Armin Wolf — Im Zentrum von Twitter, Politik und Medien besetzTE HÄUSER / Iron Sky / PAROV STELAR 125 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 125, APRIL 2012
Crossing Europe. Jonathan Meese. Ein Designmuseum für alle. Kindness. Atari Teenage Riot. Mass Effect 3. Julia Holter. Schlachthof Bronx. Mohn. Im Wortwechsel: Wer pflegt den österreichischen Popnachlass?
Leitartikel von Thomas Weber.
Potenzieller Pirat Dass ich das einmal sagen würde: Österreichs Politiker können sich ein Beispiel an Stefan Petzner nehmen. Zumindest auf Twitter.
as weiß der Durchschnittsmensch über Stefan Petzner? Eher wenig vermutlich. Als ehemaliger Intimus einer im Suff verglühten Lichtgestalt namens Jörg Haider erinnert man sich seiner vielleicht noch: als den von künstlicher Höhensonne beeinträchtigten »Lebensmenschen« eben jenes Alkolenkers. Neben einem Faible für die Schlagertexte von Udo Jürgens ließe sich dann vielleicht noch ein Delfin-Tattoo vergegenwärtigen, das zu präsentieren der Typ mal spontan aus dem T-Shirt schlüpfte. Das wär’s dann wahrscheinlich aber auch schon. Doch plötzlich sieht alles danach aus, als hätte sich der gebürtige Steirer als Politiker gewissermaßen selbst überlebt, als würde er an so etwas wie einem Comeback basteln. Zwar steht nicht fest, wohin Petzner solch ein Comeback führen könnte. Wer braucht schon das BZÖ? Wem wird diese Partei dereinst abgehen? Doch Petzner ist es in den vergangenen Monaten gelungen, sich als originelle Erscheinung zu positionieren. Gemessen an sich selbst agiert er verhältnismäßig seriös. Diesen Eindruck verdankt er vor allem seiner Präsenz auf Twitter (twitter.com/ stefan_petzner). Abseits der klassischen Massenmedien hat er dort seine zweite Chance eingefordert. Mal lautstark, mal rüpelhaft kommuniziert er über den Kurznachrichtendienst nicht nur mit möglichen Wählern, sondern mischt er sich auch in politische Debatten ein. Mag Twitter in Österreich auch ein »ElitenPhänomen« (Armin Wolf) sein: Petzners ständig signalisiertes Sendebewusstsein
bedeutungslosen Partei wie dem BZÖ, die tendenziell um Wahrnehmung rittern muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden, deutlich einfacher sein, herauszustechen. Im Gegensatz zu den »Altparteien«, in welchen jedes Thema von einer Person besetzt wird, pinkelt man dort nicht mit jedem Statement einem Parteifreund oder einer Genossin ins Revier. Dennoch: Stefan Petzner steht stellvertretend dafür, dass jeder an politischen Prozessen teilhaben kann. Wenn er oder sie nur ernsthaft, hartnäckig und nachdrücklich dahinter ist. Diese Erkenntnis macht die Politik nicht nur für Quereinsteiger interessanter, sondern es auch leichter für neue Parteien und Fahnenflüchtige. Nach Repräsentanten der Regierungsparteien, die mehr zu sagen haben als denn üblichen PR-Schwampf, wird man auf Twitter bislang eher vergeblich suchen. Auffällig ist auch, das belegt unsere diesmalige Coverstory (ab Seite 20 ff), dass sich in Österreich auch die wirtschaftsliberale Piratenpartei nicht wirklich in Diskussionen einmischt – geschweige denn eigene anzettelt. Die wäre dann, wenn das BZÖ untergegangen ist, vielleicht auch ein rettendes Schiff für Stefan Petzner. Petzner könnte Pirat werden. Gegerbte Haut und ein Delfin-Peckerl hat er ja schon. Bild michael winkelmann
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und das offensichtliche Reibebedürfnis, das es als Oppositionspolitiker braucht, blieb der auf Twitter höchst aktiven Journalistenzunft nicht verborgen. Da er als Nationalratsabgeordneter im Korruptions-U-Ausschuss nicht nur Fragen stellt, sondern seine Sicht der Dinge auch ungefiltert twittert, muss er darob gar nicht erst gefragt werden – sondern kann sich und diese der Welt mitteilen. Die Wahrscheinlichkeit, damit Retweets zu landen und auch in den Old-School-Medien Erwähnung zu finden, ist ungleich größer. Weshalb man nicht nur als DurchschnittsTwitterant, sondern auch als Konsument althergebrachter Medien heute über Stefan Petzner auch wissen kann, dass er Vladimir Putin für einen Glücksfall für das russische Volk hält. Und ungeachtet solch zweifelhafter Aussagen und allerlei dubioser Wortmeldungen nimmt man Stefan Petzner heute zumindest ab, dass er sich für Politik und politische Zusammenhänge interessiert. Und auch eine gewisse Professionalität wird man ihm nicht absprechen können. Das war nicht immer so – und das gilt auch nicht für alle seiner Mitbewerber im politischen Spiel. Nun mag Petzner zwar nerven, gerade auf Twitter, wo man ihm als am politischen Diskurs teilnehmender Beobachter kaum auskommt. Doch genau das ist, könnte man einwenden, schließlich seine Aufgabe als Oppositionspolitiker. Genau deshalb könnten sich Politiker aus allen weltanschaulichen Ecken ein Beispiel am Twitteranten Petzner nehmen, sich einmischen und in Austausch mit ihren Wählern, Kritikern, Gegnern treten. Denn selbst Grüne – auf Twitter überdurchschnittlich oft zu finden – bewegen sich dort viel zu oft im Dunstkreis der eigenen Klientel. Nun mag es aus einer
Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber
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Twitterpolitik Austria Kann man sich als normaler Bürger in politische Debatten einmischen? Antwortet Armin Wolf über haupt noch auf irgendwelche Tweets? Beeinflusst Twitter die Berichterstattung klassischer Medien? Ist Twitter in Österreich ein Eliten-Netzwerk? Eine Studie hat mehr als 161.000 Tweets ausgewertet und Antworten gefunden. Wir haben mit Armin Wolf gesprochen, Michael Winkelmann hat ihn für uns fotografiert.
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Magazin Armin Wolf 018 —— Wenn er twittert, lesen 15.000 Österrei cher mit, vereinfacht gesagt. Armin Wolf geht damit selbstbe wusst und bescheiden um. Wir haben ihn ausführlich interviewt. Twitterpolitik-Studie 023 —— Ein halbes Jahr wurde der Kreis der politischen Twitterer Österreichs observiert. Wir prä sentieren die zentralen Ergebnisse. Twitterpolitik: Die Typologie 024 —— Normalos, Jour nalisten, Aktivisten, Politiker und Experten sind die Haupt bewohner von Twitter Austria. Fünf Exemplare im Porträt. Golden Frame: Jonathan Meese 026—— Geil soll Kunst sein, hart und klar. In seiner Diktatur der Kunst sollen alle nur das Geilste bekommen. Kunst ist geil. Geil, oder? Parov Stelar 028—— Er ist derzeit so erfolgreich wie kein anderer Musiker aus Österreich. Wir haben Marcus Füreder zu seinem jüngsten Doppelalbum interviewt. Kindness 030 —— Mit Glänzehaar in die Disco zum selbstver lorenen Tänzchen. Kindness haben ein hervorragendes Debüt voll sedierter Euphorie aufgenommen. Atari Teenage Riot 032 —— Alec Empire hat Geld von einem Sony-Spot an Anonymous gespendet. Auch sonst ist er kurz vor der Tour voll offensivem Tatendrang.
Die NDU ist eine Studieninitiative der Wirtschaftskammer NÖ und ihrem WIFI.
Crossing Europe 034 —— »AniDocs«, also animierte Doku mentarfilme, sind einer der Genreschwerpunkte des heurigen Crossing Europe Filmfestival in Linz. Iron Sky 036 —— Nazis From Space. Götterdämmerung. Rechtsradikale Flugscheiben. Ein leicht überhypter Spaß. Mass Effect 3 037 —— Das Spiele-Highlight der Saison überzeugt mit Zugänglichkeit und einem selten gelungenen Spielgefühl, das die Größe der Aufgabe – die Rettung des Uni versums – gut vermittelt. The Binding Of Isaac 038 —— Ed McMillen, der Posterboy der Indie-Game-Szene, liefert ein weiteres Spiel voller Wahn witz, in dem es gilt, als Isaac einer religiös verwirrten Mutter zu entkommen. Wien Museum: Hausbesetzungen 040 —— Ohne Schlachthof-Besetzung und Amerlinghaus wäre Wien heute eine andere Stadt. Was bleibt von besetzten Räumen und autonomen Zonen? Eine Reise in eine Zeit, als die Stadt noch keine Immobilie war. Das universelle Designmuseum 044 —— In Deutschland wird derzeit über ein zentrales, universelles, alles umfassendes Designmuseum diskutiert. Seltsam genug. In Österreich passiert das aber erst gar nicht.
Iron Sky Selten war die Vorfreude so groß. Nazis aus dem Weltraum! Mit ein paar wenigen Teasern und Artworks brachten die Macher von »Iron Sky« den Internet-Hype-Kochtopf immer mehr zum Sieden, Crowdfunding inklusive. Am Ende gibt es den großen Showdown mit dem personifizierten Bösen, doch so ganz zün det die Götterdämmerung nicht, findet Lena Nitsch.
036 Rubriken Leitartikel Inhalt Editorial Porträts / Impressum Fondue Fabula Rasa Unbezahlter Anzeiger Splitter Wortwechsel: Wer pflegt den österreichischen Popnachlass? Workstation: Andreas Jakwerth Lookk: Down Under Prosa: Barbara Zeman – Wasser marsch! Reviews Introducing: Thomas Stipsits Termine
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Bild der Ausgabe Diese Tröte holt übernachtige Kollegen immer wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Zum Glück. Denn jedes Mal, wenn im Büro Stadionatmosphäre verbreitet wird, wissen wir: Irgendwer aus dem Sales-Team hat wieder einmal ordentlich Geld ins Haus geholt. Zu Mittag hört man dann auch mal höchst eigenwillige Dialoge: »Was ist denn los? Warum sind alle so gut drauf? War gestern irgendwas Besonderes?« – »Druckunterlagenschluss.«
Kolumnen Zahlen, bitte Know-Nothing-Gesellschaft
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New Design University · Mariazeller Straße 97 · 3100 St. Pölten · office@ndu.ac.at · www.ndu.ac.at
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Social Media Overkill — Nicht jeder braucht Social Media. Lobbyisten und Waffenlieferanten am allerwenigsten, ein Hersteller von Türklinken oder ein Auto-Zulieferant wohl auch nicht. Und auch für manchen Social Media-Experten, Schnapsbrenner, Brötchenbäcker oder Blogger haben sich die Hoffnungen auf mehr Sendebewusstsein nicht erfüllt. Weil das eben nicht so nebenbei geht und es neben Persönlichkeit auch Witz, Fokus und Hartnäckigkeit braucht. Armin Wolf twittert mindestens eine Stunde pro Tag. Und dennoch hat er eine eher zurückhaltende Einstellung dazu, wie mächtig und tonangebend er im politischen Diskurs Österreichs damit sein kann (S. 18). Noch so ein Kaliber im sozialen Netz hat wieder etwas zu sagen: Parov Stelar (S. 28). Aber Achtung, selbst mit etwas Fame und Know-how im Rücken ist noch nicht gesagt, dass das Geld deshalb sprudelt. Fans kann man sich kaufen, Engagement nicht. Und da war noch etwas: Manuel Fronhofer kommt vom mittlerweile eingestellten Schwestermagazin TBA wieder zurück zu The Gap (das er vor 15 Jahren mitgestartet hat). Das freut uns sehr, weil wir jetzt das geballte Musikwissen beider Magazine bündeln können. Die Urmutter von The Gap, Musikjournalismus, bekommt damit noch mehr Aufmerksamkeit – Online, im Print und in den Ohrmuscheln. Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap
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Manuel Fronhofer
Franziska Wildförster
Newcomer des Jahres — Als ich Manuel Fronhofer auf diesen Seiten das erste Mal vor stellte – das war gegen Ende 2001 –, da glaubte der Gute noch allen Ernstes daran, sein »auf Eis gelegtes« WU-Studium irgendwann abzuschließen. Das ist heute – das glaube jetzt ich – nicht mehr der Fall. Ansonsten hat sich Manuel seit damals vermutlich weit weniger verändert als dieses Magazin. Was wohl daran liegt, dass er sich zwischenzeitlich von uns verabschiedete, um die Musikzeitung TBA (R.I.P.) mitzubegründen. Und ganz sicher daran, dass er The Gap, das er 1997 als 21-Jähriger mit ein paar Gleichgesinnten (also: musiknarrischen Studienkollegen) gründete, in den ersten Jahren geprägt hat wie kein anderer. Ohne Manuel gäbe es The Gap nicht. Und ohne ihn musste es zwangsläufig anders aussehen. Nun hat Manuel heimgefunden. Für mich persönlich ist das – scheiß auf Madonna – das Comeback des Jahres. Gemeinsam mit Chefredakteur Stefan Niederwieser wird er sich dem Musikressort widmen. Die, die ihn kennen, wissen, was das bedeutet. Und alle anderen werden ihn kennenlernen.
Art Optimistin — Franziska, 24, gehört offenbar zu den paar Menschen, die nur ganz, ganz selten ein Haar in der Suppe finden. Wenn man sie sich selbst beschreiben lässt, bekommt man es mit einer Sintflut an Optimismus zu tun: will etwas Sinnvolles mit Kunst machen, liebt Kaffeehäuser, Berggipfel, statt flatterhaft ist sie facettenreich, statt chaotisch profitiert sie von glücklichen Zufällen. Selbst in Flugzeugen der Lufthansa fühlt sie sich irgendwie daheim, könnte aber auch damit zusammenhängen, dass sie ihre Mutter (Flugbegleiterin) einfach mitgenommen hat, wenn kein Babysitter zur Hand war. Nur bei Wien huscht der Oberbayrin ein kleines »Hassliebe« über die Lippen – wobei, es war bisher ja auch die beste Zeit ihres Lebens. Publizistik und Kunstgeschichte und seit Anfang des Jahres gestaltet sie die Galerienseite und gelegentliche Features über Kunst. Praktika in Galerien hat sie obendrein gesammelt. Und, wie sagt man, eine unbändige Liebe und Idealismus für die Kunst.
TEXT Stefan Niederwieser BILD Sylvie Weber
TEXT thomas Weber BILD Manuel Fronhofer
Impressum
HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Ranya Abd El Shafy, Katharina Abpurg, Niko Acherer, Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Lisa Gotthard, Manfred Gram, Dominique Gromes, Benedikt Guschlbauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Lukas Hoffmann, Peter Hoffmann, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Enrico R. Lackner, Artemis Linhart, Ali Mahlodji, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karolina Podolecka, Christian Prenger, Teresa Reiter, Werner Reiter, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Bernhard Schmidt, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Cornelia Stastny, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Raphaela Valentini, Jonas Vogt, Ursula Winterauer, Imre Withalm, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Moritz Gaudlitz, Anna Hoffer, Tabea Schnell, Patricia Ziegler termine Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Michael Winkelmann WORKSTATION-FOTOstrecke Andreas Jakwerth ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Monopol Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Bernhard Schmidt PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— erscheinungsweise 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
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Ob dort wohl Weibsvolk anwesend ist?
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Wenn die Toppings so gut sind, dass man sie gegen den Laden spuckt, helfen nur noch Geldstrafen. Von der DDR lernen heißt siegen lernen.
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Fabula Rasa Die Kolumne von Georg Cracked. Neue Standards in Sachen vertretbarem Kulturpessimismus.
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Jung ist man, solange man am Leben dran ist, um etwas zum Besseren zu wenden. Erst, wenn es nur noch darum geht, den Status quo zu erhalten oder gar gegen den Verfall zu kämpfen, ist man alt. Das ist aber eine Einstellungssache; sprich: Man ist zwar nicht so alt, wie man sich fühlt, denn so manches Sich-Junggeben ist auch nur ein Verweigern oder eine Kampf-Taktik gegen den Stillstand und den Verfall (negieren gilt also nicht), aber man ist so alt oder jung, als man seine Einstellung zum Leben aufrecht hält. Solange man den aufwärts und nach vorne strebenden Weg geht, bleibt man in dieser Definition jung. Sobald man merkt, dass man nur noch gegen das Zurück-Geworfen-Werden andrängt, sollte man sich eingestehen, dass man im zweiten Kapitel angekommen ist. Das Wort von der zweiten Lebenshälfte ist irreführend, insofern manche in frühen Lebensjahren bereits zum Stillstand kommen, während andere bis zum Tod niemals einen anderen Pfad als den nach oben-vorne kennen. Wohlgemerkt: mit oben-vorne ist keineswegs die Karriere zum Vorstandsvorsitzenden (wer sitzt, bewegt sich nicht) oder Multimillionär (wer so schwer trägt, kann sich kaum bewegen) gemeint. Bedeutend ist ausschließlich der Drang, sich und sein Leben weiterzuentwickeln, neue Erfahrungen zu machen und größer im Sinne Whitmanns zu werden. Oder zumindest aufrecht zu stehen. Man kann sich nämlich nicht nach oben (in diesem Sinne oben) bücken. Was man nicht vergessen darf – und was ich den beiden Frauen, die sich neben mir im Flieger darüber unterhalten haben, dass Karl-Heinz Grasser einer unmenschlichen Vorverurteilung ausgesetzt ist und dass er bis dato noch wegen nichts vor Gericht verurteilt wurde (und alles nur – ich schwöre, es war so! – weil er gut aussieht, bereits jung erfolgreich war und eine tolle Frau hat), auch sagen wollte – ist, dass es nämlich auch eine moralische Komponente gibt. Und wer da versagt, tut das für gründlich. Auch wenn es zwischen Sozialschmarotzer-Unterschicht, ultrakonservativer Wir-sind-Wir-Mittelschicht (inklusive Bobo-Grünwähler) und Ich-kann-tun-was-ich-will-Oberschicht keinen interessiert. Und hintergründig rauscht das Meer unablässig und was immer wir Menschen uns so ausdenken, damit es uns von Zeit zu Zeit beschäftigt hält, ist ihm im Grunde total wurscht.
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Beer Koozie Mittens Jeder, der im Winter gerne mal in der Arktis oder im Waldviertel unterwegs ist, kennt das Problem: Man will auch an der frischen Luft Bier saufen, ohne dass einem dabei ständig Flaschen durch die Fäustlinge rutschen oder man Finger an Väterchen Frost verliert. Was tun? Nüchtern bleiben? Brite werden? Keine Angst, dank den praktischen »Beer Koozie Mittens« von SKÜÜZI muss niemand mehr zu solchen drastischen Maßnahmen greifen. Die Handschuhe halten die Griffel warm (gut), das Bier kalt (gut), sind aus Merion-Wolle (wurscht) und unten geschlossen. Yeah! www.skuuzi.com
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Andreas Rummelhardt (Türsteher / Security, Morisson Club)
TOP 10
KULINARISCHE KÖSTLICHKEITEN AUS ÖSTERREICH
01 Schnitzel 02 Schweinsbraten 03 Faschierte Laibchen 04 Krautroulade 05 Reisfleisch 06 Kaiserschmarrn 07 Marillenknödel 08 Grießschmarren 09 Eispalatschinken 10 Topfenpalatschinken
TOP 5
DRINKS IM CLUB
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Eristoff Ice Bacardi Breezer Bacardi Lemon Jägermeister Rossbacher
twenty.twenty: Daten-Journalismus
auch nicht schlecht:
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Am 20. März 2012 eröffnete ein neuer Jahreszyklus von twenty.twenty mit dem Thema »Datenjouralismus: Geschichten aus dem Datenwald«.
Karo Podolecka (Monopol Medien, Super-Fi)
TOP 10
01 Vicky Cristina Barcelona (Barcelona) 02 Lost In Translation (Tokyo) 03 Hachiko (Tokyo) 04 Der Dritte Mann (Wien) 05 Die fabelhafte Welt der Amelie (Paris) 06 Frühstück bei Tiffany (New York) 07 Notting Hill (London) 08 Prinzessinnenbad (Berlin) 09 Der talentierte Mr. Ripley (Rom) 10 Chicago (Chicago)
TOP 5
KÄSESORTEN
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Cheddar (UK) Parmesan (Italien) Bregenzerwälder Bergkäse (Vorarlberg) Queijo Minas (Brasilien) Oscypki (Polen)!
auch nicht schlecht: Käsefondue
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TEXT Martin Mühl BILD Florian Auer
FILME IN DENEN STÄDTE, DIE ICH BESUCHT HABE, DIE HAUPTROLLE SPIELEN
Lorenz Matzat, der mit seinem Unternehmen Open Data City einige der meistbeachteten Datenjournalismus-Projekte in Deutschland realisiert hat, hielt die Keynote der ersten twenty.twenty-Veranstaltung im Jahr 2012. Er zeigte Beispiele seines eigenen Unternehmens (zugmonitor.sueddeutsche.de) und internationaler Medien wie The Guardian, die verständlich machten, was Datenjournalismus leisten kann. Die als aufwendig geltende Methode, die es ermöglicht, aus Daten-Scans neue Recherche quellen zu erschließen, bringt bereits heute einigen Medien zusätzliche Leser und User. Und mittlerweile gibt es auch Software-Tools, mit denen sich Anwendungen und Visualisierungen mit verhältnismäßig geringem Aufwand erstellen lassen. Günter Hack, Kommunikationswissenschaftler und Journalist, erzählte vom redaktionsinternen Alltag und der Scheu heimischer Medienunternehmen, den Aufwand und die Ressourcen für Datenjournalismus aufzubringen. Außerdem beschrieb er die Asymmetrie, dass Regierungen und Unternehmen deutlich mehr Daten über die Menschen haben als umgekehrt und das andauernde Kräftemessen zwischen Technologie (program code) und Gesetzgebung (legal code), in dem letztere ersterer hinterherläuft. Daniela Kraus, Geschäftsführerin des Forums für Journalismus und Medien, verwies auf die lange Geschichte des Datenjournalismus, der schon 1967 bei der Berichterstattung über Rassenunruhen in Detroit durch computergestützte Auswertungen zu neuen Erkenntnissen führte. Sie plädierte für die Miteinbeziehung sozialwissenschaftlicher Grundsätze in den Datenjournalismus. Aus der österreichischen Praxis berichtete Andreas Koller, Mitbegründer und Creative Director des Wiener Designstudios Strukt, sprach sich für eine Zusammenarbeit verschiedener Bereiche wie Programmierung, Design oder auch Statistik aus. Einig waren sich die Podiumsteilnehmer, dass es in Österreich vielerorts konservative Strukturen gibt, die sich vor Neuem scheuen und dass deswegen einzelne Beispiele und Initiativen derzeit vielfach aus dem privaten Bereich kommen. Bis zum Jahr 2020 wird sich in dieser Hinsicht ohne Zweifel manches geändert haben. Im Mai findet die zweitägige Konferenz der Smartweb.Vienna statt, die sich unter anderem auch des Themas annehmen wird. twenty.twenty ist ein Kooperation von A1, SmartWeb.Vienna und The Gap. Die Blog parade und News sind auf www.twentytwenty.at nachzulesen.
Lisi, 23 Faustballspielerin
Xheni, 21 Turner
Lisi und Xheni trainieren jede Woche fl eißig. Während Lisi sich gemeinsam mit ihren Freundinnen regelmäßig beim Faustball so richtig auspowert, genießt Xheni beim Turnen an den Ringen die Aussicht von oben. Ob Turn- oder Ballsport, in Wien gibt es viele Sportvereine, Sportstätten und 70 anerkannte Sportarten. Aber auch die Menschen, die sich tagtäglich für den Sport engagieren, machen Wien zur Stadt fürs Leben. www.sport.wien.at
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Nicole Schöndorfer (The Gap, Studentin)
TOP 10
LEIDIGES ZUM FRÜHLINGSBEGINN
01 Den Winterschlaf beenden 02 Extrovertierte Pärchen in Parks 03 Frühlingsputz 04 Schmetterlinge im Bauch (ungut) 05 Dreiviertelhosen 06 Lana Del Reys Oberlippe 07 Dauerbesetzte Enzis 08 Warten auf die Bikinifigur (Bananensplit schlemmend) 09 Explosionsartiger Allergien-Anstieg 10 Geldmangel, weil keine Schlussverkäufe
TOP 5
G’SCHEITE WÖRTER TO USE
01 Echauffieren 02 Koriphäe 03 Schikanös 04 Kafkaesk 05 Peripher
auch nicht schlecht: Columbos Ehefrau
www.thegap.at/gewinnen Logitech Wireless Mini Mouse M187 Logitech setzt mit seinen neuen Mini-Mäusen in erster Linie auf Farbe. Technisch gibt man sich kabellos und mit dem Nano-Empfänger ist auch der Transport kein Problem mehr. Wir verlosen vier Exemplare der M187 in den aktuellen KollektionsFarben. Betreff: 125 Farben in 4 Mäusen
Gerhard Polt – Und auch sonst
Alexander Predl und Daniel Irsigler (Chaya Fuera)
TOP 10 LASTER
01 Die Guten-Morgen-Tschick im Bett 02 Dürfen wir nicht sagen 03 Zwei defekte Firmenautos 04 Fünf Büros in drei Jahren 05 2 Jahre Holmes-Place-Mitgliedschaft 06 Kappen statt Frisuren 07 Nach dem Essen schwimmen gehen 08 Dem Kunden die Wahrheit sagen 09 Afterhour bei Mutti 10 Mit Gute-Nacht-Tschick einschlafen
TOP 5
PLACES TO BE
01 Kandlgasse 21 02 Schimmelgasse 03 Greifenstein 04 Hirschstetten 05 Cafe Bar Luxor
auch nicht schlecht: Amsterdam
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Der großartige und meist auch lustige Gerhard Polt gab Herlinde Koelbl über einige Wochen hinweg die Chance, sich ihm in Gesprächen anzunähern. Und das, obwohl er nicht so gern über sich spricht. Wir verlosen 3 Exemplare dieses lesenswerten Einblicks. Betreff: 125 Poltsche Annäherungsversuche
Skins Box 1–3 Nun erscheint eine der wichtigsten britischen TV-Serien auch bei uns als DVD: Jugendliche, wie sie leben, fluchen, ficken, lernen, lieben, Drogen nehmen und viele andere schöne Dinge machen. Wir verlosen 2 × die »Skins Box 1–3«. Betreff: 125 Momente britischer Jugendkultur
Braunschlag David Schalko in Großform: Eine neue TV-Serie über ein Dorf in Niederösterreich, das schwer verschuldet Marien-Erscheinungen vortäuscht. Böse … und erstklassig besetzt. Wir verlosen 3 DVD-Boxen. Betreff: 125 Erscheinungen in Braunschlag
The Binding Of Isaac Indie-Game-Gott Ed McMillen lästert wieder einmal. In dem neuen Spiel gilt es als kleiner Isaac vor der Mutter zu flüchten, die Isaac im religiösen Wahn umbringen will. Aber auch der Rest ist ein weiterer Höhepunkt in McMillens Schaffen. Wir verlosen 3 Exemplare der Unholy Edition. Betreff: 125 Gotteslästerliche Spielhöhepunkte
Handball Action So nerdig es nur geht. Wir verlosen 5 Exemplare des PC-Spiels »Handball Action«, dem einzigen Handballspiel mit Echtzeit-Online-Modus! Signiert sind die Spiele außerdem von Christian Schwarzer, dem Nationaltrainer der deutschen HandballJunioren. Betreff: 125 Handball-Treffer
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Stars und Hypes 2 Warum die Behauptung, es gebe keine Kurzfilmstars, wohl doch falsch war, erklärt Daniel Ebner, der künstlerische Leiter der VIS. Und es gibt sie doch, die Stars. Während im vergangenen Heft noch postuliert wurde, dass es im Kurzfilmbereich zwar Hypes, aber aufgrund fehlender Vermarktungs- oder kommerzieller Verwertungsmöglichkeiten keine wirklichen Stars geben könne, will ich mir nun selbst widersprechen und behaupte das Gegenteil. Es gibt und gab sie sehr wohl – nur darf man eben nicht den Fehler machen, sich beim Kurzfilm einen hollywoodesken Glamourfaktor zu erwarten. Die Angelina Jolies des Kurzfilms sind noch nicht und werden wohl auch nie geboren (vielleicht mal adoptiert), aber die Gus van Sants oder Sophia Coppolas des Kurzfilms, die gibt es sehr wohl. Ein klassischer Kurzfilmbereich, der sowohl künstlerische Unabhängigkeit als auch große Popularität ermöglicht, ist das Musikvideo. Leute wie Chris Cunningham, die mit ihren kurzen Filmen für Aphex Twin oder Björk ein Millionenpublikum schockiert bis gerührt haben, oder Michel Gondry, der seine Kreativität unter anderem in den Arbeiten für die White Stripes oder Kylie Minogue ausgelebt hat, sind mit ihren Clips selbst gewissermaßen zu Popstars geworden – und zeigen damit eine Realität auf, die einem üblicherweise gar nicht so bewusst ist. Der Kurzfilm hat eigentlich mehr mit einem Song zu tun als mit einem langen Kinofilm. Manchmal sieht man einen kurzen Film und ist hin und weg – was interessiert einen in diesem Moment das ganze Album? Die andere Seite des Kurzfilms, die ein eigenes Starsystem in sich birgt, ist die Nähe zur Kunstwelt. Luis Buñuel hat sich einst gemeinsam mit dem Surrealisten Salvador Dali und dem »Andalusischen Hund« einen Namen gemacht, die legendäre Valie Export hat als österreichische Medienkünstlerin nicht zuletzt mit ihren Videos bleibenden Eindruck hinterlassen, und ihre experimentellen Nachfolger Mara Mattuschka und Peter Tscherkassky kennt man international weit besser als hierzulande. Aber es ist ja kein unbekanntes Phänomen, dass einem auf heimischem Boden als Künstler vieles entgegen schlägt, nur keine Wertschätzung. Wer übrigens ein wenig mit Wissen um künftige Stars des Kurzfilms glänzen will, dem seien hier noch ein paar heiße Tipps ans Herz gelegt: Von den in Frankreich basierten Momoko Seto und Mihai Grecu wird man mit Sicherheit ebenso noch einiges hören wie vom Rumänen Radu Jude, dem Belgier Nicolas Provost und dem Schweden Ruben Östlund. Garantiert ohne Glamour. Versprochen. VIS Vienna Independent Shorts, Österreichs größtes Kurzfilmfestival, findet 2012 von 6. bis 10. Juni im Wiener Gartenbaukino und im Öster reichischen Filmmuseum statt.
Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger
14.800 14.800 Lampen hat der News-Ticker am New Yorker Times Square. Anfang der 80er Jahre war er außer Betrieb und die Stadt fast pleite. Dafür nistete sich an der ruinösen Lower East Side der Underground ein. Über das »Cinema of Transgression« von damals und die Überbietungslogik des Schocks von heute.
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uck you. Laut Nick Zedd ist das der kleinste gemeinsame Nenner des Cinema of Transgression, dem derzeit in den Berliner Kunst-Werken die Ausstellung »You Killed Me First« gewidmet ist. Auf vier, den Zeitgeist des New Yorker Undergrounds zwischen 1983 und 1992 rekonstrierenden Stockwerken dröhnt, scheppert, kreischt und wummert der brachiale Sound der einschlägigen 80er Jahre Industrial- und Noisefiguren von den Swans bis zu J. G. Thirwell, die die akustische Atmosphäre zu vielen der (damals schon antiquierten) Super 8-Kurzfilme beisteuerten. Im Eingangsbereich liegen Sonic Youth und Lydia Lunch in ihrem Musikvideo zu Death Valley 69 blutüberströmt und erschossen in einem Haus, dazu fliegt eine Rakete, der Vietnamkrieg flackert auf, und Woodstock ist toter als je zuvor. Nach diesem furiosen Auftakt geht es hinein in ein SzeneSelbstbild, dass sich vom damaligen porn chic am Times Square genauso nährte wie von der täglichen Erfahrung eines eben erst dem Bankrott entronnenen rotten apple mit seiner korrupten, gewalttätigen Polizei und einer konservativen Wende in Washington unter Reagan, für die man nicht einmal Hohn und Spott übrig hatte. Das Epizentrum des Undergrounds war die Lower East Side, die an manchen Ecken aussah wie eine zerbombte Stadt. Die Mieten waren billig, Drogen gab es an jeder Straßenecke. »Für mich sah die Stadt so aus wie das Ende der Welt«, sagt die Prinzessin der Dunkelheit, Lydia Lunch. In den Filmen, die in ihrem pechschwarzen Humor auf verschlungenen Wegen auch an die Queer-Avantgarde von Jack Smith andockten und die eher emanzipativ-experimentell ausgerichtete »No Wave«Szene der späten 70er Jahre im Rückspiegel hatten, ging es hart zu Sache. Körper und Psyche wurden malträtiert, Macht und Ohnmacht zelebriert, gewalttätige Genderverhältnisse in XXX gefilmt. Geboten war, was verboten war. In einem Manifest von 1985 nimmt man sich vor, »soviel Regeln
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wie möglich zu brechen«. Vom Elternwegballern im Wohnzimmer in »You Killed Me First« über die Nekrophilie in der misogynen Nihilismusversuchsanordnung »Thrust In Me« bis zur tödlichen Tierquälerei samt elendsgeilem Drogenmissbrauch in »Rat Trap« und dem Skandal-Vergewaltigungstrip »Fingered« – immer wieder ging es darum, Deformiertheit ohne Wenn und Aber auszustellen. Heute kennt man die Lower East Side als gentrifizierte Kuschelecke der New Yorker Neo-Hipster. Manche von ihnen sehen das Ende der Welt in der Wall Street symbolisiert, während die Stadtverwaltung nicht mehr über Verbrechen und Drogen in Manhattan, sondern über den zweiten Erziehungsweg der Bürger in Form einer Festlegung des Salzgehalts von Speisen diskutiert.
Anti-moralisches Suhlen im Dreck 2010 entstand in Belgrad, einer Stadt, die noch in den 90er Jahren reale Bomben erlebt hatte, »A Serbian Film«, ein Bolero der Monströsitäten. »A Serbian Film« ist rasch zum Kultobjekt jener Hardcore-Horrorfans avanciert, die das ästhetische Korsett der politischen Korrektheit scheuen wie die Kettensäge einen leeren Benzintank. Das perfide Werk lässt sich aber nicht nur als systematisch jedes Tabu aufreißender Schocker verstehen, sondern auch als Stresstest über Umgangsweisen mit politischer Inkorrektheit. Die gepeinigte Hauptfigur, der Snuff-Movie-Darsteller Miloš, ist nämlich nicht nur realer Opfertäter, sondern soll auch als symbolisches Opfer der Brutalisierung Serbiens nach dem Krieg verstanden werden. Behaupten zumindest die Macher von »A Serbian Film«. Sie bemühen sich im Film durch vage Andeutungen über den Zustand Serbiens sowie in diversen Interviews darum, nicht auf einen platten Provokationsgestus reduziert zu werden (was sicher auch aus Gründen der Filmdistribution und der Filmfestivalakzeptanz gemacht wird). So wird der nackte Horror zu einer neuen Version des Cinema of Trangression umgedeutet. Das amoralische, oder genauer: anti-moralische Suhlen im Dreck wird durch einen zutiefst moralischen Beweggrund zu legitimieren versucht.
Anhand einer der abscheulichsten Szenen des Films, der Vergewaltigung eines neugeborenen Babys, identifiziert Regisseur Srdjan Spasojevic´ die Opfer der filmischen Gewaltexzesse mit der Erfahrung, die er und seine Generation mit der serbischen Gesellschaft gemacht haben. In einem Interview mit dem US-amerikanischen Horrorfilm-Magazin Fangoria sagt er: »Wir wollten mit dieser Szene nicht provozieren, sondern nur unsere tiefsten und aufrichtigen Gefühle darüber ausdrücken, wie sehr wir uns verletzt fühlen. Das Baby repräsentiert uns und alle anderen, deren Jugend bzw. Unschuld uns von jenen genommen wurde, die uns heute mit undurchsichtigen Absichten regieren. Mit dieser Szene haben wir nur eine literarische Metapher für unseren Gefühlszustand auf die Leinwand gemalt. Das Bild ist so extrem, dass es eigentlich Gewalt ächtet und im Kern annulliert.« Vor 27 Jahren sagte Nick Zedd: Wir müssen »soviel wie möglich sündigen«. Heute wird in einem (dezitiert humorfreien) Torture Porn auf den moralischen Legitimationsbedarf der Exploitation hingewiesen. Ganz so, als ob heute das Gespenst der Political Correctness auch in den fiesesten Fantasien herumgeisterte und die Geste der Überschreitung ihre pubertäre Unschuld oder auch ihr Bataille’sches Pathos verloren hätte – während Richard Kern jetzt seine Brötchen für Leitmedien der inkorrekten Coolness wie Playboy oder das Vice Magazine verdient. Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at
Thomas Edlinger Journalist und Kurator
Mit Gleichgesinnten rund um die Welt.
