KREBS IM FILM — LUSTIGE BÖSE ZELLEN BeAch hOUSe / Open DeSiGn / pArALLeLWeLt ZirKUS 126 magazin für Glamour und Diskurs. mOnaTlich. VeRlaGSPOSTamT 1040 wien, P.b.b. Gz 05z036212 m, nº 126, mai 2012
Mile Me Deaf. Frittenbude. Tomboy. Rainer Ganahl. Ryoji Ikeda. Indie Games. Traxman. Friends. Risen 2. Cold Specks. Design Mailand. Santigold. Tina Fey. Im Wortwechsel: Welche Probleme könnten die Piraten überhaupt lösen?
Leitartikel von Thomas Weber.
Zeit für Experimente Sind die Piraten tatsächlich die Import-Lösung unserer politischen Probleme? Oder doch eher ein Franchise für Frust und eine Projektionsfläche für absurde Erwartungen? Ein guter Impulsgeber wären sie allemal. Doch selbst die Grünen schlummern schreckerstarrt. Womöglich ist das ein fataler Fehler.
er war gut! Da hat der Peter Pilz doch tatsächlich vorgeschlagen, der sich gerade erst konstituierenden Piratenpartei ins Parlament zu verhelfen und deren Akteure – an wählbarer Stelle, auf halbwegs sicheren grünen Listenplätzen – ins Establishment zu katapultieren. Die Strategie dahinter ist klar: umarmen, einbetten, ersticken. Die erwünschte Nebenwirkung: Selbst noch einmal etwas vom Glanz jugendlicher Rebellion abzubekommen. Ausgefuchst, fürwahr! Doch verstanden hat der Gute die Piraten in etwa so sehr wie weiland Kreisky die Umweltbewegten. Die wollten, allen Einladungen zum Trotz, auch kein Stück des Weges gemeinsam mit dem Sonnenkanzler gehen. Der Rest ist Geschichte, das Grüne alteingesessen und Umwelt, zumindest auf dem Papier, heute bei allen Parteien ein Thema. Doch worum geht es den Piraten? Auch wenn ihnen das selbst noch nicht ganz so klar scheint, man noch um erste Antworten ringt: Die Fragen, die sie aufwerfen, sind keine verkehrten, grundliberal und durchaus konstruktiv gedacht. Mehr Partizipation, mehr direkte Mitbestimmung, Transparenz und Demokratie 2.0 sind mehr als nur schicke Schlagworte. Sie sind dringend erforderlich, in durchaus radikalem Ausmaß. Damit stellen die Piraten allerdings weniger die restlichen Parteien in Frage als vielmehr das herrschende politische System, das all jene Erfordernisse eben nicht erfüllt. Politisches Programm ist das noch keines. Ob es noch
Vizebürgermeisterinnenpartei in der Hauptstadt ein bisschen mitmischen zu dürfen, lässt die Partei wohl vergessen, dass spätestens 2013 bundesweit gewählt wird. Hätten die Grünen ihre Lektion gelernt, müsste die Partei sich längst im großen Stil öffnen. Ob jemand ernsthaft darüber nachgedacht hat, das Vorwahl-System im großen Stil bundesweit durchzuziehen? Fürchtet man sich vor »FacebookVorwahlen«? Die Zeit wäre jedenfalls reif für neue Gesichter, eine ehrliche Öffnung und Experimente, die etwas gewagter sind als die billigen Schmähs eines Peter Pilz mit seinen Ideen von vorgestern. Vielleicht bringt all das ja wirklich die neue Piratenpartei auf die Reihe. Vielleicht haben wir bald eine Handvoll vorwärtsgewandter Politiker im Parlament sitzen, die semiprofessionell vorleben, dass man sich vor Technik und Freiheit zwar nicht fürchten muss, dass einen die eigene IT-Sozialisierung aber auch nicht gleich zum besseren Menschen macht. Ganz so naiv sind die Piraten dann doch nicht. Besonnen wollen sie gar keine allzu großen Erwartungen wecken. Naiv sollten freilich auch wir Wähler nicht sein. Das, was viele von uns von den Piraten erwarten und in sie projizieren, ist eine gewaltige Aufgabe – und Sympathie ist weder ein professionelles, noch ein politisches Kriterium. Bild michael winkelmann
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eines wird, bleibt fraglich. Zwar werden die Piraten in den Medien gern auf das Urheberrechtsthema festgenagelt – eben weil es sonst nichts Greifbares gibt. Doch für jene 25 Prozent aller Österreicher, die sich angeblich (Profil-Studie) vorstellen können, die Piratenpartei zu wählen, wird es vermutlich eher egal sein. Es geht um einen Protest gegen das System. Hätten die Piraten wirklich bald 8 oder 15 oder gar 25 Prozent aller politischen Mandatare zu stellen: Wer bitteschön sollen die dann sein? Schon bei den Altparteien enttäuscht das Personal. Ist es nicht naiv zu glauben, ausgerechnet die Piraten würden all die in ihren liberalen Werten gefestigten Schläfer aktivieren, postideologische Experten und hehre Weltverbesserer anziehen? Oder locken die Jobs dann doch wieder jene Glücksritter, die auch Freiheitliche und BZÖ ins Spiel brachten, als man plötzlich Posten zu vergeben, aber kein fachlich und moralisch qualifiziertes Personal zur Verfügung hatte? Wirklich geben tut es sie derzeit nämlich nicht, die österreichischen Piraten. Sie zetteln weder Diskussionen noch Debatten an. Und das, obwohl sie angeblich doch so welt- und mediengewandt sind. Die Enttäuschung ist also vorprogrammiert: Anders als bei den Grünen (die Jahrzehnte hatten, sich zu professionalisieren) wird das Zeitfenster, in dem die Wähler den Piraten gestatten, sich zu bewähren, gnadenlos kurz sein. Können diese auch nichts verändern, dann ist die Verdrossenheit nur noch größer. Und was machen die Grünen? Die schlummern und scheinen sich selbst zu genügen. Interessant ist das, weil sie selbst bereits weiter waren, als es die Piraten heute sind – zumindest in Wien. Erinnert sich noch jemand an das revolutionäre System der »Grünen Vorwahlen« über das Internet? Was ist davon geblieben außer einem Aufatmen und der Gewissheit ergrauter Funktionäre, diese von der eigenen Basis erwirkte Erneuerung irgendwie überlebt zu haben? Das gute Gefühl, als
Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber
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Krebs im Film in der TV-Serie »breaking bad« wird der krebs zum auslöser von mittlerweile fünf Staffeln zwischenmenschlicher metastasen, bei der Filmkomödie »50/50« zu einem Pointengeber zwischen kumpels. man kann also auch Spaß haben und Frauen dabei aufreißen – der Film ist dennoch eine vorsichtige kampfansage. klaus buchholz hat sich durch die gut- und die bösartigen Spielformen eines neuen Genres geschaut.
