark)
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Big Deal Lights Out (Mute)
Re: Das Ende der Geschichte
Lolita-Pop
Teenage Angst allein reicht noch nicht. Die Cloud Nothings halten die Verzweiflung und die Gegenwart zwischen den Fingern, aber ihnen fehlen die Songs.
Pärchen-Performance scheint gerade das große Ding im Popgeschäft zu sein. Selten klappt es aber gleich auf Anhieb so wie hier.
Was warten wir nicht alle gespannt auf das 90er-JahreRevival. So richtig will es nicht ankommen, jedenfalls nicht in den Dimensionen, in denen die 80er schon über die Charts und ihre Sounds hereingeprasselt sind. Vielleicht spielt es immer noch unter dem Radar, weil wir es uns gerade nicht wie noch vor 20 Jahren leisten können, mit dem Geld unsrer Eltern in Wohnungen abzuhängen, um die Häuser zu ziehen, zu slacken und den Sieg über den Kommunismus zu feiern – dessen Versprechen eine klassenlose Gesellschaft und Internationalität, soziale Sicherheit vor materiellem Fortschritt, scheinen ja in letzter Zeit plötzlich gar nicht mehr so ultimativ schlecht, auch wenn seine Schwächen berüchtigt sind. Was das mit den Cloud Nothings zu tun hat? Musik ist auch der Soundtrack zur Sozialgeschichte. Und Cloud Nothings spielen die verlorene Selbstvergessenheit der späten 80er und frühen 90er sehr, sehr gut nach. Wo Yuck vor einem Jahr noch mit verzerrten, aber euphorischen Melodien ein unbeschädigtes Bild der 90er beschworen und ganz schön viel Hoffnung und Zwischenmenschlichkeit in ihre Songs mischten, steigen die Cloud Nothings aus all dem scheinbar aus. Tracktitel wie »Stay Useless«, »Wasted Days« und »No Future / No Past« sind wie geschaffen dafür, tief in die Haut der Gegenwart eingeritzt zu werden. Auch der Titel des Albums passt nur allzu gut ins Bild. Es muss etwas anderes kommen, etwas Neues, Schluss mit Vergangenheit, mit Gedächtnispflege, Schluss aber auch mit der Zukunft. Blöd nur, dass das nicht so konsequent leer und zerfräst klingt, wie es das könnte. Da hilft es auch nichts, Steve Albini dabei zu haben, obwohl der als Produzent der Breeders, Pixies und von Nirvana definitiv weiß, wie Ohnmacht, Langeweile und Wut klingen. Cloud Nothings sind sperrig, ihr aufgekratztes und verschorftes Geschrei schwer zugänglich. Aber selbst als ein kahler, nackter, leerer Ort, den es so nur in der Musik gibt, auf diesem Album nämlich, scheint es nicht genug. Wir könnten ja vielleicht sogar Utopien brauchen, zumindest aber ein Fundament. Oder wollt ihr etwa am Ende gar Anarchie und Nihilismus? 05/10 Stefan Niederwieser
Wenn sich ein Label wie Mute schon ganz früh einer Band annimmt, ist das ein großer Vorteil. Wenn man dabei aber unbeeindruckt natürlich und unverzerrt bleibt, ist das obersuper. Unbeeindruckt von der Größe und Gewichtigkeit ihres Musiklabels blinzeln da im Vintage-App-Stil eine blonde Frau und ein dunkelhaariger Mann auf dem Albumcover in die Kamera und bezirzen ihr Publikum mit naturbelassenen, sonnendurchfluteten Melodien. Diese Boy-Girl-Konstellation scheint ja gerade das neue Ding zu sein. Das Zusammenspiel von weiblicher und männlicher Stimme assoziiert man schnell mit dem Geschwisterpaar Angus & Julia Stone, She & Him oder The XX (gut, Jamie XX hält sich im Hintergrund). Musikerpärchen orientieren sich im Normalfall an den 50er und frühen 60er Jahren und kokettieren zumeist gehörig miteinander, was den Sex zur sonst ja faden Jugendlichkeit beisteuert. Das Lolita-Modell funktioniert bei den Ting Tings hervorragend, warum nicht auch bei weniger Aufbrausendem? Das haben sich ziemlich zeitgleich auch Tennis und Best Coast gedacht. Was Big Deal nun von all diesen Männlein-Weiblein-Bands unterscheidet, ist gleichzeitiges Singen und das komplette Weglassen von instrumentalen Füllphasen-Zwischenspielen. Big Deal beschränken sich auf ihre Stimmen und ihre Gitarren, die mal akustisch, mal elektrisch sind. Der Amerikaner und die Britin scheinen jeden Nachmittag zusammenzukleben, die Nähe bringt Einklang, so sehr, da passt höchstens eine Terz dazwischen. Der Minimalismus führt zu intimer Natürlichkeit und natürlicher Intimität. Richtig unschuldig klingt das. Aber beim genaueren Hinhören ist die erotisch aufgeladene Stimmung kaum zu überhören. Noch dazu sind Big Deal Lehrer und Schülerin: Kacey Underwood von der Band Little Death unterrichtete sie auf der Gitarre. Und plötzlich macht alles Sinn: Ihr Wunsch, älter zu sein und ihre lustvollen Gedanken, die beim Hausaufgaben machen stören. Beim innig-einig gesungenen »Talk« ist alles klar: Das ist das, was man Lolita-Pop nennen kann. Big Deal haben die universelle Ebene schon mit dem Debüt erreicht; nun müssen sie sich nur noch die Erotik, die das Album ausmacht, aufrecht erhalten. 08/10 Juliane Fischer
Bild Gemma Harris, Jon Baker, Carpark, Adrià Cañameras
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Young Magic Melt (Carpark)
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John Talabot Fin (Permanent Vacation / Groove Attack)
World Bass Music
Putting the witch back into witch house
UK Bass meets Weltmusik. Young Magic liefern ein Debütalbum ab, das sowohl zu Jaga-Tee als auch Gin Tonic bekömmlich ist.
John Talabot verzückt auf seinem Debüt mit einem funkelnden Amalgam aus Slow-Motion-Disco, Electronica, Krautrock und anspruchsvollem House.
Wenn man den Informationen der drei Mitglieder von John Talabot kommt aus Barcelona – eine Stadt, die Young Magic über die Anfänge der Band und die Entzwar eine reichhaltige und prominente Clublandstehungsgeschichte von »Melt« Glauben schenkt, ist schaft zu bieten hat, aber eher wenige international das natürlich eine schöne Story: Zwei Australier reisen bekannten Elektronik-Acts hervorgebracht hat. Umso getrennt voneinander um die Welt und machen in insschöner, dass sich gerade ein junger Musiker, der gesamt zehn verschiedenen Ländern Aufnahmen mit allem, was sie sich deeper feinschmeckerischer House- und Disco-Verkreuzungen auftreiben können. Später treffen sie sich im nimmermüden Schmelz- verschrieben hat, anschickt, der nächste Clubstar der katalanischen tiegel New York mit einem dritten Freund und beginnen, diese Sound- Hauptstadt zu werden. Der Name John Talabot blitzte bereits nach seischnipsel zu Songs zusammenzuführen. Kann man dieser Legende nen ersten Singles auf dem Münchner Label Permanent Vacation in glauben, wenn man sich durch »Melt« durchhört? Ja und Nein. Ja, weil allerlei Szene-Gazetten, Blogs und DJ-Charts auf. Letztes Jahr wollte hier wirklich Weltmusik 2.0 aus den Boxen kommt. Und nein, weil die sich John Talabot noch als Teilnehmer bei der renommierten Red Bull Platte so rund klingt, dass man ihr eine so heterogene und langwierige Music Academy bewerben, überrascht musste er allerdings feststellen, Geburt eigentlich nicht zutraut. dass die Music-Scouts der Academy ihn nicht als Studenten, sondern Young Magic haben mit ihrem Debüt tatsächlich etwas Magisches ge- als Vortragenden eingeplant hatten. Neben seinen eigenen Produktioschaffen: Schwebend leichte (halbelektronische) Hippie-Musik, die nen und Remixen für Acts wie The XX, Joakim oder Shit Robot arbeitet nicht aggressiv macht und sich auch außerhalb von Eine-Welt-Läden der Musiker auch mit seinem Label Hivern Discs an vielschichtigen sehen lassen kann. Sicher, es gibt viele Handclaps, durchweg sphärisch Disco-House-Kreuzungen. Sein Ruf eilt ihm und seiner Musik voraus. schwingenden Sound und Chöre. Aber der stets große Broken Beats- Die Aufregung sein Debüt-Album betreffend ist ungewohnt hoch. Anteil lässt den Trommelkreis- und Dreadlock-Verdacht gar nicht erst Gekonnt und feinfühlig werden auf »Fin« Ästhetiken wie Hauntology, aufkommen. Es ist psychedelisch, es knarzt, und es ist schwer nicht Krautrock, Slow Motion Disco, Deep House oder Techno zitiert und zu mitzuwippen. Irgendwo zwischen den dichten Nebeln aus Delay-Ef- einem der spannendsten aktuellen House-Entwürfe vermanscht. Was fekten hört man Bands wie Haight-Ashbury, Kasabian und eine gehö- auf dem Papier überambitioniert oder gar albern wirkt, wird in John rige Portion UK Bass. Vier der elf Songs auf »Melt« wurden 2011 bereits Talabots Ausarbeitung aber richtig spannend. Dunkle Drones und eials Singles beziehungsweise B-Seiten veröffentlicht und sind relativ ernde Synths reiben sich an wilder Percussion, Kuhglocken durchstobekannt. Wer »Sparkly« und »You With Air« kennt, weiß relativ genau, ßen Schreie aus dem digitalen Nirvana, spacige, Carpenter-eske Krautin welche Richtung sich das Album bewegt. Das ist letztlich vielleicht disco-Nebel werden von heruntergekochten Soul-Vocals gelichtet der einzige kleine Vorwurf, den man »Melt« machen kann. Die Platte – John Talabot schafft es mit »Fin«, den Kanon wichtiger House-Platten ist so sehr aus einem Guss, dass kein Track abfällt, aber auch (bis auf der Nullerjahre zu erweitern und dem in die Ecke gespielten Genre eidas Garage-lastige »Drawing Down the Moon«) keiner wirklich heraus- nen Ausweg aus seiner Sackgasse aufzuzeigen. Ähnlich wie junge Brosticht. Insgesamt ist es aber ein richtig gutes Album geworden, das fast ken Beat-Bastler, die aus einem riesigen Musikfundus schöpfen und so zum Träumen zwingt und die Welle an Post-Dubstep-Kram um eine ihrem Sound neue Nuancen abringen, dringt auch der Disco-Houser interessante Spielart bereichert. Btw: Wer zu dieser Musik nicht kiffen John Talabot mit seinen Tracks in ungehörte Gefilde vor. Den Titel des will, der werfe die erste Bongo! 06/10 Jonas Vogt Albums nimmt man erst gar nicht zu wörtlich. 08/10 Max Zeller
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Air Le voyage dans la lune (EMI) Fadesse, die bis zum Mond reicht. Air stecken in einer Raumfähre in Richtung Tiefschlaf fest. 01/10 barbara schellner — Alcoholic Faith Mission Ask Me This (Pony Records) So laut, so anders, so euphorisch. Alcoholic Faith Mission werden doch nicht auf Entzug sein? 05/10 barbara schellner — Die Antwoord Ten$ion (Downtown / Cooperative Music) Die Antwoord machen jetzt auch ein bisschen Dubstep, ihr bizarrer Zweitling ist stets abwechslungsreich, manchmal grenzwertig, nie langweilig – und hoffentlich nicht ernst gemeint. 04/10 jakob bouchal — The Black Keys El Camino (Nonsuch Records / Warner) Polter, polter! Das ist nicht der Weihnachtsmann, das ist der siebte Streich der Black Keys aus der Rumpelkammer. Elf hingerotzte Stückchen feinster VintageWare. 07/10 juliane fischer — Boy & Bear Moonfire (Cooperative) Erste Lieblingsband 2012: Boy & Bear debütieren mit Geschrammel vom Feinsten. Mehr nicht. 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ein bekanntes Konzept: Sex and Crime. In elf Geistergeschichten erwacht das Kammerpoporchester wieder zum Leben. 06/10 kirin kohlhauser — Mux Mool Planet High School (Ghostly International) Kurzbeschreibung: Mux Mool malträtiert seine Synthesizer so lange, bis er die richtige Mischung aus Jazztronic und funkigem Noise hat. 05/10 kevin reiterer — Mouse On Mars Parastrophics (Monkeytown Records / Rough Trade) Es ist fast schon langweilig, mit welcher Sicherheit man darauf wetten kann, dass Mouse On Mars auch nach Jahren sämtlichen Beatbastlern strukturell und groove-technisch mindestens zwei Kabellängen voraus sind. 07/10 maximilian zeller — Napalm Death Utilitarian (Century Media) Auch nach 30 Jahren bleiben die Briten ihrem Highspeed-Metal/Grindcore treu. Neu allerdings: Ungewöhnlich viele Songs mit Rhythmus. 05/10 werner schröttner — Neuschnee Bipolar (Problembär) Klassisch ausgebildete Musikerinnen und Musiker kombinieren ihre Streichinstrumente mit Rock, Elektronik, Rap und Punk. 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Sein Debut-Album ist Haute Couture für Deep-House-Hipster. 07/10 maximilian zeller — Wilhelm Tell Me Excuse My French (Less Apocalypse) Dieses Debüt versammelt erfrischenden Retro-Synthie-Pop mit hohem Dancefloor-Faktor. 07/10 gerald c. stocker — You Say France & I Whistle Angry Men (SPV) Der furchtbare Zorn eines PlüschEichhörnchens: YSF&IW spielen fast aggressiv niedlichen High-Speed-Indierock. Wuaaaarg! Ein bisschen zumindest, bitte. 06/10 nicole schöndorfer
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Buch
Cornelia Travnicek Chucks (DVA)
Didier Deaninckx Tod auf Bewährung 01 (Liebeskind) — Didier Deaninckx ist einer der bedeutendsten französischen Krimiautoren der alten Schule. Also wenig Horror oder esoterischer Humbug, sondern eher Fakten sammeln, recherchieren bis zum Umfallen, und dann erst mal den Krimi aufsetzen. Der Autor als Baumeister sozusagen, ein bisschen altmodisch, weil halt anstrengend, funktioniert aber noch immer ausgezeichnet. Deaninckx versetzt uns zurück in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als halb Paris sich mit einem Bein bereits in den wilden 20ern befand, jedoch der kalte Hauch des Weltkriegs noch tief im Nacken saß. Privatdetektiv René Griffon führt dank nicht ganz legaler Geschäfte ein beschauliches Leben, bis der Detektiv auf das Ehepaar Fantan de Larsaudière stößt, wo eine kleine Ungereimtheit immer größere Ungereimtheiten mit sich bringt. Obwohl Deaninckx, rein technisch gesehen, eher nach amerikanischem Schnittmuster arbeitet, ist der Roman lesenswert, wenn man eine frankophile Ader hat, denn der Autor taucht intensiv in das zeithistorische Leben der Franzosen ein. Abgesehen davon ist der Autor ein Entzauberungskünstler: Die Kriegsehre der Franzosen verkommt zum schlechten Witz und die französische Salami stammt vom amerikanischen Importschwein. Prost und Mahlzeit.