R e i s e Nº 19*
»In den Kunststädten in Flandern« Eine Ö1 Kulturreise, begleitet vom Ethnologen Dr. Peter Rohrbacher u. a.
dynamowien | Foto: shutterstock
Die prunkvollen Städte Flanderns mit ihrer glanzvollen Vergangenheit sind das Ziel dieser Reise: Antwerpen, Brügge, Gent, Mechelen. Sie besichtigen u. a. den weltberühmten Altar der Gebrüder van Eyck, sehen Michelangelos Madonna, besuchen das Rubenshaus und erleben eine Bootsfahrt durch die zauberhaften Grachten. Reisetermine: 17.– 20. 5. 2012 26.– 29. 5. 2012 7.– 10. 6. 2012 1.– 4. 9. 2012
Ö1 Club-Preis: € 665,– p. P./DZ (statt € 699,–) ez-Zuschlag: € 160,– Kerosin-Zuschlag: € 8,–
* Mehr zu allen Ö1 Reisen: i oe1.oRF.at/club Katalog beim Ö1 Service: t (01) 501 70-371 e oe1.service@orf.at
Beratung und Buchung: RUEFA Kultur- und Studienreisen t (01) 514 45 - 802 e mario.aininger@ruefa.at i www.ruefa.at
43.823 Verfolger*
* Armin Wolf, 45, moderiert die ZIB 2, verantwortet als stellvertretender Chefredakteur das ORF-Fernsehen und wird zu Redaktionsschluss von 43.823 Menschen auf Twitter beobachtet. Selbst folgt er 215 Twitterati.
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uf Twitter registriert hat sich @ArminWolf Anfang 2009, im unmittelbaren Eindruck von Obamas Wahlkampagne. Mittlerweile ist der Kurznachrichtendienst zur wichtigsten Informationsquelle des ORF-Journalisten geworden. Dass er es dabei selbst zum österreichischen Twitter-Star gebracht hat, liege daran, dass »es in diesem Land keine Celebrities gibt«. Ein Gespräch über Macht, Politik und eine digitale Elite, die sich nicht fürs Pensionssystem interessiert.
Text UND INTERVIEW Stefan Niederwieser & THOMAS WEBER MITARBEIT ANNA HOFFER BILD MICHAEL WINKELMANN REPRO ROTFILTER PAPIERSCHNABEL FILIUS DE LACROIX
@ArminWolf — Im Zentrum von Twitter, Politik und Medien
Eine ausführlichere Fassung des Interviews findet sich auf www.thegap.at/twitterpolitik
#Hochner-Preis-Rede — 2006 erhielt Armin Wolf den RobertHochner-Preis. In seiner Dankesrede sprach er sich für mehr redaktionelle Unabhängigkeit des ORF aus und kritisierte die Machtkonzentration innerhalb des ORF sowie die partei liche Einflussnahme auf die Bericht erstattung. Von einem Gleichgewicht des Schreckens unter der Großen Koalition sei nur noch Schrecken geblieben. Wenig später gründete sich die Initiative »SOS-ORF«. In einer Zeit unklarer Mehrheitsverhältnisse kurz vor den Nationalratswahlen 2006 wurde Monika Lindner als ORF-Generaldirektorin mitsamt Fernseh-Informationschef Werner Mück abgewählt. www.sos-orf.at #Kony2012 — Noch nie hat sich eine politisch engagierte Kampagne so schnell im sozialen Netz verbrei tet wie das Video zu »Kony 2012«. Erklärtes Ziel ist, für die Verhaftung des ugandischen Rebellenführers und mutmaßlichen Kriegsverbre chers Joseph Kony zu mobilisieren. Durch Unterstützung von Stars wie Oprah Winfrey, Rihanna, Justin Bie ber, NIN, Mumford & Sons sowie mit wirkungsvollen Bildern wurde das Vi deo bis heute mehr als 80 Millionen Mal angeklickt. Es folgte allerdings auch heftige Kritik: Tatsachen wür den falsch dargestellt, die Mitglieder der Organsation hinter Kony 2012 würden sich an Spendengeldern bereichern, so die Vorwürfe.
Wie konkret kann man sich War Twitter und Facebook private bzw. persönliden Nutzen von Twitter im All- che Motivation? tag eines journalistisch tätigen Es ist schon ein persönliches Ding, aber in meiNachrichtensprechers vorstel- nem Job. Private Motivation nicht, ich dachte auch, len? ich schreibe nichts Privates. Da wurde ich allerIch habe Twitter eigentlich dings eines Besseren belehrt. Eine Kollegin von gar nicht für den journalisti- Ö1, Barbara Kaufmann, hat mir vorgelesen, was ich schen Nutzen begonnen, sondern ursprünglich als schon an Privatem getwittert habe. Das war sehr Marketinginstrument. Die Idee war, Leute zu errei- erschreckend. Ich würde das niemals in einem Inchen, die nicht jeden Abend um 22 Uhr rituell vor terview erzählen, was ich über eineinhalb Jahre dem Fernseher sitzen. Auf Facebook gab es damals verteilt auf Twitter preisgegeben habe. noch keine Fanpages. 2008 war ich dann bei der Engt Twitter die Wahrnehmung ein? Präsidentschaftswahl in Amerika und habe dort Ja, auch. Ich bekomme zum Beispiel viele Ideen Twitter gesehen, fand das lustig und habe damit be- über Twitter, die ich dann in der Redaktionssitzung gonnen. Die journalistischen Möglichkeiten habe vorschlage. Insofern ist es sehr nützlich, aber man ich dann relativ schnell entdeckt: Es ist eine geni- muss sehr aufpassen, dass man nicht das, was die ale, personalisierte Nachrichtenagentur, wenn man österreichische Twitter-Community für relevant es entsprechend verwendet. Mittlerweile ist es für hält, für das Gleiche hält, das die ZIB-Zuseher inmich meine wichtigste Informationsquelle, wichti- teressiert. Dazu ist es viel zu elitär. Das ist eher das ger als Tageszeitungen, Magazine, selbst wichtiger Falter-Publikum: extrem interessiert, hochgebildet als die Nachrichtenagenturen. Ich erfahre fast alles und sehr gut informiert. zuerst über Twitter. Ist Twitter ein Seismograph? Weil die Informationen an Sie herangetragen werJa, total. Ich komme auf viele Sachen, weil ich den oder weil man sie in der Timeline liest? den richtigen Leuten folge, die interessante Sachen Weil ich mitlese. Ich folge sehr selektiv cirka 200 lesen, verlinken und Medien konsumieren, die ich Leuten, von denen ich alles lese und bekomme so aus Zeitgründen nie schaffen würde. Einer meiner einen ziemlich guten Überblick. Lieblings-Twitterati ist Amir Kassaei von DDB. Der Das heißt, es hat sich vom Marketinginstrument schickt zumindest dreimal pro Woche hochinterzu einem Recherchekanal entwickelt? essante Sachen, auf die ich sonst niemals kommen Es erfüllt mittlerweile drei bis vier Funktionen. würde. Als Marketing funktioniert es sehr gut, obwohl Gibt es auch Themen, die für die ZIB sehr wichtig Twitter in Österreich nach wie vor ein Elitephäno- sind, die aber auf Twitter kaum vorkommen? men ist. Die Nachrichtenagentur habe ich erst entJa, natürlich. Alles, was mit Pensionen zu tun hat, deckt. Auch so was wie Crowdsourcing funktioniert, zum Beispiel. Also die komplette Pensionsdebatte, zum Beispiel vor Interviews. Unlängst war Marcel Gesundheitsdebatte, Themen, die wirklich viele Koller im Studio. Ich habe keine Ahnung von Fuß- Menschen betreffen. Twitter ist in Österreich ein ball und habe praktisch das ganze Interview mit Bobo-Phänomen, ein Bobo-Medium. Das hat damit Twitter-Fragen bestritten. Und der vierte Aspekt ist zu tun, dass es in diesem Land keine Celebrities der Dialog mit dem Publikum. Die Leute haben das gibt. Die 250 bis 300 Millionen Twitter-User in Gefühl, sie können mich leicht erreichen und ich Amerika kommen ja daher, dass Lady Gaga, Ashton versuche auch wirklich allen zurückzuschreiben, Kutcher und Frau Moore auf Twitter sind. In Öswenn es sinnvoll ist. Darauf bekomme ich auch terreich gibt es keine Filmindustrie, es gibt keine sehr gutes Feedback. Musikindustrie und die Skifahrer und Fußballer Gibt es auch Situationen, in denen Twitter nervt? twittern nicht. Hätte Niki Lauda statt mir vor drei Das erste Mal vor ein paar Tagen bei dieser Jahren begonnen, hätte er jetzt 40.000, 50.000 Fol Kony 2012-Nummer. Mit dem Video bin ich wirk- lower, oder Hermann Maier hätte 300.000. Bei mir lich zugespamt worden und habe Leuten teilweise war es das Glück des richtigen Zeitpunkts. nicht mehr zurückgeschrieben. Aber sonst eigent- Wie sehr wächst denn mit der Anzahl der Tweets lich nicht. Ich würde es nicht machen, wenn die und der Follower auch das Ego? Nachteile überwiegen würden. Nachteil gibt es Es hat mir genützt. Zum Beispiel halte ich mitteigentlich nur einen: Es ist extrem zeitaufwendig. lerweile gar nicht so wenige Vorträge über Social Ich verbringe am Tag sicher ein- bis eineinhalb Media. Ich bin sogar »Onliner des Jahres« geworden Stunden damit. Ich fange den Tag tatsächlich da- – als Fernsehjournalist, großartig! Ich habe auch in mit an, es ist das erste, was ich in der Früh und das der Debatte über die Unabhängigkeit des ORF beletzte, was ich vor dem Schlafengehen lese. merkt, dass die Politik durchaus beeindruckt ist. Es Wie anders lässt sich denn Facebook im Vergleich ist ein potenzieller Machtfaktor, wenn man was zu Twitter nutzen? Ist es nur Marketing? schreiben kann und es kriegen sofort bis zu 40.000 Ich hätte nicht gedacht, dass der Unterschied so Leute mit. groß ist, weil ich Facebook nicht kannte. Ich bin Machen viele Follower auf Twitter mächtiger? privat nicht auf Facebook. Mittlerweile gefällt mir Twitter ist ein Lautsprecher und Verstärker. Und ganz gut, dass man auf Facebook auch mal mehr als damit kann man sich in öffentlichen Auseinander140 Zeichen schreiben kann. Auch für Bilder und setzungen auch Gehör verschaffen. In der PelinVideos eignet sich Facebook besser. Der Haupt- ka-Causa haben die Nationalratsabgeordneten begrund doch anzufangen war, dass mittlerweile an gonnen, vom Rednerpult meine Tweets vorzulesen, die 2,8 Millionen Leute in Österreich auf Facebook die ich live während der Debatte geschrieben habe. sind. Die jüngste Zahl für Twitter war etwa 65.000, Aber ich werde weder die Fremdengesetze noch das wir reden hier also von etwa 1:40. Und das Publi- Sparpaket mit meinen Tweets verändern können, kum ist viel breiter, während Twitter nach wie somit ist das Machtpotenzial relativ beschränkt. vor ein totales Elite-Medium in Österreich ist, ein Vergleicht man Ihre Rede bei der Verleihung des Hochner-Preises, als es noch kein Twitter gab, Stammtisch des Politisch-Medialen-Plus-Social-Memit der Pelinka-Affäre, gibt es da Parallelen? dia-Komplexes.
Wie man gesehen hat, war die Hochner-Rede auch nicht ohne Konsequenzen, das hat mit den klassischen Medien funktioniert. Ich glaube, das Potenzial von Social Media liegt auch darin, Aufmerksamkeit wieder auf traditionelle Medien zu lenken. Die Pelinka-Affäre wurde ja nur so groß, weil sie sich auch in den klassischen Medien abgespielt hat, von dort ging der politische Druck aus. Ich hätte auch der APA ein Interview geben können. Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, Interviews zu geben, haben in der Regel auch über Twitter nicht allzu viel Macht. Es geht, aber sie müssen schon etwas sehr Brillantes schreiben, um es derart verbreiten zu können. Und hätte ich meinen polemischen Tweet nicht geschrieben, wäre die Debatte spätestens mit unserer Resolution losgegangen, die der ORF-Redaktionsrat zwei Stunden später der APA geschickt hätte. Es war ein Zusammenspiel aus Social Media und klassischen Medien. Vor zehn Jahren hätte man eine solche Kampagne eben nur über traditionelle Medien gemacht, ohne Youtube. Man sagt ja auch, dass durch Social Media tendenziell klassische Gatekeeper-Funktionen wegfallen? Das ist aber kein Phänomen von Twitter, sondern hat mit E-Mails begonnen. Seitdem konnte man Journalisten direkt, ohne Umwege über die Pressestelle oder Agentur, erreichen. Was ich aber interessant finde ist, dass es Leuten aus der zweiten und dritten Reihe schneller gelingt, Bekanntheit zu erlangen, wenn man das geschickt macht. Martin Thür (ATV-Journalist, Anm.) zum Beispiel kannte ich nur über Twitter und finde es großartig, was er dort macht. Auch wie Stefan Petzner das Medium nutzt, finde ich nicht uninteressant. Bemerkenswert ist der Strache-Facebook-Auftritt. Wenn er da auf Asylwerber schimpft, hat er gleich 15.000 Likes. Der Altersdurchschnitt bei der ZIB liegt zwischen 55 und 60 Jahren. Können öffentlich-rechtliche Nachrichten jüngere Menschen ohne Social Media überhaupt noch erreichen? Ja, wenn ein Tsunami, die Nationalratswahl oder 9/11 passiert. An einem normalen Tag kaum, das ist aber auf der ganzen Welt so. Social Media könnte mehr verändern, wenn das ORF-Gesetz nicht so viel verbieten würde. Die ZIB-Facebook-Seite gibt es zwar, aber die dreht uns die Medienbehörde möglicherweise ab. Ist aber eh nicht so spannend. Spannender wäre, die Sachen die wir machen besser zu verbreiten. Das dürfen wir allerdings nicht. Zum Beispiel dürfen wir in der TV-Thek keinen Like-Button anbringen. Dass man von den Österreichern 560 Millionen ORF-Gebühren einfordert und dafür dürfen fast 3 Millionen Leute auf Facebook die Sendungen nicht sehen, ist verrückt. Wird Twitter in Österreich noch zum Massenmedium? Würden innerhalb eines Jahres Hermann Maier, Lauda, Robert Kratky, Mirijam Weichselbraun und drei Fußballer anfangen zu twittern, würde das explodieren. Es wird nicht die Facebook-Dimension erreichen, weil Facebook von den Fotos lebt. Das funktioniert auf Twitter so nicht. Verändert es die Themensetzungsmöglichkeiten in der politischen Debatte? Inwieweit werden Positionen direkter aufgegriffen? Die meisten Politiker tun das eben nicht, weil es wie gesagt sehr zeitaufwendig ist. Spannend wird es erst dann, wenn Politiker antworten. Für Experten kann es sich aber jedenfalls lohnen. Hubert Sickinger, der bis vor einem Jahr nur ein paar sehr spezialisierten Journalisten ein Begriff war,
Journalisten Politiker Experten Engagierte Normalos
Im Ego-Netzwerk von Armin Wolf gibt es nur sehr wenige Politiker, dafür umso mehr normale TwitterUser. Kaum sichtbar: eine Unzahl kleiner Accounts, die Armin Wolf ein oder zweimal antwitterten.
ist mittlerweile ein Starpolitologe geworden und kommt mit Themen nun leichter durch. Bei Gerhard Mangott oder Hans-Peter Lehofer ist das ähnlich. Auch die ACTA-Debatte hätte es nicht gegeben, wenn es nicht die ganze Zeit in den Social Networks thematisiert worden wäre. Und der Punkt, der die Pelinka-Geschichte zum Kippen gebracht hat, war unser Youtube-Video. Das ist hochgegangen wie ein Atompilz und hat großen Druck produziert, auch hier im Haus. Es steckt also sehr großes Potential darin, aber es ist auch schwer steuerbar. Hat Twitter so etwas wie eine demokratische Tendenz? Ja und Nein. Auf jeden Fall mehr als jedes »alte« Medium, weil jeder ein potenzieller Sender ist. Also dieser berühmte Satz, »die Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu drucken« stimmt hier nicht mehr. Pressefreiheit ist heute die Freiheit, einen Blog aufzusetzen oder einen Twitter-Account aufzumachen. Nur die Reichweite ist noch so extrem schwankend. Wer 20 Follower hat, hat aber theoretisch das Potenzial, wenn er etwas schreibt, das wirklich witzig, genial formuliert oder am Punkt ist, von jemandem mit 30.000 Followern retweetet zu werden oder in Amerika drei Millionen zu erreichen. Früher gab es nur Leserbriefe, und darunter wirklich wenige, die größere Debatten ausgelöst haben. Der vorher zitierte Satz stammt übrigens aus einem berühmt gewordenen Leserbrief, den der Publizist Paul Sethe an den Spiegel geschrieben hat – 1965.
#Pelinka-Causa — Kurz vor Weihnachten 2011 wurde bekannt, dass ORF-Chef Alexander Wrabetz den 25-jährigen Nikolaus Pelinka zu seinem neuen Büroleiter machen will. Die Entscheidung für den Leiter des SPÖ-Freundeskreises im ORFStiftungsrat rief – als eindeutige politische Einflussnahme – Proteste von ÖVP, FPÖ und Grünen hervor. 1.300 Journalisten des ORF (mehr als drei Viertel aller öffentlichrechtlichen Journalisten des Landes) unterzeichneten eine Petition und demonstrierten mit einem YoutubeVideo gegen die Posten-Besetzung. Am 19. Jänner zog Pelinka seine Kandidatur zurück. #Gatekeeper — Information wird gefiltert, bevor sie gedruckt, veröf fentlicht oder gesendet wird. Soge nannte Gatekeeper überblicken eine Schleuse und filtern nach mehr oder weniger subjektiven Kriterien aus einer Fülle von Inhalten die relevan testen heraus. Im Zeitalter von Social Media muss diese These zumindest angepasst werden. Heute wird häufig von Multiplikatoren gesprochen, die in der Lage sind, Information an einen großen Bekanntenkreis her anzutragen. Diese können, müssen aber nicht mehr zwingend Menschen sein, die professionell in Medienorga nisationen arbeiten.
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ATPolTwit Studie — Das Eliten-Netzwerk am Seziertisch
Befehl von ganz unten 023 Früher begann die Revolution mit einem Sprengsatz, heute mit Twitter. In Zusammenhang mit den Wahlen im Iran 2009 oder dem Arabischen Frühling 2011 ist bereits viel über die Macht und Ohnmacht des Mediums diskutiert worden. In Österreich wird wegen Twitter vorerst kein Staatsmedium oder keine Parteizentrale brennen. Denn die dort tätigen Leute sind selbst an zentralen Punkten im Twitter-Netzwerk aktiv. Twitter ist am Smartphone der Nation jedoch noch nicht angekommen. Jüngste Schätzungen gehen von nur 75.000 Accounts aus, davon 37.000 aktive, während Facebook in die Millionen geht. Es gibt in Österreich keine Stars auf Twitter, also auch wenig Schaulustige. Dafür aber sehr viele Grüne und sehr viele Männer. Axel Maireder, Julian Ausserhofer und Axel Kittenberger haben Twitter ein halbes Jahr lang in einer umfassenden Studie beobachtet und alle Tweets zu politischen Themen aus vier ausgewählten Wochen ausgewertet: und das waren in Österreich immerhin noch 15 Prozent von 161.131 Tweets. Dabei beobachteten sie im Innenpolitik-Netzwerk alle Interaktionen von jenen 374 Accounts, die aktiv politisch twittern. Den Begriff »Eliten-Netzwerk« verwenden die drei Wissenschaftler für das Netzwerk dennoch deutlich vorsichtiger als etwa Armin Wolf. Die zentralen Stimmen kommen aus der Medienbranche oder der Politik. Sie sind zu 72 % männlich und nur 18 % weiblich, der Rest macht keine Angaben; Politiker lassen sich zu fast der Hälfte den Grünen zuordnen. Soweit ist das noch halbwegs erwartbar. Kann man sich aber in politische Diskussionen einmischen, Themen und Ideen einbringen? Und finden diese dann wieder einen Rückhall in den klassischen Massenmedien? »Häufig ja«, meint Julian Ausserhofer, »manchmal nein. Die Prozesse sind durchaus offen, auch wenn sich vieles in zentralen Clustern abspielt.« Es ist also möglich, sich Gehör zu verschaffen, verlangt aber viel Engagement und einen langen Atem. Denn so einfach wird man nicht zu einer zentralen Stimme – nur wenn man andere erwähnt, antwortet und sich einmischt, passiert das auch umgekehrt. Twitter ist ein Medium, das auf Austausch beruht. »Unterhaltungen
können sich öffnen, es entstehen so immer wieder neue Kommunikationsketten und diese lösen sich später auf«, sagt Axel Maireder. Selbst wenn das bei einzelnen Personen wahrscheinlicher ist, als bei anderen (siehe Tortengrafiken, S. 024). Armin Wolf antwortet zu immerhin zwei Dritteln Menschen, die ansonsten für das politische TwitterCluster in Österreich nicht relevant sind. Für das Gesamtnetzwerk nimmt er deshalb die zentralste Rolle ein. Bei politischen Themen gibt es aber auch andere, gleich gewichtige Stimmen (siehe Grafik unten). Dabei mischen sich vermeintlich Fachfremde erstaunlich häufig ein, ganze drei Fünftel aller politischen Kurznachrichten stammen von ihnen. Nur werden sie viel seltener aufgegriffen. In den Diskussionen zu politischen Themen kommen sie insgesamt gerade noch zu einem Viertel vor, was andererseits immer noch sehr beachtlich ist. Dabei bedeuten viele Follower noch nicht automatisch, dass Accounts auch einflussreich für politische Diskussionen auf Twit-
ter werden. Die Forscher können das an Korrelationsgraphen ablesen: es gibt z.B. eine schwache Korrelation zwischen der Anzahl der Followers und der Anzahl der Mentions (ein Wert von r = 0,48 ist zwischen 0 und 1, nun ja, eben schwach). Im Netzwerk lassen sich so viele Variablen auf erstaunliche Weise verbinden. Parallel beobachtete die Studie klassische Medien. Konnte 2009 bei den Protesten zu #unibrennt noch eine deutliche Verzögerung festgestellt werden, ist die Rückkoppelung mittlerweile sehr unterschiedlich: die Eurokrise und Metaller-Verhandlungen waren auf Twitter kaum präsent, während zu WKR-Ball, Occupy sowie der Causa Pelinka dort lang und breit getweetet wurde. Das Thema Korruption wurde wiederum von klassischen Medien aufgebracht und auf Twitter weitergetragen. Immer öfter wird auch parallel zu ORF-Sendungen wie »Club 2« oder »ZiB« diskutiert. Die Szene differenziert sich. Und im Unterschied zu Facebook wächst sie. Engage.
Das Gesamtnetz aller Twitter-Accounts zur Innenpolitik in Österreich weist gleich mehrere zentrale Personen auf, dabei nur wenige Politiker. Hier ganz rechts: das linke Aktivisten-Netzwerk.
Text Stefan Niederwieser
Kann man schon mitdiskutieren, nur weil viele Politiker und Journalisten auf Twitter sind? Eine umfassende Studie geht der Frage nach.
Hier wurde das Gesamtnetzwerk aller politisch twitternden Accounts nach zuordenbarem Geschlecht eingefärbt: Blau für Männer, Violett für Frauen. Twitterpolitik ist in Österreich zu mehr als zwei Dritteln männlich.
Wird erwähnt von …
Erwähnt …
Alpha-Twitter-Journalist: Armin Wolf Followers: 43.850 — Following: 215 Tweets: 9.573 Wird erwähnt: 106,5 Mal / Tag Erwähnt andere: 8,4 Mal / Tag Politik-Orientierung der Tweets: 31,9 % Es gibt derzeit nur sieben Twitter-Accounts aus Österreich, die mehr Followers als Armin Wolf vor weisen können. Armin Wolf ist in Österreichs Twit teria ein singuläres Phänomen. Im Gesamt-Netzwerk nimmt Armin Wolf die wohl zentralste Rolle ein; auch als Vermittler zwischen kleineren Netzwerken. In den vier Wochen des Untersuchungszeitraums der #ATPolTwit-Studie wurde Armin Wolf 4.734 Mal di rekt erwähnt und hat selbst wiederum 362 andere User erwähnt, der Großteil von außerhalb des Poli tik-Netzwerks. Selbst beim Thema Bildung wurde er zahlreich adressiert, ohne sich allerdings selbst merkbar zu äußern. Er besitzt sogar seine eigene Corona: zahlreiche, sonst kaum aktive Twitterer stellten Armin Wolf ein oder zwei Fragen, mischten sich sonst allerdings fast gar nicht in die Diskussion ein. All dies führt allerdings noch nicht automatisch zu einer dominanten Position im politischen Diskurs der Republik: Journalisten wie Florian Klenk, Corin na Milborn, Martin Thür, aber auch Hubert Sickinger oder Anon Austria sind ähnlich stark vernetzt. Ähnliche Accounts: @corinnamilborn (Corinna Milborn), @florianklenk (Florian Klenk), @thomas_mohr (Thomas Mohr), @hbrandstaetter (Helmut Brandstätter), @kurtkuch (Kurt Kuch), @martinthuer (Martin Thür), @wernerreisinger (Werner Reisinger)
ATPolTwit Typologien Journalisten, Aktivisten, Politiker und Experten prägen wesentlich die österreichische Innenpolitik auf Twitter. Fünf beispielhafte Accounts im Porträt. Die Twitterpolitik-Studie wurde von Axel Maire der, Julian Ausserhofer und Axel Kittenberger im Lauf von sechs Monaten durchgeführt. Super-Fi, Mutteragentur von The Gap, hat die Untersuchung teilfinanziert. Ausführliche Details zur Studie auf www.thegap.at/twitterpolitik
Politiker, meist männlich, oft grün: Eva Lichtenberger Followers: 857 — Following: 116 Tweets: 335 Wird erwähnt: k.A. Erwähnt andere: k.A. Politik-Orientierung der Tweets: k.A. Die grüne Europaparlamentarierin Eva Lichten berger kommt in der #ATPolTwit-Studie nicht vor – nicht nur, weil sie vorwiegend Europathemen be handelt, sondern ihr Account bis Februar nur auto matisiert Fotos verbreitet hatte. Dennoch ist er unter mehreren Gesichtpunkten bemerkenswert: Grüne sind unter den Politikern deutlich überrepräsentiert (44 %), Frauen deutlich unterrepräsentiert (9 %). Vor allem aber zeigt der Account, wie verlegen die handelnde Politik häufig noch im Umgang mit dem neuen Medium ist. Sehr viele Politiker twittern nur ein oder zwei Mal täglich und mischen sich kaum in Diskussionen ein, andere geben den orthodoxen Parteisoldat, wieder andere verwenden Twitter, um Pressemitteilungen automatisiert zu posten und ge ben damit auf die eine oder andere Art wenig Anreiz sich einzumischen. Ausnahmen sind eine Handvoll aktiver Smartphone-Politiker wie Michael Reimon (Grüne), Stefan Petzner (BZÖ) oder Hans Arsenovic (Grüne). Ähnliche Accounts: @wkogler (Werner Kogler), @gebimair (Gebi Mair), @volkerplass (Volker Plass), @vilimsky (Harald Vilimsky), @matznetter (Christoph Matznetter), @ heimolepuschitz (Heimo Lepuschitz), @a_steinhauser (Albert Steinhauser), @chorherr (Christoph Chorherr), @ppoechhacker (Paul Pöchhacker)
TEXT STEFAN NIEDERWIESER ILLUSTRATIONEN Axel Maireder, Julian Ausserhofer, Axel Kittenberger
Spezialfall: @michael_reimon (Michael Reimon), @stefan_petzner (Stefan Petzner), @svejk (Gerhard W. Loub), @marcoschreuder (Marco Schreuder), @hansarsenovic (Hans Arsenovic), @olobo (Klaus Werner-Lobo)
Am 27. Jänner 2012 fand der rechte WKR-Ball zum letzten Mal in der Wiener Hofburg statt. Am 31. Jänner verteidigte HC Strache in der ZiB2 seinen Sager »Wir sind die neuen Juden«. Auf Twitter wurde das Interview heftig kommentiert. ZiB2-Interview mit HC Strache
Tweets pro Stunde, 25. Jänner bis 31. Jänner 2012
1620 1440 1260 1080 900
Beginn WKR-Ball
720 540 360 180 0
26.1.
25.1.
27.1.
28.1.
29.1.
Journalisten Politiker Experten Engagierte Normalos Accounts außerhalb des Politik-Netzwerks
Wird erwähnt von …
30.1.
Wird erwähnt von …
31.1.
Erwähnt …
Erwähnt … Wird erwähnt von …
Erwähnt …
Engagierter Normalo: Michael Horak Linker Netzaktivist und Vernetzer: Porrporr Followers: 2.461 — Following: 807 Tweets: 47.077 Wird erwähnt: 32,1 Mal / Tag Erwähnt andere: 21 Mal / Tag Politik-Orientierung der Tweets: 40,7 % Porrporr versteht sich als anonymer Aktivist, kommt selbst aus der linksradikalen Politszene, fand es aber auf Dauer unbefriedigend, immer nur im klei nen Kreis zu diskutieren. Seinen Drang nach außen merkt man auch klar in der Netzwerkanalyse der #ATPolTwit-Studie: Porrporr steht im Zentrum eines politisch linken Clusters, das wie kein anderes am deutlichsten vom restlichen Innenpolitik-Diskurs lösen lässt. Viele Diskussionen dort betrafen im Untersuchungszeitraum der #ATPolTwit-Studie die Uni-Politik, aber auch Occupy. Sowohl politische Vertreter wie auch Studenten und überzeugte Akti visten finden sich dort. Dabei fungiert Porrporr häu fig als Vermittler zu den übrigen, teils zentraleren Diskutanten im Innenpolitik-Netzwerk. Ähnliche Accounts: @rosaantifawien (Rosa Antifa Wien), @unibrennt (Unibrennt), @4papiertiger (Papiertiger), @kellerabteil (Hans Christian Voigt), @gewure (Gewure), @janine_wulz (Janine Wulz), @daniel_hrncir (Daniel Hrncir)
Polit-Experte: Hubert Sickinger Followers: 4.979 — Following: 569 Tweets: 17.726 Wird erwähnt: 19,9 Mal / Tag Erwähnt andere: 10,6 Mal / Tag Politik-Orientierung der Tweets: 38 % Der Politikwissenschaftler Hubert Sickinger ist Ex perte im Bereich Parteienfinanzierung und Parteien forschung, lehrt am Institut für Konfliktforschung und ist Gründer des österreichischen Zweigs von Transparency International. Im #ATPolTwit-Netz werk nimmt er eine zentrale Rolle ein. Er gehört zu einer vergleichsweise kleinen Gruppe schwer zuor denbarer Spezialisten, die sich immer wieder zu einzelnen politischen Themen einmischen, wie auch der PR-Experte und Blogger Stefan Bachleitner, So cial Media-Agenturleiter Niko Alm, der Initiator des Eurofighter-Volksbegehrens und Ex-SPÖ-Querulant Rudi Fußi oder der zweitgrößte Twitter-Account Österreichs, Anonymous Austria. Ähnliche Accounts: @bachleitner (Stefan Bachlei tner), @nikoalm (Niko Alm), @rudifussi (Rudi Fußi), @AnonAustria (Anonymous Austria), @neuwal (Neuwal), @hoppenina (Nina Hoppe)
Followers: 1.924 — Following: 160 Tweets: 36.768 Wird erwähnt: 34,1 Mal / Tag Erwähnt andere: 35,7 Mal / Tag Politik-Orientierung der Tweets: 13,8 % Noch so ein Vielschreiber: Michael Horak ist Bio mediziner, steht viel im Labor und arbeitet an der Uni Wien. Er hat nur sehr mittelbare Gründe, sich aus Berufsinteresse in politische Diskussionen zu mischen, tut dies aber trotzdem äußerst regelmäßig. Gerade deswegen ist er wie so viele aus der Grup pe der besorgten Bürger vielleicht eine der bemer kenswertesten Stimmen in dem österreichischen Poltik-Twitter-Netzwerk: Er zeigt, dass es möglich ist, zu einer wesentlichen Schaltstelle für politische Kommunikation zu werden, wenn viel Engagement auf Vernetzungswillen trifft. Immerhin kommen fast 60% aller politischen Tweets von ihnen, den enga gierten Normalos. Noch so einer ist Helge Fahrnber ger, Software-Experte und Betreiber des Medienbe obachtungsblogs Kobuk.at. Andere mischen sich vor allem zu bestimmten Themen vehement ein, wie Chris Körbler (Korruption) oder der Publizistikstu dent Jonas Reis (Occupy, WKR Ball). Ähnliche Accounts: @helge (Helge Fahrnberger), @AnChVIE / (Andreas Christian), @georgholzer (Georg Holzer), @franzjoseph (Franz Joseph Moped), @schaffertom (Tom Schaffer), @jonassier (Jonas Reis), @undsiebewegt (Chris Körbler)
»Der Goldene Hades I–V«, 2005, dreiteilige / zweifarbige Lithografie, 69,5 × 99 cm.
GOLDEN FRAME — Jonathan Meese
Unterwelt Es ist ein Sammelsurium historischer, mythologischer und kultureller Personen und Ereignisse, die letztendlich nur Mittel zum Zweck sind. Am Ende geht es nur um eins: um die »Diktatur der Kunst«. Wie etwa »Der Goldene Hades« von 2005 zeigt. Die Lithografie, ein Durcheinander aus roten und schwarzen Linien, lässt das Auge lange nach einer Personifikation des im Titel angekündigten Gottes der Unterwelt suchen. Wie auch nach Spuren von Gold. Vielmehr gleicht die scheinbare Wahllosigkeit einer kindlichen Vorstellung des Reichs der Toten. Und doch, nach Meese, handelt es sich um Hades’ Bildnis in seiner präzisesten Form. »Gesudet«, wie es in einer der vielen Wortschöpfungen des Künstlers heißt, in seine Grundteile destilliert. Das Werk spricht für die Grundgeste des Meese’schen Schaffens, das er der Utopie einer »Diktatur der Kunst« gewidmet hat: der Reduktion auf die elementarsten Formen. Künstlerisch-technischer Fortschritt ist da nur eine Hürde zum Kern der Dinge, dem Durchdringen des Lebens durch die Kunst. Meese steht in dieser Hinsicht in den Fußstapfen der Dadaisten und deren »Gestammel von Irren und Kindern« als einziger Weg zur Wahrheit. Es geht in »Der goldene Hades« also nicht vordergründig um eine Darstellung der mythologischen Figur. Wie weitere Persönlichkeiten der grafischen Serie von Meese, in der sich Hitler und Stalin neben Gott und Mona Lisa reihen, zeigt der Künstler »das Anlitz des Raubtiers«. Hier hebt sich auch der scheinbare Widerspruch zwischen dem Personenkult Meeses, seiner unaufhörlichen Selbstidentifikation in seinen Werken und seiner Postulierung, eine »Ameise« der Kunst zu sein, auf: Im schnellen, direkten Schaffensprozess, geprägt von Körpereinsatz. Der Künstler ergibt sich quasi der Kunst. Und gibt sich für die Gesellschaft als Stellvertreter für die Aushandlung der Wahrheit her. Einer muss es ja machen. Um die Ecke denken ist nicht erwünscht. Und die Diktatur der Kunst? In den Worten des Künstlers bedeutet das: »Jeder bekommt das Geilste«. In einer Demokratie müsse sich schließlich jeder mit Scheiße zufrieden geben, mit Mittelmaß. Meeses Anspruch ist dagegen, das Beste für alle rauszuholen. Dabei gleicht seine Theorie der »Totale der Kunst« passenderweise auch einer utopischen Unterwelt, wie Hades sie regiert. Sein Werk „Der goldene Hades“ ist unzugänglich, hart, radikal. Es ist Versinnbildlichung eines Kunstverständnisses, das nur in seiner unmittelbaren Form zu Tage tritt. »Jonathan Meese. Totalste Grafik« ist bis 27. Mai in der Akademie der Bildenden Künste zu sehen.