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magazin KReBS im Film 018 —— Von »breaking bad« bis »The big c«, von »50/50« bis »la Guerre est declarée« – die Schicksalserkrankung krebs wird in Serien und im kino zum dramatischen und dramaturgischen begleiter. Golden FRame: RYoJi iKeda 022 —— Für seine Video- und Sound-installation »Data.anatomy (civic)« hat Ryoji ikeda caDDaten eines kompaktklasse-wagens durch seine Software gejagt. BeaCh houSe 024 —— Sommer und jugendträume: was seit jahren durch die Popmusik schwirrt, wird auf »bloom« endlich gut. mile me deaF 026 —— »eat Skull« ist ein euphorisches und ausgelassenes album geworden, es zelebriert ein leben aus krach, bier und zuckerwatte, mit einem Grundton, wie ihn das leben schreibt. GameS developeR ConFeRenCe 028 —— Sie mögen etwas spät dran sein, aber 2012 reden auch die indie-Game-entwickler darüber, wie es ist, erwachsen zu werden und Geld nach hause bringen zu müssen. RaineR Ganahl 030 —— Fahrradfahren und französische avantgarde um 1900 – das bringt der eigenwillige konzeptkünstler Rainer Ganahl in einer ausstellung im ba kunstforum unter einen hut.
paRallelwelT ZiRKuS 033 – 040 in der ausstellung wird das Panoptikum der manege aus dem blickwinkel kunst betrachtet: dReSSuRaKT 034 —— ein elefant schwebt mit dem Rüssel an der wand und den beinen nach oben in der luft. Daniel Firmans kunstwerk irritiert und verzaubert. FReaKS 036 —— Grotesk und schön – von Freaks, mutanten, humanoiden Robotern ist die beschäftigung in der kunst mit dem Para-humanen vielseitig. ClownS 038 —— niemand mag clowns. Doch genau dadurch erfüllen sie eine wichtige Funktion. jonas Vogt über die Rolle des narren. CliFTon ChildRee 040 —— Der in miami lebende künstler clifton childree erzählt im interview von seiner begeisterung für die Stummfilmzeit, flackernden Filmapparaturen, horror und comedy. open deSiGn SYmpoSium in linZ 042 —— Oberösterreich will als »Open Design-Region« einen niederschwelligen zugang zu Technologien für handwerksbetriebe und kreative schaffen. mailÄndeR möBelmeSSe 044 —— bequem sitzen reicht dir? Dass Design mehr kann als man häufig vermutet, hat Peter Stuiber auch abseits der hauptmesse entdeckt.
Beach house beach house haben wenig an ihrem Sound verändert, und trotzdem ist ihr viertes album eines der alben des jahres. weil »bloom« vielleicht genau das Statement ist, das diesen wirbel um Dream Pop, chillwave und nostalgie-Pop auf ein neues, verbindendes level hebt, weil es mit beiden beinen im heute steht und den kopf dennoch im Sand und in den wolken hat.
024 Rubriken leitartikel inhalt editorial porträts / impressum Fondue Fabula Rasa unbezahlter anzeiger Splitter wortwechsel: welche Probleme könnten die Piraten überhaupt lösen? workstation: Sebastian Freiler lookk: »Super Fucking awesome, man!« prosa: Tina Fey Reviews introducing: lena Dunham Termine
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Kolumnen Zahlen, bitte Know-nothing-Gesellschaft
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Bild der ausgabe 126 ausgaben inkonsequenz. Die erste ausgabe, hier im bild, erschien im jänner 1997. weil es im Frühling aber wesentlich angenehmer zum Draußen-Feiern ist, haben wir beschlossen unseren 15. Geburtstag einfach jetzt mit ausgabe 126 zu begehen.