Chuck You! Cornelia Travnicek fabuliert wieder. In ihrem neuen Roman »Chucks« schickt die 25-jährige Niederösterreicherin ihre Protagonistin auf Entdeckungsreise durchs Leben. Und das ist mehr als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem. Mara ist asozial, ein Punk, trinkt Kette und schleckt Pistazieneis. Sie redet über Quanten und Strings und tut sich schwer mit Zusammenhängen. Jakob ist klassisch, ein Architekt und trinkt Wasser. Er sieht illegal Premiere – sogar seine Träume besitzen Statik. Die Mutter zelebriert Geburtstage bei Tupperware-Partys, der Vater bringt von seinen Geschäftsreisen fremde Höschen statt Geschenke mit. Das war vor der Trennung. Ihr Bruder ist schon lange tot. Bevor er gestorben ist, haben die Ärzte versucht, ihn mit einer Chemotherapie aufzulösen. Mae ist auf Bewährung und muss deswegen im Aids-Hilfe-Haus arbeiten. Dort lernt sie Paul kennen. Paul, der ist anders. Seine Iris ist »so dunkel, dass man den Rand seiner Pupillen nicht sieht.« Bei Paul fühlt sie sich erkannt. Aber »Paul ist wie eines dieser Schmetterlingskinder«. Paul hat Aids. Cornelia Travnicek kommt aus St. Pölten, ist bewandert in Elektronik, weil ehemalige Schülerin einer HTL, interessiert an chinesischer Kultur, weil Studentin der Sinologie und sieht irgendwie cool aus, weil ihre Haare zu Dreadlocks geflochten sind. Abgesehen davon hat Travnicek zahlreiche Literaturpreise eingeheimst, Prosaromane veröffentlicht und mit der Poetry Slam-Queen Mieze Medusa einen Kurzgeschichtenband herausgegeben. Die 25-jährige Niederösterreicherin hat sich dem Schreiben verschrieben, vollkommen, und das merkt man bei der Lektüre von »Chucks«, in der einen Travnicek an der Hand fasst und mitnimmt auf eine Reise mit ihrer Protagonistin Mae, zu den Erinnerungsfetzen der Vergangenheit und den Träumen der Zukunft, einen mitnimmt auf eine Erfahrung, die irgendwo liegt, zwischen Leben und Tod. In Gesellschaft von Unmengen an Dosenbier, Zigaretten und Cornflakes mit Milch wird über das Leben nachgedacht, wird gesprochen über die großen Dinge, die wichtig sein sollten und über die kleinen, die wirklich wichtig sind und auch wenn es keiner Logik folgt und manchmal irgendwie planlos wirkt, ergibt es doch immer Sinn, was da geschrieben steht. Es sind sehr zarte Sätze, die Travnicek da schafft, es ist eine leise Sprache, die ihre Feder spricht, die trotzdem hängen bleibt im Ohr, die einen festhält und packt, hier und jetzt und die einem, in einem schwachen Moment der Traurigkeit, das Feuchte in die Augen treibt. Travnicek prahlt nicht mit Worten, sie wählt sie mit Bedacht, was sie fabriziert, reduziert sie auf das Wesentliche, auf den Kern, der übrig bleibt. Sie sagt, was sie denkt und in jedem Wort liegt ein ganzes Weltall voll Authentizität. 07/10 Natalie S. Campbell
07/10 Martin G. Wanko
Pete Dexter Deadwood 02 (Liebeskind) — Deadwood ist so ziemlich der letzte Ort auf Gottes Erden, wo man 1876 sein hätte wollen: Irgendwo im Westen der Vereinigten Staaten, in einem Indianerreservat, in einer Art gesetzlosen Zone, im Kampf gegen die Indianer, auf der Suche nach ein paar Klumpen Gold. Spieler, Sängerinnen, Gauner, Ganoven, Verrückte, Halbstarke und Personen, die aus gutem Grund kein wirkliches Interesse haben, in den zivilisierten Osten zurückzukehren. In diesen Sündenpfuhl setzt Pete Dexter seine drei Protagonisten: Einen Herumtreiber, einen alternden Revolverhelden und einen Kopfgeldjäger. Schon auf den Anfangsseiten macht der Autor klar: Keiner der drei verlässt den Ort unverändert – die Herzen der Western-Fans schlagen bereits etwas höher. So nebenbei entwickelt sich der Roman zu einer sozialkritischen, historischen Chronik über die ruppigen Anfänge Amerikas. Ausgezeichnete Recherche lässt seine ungestümen Helden mit sicherem Schritt durch die schlammigen Straßen stapfen. Im Gepäck ein bisschen Hoffnung, die nicht immer aufgeht. 09/10 Martin G. Wanko
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Buch
Daniel Glattauer Ewig Dein 03 (Deuticke) — Formulierungen mit Feinschliff sind Daniel Glattauers Stärke und vielleicht zu Beginn etwas nervig für Leute, die die kitschige Art von Liebesgeschichten nicht gewohnt sind. Immer mehr versteht man dann aber, was diese blumige Sprache in »Ewig Dein« unterstützt und nach und nach verkommt die Liebe im Liebesroman und die Fassade bröckelt runter bis auf den Rohputz eines Thrillers. Das Skelett der Psychose, das hier freigelegt wird, könnte ebenso gut vom Schriftstellerkollegen und Psychiater Hochgatterer stammen. Es umgeht die Fehler von Gustav Ernsts »Beste Beziehungen«, die zu hart um wahr zu sein abgeliefert wurden. Die Stalking-Thematik wurde von Lydia Mischkulnig auch aufgebracht, aber durch Glattauer (und sein charakteristisches Feingefühl für die zarten Banden der Romanze) mainstreamfähiger gemacht. In »Ewig Dein« gerät die liebestechnisch anfängliche Schönwettersituation nach und nach aus der Balance, weil einer die nicht enden wollenden Wohltaten des anderen zunehmend als Einschränkung und Belastung empfindet. Angstzustände bauschen sich zu Wahn und Psychose auf. Glattauer liefert die punktuell kurzweilige, weil spannende Anleitung für das Malen nach Zahlen eines Krankenbildes. Hannes, der Lotto-Sechser, der Prototyp des vom Zufall erzwungenen Lebensglücks, scheint vorerst einfach nicht zu kapieren, dass noch so viel Liebe keine Gegenliebe erzeugen kann. Er streift eine Art Fan-Wahnsinn, die Glattauer vielleicht auch aus eigener Erfahrung kennt, und sinkt ab zu einer Stalking-Affäre, wie sie der Autor als Gerichtsreporter kennengelernt haben könnte. Jenen Lesern, die Glattauer auf Grund seiner einfühlend realitätsnahen E-Mail-Romane vergötterten, wird dieses Upgrade weg von der Tea-Cup-Tragedy gut tun. Und schließlich gibt’s ja auch eine Art Happy End. 09/10 Juliane Fischer Olaf Kühl Tote Tiere 04 (Rowohlt) — Olaf Kühl schrieb mit »Tote Tiere« einen klassischen Abenteuerroman, der neben der Spannung, die zum Teil schon in den Thriller hineinreicht, viel mehr zu bieten hat als diesen anschwellenden Nervenkitzel. In Fahrten mit Boot, Bahn, Bus oder maroden Taxis lernen sie Russland von unten kennen. Es sind Städte wie Irkutsk oder Tschita, Orte, wo die wahre russische Seele beheimatet ist, Orte, die man wahrscheinlich nie persönlich kennenlernen wird, doch diese spannende Fremdheit macht diesen Roman zu einer wirklich sehr lesenswerten Fokussierung auf das neue Russland. Der Trip bis ans Ende der Welt soll dazu dienen, den Oligarchen Michail Chodorkowskij aus dem Gefängnis zu befreien, der zumindest in der westlichen Welt zu den Guten gezählt wird. Dieser Roman ist kein Märchen, sondern eine gut dosierte Abenteuergeschichte mit Mehrwert. Und Olaf Kühl ist ein Autor mit großem Herz: In ihm haben Russland, Polen und Deutschland Platz. 08/10 Martin G. Wanko
Georgi Markov Die Frauen von Warschau 05 (Wieser) — In der klassischen Weltliteratur haben Geschichten oft eine rettende Wirkung. Von Boccaccio bis Chaucer besiegt man durch sie Angst, legt man unbemerkt einen langen Weg zurück, überwindet man Langeweile und so weiter. Nachdem sich die Einleitung in Form einer eigentümlichen Personenbeschreibung über das halbe Buch spannt, gewöhnt man sich an den Alltag der Einöde, in der sich Protagonist Pavel mit dem betagten Schäfer Jordo anfreundet. Dem Leser wird die Sinnlosigkeit der Erdvermessungsarbeit des Geologen ebenso bewusst wie das einfache Leben des betagten Hirten, der zufrieden scheint inmitten seiner Herde. Bevor alle gemeinsam überdrüssig werden, setzt die Kraft von Pavels Erzählungen ein. Die Geschichten verflossener Liebschaften bringen den menschenscheuen Einsiedlerhirten in die Vergangenheit und gleichzeitig in eine Phantasiewelt. Jene persönlichen Liebesgeschichten klingen im Umfeld der unheimlichen Weide, die alle anderen Arbeiter schon längst verscheucht hat, genauso fern und mystisch wie die Erzählungen des Alten, der vom Schafbock und der Waldfee berichtet. Gegen Ende stellt sich die Kraft der Anekdoten sowohl als rettende als auch vernichtende heraus. Das Aufeinanderprallen von Bodenständig-Heimatlichem und Fremde, von Städtischem und Ländlichem, den Wurzeln und der Moderne, passt in den Kontext der bulgarischen Erstausgabe in den 60er Jahren genauso gut wie zu Überlegungen von heute. 05/10 Juliane Fischer Jon McGregor Als Letztes die Hunde 06 (Berlin Verlag) — Robert Radcliffe lebte in einer nicht auf seinen Namen laufenden englischen Sozialwohnung, nachdem ihn seine Frau samt Tochter Laura verlassen hatte. Hier scharte er, seinen von Granaten verursachten Kopfschmerz mit Alkohol betäubend, andere Ausgestoßene um sich: Den als Soldat im Falkland-Krieg zermürbten Steve, den im Afghanistan-Krieg verletzten Ant, den schizophrenen Mike, Nutte Heather und andere – schlussendlich selbst seine Tochter. Danny, ehemaliges Heimkind und gutmütiger Junkie, findet den toten Robert in einer Winternacht, flieht in Panik vor der Polizei und sucht all die Schutzsuchenden. Doch jeder, einschließlich seiner Person, stirbt an einer Überdosis … McGregor, Jahrgang 1976, erzählt in harten Worten aus der Perspektive eines jeden dieser Randständigen, die aus der Gesellschaft getreten wurden, gerade weil sie ihr dienten oder aber weil sie nie an diese gewöhnt wurden. Rasante retrospektive Erzählungen der einzelnen Outlaws schneidet McGregor gegen mit einem Plädoyer für mehr Aufmerksamkeit, ohne moralisch zu werden und schafft eine bildreiche Explosion der konformen Spiegel nicht nur Großbritanniens. 08/10 Roland Steiner
Thomas Meinecke Lookalikes 07 (Suhrkamp) — Der Ethnograph unter den deutschen Literaten und Mitbegründer der House mit Folklore vereinenden Band F.S.K. braust wie gewohnt interdisziplinär auf. Nun haben wir es einerseits zu tun mit Deutschen, die Justin Timberlake, Shakira wie auch tote europäische Stars in Düsseldorf gegen Geld imitieren und dabei halbberühmt werden. Ihr kommunikatives Verhalten gleicht jenem der heutigen Stars: Sie facebooken, kopieren Einflüsse von überallher und mixen sie zu Brei. Mit ihren Inhalten aber bricht Meinecke radikal, denn seine Doppelgänger philosophieren über Psychoanalyse und Kunstgeschichte. Dieser Trick geht im sogenannten Roman auf, im Formalen aber nicht: Aus dem Netz in Chats gewuchtete Recherchen, kombiniert mit emotionalen Tändeleien, ergeben genau die Leere, die selbstgeilen 1.000-FreundeHöhlen zu eigen ist. Andererseits mengt der hier zur Romanfigur gewordene Meinecke seine Hubert Fichte nachspürenden Recherchen über Trancekulte in brasilianischen Tempeln ein, deren Ursprünge afrikanischer Natur sind. Und diese Geschichte begeistert! Zusammen genommen aber leiden die zwei Bücher an einem web- und popliterarischen Overkill. 05/10 Roland Steiner Josef Winkler Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär oder Die Wutausbrüche der Engel 08 (Suhrkamp) — Josef Winklers Werk dreht sich um ganz wenige Themen und die liegen nicht unbedingt in der Einflugschneise des literarischen Mainstreams. Die präzise Sprache und die kühle Distanziertheit, mit der seine Stoffe und sich selbst umkreist, haben ihn dennoch zu einem der wichtigsten österreichischen Schriftsteller der Gegenwart gemacht. Aus der Dankesrede für den Georg Büchner Preis 2008 ist dieses Buch entstanden. Darin zeigt Winkler, wie eng sein Leben und seine Literatur verwoben sind und welche Anstrengungen er unternimmt, seine Beobachtungen auf eine künstlerische Ebene zu heben. Er führt im Schnelldurchlauf durch die Stationen seiner Biografie: Vom kreuzförmigen Kärntner Dorf Kamering über Rom, zu den Verbrennungsstätten im indischen Varanasi und immer wieder zurück nach Kärnten. Er greift die einprägsamsten Bilder seines Lebens auf, etwa den Doppelselbstmord zweier Jugendlicher in seinem Heimatdorf oder den sturzbetrunkenen Mann, den seine Frau in den Stall sperrte, wo ihm Schweine die Hoden abfraßen. Und er widmet sich Künstlern, die ihn inspiriert haben, etwa Jean Genet oder Chaim Soutine. Eine Selbsterkenntnis in diesem aus- und abschweifenden Selbstporträt liefert einen Schlüssel für das Verständnis von Winklers Werk. Zehn Jahre nach dem Erscheinen von »Domra – Am Ufer des Ganges« fiel ihm auf, dass es »kein Entrinnen mehr vor der katholischen Kirche gibt, denn selbst die hinduistischen Einäscherungsrituale hatte ich im Ton der katholischen Litanei beschrieben.« 08/10 Werner Reiter
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Introducing
Michael K. Williams Mit »The Wire« erarbeitete sich Michael K. Williams einen Status, der seinem tiefgreifenden Schauspiel langsam gerecht wird.»Boardwalk Empire« ist dabei nur die nächste geheimnisvolle Etappe.