Text franziska wildförster bild Rosi Radecke, Hannover; © VBK, Wien 2012
»Geil« soll Kunst sein, »hart und klar«. Jonathan Meese zeigt die Ergebnisse seiner Anforderungen in einer seit 2003 entstandenen Serie grafischer Werke.
Parov Stelar — Electro-Swing auf der Überholspur
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Parov Stelar hat sich für das neue Doppelalbum Zeit gelassen. Inzwischen wachsen die Fanscharen unaufhaltsam. »The Princess« wird das nicht ändern. Parov Stelar ist ein Phänomen, Ausnahmekünstler und Aushängeschild. Als Marcus Füreder Anfang der Nullerjahre mit dem Projekt Parov Stelar und seinem Label Etage Noir anfing, konnte sich wohl keiner der Beteiligten die weitreichenden Folgen ausmalen. Die Liste der Erfolge liest sich zehn Jahre später beeindruckend: auf angeblich über 700 Compilations wurden Tracks von ihm lizenziert, ebenso wie für zahlreiche Werbe-Spots (Chrysler, Hofer, Fischer Bier, Cosmopolitan Hotel in Las Vegas etc.) und kein anderer Act aus Österreich kann einen derart dichten internationalen Tourplan vorweisen. Da wird er schon einmal als gleichrangig mit Acts wie Snow Patrol, The Flaming Lips, Digitalism oder Animal Collective geführt. Ablesen lässt sich die Beliebtheit von Parov Stelar aber auch an rohen Zahlen im Internet: Als wir uns vor weniger als einem Jahr (The Gap 118), österreichische Bands auf Last.fm und Facebook im Detail angesehen haben, führte Parov Stelar alle Kategorien eindeutig an. In der kurzen Zeit kamen jetzt noch einmal 90.000 Fans auf Facebook und 3.000.000 Plays auf Last.fm dazu. Zum Vergleich: vielfach gelobte Bands wie Elektro Guzzi oder Kreisky kommen auf 33.000
bzw. 74.000 Plays insgesamt. Irgendetwas dürfte also passiert sein, und sei es nur die Folge langjähriger, konsequenter Arbeit. Der Artist Parov Stelar, das dazugehörige Label, sowie das Sublabel Etage Noir Special werden allesamt von Linz aus gemanagt, zum Teil von Füreder selbst bzw. einer kleinen, überschaubaren, aber umso effizienteren Mannschaft. Dabei entstand über die Jahre ein ganz eigener Sound zwischen House und Jazz, zwischen Gypsy und Swing. Auf Wikipedia verfestigte sich der Stil als Electro-Swing. Nun erscheint mit »The Princess« ein neues Album, wie schon das 2009er Album »Coco«, ein Doppelalbum. Zwischen Melancholie und 20er / 30er Jahre Swing-Chic bewegt sich Parov Stelar gekonnt auf bekanntem Boden. Die Songs sind wieder voll von dramatischen Akkordfolgen, soulig-gospeligen Vocals, gefühligen Pianos, zarten Streichern, rauen Bläsern und elektrischen Bässen. Man kann beide Teile des Albums durchhören als wäre nichts gewesen, wie ein zartes Nichts, wie Tracks von Moby oder Air, wie ein gutes Essen. Für die Musik von Parov Stelar stirbt man nicht, eher lebt man besser mit ihr.
Text Stefan Niederwieser, Kevin Reiterer interview kevin reiterer Bild Gerd Schneider
Auf deinem neuen Doppel-Album ist die erste CD souliger und streckenweise nachdenklicher. Es sind fast ausschließlich jazzige Nummern wie in deiner Anfangsphase, weniger Swing-Tracks. Es sind bisher nicht alle meine Alben, die auf CD erschienen sind, in diesem Electro-Swing-Kleid gestrickt gewesen. Ich glaube, ein Künstler kann immer nur seine eigene Gemütsverfassung widerspiegeln und vielleicht nicht die ganze Welt. Das wäre ja bloß ein Versuch, etwas abzubilden, was man selbst nicht ist. Ich mach’s so, wie ich mich fühle, so versuch ich zu produzieren und das kommt raus. Ich würde nicht sagen, dass es mir schlecht geht, aber ich habe momentan eine positive Melancholie in mir, nicht depressiv, aber es geht definitiv ein bisschen tiefer rein – genau das ist mir wichtig. CD 2 ist mit einigen Tracks vergangener EPs dafür wieder gekonnte Electro-Swing-Kost. Hast du »The Princess« in den eigenen vier Wänden geschrieben? Prinzipiell habe ich mir von Anfang an mehr Zeit genommen als bei den Vorgängeralben. Also es waren fast drei Jahre dazwischen, was für mich eigentlich sehr lang ist, weil ich wahnsinnig viel Zeit im Studio verbringe. Und ich wollte einfach auch verschiedene Phasen meines Lebens einfangen. Wenn du dir für ein Album ein halbes Jahr Zeit nimmst, ist das eine kurze Phase deines Lebens. Ich habe bewusst diese längere Zeitspanne gewählt. Und der Entstehungsprozess ist eigentlich wie immer gewesen. Wenn ich Lust hatte, war ich im Studio und habe produziert wie ein Wilder. Im Unterschied zu den Vorgängeralben habe ich aber die Band, also meine Instrumentalisten, viel mehr eingebaut. Es ist sogar ein Song komplett auf Tour entstanden. »Millas Dream« haben wir im Tourbus geschrieben und in den Backstage-Räumen aufgenommen. Es gibt auch diesmal wieder unzählige Kollaborationen. Gibt es jemand, mit dem du unbedingt noch zusammenarbeiten möchtest? Mein persönlicher Traum wäre gewesen, nachdem ich ihre Karriere von Anfang an verfolgt habe, mit Amy Winehouse zu arbeiten. Sie war für mich eine außergewöhnliche Künstlerin, abseits ihrer persönlichen Eskapaden, und das wäre echt der Hammer gewesen. Wir hätten heuer eine Show gemeinsam gehabt, da hätte ich die Bühne mit ihr teilen dürfen, dazu ist es aber nicht mehr gekommen. Auf Last.fm wurden über 14,5 Mio. Tracks von dir gescrobbelt und Parov Stelar ist somit der erfolgreichste österreichische Artist auf Last.fm. Erfüllt einen das mit Stolz oder bekommt man das bei so einem dichten Zeitplan zwischen Studio, Promo und Gigs sowieso nicht mehr mit? Da muss ich kurz in mich hineinhören, weil ich es bis vor 30 Sekunden nicht gewusst habe (atmet kurz durch). Natürlich hat jeder Musiker das Bedürfnis, irgendetwas von sich zu veröffentlichen, rauszugeben und das ist meistens etwas sehr Persönliches. Wenn du dann natürlich so viele Menschen findest oder so viele Menschen dich finden, die das dann auch
noch cool finden, erfüllt einen das mit Stolz und auch mit Freude, ganz klar. Auf so etwas arbeitet man natürlich auch hin und sagt sich: »Meine Arbeit wird gehört«. Das ist das Schönste, das es gibt. Im Endeffekt muss ich jetzt 14 Millionen Mal »Danke« sagen. Auch auf Facebook hast du über 290.000 Fans, welchen Stellenwert gibst du dem Social Media-Paket generell? Ich glaube, gerade in unserem Bereich, im IndependentBereich, ist das ein ganz mächtiges und auch sehr wichtiges Werkzeug. Vor allem erreicht man punktgenau seine Fans, weil es wird ja keiner einfach Fan, weil er sich zufällig irgendwo eingetragen hat, die gehen dann ohnehin wieder weg. Im Endeffekt sind das direkt die Leute, die deinen Style, deine Arbeit und deine Musik schätzen und mit einem Mausklick bist du sofort bei denen. Ich finde es eigentlich eine sehr ehrliche und sehr wichtige Geschichte. Facebook funktioniert dann, wenn dein Produkt oder das was du machst, funktioniert. Also sowohl für das Label, als auch für den Künstler? Für beide ist es enorm wichtig. Wahrscheinlich für den Künstler noch um einiges wichtiger als für das Label selbst. Das Label ist breit gefächert, da gibt’s verschiedene Einflüsse und verschiedene Bands, aber der Künstler hat direkt seine Fans auf der Leitung. Stört es dich manchmal, dass in Österreich nicht so viel zurückkommt wie an anderen Orten? Ich sag wie es ist, vor fünf Jahren hat es mich wahnsinnig aufgeregt, anfangs habe ich es als irrsinnig komisch und schwierig empfunden. Es ist schon einmal schwer, als österreichischer Künstler international zu bestehen, aber als Linzer und »NichtWiener« in Österreich zu bestehen, ist mindestens genauso schwer. Mit der Zeit lernt man damit umzugehen und wird auch gelassener, was dieses Thema anbelangt. »The Princess« von Parov Stelar erscheint am 20. April via Etage Noir. Am 31. März spielt Parov Stelar in Innsbruck, am 2. Juni in Linz, am 18. August beim Frequency Festival in St. Pölten.
kindness — Retromania-Disco
Manipulativer Rückzug 030
Kindness dreht einer synthetisierten Popwelt den Rücken zu und montiert mit naivem Selbstverständnis und gekonnter Zurückhaltung Retrosounds und Kitsch zu selbstverlorenen Disco-Balladen.
Text Stefan Niederwieser Bild Cooperative Music
Das Cover seines neuen Albums ziert der junge Brite Adam Bainbridge selbst. Mit langem, wallendem Glänzehaar und einem in sich gekehrten Blick ruft er Assoziationen hervor, die zwischen Hippie und Hipster, zwischen Mannequin und Manierismus schwelgen. Künstlerisch und inszeniert wirkt das, obwohl er Inszenierungen doch angeblich ablehnt. Nichts sollte doch gekünstelt wirken, das Augenmerk nicht am Künstler liegen, sondern auf der Musik allein. Kindness versteht sich darauf, mit Widersprüchen zu spielen und innerhalb seiner Musik zu verschwinden. Er fordert mit seinem Albumtitel eine gedankliche Umwälzung.
Anyone Can Fall In Love … With This Die Songs auf »World, You Need A Change Of Mind« glänzen demnach vor beflügeltem Understatement und übertriebener Andersartigkeit zugleich, leben von Gegensätzen und deren Anziehung und orientieren sich musikalisch merklich am außerordentlichen PopProdukt Prince, an Helden der 80er und 90er, wollen aber keinesfalls darauf reduziert werden. Die Songs verweben sexy Gitarrensounds und funkige Bässe, Retro-Drums und wabernde Gitarren mit souligem Gesang und fühlen sich auch, wie etwa »Bombastic«, in jazzigen Territorien wohl. Trotzdem klingt Kindness nicht, als ob er Altem hinterherlaufen würde. Ganz im Gegenteil: Das entstehende Konglomerat aus dezidiertem R’n’B und Funk speist sich aus einem tiefgreifendem Popverständnis, das seinem Sound zu neuartigen Wendungen verhilft und das Hörverständnis manipuliert. Einmal mehr: Retromania, aber wie schon bei Destroyer, Ariel Pink oder Oneohtrix Point Never … im sehr, sehr Guten. Um sein musikalisches Konzept zu verwirkli-
chen sucht Adam, der zurzeit in Berlin lebt, nach einem Co-Produzenten, der auf keinen Fall britisch klingen soll. Mit Cassius Philippe Zdar, der bereits mit Phoenix, The Rapture, aber auch Kanye West und den Beastie Boys zusammengearbeitet hat, wird er fündig. Die Songs erhalten einen Touch von Disco, geraten in das weite Umfeld von Hercules And Love Affair. Alles fließt und wird zum entspannten Dancefloor gepeitscht, musikalische Referenzen werden zerstückelt, zerlegt und montageartig zusammengeführt. Herausstechend sind dabei zwei Coverversionen, die mit ihrer Umsichtigkeit und einem grandiosen Selbstverständnis verzaubern. Einerseits »Anyone Can Fall In Love«, ursprünglich von Anita Dobson – ein eher belangloser Song im Original –, der zu einer Oldschool R’n’B-Nummer umgebaut wird und klingt, also ob er nie etwas anderes gewesen wäre. Andererseits »Swingin’ Party«, ein Replacements-Cover, das bereits 2009 als Single auf Moshi Moshi erschienen ist. Kindness zerlegt den Song zunächst bis zur Unkenntlichkeit und reduziert ihn auf das Wesentliche, um einen sich ständig wiederholenden Beat, zarte Melodien und diffuse, mehrstimmige Vocals zu platzieren, denen man sich schwer entziehen kann. Stimmlich kommt er zwar an seine Vorbilder nicht heran, doch löst sich aufgrund von berauschenden Harmoniefolgen, wunderbar durchdringenden wie zurückhaltenden Synthlines dieses Problem im Nichts auf. Man könnte Kindness sogar Kitsch vorwerfen, so sehr lösen sich die Stimmungen in erschöpftes Wohlgefallen auf, doch entschlüsseln die Songs genau durch diese Qualität das Geheimnis des großen Pop. »World, You Need A Change Of Mind« von Kindness erscheint am 20. April via Female Energy / Cooperative Music.
Der Crashkurs für Kreative mit Unternehmergeist Bei dem fünftägigen Weiterbildungsprogramm für Gründerinnen und Jungunternehmer der Kreativwirtschaft aus den Bereichen Mode, Design, Musik, Multimedia und Architektur werden wirtschaftliches Basiswissen sowie Erfahrungsberichte und Branchenwissen vermittelt. U.a. mit Ines Kaag & Desiree Heiss / BLESS, Christoph Ellinghaus / City Slang, Dieter Rappol / knallgrau, Ernst J. Fuchs / the nextEnterprise und Michael Tropper / Forpeople.
Termin Wien: Fr – So, 20. – 22. April 2012 Fr & Sa, 27. & 28. April 2012 Kosten: € 144 bzw. € 100 mit StandardAbovorteil (inkl. MwSt.) Infos, Vortragende & Anmeldung (bis 12. 4. 2012): www.we-workshops.at Ein Weiterbildungsinitiative von:
Kampf um freiräume seit den 70ern
www.wienmuseum.at
Š Robert Newald Photographie
12.4. bis 12.8.2012
Atari Teenage Riot — Alles andere als ein Nine-to-five-Job
»Rund um die Uhr!«
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Passenderweise feiert Alec Empire, das verbliebene Originalmitglied der 1992 in Berlin gegründeten und im Jahr 2000 vorrübergehend aufgelösten, bahnbrechenden Electro-Punk-Band wenige Tage nach dem Konzert in Wien selbst Geburtstag, seinen vierzigsten. Ein nahendes rundes Jubiläum, das dem freitags kurz nach 18 Uhr das Telefon in seinem Studio abhebenden Alec Empire herzlich egal ist: »Solange ich das Back-up von meinem Atari habe«, scherzt Empire, der sich generell als aufgeräumter, animierter Gesprächspartner erweist. Für März geplante Liveshows der Band in Südamerika mussten wegen einer Erkrankung Nic Endos, seit 1997 bei Atari Teenage Riot, verschoben werden. »Ich mag es, im Moment zu handeln«, erklärte der als Alexander Wilke-Steinhof geborene Empire in einem Interview rund um den Auftritt seiner Band beim Donaufestival 2010. Entsprechend werden statt der Konzerte jetzt Interviews gegeben.
Kontroverse Statements, später Triumph Zu besprechen gibt es einiges: Der englische MC Rowdy Superstar ist neues Bandmitglied, ein Livealbum aus Japan, wo Atari Teenage Riot keine kleine Nummer sind, ist eben erst erschienen und eine Reihe von Remixes zur Single »Collapse Of History« ist seit Kurzem auch erhältlich. Und nicht zuletzt die brisante Geschichte, dass der Entertainment-Riese Sony den Atari-Teenage-Riot-Song »Black Flags« in der Werbung für seine PS Vita einsetzt. Das Geld, das die Band dafür erhält, spendet Empire – immer schon ein dezidiert politischer Künstler mit Hang zu deutlichen und kontroversen Statements – an FreeAnons.org, die wiederum Anonymous-Aktivisten mit Spenden unterstützen, wenn diese mit Mahn- und Gerichtskosten konfrontiert sind. Besonderer Clou der Angelegenheit: FreeAnons.org hilft aktuell einem Hacker, der sich mit einer Klage von Sony konfrontiert sieht.
Alec Empire selbst hat mit dem Multi Ende der 90er Jahre einen Kranz ausgefochten. »Wenn du jemals probiert hast, gegen so eine Organisation in einem anderen Land bei Gericht vorzugehen … dann willst du lieber andere Dinge mit dieser Zeit und diesem Geld tun«, fasst der wehrhafte Künstler in einem Blog-Post die bittere Erfahrung von damals zusammen. Mit »Black Flags« wandelt sie sich doch noch in einen Triumph. Auf die Frage, ob er die kreative Arbeit an und für Atari Teenage Riot als unglamourösen, disziplinierten Nine-to-five-Job anlegt, lacht Empire herzlich: »Nine to five? Rund um die Uhr! Sonst geht das nicht. Das haben Menschen außerhalb der Band schon reklamiert.« Für das neue, noch titellose Studioalbum fand die Versenkung in Musik- und Soundarbeit hauptsächlich schon letzten Winter statt. Ausschlaggebend für ein neues Album sei das Finden jener Dinge, über die gesungen werden soll, Beats, Sounds, Stücke kämen danach. Klar sei, dass sich das Album vom Vorgänger »Is This Hyperreal?« unterscheiden werde, so Empire. Ansonsten hält er sich nobel bedeckt, was Themen oder Songtitel anbelangt, avisiert wieder »mehr Programmierfrickelei« und schließt nicht aus, dass es in Wien einige der neuen Stücke zu hören gibt. Generell sind ihm Liveshows ein ganz anderes Biest als die Studioarbeit, dabei ist es durch Rowdy Superstar »mit dessen englischer Sensibilität und seinem Zugang zu HipHop und elektronischer Musik« legitim, mit und von Atari Teenage Riot Neues zu erwarten. Wobei die physische Energie des Aufeinandertreffens von Publikum, Band und Musik sicher eine ungebrochen große Rolle spielen wird. Befürchtungen, dass er diese Energie nicht mehr aufbringen kann, hat Alec Empire jedenfalls keine: »Frag mich das in fünf Jahren nochmal.« Atari Teenage Riot sind im Rahmen der The Gap-Geburtstagsfeier am 30. April im Wiener WUK live zu sehen.
Text Rainer Krispel Bild daniel sims
Nach den Aufnahmen für ein neues Studioalbum und mit dem soeben veröffentlichten Konzertmitschnitt »Riot In Tokyo« im Gepäck spielen Atari Teenage Riot zum 15. Geburtstag von The Gap wieder live in Wien.
Crossing Europe / AniDocs — Animationsfilme erweitern den Horizont des Dokumentarischen
Das Reale in der Fantasie 034
Text Dominique Gromes Bild crossing europe
Animation hat den Dokumentarfilm von der Bürde befreit, eine vermeintlich objektive Abbildung der Wirklichkeit sein zu müssen. Eine aktuelle Auswahl der fantasievollen, eigenwilligen und subjektiven Blickwinkel der »AniDocs« wird Ende April beim Crossing Europe Filmfestival in Linz zu sehen sein. »Waltz With Bashir« gilt nach wie vor als jener Film, der dem Genre des animierten Dokumentarfilms in voller Kinolänge 2008 die Initialzündung gegeben hat. Dabei hatte Regisseur Ari Folman ursprünglich gar nichts anderes getan, als aus seiner Not eine Tugend zu machen. Er setzte der Amnesie, die er als israelischer Soldat während der Massaker im Libanon erlitten hat, die gezeichnete Fantasie entgegen, unterstützt von realen AudioInterviews mit ehemaligen Kameraden. Daraus entwickelte sich inzwischen eine gängige Genre-Definition des AniDoc – real erzählte Fakten auf der Tonspur werden mit dem subjektiven Blick des Autors auf der visuellen Ebene verbunden. Dabei geht dieses Konzept bis mindestens in die 80er Jahre zurück. Paul Fierlinger machte etwa aus Radio-Interviews zu persönlichen Themen wie Drogenmissbrauch oder Einsamkeit animierte Kurzfilme, um dem individuellen Erleben ein allgemein verständliches Gesicht zu geben. Übrigens hat Paul Fierlinger nur knapp den Titel »Erster Animationsfilm in Kinolänge« verpasst. Für seine Autobiografie »Drawn From Memory« (1995), die von seiner Kindheit als Sohn eines tschechoslowakischen Diplomaten in Japan während des Zweiten Weltkriegs erzählt, hat es nur zur einstündigen TV-Produktion gereicht.
Crulic, der unscheinbare Held Zwei Filme, die beide das politische Leben im Iran thematisieren – »Persepolis« (2008) und »The Green Wave« (2010) – waren ebenfalls beachtenswerte Kinoerfolge. Aktuell ist es die rumänisch-polnische
Koproduktion »Crulic«, die internationale Preise abräumt und die auch beim Crossing Europe Filmfestival zu sehen sein wird. Hier geht es um das Leben des 33-jährigen Claudiu Crulic, der als unscheinbarer rumänischer Gastarbeiter in Polen tätig war und von dessen erschütterndem Schicksal ohne den Film von Anca Damian wohl nie jemand erfahren hätte. Denn der Fall sollte nie publik gemacht werden. Ereignet hat sich das Ganze im Jahr 2008, als einem der obersten Richter Polens die Geldtasche gestohlen und 500 Euro von seiner Kreditkarte abgehoben wurden. Claudiu Crulic wird als Verdächtiger festgenommen, verhört und inhaftiert. Dass er sich zum Zeitpunkt der Tat gar nicht in Polen, sondern auf Urlaub in Italien aufgehalten hat, und dies auch belegen kann, findet vor Gericht keine Beachtung. Der unschuldig inhaftierte Mann tritt daraufhin in einen Hungerstreik, an dem er vier qualvolle Monate später stirbt. »Ich habe mich für Animation entschieden, weil ich so die Geschichte auf die bestmögliche Art erzählen konnte«, erklärt die Regisseurin Anca Damian. »Ein Reenactment mit einem Schauspieler und das bloße Auflisten der Fakten wären nie so glaubhaft gewesen.« Damian arbeitet mit einem Mix aus unterschiedlichen Techniken. Sie kombiniert Zeichnungen von Hand aus zerfließenden Wasserfarben mit Collagen von realen Photos sowie Stop-Motion-Sequenzen mit echten Gegenständen aus Crulics Leben. Der private Besitz, die letzten verbleibenden Erinnerungen an eine Existenz, erzählen hier ihre Geschichte. Die Menschen, die Crulic im Verlauf seines viermonatigen Kampfs um Recht und Gehör brutal im Stich gelassen haben, bleiben schemenhaft.
Crulic – The Path To Beyond
1989 – Als ich 5 Jahre alt war
»Ein Hungerstreik erfordert viel Courage und Selbstdisziplin. Dein Körper stirbt, lange bevor du selbst stirbst. Und dabei kannst du über deinen eigenen Tod nachdenken«, erklärt die Regisseurin ihre Beweggründe, diesen Film zu machen. »Und ich wollte herausfinden, wie Menschen im 21. Jahrhundert aktiv dabei zusehen können, wie jemand diesen langsamen Tod auf sich nimmt, ohne etwas zu tun, um es zu verhindern.« Gerade wegen der Gewichtigkeit der Geschehnisse rund um diesen Justizskandal hat sich die Regisseurin für eine Leichtigkeit in der Erzählform entschieden. Sie lässt die Hauptfigur selbst aus dem Off – im wahrsten Sinne des Wortes – nämlich aus dem Jenseits, mit viel Humor und Distanz den Verlauf der Geschichte schildern. Basierend auf Gerichtsakten und persönlichen Gesprächen mit Familie und Freunden Crulics hat die Regisseurin so ein interessantes Spannungsfeld zwischen dokumentarischer Beweissammlung und eigenwilliger visueller Interpretation geschaffen. Dasselbe Spannungsfeld zeigt sich auch bei den zahlreichen Kurzfilmen, die in einer abwechslungsreich kuratierten AniDoc-Schau beim Crossing Europe Filmfestival zu sehen sein werden. »Leonid’s Story« etwa versucht, jene surrealen Emotionen festzuhalten, die selbst 25 Jahre nach der realen Katastrophe von Tschernobyl den Alltag der ehemaligen Anrainer prägen. Mit Hilfe von Zeichnungen, Fotocollagen und Realfilm wird versucht, das Unbeschreibliche in Bilder zu fassen. In eigenen Worten und mit dem eigenen Zeichenstift beschreibt der Schweizer Cartoonist Patrick Chappatte in »Death In The Field« die Eindrücke seiner Libanon-Reise im Jahr 2009, zweieinhalb Jahre nach dem Krieg mit Israel. In einfachen, schwarz-weißen Bildern erzählt er von Bauern, die ihre Felder nicht mehr bestellen können und von Kindern, die beim Spielen im Wald umkommen, weil das Land von nicht detonierter Streumunition verseucht ist. In kurzen Porträts hält Chappatte die Gesichter und Geschichten von Menschen fest, die vielleicht morgen schon nicht mehr am Leben sein werden.
Arrugas
grund, denen es nur schemenhaft gelingt, zu Straßenzügen und Menschen zu werden, erzählt Marie-Margaux Tsakiri-Scanatovits in »My Mother’s Coat« vom Leben ihrer Mutter im post-diktatorischen Athen. Eine Suche nach eigener Identität in einem fremden Land mit einer unverständlichen Mentalität. Ähnlich verwaschen sind die Erinnerungen in »1989 – Als ich 5 Jahre alt war« von Thor Ochsner. Die letzte Autofahrt mit seinem Vater, die in dessen Unfalltod endet, ist für den Filmemacher nach wie vor ein schwarzes Loch, in das er kaum einzudringen vermag. Wie hauchdünn die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktion ist, zeigt ein weiterer Langfilm im Rahmen des Crossing Europe Festival. Der spanische Beitrag »Arrugas« (»Falten«) war im letzten Jahr für den Oscar nominiert und erzählt in klassischer 2D-Animation vom Leben der Bewohner eines Altersheims. Der Film basiert auf dem gleichnamigen und ebenfalls preisgekrönten Comic von Paco Roca, der aus realen Erlebnissen und Erfahrungen heraus diese fiktiven Episoden rund um eine Gruppe mehr oder weniger betagter Männer und Frauen erzählt. »Arrugas« kommt auf den ersten Blick wie ein Trickfilm aus dem Kinderfernsehen daher, und wird trotzdem oder gerade deshalb ausdrücklich als »Film für ein erwachsenes Publikum« beworben. Die Schwierigkeiten und Nöte von Menschen mit Alzheimer werden durch die anekdotische Erzählweise zwar auf unterhaltsame Weise präsentiert, jedoch verliert der Film die Schwere des Themas nie aus den Augen. Am eindringlichsten ist das, wenn sich die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Tagtraum bei den Figuren aufzulösen beginnen. In Augenblicken, in denen die Alzheimer-Patienten in ihren Fantasiewelten verloren bleiben, wird der Zuschauer umso härter in die Realität zurück geworfen. Authentizität musste er also nicht einbüßen, der Dokumentarfilm mit dem subjektiven Weltbild. Viel mehr hat der AniDoc den Horizont erweitert, wenn es darum geht, wie weit man sich von der Realität entfernen darf, um unverfälscht von ihr berichten zu können.
Filme für Erwachsene Auch private Geschichten von Verlust und Erinnerung sind es, die im AniDoc-Genre ihre Ausdrucksformen finden. Zeichenstift oder Computergrafik bringen die lückenhaften Bilder im Kopf auf die Leinwand. Mit zaghaften, schwarzen Linien auf weißem Unter-
»It’s animated!« lautet das Motto von 24. bis 29. April beim Crossing Europe Filmfestival in Linz. Neben AniDocs werden auch zahlreiche Animationsfilme aus der Sparte Fiktion zu sehen sein. Mehr unter www.crossingeurope.at
iron sky — Die Nazis vom Mond können ihr Versprechen nicht halten
Falsche Versprechen hinterm Mond 036 »Iron Sky« ist ein finnischer Science-Fiction-Film über deutsche Nazis, die sich hinter dem Mond verstecken. Mittels Crowdfunding konnten sich Fans an Drehbuch und Finanzierung beteiligen. Doch was nach innovativer Satire klingt, bleibt filmisch auf halbem Weg stecken. Ähnlich wie bei den meisten Naziploitations ist der Plot von »Iron Sky« schnell erzählt: Als im Jahr 2018 zwei US-Astronauten die dunkle Seite des Mondes erforschen, entdecken sie das Unfassbare: Nazis. Auf dem Mond bereiten sich die Nationalsozialisten heimlich auf den großen Schlag gegen die Erde vor. Über einige Umwege der eigenwilligen Story und dank einer machtbesessenen US-Präsidentin gelingt der Angriff auf die Erde. Die Geheimwaffe »Götterdämmerung« wird aktiviert. Aber auch die Vereinten Nationen warten mit einer Überraschung auf. Schließlich kommt es zum opulenten Showdown mit dem personifizierten Bösen aus Deutschland.
Text Lena Nitsch Bild Einhorn Film
Partizipatives Kino Aufmerksamkeit erregt »Iron Sky« aber nicht nur als schräge NaziScience-Fiction, sondern auch durch seine Planung und Finanzierung. Das Besondere daran: die Fans der Filmemacher wurden bei der jahrelangen Umsetzung des Films maßgeblich miteinbezogen. So gab es Foren, in denen Filmbegeisterte ihre Vorschläge zu Szenerien, Dialogen oder Figuren direkt mit dem Regisseur Timo Vuorensola diskutieren konnten. Außerdem war es möglich, sich durch Crowdfunding finanziell am Kinoprojekt zu beteiligen. Zehn Prozent des 7,5 Mio. Euro-Budgets wurden so bereitgestellt. Mittlerweile ist Crowdfunding zur gängigen Praxis einer alternativen Filmindustrie geworden. So geschehen etwa bei dem Experimentalfilm »The Age of Stupid« (2007) oder auch bei der bisher erfolgreichsten Produktion »Blue Like Jazz« (2012): Diese bekam durch Crowd-Funding beinahe das Dreifache des benötigten Budgets in die Kasse. Mit Filmen wie »They Saved Hitler’s Brain« (1969), »Fräulein Devil« (1977) oder, dem bekanntesten dieser Art, »Ilsa, She-Wolf Of The SS« (1974), wurden in der Exploitation-Ära der 60er und 70er große Erfolge gefeiert. Aberwitzige Wendungen und überhöhte Stilisierungen der
nationalsozialistischen Figuren, was Uniformen oder Umgangsweisen betrifft, sind dabei charakteristisch. Im Mittelpunkt stehen meist dominante Frauen in SS-Uniform, die Männer erniedrigen und vergewaltigen. Eine Hommage an dieses zum Kult gewordene Sub-Genre lieferte auch Quentin Tarantino mit seinem Fake-Movie »Werewolf Women Of The SS« (2007) unter der Regie von Rob Zombie.
Abgenutzte Klischees und enttäuschte Erwartungen Doch während »Iron Sky« mit einer vergleichbar unkonventionellen Weltraumidee startet, mangelt es dem Film in der Umsetzung seines abgedrehten und kreativen Potenzials. Mit lediglich einfallslosen Mechanismen sollen Nazi-Assoziationen bedient werden. Doch wenn beispielsweise ein stramm stehender Götz Otto von der perfekten genetischen weil arischen Zusammengehörigkeit zwischen ihm und seiner Verlobten spricht, ist das humoristisch noch nichts Neues. Ebenso wenig wie die Verwendung von typisch deutschen Wörtern wie »Sauerkraut« oder die durchwegs dröhnende, martialische Musik der Gruppe Laibach. Die Vorhersehbarkeit der Handlung und die undifferenzierten Charaktere lassen zahlreichen Szenen nur platt erscheinen. In Summe enttäuscht »Iron Sky« die großen Erwartungen, die seine Fans und Investoren in ihn setzten. Was am Ende bleibt, sind aufwendige Special Effects und abgenutzte Nazi-Klischees. Originelle Exploitation braucht auch 2012 mehr als eine abenteuerliche Idee. Es bleibt zu hoffen, dass das vielversprechende CrowdfundingKonzept in Zukunft auf konsequentere Realisierungen trifft. Besonders, wenn es sich um etwas so Vielversprechendes wie Killer-Nazis vom Mond handelt.
»Iron Sky« ist ab 5. April in den österreichischen Kinos zu sehen (via Einhorn Film). www.ironsky.net bietet allerlei Trivia und Background.
»Mass Effect 3« — Der finale Höhepunkt der epischen Action-Rollenspiel-Trilogie
Die willkommene Last, das Universum zu retten 037 Effektvolles Entsetzen. Gleich zu Beginn setzt »Mass Effect 3« narrative Tiefschläge und zeigt gleichzeitig seine herausragende Perfektion in Sachen Präsentation und Inszenierung: Die aus den Vorgängern bekannten Reaper, eine außerirdische MaschinenIntelligenz, die alle 50.000 Jahre jedes organische Leben im gesamten Kosmos auslöschen, greifen die Erde an. Commander Shepard wird reaktiviert und muss etwa mitansehen, wie ein kleiner Junge stirbt. Gemeinsam mit einem Vorgesetzten erreicht er während des Angriffs über die Außenmauern verschiedener Gebäude einen kleinen Auftrag, um dann mit seinem Schiff, der Normandy, zur Citadel aufzubrechen, dem Sitz des intergalaktischen Rats. Dieser steuert auch diesmal keine Hilfe bei, betraut Shepard stattdessen mit der Lösung des Problems: die Rettung der Menschheit und aller Wesen im Universum. Diese nicht gerade kleine Aufgabe lastet auf seinen Schultern, und wie eigentlich keiner anderen Spielserie gelingt es »Mass Effect«, dem Spieler diese schwere Last zu vermitteln. Oft sind bloß kleine Siege zu erringen und unscheinbare Aufträge zu meistern – dennoch ist die Größe der Aufgabe jederzeit präsent und hebt das Erlebnis »Mass Effect 3« weit über gewöhnliches Spielmaß hinaus. Nachdem sich Teil 2 auf Charaktere konzentrierte und eine zusammenhängende Story vermissen ließ, besitzt der dritte Teil des Sci-Fi-Epos nun wieder eine deutlich stärkere Narration.
Bietet viel, verlangt wenig Neben seiner eindrucksvollen Inszenierung konnte sich die »Mass Effect«-Reihe noch in einem anderen Punkt unterscheiden und so neben Spielern auch viele Nicht- und Gelegenheitsspieler ansprechen: Die Serie ist ein gelungener Hybrid zwischen Rollenspiel und Shooter. Zwar werden in beiden Disziplinen keine Meisterleistungen vollbracht, dafür ist das Ergebnis außergewöhnlich zugänglich, ohne Könner abzuschrecken: Es gibt Action, die relativ wenig Skills ver-
langt und Rollenspiel-Feeling (inklusive vieler moralischer Entscheidungen) ohne langwierige und komplexe Einarbeitungszeit. Eine Kombination, die viel bietet, aber wenig verlangt. Teil 3 setzt hier noch einen drauf: Wer keinen Charakter aus einem der Vorgänger importiert, darf zwischen den Spielvarianten Action (viel Kampf, wenig Rollenspiel), Story (weniger und leichtere Kämpfe) und RollenspielModus (klassisch »Mass Effect«) wählen. Die Schwächen der einzelnen Varianten legen die klassische Variante nahe, da etwa ShooterPuristen mit der eher ungenauen Action-Mechanik keine Freude haben werden. Das Gesamtprodukt hat Entwickler Bioware jedoch so poliert und fein abgestimmt, dass ein über weite Strecken homogenes Ganzes entstand. Das umfassende Gamer-Feedback seit Serienbeginn zeigt Wirkung: Teil 3 ist in mancher Hinsicht ein Best Of der beiden Vorgänger. Stärkere Rollenspielelemente (leicht erweitertes Talentsystem, Waffenmodifikationen und vielerlei andere Möglichkeiten, Einfluss auf das Spielgeschehen zu nehmen) stehen der seit Teil 2 bekannt flotten Action gegenüber. Alle berechtigten Kritikpunkte an Details (GegnerKI, Deckungsmechanik, repetitive Action, ...) werden nebensächlich, wenn das Spiel sein dramaturgisches und inszenatorisches Feuerwerk zündet. In solcher Intensität gab’s das bislang nicht. Schließlich ist das Bioware-typische Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren emotional berührend und die Illusion der Aufgabe, das gesamte Universum vor dem Untergang zu bewahren, nahezu perfekt inszeniert. Und mit Shepard (auf Wunsch auch Frau Shepard) wurde ein Held geschaffen, dem man gerne bis ins epische Finale folgt. Ein Ende, das polarisiert und die Community spaltet. Manche Details lösen andere besser, als Spielerlebnis zeigt »Mass Effect 3«, was 2012 in Videospielen möglich ist. »Mass Effect 3« (Bioware/Electronic Arts) ist bereits für PS3, Xbox 360 und PC erschienen.