eDit riAL 15 Jahre Mischkultur — Was hatten wir nicht alles auf dem Cover – Männer, weniger Frauen, Nachhaltigkeitsbomben, ein Plastiksackerl, Kunst, Trash-Prolos, Clubkultur und in den ersten Jahren eigentlich immer Britpop. The Gap ist mit stolzen 15 Jahren erwachsen geworden – da ist die Coverstory zu einem nicht sehr jugendlichen Thema wie »Krebs im Film« das beste Beispiel (s. 018). Man kann das auch sonst sehen: Unsere Fotostrecke zu kreativen Arbeitsplätzen (s. 048) oder ein Design-Ressort (s. 046) fragen laufend, wie das denn geht, mit Musik, Film, Games oder einem Web-Projekt zu leben, damit besser zu leben oder sogar davon zu leben. Eine andere Facette davon: Die Freaks und Außenseiter von Mile Me Deaf (s. 026) oder die aus dem Zirkus (s. 036) taugen zu Role Models einer Gegenkultur. Die Piratenpartei will das auch sein und ist Thema im Leitartikel (s. 003) und Wortwechsel (s. 046). Immer dann, wenn die alten Modelle überrollt werden, braucht es Fantasie wie es anders gehen kann. Ein paar davon gibt es bei diesem ganzen kreativen Zeug, das wir so wichtig und interessant finden, um laufend darüber zu schreiben. Das ist die Mischkultur, über die wir in 150 Jahren noch schreiben wollen, äh, werden. Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap
KOntriBUt ren
Andrea Schmoll
Andreea dosa
Vienna Game Woman — Andrea Schmoll hat in knapp sieben Jahren bei so einigen relevanten Games-Unternehmen in Wien mitgeabeitet. Meist als Freelancerin im DesignBereich. Gestartet ist sie – wie viele – bei Rockstar Vienna, das 2005 / 2006 die Keimzelle vieler Unternehmen und Entwicklungen war. Danach war sie bei Xendex, Team Vienna, Mipumi und nun ist sie seit 2011 als Game Designerin und Head Of Communications bei Broken Rules, den Entwicklern des Welthits »And Yet It Moves«, die gerade an ihrem neuen Spiel »Chasing Aurora« basteln. Studiert hatte Andrea damals Theaterwissenschaften; heute ist sie eine der Organisatorinnen der Stag Conference, die sich mit digitalen Erzählformen auseinander setzt. Aktiv ist die 33-jährige »Unreal Tournament«Clan-Spielerin außerdem, wenn es darum geht, Frauen in der Games-Branche zu unterstützen. In unserem aktuellen Heft berichtet sie über ihre Erlebnisse auf der Games Developer Conference und die Branche der IndieGames-Entwickler (ab Seite 028), die unter zunehmendem Professionalisierungsdruck steht.
Kultur Volontär — Vor etwa einem Jahr haben wir in letzter Sekunde Andreea von der Offspace-Galerie Das Weisse Haus für ein Praktikum abgeworben, versehentlich, als großes Missverständnis, aber heute ist Andreea immer noch da. Immer wieder interviewt sie für uns Galeristen, Künstler, schreibt Teile unseres Newsletters, die Kulturtermine oder diesmal über den Zirkus in der Kunst. Das ist insofern merkwürdig, weil sie doch eigentlich Politikwissenschaften studiert, von 1987 bis 2009 durchgehend in Rumänien älter geworden ist und vor dem Praktikum bei uns nur wenig redaktionelle Erfahrung hatte. Andreea ist motiviert, manchmal so sehr, dass sie kaum zu bremsen ist, wenn sie Dinge jetzt sofort gleich erledigen will. Unsere Blutsfehde mit der Basis Wien (Hach, Bussis!) hat ihren Ausgangspunkt bei ihren exzellent vorbereiteten Interview-Fragen. Ja, so etwas verbindet. In ihrer Freizeit bringt sie sich Kunstgeschichte bei, liket alles, was auf Facebook mit The Gap zu tun hat oder hört Guano Apes. Aber hey, für die Musikredaktion hat sie sich ja nicht beworben. TexT STeFan nieDeRwieSeR Bild alin cÎRSTea
TexT maRTin mühl Bild PRiVaT
impreSSUm
heRauSGeBeR Thomas weber CheFRedaKTion martin mühl, Stefan niederwieser RedaKTion Ranya abd el Shafy, niko acherer, Gregor almassy, michael aniser, matthias balgavy, claire benedikt, josef berner, Sandra bernhofer, liliane blaha, David bogner, manuel bovio, ivo brodnik, Stephan bruckner, klaus buchholz, johannes busching, ann cotten, lisa Dittlbacher, andreea Dosa, margit emesz, juliane Fischer, holger Fleischmann, Philipp Forthuber, manuel Fronhofer, Daniel Garcia, lisa Gotthard, manfred Gram, Dominique Gromes, benedikt Guschlbauer, jan hestmann, christoph hofer, Sebastian hofer, lukas hoffmann, Peter hoffmann, michael huber, konstantin jakabb, Reiner kapeller, iris kern, markus keuschnigg, hubert kickinger, michael kirchdorfer, Stefan kluger, michaela knapp, katrin kneissl, markus köhle, christian köllerer, Rainer krispel, michael bela kurz, Philipp l’heritier, Gunnar landsgesell, enrico R. lackner, artemis linhart, ali mahlodji, David mochida krispel, christiane murer, nuri nurbachsch, michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, johannes Piller, Stefanie Platzgummer, karolina Podolecka, christian Prenger, Teresa Reiter, werner Reiter, Tobias Riedl, Georg Russegger, joachim Schätz, barbara Schellner, bernhard Schmidt, werner Schröttner, Richard Schwarz, katharina Seidler, wolfgang Smejkal, cornelia Stastny, Gerald c. Stocker, johanna Stögmüller, Peter Stuiber, asha Taruvinga, martin Tschiderer, hanna Thiele, horst Thiele, Raphaela Valentini, jonas Vogt, Ursula winterauer, imre withalm, maximilian zeller, martin zellhofer, barbara zeman pRaKTiKum anne erwand, jana wachter TeRmine Stefan niederwieser auToRen Georg cracked, michaela knapp, michael lanner, moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, jürgen wallner, martin G. wanko FoToGRaFie Florian auer, lukas beck, Stephan Doleschal, andreas jakwerth, Georg molterer, ingo Pertramer, karin wasner, michael winkelmann illBillY-illuSTRaTion jakob kirchmayr