Der Dialog (Studio Canal) von Francis Ford Coppola; mit Gene Hackman, John Cazale, Allen Garfield auf DVD und Blu-ray
text Klaus Buchholz
Michael Kenneth Williams musste im Film schon etliche Narben davontragen. Jene, die quer über das sanfte Gesicht des New Yorkers verläuft, ist echt und wegen einem jugendlichen Handgemenge dort. Sie wurde Teil seiner Erscheinung als Schauspieler, die besonders durch die preisgekrönte HBO-Serie »The Wire« (2002–2008) definiert wurde. Dort verkörperte er Omar Little, die Figur eines hinterhältigen und mörderischen Diebes, der den Drogenbossen von Baltimore ihr Geld abnimmt und an die Armen im Viertel verteilt. Omar ist schwul, als sein Liebhaber getötet wird, wandelt er sich vom kontroversiellen Robin Hood zum kalkulierten Rächer. Das Besondere seiner mehrdimensionalen Rolle sind das Feingefühl, der Humor und die Unberechenbarkeit, die Williams in der Persönlichkeit konzentriert. Omar schafft es, dem intelligent gebauten Komplex der Serie eine geheimnisvolle Lässigkeit abzugewinnen. Die sozialen Realitäten von Amerikas Großstädten werden vielschichtig und ungeschönt inszeniert. So ist es den kompromisslosen Drehbüchern nach nur folgerichtig, dass er schließlich am Ende der Gewaltspirale ankommt. Noch bevor Michael K. Williams zum Mythos Omar wurde, zu dessen Fans auch Barack Obama zählt, arbeitete er seit 1995 als Nebendarsteller in Fernsehserien (u.a. »Law & Order«, »CSI«, »The Sopranos«) und kleineren Kinoproduktionen. Zu seinen jüngsten und eindringlichsten Auftritten gehört das Finale des post-apokalyptischen Dramas »The Road« (2009): In einer zerstörten Welt kämpfen Vater (Viggo Mortensen) und Sohn ums Überleben. Auf der Suche nach Wasser, auf der Flucht vor Hunger und Kannibalen werden sie bestohlen. Der Vater stellt den vermeintlich bösen Dieb (Williams) und entkleidet ihn. Ausgemergelt und nackt fleht Williams um die Würde der Menschheit. So verzweifelt apathisch er zurückbleibt, so groß bleibt die Beklemmung im Kinosaal. Momentan gibt er in der Serie »Boardwalk Empire« nochmal den mehrdeutigen Außenseiter. Als einflussreicher Gangster Chalky White lotet er seine Macht aus, zwischen seiner unterdrückten schwarzen Arbeiterklasse, dem aufstrebenden Ku-Klux-Klan und der weißen Gangster-PolitikBourgeoisie, die Atlantic City in den 1920ern regiert. Abermals vernarbt ein zwiespältiger Charakter von ihm, abermals durchdringt Michael K. Williams mit seinem undurchdringlichen Spiel das Publikum. Unlängst wollte Quentin Tarantino ihn für sein neues Westernspektakel »Django Unchained« haben, doch er musste wegen dem Erfolg von »Boardwalk Empire« absagen. Die Tage des Außenseiters sind gezählt. Die erste Staffel von »Boardwalk Empire« erscheint am 10. Februar via Warner Home Video auf DVD. »The Wire« ist dort bereits erhältlich.
Ex Drummer (Kino Kontrovers) von Koen Mortier; mit Dries Van Hegen, Normann Baert, Sam Louwyck auf DVD
Geständnisse (Rapid Eye Movies) von Tetsuya Nakashima; mit Takako Matsu, Yoshino Kimura, Yukito Nishii auf DVD
I’m Still Here (Koch) von Casey Affleck; mit Joaquin Phoenix, Ben Stiller auf DVD & Blu-ray
DVD
Ein verschlossener Abhörspezialist hegt den Verdacht, selbst bespitzelt zu werden. Als er sein Gewissen entdeckt, will er ein Verbrechen verhindern. Doch besteht überhaupt die Gefahr? Seine Arbeit ist, andere Menschen zu belauschen. Keine Aufgabe ist Harry Caul zu schwierig, kein Auftrag zu heikel. Seine Abhörmechanismen hat er selbst entworfen und bedient sie robotergleich, ohne seine Tätigkeit zu hinterfragen. Etwa, warum er diese Leute bespitzeln soll oder was wohl passiert, wenn sein Auftraggeber das Ergebnis der Untersuchungen erhält. Er ist ein unnahbarer Typ, sowohl beruflich als auch privat. Während er der Zielperson all ihre Geheimnisse entlockt, gibt er nur ungern etwas von sich preis. Sein aktueller Auftrag – ein junges Pärchen wird unter schwierigsten Bedingungen überwacht – macht ihm aber zu schaffen. Mindestens einmal sind aufgrund seiner Ermittlungen bereits Menschen gestorben. Besteht nun dieselbe Gefahr? Er geht der Sache nach und gerät dabei zunehmend unter Druck: Sein Auftraggeber ist unzufrieden, und Caul beschleicht der Verdacht, selbst überwacht zu werden. Er verliert zunehmend die Kontrolle – über sich, seine Arbeit, sein Leben. Ist er einer Verschwörung auf der Spur oder bloß paranoid? »Der Dialog« (1974, u. a. Goldene Palme, Oskar-Nominierungen) hat nichts von seiner Faszination eingebüßt. Damals wie heute spielt der Film mit dem Zuseher: Hat der Protagonist die moralische Verpflichtung, sein Tun und dessen mögliche Auswirkungen zu hinterfragen? Und steigert sich Harry Caul – gespielt von einem überragenden Gene Hackman – am Ende vielleicht nur in etwas hinein? Es geht auch um Grenzen, um den Schutz der Privatsphäre. 09/10 Stefan Kluger Die DVD-Reihe Kino Kontrovers kehrt mit dem fantastischen »Ex Drummer« zurück. Koen Mortier entwirft vor dem Zuseher ein Breitbild menschlicher Absonderheiten und reißt ihn mitten hinein in den Abgrund: Der erfolgreiche Autor Dries gründet mit den Sozialfällen Koen, Jan und Ivan die Punk-Band Feminists. Koen verbringt seine Freizeit damit, Frauen blutigst zu verprügeln, Jan hat einen verkrüppelten Arm und lebt auf einem Hof mit seinen Eltern, wo seine Mutter den Vater ans Bett gefesselt hat. Und der taube Ivan haust mit Freundin und Baby streitend im Drogennebel. Mortier belässt es nicht bei dieser Ausgangssituation, sondern ist den ganzen Film über darum bemüht, jedes mögliche Tabu zu brechen. Er kommt damit ziemlich weit, beschränkt sich aber nicht auf die Ansammlung von Störungen und Oberflächlichkeiten, sondern schafft dadurch einen Bilder- und Tonrausch von selten erlebter Intensität. Mortier verbindet seine Boshaftigkeiten zu einer Satire, verziert mit allerlei Einfällen wie auf den Kopf gestellten oder rückwärts laufenden Bildern, die überdurchschnittlich gut funktionieren. Unterstützt werden sie von einem lauten Soundtrack von Mogwai und anderen feinen Bands. »Ex Drummer« ist kein Sozial-Drama, sondern eine unglaublich schnelle, absurde und sehr witzige Fahrt in den Abgrund: böse, brutal, dreckig, intelligent und humorvoll. Vor allem aber: intensiv. 10/10 Martin Mühl Kinder können nicht nur grausam sein, sie sind es einfach auch. Die einzigen, die noch grausamer sein können, sind die Erwachsenen. Fast zwei Stunden lässt sich das kleine japanische Rache-Epos »Geständnisse« Zeit, um diese Erkenntnis in einem wunderbar makaberen Finale zu offenbaren. Der Weg dorthin stellt sich als Ziel dieses Psycho-Thrillers heraus, bei dem sich langsam eine höchst verschlungene Story um eine Lehrerin entwirrt, deren Schüler ihre Tochter ermordet haben sollen. Regisseur Tetsuya Nakashima legt dabei allergrößten Wert auf die Ästhetisierung seiner Szenen. Dies äußert sich im atmosphärischen Rockgitarren-Sounddesign, in herausfordernden Montagen, überzeichneten Charakteren und seinem überstrapaziertem Einsatz von Slowmotion-Effekten. Selbst die flachen Dialoge wirken überstilisiert. So bleibt bis zum großen Abschlussknalleffekt der Eindruck einer zwar bemühten, aber doch stimmigen Talfahrt des Grotesken. 07/10 Klaus Buchholz Man kann das als Zielgruppen-Insider-Schmäh mit wenig Bedeutung abtun – oder darin eine filmische und popkulturelle Großtat sehen. Casey Affleck, der coolere kleine Bruder, filmte einige Monate seinen Freund Joaquin Phoenix, den noch lebenden kleinen Bruder, dabei, wie dieser vorgibt, seine Filmkarriere aufzugeben, um Rapper zu werden. Offensichtlich geht damit eine körperliche Verwahrlosung einher. Der Hoax wurde öffentlich ausgetragen und inszeniert, nicht nur in Talk-Shows diskutiert und hat einen sehr unterhaltsamen Film zum Ergebnis. Es ist ein großes Vergnügen Joaquin Phoenix in dieser Rolle zuzusehen. Dass dabei allerlei Showbusiness-Klischees (»Ich bin eine Marionette«, »Ich mache nun Musik, um mich selbst auszudrücken, ...«) verarscht werden, verkommt dabei fast zur Nebensache. Zelebriert werden viel eher ein moderner, humorvoller Umgang mit dem Leben im Pop, dem Business und seinen Bildern und Ideen. In wenigen Szenen ist der Film hart (Stichwort Drogen und Nutten), in vielen extrem witzig (Joaquin sieht sich online Videos an, wie er von Ben Stiller bei der OscarVerleihung verarscht wird) und nie langweilig. Ich gehöre aber auch zur Zielgruppe. 08/10 Martin Mühl
R ez Katrin Passig, Aleks Scholz, Kai Schreiber Das neue Lexikon des Unwissens 01 (Rowohl Berlin) — Für die, die den ersten Teil, das »Lexikon des Unwissens«, nicht kennen, sei kurz das Grundprinzip erklärt: Anstatt wie herkömmliche Nachschlagewerke gesichertes Wissen zu sammeln, konzentrieren sich Passig, Scholz und Schreiber mit ebenso viel Humor wie wissenschaftlicher Präzision auf jene Bereiche, bei denen nach sorgfältiger Prüfung aller Fakten die einzig ehrliche Antwort ist: Warum sich dies so verhält, weiß kein Mensch. Dieses natürlich nicht mit ernsthaft enzyklopädischem Anspruch betriebene Vorgehen hat im aktuellen Fall so schöne Themen wie »Brüste«, »Naturkonstanten« oder »Übergewicht« zur Folge, allesamt Phänomene, bei denen die Wissenschaft weiterhin im Dunklen tappt, warum sie so sind, wie sie sind. Paradoxerweise lehrt die Lektüre trotzdem viele interessante Fakten sowie, was noch wichtiger ist, ein Grundbewusstsein für die Unsicherheit von Wissen. So enthält des »Neue Lexikon des Unwissens« konsequenterweise das Schlagwort »Wissen« – denn wer weiß schon, ob die Kriterien, nach denen Wissen beurteilt wird, richtig und relevant sind. Diese wohl aus dem Netz gelernte Skepsis führt aber nicht zu einem unerquicklichen Relativismus, sondern zu einem gut gelaunten Fatalismus mit Freude am scharfen Denken und nicht zu schnellem Zufriedensein. 08/10 Martin Fritz Testcard. Beiträge zur Popgeschichte. #21: Überleben – Pop und Antipop in Zeiten des Weniger 02 (Ventil Verlag) — Der in Mainz beheimate Ventil Verlag hält mit der zweimal jährlich erscheinenden »Testcard« die Fackel der kritischen Auseinandersetzung mit Produktionsmodi und Waren der Kulturindustrie hoch. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema Überleben als Musiker, Texter und Künstler im Popfeld des Jahres 2012. Lebte die klassische Popkultur vom Schneller, Höher, Weiter und dem steten Mehrkonsum, verwaltet der zeitgenössische Pop vor allem sein eigenes Schrumpfen. Das Thema Überleben ist klug gewählt, da sich in Zeiten von Filesharing und Gratis-Inhalten die Gewinnmargen und Verkaufszahlen vieler Musiker im freien Fall befinden. Der Sammelband analysiert die ökonomischen Macht- und Feldverschiebungen nüchtern und verzichtet auf das vor allem in den Kreativindustrien zur Seuche gewordene Rumjammern. Ullmaier kommt in seinem Beitrag zur Schlussfolgerung, dass es eine selbstständige Pop-Ökonomie schlicht nicht mehr existiert, da diese einerseits in einer Medienkonzern-Großökonomie, andererseits in einer Freiwilligen- und Prekariatatsökonomie aufgegangen ist. Fazit: Mit der aktuellen Ausgabe läuft die »Testcard« nach einigen eher durchwachsenen Ausgaben wieder zur absoluten Höchstform auf. 09/10 Christian Sebastian Moser