Text stefan kluger Bild Ea
Die Erde brennt. Und das Schicksal der gesamten Menschheit lastet auf Commander Shepard. »Mass Effect 3« ist ein Spiele-Highlight, dass den Spieler die große Aufgabe das ganze Universum zu retten, angenehm erleben lässt .
»The Binding Of Isaac« — Ed McMillen erfüllt mit seinem neuen Indie-Game berüchtigte Erwartungen
Indie Bizarre
038
Totgeburten im Cartoon-Stil, monströse Vaginas oder blutige Fleischklumpen als Protagonisten – die GamesKreationen von Ed McMillen sind nichts für Zartbesaitete. Mit seinen erfolgreichen Provokationen beschwört der Liebling der Indie-Games-Szene den subversiven Geist der Underground Comix. Die deutsche USK und Nintendo waren sich Anfang dieses Jahres einig: »The Binding Of Isaac«, das jüngste Spiel des US-Amerikaners Ed McMillen, sollte lieber nicht in Kinderhände. Der Grund für die »Ab 16«-Einstufung der deutschen Prüfstelle und die Ablehnung des japanischen Games-Giganten, den Titel für das 3DS freizugeben, ist allerdings ungewöhnlich: Die »tendenziell blasphemische Botschaft« des Spiels könne religiöse Kinder unter 16 Jahren verletzen oder desorientieren. Eigentlich kein Wunder, denn es ist die ungebrochene Freude an der Provokation, am schlechten Geschmack, am Abgründigen und Subversiven, die das Indie-Games-Urgestein McMillen seit seinen Anfängen vor über zehn Jahren antreibt. McMillens Spiele sind für ihre bizarren Themen und den unverkennbaren Comic-Look zwischen Niedlichkeit und Ekel berühmt-berüchtigt. Dass der ursprünglich als Comic-Zeichner tätige McMillen als Schüler wegen bedenklich düsterer Kritzeleien eigenen Aussagen zufolge beim Schulpsychologen vorstellig werden musste, verwundert da nur wenig. Er reiht sich mit Stolz in die große Tradition der amerikanischen Underground-Comix ein, die seit den 60er Jahren ihr Hauptaugenmerk auf die Verstörung, die Lust am schlechten Geschmack und die Provokation des Mainstreams legen. Als Grafiker, Designer und Animateur ist McMillen für abgedrehte Konzepte und den unverwechselbaren Look zuständig, die Programmierung selbst ist meist in den Händen begabter Kollaborateure, unter anderem in jenen des Innsbruckers Florian Himsl.
Verstörende religiöse Traumwelt
Text Rainer Sigl Bild HeadUp Games
»The Binding of Isaac« (Xbox 360, Windows, Mac), jüngster medialer Aufreger, treibt tatsächlich ein seltsames Spiel mit der Bibel und handelt eigentlich von Kindesmissbrauch. In der Gestalt des nackten
Kindes Isaac ist der Spieler auf der Flucht vor seiner Mutter, die im religiösen Wahn ihr Kind zunächst einkerkert und es schließlich, inspiriert von christian broadcasts on the television, sogar Gott als Menschenopfer darbringen will – das Bibelzitat des Titels vermischt sich in einer kindlich-grotesken Fluchtfantasie mit schier Cronenberg’schem body horror. Der spielerisch höchst solide Twin-Stick-Shooter mit fast unendlichem Wiederspielwert zeigt uns eine Kellerwelt aus Fliegen, Scheißhaufen und grauenhaften Alptraummonstern, die mit bizarren Waffen und Power-ups – Drahtkleiderbügeln, Muttis BH, Satanspakten oder den totgeborenen Geschwistern – bekämpft werden. Die Aufgabe des Spielers ist es, Isaac immer tiefer unter die Erde zu führen, wo schließlich die Konfrontation mit der übermächtigen Mutter als Endgegner wartet. Psychologen hätten wohl ihre helle Freude an dieser Parabel, besorgten Sittenwächtern hingegen wird ob so viel Subversion nachvollziehbarerweise mulmig.
Independent-Games-Star
McMillen aber kann die USK-Einstufung und auch Nintendos 3DSAbsage momentan die gute Laune nicht verderben. Sowohl »The Binding Of Isaac« als auch das vorangegangene »Super Meat Boy« waren kommerzielle und kritische Erfolge nach langen wirtschaftlichen Durststrecken. Mit seiner Hauptrolle in der US-Doku »Indie Game – The Movie« avanciert der sympathische 32-jährige Bart- und TattooTräger außerdem zu einer zentralen Figur der in den letzten Jahren förmlich explodierenden Independent-Games-Szene. Fokus der viel beachteten Doku in Spielfilmlänge sind Porträts und Interviews mit Säulenheiligen der Independent-Games-Szene. Neben McMillen und seinem »Super Meat Boy«-Kollaborateur Tommy Refenes stehen Jonathan Blow (»Braid«) und Phil Fish (»Fez«) vor der Kamera. Nach der Premiere auf dem Sundance Film Festival im Januar zieht die von Games-Fans per Crowdfunding mitfinanzierte Doku im Moment
SUBOTRON pro games
Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen jeden Donnerstag im MuseumsQuartier | quartier21 | Raum D | 1070 Wien subotron.com/pro-games
Best of Ed McMillen Gish (Windows, Mac, Linux, 2004) Als zähflüssiger Teerklumpen durchstreift der Spieler Ed McMillens Erstling – 2005 ausgezeichnet mit einem Award des Independent Gaming Festival. Coil (Flash, 2008) Abstrakt und experimentell erzählt »Coil« von verschiede nen Zellteilungs- und Wachstumsprozessen – Innovation Award beim IGF 2009. Cunt (Flash, 2008) Als Comic-Penis in Arcade-Manier auf eine monströs in der Mitte thronende, finster dreinblickende Vagina ballern und sich vor Geschlechtskrankheiten in Acht nehmen – ein Klassiker postpubertärer Provokation. Aether (Flash, 2008) In McMillens nach eigenen Aussagen persönlichstem Spiel steuert man einen einsamen Jungen und sein OktopusMonster durch den Weltraum – Finalist beim Indiecade Festival 2009. Super Meat Boy (Xbox Live, Windows, Mac) Protagonist des hochgelobten, aber hammerharten Jump’n’Run mit millimetergenauen Sprungeinlagen ist ein rohes Stück Fleisch mit Kulleraugen, das bei seinen Sprün gen an Wänden und am Boden Blutspuren hinterlässt – ein Traumspiel für hartnäckige Masochisten mit Sinn für RetroHerausforderungen.
höchst erfolgreich von Festival zu Festival, Verleih und Start in Europa sind derzeit leider noch ungewiss. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Edmund McMillen produziert keine Art Games, wenn damit, wie im Fall von »Dear Esther«, Jason Rohrer oder Tale of Tales, die mehr oder weniger poetisch-abstrakte Umkreisung eines Themas im interaktiven Medium Games gemeint ist. »The Binding Of Isaac« ist genau wie alle anderen McMillen-Kreationen bei aller Möglichkeit zur Interpretation und bei allem Willen zur Provokation zuallererst ein Vollblut-Spiel (auch) für die Hardcore-Zielgruppe, mit Oberbossen, Geheimräumen, freispielbaren Gegenständen und einem erbarmungslosen Schwierigkeitsgrad. McMillens Spiele sind deswegen weitaus mehr als nur Provokationen. Auch und vor allem sind es handfeste Games mit oft klassischer Spielmechanik und beachtlichem Suchtpotenzial. Und genau das macht den Provokateur auch ganz abseits aller aufsehenerregenden Subversion zum Liebling und offiziellen Star der Indie-Games-Szene – zu Recht. »The Binding Of Issac« ist in Europa über HeadUp Games für PC und Mac erschienen. Auf komix-games.com, der Website von Florian Himsl, lassen sich manche von McMillens Spiele wie »Cunt« oder »Coil« spielen. McMillen selbst schreibt unregelmäßig unter edmundmcmillen.blogspot.com oder auch supermeatboy.com
Diese wöchentliche Veranstaltungsreihe hat zum Ziel, durch die Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Community die Weiterentwicklung und Etablierung der österreichischen GamesSzene zu unterstützen und zu begleiten. Im Raum D des quartier21 im Wiener MuseumsQuartier präsentieren SpieleentwicklerInnen die Geschäftsmodelle, Finanzierung, Projekte, Vermarktung und Vernetzung ihrer Firmen, Ausbildungsstätten geben Einblick in Voraussetzungen, Lehrpläne, Schwerpunkte und Ziele ihrer Lehrgänge, die verschiedenen Berufe in der Games-Branche werden erklärt und jeden letzten Donnerstag im Monat trifft sich die Games-Szene zum networking.
Do. 05.04.12 Spieleentwickler stellen sich vor: Mi´pu´mi Games GmbH: Mag. Gregor Eigner Do. 12.04.12 Ausbildungsstätten stellen sich vor : Fachhochschule Hagenberg: Jeremiah Diephuis M.A. Do. 19.04.12 Global Game Jam 2012 – Austria Community Briefing Do. 26.04.12 Gamers Gathering – Branchenmeeting Do. 03.05.12 Bewerbung in der Games-Branche Alexander Ganz, Personalberatung Ganz & Stock, Frankfurt am Main Do. 10.05.12 Bildungsreise in die Broken Rules Studios Do. 17.05.12 Ausbildungsstätten stellen sich vor: Donau-Universität Krems / Applied Game Studies : Mag. Alexander Pfeiffer, M.A. Do. 24.05.12 Spieleentwickler stellen sich vor : Socialspiel interactive family entertainment GmbH : Helmut Hutterer Do. 31.05.12 Gamers gathering – Branchenmeeting Do. 07.06.12 Spieleentwickler stellen sich vor : Cliffhanger Productions Software GmbH: Michael Paeck Do. 14.06.12 Ausbildungsstätten stellen sich vor : SAE Institute Wien / Qantm Game Design & Animation: Alexander Eibler Do. 21.06.12 Spieleentwickler stellen sich vor : Bongfish Gmbh: Michael Putz & Klaus Hufnagl-Abraham Do. 28.06.12 Gamers gathering – Branchenmeeting Live: Gameboy Music Club Powered by www.creativespace.at – Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien
Medienpartner
Die Vorläuferin der heutigen »Arena Wien«: die Ur-»Arena« – der 1976 besetzte alte Auslandsschlachthof in St. Marx.
Text Hans-Christian Heintschel Bild Peter und Burgi Hirsch / Wien Museum, Karl Heinz Koller / Wien Museum
»BESETZT!« — Kampf um Freiräume seit den 70ern
Als die Stadt noch keine Immobilie war 040 Experiment gestoppt, Areal demoliert: Das Wien Museum dokumentiert die Geschichte Wiener Hausbesetzungen und den Kampf um kulturelle Autonomie. An die erste Hausbesetzung in Wien erinnert sich wahrscheinlich heute kaum mehr jemand. Damals, im Sommer 1975, nahm ein Dutzend Jugendlicher ein leer stehendes Gebäude in Simmering für sich in Besitz. Ihr Ziel: Ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, nach eigenen Spielregeln, und jedenfalls attraktiver als das herkömmliche Angebot. Eine gute Woche sah die Stadt zu. Dann wurde geräumt. Bilder gibt es davon kaum welche. Archivarische Erinnerungen ebensowenig. Anders ein Jahr später, bei der Besetzung des ehemaligen Wiener Auslandschlachthofes in St. Marx alias »Arena«, die bis heute als Promi-Topos der jüngeren Stadtgeschichte überlebt hat. Drei Monate gelang es der bunt gemischten Szene aus Studenten, Künstlern, Journalisten und engagierten Zeitgenossen, Politik und Verwaltung mit der Forderung für ein autonomes Kulturzentrum (»Hier, jetzt und für alle!«) zu beschäftigen. Auch hier kam am Ende die Abrissbirne zum Einsatz, die Idee aber überlebte: Auf einem anderen Areal der Stadt. Was alternativ und autonom begann – auch die Wiener Festwochen spielten für die Etablierung der Underground-Kultur damals eine wichtige Rolle – ist heute längst etablierte Kulturadresse.
Hier, jetzt und für alle! Ähnlich, aber nicht ident, verlief die Geschichte rund um das Amerlinghaus im damals heruntergekommenen Spittelberg-Viertel: Hier fanden sich bürgerliche Denkmalschützer und Grätzel-Enthusiasten
vereint mit dem jungen alternativen Wiener Milieu. Mit Erfolg, denn 1978 wurde das Amerlinghaus zum ersten selbstverwalteten Kulturzentrum der Stadt. Die etwas seltsame Koalition aus eigentumsorientierten Bürgerlichen und ideologiegeschulten Hausbesetzern zeitigt nachhaltige Spuren: Spittelberg und Freihausviertel wären wohl heute nicht das, was sie sind, wenn es dieses ungewöhnliche Bündnis nicht gegeben hätte. Nicht nur diese zeitlich begrenzte Phase – für die Bürgerlichen wurden die Hausbesetzer sehr rasch wieder zur »anarchistischen Chaostruppe« – warnt davor, die Aktionen der Wiener Hausbesetzungen historisch als geschlossenen Block zu sehen. Dafür war die Szene viel zu heterogen: sie reichte von Rockern bis zu Friedensbewegten, von Denkmalschützern bis zu Großstadt-Feinden, von Lesben und Schwulen über Anarchisten bis zu Punks. Auch auf Seiten von Politik und Verwaltung gab es – beflügelt von den Kreisky-Jahren und der damit verbundenen Aufbruchsstimmung – nicht selten zumindest verhaltene Sympathie für die »jungen Leute«. Stadträte fanden sich vor Ort zu Gesprächen und Diskussionen ein, Lösungen wurden gesucht und mitunter gefunden, kurz: Neben den kommunalen »Falken« gab es auch jede Menge »Tauben«. Typisch Wien eben. Der Experimentiergeist der Besetzer hatte Charme und Esprit, insbesondere in einer Stadt wie Wien, die in den späten 70er Jahren nicht zu Unrecht im politischen Wettstreit mit einem Beton-Saurier gleichgesetzt wurde. Viele neue kulturelle Impulse dieser Aufbruchszeit sind erhalten geblieben. Ob selbst verwaltete Kindergruppen, freie WUKSchule, Fahrrad-Kult oder autonome Werkstätten – vieles von dem,
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10-12 MAI 2012 POOLBAR MIT PRATERSAUNA #3 WIEN
DONNERSTAG 10 MAI A-TRAK (DUCK SAUCE) ZUZEE URSULA-STRESSNED-FLOOR: PATRICK PULSINGER THOMAS GRÜN MARKUS LINDNER SAMMY B2B MEL MERIO FLO SCHEIBEIN
FREITAG 11 MAI KINO DER ORTE & LIVE-MUSIK ELEKTROGSTANZL | STROM.CLUB WILFLING | PRATEREI WHYKRIZ | PLING PLONG ROUND TABLE KNIGHTS | MADE TO PLAY DRUMS OF DEATH INDIKATOR | STROM.CLUB XANDER & NIEDERREITER | GLOBELLE REC
SAMSTAG 12 MAI KINO DER ORTE & LIVE-MUSIK WEISE | BUBBLE CLUB MR. DERO & KLUMZY TUNG (LIVE) AMBLIO | BANDE À PART FIVA & DAS PHANTOM ORCHESTER RAVE RABBIT | BANDE À PART FELIX DA HOUSERAT | E-NIX GANG BANG
AUSSERDEM: PRATERSAURUS-ENTHÜLLUNG (GEWINNERPROJEKT POOLBAR ARCHITEKTUR-WETTBEWERB) RED BULL BRANDWAGEN-FLOOR MIT WEITEREN LIVE-BANDS IM GARTEN, SAMSTAG-NACHMITTAGSPROGRAMM T.B.A.
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YANN TIERSEN THE WHITEST BOY ALIVE MARILYN MANSON GOGOL BORDELLO REGINA SPEKTOR DESTROYER DJ HELL ENTER SHIKARI CRO U.V.A.
was damals erprobt wurde, findet sich heute im Mainstream wieder, wenn auch manches in stark veränderter Form. So gab es 1979 für kurze Zeit im Prater ein Öko-Dorf mit Frühformen von WindenergieAnlagen, die allerdings mit den heutigen Varianten nur rudimentär etwas zu tun hatten.
Rasenfreiheit und Hausbesetzungen »Anfang der 80er Jahre verschärfte sich der Kampf um freie Räume, die Argumente wurden politischer und grundsätzlicher«, so der Historiker und Kurator Werner M. Schwarz vom Wien Museum, das von April bis August 2012 den Wiener Hausbesetzungen eine eigene Ausstellung widmet. Nicht nur in Zürich mit seinen damaligen »Jugendkrawallen« oder in West-Berlin mit seiner weitläufigen HausbesetzerSzene, auch in Wien ging es jetzt um mehr. Wobei sich dieses »Mehr« manchmal allzu ideologisch auftürmte und für Außenstehende nur schwer verständlich blieb. Auch für die Verwaltung, die diese Forderung pragmatisch beiseiteräumte und eher nach sozialen Lösungen suchte. Wie etwa bei der Rosa Villa, die heuer ihr 30-jähriges Bestehen feiert: Im Jahr 1982 als Hausbesetzung begonnen, reagierte die Stadt damals im Eiltempo von wenigen Wochen mit deren Legalisierung. Freilich kommen Beispiele für Besetzungen, die mit Räumungen und Gewalt endeten, in der Ausstellung weit häufiger vor. So etwa bei der Gassergasse (»Gaga«) in Margareten, die bereits nach wenigen Jahren, im Sommer 1983, unter heftigen Krawallen aufgelöst wurde. Ebenso fünf Jahre später, als die »Aegidigasse« in Mariahilf – Lebensort autonomer Jugendlicher – von der Polizei gestürmt wurde. Andere wurden unter Aufsicht gestellt, wie etwa das Ernst Kirchweger-Haus in Favoriten, welches 1990 besetzt wurde, oder, jüngstes Beispiel, die Pankahyttn in Rudolfsheim-Fünfhaus. »Die Antworten der Wiener Institutionen sind rückblickend unterschiedlich gewesen: von Raum zur Verfügung stellen über Zermürbung mittels steuerlicher oder baubehördlicher Insistierungen bis zur Räumung mit Polizeigewalt«, meint Schwarz. Dass Letzteres bis heute vorkommt, zeigen jüngste Räumungen durch Polizeieinsatz, wie im Sommer 2011 in Ottakring
oder etwas später in der Lindengasse im siebten Bezirk. Die Frage nach dem öffentlichen Raum, oder, noch direkter: nach den Besitzverhältnissen in der Stadt bringt den Motor der Moderne in Wien immer noch zum Stottern. Zu Beginn ging es bei den Besetzungen oft um kulturelle Fragen. Basiskultur versus Hochkultur lautete das Match, dessen Brisanz heute nicht mehr nachvollziehbar erscheint. Wohl auch deswegen, weil das Wien von 2012 deutlich städtischer geworden ist als jenes Wien der 70er Jahre, als man nicht einmal den Rasen öffentlicher Anlagen betreten durfte. »Eine der rätselhaftesten Besetzungen ist sicherlich jene des Burggartens im Jahr 1979, als die Rasenfreiheit eingefordert wurde«, erzählt Martina Nußbaumer, ebenfalls vom Wien Museum und Co-Kuratorin der Schau. Rätselhaft weniger wegen der Forderung an sich – die »Rasenfreiheit« gehört in europäischen Städten zu den Konflikt-Klassikern zwischen Bevölkerung und Obrigkeit –, als vielmehr im Ablauf, der, so der Befund der beiden Historiker, eher unbeabsichtigt eine solch große Bedeutung bekam. Und heute? Blättert man den Immobilienteil der Zeitungen durch, wird klar, dass auch in Wien Investments, Immobilien-Entwickler und Green Technologies den Ton angeben, wobei Letztere mit ihrer insistierenden Nachhaltigkeits-Passivhaus-Prosa wie ein ironisches Echo auf die alternativen Wohnexperimente vor 30 Jahren wirken. Der öffentliche Raum ist wohl nicht viel größer geworden. Aufhorchen ließ da kürzlich Bettina Leidl, die als frisch gebackene Departure-Chefin mehr konkreten Raum für die kreative Wiener Szene forderte. Also Räumlichkeiten, die leistbar und unterschiedlich zu nutzen sind. Ein leises Echo auf das Thema Hausbesetzungen? Die beiden Ausstellungskuratoren bleiben skeptisch: »In der Hausbesetzer-Szene verwehrt man sich eher gegen diese kreativ-ökonomische Ideologie.« Es geht eben auch heute noch um »Mehr«. »Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern« (Katalog zur Ausstellung); Ausstellungsdauer: 12. April bis 12. August 2012 Wien Museum Wien, Karlsplatz — www.wienmuseum.at
Eh und je ein Melting Pot der Ideologien: Ohne das »Amerlinghaus«, seit 1978 ein selbstverwaltetes Kulturareal, wäre Wien-Neubau heute wohl kein »grüner« Bezirk.
Auch das ist Design: die DDR-Version des Sandmännchens.
Anonymes Design, weltbekannt: Michelin-Männchen »Bibendum«, 1965.
Text PETER STUIBER Bild Armin Herrmann © Werkbundarchiv – Museum der Dinge / Armin Herrmann
Das universale Designmuseum — Deutsche Diskussion und österreichische Realität
Dinge aufs Podest! 044 Während sich der Designdiskurs oft auf große Namen und Ikonen konzentriert, setzt eine Berliner Institution auf die Erforschung der Produktkultur: Das Museum der Dinge ist im Kleinen heute schon dort, wo andere noch hin sollten.
Seit Herbst wird in Deutschland heftig über ein neues Designmuseum diskutiert. Nein, Blödsinn, stimmt gar nicht. Richtig ist: Im vergangenen Herbst wurde vom deutschen Rat für Formgebung das Projekt »Deutsches Design Museum« ins Leben gerufen, das dem Thema Design jene Bühne verschaffen soll, die es sich verdient. Blöd nur, dass es noch keine Finanzierung des Projekts in Berlin gibt und dass der Aufruf, sich an einer Diskussion über die Ausrichtung einer solchen Institution zu beteiligen, nur bedingt euphorisch aufgenommen wurde. So trefflich unsere deutschen Nachbarn über alle möglichen Themen streiten können, hier herrscht eher beredtes Schweigen – sowohl in den Internet-Foren als auch in den klassischen Medien. Dass Berlin allen Grund dazu hätte, sich über ein Designmuseum zu freuen, liegt auf der Hand: Bürgermeister Wowereit würde ja am liebsten London den Rang als Kreativ-Mekka ablaufen. Doch anstatt an einer großen Lösung zu basteln, könnte man doch Vorhandenes genauer unter die Lupe nehmen. Denn siehe da: Das »Werkbundarchiv – Museum der Dinge« macht in Berlin-Kreuzberg schon seit Jahren vor, wie Designvermittlung auf hohem museologischen Niveau funktioniert. Indem man nämlich das Label Design vergisst und sich auf die Dinge der Warenwelt konzentriert, um Näheres
über sie im Speziellen und das Leben im Allgemeinen herauszufinden. Hier werden Designklassiker mit anonymen Produkten in Dialog gebracht, Handwerk mit Massenerzeugnissen zusammengespannt, die Waren der BRD mit jenen der DDR gemixt. So ergeben sich Einblicke über Verwandtschaften und Unterschiede, Produktionsbedingungen und Modewellen – und das alles ganz ohne den moralischen Beigeschmack, die richtige und gute Form vermitteln zu wollen. Was insofern verwunderlich ist, weil ja gerade der Werkbund eindeutig Stellung dazu bezogen hat, was gut ist und was nicht.
Stars und Standards vs Standpunkte und Struktur »Wir verstehen uns nicht als Designmuseum im üblichen Sinne«, so die leitende Kuratorin Renate Flagmeier. »Bei den Designmuseen gibt es aus meiner Sicht eine gewisse konzeptionelle Hilflosigkeit. Ähnlich wie in der Kunstgeschichte werden große Namen ins Rampenlicht gestellt und den Designobjekten wird quasi Unikatcharakter verliehen, obwohl sie meist für den Massenbedarf entworfen wurden.« Meistens gehe es dabei nur um das Wiedererkennen von bereits Bekanntem, etwa einer Designikone von Philippe Starck. »Doch man kann aus der Gestaltung von Objekten Standpunkte ablesen. Jeder kann sich fragen, was ist mir wichtig. Wir verstehen das Museum als einen Ort der Verhandlung, wo man über Qualitäten, Bedeutungen
102 Jahre auf dem Buckel, trotzdem modern: Wanduhr von Peter Behrens für AEG.
Durchdachter Dialog der Dinge: Blick in die Schausammlung des Museums.
etc. diskutieren kann. Nicht zur Vermittlung eines Kanons, sondern als eine offene Struktur.« Das mag für einige anstrengend klingen, denn noch immer suchen viele Museumsbesucher Antworten und nicht Fragen. Dass es im Museum der Dinge anders läuft, verdankt sich der Reflexionslastigkeit des Hauses, das bis 1999 »Werkbundarchiv – Museum der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts« hieß und nicht immer das Glück hatte, in seinem Ansatz verstanden zu werden. »1999 funktionierte unser Name noch nicht so gut, die Begeisterung dafür kam erst in den vergangenen Jahren auf«, so Flagmeier. Von 2002 bis 2007 war man gar ohne Standort, ehe man in einem ehemaligen Werksgebäude in Kreuzberg eine neue Heimat fand. Die Mittel sind allerdings nach wie vor bescheiden: Die jährliche Subvention beträgt rund 350.000 Euro, es gibt gerade einmal vier fix angestellte Mitarbeiter, der Rest arbeitet projektbezogen. Mit einer Ausstellungsfläche von 550 m2 (schon inklusive der etwa 100 m2 für Sonderausstellungen!) spielt man flächenmäßig in der Bezirksliga, für größere Ankäufe – wie jüngst eine Frankfurter Küche – müssen Sondermittel beantragt werden.
Deutsches Design promoten Das allein wäre schon Grund genug, sich gegenüber hochtrabenden Designmuseum-Plänen skeptisch zu zeigen. »Da bin ich gespalten. Die Initiative geht ja vom Rat für Formgebung aus, dessen Ziel bekanntlich ist, deutsches Design zu promoten. Insofern ist das auch verständlich. Aus strategisch-politischen Gründen finde ich die Diskussion schon gut, weil dadurch das Thema Design wahrgenommen wird«, so Renate Flagmeier. »Museologisch hab ich allerdings meine Zweifel, ich hab den Eindruck, dass das Konzept genau in die gleiche Richtung gehen soll wie oben beschrieben: Designgeschichte als Geschichte der großen Persönlichkeiten.« Berlin habe ein natürliches Interesse daran, sich als Kreativstadt zu positionieren. »Aber dazu braucht es nicht ein neues Haus, sondern man könnte auch das bereits Bestehende bündeln, also gemeinsame Strategien entwickeln vom Museum der Dinge, dem Bauhaus-Archiv mit der Sammlung industrielle Gestaltung oder der Designabteilung des Kunstgewerbemuseums.«
Und in Österreich? Die Situation erinnert ein wenig an Wien. Denn auch hier ist Design auf viele Häuser verteilt. Ein eigenes Designmuseum steht gar nicht zur Diskussion, aus allgemeinem Desinteresse nicht und erst recht nicht in Zeiten schrumpfender Kulturbudgets. Wer sich nach dem Abgang von Peter Noever erwartet hatte, der neue MAK-Chef Christoph Thun-Hohenstein würde aus dem Haus am Stubenring ein Designmuseum machen, täuschte sich. Denn dieser stellt gleich zu Beginn klar, dass ein Verzicht auf Kunstgewerbe, Architektur und vor allem zeitgenössische Kunst gar nicht in Frage käme. Aus strategischen Gründen ist dies verständlich, schließlich muss der Direktor darauf schauen, dass sein Haus ein möglichst breites Publikum anspricht. Immerhin wurden einige Design-Initiativen vom MAK angekündigt, u. a. eine große Ausstellung zum Thema Sustainable Design noch vor dem Sommer und eine Art Dauerausstellung zum österreichischen Design im MAK-Tower im Dritten Bezirk (wohin sich allerdings sicher nicht die Massen verirren werden). Auch andere Häuser setzen auf das Thema Design: das Hofmobiliendepot etwa auf Möbelgeschiche (derzeitige Ausstellung: Sixties Design), das Wien Museum auf Alltagskultur, Architektur und Möbel (Ausstellung im Herbst: Werkbundsiedlung), auch das Technische Museum streift immer wieder das Thema Design, nicht zu vergessen kleine Institutionen wie das Designforum und das Quartier 21 im Museumsquartier. Sie alle leisten einen Beitrag dazu, dass Design in der Stadt wahrgenommen wird, gegen eine bessere Vernetzung dieser Player wäre sicher nichts einzuwenden. Zu welchem Resultat eine solche führen könnte, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Denn bekanntermaßen haben derartige Kooperationen hohe Hürden zu überwinden, weil keiner dabei unter die Räder kommen will. Definitiv fehlt in Wien jedenfalls ein Museum der Dinge, d.h. ein Haus, das einem moderne Produktkultur nahe bringt und ein breites Designverständnis vermitteln kann – abseits von Labels, Namen und Pseudo-Glamour. www.museumderdinge.de
clara luzia
der wortwechsel. vier personen zur frage:
Musikerin und Labelbetreiberin
»Wolfgang Ambros, Hansi Lang, Kurt Hauenstein (Supermax) haben einen, Falco natürlich auch – einen Amadeus Award für ihr Lebenswerk. Hinter dem Amadeus steht die IFPI, der MajorLabel-Verband, also eine Initiative aus der Privatwirtschaft, ähnlich den Organisationen, die die Grammy Awards oder die Oscars organisieren. Es ist eine Möglichkeit, das kulturelle Gedächtnis zu pflegen und ab und an den Pionieren ein paar Rosen zu streuen – auch wenn die alljährlichen Vorwürfe, es ginge nur darum, ein paar Alben zu verkaufen, nicht ganz falsch sind, aber auch nur einen Teil des Spektakels herausgreifen. Also, eine Auszeichnung für einen Artist einmal pro Jahr bei den Amadeus Awards. Und sonst? Die »Music Box Austria« von Hoanzl macht sehr viele Alben aus Österreich im Einzelhandel zugänglich, krankt aber im Unterschied zur Sammlung »Der österreichische Film« (ebenfalls Hoanzl) daran, dass kaum historisch bedeutsame Alben in das Bündel geschnürt wurden. Falco, Fennesz, Wolfgang Ambros, Kruder & Dorfmeister und André Heller sucht man vergeblich. Bei iTunes und Amazon ist die Box derzeit zudem nicht erhältlich. Immer wieder aber machen sich kleine Initiativen die Mühe, einen Teilbereich der österreichischen Musikgeschichte aufzuarbeiten: »Rockmusik in der Steiermark bis 1975« (Pumpkin Records), »Austrian New Wave And Postpunk 1979–2010« (Klanggalerie), »De guade oide Zeit« (Panza Platte), oder der Film »Es muss was geben« über die Linzer Punk-Szene sowie der leider missglückte »Vinyl – Tales from the Vienna Underground« würdigen gerade in den letzten Jahren verstärkt einen Teilbereich des heimischen Musikschaffens. Und Vater Staat? Ein Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst wurde im Bereich Pop bisher noch nicht vergeben. Ein nationales Tonarchiv – ähnlich etwa dem National Recording Registry in den USA, das alljährlich 25 bedeutende Aufnahmen kürt – sucht man vergeblich. Wobei, ein Archiv gibt es zumindest, das SRA, das Skug Research Archiv österreichischer Popularmusik, ist auf Initiative des gleichnamigen Magazins Skug – also privat – entstanden, sammelt und archiviert seit 1993 sehr umfassend, was in Österreich an Musik veröffentlicht wird und erhält mittlerweile vom BKA, BMUKK, der AKM und den SKE Fonds Förderungen. Aber wo ist der Kanon? Und wo sind die öffentlichkeitswirksamen Feste, die Gedächtnisarchitektur, die Museen, die Gedenktafeln, die Trophäen, die Youtube-Dokus, die Feiertage? In Österreich ist es für vieles davon wohl noch eindeutig zu früh. Das Haus der Musik konzentriert sich auf die Philharmoniker und die großen Meister. Ein Anzug von Falco wurde kürzlich vom Wien Museum angekauft. Aber eine systematische Aufarbeitung, eine sinnvolle Pflege? The Gap wird das Thema auf www.thegap.at weiter verfolgen.
dokumentation Stefan Niederwieser, Thomas Weber text Stefan Niederwieser BILD SARAH HAAS, PRIVAT, SIGRID DIBON, HERIBERT CORN
Die Amadeus Awards vergeben immer wieder honorige Auszeichnungen an österreichische Rockpensionisten. Das kann doch noch nicht alles sein?
»Die effektivste Zeitreisemaschine der Welt ist Musik.« — Das prädestiniert zum einen irgendwie dafür, sie gesammelt, aufgearbeitet, katalogisiert, dokumentiert und kommentiert ins Museum zu stellen, gleichzeitig mutet genau das dann aber auch wieder absurd an. Wer möchte denn seine eigene emotionale Landkarte von völlig Fremden gezeichnet (und dann möglicherweise als entstellt empfunden) vorgesetzt bekommen? Ist Musik bzw. deren Genuss und Rezeption letztlich nicht eine höchst private und intime Angelegenheit? Lässt sich das sinnvoll öffentlich kanonisieren? Der Blick von der anderen Seite – nämlich von Seiten der Musikschaffenden – zeigt allerdings, dass lebensverlängernde Maßnahmen wie Lifetime-Achievement-Awards, Gedenkstätten, Ausstellungen etc. durchaus ihre Berechtigung haben können. Eben als lebensverlängernde Maßnahme. Das Popbusiness ist sehr kurzlebig, und das kollektive Gedächtnis ist überfüllt und enden wollend. Wer sich nicht täglich mit lautem Gepolter in dieses einschreiben lässt, der und die ist nach spätestens einem halben Jahr wieder vergessen. Da kann sie / er noch so großartige Musik veröffentlicht haben – zumal, wenn sie aus den Geschäften längst verschwunden ist. Das SR-Archiv im Museumsquartier ist ein gelungenes Beispiel wider das Vergessen: Bisher habe ich kaum jemanden gefunden, den oder die ich nicht im SR-Archiv aufstöbern konnte. Es gibt Querverweise zu anderen Bands, zu Artikeln und Interviews – und im Musiktank kann man gefundene Schätze auch gleich bergen. So kann’s gehen! Clara Luzia, 33, ist Musikerin und Labelbetreiberin von Asinella Records. 2008 wurde sie zum FM4 Alternative Act des Jahres gekürt.
georg hoanzl
johannes dibon
SRA-Präsident
Journalist und Autor
»Der Fan, aus meiner Sicht am stärksten der Fan.« — Egal, wo er sitzt und was er tut. Er hält die gemeinten Künstler über alles hinweg am Leben, feiert ihre Geburtstage, trauert an ihren Todestagen – falls es die schon gibt – summt dabei die Melodie, scheut nicht die Peinlichkeit beim Mitsingen der Texte, entstaubt und streichelt die Alben. Soweit die Produzenten und Labels noch aktiv sind – und das sind trotz der schwierigen Marktlage noch viele – haben sie als lebendiges und authentisches Zentrum der jeweiligen musikalischen Sonnengeflechte eine ganz große Bedeutung. Sie kämpfen herzhaft und unverdrossen wie Don Quichotte gegen die Windmühlen der Zeit. Meistens ohne den notwendigen strukturellen und finanziellen Rückhalt. Hier sei allen gedankt, die diese Funktion trotz aller Hindernisse wahrnehmen. Das ist gelebte Liebe. Da es sich fast durchgängig um subversive Inhalte handelt und nicht um »hochkulturelle Repräsentationskultur«, gibt es auch keine entsprechende ausreichende Basis und Verständnis für die Förderung dieses großartigen musikalischen Erbes der Gegenöffentlichkeit. In der jahrzehntelangen Blüte der Musikbranche war es Ehrensache der Produzenten, der Künstler und der Labels autonom – ohne staatliche Unterstützung – diesen künstlerischen Beitrag in die Gesellschaft einzubringen und dafür noch brav Steuern zu bezahlen. Jetzt halte ich es für eine Ehrensache von uns – der Gesellschaft – der Politik, mit einem förderlichen Rahmen, die Weitergabe dieses kulturellen Erbes zu ermöglichen.