CoveR constantin Film woRKSTaTion-FoToSTReCKe Sebastian Freiler aRT diReCTion Sig Ganhoer deSiGn monopol leKToRaT wolfgang Smejkal, adalbert Gratzer weB Super-Fi, m-otion anZeiGen herwig bauer, Thomas heher, wolfgang hoffer, micky klemsch, David kreytenberg, martin mühl, Thomas weber (leitung) diSTRiBuTion martin mühl dRuCK Ferdinand berger & Söhne Gmbh, Pulverturmgasse 3, 1090 wien GeSChÄFTSFühRunG bernhard Schmidt pRoduKTion & medieninhaBeRin monopol Gmbh, Favoritenstraße 4–6/iii, 1040 wien KonTaKT The Gap c/o monopol Gmbh, Favoritenstraße 4–6/iii, 1040 wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at BanKveRBindunG monopol Gmbh, easybank, kontonummer 20010710457, blz 14200 aBonnemenT 10 ausgaben; inland eUR 15, europa eUR 35, Rest der welt eUR 42; heFTpReiS eUR 2,— eRSCheinunGSweiSe 10 ausgaben pro jahr; erscheinungsort wien; Verlagspostamt 1040 wien namentlich gekennzeichnete beiträge geben nicht unbedingt die meinung des herausgebers wieder. Für den inhalt von inseraten haftet ausschließlich der inserent. Für unaufgefordert zugesandtes bild- und Textmaterial wird keine haftung übernommen. jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
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Gestaltung: ATELIER LISKA WESLE, Wien / Berlin Collage: Marie Luise Emmermann
Tanz Performance Kunst Theorie
afri sugarfree
So stark kann leicht sein. Stark und aufregend unkonventionell: Mit 25 mg Koffein auf 100 ml belebt afri sugarfree die Szene – und das bei weniger als einer Kalorie. Mehr noch: auch bei 0% Zucker steckt in afri sugarfree 100% unverwechselbarer afri Geschmack.Für Trendsetter und Szenegänger. Für lange Nächte und lebhafte Tage. Egal wie heiß es her geht... afri.at facebook.com/afri.fanseite
white caipi Zutaten: 8 1/8 Limetten, 3 Barlöffel brauner Zucker, 4 cl Cachaça, afri sugarfree zum Auffüllen, Crushed-Ice Zubereitung: Limetten und braunen Zucker in ein CaipirinhaGlas geben und mit einem Caipi-Stößel oder einem Holz-Stößel zerdrücken. Anschließend CrushedIce dazugeben und Cachaça darüber gießen. Gut verrühren und mit afri sugarfree auffüllen, noch einmal leicht nachrühren.
F N D U E Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at
Da schaust her, Kärnten. In der echten Welt ist Zwei sprachigkeit eine Selbstverständlichkeit.
Na warte. Ihr kommt’s mir auch noch einmal auf meinen liegewiese.
Meine Alte spurt nicht nur genau gar nie, sie redet auch noch zurück und will seit neuestem wählen gehen. Brrr!
Brüste und Schenkel von Titz machen mich spitz!
Ob Welsch oder Veltliner ist eigentlich einalay. Hauptsache die Kinder kommen vom Klebstoff weg.
Leute passt’s doch auf, wo ihr mit euren massiven Schädeln hinrennt’s. Die Woche mussten wir schon zweimal den Baustatiker kommen lassen.
K L U MNE
Fabula Rasa Die Kolumne von Georg Cracked. Neue Standards in Sachen vertretbarem Kulturpessimismus No. 27.
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Wenn wir Tag für Tag in der Früh aus dem Haus treten und die Sonne scheint auf uns runter und wir machen uns mit frischem Mut auf in eine neue Wachperiode, um uns vor allem selber mal dem Sinn unserer Existenz zu versichern, dann strahlt das Universum aus uns raus wie das Licht aus einer Dynamo-LED-Lampe. Man könnte fast versucht sein, die Menschen rundum mit einem Lächeln anzustecken. Die Mädels sehen aus als wären sie frisch aus einer Werbung für FarbWaschmittel gestiegen und die Jungs überlegen sich, wie die TShirts geschnitten sein sollen, damit die Muckis an Armen und Oberkörper am besten rauskommen. Manchmal sehen sogar die Omas, die im Supermarkt die Kassen verstopfen, beinahe fröhlich drein, aber das liegt vielleicht nicht am Wetter, sondern weil ihnen der Kassenarzt vorhin aus guter Laune und Übermut die doppelte Dosis Abführ-Tabletten verschrieben hat. Nur die Geschäftsmänner kriegen hinter den doppelt getönten Scheiben ihrer SUVs und Limousinen nichts vom Frühling mit und hetzen weiterhin zwischen Mopeds und Fahrrädern durch die Straßen, als würde das nächste Meeting, der nächste Deal, die nächste Präsentation wirklich was bedeuten. Ja, haben sie sie denn vergessen, die Regel #31: Genieß die kleinen Dinge im Leben! Mehr als die kleinen Dinge haben viele von uns ja gar nicht (aber trotzdem eine ansehnliche Sammlung an Kompakt-Maxis zu verkaufen, nur will die jetzt, zwei Jahre danach, keiner mehr haben … traurig, war aber zu erwarten). Eigentlich sollte in jedem selbstbewussten und reflektierten linksliberalen, freiheitsliebenden Plattenschrank zumindest eine Scheibe von Duke Ellington stehen. Denn im Vergleich zu Punk oder Death Metal war Swing mal eine wirklich gefährliche Musikrichtung. Jugendliche gefangengenommen, gefoltert und in Lager oder an die Front zwangsverschickt, nur weil sie Swing Kids waren, Zazous, die gerne einem Klarinetten-Solo von Benny Goodman lauschten. Ob es uns gefällt oder nicht, niemand wurde jemals wegen einer Aufnahme von Jello Biafra, den Sex Pistols oder von mir aus auch Marilyn Manson eingesperrt. Da geht es den Emo-Kids in islamischen Ländern (wobei noch eher in Asien als im arabischen Raum) schon viel schlechter – die werden dort auf der Straße verprügelt. Es ist also tatsächlich gefährlicher, The Used zu hören als Anti-Flag. Das kann mir aber alles den Frühling nicht verderben. Diesmal nicht..
cracked69@hotmail.com
UnBeZ hLter AnZeiGer es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die menschheit, echte hits der warenwelt, für die machen wir freiwillig werbung.