Friederike Schilbach (Hg.) Die Piratenpartei. Alles klar zum Entern? 03 (Bloomsbury) — Im September 2011 bekam die Piratenpartei 8,9 % der Stimmen bei der Wahl zum Berliner Landesparlament. In Deutschland und Europa wurde das vielfach als Signal gewertet, dass die traditionellen Parteien am Ende sind und die Menschen sich nach neuen Formen der Politik sehnen. Nur zwei Monate danach ist dieser Sammelband erschienen, der den erfrischend anderen Wahlkampf, den unverkrampften Zugang der Piraten zu politischen Themen und vor allem deren Weltbild aus Innen-, Wähler-, und analytischer Perspektive beleuchtet. Höhepunkte sind der Bei-
sa c hb u c h Dieter Meier Out of Chaos. Ein autobiografisches Bilderbuch (Edel)
Der Individual-Anarchist, der fast alles kann Manche wissen von Dieter Meier nur, dass er als Teil der Popformation Yello zu den Gründervätern des Techno zählt. Doch der Schweizer switcht seit jeher souverän zwischen unterschiedlichsten künstlerischen Disziplinen. Schon um 1970 drehte der Bankierssohn experimentelle Filme und irritierte mit schelmischen Aktionen: In Zürich füllte er auf dem Heimplatz fünf Tage lang 100.000 Metallstücke in Säckchen zu jeweils 1.000 Stück ab, in New York kaufte er den Passanten die Wörter »Ja« oder »Nein« um einen Dollar ab, auch zur Dokumenta nach Kassel wurde er als Konzeptkünstler eingeladen. Und dann kam Yello, nicht nur mit revolutionärer Musik, sondern auch mit radikal neuen Musikvideos (»Bostich«, »The Race«). In jüngster Zeit feierte Meier ein Revival: große Ausstellungen in Hamburg und Karlsruhe, neue CD (»Touch Yello«), Debüt als Kinderbuchautor und gleich drei Buchpublikationen über ihn im Jahr 2011: ein Werkverzeichnis, ein Porträt/Interviewbuch und nun das autobiografische Bilderbuch »Out of Chaos«. Dieses bietet den perfekten Einstieg in die Welt des »Individual-Anarchisten«, denn es hat eben jene Leichtigkeit und Ironie, die das Werk Meiers so erfrischend machen. Die unzähligen Abbildungen – von Snapshots aus der Kindheit bis zu Meiers künstlerischen Fotoserien, von dokumentierten Aktionen im öffentlichen Raum bis zu Stills aus den Yello-Videos – werden garniert mit pointiertem Text in kleinen Häppchen. Meier erweist sich auch schreibend als ein Meister des Absurden. Wie gut, dass man hier keine Kunsthistoriker zu langatmigen Interpretationen seines Oeuvres eingeladen hat. Denn die Tiefgründigkeit erschließt sich auch so – und macht nebenbei Spaß. Auch private Einblicke bietet der Schnauzbartträger in diesem Buch, so etwa in seine Bio-Landwirtschaft und das Weingut, die er beide seit vielen Jahren in Argentinien betreibt. Man kann sich das dann gut vorstellen: Dieter Meier, wie er genüsslich eine Flasche Wein trinkt, und dabei ausheckt, womit er demnächst die Welt aus den Angeln heben könnte – und sei es nur für kurze Momente. 9/10 Peter Stuiber
trag von Frank Schirrmacher, in dem er sich als Nerd-Versteher gibt, oder der Text von Juli Zeh, in dem sie die Piraten treffend als Freiheitspartei beschreibt. Im letzten Abschnitt erinnert Ulli Kulke an die historischen Vorbilder, die die heutigen Piraten in den Radiopiraten der 60er Jahre haben. Das ganze Buch ist durchzogen von Aufbruchsstimmung und Hoffnung auf eine zeitgemäße Form der Politik. Es wird interessant, wie die Berliner Piraten dieser gerecht werden. Sie sind nun in der Berliner Realpolitik angelangt und müssen sich mit obskuren Weltanschauungen ihrer Fraktionsgeschäftsführerin oder mit Erpressungsvorwürfen in den eigenen Reihen auseinandersetzen. Wenn die Piraten all das so meistern wie den Berliner Wahlkampf, können sie die Hoffnungen langfristig erfüllen und das Buch ist ein Stück mehr als nur eine Momentaufnahme. 07/10 Werner Reiter
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Film
The Artist (von Michel Hazanavicus; mit Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman) — George Valentin (Jean Dujardin) ist ein Hollywoodstar, ein erfolgreicher Schauspieler. Er ist ein Künstler, wie er selber sagt. Wir schreiben das Jahr 1927. Valentin lernt Peppy Miller (Bérénice Bejo) kennen, die bald zum Rising Star avanciert. 1929: George fällt, Peppy will ihm helfen. Er ist in seinem Stolz verletzt, will sich umbringen, sie rettet ihn. 1932: Alles ist wieder gut, trotz der bösen Innovation, dieser äußeren Bedrohung namens Tonfilm. Klassische Hollywood-Dramaturgie im Stummfilmstil eignet sich natürlich gut für eine Hommage an die Stummfilmzeit. »The Artist« unterbricht optisch das Mainstream-Kino mit Schwarzweiß-Ästhetik, Mimenspiel und gezeichneten Zwischentiteln. Hazanavicus stellt mit großer Feinfühligkeit seine Verliebtheit für das Format Stummfilm zur Schau, technisch wie inhaltlich. So verwendet er Farbfilm, zusätzliche Filter und Linsen, um eine ausdifferenziertere Schwarzweiß-Optik zu erzielen. Parallel dazu holt er gekonnt den Film von der ausgestellten filmischen Realität auf die nach-filmische Ebene des Kinopublikums. Etwa in der Szene, als plötzlich der Ton in den Stummfilm kommt. Durch das damals so typische und von Dujardin geschickt imitierte Mugging wird dieser komische Moment gleichzeitig ironisiert – aus heutiger Sicht wirkt die Darstellung overacted. Fazit: Michel Hazanavicius will ein visuelles Lockzuckerl anbieten, um mit »The Artist« in die Welten des Stummfilms zu entführen. Und es schmeckt gut. 07/10 Cornelia Dorfer Dame, König, As, Spion (von Tomas Alfredson; mit John Hurt, Colin Firth, Tom Hardy) — Mit seinem romantischen Kinderhorrorfilm »Let The Right One In« konnte sich der Schwede Tomas Alfredson eine Tür aufstoßen, deren Schatten bis zum großen Gary Oldman und seinem finsteren Gesicht reichen sollte. Dieses zeigt er nun in »Tinker, Tailor, Soldier, Spy« gemeinsam mit einer Armada hochkarätiger Schauspielbriten (John Hurt, Colin Firth, Tom Hardy u.a.), um in einem internationalen Spionagekomplott zu verstauben: In den 70ern zersetzen die Fronten des Kalten Krieges den Britischen Geheimdienst mit einem Maulwurf. Der in Rente geschickte Agent Smiley (Oldman) entwirrt nun schön langsam das Rätsel. Leider verliert sich Regisseur Alfredson zu sehr im Staub und kann die bemühte Anspannung nicht zwei Stunden lang halten. Seine Darsteller, allen voran Gary Oldman, glänzen hingegen in diesem zu nüchtern geratenen Kammerstück. 06/10 Klaus Buchholz Sex On The Beach (von Ben Palmer; mit Simon Bird, Joe Thomas, James Buckley, Blake Harrison) — »Sex on the Beach« zeigt den gleichen Geburtsfehler wie viele SerienVerfilmungen zuvor: das Erbgut überschattet den Nachkommen, weil die Formatverschiebung dem ursprünglichen Witz nicht gerecht wird. Als TVSerie, rund um pubertierende Vorstadt-Teenager, funktioniert »The Inbetweeners« hervorragend. Die ungeschönte Sprache, der unverkrampfte Umgang mit Sex und Drehbücher, die direkt von den klebrigen Bauchnabeln Heranwachsender weg erzählen, gaben dem Erfolg drei Staffeln lang Recht. »Sex On The Beach« handelt nun vom rauschenden Sommerurlaub nach der Schule, von der Mannwerdung mit Sonnenbrand und Katerstimmung. Auch als Destillat hebt sich das humoristisch von vergleichbaren Coming-of-Age-Komödien ab. So fern einer originellen Handlung überzeugen die Charaktere aber nur das alte Fernsehpublikum. 05/10 Klaus Buchholz
Submarine (von Richard Ayoade; mit Craig Roberts, Yasmin Paige, Noah Taylor, Sally Hawkins, Paddy Considine)
Die perfekte Indie-Nostalgie Die britische Coming-of-Age-Komödie »Submarine« ist ein vergilbtes Schmuckstück, das junge Indie-Nostalgiker und jung gebliebene Altromantiker gleichermaßen begeistern wird. Ben Stiller sollte mehr Komödien dieser Art produzieren, den Glauben in sein humoristisches Gefühl bügelt »Submarine« wieder sehr auf. Mit Richard Ayoade hat er auf den Richtigen gesetzt. Der britische Comedian, Schauspieler, Autor und Regisseur erarbeitete sich bereits einen hervorragenden Ruf in der britischen TV-Landschaft. Schreibend und schauspielernd hat er den Bauch der Indie-Nerd-Kultur seit fast zehn Jahren gepinselt – mit Erfolgsformaten wie »The Mighty Boosh«, »Garth Marenghi’s Darkplace«, »Nathan Barley« und »The IT Crowd«. Darüber hinaus hat er Musikvideos für Größen wie Vampire Weekend, Arctic Monkeys oder Kasabian gedreht. Seine kulturelle Basis sind seine eigenen, von ihm ironisierten Zuschauer, die in den USA schon allerorts als Hipsters und in Großbritannien als Dickheads verschrieen sind. Moden und Subkulturen sind vergänglich, auch wenn man sie, wie Richard Ayoade selbst, so stark geprägt hat. Was bleibt, ist der nostalgische Blick auf eine Zeit, in der die Dinge noch cool waren, lange bevor sie nicht mehr oder wieder un-cool sein konnten. In solch einer Blase findet »Submarine« im Jahr 1986 statt. Der Film erzählt vom traurig-komischen Leben des Oliver Tate (Craig Roberts), einem melancholischen Jugendlichen, der am Höhepunkt seiner Pubertät die Liebe für sich verlangt. Pastellfarben wechseln mit dämmrigen Außenaufnahmen einer britischen Küstenstadt, der Schulalltag ist lang nicht so aufregend wie die blühende Fantasie des Ich-Erzählers Oliver. Ganz zu schweigen von der dürrer werdenden Ehe seiner verschrobenen Eltern. Bis schließlich die schöne, weil so exzentrische Jordana (Yasmin Paige) in ihrem feuerroten Duffle Coat das Herz des schrulligen 15-Jährigen in Brand setzt und Olivers Mutter von einem Esoteriker (Paddy Considine) verführt wird. Der Teenager-Mikrokosmos beginnt zu kreisen, während Ayoade seine Charaktere miteinander kollidieren lässt. Die schrägen Figuren, das Dekors und die Kulissen sprühen vor liebevollen Details. Die Montage ist verspielt, bunt und rasant. Der trockene Dialogwitz und die vergilbte Atmosphäre konterkarieren dabei den Eindruck einer verträumten Musikerzählung. Am Ende ist »Submarine« eine un-sentimentale, krachend komische und doch sehr gefühlvolle Komödie über das Heranwachsen, die stolz auf ihren überzeugenden Indie-Chic sein kann. 08/10 Klaus Buchholz
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Film
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Do 23., Fr 24. 2012, 20 Uhr und Sa 25. FEB
War Horse (von Steven Spielberg; mit Jeremy Irvine, Emily Watson, Peter Mullan, David Thewlis)