»Wertfreie Dokumentation.« — Anfang 1993 schrieben wir im Gründungskonzept des SRA unter dem Titel »Angewandte Forschung im Bereich Subkultur, Schnittstelle Musik« folgenden Merksatz: »Kultur, die nicht ihre eigene Geschichte schreibt, wird ihre Bedeutung im Zeitablauf verlieren und wenn überhaupt, dann im falschen Kontext verstanden werden.« Fast 20 Jahre später haben wir die Kante »Subkultur« ein wenig abgeschmirgelt und gegen den Begriff Pop(ular)musik eingetauscht, aber der Rest gilt nach wie vor. Es geht um eine möglichst dichte und detaillierte Dokumentation der österreichischen Musikszene der Nachkriegs- bis zur Jetzt-Zeit. Sammeln, Archivieren, Eingeben, der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, kostenfrei und ohne Wertung, mit dem höchstmöglichen Respekt vor den Musikschaffenden, egal welchen Genres und egal wie erfolgreich, auf welcher Skala auch immer. Bei der Frage, wer den österreichischen Popnachlass pflegt, zeigen wir – so ich hoffe – zu Recht auf. Wir versuchen unser Bestes, eines der identitätsstiftenden (© Fritz Ostermeyer) Basislager für die weiteren sehr, mehr aber auch weniger, notwendigen Verbeugungen, Studien und Dokumentationen zu sein. Genauso kann man sich aber im SRA völlig wertfrei und nicht vorselektiert seinen eigenen Weg durch die heimische Musiklandschaft zeichnen. Auf vis.sra.at geht das auch animiert, in Farbe und bunt.
»Mehr Wertschätzung, bitte!« — Es ist müßig, über Bedeutung und Wert des Amadeus zu witzeln. Es ist nun einmal der einzige relevante hiesige Preis im U-MusikBereich, und der »Lebenswerk«-Amadeus ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten, historische Verdienste um die österreichische Popmusik öffentlichkeitswirksam in Erinnerung zu rufen und zu würdigen. Heuer wird er sich wohl zwischen André Heller – er wurde gerade 65 – und, posthum, Ludwig Hirsch entscheiden; der Jubilar Wolfgang Ambros wurde bereits einschlägig ausgezeichnet. Heller und Ambros haben beide zentrale Beiträge zu einer genuin österreichischen Popkultur geliefert – liebevoll gemachte Reissues stehen in beiden Fällen aus. Aber damit sind sie keine Einzelfälle: Österreich tut sich mit einer auf Professionalität und Wertschätzung basierenden Popgeschichtsschreibung seit je her schwer; jedem depperten »Austropop«-Buch folgt ein noch depperteres, während ambitionierte Projekte oft mit mangelnden Budgets kämpfen oder damit, dass das Wollen stärker ist als das Können. Ähnlich traurig ist es um die Pflege des österreichischen Popkatalogs bestellt. Während es im Filmbereich eine wunderbare DVD-Edition gibt, ist ein musikalisches Äquivalent dazu bislang nur frommes Wunschdenken. Schade, denn wer sich ein bisschen intensiver mit der österreichischen Popgeschichte beschäftigt, weiß, wie viele Schätze es da zu heben gäbe. Er weiß aber auch, wie schwierig es ist, an gehaltvolle Informationen über diese Schätze heranzukommen. Die Forschung, Archivierung und Kanonisierung österreichischer Popmusik abseits des klassischen »Austropop« liegt derzeit vor allem in privaten Händen, also Plattensammlern und Betreibern kleiner Labels, die sich um ausgewählte Reissues bemühen; das Wissen um die österreichische Popkultur ist in vielen Bereichen ein Geheimwissen, das wenige Interessierte teilen. Der Weisheit letzter Schluss kann das nicht gewesen sein.
leiter künstleragentur
» Österreich tut sich mit einer auf Professionalität und Wertschätzung basierenden Popgeschichtsschreibung seit je her schwer« (Gerhard Stöger)
Georg Hoanzl, 45, ist Inhaber und Geschäftsführer von Hoanzl Agentur & Vertrieb. Hoanzl ist eine Künstleragentur für Kabarettisten, im Vertrieb liegt der Schwerpunkt neben Kabarett auf österreichischem Film und österreichischer Musik aus allen Genres. Im April 2011 startete die »Musikbox Austria«, die Initiative für Österreichische Musik der Gegenwart.
Johannes »Johnny« Dibon, 46, ist ehrenamtlicher Präsident des SRA, spielte Bass bei Target Of Demand, Mein Hirn und Die Guten und gründete mit gleichgesinnten Mitstreitern das Skug Magazin.
gerhard stöger
Gerhard Stöger, 37, ist Schallplattensammler, Falter-Redakteur und Ko-Autor eines Buches über die Geschichte der Wiener Popmusik, das heuer im Herbst erscheinen soll.
bild andreas jakwerth dokumentation jonas vogt
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Michael Ullermann, 41, Kunsthistoriker
Dass eine Gruft voll von Toten ist, ist ein unumstößliches Faktum. Doch Michael Ullermann sieht seinen Job in der Gruft der Michaelerkirche eher als eine Beschäftigung mit dem Leben als mit dem Tod. Dem stu dierten Kunsthistoriker erlauben die Särge Einblicke in das Leben der Epoche, in der sie geschlossen wur den. Vor allem Kleidung und andere Grab-Beigaben haben sich in dem kühlen Klima der Gruft gut erhalten. Schon während seines Studiums in Passau, Köln und Wien kristallisierten sich Textilien als Ullermanns Spezialgebiet heraus. So kam er auch zu seiner jetzigen Position: In einem früheren Projekt bereitete er die Priestergewänder der Michaelerkirche kunsthistorisch auf und wechselte danach zwei Etagen tiefer. Sein Tagesgeschäft besteht vor allem aus Dokumentation. Aktuell läuft in der Gruft ein umfangreiches Projekt, bei dem 250 Holz- und Metallsärge aus der Zeit der Renaissance und des Barock restauriert werden. Uller manns Aufgabe: Den Ist-Zustand zu dokumentieren.
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Ulrike Kuchner, 27, Astronomin
Viele Menschen wären schon mit der Frage, ob sie Astronomie und Kunst weniger verstehen, überfordert. Ulrike Kuchner hingegen kennt sich mit beidem aus. Die Wienerin ist nicht nur Doktorandin am Institut für Astrophysik der Uni Wien, sondern hat auch einen Magister in Malerei der Akademie für Angewandte Kunst in der Tasche. Wie die meisten ihrer Kollegen hat die Weltenbummlerin bereits Forschungsaufent halte in Chile und Australien hinter sich. Aktuell beschäftigt sich Kuchner – laienhaft heruntergebrochen – mit der Geschichte und Struktur von Galaxienhaufen, also von mehreren 100 bis 1.000 gravitativ gebunde nen Galaxien, die in dunkler Materie und heißem Gas eingebettet sind und deren Entwicklung durch diese besondere Umgebung beeinflusst wird. Was spektakulär klingt, besteht wie die meiste wissenschaftliche Arbeit zu 95 Prozent daraus, riesige Datenmengen am PC auszuwerten. Kuchner hat ihre zweite Leiden schaft nie losgelassen: Neben ihrer Arbeit als Astronomin ist sie weiterhin als Künstlerin tätig und bemüht sich, Kunst und Wissenschaft zu kombinieren. www.ulrikekuchner.com
Gründerserie Lookk No 21 von Andreas Klinger.
Down Under Mit dröhnendem Schädel und zufallenden Augen sitzt Andreas Klinger, Co-Gründer von LOOKK, umzingelt von Maßanzügen und massig Miniröcken in einem der besten 5-Sterne-Hotels von Melbourne. Die Welt ist auf den Kopf gestellt. Willkommen in Australien.
D
as hier ist definitiv nicht East London. Irgendwie dreht sich alles nach drei – oder waren es vier? – Nächten Jetlag. Nachts nie mehr als eine Stunde Schlaf, aber dafür viele Stunden wach – unfreiwillig, alleine, nüchtern, trocken –, kurz gesagt, ziemlich gelangweilt im Zombiemodus. Vielleicht ist es eben dieser Jetlag, der meine Wahrnehmung verzerrt und mich halluzinieren lässt, aber ich bin hier in einer Parallelwelt gefangen, in der ich in der Luxus-Gesellschaft lebe. King Andi von und zu lookkenstein. Ich wache auf in einem riesigen Bett in meiner Suite im 47ten Stock eines Hotel-Wolkenkratzers, blicke über die Stadt in drei Himmelsrichtungen, während ich morgens auf Edelkeramik pinkle, gehe in das Arbeitszimmer, bevor ich mir noch einen frischen Kaffee im Maxibar-Schrank im anderem Raum meines Suiteapartments mache. Das Personal spricht mich nur mit Sir an und ich fliege in einer Business-Klasse, in der man Steak à la carte bestellt. Ich werde hier mit Perfektion bis ins Detail nahezu belästigt. Zwischen Industriekonferenz und Fashionshows bringt mich der private Fahrer vom Continental-Frühstück zur vip-Bar. »Hallo, du viel zu hübsches Ding … ja, schenk mir Champagner nach, bitte.« Das Ganze ist ein starker Kontrast zum üblichen grauen East London-Alltag. Wo zum Geier bin ich hier? Und warum ist der Rest meiner Firma irgendwie vom Erdboden verschwunden?
Key Notes Ich wurde zu einer der weltweit größten Consumer Fashion-Shows eingeladen, zum L’Oreal Fashion Festival in Melbourne. 2.000 Leute auf Stühlen und mehre Dutzend Models am Laufsteg. »Hell yeah« wechselt mit »Ooh nice« und Bier mit Champagner, aber ansonsten ist es
Wrestling oder Superbowl für Frauen in High Heels. Warum genau ich dem dazugehörigen Industry Forum zugesagt habe, ist mir mittlerweile unklar. Eine Mischung aus Urlaubsverlangen, Selbstlüge und Überredungskünsten der Veranstalter ist meine aktuelle Theorie. Fakt ist, dass ich plötzlich im Zwei-Tagesflieger saß, um weit außerhalb der mir bekannten Welt und mir bekannten Comfortzone auf einem Fashion Finance Panel als Keynote Speaker aufzutreten. Wie teuer mich eine Woche Gratis-Luxus in Down Under kommen würde, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.
Bad Dreams Meine Hoffnungen, hier parallel auch noch zu arbeiten, wurden sehr schnell begraben. Wie viel elf Stunden Zeitunterschied wirklich sind, wird einem erst bewusst, wenn man es selbst erlebt hat. Morgens löst meine E-Mailbox ein kleines wtf aus. Tagsüber erreiche ich niemanden. Abends kriege ich mitten in der EventHektik alle wichtigen Antworten und stehe in der Ecke wie ein iPhone-Junkie. Nachts liege ich dann im Halbschlaf wach und überlege, ob ich mich in E-Mail-Diskussionen wirklich nochmal einmischen soll, nachdem mein letztes Drive-byManagement eher danebenging. Aktuell gibt es zuhause derart viel zu tun, dass mir ja schon schlecht wurde beim Gedanken an die Abreise. Nun kriege ich aber von London kaum etwas mit. Das hinterlässt
bei mir nur zwei mögliche Alpträume: Entweder gibt es derart viele Probleme, dass kaum noch jemand Zeit findet, mich upzudaten. Oder … die Dinge laufen ohne mich einfach runder. Beides eine grauenvolle Vorstellung. Gleichzeitig kann ich hier aber auch keine eigenen Tasks anfangen: Lokale Australien- oder Asia-Kontakte sind in unserer aktuellen Phase noch überflüssig. Auf der Konferenz sind die sonstigen Vorträge eher Selbstvermarktung von halbstarken Agency ceos. Kurz gesagt – diese Woche ist nichts anderes als angenehm gemachter Arbeitsverlust. Normalerweise lehnen wir derartige Einladungen ab und ich rate es auch jedem. Jeder Trip, der länger als 20 Minuten dauert und für das eigene Business aktuell nicht relevant ist, ist nur eines: teuer – egal, wie gratis er ist. Ich hätte mich von dieser Einladung nicht überreden lassen sollen. Aber nun ist es zu spät. Fokus und Effizient musste ich im Zoll abgeben und gegen Luxus-Leben tauschen. Und so akzeptiere ich, dass ich die letzten Tage hier in Australien ohne jegliche beruflichen Ambitionen verbringen werde und nenne es Arbeitsurlaub … also weg vom Laptop und zurück zu den Miniröcken und Models. Verdammt – Job ist Job und irgendwer muss es ja tun.
Andreas Klinger @andreasklinger
. t h c s r o f h c i e r r Öste
Dabei sein.
Staunen.
Forschen. ER.
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Prosa von Barbara Zeman
barbara zeman, soeben mit dem saftig dotierten literaturpreis wartholz ausgezeichnet, zeigt in ihrer kurzgeschichte »aktstudie: barfüssige frau mit nassem haar«, wie man bis zur schmerzgrenze an sein figureninventar ranzoomt.
Wasser marsch! Sie steht am Fenster und sieht über die karge Landschaft hinweg, die wie unter Glas gepresst daliegt, auf die tief unten vom Meer zum Dorf führende Straße. In der Ferne gehen drei schwarz gekleidete Männer, die aus der Weite nur schwach erkennbar, blaue Schürzen umgebunden haben, die einen Vierten tragen, der reglos und sehr weiß auf einer Bahre liegt. Sie kommen langsam näher, einer der Tragenden nimmt seinen Hut ab und setzt ihn wieder auf, nimmt ihn ab, hält ihn an der Krempe, und legt ihn dann auf die Beine des Liegenden, an dessen linkem Fuß ein orangefarbener Gummistiefel steckt, sein rechter ist nackt, fast weiß. Sie sieht die Männer miteinander sprechen, sich an der Bahre abwechseln, sieht sie rasten, etwas essen, trinken. Sie entfernt sich kein einziges Mal von den Fenstern, obwohl es noch Stunden dauert, bis die Männer ihr Haus erreichen. Der Mann, der jetzt den Hut an die Brust gepresst hält, verbeugt sich vor ihr und sagt, Wir haben ihn am Strand gefunden. Es war leicht, wegen der Ebbe. Die Frau nickt. Sie legen den Reglosen, wie sie es will, auf die linke Seite des Ehebetts und ziehen sich aus dem Zimmer zurück, als sie einen Stuhl an das Bett zieht und sich setzt. Sie rührt sich nicht, als wäre das Ruhen ihrer Augen auf seinem Gesicht die Entsprechung der Bewegungslosigkeit seines Körpers, sie sieht ihm zu, beim Schlafen und Nichtschlafen, nach einer Stunde küsst sie ihn auf die Stirn, und auf die Wange, sie küsst ihn jede weitere Stunde. Der Mann stirbt in die Nacht hinein, er stirbt in den Tag hinein, er stirbt in die Nacht hinein, in den Tag, dann ist er tot. Sein Kopf ist nach links gedreht, seine Augen sind fest geschlossen, seine Oberlippe ist leicht nach oben verzogen, wie in großer Lust.
Sie steht auf, und geht durch die Halle, das Geräusch ihrer Schritte verschwindet auf den Teppichen und taucht zwischen den Teppichen wieder auf, an den Wänden Gemälde, aus deren dunklen Körpern helle Gesichter schauen. Vor einer Kommode bleibt sie stehen. Sie zieht an einem Metallknauf, eine Schublade öffnet sich, der sie eine schwere Schatulle entnimmt, sie hält sie mit beiden Händen und stellt sie auf dem polierten Holz der Kommode ab, klappt sie auf. Sie legt sich Ketten um den Hals, sie bedeckt sich mit Ketten, bald ist sie vom Hals, bis unter die Brüste vollkommen zugedeckt mit Ketten, unter deren Gewicht ihre Wangen erröten. Sie greift wieder in die Schatulle und steckt sich Ringe an die Finger, an jeden Finger so viele wie möglich, an manchen vier, am Ringfinger fünf schmale Ringe mit kleinen Lichtern die blitzen. Sie hebt ihre Hände, und dreht die Handflächen nach außen, sie betrachtet ihre Finger, auf denen mehr Rubine als Altersflecken sitzen. In der Mitte des Rasens befindet sich ein Swimmingpool, türkises Wasser, eingefasst von grünem Gras, von roten Büschen. Seine Wasserfläche ist ein feiner Stoff, durchscheinend, beklebt mit Lichtpunkten, mit Blütenblättern und schwarzen Tierchen, die winzig über den kaum bewegten Stoff laufen. Blätter fallen von den Rotbüschen und landen auf dem Wasser, manche treiben dahin, manche sinken, schweben zum Grund, schlingern unter dem Gewicht des Wassers knapp über dem grünlichen Beckenboden, als würde sie etwas Unterwasserwind hinund herwehen. Dann reißt der Stoff, reißt plötzlich, Wasser fliegt und Blätter fliegen und Tierchen fliegen, und sie schnappt nach Luft, sie holt so tief und verzweifelt Luft, als würde sie nicht atmen sondern die Luft voller Gier auffressen, und sie steht still, das
Wasser, das ihr bis knapp unter die Nase reicht, ist schnell wieder geglättet. Rote Blätter die sinken, rote Blätter die auf dem Wasser schweben, sich tummelnde Insekten die mit ihren Füßchen winzige Dellen in die Wasserfläche drücken. Sie steht mit eisigem Gesicht im Pool, die langen Haare hängen tropfnass über ihre Augen, das Kleid klebt vom Wasser fast schwarz gefärbt an ihrem Körper. Ein langbeiniges Insekt fällt von einem der Büsche auf die Frau, schlittert über ihre Schulter und stakst über das Wasser von der Frau weg, die mit geschlossenen Augen dasteht, auf ihrem mit Ketten behängten Oberkörper kleben Steine, rund und groß, und glotzen geradeaus. Die Sonne steht tiefer, als sie sich durch das Becken, zu der Treppe des Pools schiebt, sich am Geländer festhält und sich langsam, mit zitternden Armen aus dem Wasser zieht und sich am Poolrand niedersinken lässt. Wasser rinnt von ihr, breitet sich um sie, in einer Pfütze, die schnell immer größer wird. Hinter ihr, hinter den roten Büschen, dem grünen Rasen, dem rot-weiß gestreiften Sonnenschirm, der Mauer, steil abfallendes, wirres, verdorrtes, steinüberwuchertes Land, das ohne Umschweife zum Dorf hinunter fällt. Hinter dem Dorf sieht man das Meer, es ist groß, und schwarz. Sie sieht aufs Meer. Der Fahrer lenkt das Auto, nicht schnell, nicht langsam. Ab und an wirft er einen Blick in den Spiegel und sieht sich selbst mit einem Lächeln an. Auf der Rückbank sitzt die Frau sehr aufrecht in dem Kleid, das noch immer nass ist, mit einem Gesichtsausdruck, als zöge sie in den Krieg, das Kinn gereckt, der Blick starr vor Entschlossenheit. Das Meer ist erst eine Linie am Ende der Straße, die sich verbreitert bis die Linie zu einem schwarzen Band geworden ist und
schließlich zu einer schwarzen Fläche, an der der Fahrer hält. Er steigt aus und öffnet der Frau die Türe. Er steigt wieder ein, fährt ein Stück zur Seite und parkt das Auto direkt am Wasser.
Ad Personam: Barbara Zeman
So manches Porträt schreibt sich leicht. Dieses hier gehört nicht dazu. Erstens ist Barbara Zeman diesem Heft seit Ewigkeiten verbunden und verfasste im Laufe der Jahre schon einiges an Artikeln und Rezensionen. Zweitens – und das macht es erst recht nicht einfacher – kennen wir uns mittlerweile auch schon eine kleine Zeit. So lange schon, dass sie vorab Folgendes ausrichten ließ: »Schreib bitte ja nicht diese dumme, hohle Phrase ›der Autor dieser Zeilen‹. Wenn du ›ich‹ sagen willst, sag ›ich‹ –ok?« Sonst noch irgendwelche Wünsche? »Ach nee. Nee, schreib was du willst.« Super, ein Freibrief. Ein geschickter Schachzug, denn die 31-Jährige weiß sehr wohl, dass Freibriefe auch eine ordentliche Ladehemmung auslösen kön nen. Kaum etwas ist unangenehmer, als den wenigen Platz, der einem zur Ver fügung steht, nicht voll zu kriegen. Also lieber auf Nummer sicher gehen – denn eine Zunge ist schnell verbrannt – und einmal tabellarisch wichtige Punkte der Vita runterrattern? Eisenstadt. Geschichtestudium. Kellnern im B72. Tickets abreißen im Flex. Dolce-Vita-Expeditionen als Reporterin für die Wiener Stadt zeitung Falter. Journalistische Arbeiten für das Feuilleton bei der Tageszeitung Die Presse. Dann – vor fünf Jahren oder so – die fixe Idee, Schriftstellerin zu werden. Einsperren. Rausgehen. Sammeln. Einsperren. Schreiben. Verwerfen. Wegwerfen. Dazwischen Eierspeise und Kaffee kochen in einem Wiener Traditi onskaffeehaus. Dann wieder Schreiben. Rausgehen. Sammeln. Was dabei raus kam: Zwei oder drei oder vier Romane, die einer Veröffentlichung harren und wohl demnächst das Licht der Welt erblicken werden. Und der saftig dotierte Literaturpreis Wartholz 2012 für die Geschichte »Garten. Ansicht mit Frau und zerrissenem Mann vor Paradeisstaude«. Die Jury war überzeugt und lobte die »Übersetzungsarbeit von der Kunst des Gemäldes in die Kunst der Sprache«. Wie sich diese Sprachkunst anfühlt, lässt sich auch in der hier abgedruckten Kurzgeschichte »Aktstudie: Barfüßige Frau mit nassem Haar« ab- und nachle sen. Eine Studie in Außenperspektive zur Bedrohlichkeit vom feuchten Nass. Manfred Gram
Schatten wandern ohne Hast über das Meer. Sie geht über den flachen Fels, der rutschig ist, als wäre er ein gefrorener See unter dem Meer, sie watet voran durch das Wasser, bis zu den Knien geht es sehr schnell, das Kleid flattert leicht um ihre Schulter, es bläht sich, senkt sich, es schnalzt, wenn der Wind in es fährt. Sie wird langsamer, das Kleid ist schon bis zur Hüfte mit Wasser getränkt, zur Taille, bis zur Brust, das Meer klettert bereitwillig über den Stoff hoch an ihr, dann bleibt sie stehen, und lässt sich fallen. Das Kleid wallt im Wasser um sie, ihre Haare kleben am Kopf, zu schwer für eine Bewegung im Wind, das Meer will spielen, das Meer streift sie, streicht über sie, nimmt sie, schubst sie, zieht an ihr, das Meer rollt sich über sie, rollt sich über sie, das Meer ist weich, es deckt sie zu, das Meer neckt sie, es deckt sie ab, deckt sie zu, deckt sie ab. Das Wasser umgleitet sie, macht ihr Kleid schwarzfarben und die Ketten strahlend, die Hände rot und ihr Gesicht weiß, das Wasser löst ihr das rote Haarband, das von ihrem Kopf rinnt wie Blut, das Wasser wogt um sie, will die Frau sanft wiegen, den Kopf noch knapp über Wasser sieht sie nach oben, es gibt dort nicht nur Wolken und Lichter und Winde, es gibt dort auch Vögel, kleine schwarze Körper die fallen, sich auffalten, sich einfalten in der Luft, sich auffalten, sich einfalten in der Luft. Es kreischt vom Himmel, und das Meer breitet sich über die Frau, ohne ein Geräusch. Das Auto fährt schnell, es leuchtet kurz auf, dann liegt die Dunkelheit wieder ruhig über dem Land. Das Hemd des Fahrers klebt an seiner Brust, eine Kette mit großen roten Steinen scheint durch den Stoff, alle paar Minuten blickt er in den Spiegel und sieht im Spiegel die Frau. Um ihre Schultern das Sakko des Fahrers, es tropft. Die Sterne stecken winzig im Himmel, als hätte er sie sich eingetreten, weit unten windet sich die Straße zwischen dem Meer und dem verdunkelten Ort. Schatten formen das graue Gesicht, den Körper, der am Fenster stehenden Frau. Das Dämmerlicht besteht aus breiten schwarzen Strichen, aus Stäben, die sie umrahmen, auf ihren Hals drücken, ihr Kinn zittert, ihre Hände, auch die rote Schleife, die noch immer in ihre Stirn hängt, sie zieht etwas ungeschickt die Vorhänge zu, das Meer verschwindet, Fenster um Fenster, dann steht sie still, so still ein zitternder Mensch nur stehen kann. Ihr Körper, ihr Gesicht, unsichtbar in vollkommener Finsternis, nur ein schmaler, gelber Strich liegt waagrecht auf dem Boden, an der Stelle, an der sich der Türspalt befindet.
super-fi.eu
A B H I E R : R EZENS ONEN
Oberhofer Time Capsules II (Cooperative)
Sprudelndes Durcheinander
BILD Cooperative Music
Oberhofer legen mit »Time Capsules II« ein Debütalbum vor, dem der jugendliche Überschwang förmlich aus den Rillen tropft. Bereits Ende letzten Jahres hat Brad Oberhofer, der junge Mann, der dieser Band seinen Nachnamen leiht, mit der Single »Gotta Go« aufhorchen lassen. Das in authentische Nostalgie getränkte Stück wäre auch im Repertoire der ebenfalls in Brooklyn ansässigen Drums angenehm aufgefallen. Dass es der Song nun nicht auf das Debütalbum von Oberhofer geschafft hat, mag überraschen, ist aber auch schlüssig: In seiner Geradlinigkeit ist »Gotta Go« so etwas wie ein »braver« Sonderfall, während auf »Time Capsules II« ein sprudelndes Durcheinander herrscht. Sei es der ausufernde Instrumentenreigen, der Songs wie die aktuelle Single und Eröffnungsnummer »Heart« in sämtlichen Farben des Regenbogens schimmern lässt, sei es der immer wieder hingebungsvoll jodelnde, jaulende oder krächzende Gesang, sei es das Spiel mit Rhythmuswechseln, Songstrukturen und Brüchen – alles deutet darauf hin, dass hier jemand an einer kleinen Aufmerksamkeitsdefizitstörung leidet. Von »lärmender jugendlicher Ausgelassenheit« erzählen Brad Oberhofer und seine drei Bandkollegen dann auch auf ihrer Facebook-Seite, und sie deuten an, dass dem Album der Versuch vorausgegangen ist, eine Symphonie zu schreiben. Zwei schlüssige Anhaltspunkte für die Entstehung dieses Konglomerats aus überbordendem ChamberPop und druckvollem Indie-Rock, dessen Eingängigkeit wie auch eine latente Ernsthaftigkeit von all der Unrast unbeeinträchtigt bleiben. Ganz im Gegenteil: »Time Capsules II« ist – unter der Ägide von Produzent Steve Lillywhite (U2, Morrissey, ...) – eine mit ansteckenden Melodien und wallenden Gefühlen prall gefüllte Wundertüte geworden. 08/10 Manuel Fronhofer
057
Rez
Alabama Shakes Boys & Girls (Rough Trade)
musik
Julia Holter Ekstasis (Rvng Intl)
Wohin? Die Rückkehr der guten alten Soul-Röhre Alabama Shakes aus Athens, Georgia, mit Sängerin Brittany Howard sind prädestiniert dafür, groß zu werden. Ihr Debütalbum macht alles richtig. Wobei: »Alles richtig machen« ist hier eine Frage der eigenen Perspektive und Ansprüche. Als Bewohner eines gottlosen, von höheren Wesen befreiten Universums kann es einem schon alles zusammenziehen, wenn diese zweifellos großartige Sängerin mit dieser ebenso zweifellos wunderbaren Musik barmt »There must be someone up above«. Das heißt, ich persönlich kann die Alabama Shakes nur genießen (und diesen geilen Sound zwischen CCR und Southern Soul nicht zu genießen, ist ein Kunststück, das willensstärkere Menschen vollbringen müssen), wenn ich sie nicht ernst nehme, wenn ich ausblende, was ich glaube, dass diese Musik transportieren möchte. Weil inhaltlich ist das – bei bestechender Form – reichlich basic und tausendmal gejausnet. Mir müsste etwas entgangen sein, wenn Songs wie »I Found You«, »Hang Loose«, »Heartbreaker«, »You Ain’t Alone« oder »Going To The Party« tiefer gehen als ihre plakativen Titel. Ja, ja, soul-searching, große, echte Gefühle, die authentische Sängerin und der ganze Scheiß – gesungene Lebenshilfe-Plattitüden, die schon einmal als große Wahrheiten missverstanden werden dürfen. Sowieso: Im tatsächlichen Dreck der globalen Formatradios muss mensch sich über eine Band wie Alabama Shakes schon und trotzdem freuen. Aber was die Welt und die USA wirklich bräuchten, ist eine Band, die mit so einer tollen, guten Musik in so einem großartigen Sound das kommunistische Manifest vertont und auf einem von gleichberechtigten MusikerInnen als GenossInnenschaft betriebenen Label erscheint. So sind die Alabama Shakes nur more of the same, auf höchstem Niveau. 08/10 Rainer Krispel
058
Dass es so nicht weitergeht, ist klar. Der brave Eskapismus von Julia Holter klingt bezaubernd, hilft aber auch nicht weiter. New Age also. Das war irgendwann einmal für ein paar Wochen kein Schimpfwort, sondern drückte den Willen aus, dass der Materialismus noch nicht alles sein kann, dass auch Religion nicht alle Antworten bereithält. Irgendwo da draußen ist ein anderes Zusammenleben möglich. Einzelne Psychedelic- und Krautrock-Bands haben sich in langen Improv-Meditationen auf die Suche nach dieser Anderswelt gemacht, Ambient hat einiges dazu beigetragen, New Age seinen teils üblen Ruf zu verleihen. Wenn nun Julia Holter die alte Kiste aufmacht und dafür von Fact Mag bis BBC, von Pitchfork bis Sputnik lautes Hurra erntet, hat das sicher auch mit dem Versagen von Indiepop und HipHop zu tun, in den Nuller Jahren mehr als nur puren Konformismus zu produzieren. Echte Alternativen sind willkommen. Und nachdem man zwar in der Vergangenheit teilweise fündig geworden ist, aber die Gegenwart auch nicht stehen bleibt, ist der Schritt hin zu New Age zumindest konsequent. Der Albumtitel, Ekstasis, bedeutet immerhin »aus sich hinaustreten«, verrät Wikipedia. Julia Holter kommt dabei ohne Kommunen oder Bio-Technologie aus, auch ohne alternative Vertriebswege (Fair Trade, AR App, Schneckenpost) oder antiheteronormative Manifeste. Ihre Mind Machine heißt Musik. Julia Holter möchte ihre konzentrierten Sound- undSong-Atmosphären als etwas Intuitives verstanden wissen. Tatsächlich, ihre behutsam zerbrechlichen, immer wieder abbremsenden Songs sind mal zart, wehmütig, wirken dabei leicht altertümlich. Nur selten haben sie klare, klassische Strukturen, Strophe, Refrain und das. Sie sind im Avant-Pop genauso daheim wie in Folk und Soundscape-Kompositionen. Dabei tun sich ein paar Ähnlichkeiten zu CocoRosie und Joanna Newsom auf, nur singt Julia Holter weniger gekünstelt, zwar mit sich selbst im Chor, durch Schleier aus Hall, aber wenn man so will, klarer. Auch wenn die Details feinst verwoben sind, dürfte das nur noch aufregender klingen, radikaler, ungewöhnlicher, fremder, ekstatischer – immerhin muss Musik die Welt für ein paar Minuten retten. 06/10 Stefan Niederwieser
Rez
BILD Autumn DeWilde, Rick Bahto, Sean Donnola, Kompakt
Lower Dens Nootropics (Domino)
musik
Mohn Mohn (Kompakt)
Brain Train
Magischer Beton
Drone-Pop, New Wave und Psychedelia: Ein lohnendes Album mit schwierigem Einstieg.
Die Kompakt-Schwergewichte Wolfgang Voigt und Jörg Burger zelebrieren mit ihrem Projekt den Zeitlupentechno. Das Ergebnis ist magisch.