Shitter
aquaclean
alkoholverbot
Twitter ist ein schöner Name, Twitter möcht ich heißen, Twitter heißt mein Klopapier, auf Twitter – ihr kennt den Rest. Shitter hingegen druckt eure Tweets auf Toilettpapier, für den Fall dass ihr mal mehr als 140 Zeichen Buchstabensuppe gegessen habt. So funktioniert’s: Einloggen, Feed auswählen, bestellen, »Lieferung abwarten«, auswischen. Runterlassen nicht vergessen. 35 Dollar für vier Rollen vom guten Tuch sind allerdings nicht gerade günstig – da wittern die Betreiber wohl ein »großes Geschäft«. www.getshitter.com
Wem die ew’ge Herumwischerei zu tädiös erscheint, der möge dem schnöden Häuslpapier entsagen und seinen braunen Salon fortan über einem Geberit AquaClean aufschlagen. Der verstellbare Strahl ist so angenehm, dass man am Wochenende nicht mehr extra in die Blumau fahren möchte, sondern lieber daheim in stiller Vertrautheit wellnesst. Weiters hält AquaClean bei der Après Disco-Kotzerei das Gesicht erfrischt und kann so plötzlichen Ohnmachtsanfällen beim »Telefonat nach Melk« vorbeugen.
Bezirksfürstin Uschi Stenzel legt sich in ihren trockenen Phasen ja gerne mal mit den unteren 1,7 Millionen an und fordert aktuell ein Verbot für Alkohol in der Öffentlichkeit. Auch wir sind gegen die Ethanol-Kanister, aus denen Teenager in den Fußgängerzonen mittels bunter Strohhalme ihren Stoff schlabbern. Statt einem Verbot setzen wir allerdings auf Aufklärung und Ermutigung zu gesundem Konsum aus Gläsern – d.h. Bier, Wein, Schnaps, gute Liköre. Gerne auch gemischt. Durch viel Übung vor allem auch im Freien wird das Bewusstsein dann nachhaltig gefestigt.
ch rtS
Am rAD r
alexandra Grausam
(Das weisse haus, Restauratorin atelier Siebenstern)
TOP 10
VOn miR küRzlich GekOchTeS eSSen – alPhabeTiSch
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exotischer Garnelensalat Gebratener Truthahn mit Rotkraut und Semmelknödel himbeerkäsetorte kartoffeln in jeglicher Form (meisterhaft laut Philipp) kürbiscremesuppe lachs im marmeladeglas Palatschinken (laut meiner Tochter maxime) Ribiselkuchen Salat mit gebratenem haloumi, Granatapfel und Feigen Tortillas jeglicher art
TOP 5
Stars & hypes 3
»FReizeiTen« – alPhabeTiSch
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auf märkten schlendern bootfahren auf der alten Donau herrlich frühstücken gehen im Salzwasser treiben lassen mit massage und Pediküre verwöhnen lassen
Geheimtipps, Spezialisten und Hochkaräter: Eine Synonym-Rallye für großes Kino.
aUch nichT SchlechT: Das weisse haus ;-) — www.dasweissehaus.at
jonas Vogt (The Gap)
TOP 10
inTROS VOn FeRnSehSeRien DeR 90eR Der Prinz von bel air eine schrecklich nette Familie akte x baywatch Star Trek next Generation Die Dinos buffy hör mal wer da hämmert ally mcbeal Full house
TOP 5
b-SeiTen, Die GRÖSSeR alS ihRe a-SeiTe wURDen
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The Smiths – how Soon is now/Please Please Please elvis Presley – always On my mind Udo jürgens – ich war noch niemals in new york Tupac – hit em Up Underworld – born Slippy.nUxx
aUch nichT SchlechT: kebabfrühstück, beyoncé, herumtrollen
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TexT Daniel ebneR Bild ViS
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Nicolas Provost ist kein Geheimtipp mehr. Der belgische Künstler bewegt sich mit sicherem Gespür zwischen experimentellem und erzählerischem Kino und sorgte zuletzt mit seinem Spielfilmdebüt »The Invader« in Venedig für Aufsehen. Gabriel Abrantes ist ein ähnliches Beispiel: Der Portugiese balanciert in seinen Filmen mit schier schlafwandlerischer Sicherheit zwischen subtilem Augenblick und großer Geste. Auch in Österreich gibt es solche Figuren, für die man sich lieber Synonyme statt des eigenwillig-billigen Wörtchens Star einfallen lässt: Dass zum Beispiel fast jede Arbeit von Johann Lurf ein großer Wurf ist, ist in informierten Kreisen schon längst keine Neuigkeit mehr. Das Kurzfilmuniversum dehnt sich gerade mächtig aus – und wenn all jene, an denen man beim besten Willen nicht mehr vorbeikommt, ihr Starpotenzial offenbaren, indem man schlicht nicht mehr an ihnen vorbeikommt, dann werden im Juni einige ziemlich im Weg herumstehen. Am 6. Juni beginnt (nach Teaser-Veranstaltungen am 2. und 4. Juni) zum neunten Mal unser Kurzfilmfestival, und selten war die Dichte der Hochkaräter so hoch: Allein in den Wettbewerben finden sich in jedem der zehn Programme Namen, die man schon jetzt am Schirm haben sollte. Der deutsche Filmemacher Jan Soldat etwa, seit einigen Jahren Stammgast bei der Berlinale mit seinen vielfach provokant-pornografischen Kurz-Dokus, gastiert heuer nicht nur mit »Zucht und Ordnung« über ein freizügiges älteres Schwulenpärchen, sondern hat auch für den aktionistischen Trailer gesorgt. Die Belgierin Rachel Lang kann mit ihren durchdringenden, realistischen und vielfach prämierten Kurzspielfilmen schon lange nicht mehr übersehen werden. Und der rumänisch-französische Design-Wunderwuzzi Mihai Grecu ist sogar gleich mit zwei Filmen in zwei Sparten nominiert. Zu den aufstrebenden jungen Gehypten gesellen sich dann Altmeister wie der Schweizer Animator Georges Schwizgebel oder Evergreens wie die deutsch-polnische Künstlerin Mariola Brillowska, Klassiker wie Alexander Kluge oder Musikvideostars wie Romain Gavras. Und auch für die nigelnagelneue Signation des Festivals sorgte mit Robert Seidel eine der spannendsten jungen Gestalten der visuellen Kunstszene Europas. Seidel wird sich als diesjähriger Artist in Residence für zwei Monate in Wien aufhalten und mit einer Live-Performance zum Festivalabschluss von sich reden machen. Bis dahin dürfen sich Provost und Co. aber noch Hoffnungen auf die eine oder andere Ergänzung auf ihren langen Preislisten machen. daniel ebner, künstlerischer leiter von vis. VIS Vienna Independent Shorts, Österreichs größtes Kurzfilmfestival, findet von 6. bis 10. Juni im Wiener Gartenbaukino und im Österreichischen Filmmuseum statt.