Gesattelt durch die Traumfabrik Die bildgewaltige Geschichte eines Pferdes vor der Kulisse des Ersten Weltkriegs – Steven Spielberg inszeniert Michael Morpurgos Kinderroman »War Horse«. Heraus kommt ein episches Werk, mit dem sich der Virtuose wieder ganz ungeniert als Romantiker deklariert. Der Blick segelt über die weiten, grünen Felder Englands und hält inne, um die Geburt eines Fohlens zu beobachten. Nein, wir befinden uns nicht in der Welt von Rosemunde Pilcher, sondern in jener von Steven Spielberg. Andrew (Jeremy Irvine), ein einfacher Bauernjunge mit glasigem Blick, wird Zeuge dieses Ereignisses und fühlt sich dem Tier von nun an seelisch verbunden. Eines Tages kommt Andrews Vater mit dem wilden Hengst Joey nach Hause. Der hat zwar ein Vermögen gekostet, wirkt für die Feldarbeit aber gänzlich unbrauchbar. Andrew macht es sich zur Aufgabe, ihn zu zähmen. Damit ist der Grundstein einer Beziehung gelegt, die mit dem Hereinbrechen des Ersten Weltkriegs allerdings ihr vorläufiges Ende findet. Hengst Joey wird für die Kavallerie eingezogen, schlittert in Schauplätze des Kriegs und geht dabei stets eine innige Beziehung mit seinen wechselnden Wegbegleitern ein, ob britischer Leutnant oder krankes französisches Mädchen. Dabei bleibt nicht viel Zeit für die Etablierung der Charaktere, jedoch erhält der Film eine originelle Dynamik. Schließlich kommt es zu einer surreal anmutenden Szene, als sich Tier Joey zwischen den Fronten im Stacheldraht verheddert und die Schlacht für einen Moment einfriert. »War Horse« bietet einen durchaus pathetischen Plot, den Spielberg ohne Scheu und mit allen Mitteln auf die Leinwand bannt. Weite Kameraeinstellungen (Kamera: Janusz Kamin ´ski) und orchestrale Musik (John Williams) sorgen für ein bild- wie soundgewaltiges Gesamtwerk. Spielberg, der mit seinen letzten Filmen etwas an früherer Magie eingebüßt hat, bündelt hier nun zwei seiner Spezialitäten: große Beziehungsdramen und große Schlachten. Einen Kriegsfilm à la »Saving Private Ryan« darf man aber nicht erwarten. Der Erste Weltkrieg, der auch das Aus für die Kavallerie in ihrer klassischen Rolle einläutet, steht nicht im Mittelpunkt, sondern dient vielmehr als atmosphärischer Rahmen für die sich etablierenden Beziehungen zwischen Joey und seinen Gefährten. Ganz ohne Kitsch kommt der Film dabei nicht aus, Romantiker Spielberg kann sich das aber leisten. Denn dieses Bekenntnis wirkt unzeitgemäß und gerade deshalb erfrischend und ehrlich. So kann der Film auch geglückt in einem im Abendrot getränkten Happy End ausklingen, solange man sich darauf einlassen kann. 07/10 jan hestmann
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R ez Tadashi Agi, Shu Okimoto The Drops Of God (Vol. 1) 01
Matt Kindt 3 Story: The Secret History Of The Giant Man (Dark Horse)
(Vertical) — Viele halten Wein für das edelste Getränk. Shizuku – vom gespannten Verhältnis zu seinem Vater, dem weltbekannten Weinkritiker Yutaka Kanzaki bedrückt – will nichts von Wein wissen. Selbst als dieser verstirbt und im Testament festhält, dass Shizuku das Erbe nur antreten darf, wenn er 13 Weine korrekt identifizieren und beschreiben kann, weigert er sich. Bis Issei Toomine, ein junger Weinkritiker und Schüler Yutaka Kanzakis, ihm das Erbe streitig macht. »The Drops Of God« ist nur zu einem geringen Teil die Studie einer zerrütteten Vater-Sohn Beziehung. Den Hauptteil nehmen Weinstudien (von echten Weinen) und Hinwendung zur Kunst des Sommeliers ein. Die poetische Liebe zum gegorenen Traubensaft wird hier von Yuko und Shin Kibayashi (alias Tadashi Agi) in großen Gesten praktiziert. So stark ist dieser Eindruck, dass »The Drops Of God« in Japan und Korea eindeutig messbar den Weinkonsum und Weinhandel beeinflusst hat. Lektüre mit einem guten Wein wird empfohlen.
Gigantische Kluft Matt Kindt zerbricht Fantasy und Thriller und fügt die Einzelteile als epistemologisches Familiendrama wieder zusammen. Ein nachdenklicher Geschichtenerzähler in Bestform.
07/10 Nuri Nurbachsch
Rob Davis, Woodrow Phoenix (Hrsg.) Nelson 02 (Blank Slate Books) — Das United Kingdom Comics Collective ist ein regionales Netzwerk, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Talente der britischen Inseln zu weltweit größerer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Als Startschuss dieser Bemühung wurden 54 Künstler zu einer Kollaboration zusammengerufen und »Nelson« entstand. Hier lernen wir in Auszügen aus jedem Jahr ihres Lebens, von ihrer Geburt bis ins Jahr 2011, Nel Baker kennen. Jede Episode von einem anderen Comic-Künstler präsentiert, 54 Seiten derselben fiktiven Figur. Die Geschichte Großbritanniens vermischt sich teilweise mit dieser Slice-of-Life-Erzählung, um zu einem charmanten Dokument zu verschmelzen. Nebst bekannten Größen wie Rian Hughes, Philip Bond, Andi Watson, Warren Pleece oder D‘Israeli gibt es auch weniger populäre Zeitgenossen zu entdecken, alle mit riesigem Talent und erzählerischer Kraft ausgestattet. Für alle, die einen aktuellen Schnappschuss der britischen Comicszene möchten, ist »Nelson« in jeglicher Hinsicht perfekt. Kleiner Bonus: Alle Gewinne der ersten 4.000 verkauften Exemplare von »Nelson« fließen Shelter, eine karitative Organisation für Obdachlose, zu. 07/10 Nuri Nurbachsch Frank Miller Holy Terror 03 (Legendary) — Auch wenn es vielleicht nicht immer ausgesprochen wurde, aber es war zumeist sehr ersichtlich, dass Frank Millers Weltanschauung wohl eher im konservativen Eck anzusiedeln ist. »Holy Terror« ist jedoch ein Stück reaktionäre US-amerikanische Republikaner-Propaganda, die wahrscheinlich vielen Miller-Fans sehr übel aufstoßen wird. Miller bemüht sich nicht mal mehr um die masked vigilante Rahmenhandlung, die Story ist hier nur Setting und in dieser Rolle sehr unbequem. »Holy Terror«, man kann es nicht beschönigen, ist Anti-Islam-Hetze, unreflektiert, ganz im Stil der von »Dubya« Bush gepredigten »War On Terror«-Mentalität. Dazwischen sinnfreie Montagen von Eindrücken aus unserer Realität. Die einzigen Meriten von »Holy Terror« sind Millers Illustrationen – zwar so schlampig und übereilt wie nie zuvor – aber dennoch mit fanatischer Energie hingeschmiert. 02/10 Nuri Nurbachsch
Co m i c s
Craig Pressgang entwächst seinem Leben, buchstäblich. Aus dem kleinen Jungen, der ungewöhnlich schnell in die Höhe schießt, wird ein Mann, der nicht mehr in ein herkömmliches Haus passt. Und schließlich ein alternder Riese, größer als Bäume, unfähig mit den anderen Menschen zu kommunizieren. Drei Frauen begleiten ihn auf diesen Etappen: seine Mutter, seine Ehefrau und seine Tochter. Sie sind es, die uns von diesem Craig Pressgang erzählen. Durch ihre Berichte erfahren wir nicht, wer Craig Pressgang war, höchstens ein paar biografische Fakten. Aber das scheint Matt Kindt auch nicht bezweckt zu haben. Obwohl der Titel »3 Story: The Secret History Of The Giant Man« lautet, ist dieser nicht die wirkliche Hauptfigur. Auch sind es nicht die drei erzählenden Frauen. Verlust ist der strahlende Star, Entfremdung und Kommunikationszusammenbruch die tragenden Nebenrollen. Marge, die Mutter, berichtet von ihrem geliebten Ehemann, den sie an den Krieg verlor; dem Sohn, der ihr blieb und die Sehnsucht nach ihrem Partner unvergessen machte; der Sohn, den sie schon bald auch verliert, als sein abnormes Wachstum für sie zur Hürde wird. Jo, Craig Pressgangs Ehefrau, sieht nicht den Mann sondern, die überlebensgroße Idee eines Mannes; sie erstickt sich selber in Ängsten vor und um ihn; verzweifelt an der täglich zunehmenden Schwierigkeit, mit ihm zu kommunizieren, bis es sogar unmöglich wird. Und Iris, seiner Tochter, die das Geheimnis des Todes ihres Riesenvaters, der sie verließ, als sie noch ein kleines Kind war; auf der Suche nach der Identität ihres verschwundenen Vaters, eigentlich nach ihrer eigenen Identität sucht. Matt Kindt webt dieses breite Spektrum an zwischenmenschlichen Emotionen zusammen, als ob es das leichteste auf der Welt wäre. Mit stillen Untertönen, gefühlter Intention, entfalten sich die Facetten einer zerrissenen Familie. Die tiefe Traurigkeit des Verlustes, der unerfüllten Sehnsüchte und wachsender Distanziertheit, wo man Nähe und Vertrautheit erhoffte, beseelt jedes einzelne Panel von »3 Story«. Voll schlichter Eleganz ist dieser Comic-Shoegaze-Folk von Matt Kindt. Zwischen der Biografie des fiktiven Craig Pressgang, nebenbei mit einem Spionagethriller gespickt und dessen gefühlvollem Tiefgang, packt Kindt dann noch unaufdringlich eine ganz andere, umfassendere Frage aus: Wer ist »Ich«? Was macht uns aus? Sind wir diejenigen, die wir selbst zu sein glauben, oder sind wir diejenigen, die wir in den Augen der anderen sind? »3 Story: The Secret History Of The Giant Man« ist wie die Essenz von Matt Kindt: intelligent, emotional, introspektiv und querdenkend. 10/10 Nuri Nurbachsch 01
02
03
R ez
G a m es
Zurück in die Zukunft? Auf den ersten Blick fast ident mit dem Vorgänger, überrascht »Final Fantasy XIII-2« doch mit einigen Neuerungen, die etliche Kritikpunkte des ersten Teils ansprechen. Entgegen der »Final Fantasy«-Tradition, dass für jedes Spiel eine neue Welt ohne Bezug zu den Vorgängern geschaffen wird, ist »Final Fantasy XIII-2« eine direkte Fortsetzung des ersten Teils. Etwas, das erst zum zweiten Mal in der Geschichte der Reihe geschieht. Serah, die bis jetzt eher das zu rettende Opfer war, ist nun Protagonistin und ihrerseits auf der Suche nach ihrer Schwester, der verschollenen Heldin. Die Welt, in der die Geschichte spielt, ist zwar noch immer die gleiche, bekannt vorkommen dürfte auch Fans trotzdem nicht viel. Das liegt zum einen daran, dass einige Jahre seit dem Vorgänger vergangen sind, zum anderen aber am wichtigsten neuen Gameplay-Element: den Zeitreisen. Die verschiedenen räumlich und zeitlich getrennten Episoden können teilweise in beliebiger Reihenfolge gespielt werden, was einen größeren Grad an Freiheit erlaubt, aber auch Flexibilität verlangt. Wer nicht zwischen den Zeitsträngen wechselt, findet sich früher oder später in einer Sackgasse, weil die zusätzlichen Erfahrungspunkte fehlen. Auch innerhalb der einzelnen Episoden gibt es immer wieder Verzweigungen in Form von Dialogoptionen, die jeweils unterschiedliche Handlungsstränge auslösen. Wenn man mit einer Wahl nicht zufrieden ist oder einfach wissen möchte, wie die anderen Optionen aussehen, können abgeschlossene Episoden gewissermaßen zurückgespult und noch einmal gespielt werden. Das Erreichen höherer Charakterlevel wird dadurch erleichtert, ohne dass auf Nebenquests zurückgegriffen wird, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen. Alles in allem macht der zweite Teil einen dynamischeren, windschnittigeren Eindruck als der erste und bietet gleichzeitig mehr Freiheit und Wahlmöglichkeiten, ohne gleichzeitig das Gefühl hervorzurufen, dass etwas verpasst wird. 09/10 Niko Acherer
Final Fantasy XIII-2 (Square Enix); PS3, Xbox 360; www.finalfantasy13-2game.com
R ez Cars 2 01 (Disney Interactive) PSP (getestet), X-Box 360, PS3, 3DS, NDS, PC, Wii, www.disney.de/disneyinteractive studios/?#product/cars2 — Monotones Spiel zum Film. Spuren-Rennen ohne Lenkung waren auf der Carrera-Bahn spannender und die Handlung bleibt inexistent. 03/10 Harald Koberg Crush 3D 02 (Sega); 3DS; www.sega.de — Sega bringt den feinen Puzzler »Crush« auf den 3DS – und es passt! Das Setting mit dem verrückten Professor ist ein bisschen bemüht, aber warum nicht; das Gameplay ist nach wie vor unterhaltsam, mitunter fordernd und es profitiert von der optischen Tiefenwirkung von Nintendos mobiler Konsole. Der Spieler kann die Plattform-Spielwelt in alle Richtungen um 90 Grad drehen und dann aus jedem Blickwinkel die Ansicht von 3D auf 2D verflachen. Dadurch wird es Spielfigur Danny möglich, an neue Stellen zu gelangen, Punkte einzusammeln und den Levelausgang zu erreichen. Die Spielidee funktioniert immer noch, die Level werden schnell fordernd und vor allem Rätselfreunde, die gerne tüfteln und ausprobieren, kommen auf ihre Kosten. Der 3D-Effekt der Konsole wird zwar nicht zum Gameplay-Element, macht das Spiel aber hübscher und passt perfekt zur Spielidee. Hier kommt zusammen, was zusammen gehört. 08/10 Martin Mühl Kirby’s Adventure Wii 03
G a m es