Das schwierige zweite Album gibt sich schwierig: Lower Dens experimentieren auf »Nootropics« mit der künstlerischen Ambivalenz von Tiefgang und Repetition. Der monolithische Opener »Alphabet Song« spinnt die Traumwolken in Richtung Transhumanismus – es geht um die Veränderung der menschlichen Sinne durch den Einsatz von Technik, um die Erweiterung des Intellektuellen, Psychischen und Physischen. Drums, Synthesizer und Bass setzen nacheinander ein, während die sich hinter einer sachte aufbauenden Wall-Of-Sound-Mauer körperlos versteckende Stimme von Sängerin Jana Hunter schwer rezitierbare Prosa singt. Es ist, als ob man Musik dabei zuhört, wie sie versucht, ein Bild zu sein. Der Track erreicht eine Klimax, ohne dass sich das Ohr merken würde, welche Melodien es vernommen hat. Schwer zugänglich gibt sich auch die Single »Brains«: Keine Hooks und kein Vers-Chorus-Vers Schema belästigen die Hörgewohnheiten mit Dingen wie Songstruktur oder Radio-Airplay-Tauglichkeit. Stattdessen führen uns Lower Dens mit geometrisch wirkenden, elektrisch verzerrten Drumcomputer-Rhythmen in die Disco des Todes. Die Demontage von Pop-Konstruktionen setzt sich in den Tracks »Stem« und »Propagation« konsequent fort, während »Lamb« einen kleinen Schritt in die Sonne wagt. Hier klingt das Quartett gar nicht mehr so kalt und abstrakt. Teils erinnert »Nootropics« mit seinen langgezogenen, schwelgerischen Melodiebögen an jene Art von Transzendenz-Pop, wie ihn Gruppen wie Beachhouse, Best Coast oder Wild Nothing schon länger zelebrieren – eine Fassade, die auch Lower Dens sehr gut steht. Nach mehrmaligen Hörgängen wird »Nootropics« erstaunlich durchlässig, als ob auf einmal etwas, was zuvor verschlossen schien, plötzlich offensichtlich geworden ist. Zum Schluss malt »In The End Is The Beginning« noch einmal warm akzentuierte Rätsel auf die Netzhaut, ehe das Album irgendwo zwischen Neo-Psychedelia und Ritalin-Wave im Äther verrauscht. »Nootropics« steht im Englischen für Medikamente, die mentale Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration erhöhen – Gehirndoping ist trotzdem nicht zwingend nötig, um dieses Album, das freischwingend zwischen Pop und Drone pendelt, genießen zu können. 07/10 Michael Kirchdorfer
Wer schon mal am Kölner Ebertplatz war, weiß, dass die an hässlichen Stellen nicht arme Stadt am Rhein dort besonders grausam grau ist. Man muss schon ein ausgesuchter Liebhaber klotziger Urbanität sein, um sich von der in Beton und Stahl gegossenen Nachkriegsmoderne nicht deprimieren zu lassen. In einem ganz anderen Licht zeigt sich der Verkehrsknotenpunkt allerdings in dem wunderbaren Video »Ebertplatz 2020« von Mohn, dass vor einigen Wochen auf Youtube auftauchte. Die beiden Kompakt-Godfathers Wolfgang Voigt (aka Gas und Mike Ink) und Jörg Burger (The Modernist) streichelten mit der Kamera langsam über die Unterführungen und Betonkötze, tauchten sie in farbige Negative und unterlegten das Ganze mit einem Teppich aus Ambient Techno, der so langsam und zuverlässig floß wie der Rhein selbst. Das war großartig, und der Soundentwurf funktioniert auch auf Albumlänge erstaunlich gut. »Mohn« ist eine provozierend langsame Platte. Sie treibt eine Stunde mit gefühlten 20 bpm vor sich hin und türmt dabei Klangteppiche zu gewaltigen Ambient-Plattenbauten auf. Es ist quasi unmöglich, sich der hypnotisierenden Wirkung des Zeitlupen-Techno, den das Duo auftischt, zu entziehen. Es knistert, klickert und rauscht auf neun magischen Tracks, die schwebend-zeitlos sind und trotzdem mit voller Breitseite kommen. Müsste man die Platte mit einer Metapher beschreiben, würde sich ein Ozean aufdrängen: »Mohn« ist manchmal still, kräuselt sich hier und da und wogt zwischenzeitig auch. Aber man hat immer das Gefühl, die Weite im Ohr zu haben. Highlights sind neben »Saturn« und »Das Feld« die oben erwähnte Hymne an den Ebertplatz und der Titeltrack. Wirkliche Schwächen hat das Album keine. Es ist sogar etwas für Menschen, die normalerweise bei Konzept-Techno nur mit den Augen rollen. Dem umtriebigen Voigt, der neben seinem Dasein als Produzent und Labelmacher auch mal gerne als Maler in Erscheinung tritt, ist mit seinem Partner Jörg Burger etwas gelungen, woran er bei seinen anderen verkopften Projekten (man denke hier zum Beispiel an die »Rückverzauberung«) manchmal gescheitert ist: Musik, die auf der Kopf- und der Bauchebene funktioniert. 07/10 Jonas Vogt 059
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Schlachthofbronx Dirty Dancing (Disko B)
Konzentriertes Durcheinander Während das bayrische Duo ihre globalen Bass-Einflüsse auf ihrem Debüt noch größtenteils durcheinanderschreien ließ, schiebt ihr zweites Album fast schon gesittet in Richtung Dancefloor. Der Sound von Schlachthofbronx bleibt grundsätzlich eine wilde Mischung. Electro, Dancehall, Booty Bass, Ghetto Tech, Tribal House, Kuduro, Baile Funk, Cumbia und was sonst noch in aller Welt die Hüften ausrenkt, wird auch hier wieder miteinander verschränkt. Funktionalität bleibt der Primat von Schlachthofbronx und da überrascht es auch nicht, wenn sich plötzlich mehr Techno und besonders Juke unter ihr Sortiment mischt. Das tanzwütige Stiefkind von Chicago House drang nach Jahren als brodelnde Jugendkultur 2010/11 endlich nach Europa durch. Labels wie Planet Mu nahmen den zappeligen Sound bei sich auf (siehe DJ Spinn, DJ Rashad, DJ Nate oder Bangs & Works Vol. 1 und 2). Dass dieses Subgenre für die beiden Münchner ein gefundenes und wahrscheinlich längst observiertes Fressen ist, lässt sich bei Stücken wie »That G-String Track«, »Every Day Of The Week feat. DJ Assault« oder »Waistline« nachhören. Gleichzeitig klingen auf »Dirty Dancing« folkloristische Melodien klarer durch als zuletzt, wenn auch diesmal auf bayrische Blasmusik als Sample-Grundlage eher verzichtet wurde. Die beschwingten Akkordeons bei »Juego feat. Double J« oder die sanfte Ukulele bei »Apizaco« dürfen für sich sprechen. Anders als bei ihrem selbst betitelten Debüt (2009), brettern die bunten Einflüsse weniger aneinander. 2012 wandeln Schlachthofbronx ihre Reibungsflächen in differenzierte und geschmeidige Club-Konzentrate, die schrille Sirenen kaum noch brauchen. Denn nach unermüdlichen Touren weltweit und zahlreichen EPs bei Bass garantierenden Labels wie Man Recordings oder Mad Decent haben sich die Münchner ihre eigene Souveränität erspielt. Ihre Kompositionen sind zwar immer noch randvoll mit Samples, gleichzeitig spricht aus ihnen die Gelassenheit erfahrener Produzenten. Schlachthofbronx verstehen ihren eigenen kruden Kosmos immer präziser zu modulieren. Auch wenn ihr Sound über die Jahre an Originalität eingebüßt hat, neben vergleichbaren Acts wie Diplo, Buraka Som Sistema oder Modeselektor geben sie in Sachen Bounce nach wie vor den Ton an. 07/10 Klaus Buchholz 060
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Soul Clap Efunk (Wolf+Lamb)
Everybody’s Freaky Under Natures Kingdom Soul Clap bilden mit ihrem Debüt »Efunk« ihren Ist-Zustand genauso ab wie ihre galaktische Renaissance, durch die sich unsere Hintern emanzipieren sollen. Und das nicht nur im Club. Eli Goldstein und Charles Levine gehören zu den weltweit renommiertesten DJ-Duos. Der Erfolg von Soul Clap (auch Titel der Debüt-EP des HipHop-Duos Showbiz & A.G. und angeblich Namensgeber) lässt sich schnell umreißen: Ihr extravaganter Style zwischen Genres und Tempi in ihren Sets zu wechseln, Edits von Jamie Foxx, Laid Back und Robert Owens zu zimmern und die eigenen Tracks mit genügend Boogie, Disko und Funk anzureichern. Das sind grob die fundamentalen Eckpfeiler, um nach Jahren des Kahlschlags am Dancefloor ganz weit oben anzugelangen. Mit ihrer DJ-Kicks Compilation für K7!, die gemeinsam mit den Labelgründern und Kollegen Wolf+Lamb entstanden ist, haben sie dann Anfang 2011 noch einmal Herzen für sich gewonnen. Nun erscheint ihr Debüt-Album »Efunk«. Der Titel ist eine Abkürzung und steht für »Everybody’s Freaky Under Nature’s Kingdom«. Das tun die beiden auf 13 Tracks, die insgesamt 45 Minuten Spielzeit offenbaren auf nur einer 12-Inch mit viel Kontrolle. Denn ihre Produktionen haben eine Perfektion erreicht, wo nichts mehr dem Zufall überlassen wird. Ihren Ausdrucksmitteln bleiben sie dabei treu und werden sogar noch offener in Richtung 80er Funk, 90er Gangsta-Manier und dem watteweichen R’n’B. Der amtliche Nachfolger des Hits »Lonely C« auf der K7!-Compilation heißt auf dem Album »Let It Go«. Die Vocoder-Stimme über den Slowmo House Beat hat das Zeug zur Hymne. Alles auf dem Album klingt nach dem Streben, in den Reigen der Stars aufgenommen zu werden. Das Wildern in den ganz unterschiedlichsten Beat-Schulen, ein Songtitel mit so einem seltsam antiquierten Retro-Wort wie »Groove« und auch die skurril-coolen Kostüme erinnern dabei mehr als einmal an die Weirdos von der Westküste, Chromeo. Dabei bleiben leider Soul Claps Kernkompetenzen über die ganze Länge etwas auf der Strecke. Dann doch lieber etwas mehr Reduktion und Konzentration, die Herren, bitte. 06/10 Johannes Piller
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BILD Edward Beierle, Wolf+Lamb, Chiara Meattelli, Mute Records
Mark Stewart The Politics of Envy (Future Noise Music)
musik
White Rabbits Milk Famous (Mute)
Brachial-Dub in Weiß
Von jedem Grat befreit
Im Jahr 2012 schreit man wieder wütende politische Parolen. Mark Stewart hat darin jahrzehntelange Erfahrung und er weiß auch, wie sie klingen müssen, damit sie gehört werden: gnadenlos brachial.
»Milk Famous« von den White Rabbits bietet solides Handwerk und wirkt dabei wie der belanglose Nachfolger von Radioheads »In Rainbows«.
Er wurde schon als »Poet of Paranoia« bezeichnet. Und in der Tat: Wohlfühlen konnte man sich in seiner Musik nie. Ob mit The Pop Band oder Maffia: Mark Stewarts Markenzeichen war immer, dass er sich an Stilen bedient, aus denen andere leichte, tanzbare Musik machen. Er hingegen deutet Black Music in Richtung einer kalten und sperrigen Industrieästhetik um. Die schneidende Stimme, mit der er seine sloganhaften Botschaften skandiert, tut ihr Übriges. Auf »The Politics Of Envy« lässt Stewart und Dub- und Funkelemente schockgefrieren, jagt sie dann mit voller Wucht durch die Verstärker und lässt sie an Betonwänden zersplittern. Die elf Tracks spannen einen Bogen von apokalyptischem Dancehall wie etwa bei »Codex« oder »Apocalypse Hotel«, bis zu Politdisco in vollkommen überzeichneter EurobeatManier wie bei »Baby Bourgois«. Die Liste der Gastmusiker im Booklet von »The Politics Of Envy« ist der Beweis für den Einfluss, den Stewart seit drei Jahrzehnten auf die Musikszene hat. Bei der Single »Autonomia« unterstützen ihn Primal Scream mit ihren kreischenden Gitarren. In dem Song thematisiert er den Tod von Carlo Guilani, der 2001 bei den Demonstrationen gegen den G8 Gipfel in Genua von einem Carabiniere erschossen wurde. Für »Gang War«, ein Dub-Ungetüm der Sonderklasse, hat er sich Lee »Scratch« Perry ins Studio geholt. Weitere Namen auf der Kooperations-Liste sind Keith Levene von Public Image Ltd., Tessa Pollitt von den Slits, US Punk-Legende Richard Hell, Daddy G von Massive Attack oder der Filmemacher Kenneth Anger. Stewarts Nonkonformismus hat seine Wurzeln in der Punkbewegung der 70er Jahre. Seine fundamentale Kritik an Politik und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fallen im Jahr 2012 scheinbar wieder auf besonders fruchtbaren Boden, obwohl Mark Stewart wie nur wenige seiner Zertrümmerer-Kollegen der 70er seine fundamentale Kritik eigentlich immer sehr scharf formulierte und auch sound-technisch nie Zugeständnisse machte. Zumal sein massiver Dub-Funk absolut zeitgemäß ist. 08/10 Werner Reiter
Wenn die erste Zeile der Presseinfo zu einem neuen Album auf den Produzenten verweist, lässt das bereits Übles vermuten. Ein Typ, den kaum einer kennt, hat also an den Knöpfen gedreht – wie zuvor schon für … And You Will Know Us By The Trail Of Dead und Spoon. Gut zu wissen. Tipp Nummer 38 der ganz brauchbaren Liste »101 Secrets To Indie Rock Success« bringt es auf den Punkt: »If you say ›for fans of The Hold Steady‹ or somehow mention another well known band in your press release, we will know immediately that you are way crappier than that band.« Aber genug der Skepsis, vielleicht können die fünf Brooklyner ja nichts für den Promo-Versuch ihres Labels. Interessant ist die Band nämlich auf alle Fälle. Führt sie doch relativ detailgetreu vor, wo Radiohead 2012 stünden, hätten sie sich nach »In Rainbows« jeglicher Artyness entledigt und versucht, möglichst belanglos zu klingen. Die White Rabbits sind vielleicht schon zu gut – sicher auch dem Produzenten zu verdanken, dieser Umstand – in dem Sinne, dass sowohl Sound als auch Songwriting von jedem Grat, jeder Kante befreit sind. Um die Metapher auf die Spitze zu treiben: Da ist so lange gefeilt worden, bis nichts mehr übrig gewesen ist als ein Haufen Staub. Aber immerhin schön lackiert und auf Hochglanz poliert ist »Milk Famous«. Als Soundtrack zum sonntäglichen Katerfrühstück taugt die Platte allemal. Und Songs wie »Heavy Metal« muss man auch erst mal schreiben können. Außerdem: Radioheads »The King Of Limbs« kann ja in gewissen Situationen durchaus einen Tick zu überspannt sein – etwa, wenn die Großeltern zu Besuch kommen oder der Lacan-Text gerade Schwierigkeiten macht. Dass die White Rabbits solides Handwerk abliefern, daran besteht kein Zweifel. Besonders, wenn mal etwas Schwung in die Sache kommt, wie bei »Temporary«, dessen von Gitarrenlärm belästigter Bass-Groove erfrischend postpunkig grummelt. Alles in allem ist »Milk Famous« aber eher für Leute, denen die Nullerjahre zu schnell vorbeigegangen sind, als für Freunde der frühen Releases des legendären Labels Mute Records. 05/10 Philipp Forthuber 061
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Mu s i k
Die Welt auf Scheibe – erklärt in 140 Zeichen zum Angeben in der Disco. Ausführlich auf www.thegap.at/reviews
Allen Alexis Different Believers (Lamb Lane) Wenn etwas klingt, als hätte man es schon 17 Mal gehört, zb. nach Synthpop mit Laptop, braucht es gute Grün de das zu tun. Allen Alexis haben davon zu wenige. 04/10 stefan niederwieser ——► The Asteroids Galaxy Tour Out Of Frequency (BMG) Beck hat das auf »Midnite Vultures« auch schon probiert: Was gut und farbenfroh und lustig ist, kommt in den Topf, Bläser dazu, einmal kurz aufkochen lassen, fertig. 06/10 Philipp Forthuber ——► Batida Batida (Soundways) Wenn dir »Kuduro« nichts sagt, bist du mit einer Compilation zum angolanischen Daft-Punk-Dancehall besser bedient. Wenn doch, darf es auch Batida sein. 06/10 stefan niederwieser ——► Betty’s Apartment VI (Ghost Light) Das Debütalbum des Salzburger Trios zeigt gute Ansätze, wie sich Pop mit Protest widerspruchslos vereinen lässt. 06/10 gerald c. stocker ——► Black Dice Mr. Impossible (Ribbon) Auf seinem sechsten Album nähert sich das Trio aus Brooklyn dem Dancefloor an: Noise und Dub im Wechselbad mit Techno und Ideen von Jungle. 08/10 Philipp L’Heritier ——► Botanica What Do You Believe In (Rent A Dog) Der New Yorker Band mit europäischer Sensibilität geht am Theater die Luft aus, das achte Album von Botanica will (zu) viel und kann zu wenig. 03/10 Rainer Krispel ——► Cast Troubled Times (Absolute) John Power war mit The La’s ein Pu blikumsliebling, mit Cast Top of Brit-Pop und auf Solopfaden trotz einpräg samer Stimme etwas verwechselbar. Das Comeback mit Cast bringt nun soli den Sixties-Rock. 05/10 gerald c. stocker ——► Clark Iradelphic (Warp) Das Beatgewitter ist vorbei. Auf Album Nummer sechs verziert Chris Clark seinen Klanghimmel mit Soundscapes und Martina-Topley-Bird-Vocals. Aufgeräumter als früher, aber nicht schlechter. 07/10 maximilian zeller ——► Graham Coxon A+E (EMI) Nach ein paar beschaulicheren Alben hat der (Ex-)Blur-Gitarrist wie der die Lust am Rocken für sich entdeckt. 07/10 gerald c. stocker ——► The Cult Choice Of Weapon (Cooking Vinyl) Der einstige Zorn ist immer noch da, die Kreativität leider auf der Strecke geblieben. Hier bitter nachzuhören. 04/10 gerald c. stocker ——► DCVDNS Brille (Distributionz) DCVDNS bricht mit seinem Debüt eine Lanze für die Brillenschlangen und albernen Streber des 062
Deutsch-Rap. »Brille« klingt aberwitzig und geil. 08/10 klaus buchholz ——► Dry The River Shallow Bed (Sony) Diese fünf zart besaiteten Männer holen den Folk aus dem Heuschuppen, schultern die Gitarre und ziehen übers wei te Feld in größere Venues. 07/10 juliane fischer ——► DVA Pretty Ugly (Hyperdub) Leon Smart aka DVA veröffentlicht auf Kode 9s Genre-definierendem Label Hyperdub seine Sicht der Dinge – zu gleichen Teilen glatt, wie glän zend. 07/10 kevin reiterer ——► Facelift Whom Do You See? (Pate) Vier ehe malige Grazer Wunderkinder scheitern trotz einiger Lichtblicke und gelunge nen Arrangements zusehends an sich selbst. 05/10 kevin reiterer ——► Giana Factory Save The Youth (Questions & Answers) Electro-Pop-Revival, wirklich? Giana Factory meinen es ernst und versuchen ein Genre aus dem Wachkoma zu rütteln. Für Fans von Ladytron. 06/10 Philipp Forthuber ——► Gravenhurst The Ghost In Daylight (Warp) Mit seinem sechsten Album errichtet der englische Musiker Nick Talbot verspuktem Folk und Shoegaze eine neue Kathedrale – heute weihevoller denn je. 09/10 Philipp L’Heritier ——► Sven Kacirek Scarlet Pitch Dreams (Pingipung) Elektronische Musik aus der Jazz-Ecke. Etwas ver kopft, was aber ja nicht schlecht sein muss. 05/10 jonas vogt ——► Kommando Elefant Scheitern als Show (Las Vegas) Dieses kleine Electro-Pop-Pflänzchen hat sich in den letzten Jahren zu einer fixen Größe in der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik entwickelt. 07/10 gerald c. stocker ——► KTL V (Editions Mego) »V« ist eine selten geradlinige Elegie mit Konzept-Appendix. Das 15-minü tige »Phill 2« seine orchestrale Krönung. 07/10 stefan niederwieser ——► Lazer Sword Memory (Monkeytown) Im Land, wo die dunklen Vektoren wohnen, wo die Dystopie noch in der fernen, kalten, geilen Zukunft wartet, schwingen Lazer Sword Bässe in Netzgeschwindigkeit. 06/10 stefan niederwieser ——► Lightships Electric Cables (Domino) Zeig mir den Weg zur Sonne: Psychedelischer Frühsommer-Jangle-Pop aus Glasgow, der behäbig zwischen Erhabenheit und Kitsch pendelt. 06/10 michael kirchdorfer ——► Locas In Love Nein! (Staatsakt) Die Kölner schaffen es, das unerträgliche Album »Lemming« noch zu toppen. Alles wissen, alles kennen – aber gar nichts verstehen. 02/10 Rainer Krispel ——►
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Luciano Vagabundos (Cadenza Lab) Luciano hat für die Ibiza-Off-Saison einen Mix fabriziert. Auf vier Decks samt FX arrangiert er einen bemerkenswerten Mix zwischen Tech-, Deep-House und Pop. 06/10 johannes piller ——► Paul McCartney Kisses On The Bottom (Hear) McCartney stattet der glorreichen Swing-Ära der 20er- und 30er-Jahre einen nostalgischen Besuch ab und erfüllt sich damit einen Kindheitstraum. 07/10 raphaela valentini ——► New Build Yesterday Was Lived & Lost (Lanark / PIAS) Und noch ein Nebenprojekt: Zwei Mitglieder von Hot Chip und ein befreundeter Studio-Wizard bauen syntheti sche Popmusik. Kaum überraschend, aber super. 07/10 Philipp L’Heritier ——► Nits Malpensa (Global Records) Gelassen, ohne Hysterie, aber mit Herz den Pop der Oberklasse machen, den Jungspunde nicht mal erahnen können. So einfach am Punkt, so schön. 06/10 Michael Bela Kurz ——► Salim Nourallah Hit Parade (Tapete) Das Album des texanischen Musikers birgt das Potenzial, sich in das eine oder andere dieser Lieder zu verlieben. Lässig unaufgeregter SingerSongwriter-Rock. 07/10 Rainer Krispel ——► Attilio Novellino Through Glass (Valeot) Sonorische Reflektionen von Noise instrumentalisiert und stilsicher auf den Punkt gebracht. Ambient der nächsten Generation in doppelter Hin sicht. 06/10 johannes piller ——► Papier Tigre Recreation (Africantape) Vam pire Weekend spielen mit Rival Schools auf einem Straight Edge-Festival. Leicht akademischer Post-HC/Math-Rock mit Indie-Elementen. 05/10 jonas vogt ——► Pink Floyd The Wall (Experience Version) (EMI) Ein immergrüner, etwas in die Jahre gekommener Meilenstein erlebt sein Repackaging-Drama. 06/10 gerald c. stocker ——► Pupkulies & Rebecca Looking For The Sea (Normoton) Die fade Version von Dolores O’Riordan trifft auf die nüchterne Variante von Nôze. Chansons mit einer Brise House für Fans von Dawson’s Creek. 04/10 johannes piller ——► Pyrolator Ausland (Bureau B) Re-Release eines wegwei senden Avantgarde-Albums mit Pop-Appeal. 07/10 werner reiter ——► Pyrolator Inland (Bureau B) Düstere Synthesizer-Industrial-Collagen aus Westdeutsch land, 1979: ein historisches Tondokument, das seiner Zeit vorauseilte. 07/10 michael kirchdorfer ——► Karl Ritter Soundrituale (Windhund) Feedback
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und der Klang von 30 Gitarren übereinandergeschichtet, mit einer weiblichen Stimme versehen und es ist weit mehr als Noise. 06/10 johannes piller ——► Marbert Rocel Small Hours (Compost) Vierköpfige Leipziger Wohngemein schaft macht Balladen auf 130 bpm. Ständig, in jedem Zimmer, an mehreren Songs gleichzeitig. Mitbewohner gesucht! 07/10 moritz gaudlitz ——► Session Victim The Haunted House Of House (Delusions Of Grandeur) Session Victim hängen viel am Strand rum, machen erschöpfte, salzhaltige Disco, haben dabei aber vergessen, genügend Ideen auszuproduzieren. 05/10 stefan niederwieser ——► Skint & Demoralised This Sporting Life (Heist Or Hit) Der junge Brite versteht es, Geschichten zu erzählen, denen man einfach gerne zuhören möch te. Die Musik gibt es obendrauf. 07/10 gerald c. stocker ——► Spiritualized Sweet Heart Sweet Light (Double Six) Jason Pierce zeigt mit dem siebten Album der Band Spiritualized, dass sein kosmisches Musik-Mojo funktioniert, netter Psychedelic-Pop. 06/10 Rainer Krispel ——► The Stranglers Giants (Edel) Album Nummer 17 zeigt die »Men In Black« (1974 gegründet!) mit drei verbliebenen Originalmitgliedern in feiner Form, zehn unterhaltsame Rock songs. 06/10 Rainer Krispel ——► Super 700 Under The No Sky (Motor) Kei ne Dunkelheit, aber auch kein Licht: Dream-Pop-Katermusik aus Berlin. 04/10 michael kirchdorfer ——► Voices From The Lake feat. Donato Dozzy & Neel Voices From The Lake (Prologue) Donato Dozzy und Neel verarbeiten ihren Japan-Aufenthalt mit bewaldetem Ambient Techno in der Tradition von Säh kö und Basic Channel. 07/10 johannes piller ——► Paul Weller Sonik Kicks (Universal) Weller zeigt überzeugend, wie man es trotz vielerlei Stilzitate ver meidet, in die Nostalgie-Falle zu tappen. 08/10 gerald c. stocker ——► James Yorkston And The Athletes Moving Up Country (10th Anniversary Edition) (Domino) Der schottische Singer-Songwriter mit ausgeprägtem Hang zum Folk will uns an sein zehn Jahre altes Meisterwerk erinnern. 07/10 gerald c. stocker ——► Young Liars Homesick Future (Nettwerk) Peppiges Heimweh: fünf sym pathische Kanadier, ein paar geheimnisvolle Comics und dazu viel Bekann tes, leichtfüßig serviert auf einer Digital-only-EP. 05/10 nicole schöndorfer 063
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The Future’s Past (von Susanne Brandstätter) — Susanne Brand stätters Zugang in ihrer neuen Kambodscha-Doku ist innovativ: »The Future’s Past« dokumentiert auf formschöne Weise den Blick der Generationen auf einander. Dieser ist von gegenseitigem Unverständ nis geprägt, insbesondere vor dem Hintergrund ei nes diffizilen historischen Kapitels. Im Mittelpunkt stehen drei kambodschanische Familien, deren Älteste das Pol Pot-Regime miterlebt haben. Ange sichts der erstmaligen öffentlichen Diskussion der Geschehnisse im Fernsehen findet auch innerhalb jener Familien ein Diskurs statt. Aus heutiger, mehr oder minder privilegierter Sicht, versuchen die Ju gendlichen, die erschütternden Erzählungen zu be greifen. Dies gelingt nur bedingt. Von der Regisseu rin motiviert, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Wiederaufarbeitung der Ereignisse – sowohl inner halb der Familien, als auch für ein westliches Kino publikum, dessen Zugang zum Thema ein schwieri ger bleibt. »The Future’s Past« beleuchtet die Kluft zwischen den Generationen, die durch Jahrzehnte des Schweigens unvermeidbar gemacht wurde. Da bei geht der Film jedoch kaum über grundsätzliche Denkanstöße zum Umgang mit Geschichte und Ta bus hinaus. 06/10 Artemis Linhart Kuma (von Umut Dağ; mit Nihal Koldaş, Begum Akkaya, Vedat Erincin, Murathan Muslu) — Das Kinodebüt des österreichischen Nachwuchsregisseurs Umut Dağ ist ein bedrängendes Kammerstück geworden. Mit viel Feingefühl schildert »Kuma« den familiären Überlebenskampf einer austro-türkischen Mutter, der Krebs diagnostiziert wird. Aus Verzweiflung he raus organisiert sie für ihre Kinder und ihren Mann eine Ersatzmutter aus der Türkei. Diese ist kaum älter als ihre Töchter und wird wegen des Aufent haltstitels offiziell mit dem Sohn verheiratet. Aber das fragile Kartenhaus der Mutter stürzt unter der eigenen Ohnmacht stückweise ein. Währenddes sen verlässt das schwelende Drama kaum die Enge der Wiener Wohnung. Dabei verliert »Kuma« mit telfristig zwar etwas von seiner erzählerischen Dy namik, die dringliche Schauspielführung lässt das aber vergessen. Zum tragischen Finale hin brechen die Generationskonflikte gewaltsam auf und die Charaktere unter ihren Konventionen ein. Das Pub likum wird mit einer unbequem intimen Perspektive entlassen, die sich zwischen tradierter Zerrüttung, Emanzipation und Familiensinn neu verhandeln muss. 07/10 Klaus Buchholz 064
Headhunters (von Morten Tyldum; mit Aksel Hennie, Synnøve Macody Lund, Nicolaj Coster-Waldau, Eivind Sander)
Bring mir den Kopf von Roger Brown Nach dem Roman von Jo Nesbø schickt Regisseur Morten Tyldum seinen gelackten Protagonisten auf einen reichlich unangenehmen Trip in die norwegischen Wälder. Ein bluttriefendes Stück Kino aus dem hohen Norden zwischen Survival-Horror, Heist-Movie und Kapitalismus-Satire. Die düstersten Geschichten kommen aus Skandinavien. Nach Stieg Larssons »Millenium«-Trilogie läuft mit »Headhunters« nun ein Thriller des norwegischen Bestseller-Autors Jo Nesbø in den heimischen Kinos an. Ähnlich wie bei Larson sind auch Nesbøs grausame Krimiplots stets mit Gesellschaftskritik durchzogen. Im Zentrum von »Headhunters« steht mit dem Personalvermittler Roger Brown (Aksel Hennie) das Paradebeispiel eines eiskalten Kapitalisten. Selbstherrlich sondiert der überzeugte Föhnwellenträger Kandidaten für hochdotierte Führungspositionen, um so manchen dann mit großem Spaß an der Freude abblitzen zu lassen. Hinter der zynischen Fassade verbirgt sich aber ein ausgewachsener Minderwertigkeitskomplex. Roger ist nämlich nicht gerade ein Riese, was umso schwerer wiegt, als ihn seine hübsche Gattin, die Galeristin Diana (Synnøve Macody Lund), um mindestens einen Kopf überragt. Mit einem aufwendigen Lebensstil soll dieses Manko kompensiert werden. Da Rogers Verdienst für sein Luxusleben aber nicht ausreicht, hat er noch ein kleines Nebeneinkommen. So benutzt er das im Job erworbene Wissen, um seine Klienten um wertvolle Kunstwerke zu erleichtern. Das geht so lange gut, bis er schließlich bei dem Geschäftsmann Clas Greve (mindestens genauso hinterhältig wie in »Game Of Thrones«: Nicolaj Coster Waldau) an den Falschen gerät. Dieser ist im Besitz eines verschollenen geglaubten Rubens-Gemäldes. Dass sich seine Frau von dem blonden Schönling angetan zeigt, stachelt Rogers Ehrgeiz zusätzlich an. So werden sein übergroßes Ego und seine perfekt geschwungene Föhnwelle Roger schließlich zum Verhängnis. Der Coup gelingt, doch kaum ist Roger im Besitz des Bildes, zeigt Greve sein wahres Gesicht und eröffnet eine gnadenlose Jagd auf den Headhunter. Roger gerät im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich tief in die Scheiße. Was als suspensereiches Heist-Movie beginnt, entwickelt sich rasch zu einem rasanten, vor Blut, aber auch schwarzem Humor nur so triefenden Action-Thriller. Statt Ellbogen in der Arbeitswelt sind nun Survival-Tricks in den norwegischen Wäldern angesagt. Trotz reichlich absurder Wendungen bleibt »Headhunters« bis zum Schluss fesselnd. Ein US-Remake ist wohl nur mehr eine Frage der Zeit. 07/10 Andreas Kössl
BILD Filmladen Filmverleih / Erik Aavatsmark, Luna Filmverleih
Our Idiot Brother (von Jesse Peretz; mit Paul Rudd, Elizabeth Banks, Zooey Deschanel, Emily Mortimer) — Ned (Paul Rudd) ist einfach ein herzensguter Kerl, der nie mandem einen Gefallen ausschlagen kann. Auch nicht dem Polizisten, der ihn am Biomarkt um ein bisschen Gras anhaut: Ned lässt sich breitschlagen und schon klicken die Handschellen. Und wie das so ist, wenn man längere Zeit abwesend ist, sieht die Welt anders aus als zuvor. Die Freundin hat einen Neuen und will auch Willie Nelson, seinen geliebten Hund, nicht rausrücken. Ned sieht sich gezwungen, bei seinen Schwestern unterzukommen. Doch eine rechte Freude hat keine der drei mit dem idiotischen Bruder im Haus. Also zieht Ned von der vernachläs sigten Hausfrau Liz (Emily Mortimer) zur karriere geilen Journalistin Miranda (Elizabeth Banks) und weiter zum quirligen Hipster-Girl Natalie (Zooey Deschanel). Was auch das Zeug zur HollywoodSchmonzette hätte, wird durch einen großartigen Cast – allen voran Paul Rudd als vollbärtiger Slacker – und einem Drehbuch, das seine Figuren niemals der Lächerlichkeit preis gibt, zu einer sympathi schen Indie-Komödie. 07/10 Andreas Kössl
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F il m Cinema Paradiso Rathausplatz St. Pölten Freitag + Samstag 22.00 – 4.00 Uhr Der neue Club in der Innenstadt von St. Pölten. Jedes Wochenende Filme, Konzerte und Dj-Lines bis die Sonne aufwacht. Dazu eine lässig Bar direkt am Rathausplatz.
My Week With Marilyn (von Simon Curtis; mit Michelle Williams, Eddie Redmayne, Kenneth Branagh, Judi Dench, Emma Watson)
Emotional Memory Excercise Colin Clark hat ein Buch über seine ganz persönliche Woche mit »Ihr« geschrieben, Simon Curtis hat es mit einer ganzen Reihe von Stars verfilmt. Rausgekommen ist ein einfühlsames Tribut an ein Hollywood-Filmset. Mit Sex-Appeal. England, 1956: Der junge Colin Clark (Eddie Redmayne) schafft es endlich, seinen Traum vom Filmbusiness ein Stück näher in Richtung Realität zu rücken. Seine eifrigen Bemühungen bei Laurence Oliviers (Kenneth Branagh) Produktionsfirma tragen bald die erhofften Früchte und so wird ihm bei »Der Prinz und die Tänzerin« der Posten des dritten Regieassistenten übertragen. Es dauert nicht lange, und er lernt Marilyn Monroe persönlich kennen. Schnell kommen sich die beiden näher, vielleicht zu schnell – seine Woche mit dem Star ist eine einzige Achterbahn der Gefühle. England, 2011: Originalgetreue Kostüme, liebevoll arrangierte Ausstattung und nos talgische Lichtgestaltung hüllen das Set von »My Week With Marilyn« in eine typische Fifties-Ästhetik. Regisseur Simon Curtis rundet das Bild ab, indem er Colin Clarks persönlichen Erinnerungen an die Hauptdarstellerin mit Michelle Williams ein perfektes Gesicht gibt. Behaftet mit dem Image der Charakterdarstellerin meistert die Actrice bravourös den Transformationsprozess hin zur berühmten Filmdiva – perfekt inszeniert sie Gang, Stimme, Mimik und die seelische Zerrissenheit des Stars, ohne sie jedoch nur platt nachzuahmen. Mit aufwendig einstudierten Posen und Gesichtsausdrücken wechselt sie gekonnt von der scheuen, verletzten Kindfrau Norma Jeane zur kecken, Männer konsumierenden Kunstfigur. Dabei hat Michelle Williams das Method Acting besser verinnerlicht als Monroe selbst, die noch bei Lee Strasberg persönlich das Schauspiel erlernte. Die Ikonenhaftigkeit einer Marilyn Monroe wird nicht entmystifiziert, vielmehr schafft es Williams, undurchsichtige Charaktervaria tionen des Stars feinfühlig zu porträtieren. Simon Curtis versteht es zwar, dieses Wechselspiel der Gegensätzlichkeiten für den Mainstream formal adäquat zu adaptieren, Michelle Williams ist jedoch sein bestes Werkzeug, um eine filmhistorisch und popkulturell relevante Persönlichkeit nachzubilden und gleichzeitig einen überzeugenden Rückblick an die Produktionsabläufe von »Der Prinz und die Tänzerin« zu zimmern. 06/10 Cornelia Dorfer
6.4.12 Indie pepper
22.15 Uhr Dj Hennes, Dj Moustache, u.a.
7.4.12 78plus
21.00 Uhr Schellacksound plus Drum‘n’Bass
13.4.12 KLUB TOTAL (Leiwand) Dj m.rat, Dj wlf
22.00 Uhr
14.4.12 peng.peng
22.00 Uhr
20.4.12 Ben Martin 21.4.12 Fanfare Ciocarlia 27.4.12 Club Seventy Nine
21.00 Uhr
Dj Schmodar, Dj Lichtfels, Dj Billy Jean, DJ Masallah
21.00 Uhr 22.00 Uhr
Djane Tiga Lilly
28.4.12 Mardi Gras.BB
21.00 Uhr + Djs Luis Forever, emodee
30.4.12 LIMUKA
21.00 Uhr
Live-Musik-Karaoke
16.5.12 Bauchklang
21.00 Uhr Ein Heimspiel der Beatboxer
31.5.12 Bunny Lake
21.00 Uhr
Albumpräsentation
Rathausplatz 14 3100 St. Pölten Info: 02742 - 21 400 www.cinema-paradiso.at/club3
Rez
Attack The Block (Capelight) von Joe Cornish; mit Jodie Whittaker, John Boyega, Alex Esmail, Franz Drameh, Nick Frost auf DVD
Introducing Thomas Stipsits Schrittweise drängt Thomas Stipsits ins Fernsehen und löst souverän die alte Garde österreichischer Kabarettisten ab. Von Wien aus gesehen liegt das Burgenland nebenan. Es ist somit ähnlich gelagert wie Thomas Stipsits. Auf den Kleinkunstbühnen steht der Kabarettist, seit er 15 ist. Seinen Programmen (etwa »Griechenland«, »Cosa Nostra« oder »Bauernschach«) eilt ein preisgekrönter Ruf voraus. Selten wird er nicht ausverkauft. In Film und Fernsehen agiert er indes noch peripher. Das ändert sich gerade, beständig spielt er sich auf den Küniglberg. Bei »Tatort« mitzuwirken, gilt als TV-Ritterschlag. Den hat der 29-Jährige heuer bekommen. Ende März durfte er einen schnauzbärtigen Polizisten spielen, der seinem Kommissar (Harald Krassnitzer) nacheifert. Bei »Wie man leben soll« (2011) von David Schalko, dem Kinodebüt von Stipsits, als ein wankelmütiger Jungsozialist, blieb er fast der einzige Höhepunkt dieser missratenen Komödie. Und nun, nach »Burgenland ist überall«, »FC Rückpass«, »Was gibt es Neues?« und »Comedy Couch« ist Thomas Stipsits oben im ORF angekommen. Denn zum Glück hat David Schalko wieder eine Serie und diesmal alles richtig gemacht. In der fabelhaften TVGroteske »Braunschlag« gibt Stipsits den bemühten Arzt, der sich Praxis und Leben noch mit seinem Arztvater teilt – in einer Gemeinde, die eine Marienerscheinung vortäuscht und dabei in ur-österreichischer Absurdität versinkt. Während Rubey als Dandy-Pfarrer viel Raum in den acht Episoden der Serie genießt, darf Stipsits in nur wenigen Nebenszenen sein vielfältiges Talent ausspielen. Noch muss der Ausnahme-Burgenländer geduldig sein. Langsam rückt die Peripherie dem Zentrum näher. Die Fernsehrepublik hat sich seine variantenreichen Figuren längst verdient.