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TOP 10
»ShiT … wie heiSST DeR nOchmal«-SchaUSPieleR
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Sydney Pollack (The Firm) john hurt (alien) Geoffrey Rush (Pirates Of The caribbean) william hurt (a history Of Violence) brad Dourif (lord Of The Rings) Richard jenkins (burn after Reading) elliot Gould (american history x) ian mcShane (Sexy beast) David Paymer (Drag me To hell) joe Pantoliano (memento)
TOP 5
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The Good, The bad and The Ugly The wild bunch Reservoir Dogs True Romance Pulp Fiction
aUch nichT SchlechT: Schach
www.thegap.at/gewinnen 100 Jahre Tarzan Kaum einer weiß, dass der König der Affen ursprünglich eine literarische Figur war. Vor hundert Jahren vom gescheiterten Schreibwarenfabrikanten Edgar Rice Burroughs ersonnen (um doch noch irgendwie Geld zu verdienen), ist Tarzan heute eine Ikone der Popkultur. Der Schweizer Kleinverlag Walde + Graf veröffentlicht drei der insgesamt 24 Romane im schönen Jubiläumsschuber. Wunderbarer Trash. Wir verlosen 3 Buchboxen. Betreff: 126 Dschungelrufe
Justified Die US-Serie mit dem großartigen Timothy Olyphant als Cowboy-Polizist in einem hochaktuellen Kentucky. Gewaltausbrüche und erstklassig-schlagfertige One-Liner unterhalten schon in der ersten Staffel mit abgeschlossenen Fällen und bereiten gekonnt auf den großen Bogen dahinter vor. Wir verlosen 2 Boxen der ersten Staffel. Betreff: 126 olyphants
atmen / am ende des Tages
emma
(Uma / jools hunter)
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PhObien (meine)
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anthropophobie arbeitsplatzphobie Somniphobie (Schlafen) neophobie (neues) Odontophobie (zahnarzt) Phobophobie apeirophobie (Unendlichkeit) bargainophobie (Sale!) cherophobie (Fröhlichkeit) Decidophobie (entscheidungen)
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bReak-UP SOnGS (FüR alle PhaSen)
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10cc – i’m not in love Tom Petty – Free Fallin’ Destiny’s child – i’m a Survivor whitney houston – i will always love you beck – lost cause
aUch nichT SchlechT: kärntner kasnudeln
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»Atmen«, das Regie-Debüt von Karl Markovics, begleitet den 19-jährigen Roman Kogler, der, um aus dem Gefängnis frei zu kommen, einen Job in einem Bestattungsunternehmen annimmt. International preisgekröntes heimisches Kino jenseits aller Klischees. In »Am Ende des Tages« zeigt Peter Payer einen Politiker, der von seiner Vergangenheit in Wien-Simmering eingeholt wird. Wir verlosen je 3 DVDs und 3 Blu-Rays. Betreff: 126 Simmeringer Leichenwaschungen
another earth Minimalistisches Sci-Fi-Kino von Mike Cahill: Eine zweite Erde erscheint am Himmel über der US-Küstenstadt New Haven. Genau dorthin will die junge AstrophysikStudentin Rhoda Williams, nachdem sie eine Schwangere und ihr Kind überfahren hat. Wir verlosen 2 DVDs und 2 Blu-rays. Betreff: 126 Parallelwelten
Rufus wainwright »out of The Games« Sein neues Album »Out Of The Games« hat sich Rufus Wainwright von Mark Ronson produzieren lassen. Es ist sein bisher popigstes und mitunter zugänglichstes geworden. Wir verlosen 3 CDs. Betreff: 126 Rufus’sche Pop-Perlen
we Sing pop Bundle »We Sing Pop« bringt globale Pop-Hits ins »We Sing«-Universum. Lady Gaga, The Killers, Outkast und Adele sind nur einige der vertretenen Musiker. Allerdings haben es nicht immer die größten Hits in die Auswahl geschafft. Macht ja nichts. Er trällert sich auch so ungebrochen gut. Wir verlosen 3 Bundles inklusive Mikrofonen. Betreff: 126 Selbstversuche in Sachen Sing-Sang
A M R A D R
15 Jahre The Gap, 10 Jahre Super-Fi BILD OLIVER CAPUDER, matthias hombauer
Im WUK wurde gefeiert, bis sich die Backsteine bogen. Atari Teenage Riot, Ogris Debris, Nzca/ Lines und Channel-F waren die lautesten Gratulanten. Es war vor 15 Jahren, da wurde dieses Magazin in einem sagenumwobenen Tutorium am PublizistikInstitut der Universität Wien aus dem Hexenkessel der Subkultur gehoben (Ha, Publizistik ist also doch zu etwas gut!). Ein von Hand kopiertes Fanzine aus purem Glauben an das Gute war geboren. Fünf Jahre später kam eine Werbeagentur für schwer erziehbare Zielgruppen hinzu. Das Gute muss ja schließlich irgendwie finanziert werden. 2012 gibt es The Gap und Super-Fi immer noch. Für manche ist das Qualitätsbeweis genug, für uns nicht. Deswegen machen wir bei The Gap allerhand Partys, sind dauernd im Internet und halten unseren Arsch in Bewegung, damit die Kohle stimmt. Am 30. April im Wiener WUK war die Kohle allerdings nicht so wichtig: Wir hatten bei unserer Jubelfeier einen schlanken Eintritts-preis,
wollten ein Fest mit Freunden feiern, eine volle Hütte bekommen – und haben eine volle Hütte bekommen. Ganz vorne stellten sich die fantastischen Nzca/ Lines als Gratulanten an. Auf frisch gebügelten, weißen Tischdecken hatten sie ihre Synths und Gerätschaften aufgebaut und performten ihr Debüt auf höchstem und höchst subtilem Niveau. Gleich danach wurde es bei Atari Teenage Riot ein bisschen sehr viel lauter. Die Pioniere des Digital Hardcore loteten die Lautstärke- und Energieplafonds aus. Die Science Busters kamen mit einer Torte vorbei, Ogris Debris verstanden es anschließend, die Partylaune langsam herauszukitzeln, aufzuköcheln, die Spannung zu halten und mit ihrem Hit »Mitzekatze« den ganzen Saal auf die Beine zu bringen. Channel-F setzten dem noch ein gekonnt deepes Live-Set oben drauf. Wir sagen Danke. Wir waren glücklich und hoffen, ihr wart das auch. da n k e !