Mario & Sonic bei den Olympischen Spielen: London 2012 05 (Sega); Wii getestet, 3DS (Februar 2012); www.olympicvideogames.com/mario-and-sonic-london-2012 — Seit 2008 laden Mario und Sonic zu den Olympischen Spielen. Kein Wunder, verkaufen sich die Games der beiden Maskottchen doch grandios. Bei »Mario und Sonic bei den Olympischen Spielen: London 2012« stehen Sommerdisziplinen am Programm – 21 olympische und 10 Traumdisziplinen. Dabei wird der Leichtathletik nun etwas weniger Platz als vor vier Jahren eingeräumt, im Gegenzug sind neue Mannschaftssportarten wie Fußball und Beachvolleyball dabei – ideal für gesellige Runden. Erfreulicherweise können sämtliche Herausforderungen mit Wii-Remote gezockt werden, wobei es hier und da Sinn macht, zusätzlich das Nunchuk zu verwenden. Die Entwickler waren offensichtlich um Zugänglichkeit bemüht, haben es damit an mancher Stelle aber übertrieben: Wenn bei Badminton allein das Timing der Schläge zählt, Spielerbewegung und Schlagrichtung dagegen automatisch ablaufen, ist das ziemlich anspruchslos. Neu ist die »LondonParty«, die auf den ersten Blick nach einem Klon von »Mario Party« aussieht und auf einer der Stadt nachempfundenen Karte spielt – hier wird aber gleichzeitig und in Echtzeit gehüpft und gesammelt. 07/10 Stefan Kluger Rayman Origins 06
(THQ); Kinect für Xbox 360; www.thq.de — Ungewöhnlicher Einsatz für die Xbox-Bewegungssteuerung Kinect. Ein Spiel ist »Leela« aber nur bedingt und ganz sicher nur jenen zu empfehlen, die prinzipiell Chakren und Mandalas etwas abgewinnen können. --/10 Martin Mühl
(Ubisoft); PS3 (getestet), Xbox 360, Wii, (bald auch für 3DS und PS Vita); rayman.ubi.com/rayman-origins/de-de — Was heute der Militär-Shooter, war früher das Jump ’n’ Run. Kaum zu glauben, fristen doch klassische Hüpfspiele, die nicht Mario heißen, mittlerweile ein bescheidenes Dasein. Umso erfreulicher, dass endlich wieder ein reines 2D-Abenteuer in den Regalen steht. Letzteres war anfangs nicht geplant, »Rayman Origins« sollte ein Download-Titel werden. Das Spiel wurde jedoch immer umfangreicher und detaillierter – und irgendwann gab der Publisher grünes Licht, ein Vollpreisspiel daraus zu machen. Und die neueste »Rayman«-Episode ist jeden Cent wert: ein lieblicher, gepinselt anmutender Grafikstil, feinste, urkomische Figuren und Animationen und ein herausforderndes, nahezu perfektes Gameplay beanspruchen – neben dem Nintendo-Star – die Genrekrone. Michel Ancel, kreativer Kopf der »Rayman«-Serie und Mastermind von »Beyond Good And Evil«, hat mit seinem Team nicht nur fast jedes erdenkliche Spielelement gekonnt integriert, sondern auch sehr viel Liebe zum Detail bewiesen. Rayman, Globox und Co. bewegen sich völlig verschieden, während die bösen Darktoons ihrem Namen alle Ehre machen: Raymans Freunde werden nicht nur gepiesackt, nein, die dunkle Brut wischt sich mit ihnen sogar die Achseln! Unzählige Geheimnisse locken zum erneuten Durchspielen der Welten, die an Schönheit und Abwechslung kaum zu überbieten sind. Einen Mehrspielermodus gibt’s noch dazu (bis zu vier Spieler gleichzeitig); spielt man zu zweit, offenbart sich die beste Balance aus Spielspaß und Übersicht. Genial! 10/10 Stefan Kluger
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(HAL Laboratories/Nintendo); Wii; www.nintendo. at — Das Spielejahr 2011 war generell ein bemerkenswert gutes – für Kirby-Fans aber einfach nur grandios. Abgesehen von einem Handheld-Ableger gab es gleich zwei Heimkonsolen-Spiele mit dem süßen Helden. »Kirby’s Adventure Wii« kommt nun – im Gegensatz zu »Kirby und das magische Garn« wieder von den Serienvätern HAL Laboratories. Kirby kann einmal mehr gehen, laufen, hüpfen, Feinde einsaugen und als Ballon schweben – zudem absorbiert er die Fähigkeiten eingesaugter Gegner. Zahlreiche Verwandlungen sorgen für Abwechslung und einen Hauch Taktik in diesem unbeschwerten, heiteren Jump ’n’ Run. Das Ganze spielt sich flott, nicht allzu schwer (aber eben nicht von selbst wie etwa das neueste »Mario«-Game) und unterstützt bis zu vier Gamer gleichzeitig. Es ist ein rundes Spiel geworden, was insofern bemerkenswert ist, da dem Titel eine regelrechte Entwicklungsodyssee vorausging: Seit der Veröffentlichung von »Kirby 64« (2000) wurden bei HAL drei Heimkonsolen-Kirbys entwickelt und wieder eingestampft. Willkommen zu Hause, Kirby! 08/10 Stefan Kluger Deepak Chopra’s Leela 04
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Saint’s Row: The Third 07 (Volition/THQ); PS3 getestet, Xbox 360, PC; www. saintsrow.com — »Saint’s Row« ist wie eine abgefahrene Version von »GTA« auf Speed: Geschmack und Feinheiten sucht man vergeblich, aber Spaß gibt es ohne Ende. 08/10 Niko Acherer Tales of the Abyss 08 (Namco-Bandai); 3DS; tales.namco.com/abyss — Ein grundsolides Japan-RPG mit flotten Kämpfen und langer Ladezeit, das für 3DS ordentlich aufgepeppt wurde. Der Tiefeneffekt macht die Kämpfe übersichtlicher. 07/10 Stefan Kluger Sam & Max – Im Theater des Teufels 09 (Daedalic Entertainment) PC getestet, PS3; samandmax.daedalic.de — Gewohnt verquer, teils überbemüht lustig gehen »Sam & Max« in ihre dritte Staffel. Nette Point-and-Click-Rätsel, die sich ohne großen Widerstand lösen lassen. 06/10 Harald Koberg
Soul Calibur V 10 (Project Soul/Namco Bandai); PS3, Xbox 360; www. soulcalibur.com — Als Mitte der 90er Jahre »Soul Edge« die Arcades erschütterte, ahnte vermutlich kaum ein Spieler, dass solch ein Effektfeuerwerk bald auf Konsole möglich sei. Mit »Soul Calibur« (Dreamcast, 1998) schuf Enwickler Namco (heute: Namco Bandai) einen Genre-Meilenstein: Niemals zuvor sahen Kämpfer und Arenen so schön aus, kein anderes Beat’em Up bot ein vergleichbar bombastisches Erlebnis. Leider verlor die Serie dann mit jedem Teil an Charme und Faszination. Umso erstaunlicher ist »Soul Calibur 5« und endlich wird auch Einzelspielern viel geboten: diverse Spielmodi, tonnenweise freischaltbare Goodies und ein Charakter-Editor, der zum stundenlangen Experimentieren einlädt. Auch am Gameplay wurde gefeilt: Höheres Spieltempo gepaart mit größerer Aktionsvielfalt bringt deutlich mehr Abwechslung und Taktik in die Fights – stures Button-Mashing führt nur selten zum Erfolg. Etwas störend sind hingegen zahlreiche Juggles (kombiniertes Aneinanderreihen von Attacken), denen am Boden liegende oder durch die Luft fliegende Gegner oft hilflos ausgeliefert sind – so wie bei der hausinternen Konkurrenz »Tekken«. Serienveteranen werden den einen oder anderen liebgewonnenen Charakter früherer Teile vermissen – manche wurden durch frische Kämpfer ersetzt. Der grandiose Editor lässt diesen Makel rasch beheben. »Soul Calibur 5« ist nicht nur das schönste Prügelspiel dieser Generation, es ist auch eines der besten. 08/10 Stefan Kluger Ultimate Marvel vs. Capcom 3 11 (Capcom); Xbox 360 getestet, PS3; www.marvelvscapcom3.com/de — Schnelle, mitunter hektische Action, die dank der vereinfachten Steuerung und des Tag-Team-Konzepts funktioniert. Das Update hat sich jedenfalls ausgezahlt. 07/10 Stefan Kluger
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LIVE @ RKH
ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS
GASMAC GILMORE
18.02.2012
© Max Berner
KARTEN UND INFOS: http://radiokulturhaus.ORF.at
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Der Gedanke vom Blick auf eine Zeichnung, die bei jedem Betrachten neue Aspekte eröffnet, die einen Moment der Veränderung in sich trägt, begleitet diese Ausstellung und verbindet die Tätigkeiten der eingeladenen Künstler. Dazu zählen unter anderem Nicolaus Gansterer, Davide Savorani und Elffriede. Ausstellung: 19. Jänner bis 17. März. Wien, Kunstraum Niederösterreich, Herrengasse 13. www.kunstraum.net
Nicht nur ein Bild, sondern eine ganze Welt
T er m ine Kultur
T er m ine
Kultur
Breakfast With: Die Kunstgeschichte auf Toastbrot Schon mal auf deinem Toast am Morgen geschaut und gedacht, es sieht aus wie Mark Rothkos »Red No.5«? Andreas Riedl hat es gemacht. Dabei entstanden 70 Fotografien von Weißbrotscheiben, die Kunstwerke neu interpretieren oder auf die Künstler dahinter anspielen. Eröffnung: 17. Februar, 19:00 Uhr. Ausstellung: 17. Februar bis 16. März. Wien, Fortuna Galerie, Berggasse 21/2. www.fortuna-media.com/galerie
Judith Hopf: End Rhymes And Openings In ihrem neuen Kurzfilm »Some End Of Things: The Conception Of Youth« führt die Berliner Künstlerin Judith Hopf ein Ei stoisch durch ein modernes Gebäude aus Beton, Stahl und Glas entlang. Hopf findet immer neue, witzige Metaphern, um für die Ausnahme und gegen die Vereinheitlichung zu argumentieren. Eröffnung: 27. Jänner, 18:00 Uhr. Ausstellung: 28. Jänner bis 31. März. Graz, Kunstverein, Burggasse 4. www.grazerkunstverein.org
The Sixties – Aufbruch in eine neue Welt Alles schien möglich. Die 60er waren ein atemloses Jahrzehnt, geprägt von tiefgreifenden sozialen, kulturellen und ästhetischen Umbrüchen. Das neue Lebensgefühl schlug sich in gewagten Formen und schillernden Farben in Design und Mode nieder. Ausstellung: 29. Februar bis 17. Juni. Wien, Hofmobiliendepot, Andreasgasse 7. www.hofmobiliendepot.at
Yvonne Rainer – Raum, Körper, Sprache Mit Yvonne Rainer stellt das Kunsthaus Bregenz eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts vor. Bis heute fällt es schwer, die künstlerische Produktion von Yvonne Rainer adäquat zu kategorisieren. Tänzerin, Theoretikerin, Aktivistin, Dichterin oder Filmemacherin? Eröffnung: 03. Februar, 19:00 Uhr. Ausstellung: 04. Februar bis 09. April. Bregenz, Kunsthaus, Karl-Tizian-Platz 1. www.kunsthaus-bregenz.at
Anselm Kiefer Die Ausstellung gewährt einen persönlichen Blick des Sammlers Karlheinz Essl auf Anselm Kiefers Werke, die erstmals in dieser Breite der Öffentlichkeit gezeigt werden. Sand, Erde, Lehm, Asche, Haare, Samen, Draht, Zweige im Gipsmantel oder auch Textilien sind Bestandteile seiner Arbeiten. Eröffnung: 02. Februar, 19:30 Uhr. Ausstellung: 03. Februar bis 29. Mai. Klosterneuburg, Essl Museum, An der Donau-Au 1. sammlung-essl.at
Herbert Brandl Ein Puzzle aus Endzeitlandschaften, Variationen oft beklemmend düsterer Bergwelten des Künstlers Herbert Brandl werden erstmals in Wien gezeigt. Brandl sieht sich als Bergsteiger in der Felswand – beziehungsweise als der, der Gefahr läuft, vom Gemälde »abgeworfen« zu werden. Er sah sich der Malerei verpflichtet, als sich zeitgenössische Kunst gerade anderen Medien zuwandte. Jetzt wird er wiederentdeckt. Ausstellung: 26. Jänner bis 15. April. Wien, Bank Austria Kunstforum, Freyung 8. www.bankaustria-kunstforum.at
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G a l erien
HIGHLIGHTS FEBRUAR DO. 09.02. + SA.11.02. 20:00 | THEA TER
KARIN VERDORFER IN: „TRIXI BABY – EINE CURETTAGE“ VON MARTIN KLAUS MENZINGER FR. 10.02. 20:00 | SPOKEN WORD
HENRY ROLLINS: THE LONG MARCH DI. 14.02. + MI.15.02. 20:00 | THEA TER
»Autobiografie SF« 1952, Plastik, 25 � 56 cm
»Not yet titled (red oil)« 2011, Öl auf Aluminium, 173 � 173 cm
Stano Filko
Jason Martin
Stano Filko will Licht ins Dunkel der Welt bringen. Kunst sieht er, wie die Wissenschaft, als eine Art Forschung. Seine Environments, Skulpturen und Installationen dienen als Werkzeuge, um dem Leben experimentell auf den Grund zu gehen – frei nach dem Prinzip Learning by Doing. »Autobiografie SF« zeigt uns die unausweichlichen Entwicklungen, die (künstlerische, soziale und politische) Erfahrungen dem Subjekt aufsetzen. Vor dem Hintergrund seines enormen Gesamtwerkes sagt es aber auch: Es ist alles nur eine Sache der subjektiven Wahrnehmung. »Tranzscendenteaoq 5.4.3.D = Metodika = Inteligenteaoq« ist die erste Soloausstellung des 1937 in der Slowakei geborenen Konzeptkünstlers auf österreichischem Boden.