TEXT Klaus Buchholz BILD Ingo Pertramer
»Braunschlag« ist im März auf DVD (Hoanzl) erschienen. www.stipsits.com 066
Breaking Bad Season 4 (Sony) von Vince Gilligan; mit Bryan Cranston, Aaron Paul, Giancarlo Esposito, Anna Gunn auf DVD
Elite Squad 2 – Im Sumpf der Korruption (Universum) von José Padilha; mit Wagner Moura, Irandhir Santos, André Ramiro auf DVD und Blu-ray
Die Höhle der vergessenen Träume (Ascot Elite) von Werner Herzog auf DVD
DVD
Was passiert, wenn gewaltbereite Jugendliche aus dem problemati sierten Südlondon mit zähnefletschenden Außerirdischen kollidie ren? Genau, sehr viel Unverständnis, die ihn skurriler Action mün det. Denn es gilt nachbarschaftlich zusammenzuhalten und den eigenen Wohnblock zu verteidigen. Von wegen Polizei oder GangPatriarchen: Die Jugend Großbritanniens behauptet ihre Straßen für sich und Regisseur Joe Cornish bastelt aus einer originellen Idee einen rasanten Action-Knaller für die ganze Familie (wobei der Soundtrack von Basement Jaxx den Eltern nachhelfen dürfte). Nick Frost erscheint in einer erfrischend dreckigen Nebenrolle, doch im Zentrum steht der überzeugende Nachwuchs. »Attack The Block« empfiehlt sich als aufregendes kleines Spektakel und dank nerven kitzelnder Umsetzung war es der wahrscheinlich größte ScienceFiction-Spaß 2011. 08/10 Klaus Buchholz Die vierte Season rund um Crystal-Meth-Chefkoch Walter White (Bryan Cranston) konzentriert sich zunächst auf die Charaktere und wie sie mit den Ereignissen aus der dritten Staffel umzugehen versuchen. Dadurch kommt die Geschichte zwar etwas langsamer in Schwung, der gesamte Cast und die wie gewohnt perfekt kom ponierten Bilder in Kombination mit dem großartigen Soundtrack schaffen es aber einmal mehr, die Ausnahmestellung von »Brea king Bad« im Serien-Bereich zu untermauern. Die kontinuierliche Temposteigerung findet ihren Höhepunkt schließlich in einem mehrere Episoden andauernden, fulminanten Showdown, dessen Klimax die Frage aufwirft, ob man das Gesehene noch irgendwie toppen kann. Eine letzte, 16 Episoden umfassende Staffel wurde in jedem Fall schon angekündigt und eigentlich hat niemand Zweifel daran, dass Showrunner Vince Gilligan und seine Crew es schaf fen werden, dem Gesamtkunstwerk »Breaking Bad« ein adäquates Ende zu verpassen. 10/10 Volker Müller Mit »Tropa De Elite« gelang José Padilha ein kontroverser ActionFilm, der ungeschönt Rios paramilitäre Miliz Bope in den Mittel punkt rückte. Padilha zeigte blutige Kämpfe und ein System, in dem Polizisten zumindest nachvollziehbar entweder korrupt oder überaus brutal werden. Teil zwei spielt nun zehn beziehungswei se 16 Jahre später und macht das Blickfeld deutlich weiter. Capi tao Nascimento wurde nach einer Auseinandersetzung in einem Gefängnis in die Überwachsungsabteilung des Geheimdienstes strafbefördert. In diesem politischen Umfeld erkennt er schnell die größeren Zusammenhänge und begreift, wie die Bope in erster Li nie mafiösen Milizen und korrupten Politikern hilft. Alles, woran er glaubte, zerbricht. Der Kämpfer Nascimento geht in die Konfronta tion. »Tropa De Elite 2« funktioniert besser, wenn man die Wucht des ersten Films noch präsent hat. Gemeinsam sind sie ein großartiges und kraftvolles Beispiel dafür, dass sich Unterhaltung und Aussage nicht ausschließen müssen. Und ja, unbequem sind sie dabei ganz bestimmt. 09/10 Martin Mühl Alles begann mit einem Luftzug, den eine Handvoll Forscher an einer Felswand Südfrankreichs durch einen Felsspalt hindurch ver spürten. Hinter einem Bergmassiv verbarg sich die Chauvet-Höhle: Ein riesiger Höhlenkomplex, der Hunderte von natürlich versie gelten Malereien offenbarte, die vor über 30.000 Jahren angefer tigt wurden. Ausnahme-Regisseur Werner Herzog gehört zu dem kleinen Kreis an Menschen, der diesen kunsthistorischen Schatz live begutachten durfte. Das Ergebnis ist ein imposantes und char mantes 3D-Kinoereignis geworden. Als großer Bewunderer leitet uns Herzog durch das verwinkelte Kunstschauspiel und die Entste hungszusammenhänge seiner Doku. Dabei tritt er als gebieterische Stimme aus dem Off in Erscheinung und wirkt nicht selten wie ein Märchenonkel, der an seinem Werk allein die größte Begeisterung empfindet. 07/10 Klaus Buchholz Weitere Reviews auf www.thegap.at: »Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn« (Sony) »Alte Meister« (Waystone), »Arschkalt« (NFP), »Braunschlag« (Hoanzl), »Escapee« (Universum), »The Firm« (Ascot Elite), »Fright Night 3D« (Disney), »Girl From The Naked Eye« (Koch), »Rain Fall« (Ascot Elite), »Steiner – Das Eiserne Kreuz 1 + 2« (Studiocanal), »Straw Dogs« (Sony), »Susi und Strolchi« (Disney), »Der Tatortreiniger« (Tellyvisions)
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s ach b uch
Dietmar Dath Barbara Kirchner
DER IMPLEX
Dietmar Dath, Barbara Kirchner Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee (Suhrkamp)
Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee Suhrkamp
»Kippfiguraldialektik« Die Autoren schlagen vor, ihre Mammutstudie als einen »Roman in Begriffen« zu lesen. Es geht dabei um nichts weniger als einen überbordenden Ritt durch die neuzeitliche Politik-, Philosophie-, Kunstund Kulturgeschichte als Relektüre, literarisch virtuos umgesetzt. Dieses Buch ist ein Monster. Auf fast 900 Seiten, in denen kaum ein Satz kürzer als eine halbe Seite und mit weniger als den ganz großen Namen und Begriffen von so ungefähr allem gespickt ist, erklären Kirchner und Dath neben eben allem auch ihren Begriff »Implex«. Der bezeichnet gesellschaftliche Zustände, die nicht zwingend kommen müssen, aber kommen könnten, und da sie besser als die bestehenden sind, auch kommen sollten. Dass dieser Schluss vom Sein zum Sollen kein logischer und trotzdem ein zwingender ist für alle, die sich Besseres vorstellen können, und was daraus wiederum folgt, wird unter Abwatschung der halben abendländischen Philosophiegeschichte (und weit mehr) so radikal wie abstrakt dargelegt. Egal, ob das alles Quatsch oder Bibel ist, stellt sich die Frage, für wen dieses Buch eigentlich ist. Denn den die Kirchner/Dath’sche Auslegung marxistischer Gesellschaftstheorie Teilenden gibt es kaum Handlungsanweisungen (und eignet sich auch nicht als Buch zum Verschenken mit dem Satz »Das meine ich ja immer, wenn ich es nur mal so ausdrücken könnte«) und die Unbekehrten wird es ob seiner Sperrigkeit kaum bekehren (denen sei eher Daths Essay »Maschinenwinter«, sein Interviewband »Alles fragen, nichts fürchten« oder der Roman »Schwester Mitternacht« von Kirchner und Dath empfohlen). Wahrscheinlich ist »Implex« einfach ein Buch, das halt so sein musste und weil die Sache eben »alles« ist, muss auch der Stil so sein. Jedenfalls verschafft »Implex« mit seiner Sammlung von obskuren Aufklärerinnen, Definitionen von Natur, Materialismus/Idealismus-Scharmützeln, Klassenkampf, Feminismus, Anti-Rassismus, Liebe, Science-Fiction und Fantasy (um nur ein paar willkürlich ausgesuchte Themen zu nennen) das angenehme Gefühl, dass hier zwei Leute das Buch geschrieben haben, das jeder schon immer schreiben wollte, nämlich: was in all meinen Büchern steht und auf allen Platten drauf ist, die ich je gehört habe, nebst dem, was ich alles dazu denken kann – zumindest denen, die Humor, Freude an Drastik und Marxismus gut finden. 10/10 Martin Fritz
HIGHLIGHTS
APRIL
MI. 11.04. 20:00 | TANZTAGE 2012
LES BALLETS C DE LA B / ROSALBA TORRES GUERRERO & LUCAS RACASSE (B): PÉNOMBRE
FR. 13.04. 20:00 | KABARETT
MARTIN PUNTIGAM: ATOMIC WEDGIE SA. 14.04. 20:00 | JAZZ / SOUL /
HIPHOP
SK INVITATIONAL FEAT. TEXTA, LYLIT, DJ CHRISFADER, FLIP & AVERAGE SA. 14.04. 20:00 | TANZTAGE 2012
CLUB GUY RONI (NL / IL): ALPHA BOYS DI. 17.04. 20:00 | LITERATURSALO
N
HARRY ROWOHLT LIEST UND ERZÄHLT DO. 19.04. 20:00 | KABARETT
MAURER, SCHEUBA, PALFRADER: WIR STAATSKÜNSTLER DO. 19.04. 20:00 | AMERICANA
TUCSON SONGS ON TOUR FEAT. SERGIO MENDOZA Y LA ORKESTA, BRIAN LOPEZ, MARIANNE DISSARD, ANDREW COLLBERG
SA. 21.04. 20:00 | LOUNGE-METAL
HELLSONGS / NEXT STOP: HORIZON SA. 21.04. 20:00 | THEATER
DEUTSCHES THEATER BERLIN: „TAGEBUCH EINES WAHNSINNIGEN“ VON NIKOLAI GOGOL FR. 27.04. 20:00 | GLAMROCK
AUSTROFRED
SA. 28.04. 23:00 | DRUM & BASS
SERIOUZ SERIEZ 15 YEARS ANNIVERSARY FEAT. DJ FRESH DO. 03.05. 20:00 | SOUL / POP
BILD Suhrkamp verlag
CHARLIE WINSTON
Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstr. 43, A-4020 Linz Info + Tickets: Fon: 0732 / 78 18 00 www.posthof.at
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Buch
Yeah!Club
WE HAVE BAND (UK), GUDRUN VON LAXENBURG (A) u.a.
Miranda July Es findet dich (Diogenes)
10.4.
Ohne Rechner Der bizarre Alltag im verrückten Los Angeles. Intuitiver Unsinn mit tiefgängigen Einschüben und alles irgendwie unplugged.
„King Street“ CD-Release Party MEL (A), After Show Party: DJ LORD SINCLAIR 19.4. „Die Phantasie wird siegen“ Tour der „heißesten Newcomer 2012“! MAX PROSA (D) 3.5. Der Pop Emigrant & die sexiest Rock’n’Roller im Double-Feature ROBERT ROTIFER (A/UK),
BO CANDY AND HIS BROKEN HEARTS (A) 10.5.
Summer of Love Tour Der LaBrassBanda-Frontmann live! STEFAN DETTL (D) 16.5. Circus Concerts präsentiert: Album Release Tour 2012 THE BETH EDGES (A), Support: OLYMPIQUE (A) 25.5.
STUCK! FESTIVAL 2012 Boy (D/CH), Gold Panda (UK), The Hundred In The Hands (US), Darkness Falls (DK), Stay+ (UK), Wolfram (A), Sizarr (D) u.v.a.m.
3.- 4.8.
Vollständiges Programm: www.rockhouse.at
Rockhouse Salzburg Schallmooser Hauptstraße 46 +43 662 884914 / service@rockhouse.at
Miranda July ist immer kurz davor, irgendetwas Spontanes anzustellen oder zutiefst Profundes zu sagen. Diese Mischung erinnert an leichtfüßige Zeiten des Unfugs mit Pippi Langstrumpf und zerrt die Ergebnisse ins Licht der Erwachsenenwelt. Sie wagt sich aus dem Schutzhüllen-L.A. und besucht nach dem Zufalls-Prinzip als Drehbuchrecherche – und um den Tunnelblick des eigenen Lebensumfeldes zu entkommen – Leute, die keinen Computer besitzen. Neugierig zu sein und eine blühende Fantasie zu haben, ist vermutlich in kaum einer Stadt so spannend wie in Los Angeles. Mit jedem Blick enthüllt sich eine Welt, die in Farben spiegelt, die außerhalb dieses Ortes keine Namen haben. Das bezieht sich nicht auf eine Naturschönheit oder atemberaubende Architektur. Nein, in Los Angeles ist von der Menschheit die Rede. Eine Charaktervielfalt, eine Personenbuntheit. Nun sagt man den Drehbuchautoren die Berufskrankheit nach, nur von ihren fiktiven Figuren umgeben zu sein. Die Charaktere für den Film werden dem Leben abgerungen, geknetet und versuchen, möglichst echt zu sein. Daraus bildet sich der Drang nach sozialen Interaktionen mit realen Menschen. Es gibt kein Gesetz dagegen, neue Bekanntschaften in einem anderen Milieu zu machen, aber es passiert einfach nicht. »L.A. ist keine Stadt für Fußgänger und hat kein nennenswertes U-Bahn-System – sofern sich jemand nicht in meiner Wohnung oder meinem Auto aufhält, werden wir uns also nie an ein und demselben Ort befinden, nicht einmal für einen Augenblick«, schreibt July. Als das Multitalent beim Schreiben ihres Drehbuchs für »The Future« feststeckt, lässt sie sich von Kleinanzeigen im PennySaver ablenken und lernt so auf Hausbesuchen einen ganz anderen Schlag Menschen kennen. Allesamt haben diese schrägen Leute einen ausgeprägten Hang zur Sammlerleidenschaft, einen dubios primären Sinn in ihrer eigenen amerikanischen Lebenswelt. »Mir kam der Gedanke, dass jedem Menschen seine eigene Geschichte wichtig ist, und je mehr ich zuhörte, desto mehr erzählten sie.« Zudem bemerkt die Autorin, dass ihr selbst die Welt außerhalb des Webs immer ferner wurde und so ist sie fasziniert von den Menschen, die ohne Computer auskommen. Was July daraus bastelt, hat etwas von einer Kunstaktion mit Fotos ohne gekünsteltem Licht und zeigt ungeschminkt Personen in ihren bizarren Lebensträumen. Dabei stößt sie auf folgende Moral: Wenn du dein Leben lang über die Weltmeere schipperst und nie lange genug auf dem Festland bist, um Kinder anzupflanzen, strandet dein Nachlass nach deinem Tod bei einer wildfremden Griechin. Wenn die dann irgendwann Platz braucht, versucht sie, deinen Nachlass im PennySaver zu verscherbeln. Und niemand will ihn haben. Man könnte glauben, man lese einen mit Spleens und Neurosen gespickten Woody-AllenFilm ohne Liebesteil. 07/10 Juliane Fischer 01
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Giancarlo De Cataldo / Mimmo Rafele Zeit der Wut 01 (Folio) — De Cataldo, Richter sowie Autor des gran diosen Mafiakrimis »Romanzo Criminale«, und Ra fele, Drehbuchautor von »Allein gegen die Mafia«, mixen in diesem Thriller schuldschwere Welt geschichte. Ihr Personal: die bereits in den Jugo slawien-Kriegen umtriebigen Geheimdienstler Lupo und der namenlose Kommandant, testoste ron- und gewaltprotzige Polizisten, vom Iran finan zierte Selbstmordattentäter, naive Linksextreme und die einst in Serbien vor Vergewaltigern geret tete Alissa. Nachdem der Kriminalbeamte Dantini bei einem Treffen mit dem Antiterror-Chef Masti no erschossen wurde, wechselte Dantinis Unter gebener, Ex-Hooligan Marco Ferri, die Seiten. Der hochrangige, rational agierende Innenministeri umsbeamte Lupo glaubt nicht an die These, ein Linksradikaler könnte Dantini ermordet haben und gräbt auch dank des wankelmütigen Ferri immer tiefer, bis er einem Komplott auf der Spur ist – das zum Kommandanten führt, der den Staat über eine dunkle Loge dirigiert … Ein atemberaubend span nender, in schnellen Szenen und düsteren RomSettings geführter Reigen rund um Korruption und Aggression, Machtgier und Amoralität. 10/10 Roland Steiner
Andrea Maria Dusl Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen 02 (Metro) — Andrea Maria Dusl ist die Hoheprieste rin der Beobachtung. Diese Zuschreibung kommt von ihrem lyrischen Ich im neuesten Werk »Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen«. Es handelt sich dabei um keinen Roman, wie am Umschlag gleich klar gemacht wird. Eher denkt man an den Oscar Award der Kategorie »Best Live Action Short Film«. Siebenmal taucht man in komplett verschie dene neue Welten ein. Der Blick für erzählerische Details lässt einen wünschen, jede diese Kurzge schichten wäre tatsächlich zu einem Roman aus gebaut. Jede Episode wird von einem fernen Land gespeist, die Autorin stimuliert die Reiselust, wie Pfeffer ein Kitzeln in die Nase ruft. Die klassische Autofahrt in den Familienurlaub an der Adria baut sich zur Wasserliebe und Sucht nach gefährlichen Gewässern aus. Vom aufgereizten Ankommen in österreichischen Künstlerkreisen in New York bis nach Havanna springt man in verschiedene Rol len, jedoch immer als Österreicher, der entdecken will. Abgelichtet durch die ehemals sowjetische Lomo-Kamera wird Klickmachen zum Zweck des Hierseins. Dusls Beschreibungen übertreten ge legentlich die Grenze von poetischem Sprachwitz zu malerischen Überzeichnungen. In Kuba wird der Zerfall dokumentiert, in Moskau die russische Kälte eingefroren. Ein Buch für Abenteuer im Kopf und Fernweh im Herzen. 09/10 Juliane Fischer G. H. H. Geschichten aus dem Adlerhof 03 (Hochroth) — Vor einiger Zeit kursierte im Netz eine Einladung zu einer Lesung besagten Buches. Wer hinter G. H. H. steht, wurde darin nicht ver raten. Auch das Internet hat keine Ahnung. Fest steht, dass die Person in Berlin, Paris und Wien lebt und arbeitet und beim Hochroth Verlag als Heraus geber und Übersetzer einiger Lyrikbände fungiert. Auch zum soeben gegründeten Wiener Ableger des in Deutschland bereits seit 2008 existieren den Verlages wurde nicht viel erwähnt und auch dazu gibt das Netz nur kryptische Informationen her. Spezialisiert hat sich der Verlag jedenfalls auf Literatur abseits des Mainstreams, die er in durch
Buch
nummerierten Kleinauflagen veröffentlicht. Zu den geheimniskrämerischen Infos passen die geheim nisvollen sieben Kurz- und Kürzestgeschichten in dem kleinen Büchlein. Das Wirtshaus Adlerhof gibt es in der Burggasse in Wien tatsächlich und den Storys nach scheint es ein eher eigenwilliger Platz zu sein. Der Erzähler gewährt kurze Einbli cke und Momentaufnahmen in die Vorgänge rund um das Beisl, beleuchtet den Wirt und seine nicht immer sympathischen Gäste und lässt unheimli che, skurrile, undurchsichtige und mitunter leider auch unverständliche Miniaturen entstehen. Der Adlerhof scheint ein Panoptikum der einsamen Trinker, der schnellen Verdächtigungen, der obsku ren Begebenheiten und der Zeitlosigkeit mitten in Wien – und trotzdem am Ende der Welt – zu sein. Höchste Zeit, sich vor Ort ein Bild zu machen. 06/10 Martin Zellhofer
Dietmar Sous Sweet About Me 04 (Knaus) — Für Dietmar Sous’ Romantitel stand Ga briella Cilmis Hit »Sweet About Me« aus dem Jahr 2008 Pate. Aber der Titel trügt, süß ist nur der An fang. Eine Familie macht Urlaub an der Nordsee. Eine Familie ohne größere Probleme, die TeenagerTochter rebelliert sanft, die Eltern versuchen zu verstehen. Eigentlich ein Idealfall, dem jedoch ein jähes Ende gesetzt wird. Nach einem Streit mit dem Vater läuft die Tochter in ein Auto und stirbt. Plötzlich machen sich Abgründe auf und die Eltern schleudert es durch die halbe Galaxie. Ein Roman der Nichtbewältigung also. Sous hat es nicht auf große Bilder abgesehen, auch sprachlich bleibt er sehr konkret, was aber prinzipiell kein Schaden ist. Sous ist ein beinharter Storyteller, der seinen Pro tagonisten alles abverlangt, manchmal fast schon zu viel. In einem gut verwinkelten Roman macht er das Leben der Protagonisten zur Hölle, die jeder auf seine Art durchwandern muss. Mit dabei viel Musik, von den Rolling Stones über die Stranglers, Franz Ferdinand, bis hin zur Jazz-Legende Chet Baker, dessen Lied »Let’s Get Lost« sich auf einer Metaebene durch den ganzen Roman zieht. 07/10 Martin G. Wanko
Padgett Powell Roman in Fragen 05 (Berlin) — Wahnsinn! Es gibt Kinder, die stellen den ganzen Tag Fragen. Du Papa, du Mama, du Oma. Das ist eh super und total wichtig, noch lustiger sind dann oft die Antworten der Erwachsenen. Irgendwann enden sie mit Ausreden wie: »Das fragt man nicht«, oder »Sei jetzt still, ich muss nach denken«. Dabei sind kluge Fragen so ziemlich das Wichtigste auf der Welt. Schön, dass Padgett Po well sich das auch gedacht hat. Er hat tatsächlich einen Roman aus unendlich vielen Fragen geschrie ben. Also, nur Fragen und keine Antworten: »Le cken Sie gerne Briefmarken an? … War Radfahren lernen für Sie einfach? … Ist es Ihnen gelungen, die ganze Bibel zu lesen?« Manchmal kommt man sich wirklich wie beim Psychologen vor, im schlimmsten Falle wie in einem Verhör der CIA. Diese Fragerun de für sich alleine durchzumachen, ist eine interes sante Lebenserfahrung, den Partner in das Frage spiel miteinzubeziehen, ist noch interessanter. Der »Roman in Fragen« ist sicher kein Roman, aber ein guter Text und so ein Text gehört gelesen, weil Li teratur muss eben Platz für Experimente haben, wo würden wir denn sonst hinkommen? Powells einlei tende Frage ist übrigens die schönste: »SIND IHRE GEFÜHLE REIN?« Und überhaupt: Übersetzt hat Harry Rowohlt! 09/10 Martin G. Wanko
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C o m ic s Bastien Vivès Polina (Reprodukt)
Tom Gauld Goliath 01 (Drawn & Quarterly) — Heldentum ist Auslegungs sache. Die heroischsten Leistungen degradieren schnell zu albernen Zufällen oder gar fürchterlichen Schandtaten, wenn der gemeinsame Konsens ob des Sinn und Zwecks und der Rollenverteilung fehlt oder sich ändert. Nehmen wir David und Goliath. Was, wenn Goliath kein schrecklicher, gigantischer Philister wäre, sondern ein bloß zu groß gewach sener Beamter? Was, wenn er nur aufgrund seines Erscheinens als Bluff gegen die Israeliten vorge schickt worden war? Und was, wenn er gar nicht kämpfen konnte, sondern ein friedliebender, einfa cher Mann war? Dann wäre der Hirtenjunge David kein Held, sondern ein Mörder. Tom Gauld zeich net in sparsamen Strichen eine melancholische Welt, in der eine schlichte Person von geruhsamen Leben zu miserabler Existenz und sinnlosem Tod findet. Die Treffsicherheit von Davids Schleuder ist hier nur eine Fußnote am Ende, davor weist Gauld mit Präzision auf die ewige Frage »Was mache ich hier?« hin. Antwort gibt es selbstverständlich keine, im Gegenzug dafür aber bewegende Comic-Kunst. 10/10 Nuri Nurbachsch
Jason Athos In America 02 (Fantagraphics) — Lieber Jason, beinahe mo natlich, scheint es, bespreche ich hier ein neues Werk von dir. Mittlerweile wirkt das schon wie eine Obsession, als ob es keine anderen talentierten Künstler mehr gäbe. Aber, was soll ich sagen, deine Arbeiten sind einfach jedes Mal beeindruckend. So auch die Kurzgeschichten in »Athos In America«. Sonst hab ich nichts zu sagen, was ich nicht bereits an anderer Stelle über dich und deine Werke ge sagt hätte. Danke für diese Comics. Der Rest steht im Archiv. Dein Rezensent. 08/10 Nuri Nurbachsch Douglas Rushkoff, Goran Sudzuka A.D.D. 03 (DC Vertigo) — Betrachtet man ein Spiel als kom munikatives System, dann kann man Empfänger, Sender und Botschaft definieren. Kontrolliert man ein solches System über alle Parameter, dann würde es einem auch gelingen, dieses Spiel als höchsteffizientes Kontroll- und Analysewerkzeug benutzen. Die Adolescent Demo Division besteht aus übertalentierten Jugendlichen, die als pro fessionelle Computerspieler zu Medienhelden ge macht werden. Ihr Leben ist als Reality-Show dem Publikum zugänglich und bei Erfolg winkt ihnen eine »Entlassung« in ein »normales« Leben. Das ist zumindest die offizielle Story, bis eine Gruppe von A.D.D.-Teens zu zweifeln beginnt. »A.D.D.« ist kein vertrackter Thriller, die Wendungen sind vor hersehbar, leicht durchschaubar. Aber das ist auch nicht der Punkt. Douglas Rushkoffs Rückkehr zu Comics ist nicht so verworren, wie es »Testament« war. »A.D.D.« wurde von Rushkoff dem Medien wissenschaftler geschrieben, nicht Rushkoff dem Sci-Fi-Autor. Es ist eine veranschaulichte, narrative Form seiner Theorien. Als Bonus – und dank des kompakten No-Nonsense-Stils von Goran Sudzuka – präsentiert er diese in Form einer kurzweiligen Sci-Fi-Story. Der übliche Tiefgang anderer Rush koff-Belletristik ist bei »A.D.D.« nicht spezifisch im Comic, sondern in der Begegnung mit den übergrei fenden Themen zu suchen. 07/10 Nuri Nurbachsch 070
Tanz deinen eigenen Weg Bastien Vivès entzaubert mit feinen Linien Klischeebilder, die einem zum Thema Ballett so im Kopf herumtanzen. Eine ausdrucksstarke Studie über Willensstärke und Vertrauen ins eigene Talent. Wenn ich an Ballett denke, dann denke ich eher nicht an Leidenschaft und Ausdruck, sondern eher an Perfektionszwang und aufgeschundene Knöchel – und seit Kurzem auch an »Black Swan« von Darren Aronofsky, oder vielleicht sogar an ein weniger bekanntes Lied der Tiger Lillies, »Histoire de Kay«: »They made her stand in positions more and more bizarre«. Am Beginn von Bastien Vivès’ »Polina« ahnt man das übliche Drama – die Selektion, die Kritik, die Selbstüberwindung, das Scheitern. Man wartet auf das Missgeschick, das Umknöcheln, das Aus. Doch stattdessen entspinnt sich ein wesentlich feineres Porträt einer jungen Frau. Feiner nicht nur in der Psychologie, sondern auch in den Linien, die Vivès gewohnt elegant setzt, um Mimik und Tanzbewegungen zum Leben zu erwecken. Polina ist talentiert und wird gefordert, aber sie weiß durchaus, wann es genug ist, wann sie sich dem Regime Balletttanz entgegenstellen und sich selbst behaupten muss. Einmal entsagt sie dem renommierten Tanztheater, dann ihrem alten Trainer, schließlich der nächsten großen Chance bei einem Choreografen mit höchster Reputation zu tanzen. Sie spielt sich frei und findet neuen Anschluss, da sie bereit ist, sich selbst zu verändern und sich nicht auf eine Rolle festschreiben lassen will. Die Erwartungen, denen sie als kleines Mädchen so schutzlos ausgeliefert war, zeigen sich der jungen Frau als brüchig, ambivalent. Irgendwie will jeder etwas anderes für sie, jeder vertritt einen anderen Stil, eine andere Auffassung von Ballett. Die schlichte Lust am Tanzen, die Polina zu der begabten und ausdrucksstarken Tänzerin macht, die sie ist, wird dabei meist ausgeblendet. Doch Polina ist ein Mensch, der jenseits des Balletts bestehen kann und der auch in Beziehungsangelegenheiten viel Gelassenheit an den Tag legt. Irgendwann beginnen sich so auch die Beziehungen zu ihren alten Lehrern und Lehrerinnen zu transformieren, die mittlerweile in die Jahre gekommen sind, während Polina ihren eigenen Weg erfolgreich gegangen ist. Anstatt auf Ablehnung zu treffen, ist sie willkommen und findet sogar Freundschaft, wo früher die Asymmetrie im Verhältnis von Lehrer und Schüler alles verdeckt hat. Sie besucht ihre alte Schule und steht vor den Neuankömmlingen mit einem Strahlen im Gesicht. Von den Neuankömmlingen zum Tanz aufgefordert, nimmt sie spontan ihren alten Lehrer bei der Hand und tanzt mit ihm einen langsamen Walzer. Sie entzaubert so endgültig den gefürchteten Bojinski, der sich aber auch entzaubern lassen will. Im Gegensatz zu »Black Swan« siegt hier doch noch das Menschliche über das Phantasma der Perfektion. Ein Gegenentwurf, der gut tut. Menschen leben manchmal für Institutionen, aber sie entwachsen ihnen auch, sie quälen sich, machen dabei aber auch wertvolle Erfahrungen, und lernen, dass es eine Welt und eine eigene Identität außerhalb der Institutionen gibt. 08/10 Alexander Kesselring 01
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Games
Flüchtige Begegnungen und starke Bindung Es gibt nicht viel zu tun und doch eine Menge zu erleben: »Journey« reduziert die Reise auf das Wesentliche. Extrem reduziert und doch eindrucksvoll erzählt »Journey« von einer Reise. Der Spieler erwacht als namens- und armlose Figur in einer Wüstenlandschaft, weit entfernt erblickt man eine leuchtende Bergspitze – offensichtlich unser Ziel. Gekonnt wird der Spieler über Hügel und durch Täler geführt, streift zerfallene Ruinen, begibt sich in übergroße Bauwerke, weicht feindlichen Riesen aus und durchwandert unwirsche Schneelandschaften. Interaktionsmöglichkeiten gibt es wenige: Man kann hüpfen und ein Signal aussenden – und nach rund zwei Stunden ist die Reise auch schon wieder vorbei. Das, was in dieser Zeit passiert, nennen manche meditativ. Und tatsächlich lässt es sich schwer beschreiben. Es geht um die Schönheit von Landschaften wie auch das geschmeidige Bewegen durch diese. Alles ist irgendwie traumhaft, irreal, schön … vielleicht auch rauschhaft. Gesteigert wird dieses Gefühl durch andere Spieler, denen man begegnet. Sie bleiben bis zum Abspann namenlos und auch mit diesen gibt es – bis auf die Tatsache, dass die ausgesendeten Signale gegenseitig die Sprungkraft aufladen – keine Interaktion. Sie begleiten den Spieler ein Stück des gemeinsamen Weges und verschwinden dann recht unvermittelt wieder. Angeblich ist diese Analogie zum realen Leben und all den Menschen, die uns begegnen, etwas, dem die Entwickler bewusst Ausdruck verleihen wollten. »Journey« gelingt der SpielFlow, jenes erstrebenswerte Spielgefühl zwischen Spannung und Entspannung, dass einen wunderbar versinken lässt, wie auch schon dem Vorgänger »Flower«. Es gibt wenig zu tun und das wird nur bedingt klar vermittelt – manche mögen das verständlicherweise auch einfach langweilig finden. Wenige Monate nach dem Indie-Game »Dear Esther« ist »Journey« aber ein weiterer willkommener und gelungener Versuch, neue interaktive Erzählweisen zu finden. Und wie in den Titeln von Fumito Ueda (»Ico«, »Shadow Of The Colossus«) sorgt gerade die Story-Redaktion für eine besonders starke Bindung. 08/10 Martin Mühl
Journey (ThatGameCompany/Sony);PS3; thatgamecompany.com 071
Rez Alan Wake American Nightmare 01 (Remedy / Microsoft); Xbox 360 Live Arcade; www. alanwake.com/american-nightmare — Noch einmal muss Alan Wake gegen die Dunkelheit und sein Al ter Ego antreten, diesmal in einer Gegend in Arizo na, die ihre beste Zeit deutlich hinter sich hat. Der ehemals gefeierte Autor muss sich aus einer von ihm selbst geschriebenen Parallelwelt inklusive Zeitschleife befreien. Mit Taschenlampe und diver sen Waffen gilt es, sich gegen allerlei Besessene zur Wehr zu setzen, leichte Aufgaben zu erfüllen (Din ge holen) und Manuskript-Seiten einzusammeln. Im Gegensatz zum Originalspiel ist »American Nightmare« ein wenig direkter und actionlastiger. Beides geht zu Lasten der ursprünglichen Atmo sphäre und so ganz kann sich das Spiel dem Vor wurf nicht erwehren, dass die Zeitschleife in erster Linie Wiederholungen mit sich bringt. »American Nightmare« macht trotzdem Freude und ist immer noch vergleichsweise eigenständig – ein gelunge ner Arcade-Titel. 07/10 Martin Mühl Army Corps Of Hell 02 (Square Enix), PSV, www.armycorpsofhellgame. com/DE — Ein missglücktes Höllenspektakel, das aus Mangel an taktischen Anforderungen nur kurz Freude macht – wie »Overlord« und »Pikmin«, nur schlechter. 05/10 Harald Koberg Binary Domain 03 (Sega); PS3 (getestet), Xbox 360; www.binarydomaingame.com — Ein klassischer Squad-Shooter mit japanischem Einschlag, der sich taktischer gibt, als er ist. Nett, aber harmlos. 06/10 Harald Koberg Dungeon Hunter – Alliance 04 (Ubisoft) PS3, PSV (getestet), www.dungeon-hunter.com — Wieder so ein uninspiriertes Action-RPG; portables und mehrspielertaugliches Hack & Slay für jene, die »Diablo« wirklich nicht mehr erwarten können. 03/10 Harald Koberg I Am Alive 05 (Ubisoft); Xbox 360 Live Arcade, PSN, PC; www.iamalivegame.com — »I Am Alive« ist ein DownloadGame mit einer mutigen Herangehensweise. Das Spiel setzt sein postapokalyptisches Setting (»28 Day Later«, »I Am Legend«) ungewöhnlich direkt und hart um. Der Spieler streift durch eine von Erdbeben zerstörte Stadt auf der Suche nach sei ner Familie. Es gilt viele Kletterpassagen zu meis tern und unregelmäßige Begegnungen mit Überle benden zu … überleben. Manchen bietet man Hilfe an, vor anderen muss man sich in Acht nehmen. »I Am Alive« ist dabei grundsätzlich eher langsam und inszeniert die Action mit einem realistischen Beigeschmack. Nichts ist seltener im Spiel als Munition. Die wichtigste Ressource ist aber die ei gene Ausdauer, die speziell beim Klettern schnell abnimmt. »I Am Alive« ist auch zum Spieler hart und unerbittlich, man stirbt recht schnell und so manche Passage kann durchaus frustrieren. Eini ges könnte hier ein bisschen funktioneller designt und umgesetzt sein und es dem Spieler ein biss chen einfacher machen. Belohnt wird man dafür 01
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Games