Einreichbedingungen: Zeichnungen mit maximal 45 x 60 cm. Altersbeschränkung: Teilnehmer von 18-27 Jahren. Einreichungsfrist bis zum 18. Mai. Zehn Gewinner werden beim Forum Alpbach ausgestellt. Der Hauptgewinner wird zusätzlich auf einer Doppelseite im The Gap Magazin präsentiert.
Jetzt bis 18.5.2012 einreichen unter: mono.at/UtopieJugend
Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger
37.000 37.000 Menschen haben ihren Zweitwohnsitz im Waldviertel.
F
reitag nachmittag am karlsplatz. das led-leuchtband am dach des project space der kunsthalle lässt einen text vorbeifliessen, der sich wie ein manifest für die allgemeine stadtfluchtbewegung liest, die in den nächsten stunden einsetzen wird. er heisst »weg hier«: »weg aus der stadt. wo die luft dich kneift, wo lärm nach dir schnappt, und du unter augen bist, immer unter augen, immerfort.« Der Text stammt von Doris Knecht, die nur in zweiter Linie als passionierte Stadtflüchterin und Zweitnestbauerin bekannt ist. In erster Linie kennt man sie durch ihre Kolumnen, die vom urbanen Alltag handeln. Ja, man kann sich schon leicht »immer unter Augen« fühlen, besonders dann, wenn man die Stadt auch nutzt, auf Konzerte und zu Lesungen geht und dort Leute trifft, die man gerne sieht und manche, auf die man verzichten kann. Gegen den Terror der Intimität, wie die Soziologen das narzisstische Dauerfeuer nennen, ist Alkohol eine Lösung: Bitte einen G’spritzten! Zugleich ist der Alkohol aber auch ein Problem: Na gut, noch ein allerallerletztes Fluchtachterl! Und dann kommt noch Facebook dazu. Liken, inviten, adden. Kommentieren, Kommentare kommentieren, kommentierte Kommentare kommentieren. Auf Facebook kann man nicht sterben, sondern sich nur tot stellen. Oder man lässt I-Phone und Laptop zuhause. »Ich bin dann mal weg«, zwinkerte das immerfröhliche Entschleunigungs-Role Model Hape Kerkeling ein paar hunderttausend Lesern vom Jakobsweg aus zu, und sogar die idyllenresistente Gustav lag mit ihren Album 2008 diesbezüglich auf Linie. »Verlass die Stadt« hieß es.
Das neue Biomeier? Die Sehnsucht nach der ruralen Ruhe wächst übrigens nicht nur mit dem Alter der noch Junggebliebenen und mit der Ferne zur Sommerfrische, sondern auch
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Über die Landlust der urbanen Nachteulen.