Die Arbeiten des 1970 in Jersey geborenen Künstlers Jason Martin wollen in keinerlei Schublade geschoben werden. Da ist beispielsweise die schwimmende Grenze zwischen Malerei und Skulptur: zweidimensionale Fläche trifft dreidimensionale Plastik trifft Relief. Auch stilistisch wehren sie sich gegen eine allzu engstirnige Einordnung und stehen auf einer Schnittstelle, irgendwo zwischen Action Painting, Minimal Art und Expressionismus. Elementare formale Sprache und Einfarbigkeit stehen Hand in Hand mit Bewegung und Dynamik. Bei all der Zweideutigkeit ist aber eines sicher: Martins lichtreflektierende Acryl- und Ölarbeiten der Ausstellung »Elemental« sind in jedem Fall schön anzusehen.
Galerie Emanuel Layr An der Hülben 2, 1010 Wien Bis 17. März
Galerie Thaddeus Ropac Mirabellplatz 2, 5020 Salzburg Bis 24. März
THEATER SALON5: „ZWISCHEN NEUN UND NEUN“ VON LEO PERUTZ
MI. 15.02. 20:00 | ELECTRONIC
/ POP
SOAP&SKIN WITH ENSEMBLE FR. 17.02. 20:00 | KABARETT
LINHART & BAUERNFEIND: WURSCHT UND WICHTIG
DI. 21.02. 20:00 | FOLK-ROCK
GOLDEN KANINE / THE JOHNNY KOMET MI. 22.02. 20:00 | ROCK
NADA SURF / WATERS
SA. 25.02. 20:00 | KABARETT
redaktion Franziska Wildförster Bild Galerie Emanuel Layr, Galerie Thaddeus Ropac
HOSEA RATSCHILLER: DAS GEHÖRT NICHT HIERHER
Wien Charim Galerie Dorotheergasse 12/1, 1010 Wien Bis 3. März: Valie Export
Kärnten Galerie 3 Alter Platz 25, 9020 Klagenfurt Bis 11. Februar: Gernot Fischer-Kondratovi
Galerie Andreas Huber Schleifmühlgasse 6–8, 1040 Wien Bis 10. März: Jessica Warboys, Lorenzo Scotto di Luzio, Beatrice Gibson, Ruairiadh O’Connell. Los Pasos Perdidos
Niederösterreich Galerie Jünger Pfarrgasse 1, 2500 Baden Bis 11. Februar: Rudolph Goessl
Galerie Martin Janda Eschenbachgasse 11, 1010 Wien Bis 25. Februar: Maja Vukoje
Oberösterreich Galerie 422 Margund Lössl An der Traunbrücke 9–11, 4810 Gmunden Bis 18. März: Luisa Kasalicky und Ludwig Gerstacker
Georg Kargl Fine Arts Schleifmühlgasse 5, 1040 Wien Bis 10. März: Marc Dion Knoll Galerie Gumpendorfer Strasse 18, 1060 Wien Bis 17. März: Viktoria Lomasko und Anton Nikolaev Christine König Galerie Schleifmühlgasse 1a, 1040 Wien Bis 10. März: Margherita Spiluttini. Third Room: Love Architecture Galerie Krobath Eschenbachgasse 9, 1010 Wien Bis 29. Februar: Judith Eisler Mario Mauroner Contemporary Art Weihburggasse 26, 1010 Wien Bis 09. März: Madeleine Berkheimer
Salzburg Mario Mauroner Contemporary Art Residenzplatz 1, 5020 Salzburg Bis 9. März: Baltazar Torres Steiermark Galerie Eugen Lendl Bürgergasse 4, 8010 Graz Bis 10. März: Gerlinde Wurth, Peter Janach Tirol Thoman Modern Maria-Theresien-Strasse 34/2, 6020 Innsbruck Bis 24. März: Hermann Nitsch Vorarlberg Galerie Lisi Hämmerle Anton-Schneider-Straße 4a, 6900 Bregenz Ab 25. Februar: Daniel Spoerri
SA. 25.02. 20:00 | POP
FIREFOX AK / GIANTREE / ALLEN ALEXIS MO. 27.02. 20:00 | KABARETT
BUCHGRABER & BRANDL: DENKEN VERBOTEN
DI. 28.02. 20:00 | COUNTRY / SOUL
LAMBCHOP
MI. 29.02. 20:00 | TANZ
TRANSITHEART PRODUCTIONS: THE HYPE / VERONIKA MAYERBÖCK & GISELA ELISA HEREDIA: ONE ROTTEN DAY IN PARADISE
Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstr. 43, A-4020 Linz Info + Tickets: Fon: 0732 / 78 18 00 www.posthof.at
T er m ine
M u si k
eloui & guests 17.02.
Fr | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn VVK: EUR 12,– | AK: EUR 14,–
eloui Gesang, Ukulele, Elektronik & guests Violine, Violoncello u. a. Singer/Songwritertum trifft DIY-Elektronik
Sängerin und Multiinstrumentalistin eloui entwirft ein unverwechselbares, ungewöhnliches Hörer lebnis zwischen Elektronik, Pop, Singer/ Songwritertum und minimalistischer Klangkunst.
Vorschau März
Feist Leslie Feist ist erwachsen geworden. Oder doch nur ihre Musik? Nach vier Jahren Produktionspause und mehreren Reisen meldet sich die Sängerin jedenfalls mit einem Album zurück, das nicht mehr so verspielt und frech klingt wie die letzten beiden, aber durch eine Coolness und Gelassenheit in den Songs derart überzeugt, dass man sich schnell an diesen neuen, erwachsenen Stil gewöhnt. Auf ihrer Website kann man Feist in unzähligen Videos bei der Produktion des Albums »Metals« beobachten. Zurzeit auf internationaler Tour, konzentriert sich die Wahl-Pariserin im März auf den europäischen Raum und wird auch im Wiener Gasometer ein großes Konzert spielen. 10. März. Wien, Gasometer.
Nifty‘s 15.03.
Do | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn VVK: EUR 12,– | AK: EUR 14,–
»Nifty’s«, das ist Klezmer mit Ecken und Kanten, Uptempowahnsinn und Improvisation. Die Wiener Band interpretiert Klezmer als lebendiges, relevantes Genre neu, ist in Jazz- und Undergroundclubs gleichermaßen zuhause wie auf Partys und World-Music-Festivals.
Besuche uns auf facebook! Gewinne 2 Tickets für eloui am 17.02. in der »GARAGE X«. (Gewinnspiel ab 14.02.)
GARAGE X, Petersplatz 1, 1010 Wien
saison
2011|12
klassik jazz world neue musik kinderkonzerte
(01) 505 63 56 www.jeunesse.at
Protestsongcontest Die kritische Musikveranstaltung geht in die nächste Runde. Die vierköpfige Fachjury hatte es dieses Jahr wie immer besonders schwer, aus 250 Einreichungen die 25 vielversprechendsten Teilnehmer auszuwählen. Am 27. Jänner fand die Vorauswahl statt, am 12. Februar treten die verbliebenen zehn Songwriter gegeneinander an und singen für eine bessere Welt und gegen lokale Politiker und internationale Wirtschaftsriesen. Moderiert wird das Finale im Rabenhof-Theater vom Allround-Deutschen Dirk Stermann. 12. Februar. Wien, Rabenhof-Theater.
T er m ine
M u si k
Jack by The Gap & Best of Morisson Bei Partys mit Acts wie Sixtus Preiss, Zanshin oder Drei Farben House musste schon Türstopp ausgerufen werden – kein Platz. Nach dem Wasserschaden wird der Morisson Club Austragungsort einer Compost Black Label Session. Show-B begeistert mit Deep House, Electronica und Detroit Techno. Thomas Herb ist Münchner Legende und teilt sich regelmäßig Decks mit Leuten wie Dixon, Tiefschwarz oder Peter Kruder. 24. Februar. Wien, Morisson Club.
S.C.U.M. Der britische Observer zählte die Londoner zu einer der besten Bands des Jahres 2009. Vier plus ein Hipster, alle an unterschiedlichen Instrumenten. Also eine richtige Band. Ihr Sound erinnert etwas an Placebo, ihre Bühnenshows an die einer Punk-Band. 05. Februar. Salzburg, Rockhaus. 06. Februar. Wien, B72.
Justice Die zwei Dance-Franzosen von Justice sind gerade auf Welt-Tournee. Glücklicherweise machen sie auch einen Stop im Wiener Gasometer, damit auch heimische Fans zu ihrem knallharten Stadion-Effekt-Elektro abraven können. 23. Februar. Wien, Gasometer.
Soap & Skin Anfang Februar erscheint das neue Album »Narrow« von Soap & Skin (Artikel in diesem Heft). In diesem Rahmen spielt sie auch ein paar ihrer eher raren Konzerte. 10. Februar. Wien, Arena. 15. Februar. Linz, Posthof. 16. Februar. Graz, Orpheum.
Hype!
Lambchop
Einar Stray
Der neue Dienstag im Fluc will schwerpunktmäßig junge Musik aus Österreich fördern. Es wird gitarrenlastig sein. 31. Jänner. Wien, Fluc. Live: Green Invisible Rabbits 07. Februar. Wien, Fluc. Live: The Carls 14. Februar. Wien, Fluc. Live: Vaseva
Es passt wohl wenig besser zusammen als Lammkoteletts und amerikanische Alternative-Country-Musik. Das Kollektiv um Kurt Wagner mit seiner rauchigen Stimme ist bekannt für die minimalistische Instrumentalisierung ihrer sanften, kunstvollen Songs. 27. Februar. Wien, Konzerthaus. 28. Februar. Linz, Posthof.
Seine Songs breiten sich über Minuten aus, Instrumente beherrscht er auch recht viele. Schöner, träumerischer, immer wieder auch hoffnungsvoller Folk-Pop aus Norwegen. 24. Februar. Wien, Haus der Musik.