mit einer ungewöhnlich dichten und gelungenen Atmosphäre und einem intensiven Spielerlebnis, dass dem Survival-Genre ein neue Note verpasst. Hart, aber gut. 07/10 Martin Mühl The Last Story 06 (Nintendo / Mistwalker); Wii; www.nintendo.de — Zael hat einen Traum: er möchte Ritter werden. Dafür bereist er die Insel Lazulis und schließt sich mit Gleichgesinnten zusammen; gemeinsam ver richten sie bessere Botengänge für den dortigen Herrscher. Dann brennt sich ein mysteriöses Sym bol in Zaels Hand, das ihm erstaunliche Fähigkeiten im Kampf beschert. Gerade zur rechten Zeit, droht doch eine halbmenschliche Rasse mit Invasion und Vernichtung. Und dann ist da noch diese geheim nisvolle Fremde – Lisa, die dem Helden den Kopf verdreht, ihre Absichten aber im Dunkeln lässt. Zu gegeben, das Setting von »The Last Story« sticht nicht besonders aus der Masse von J-RPGs heraus. Dafür bringt Entwickler Mistwalker unter Leitung von »Final Fantasy«-Erfinder Hironobu Sakaguchi frische Gameplay-Elemente. Die Kämpfe sind dy namisch und wahlweise automatisch oder manuell ausführbar. Gegner wuseln sichtbar in der Welt umher, vor einem Zusammenstoß wird herausge zoomt – das ermöglicht letzte taktische Entschei dungen vor dem Gemetzel. Ein sehr eigenständiges Magiesystem ermöglicht das Platzieren von Ener giefeldern, in deren Wirkungskreis diverse Helden attribute verstärkt werden. Dann sind da noch die herausragenden britischen Synchronsprecher und die Musik von Komponistenlegende Nobuo Uematsu – grandios! Die verhältnismäßig lineare Handlung wird durch große, frei begehbare Gebie te geschickt kaschiert, technisch bewegt sich »The Last Story« trotz gelegentlicher Einbrüche bei der Bildrate auf hohem Wii-Niveau. Wer nichts gegen stereotype Nippon-Charaktere hat, wird hier rund um verwöhnt. 08/10 Stefan Kluger Pac-Man Party 3D 07 (Namco Bandai); 3DS; www.de.namcobandaipartners.eu — Unspektakulärer Mario-Party-Klon, den sich nur absolute Fans des gefräßigen Helden zulegen sollten. Zu wenig ausgereift wirken die ein zelnen Spielelemente. 04/10 Stefan Kluger Rayman Origins 08 (Ubisoft); PS Vita (getestet), PS3, Xbox 360, Wii, PC; raymanorigins.uk.ubi.com — Großartiges, lie bevoll gezeichnetes Jump’n’Run der alten Schule, das auch auf PS Vita eine tolle Figur macht. Neben den »Mario-Games« das Beste, was das Genre zu bieten hat. Leider gibt’s bei dieser Version keinen Mehrspielermodus. 09/10 Stefan Kluger SSX 09 (EA Sports); Xbox 360 getestet, PS3, PC; www. ea.com/de — Ein Snowboard-Spiel ist ein Snow board-Spiel; und auch wieder nicht. Die Grundla gen von »SSX« funktionieren seit Jahren: Es gilt, total ausgefallen designte Hänge hinunterzujagen und dabei waghalsige Tricks auszuführen. Diesmal gleich rund um den Globus. Neu sind dabei einige 05
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Fähigkeiten wie Wing Suits, mit denen große Ab hänge überwunden werden und andere Ausrüs tungs-Spielereien. Diese erweitern das Spiel und sind ebenso oft eine Bereicherung wie störendes Beiwerk. Einen größeren Unterschied macht die aus Spielen wie »Prince Of Persia« und »Grid« be kannte Möglichkeit, bei Fehlern ein Stück weit zurückzuspulen. Bei »SSX« führte dies leider zu ein paar schlechten Design-Entscheidungen wie Strecken, die ob ihrer Unübersichtlichkeit bei den ersten Versuchen nur schwer anders zu meistern sind. Und auch im Multiplayer (einem wichtigen und großen Part in diesem neuen »SSX«) wirkt die Funktion eher störend. Es ist also nicht alles gut in diesem Spiel, die Basics und die prinzipielle Steue rung funktionieren aber überdurchschnittlich und die waghalsigen Settings machen zum Teil richtig Eindruck. 07/10 Martin Mühl Syndicate 10 (Electronic Arts); Xbox 360 getestet, PS3; www. ea.com/de/syndicate — Das Cyberpunk-Opus »Syndicate« aus dem Jahr 1993 war einer der stilprägenden RPG-Taktik-Titel seiner Zeit. Die Spiel-Welt bestand aus Agenten, Konzernen und Kunden. In dieser dystopischen Zukunft angesie delt, begab man sich als Spieler in die Rolle von bis zu vier Agenten, die im Auftrag von Syndikaten gegnerische Bio-Technologien stehlen, Zielperso nen eliminieren und/oder eskortieren müssen. Eine dramaturgisch hochwertig erzählte Geschichte mit mehren Endszenarien, eine für damalige Ver hältnisse äußerst offene, frei erkundbare Welt mit intelligent agierenden NPC-Charakteren sowie die Notwendigkeit einer taktischen, überlegten Vorgangsweise machten das Spiel zum Kult-Titel. Davon blieben im neuen Ego-Shooter einzig Titel und Hintergrundgeschichte. Statt überlegten tak tischen Manövern regiert das Gesetz der Faust feuerwaffen-Gewalt. Aus einem zynisch-düsteren Rollen- und Strategiespiel wurde ein ziemlich blut rünstiger Shooter. Im Single-Player Modus kämpft sich der Spieler durch anonyme und generisch wir kende Levels, die kaum Interaktionsfreiheiten oder alternative, gewaltlose Lösungsmöglichkeiten bie ten. Der vorhersehbare Plot entpuppt sich bereits nach kurzer Zeit als sehr schwache Storyline. Das einzige, was die Singleplayer-Kampagne positiv aufwertet, ist eine aktiv-aggressive und auf Trab haltende Gegner-KI. Etwas besser ist der Multi player-Modus ausgefallen: Hier geht das Spiel prinzip mehr in Richtung Original-»Syndicate«: der Koop-Modus lässt den bis zu vier Spielern erstmals mit ihrer Umgebung interagieren. Vor al lem im Vergleich zur letztjährigen Genre-Referenz »Deus-Ex« wirkt »Syndicate« zu uninspiriert, seicht und monoton, um die Cyberpunk-Welt erneut auf zumischen. 05/10 Michael Kirchdorfer Unit 13 11 (Zipper Interactive/Sony); PS Vita; at.playstation. com — Netter Stealth-Shooter zum mitnehmen: Die Missionen sind kurz und bissig, das Spielsys tem einfach und zu mehrt lässt er sich auch spielen. 06/10 Harald Koberg
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BILD Mario Mauroner Contemporary Art Vienna, Billy & Hells, eSeL / art:phalanx, museum gugging, Kunstuniversität Linz, Atelier Vote, Annie VigierFranck Apertet / les gens d’Uterpan
Der baskische Künstler Javier Pérez spielt mit der Transformation des Materials in neue Formen und bringt gleichsam die Brüchigkeit und Vergänglichkeit von scheinbar fundamental geglaubten Zuständen un seres Lebens zum Ausdruck. Die Ausstellung »Post Natura« spannt sich von Zeichnungen und Fotografien über Skulpturen bis hin zu Installationen, die einen Bezug auf das Leben im elementarsten Sinne nehmen: Geburt, Leben und Tod. Ausstellung: bis 18. Mai Wien, Mario Mauroner Contemporary Art Vienna
Javier Pérez: Post Natura
TE R M I NE KULTUR
TE R M I NE
KULTUR
Literatursalon im Gemeindebau: Max Goldt Der besondere Talent des Autors Max Goldt liegt im lakonischen Nacherzählen präziser Alltagsbeobachtungen. Für das Satiremagazin Titanic hat der 2008 gekürte Kleistpreisträger viele Jahre lang Bilder aus seiner Privatsammlung mit Kommentaren versehen. Heuer macht Goldt wieder Station beim Literatur salon im Gemeindebautheater. Termine: 10. und 11. April, 20.00 Uhr Wien, Rabenhof Theater
Struktur & Organismus Ab 5. Mai wird in Mühldorf in der Wachau die zweite Auflage des jährlich statt findenden Kunstprojekts im Marillengarten der Schnapsbrennerei Kausl um gesetzt. Für »Struktur&Organismus II«, werden die Künstler Steffi Alte, Dan Peterman, Reto Pulfer und Rirkrit Tiravanija eingeladen, sich mit den Thema Natur und Nachhaltigkeit sowie der Region Wachau auseinanderzusetzen. Eröffnung: 5. Mai, 15.00 Uhr; Ausstellung: 5. Mai bis 28. Oktober Mühldorf in der Wachau, Marillenhof – Destillerie Kausl
Gugging: August Walla.! Weltallende Das Museum Gugging zeigt die bisher umfassendste Werkschau von August Walla, einem der vielseitigsten Künstler der Art Brut des 20. Jahrhunderts. Mit der groß angelegten Präsentation »August Walla.! Weltallende« wird er in al len seinen Facetten gewürdigt: als Maler, Text- und Schriftexperimentator und skurriler Land-Art-Künstler. Ausstellung: bis 28. Oktober Maria Gugging, Museum Gugging
Kunst im Fluss: Rinnen Die Ausstellung »Rinnen« versammelt Werke von rund 40 Studenten aus bei nahe allen Studienjahrgängen der Kunstuniversität Linz und gibt die Vielfalt an unterschiedlichen Zugangsweisen zum Thema Wasser wieder. Gezeigt werden Fotoarbeiten, Videos und Installationen, die durch Witz und Ironie, gleichzeitg auch durch kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Elements Wasser entstanden sind. Ausstellung: bis 27. April Linz, Kunstuniversität Linz
Artist in Residence: Luka Brase Nach der erfolgreichen Ausstellung »Draw in Vienna« im Dezember 2011 im Atelier Vote wurde Luka Brase nun als Artist in Residence nach Wien einge laden. Während seines Aufenthalts plant der slowakische Künstler zahlreiche Aktionen und Projekte, die die Öffentlichkeit dazu bewegen sollen, sich mit einer der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts auseinander zusetzen: Adolf Hitler. Ausstellung: bis 6. April Wien, Atelier Vote
TQW: Topologie »Topologie« ist eine Arbeit von »Les Gens d’Uterpan«, die mit Tanz und Bil dender Kunst im öffentlichen, sozialen und gesellschaftlichen Raum ein greift. Ausgangspunkt der Choreografie ist eine über den Stadtraum Wien gelegte Grafik, die von den Interpreten täglich durchlaufen wird und die sich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten treffen werden. Erstaufführung: 5. April, 11.00 Uhr; Termine: 6. bis 14. April Wien, Tanzquartier Wien und Außenraum 075
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13.–15.07.2012 mq museumsquartier, wien
Termine
G al e ri e n
Maja Bajevic, »To Be Continued«, 2011, steam machine and slide projector
Marc Quinn, »The Origin of the World Indian Ocean 310«, 2012, Bronze, 310 � 270 � 236 cm
Maja Bajevic
Marc Quinn
TEXT Franziska Wildförster BILD Charim Galerie, Thaddeus Ropac Galerie
Wie präsent sind Erinnerungen an die Vergangenheit in Marc Quinn ist ein alter Hase im Kunstbetrieb. Als Teil der unserem Alltag? Wie weit darf das Bedürfnis nach Kollekti Young British Artists-Gruppierung um Damien Hirst sorgten vität und Identität gehen, ohne gefährlich zu werden? Fra seine Werke, wie etwa das Selbstporträt aus tiefgekühl gen, mit denen sich die bosnische Künstlerin Maja Bajevic tem Eigenblut von 1991, für kaum weniger öffentliche Auf in ihren Arbeiten beschäftigt. Sie sind Brücke zu erschüt merksamkeit als die seines Künstlerkollegen. Quinns neue ternden Erinnerungen, Warnzeichen der Gegenwart und Arbeiten präsentieren sich am Puls der Zeit, plastisch und hoffnungsvoller Zukunft: Die Installation »To Be Continued« farbenfroh wie eh und je. In Form einer überdimensionalen etwa zeigt auf aufsteigenden Dampf projizierte Slogans Muschel als heißersehnten Rückzugsort oder in Skulpturen des politischen Aufbruchs. Durch das Wort des Vorange und auf Leinwand verewigter, anonymer Aufständischer als henden als Anfang des Folgenden sind sie miteinander Zeichen der Anarchie, befragen sie das gesellschaftliche verknüpft. Flüchtig zeigt sich der Nebel aus alten Zeiten, Wertesystem und Identitätsnöte in einer globalen Welt vol formbar der Verlauf der Zukunft im Hier und Jetzt – in einer ler Existenzkrisen. Die Arbeiten des Briten in »Brave World« einzigen fließenden Bewegung. Bajevic, 1967 in Sarajevo – ein wohl ironisch gewählter Titel der Ausstellung – zeigen geboren, vergegenwärtigt, ohne alten Staub aufzuwühlen. sich von gewohnt reizvoller Seite und schmiegen sich un In der Charim Galerie gibt es ihre neusten Arbeiten zu se serem Blick dabei fast schon gefällig an. bis 19. Mai Salzhen. bis 28. April Wien, Charim Galerie burg, Galerie Thaddaeus Ropac / Villa Knast
Kärnten
Klagenfurt, Galerie 3 bis 28. April, Alina Kunitsyna, Markus Orsini-Rosenberg
Niederösterreich
Groß-Siegharts, Kunstfabrik Groß Siegharts bis 5. Mai Franz Part
Oberösterreich
Gmunden, Galerie 422 Margund Lössl bis 6. Mai Manfred Hebenstreit und Alois Riedl
Salzburg
Salzburg, Galerie Thaddeus Ropac bis 19. Mai Marc Quinn
Steiermark
Graz, Galerie Eugen Lendl bis 28. April Wolfgang Rahs und Elisabeth Altenburg
Tirol
Innsbruck, Galerie Bernd Kugler 13. April bis 19. Mai René Luckhardt
Urs Fischer, Mr. Moutard, 2010, Private collection © Urs Fischer. Courtesy of the artist and Sadie Coles HQ, London. Photo: Mats Nordman
URS FISCHER SKINNY SUNRISE 17. Februar – 28. Mai 2012
Ein Skelett in Yogapose? Eine Obstschale mit echten Bananen und Äpfeln mit Silikonüberzug? Ein fancy Bügelbrett in Spiegeloptik? Ein von der Decke baumelndes Croissant mit Schmetterling? Ein brennendes Selbstporträt aus Wachs, das während der Ausstellung langsam verschwindet? Ja, das alles und noch vieles mehr präsentiert der internationale Shooting-Star Urs Fischer aktuell in der Kunsthalle Wien.
Vorarlberg
Bregenz, Galerie Lisi Hämmerle bis 8. April Daniel Spoerri
Wien
Hilger Contemporary bis 17. April Babak Golkar Galerie Andreas Huber bis 5. Mai Carola Dertnig Galerie Martin Janda bis 28. April Passage: Svenja Deininger, Nilbar Güres, Adrien Tiriaux, Johannes Vogl, Jun Yang Georg Kargl Fine Arts bis 28. April 1964 Christine König Galerie bis 28. April Ricardo Brey, Jimmie Durham Emanuel Layr bis 5. Mai Nick Oberthaler Galerie Raum mit Licht bis 5. Mai Caroline Heider, Jemima Stehli Galerie Lisa Ruyter bis 28. April Tamuna Sirbiladze
Urs Fischer, Skinny Sunrise, 2000. Sammlung Ringier, Switzerland © Urs Fischer. Courtesy of the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich. Photo: Mats Nordman
Urs Fischer, Untitled, 2011 © Urs Fischer. Courtesy of the artist and Sadie Coles HQ, London. Photo: Mats Nordman
tägl. 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 21 Uhr Museumsplatz 1, A–1070 Wien
tägl. 13 bis 24 Uhr, So. und Mo. 13 bis 19 Uhr Eintritt frei | Treitlstraße 2, A–1040 Wien www.kunsthallewien.at
TE R M I NE
F EST I V A L S
4 Fragen an Bernhard Tobola (Maispace) »Konkrete Utopie«: Gilt es diese noch zu entwickeln? Wie schon die letzen viermal steckt hinter jedem Maispace eine eigene Idee. Diesmal geht es darum, dass Philosophen die Welt verschieden interpretieren, es aber gilt, sie zu verändern. Wir sehen, dass mehr und mehr Leute aktiv an gesell schaftlichen Prozessen mitgestalten wollen: Amici de la SVA, 99% Creative, Occupy … für uns stellen diese auch Formen von konkreten Utopien dar. Am 30. April sollen im Rahmen eines Barcamps einige dieser Initiativen präsentiert und zusammenge bracht werden. Geht es euch um Veränderungen innerhalb der Kreativen Klasse, oder um welche, die diese gegenüber Außenstehenden durchsetzt? Wir denken, dass es ein Stück weit von beidem sein muss. Einerseits muss das Individuum erkennen, dass es ein Teil einer ernstzuneh menden Bewegung sein kann. Erst dann kann man gemeinsam Druck ausüben, um gesellschaftliche Veränderung voranzutreiben. Wie kann die Überführung virtueller Unmutsäußerungen in reale Handlungen passieren? Wir gehen auf die Straße, wir gehen wählen, wir nehmen unser demokratisches Recht wahr. Nur Raunzen und Liken war gestern, heute erschaffen wir eine bessere Welt. Irgendwann ist das Momen tum gegeben, an dem eine virtuelle Bewegung in die Realität überschwappen muss. Wie lassen sich Ideen in Musik und Party umsetzen? Der Partyteil war und soll immer ein Fest bleiben, das Gemeinschaftliche betonen und verfestigen. Das steckt ja auch irgendwie im Namen. Schlussen dlich sollen die Leute feiern, tanzen und ein klein wenig an ihre gemeinsame Zukunft denken. 30. April Wien Depot 18.30 Uhr: Maispace Panel Volkstheater, 21.30 Uhr: Mothership (Modularsynchronorchester) & Intergalactic Disco Express
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Das aktuelle Thema des Sound:frame Festivals, nämlich der Grundbau, wird dazu genutzt, Grund festen eines Festivals nicht durch Fassaden zu verstecken, sondern freizulegen.
Sound:frame Substruction, lat. Substructio: Unterbau, Grundbau. Hauptthema des nunmehr sechsten Sound:frame Festival ist die Frage nach der Basis, den Grundfesten: In der Diskussionsrunde »Green Light – go!« werden etwa die nachhaltigen Aspekte eines Festivals hinterfragt. Das audiovisuelle Festival, mit dem sich mittler weile auch Politiker und Kulturinstitutionen gerne schmücken, wird zum sechsten Mal Augen und Ohren mit VJs und DJs, aber auch Ausstellungen schmeicheln. An zwei Wochenenden werden von Donnerstag bis Samstag ausgewählte Wiener Locations wie Fluc Wanne oder Brut visuell mit Mapping-Installationen umgestaltet und von Visualisten und Musikern bespielt. Zwei Höhepunkte von vielen sind sicher die Pre miere von John Talabot, dessen Geister-House gerade international für Furore sorgt, sowie die Boiler Room Crew. Die startete 2011 die weltweit erfolgreich streamende »Underground Music Show« und wird eine Sound:frame-Version davon aufziehen. 12. bis 22. April Wien, diverse Locations
TE R M I NE
F EST I V A L S Im zarten Alter von 70 begann Grandma Lo-Fi, Songs aufzunehmen. Heute ist sie mit 59 Alben eine liebgewonnene Kultfigur der isländischen Musikszene.
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… Euro beträgt das Budget für das Donaufestival in seinem siebten Jahr. 1,5 Mio. Euro davon kommen vom Land Niederösterreich und zeugen in Zeiten akuter Kürzungen von Anerkennung für das Avant garde-Festival als Schnittstelle für neue Theaterund Klangkunst.
Poolinale Österreichs erstes Musikfilmfestival verbindet im zweiten Jahr erneut die Kre ativwelten Musik und Film zu dem gemeinsamen Treffpunkt, dem »Musikfilm«. Weg vom teuren Werbeclip und hin zu Handlungssträngen, kleineren Budgets und viralen Verbreitungsformen, hieß es in jüngsten Jahren. Das Festival zeigt nicht nur Filme über Musiker, sondern beleuchtet auch Musiker selbst als Film schaffende. Als Eröffnungsfilm ist die Weltpremiere von »Nowhere Train« geplant, in dem fünf Musiker, zwei Filmer und ein Autor im Zug durch Österreich bummeln, um Musik zu machen. »The Swell Season« von Sigur Rós und »Get Along« von Tegan and Sara sind weitere Höhepunkte. 18. bis 22. April Wien, diverse Kinos
Schöpfung, Teil 8: Mit »Die Achte Nacht« präsentieren CocoRosie eine zweiteilige Show mit zahlreichen Gastmusikern.
Pictoplasma
Kinderkram oder Kunst? Die Pictoplasma ist das größte auf Character Design spezialisierte Festi val. Künstler wie zum Beispiel Nathan Jurevicius oder Mark Gmehling werden in Berlin ihre unglaub lichen Kreationen, neben weiteren Künstlern, be gleitet von Diskussionsrunden und Kurzfilmvor führungen, vorstellen. 11. bis 15. April Berlin, Babylon HBC
Crossing Europe
Donaufestival »Die Vertreibung ins Paradies« wird im neuen Programm des diesjährigen Donaufestivals versprochen. Gemeint ist ein spielerischer Eskapismus als ge sellschaftspolitische (Welt-)Flucht nach vorne. Als Leitgruppe fungieren Coco Rosie. Neben eigenen Performances kuratierten sie heuer auch mehrere eigen willige Paarungen aus der befreundeten New Yorker Kunstszene, u.a. Laurie Anderson / Light Asylum oder Sissy Nobby / Antony Hagarty. Pantha Du Prince, Hercules And Love Affair, Chris Cunningham, Ariel Pink, Oneohtrix Point Never, Genesis P-Orridge sorgen für das vielleicht beste Musik-Line-up seit Bestehen. Neben Konzerten sollen auch Performances und Kunstinstallationen in paradie sische Gefilde treiben. 28. April bis 5. Mai Krems, diverse Locations
Das Filmfestival in Linz pflügt sich wieder durch das europäische Autorenkino. Von 24. bis 29. April werden rund 150 ausgewählte europäische Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme, meist als Österreich premieren, präsentiert und ausgezeichnet. Un ter den verschiedenen Veranstaltungsorten wird dieses Jahr der neue Ursulinensaal mit einem Eröffnungsfilm eingeweiht. 24. bis 29. April Linz, diverse Kinos
Austrian Film Festival
»Achtung, nur österreichische Filme und Filme mit Österreich-Bezug.« Eine Warnung, die man gerne über sich ergehen lässt. Zwei- bis dreimal pro Jahr zeigt das Austrian Film Festival neben einzelnen Filmvorführungen auch die Reihe »Two Moods Short Film Festival«. Von Kuriosem, wie einer UniversumsMockumentary, über Zombies bis hin zu ernsteren Themen wie Kidnapping oder Beziehungen hat das Festival vieles zu bieten. 29. April, 2. Mai und 7. Mai Wien, Topkino 079
jeunesse jazz+ experimental 24.04. Ab Baars
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MUSIK
27.04. Matthias Kranebitter
24.04. Di | 20:00 | Porgy & Bess : jazz :
Riemergasse 11 | 1010 Wien
Ab Baars Trio
Ab Baars Klarinette, Tenorsaxophon Wilbert de Joode Kontrabass Martin van Duynhoven Schlagzeug Das Ab Baars Trio bezaubert durch delikates, detailreiches und komplexes Spiel – ein magisches Live-Erlebnis. NICE PRICE! < 26 Jahre eur 10,– Vollpreis eur 18,–
27.04.
Fr | 20:00 | ORF RadioKulturhaus : neue musik : Großer Sendesaal Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
Porträt Matthias Kranebitter
Mitteleuropäisches Kammerorchester Gordan Tudor Saxophon Jelena Poprzan Viola Christine Karajeva Klavier Matthias Kranebitter Klavier Ajtony Csaba Dirigent Matthias Kranebitter: Konzert für Altsaxophon und Midiorchester D-Dur | Candlelight Music mit Rondo | Konzert für Cembalo und Ensemble Es-Dur | Streichquartett Nr. 2 für Viola und Elektronik | Fröhliche Relativitäten (UA) | Ringelreigen 18,4 g CO 2 In Zusammenarbeit mit dem ORF Radiokulturhaus | Ö1 NICE PRICE! < 26 Jahre eur 10,– Vollpreis eur 17,–
saison
Links: gut. Rechts: fesch. Die Junior Boys Fuhrberg und Gaudlitz beim Jack im Morisson.
Jack by The Gap Neuer Monat, neues Glück! Im April auf dem Programm unserer hauseigenen Clubreihe: zwei erstklassige DJs aus dem großen Nachbarland, die ihre Heimatstädte verlassen haben, um in Wien zu leben. Moritz Gaudlitz, geprägt von etlichen Abenden im Münchner Club Harry Klein, überzeugt gerade in der Primetime mit fast allem, was House und Techno hergeben. Der Berliner Felix Fuhrberg ist von Detroits elektronischer Musik inspiriert und liefert bodenständigen House mit Verzicht auf zu viel Gequietsche. Und weil ohne die beiden Jack-Residents Laminat und Moogle und deren deepe Sounds eh nichts läuft, sind sie auch am Start. Like! 27. April Wien, Morisson Club
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klassik jazz world neue musik kinderkonzerte
(01) 505 63 56 www.jeunesse.at
Tango Night mit Christian Bakanic’s »Trio Infernal«
27.04.
Fr | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn EUR 12,– | 14,– (VVK | AK) GARAGE X, Petersplatz 1, 1010 Wien
www.jeunesse.at | (01) 505 63 56
Links: fesch. Rechts: gut. Die Junior Boys am 4. Mai in Innsbruck.
Soundcity Innsbruck Gibt es für ausgeh- und abwechslungsfreudige Jungmenschen etwas Besseres, als eine Nacht lang meh rere Locations mit nur einem Ticket besuchen zu können? Wohl kaum. Also schließen sich Anfang Mai wieder zwölf Clubs und Bars zur Soundcity Innsbruck zusammen. Das Programm bestreiten – wie gewohnt – heimische und internationale Künstlerinnen und Künstler. Die Hightlights: eine Live-Show der Young Punx sowie ein DJ-Set der Junior Boys (Bild). 4. Mai Innsbruck, diverse Locations
TEXT Manuel Fronhofer, Moritz Gaudlitz BILD Privat (2), Saccenti Glauer, Cooperative Music, TV Buddhas, City Slang, Valeot Records, Universal Music
TE R M I NE
MUSIK
Xiu Xiu Jamie Stewart feiert 2012 das zehnjährige Bestehen seiner Band. Wo bei »feiern« wohl das falsche Wort ist: Xiu Xiu stehen seit jeher für ka thartische Selbstentblößung, die auch die Schmerzempfindlichkeit des Publikums auf die Probe stellt. Avantgarde-Pop der Marke »intensive Angelegenheit«. 9. April Wien, WUK (mit Au)
TV Buddhas Der Garagenrock des aus Tel Aviv stammenden und mittlerweile in Ber lin ansässigen Trios rumpelt und kracht immer noch ungeniert – und in aller Herren Länder. 11. April Feldkirch, Graf Hugo — 5. Mai Ebensee, Kino Ebensee — 6. Mai Linz, Stadtwerkstatt — 7. Mai Innsbruck, Weekender — 8. Mai Graz, Insel Post — 10. Mai Villach, Kulturhofkeller — 11. Mai Wien, Shelter (mit Black Shampoo)
Dan Mangan Für sein aktuelles Album »Oh Fortune« hat der kanadische SingerSongwriter tief in die Trickkiste gegriffen. Ob kammermusikalische Arrangements, Sturm und Drang oder genretypische Reduktion – Dan Mangan setzt seine Mittel meisterlich ein und weiß dabei auch mit Hu mor zu überzeugen. 17. April Wien, Fluc (mit Zeus)
4 Years Valeot Records Das unabhängige Wiener Label, das sich nicht auf ein bestimmtes Gen re festlegen lässt, feiert vierjähriges Bestehen. Kutin, Attilio Novellino, Werner Kitzmüller und Protestant Work Ethic (Bild), allesamt Künstler des Labels, gratulieren unter den Wiener Stadtbahnbögen. 23. und 24. April Wien, Rhiz
LMFAO Die zwei Kalifornier mit dem krausen, langen Haar, die eigentlich immer in viel zu grellen Klamotten herumhängen, haben eine Mission: die Welt zu einem riesigen Party-Planeten zu machen. Jetzt ist auch das vom Winter noch leicht verschlafene Wien an der Reihe, mit den beiden zu shufflen. 11. Mai Wien, Stadthalle
Hype! »Hype your local bands!«, heißt es seit Jahresbeginn jeweils dienstags im Wiener Fluc. Im April gibt sich das Programm breitgefächert: HipHop, Songwriter-Pop, Stoner-Rock, IndieGeschrammel – alles dabei! 3. April Wien, Fluc: TDDC — 10. April Pierre Bois, Daniel Knoppert — 17. April Primordial Undermind — 24. April The Last Modernist
Manic Street Preachers Vom frühen Glam-Punk-Appeal der »Manics« ist nicht allzu viel übrig ge blieben, dafür haben sie sich in den 20 Jahren seit Erscheinen ihres Debütal bums »Generation Terrorists« als eine der wichtigsten britischen Rockbands etablieren können. Und zu sagen ha ben sie auch immer noch einiges. 28. April Wien, Arena
Garish Für wenige heimische Bands ist dieser Rahmen passender: prunk volle, ehemals als Ballsaal genützte Räumlichkeiten, ein bestuhlter Pu blikumsbereich, das Wort »Samt« im Veranstaltungstitel – der feingeistige Kammer-Pop der Burgenländer dürfte in der Reihe »Stadtsaal / Samt / Unter grund« bestens aufgehoben sein. 16. April Wien, Stadtsaal
Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.
Endlich, jetzt spricht sie!
illustration Jakob Kirchmayr
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un, ich habe etwas Verwerfliches gemacht und im Tagebuch meiner Lebensabschnittsdingsbums gelesen. Ich weiß, das tut man nicht, aber es lag quasi aufgeschlagen vor meiner Nase. Ich war so verblüfft, dass ich darob ganz und gar vergaß über das Licht, in welches ich gestellt wurde, länger als eine Minute nachzudenken. Ich erkenne mich durchaus wieder, auch wenn es einige Zeit brauchte, bis ich gecheckt habe, dass mit »LG« wohl ich gemeint sei und die Initialen für »Lebensgefährte« stehen. Manchmal dauert es eben länger bei mir. Lang dauerte auch der Monat März, den ich jetzt ohne eingeholter Einverständniserklärung einfach öffentlich mache. Eine anständige Tracht Schweigen nehme ich dafür gerne in Kauf. Do., 1. März: Eigentlich war ja heute nicht ich mit Frühstückmachen und Kind-in-den-Kindergarten bringen dran. Aber der liebe »LG« zog es vor, sich gestern Abend einen anzuzwitschern, dass er selbst beim Aufstehen noch lallte. »Vier nach drei Bier«, war seine Antwort auf meine Frage, wann er denn nach Hause kam. Feiergrund war übrigens der Schalttag. »Gibt’s ja nur alle vier Jahre und es war erst der neunte meines Lebens.« Selten so etwas Dummes gehört. Fr., 2. März: »LG« hat Schnupfen. Grässlich. Sieht nicht sonderlich gut aus. Wie jeder Mann ist auch er eine Viren- und Bakterienmemme und hält sein wankendes Immunsystem fürs Weltzentrum. Seine bloße Anwesenheit reicht aus, um ein Alibi zu schmieden. Werde Yoga wohl ausfallen lassen müssen und mich ums Kind kümmern. Hoffe, dass er bis zum Zumba-Kurs am Dienstag wieder fit ist, sonst nämlich … So., 4. März: So etwas habe ich noch nie gehört und gesehen. Gegen 14.30 Uhr ließ »LG« auf der Couch einen elefantösen Nieser los. Alles im Umkreis von drei Metern war eingerotzt und voller Blut. Auch das Kind. Der Fernseherbildschirm hat seitdem einen kleinen Sprung. Ich vermute, dass auch ein wenig Gehirn mitgegangen ist, denn »LG« behauptet fix, er habe nun einen überdurchschnittlichen Geruchssinn. Ich glaub ihm nicht. Di., 5. März: Zumba steht am Programm. Natürlich ist er plötzlich wieder steinkrank. Schleppe ihn aber trotzdem mit, weil es wichtig ist, auch als Paar gemeinsame Dinge zu machen. Er behauptet
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felsenfest riechen zu können, wer dort gerade »ordentlich abmenstruiert«. Glaube natürlich kein Wort und erinnere mich aber an den Periodenkalender, den er führt, in dem er die Tage aller Frauen, die er kennt einträgt und aktualisiert. Creepy. Do., 8. März: Bin mit dem Messerblock zu »LG« und habe so getan, als ob ich das Transchiermesser nicht aus dem Holz rausziehen könne. Ich: »Schau es steckt fest!« Er griff mit großen, dummen Augen hin und zog es mit einem eleganten Ruck heraus. Ich: »Du bist der Auserwählte – ab mit dir in die Küche, Geschirrspüler ausräumen und kochen, König Artus.« Manchmal ist es zu einfach. So., 11. März: Habe »LG« beim Onanieren unter der Dusche erwischt. Fühlte mich sehr geschmeichelt, als er sagte, dass er dabei immer nur an mich denkt. Glaube aber, dass er mittlerweile einfach nur zu träge und faul ist, dabei an andere Frauen zu denken. Mo., 12. März: Es wird unheimlich. Bin mit »LG«, der absolut keinen Orientierungssinn hat, ins Stadtzentrum. Für ein GPS ist er zu eitel. »Ich kann verstehen, warum viele Halbtaube kein Hörgerät wollen«, sagt er immer und fühlt sich dann besonders sensibel. Lächerlich. Jedenfalls wollte ich wie immer Schabernack mit seiner Schwäche treiben. Ich dreh ihn dabei immer dreimal im Kreis, laufe weg und überlass ihn seinem Schicksal. Üblicherweise braucht »LG« mehrere Stunden, bis er nach Hause findet. Wertvolle Zeit, die ich für mich nutze. Diesmal nicht. Er war vor mir zu Hause. Ich: »Wie hast du das gemacht?« Er: »Na, ich hab die Witterung aufgenommen!« Dabei tippte er auf seine Nase. Mi., 14. März: Machte »LG« darauf aufmerksam, dass heute Albert Einstein und Pornostar Sasha Grey Geburtstag haben. Er: »Wer ist Albert Einstein?« Unerträglich billig. Werde ihm den Internetzugang streichen. Fr., 16. März: Schauen »Dancing Stars«. Er beschimpft Barbara Wussow, Albert Fortell, Miriam Weichselbraun und überhaupt alles, was übern Bildschirm flimmert. Ich erlaube ihm, mit Kopfhörern eine Nazi-Doku am Laptop zu schauen. So., 18. März: Ohne Internet dreht »LG« durch. Er verheimlicht mir seit vier Tagen, dass er ein Smartphone hat. Kam erst dahinter, als er über eine Stunde am Klo war. Und dann noch eine Stunde im Bad. Lustig seine Notlüge: »Ich habe meine Intimzone rasiert.« Hab ihm sein neues Spielzeug gleich abgenommen. So nicht – nicht mit mir.
Mo. 19. März: Mir fällt auf, dass »LG« die Hälfte vergisst und geistig immer abwesend ist. Vielleicht ist er hochbegabt? Vereinbare einen Intelligenztest für ihn. Mal schauen. Di., 20. März: Kennenlerntag Nummer sechs. Haben damals ja alles auf einmal erledigt. Erster Kuss, erster Sex, erstes Frühstück, erster Kinobesuch, erster Restaurantbesuch. Glaubte damals, es mit einem Macher, einem geilen Alphatier mit gesundem Zug zum Tor zu tun zu haben. Heute weiß ich, dass es bloßer Pragmatismus war. Mi., 21. März: Frühlingsbeginn. Jetzt übernehmen wieder seine Hormone das Kommando. Er brabbelt im leicht alkoholisierten Halbschlaf unsinniges Zeug von Zooey Deschanel und »die ganze geile Indie-Bagage, die wieder einmal ordentlich durchgepudert gehört, in ihren Matrosenleiberln und Jean-Leggins.« Unglaublich, wie einfach der gestrickt ist. Mir schaudert. Fr., 23. März: Das Resultat vom IQ-Test ist da. »LG« ist kein Genie, dafür hat er wohl Erwachsenen-ADHS. So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie er in der Apotheke war und Ritalin kaufte. Mi., 28. März: Das Ritalin macht einen ganz neuen Menschen aus »LG«. Er vermisst nicht mehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit seinen Penis und scheint auch sonst konzentrierter und schneller zu arbeiten als sonst. Einziges Problem: Er hält sich deswegen erst recht für ein Genie. Das kann böse enden. Do., 29. März: Der Depp hat heute seinen Job gekündigt und will auch keine Kolumnen mehr schreiben. Wir brauchen aber die monatlichen 1.200 Euro Kolumnengeld dringend. Auf die Frage wie er sich das den vorstelle, grinst er nur blöd, tippt wieder auf die Nase und sagt, dass er jetzt Parfumeur werde. Wenn das mal gut geht. Fr., 30. März: Ich heizte ihm ordentlich ein. Nun macht »LG« wenigstens mit seiner dämlichen Kolumne weiter. Pathetisch übertrieben ließ er sich wieder einmal zu einem »Ich stehe vor den Ruinen meines Schaffens« hinreißen. Ich beruhigte ihn. Ruinen sind das, was übrig bleibt, wenn alles unnötige Bei- und Schmückwerk weg ist. Substanz, die überdauert! Dass ich nicht lache.
Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly
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