T er m ine
F estiva l s
3 Fragen an Barbara Pichler (Festivalleitung Diagonale) Hatte die Diagonale durch den Boom des österreichischen Films mehr Zulauf – auch international? Die Diagonale hat sich seit ihrer Übersiedlung nach Graz beim Publikum und in der Branche als Treffpunkt etabliert. Und wir sind stolz darauf, dass wir Besucherzahlen klar steigern konnten. Durch Vernetzung konnten wir in den letzten Jahren nicht nur mehr internationale Presse, sondern auch vermehrt Kuratoren und Filmschaffende, v.a. Produktion, auf der Diagonale begrüßen. Kam der Rückzug des Festival-Sponsors A1 überraschend? Nach elf Jahren sehr guter Zusammenarbeit mit A1 haben wir trotz der wirtschaftlich turbulenten Zeiten nicht mit einem völligen Ausstieg gerechnet. Natürlich hatten wir die Hoffnung, dass es eine eingeschränkte Fortführung der Partnerschaft geben könnte, aber da die Entscheidung aufgrund einer Neuorientierung bei A1 fiel, gab es keine Möglichkeit. Im Budget hinterlässt der Ausfall eine ziemliche Lücke und zeigt, wie instabil unsere Finanzierungssituation ist. Wir waren gezwungen, auf einige geplante Programmteile und Sonderprogramme zu verzichten. Da A1 allerdings keine Preise stiftet, sind heuer zumindest die Auszeichnungen für die Filmschaffenden sichergestellt.
22. bis 27. März. Graz, diverse Locations. www.diagonale.at
Wutbürger sind in. Zwei hervorragende Exemplare bekommt man im neuen Programm von Buchgrabner und Brandl mit Namen »Denken verboten« präsentiert.
Heimspiel 2012 Das große Plus bei einem Heimspiel ist ja ganz klar der Heimvorteil. Den will auch Linz dieses Jahr wieder nutzen. Denn die Stadt hat durchaus Einiges zu bieten; nicht nur aus sportlicher Sicht, sondern vor allem auch im Kulturbereich. Und genau deshalb richtet der Posthof Linz auch dieses Jahr wieder das Heimspiel aus. Vom 27. Jänner bis 24. März gibt es an insgesamt 14 Abenden ein abwechslungsreiches Programm. Von Musik über Tanz und Theater bis hin zu Literatur und Kleinkunst gibt es alles, was das Herz begehrt. Ein paar besondere Highlights werden neben den vielen Themennächten zu sämtlichen Musikgenres wohl auf jeden Fall auch das Konzert von Sofa Surfer Wolfgang Frisch oder auch das Kabarett-Duo Buchgraber & Brandl werden. Beim Austrian Newcomer Award wird aber auch dem Nachwuchs eine Chance gegeben und neue Musik von lokalen Bands präsentiert. Und genau das ist eines der Hauptziele des Festivals: Die junge Kreativszene in Österreich soll gefördert werden. Und dass Linz ohne Probleme in der oberen (Kultur-)Liga mitspielen kann, wird das Heimspiel 2012 bestimmt auch nicht zum letzten Mal beweisen. 27. Jänner bis 24. März. Linz, Posthof.
Bild Diagonale, Posthof, Andreas Pohlmann
Vor welchen Herausforderungen steht der österreichische Film durch den Rückzug großer Sponsoren? Die Situation ist im Moment für alle hart, weil eine längerfristige Planung schwierig bis unmöglich wird. Für die Diagonale gilt: Sponsoren sind ein zentraler, aber auch ein instabiler Teil der Festivalfinanzierung. Eine sichere Arbeitsbasis kann nur durch öffentliche Förderungen sichergestellt werden. Sollten die Budgets weiterhin sinken, stellt sich die Frage, wie man in Zukunft das österreichische Filmschaffen möglichst breit repräsentieren kann. Es erscheint mehr als paradox, dass wir uns diese Frage zu einem Zeitpunkt stellen müssen, an dem nicht nur der österreichische Film, sondern auch die Diagonale so erfolgreich sind.
T er m ine
F estiva l s Im MQ wird im Frühjahr dem Komponisten John Cage gehuldigt. Soviele Besucher hatte die Documenta 2007 in Kassel. Damit gilt sie als die wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst. 1955 fand sie zum ersten Mal, 2012 findet sie zum 13. Mal statt.
Membra Disjecta For John Cage Zum 100. Geburtstag von Komponist John Cage findet im Museumsquartier eine internationale Gruppenausstellung statt. Über 50 Künstler sind an dem Projekt beteiligt und wollen damit einem der wichtigsten Musiker des 20. Jahrhunderts gedenken. Cage schlug musikalisch vollkommen neue Wege ein und experimentierte mit klassischen Stücken. Damit ebnete er den Weg für Happening- und Fluxusbewegungen. Cage war außerdem dafür bekannt, multimedial und mit Versatzstücken aus verschiedenen Quellen zu arbeiten. Genau diese Vielfältigkeit soll sich auch in der Ausstellung mit Konzerten widerspiegeln – egal ob mit Druck, Malerei, Soundinstallationen oder Workshops. 17. Februar bis 06. Mai. Wien. Wien, Museumsquartier.
Kurz angerissen: Internat. Akkordeon Festival Über 45.000 Zuschauer hat es letztes Jahr aufs SXSW nach Texas verschlagen.
Bereits zum 13. Mal wird heuer in Wien das Internationale Akkordeonfestival ausgerichtet. Einen Monat lang hat man hier die Möglichkeit, neue Facetten des doch nicht allzu verbreiteten Musikinstruments zu entdecken. 25. Februar bis 25. März. Wien, diverse Locations.
Diagonale
Die Diagonale in Graz hat sich mittlerweile einen Namen unter den Filmfestivals gemacht. Für das diesjährige Festival wurden über 500 Filme eingereicht. Damit ist man mit Abstand das wichtigste Festival für österreichischen Film. 20. bis 25. März. Graz, diverse Kinos.
Breaking Ground
South By Southwest Eine interessante Mischung, die man nicht auf jedem Festival sieht, bietet einmal im Jahr das South By Southwest, kurz: SXSW. Neben einem Haufen guter Musik und einer anschaulichen Auswahl an Independent-Filmen ist man besonders stolz auf den interaktiven Charakter des Festivals. Der Showcase-Charakter gibt besonders jungen und unbekannten Bands die Möglichkeit, vor einem großen Publikum zu spielen. Die gezeigten Filmproduktionen sind immer von Independent-Filmemachern. Und Podiumsdiskussionen veranlassen auch das Publikum zu aktiver Teilnahme. 2012 lockt das Festival aber auch mit ein paar bekannteren Namen: So sind unter anderem The Ting Tings, Metric und The Big Pink beim diesjährigen Line-up dabei. 09. bis 18. März. Austin, Texas.
Das Breaking Ground Festival ist als eine Hommage an den Avantgardefilm zu verstehen. Ganze zehn Filmprogramme werden in Städten rund um den Erdball gezeigt. Los geht’s in Wien mit dem stattlichen Mix aus Klassikern und Neuerscheinungen. 21. Februar bis 17. März. Wien, Filmhauskino.
Szene Bunte Wähne
Das generationsübergreifende Tanzfestival findet 2012 zum mittlerweile 15. Mal statt. Insgesamt gibt es während der Festivalwoche 13 Produktionen, die mit ihrem generationsübergreifenden Anspruch überzeugen wollen. 23. Februar bis 02. März. Wien, diverse Theater.
Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.
In der Nachvollzugsanstalt
illustration Jakob Kirchmayr
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s gibt einige Dinge, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. Zum Beispiel weiß ich nicht, wie ich es geschafft habe, innert nicht einmal eines ganzen Jahres stolzer Besitzer von drei Pyjamas zu werden. Es ist mir ein Rätsel. Ebenso wie der Umstand, dass ich ein kleines Heimplanetarium mein Eigen nenne. Warum ich derart unbedeutend Persönliches erzähle? Nun, ich habe über die Jahre gelernt, dass man dann und wann mal was von sich Preis geben muss. Um zum Beispiel im Gegenzug von anderen etwas zu erfahren. Oder eine Konversation am Laufen zu halten. Oder auch eine Kolumne in Schwung zu bringen. Mit der en passant eingestreuten Bemerkung, Pyjamas zu besitzen, geht das recht elegant. Es ist privat, verrät ein wenig über Schlafgewohnheiten, zumindest suggeriert es, dass ich nicht ständig spärlich bekleidet unter die Tuchent krabble, es ist von einer erschütternden Alltäglichkeit und zudem auch noch irgendwie uncool. Das weckt Interesse und ist ein schöner Ausgangspunkt, von dem man einen Text in verschiedene Richtungen schicken kann. Zum Beispiel habe ich schon lange keine Liebeserklärung ans Flanell mehr gelesen. Wobei, eigentlich habe ich überhaupt noch nie eine Liebeserklärung ans Flanell gelesen. Aus irgendeinem Grund wird den gewalkten Fasern nicht gehuldigt. Schade, denn abseits von spießigen Pyjamas sorgte dieser weiche, flauschige Stoff dafür, dass der Karomusterwahnsinn, der vor allem bei Freizeithemden in den letzten Jahren wie wild um sich griff, einigermaßen erträglich wurde. Bei mir zumindest. Das hängt auch mit einer meiner Phantasien zusammen, bei der übergroße Holzfällerhemden mit nichts drunter getragen werden. Das ist – ich gebe es gerne zu – eine sehr klischeebeladene, harmlose kleine Vorstellung, die aber dann doch mit ungeheurer Wucht rurale Stellen meines Herzens zu rühren vermag. Buhh! Es war höchste Zeit, das mal los zu werden. Eine Liebeserklärung ans Flanell kommt dann ein anderes Mal.
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»Ha, jetzt muss ich auch was los werden«, denken sich übrigens wohl nicht wenige, wenn sie die Banalität erzählt bekommen, dass ich Eigentümer von drei Pyjamas bin. Davon zu erzählen führt übrigens in eine völlig andere, eine völlig neue Richtung. K. kann kein Klopapier kaufen. Tampons auch nicht. Sie schämt sich. Ihr Freund, den sie immer »der Meinige« oder »meine bessere Hälfte« nennt, wenn die Sprache auf ihn kommt und er nicht dabei ist, erledigt das für sie. Das macht K. froh, denn als Single hatte sie einen überdurchschnittlichen Taschentuch- und Küchenrollenverbrauch, der ihr auch unangenehm war. Sie hält sich deswegen für ein bisschen crazy und ist sehr stolz auf diesen kleinen Spleen, der ihr einige Individualitätspunkte auf der Egoskala bringt. Sie ist aber leider nicht allein. Ich kenn nämlich noch fünf andere Menschen, die mit fast demselben Problem hadern, wenn es daran geht, Toiletteartikel zu besorgen. Ich kann das übrigens nicht nachvollziehen. Verständlicher ist mir hingegen Stephen Hawking. Der zähe Astrophysiker, der mit seinen wachen Augen einen Sprachcomputer steuern kann, erklärte anlässlich seines 70. Geburtstags, dass Frauen für ihn ein absolutes Rätsel seien und er regelmäßig daran scheitert, sie zu verstehen. So ein koketter Hund, ballert da einfach eine unerwartet sozial erwünschte Antwort raus, die sich gewaschen hat. Als er dann auch noch sagte, er verbringe die meiste Zeit damit, nur über Frauen nachzudenken, freute mich das unsäglich. Das tu ich auch. Ich bin ein bisschen Hawking. Und Hawking ist ein bisschen ich. Zumindest besteht die Möglichkeit, dass vielleicht auch der
geistesgigantische Populärwissenschafter nur ein kleiner, nerdiger Geilspecht ist, der schmutzig in sich hineinzwinkert, wenn er über Schwarze Löcher sinniert. Um ihm nahe zu sein, wagte ich unlängst gar ein Experiment. Ich schlüpfte in meinen Pyjama, warf mein Heimplanetarium an, das sogleich einen wunderschönen Sternenhimmel an den Zimmerplafond projizierte und ließ mich dann an meinen Bürostuhl fesseln. (Wegen der Rollen.) Festgezurrt verharrte ich so einige Stündchen und dachte über Frauen nach. Was soll ich sagen – viel Erkenntnis kam nicht dabei raus. Neben vorwiegend nicht Nachvollziehbarem waren auch ziemlich viele Fragen dabei, deren Wiedergabe jetzt wieder in eine völlig neue Richtung führt und Hawking sicher nicht in den Sinn kamen. Wieso lassen sich manche Männer einen Vollbart wachsen und rasieren dann die Haare unterm Kinn und am Hals? Wissen diese dummen Indie-Pimperl nicht, dass sie mit derart getrimmten Gesichtsfotzen das archaische Prinzip des Barts unterlaufen? Darf man Gesichtsfotze überhaupt sagen, oder ist das streng genommen schon ein Pleonasmus? Fotze heißt ja (zumindest im bairischen Dialekt) mitunter auch Gesicht. Also hätten die Bärtigen ein Gesichtsgesicht? Nein, nein, das darf man nicht sagen, das ist sprachlich nicht souverän. Aber Facebook könnte man Fotznbuch nennen, wenn man wollte. Und überhaupt, wenn man lustig ist und Muse hat, könnte man dieses Wörtchen mit der germanischen Runenreihe, dem »Futhark«, darstellen. Das wäre doch mal eine pennäler-humoristische Feinsinnigkeit. Yoga oder Kieser-Training? Und falls Yoga, darf man das im Pyjama ausüben, das Beinkleid kommt ja aus Indien? Und welchen von den drei Pyjamas sollte ich dann nehmen? Mein Gott Hawking.
Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly
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