in direkter Proportion zur sprießenden Natur im Frühling. Outdoor-Pläne werden gewälzt, und sogar die Gespräche an verrauchten Gürtelbogentheken kreisen um Tomatenzucht, Hängematten und Kuhscheiße. Findige Immobilienmakler bieten wieder vermehrt Wohnungen und Häuser an, deren Schokoladenseite der Garten oder die Terrasse ist. Ist das das neue Biomeier, das von einem Land träumt, das es so eh fast nirgends mehr gibt? »Du musst weg hier, hinaus aus der Stadt, in das Land, in die Vereinzelung, wo Gerüche und Geräusche dich wundern, wo es klar ist und leer und unbemenscht, und wo du nachts in ein umfassendes Nichts schaust«, heißt es weiter bei Knecht. Ein Schelm, wer dabei ans Waldviertel denkt. Ihr persönlicher Wunsch nach einem »Zurück zur Natur« ist, so vermute ich zumindest, relativ neu und hat wohl auch etwas mit dem Familienleben zu tun. Früher wollte sie, wollte man vor allem einmal in guter alter Punk-Tradition »zurück zum Beton«. Die Provinz war die Hölle, die Stadt die Versprechung einer nicht notwendig besseren, aber sicher spannenderen Welt: Musik. Menschen. Pop. Lärm. Nun will die Ex-Flex-Stammgästin Knecht, nun wollen viele der ergrauten Nachtvögel beides: Geschnatter und Vögelgeschnatter, und zwar wenn geht in wohltuendem Rhythmus. Kann ich gut verstehen, mir geht es nicht viel anders. Dabei kann ich mich noch gut an Zeiten erinnern, da war das Land automatisch Feindesland. Medien waren damals die einzigen Verbündeten im Abwehrkampf der Gymnasiastennaseweise gegen die tumben Nazibauern: Streberbücher zwischen Hesse und Sartre machten was her gegen die Zumutungen der Zünftigkeit, und eine zeitlang wurde sogar Der Wiener als Großstadtpille für Landeier angepriesen. Am wichtigsten für mich als Vorstadtei waren aber die aufrührerischen Wellen aus dem Äther. Damals war es die »Musicbox«, jenes unbekannte Radioobjekt auf Ö3, das da jeden Nachmittag um 15:05 Uhr in den Gehörgängen zwischenlandete. Dort wartete oft der selbst der steirischen Provinz entfleuchte Bandmaschinenkarajan Werner Geier, ein leider viel zu früh verstorbener Hypnotiseur am Mikro, dessen stil- und denkprägender Einfluss als Radiomacher, Musiker und DJ dieser Tage im Wien Museum mit einem Abend erinnert wurde. Ich kann mich
noch erinnern, dass er einst im Jahr 1987 seinen legendären Mittwochsclub im U4 mit einer für seine Postpunkphase programmatischen (und jetzt in der »Carlos«Verfilmung von Olivier Assayas wieder verwendeten) Nummer eröffnete: »Ahead« von Wire. Vorwärts – jaja! Vorwärts hieß: zuerst von New York träumen und dann nach New York fliegen und dort prinzipiell alles gut finden, weil Wien dagegen ein Dorf ist und das Waldviertel, na frage nicht. Ich war damals zwanzig, das Wiener Nachtleben hörte für mich auf die Worte Chelsea, Blue Box oder Nachtasyl. So hießen damals die Clubs, bevor sie Clubs hießen. Das Eintauchen in diese Szene erfolgte auch auf Geheiß des Predigers der Zeitgenossenschaft aus dem Radio. Freilich traf man den an den genannten Orten nie. Wandelte er lieber frisch ausgeschlafen auf den Spuren Peter Roseggers in der Waldheimat, um ein Feature zu basteln? Irgendwann später, als er sich auf dem Erfolg seines gemeinsam mit Rodney Hunter betriebenen Labels Uptight schon ein bisschen ausruhen hätte können, sagte Geier, dieser einstige Missionar des Undergrounds und spätere Geburtshelfer eines differenzierten HipHop-Verständnisses, das Label sei nur eine momentane soziale Übereinkunft: »Wer weiß, vielleicht ist Uptight in ein paar Jahren eine Gärtnerei.« Vielleicht meint die Naturromantikerin in Doris Knecht auch so einen Ort. Einen Ort, der nicht nur Rückzugspunkt, sondern etwas ist, das man für ein kommendes Volk, das nie kommen wird, bereiten kann. Es wäre mit Sicherheit kein schlechterer Ort als Wien oder das Waldviertel: »Da willst du hin. Weg von hier. Weg von dem hier, dem Finster, dem Dicht. Sieh nach oben. Siehst du es.« Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at
Thomas Edlinger Journalist und Kurator
DYNAMOWIEN
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J A Z Z F E S T W I E N , 2 5 . 6 .– 9 . 7. 2 0 1 2 Ö 1 C L U B - M I T G L I E D E R E R H A LT E N 1 0 % E R M Ä S S I G U N G .
Walter White wägt das Schicksal ab. Oder waren es die Zutaten für sein astreines Crystal Meth? Die Nachricht vom Krebs führt in »Breaking Bad« zu mittlerweile fünf Staffeln Täuschung, Totschlag und pechschwarzem Humor.
c o v e r Krebs im Film — TV und Kino stellen das Thema mit lebensnaher Komik zur Diskussion
Das junge neue Krebs-Kino trotzt dem Tod mit einem Witz, der seine eigene Melancholie herausfordert. Filme wie „50/50« oder »La Guerre est déclarée« proben den Aufstand mit Humor. Erstdiagnose: Es wird tabuloser, scherzhafter und gelassener.
Krebs als komischer Cliffhanger
Der ganz normale Irrsinn
Bryan Cranston (nun wohl endgültig nicht mehr bloß der Vater aus »Malcolm mittendrin«) verkörpert seit 2008 in der US-TV-Serie »Breaking Bad« glorreich den Chemielehrer Walter White, der nach einer Lungenkrebsdiagnose zum fatalistischen Crystal-Meth-Drogenkoch wird, um schnell an viel Geld zu kommen – für seine schwangere Frau und seinen Sohn. Während die Metastasen in ihm wachsen, steigt er mit seinem Komplizen Jesse immer tiefer in die Kriminalität ab. Im Juli wird nun die fünfte und letzte Staffel von »Breaking Bad« ausgestrahlt. Kleinbürgerliche Moralvorstellungen und finanzielle Ernüchterung prallen noch einmal auf Überlebensinstinkte und Spiralen der Gewalt. Der Humor bei »Breaking Bad« ist bitterböse, absurd und zynisch. Das produziert ungeschönte Narben an seinen Charakteren, unpathetisch arbeiten sie sich aneinander ab. Große Moraldiskurse werden zwar eingeleitet, aber auch von den matt gefärbten Figuren
Nervöser, bunter und braver geht es derweil bei den Wohlfühl-Episoden von »The Big C« zu. Behutsam spielt Laura Linney (»The Truman Show«) eine krebskranke Lehrerin Mitte 40. Mit der Diagnose kehrt sie plötzlich ihre Lebenslust nach außen, um bisherigen Auslassungen nachzukommen. Im Angesicht des Todes kann sie endlich selbstbewusst, naiv, sexy, laut und narzisstisch sein. Die größtmögliche Veränderung und der innere Frieden der Hauptfigur sind genretypische Ziele dieses Plots. Das verspricht moralische Spannung und empathische Zuschauer. Denn Krebs betrifft und macht betroffen. Das Damoklesschwert kratzt hier ebenso an melodramatischen Klischees wie am wütenden Charme einer stereotypen Hauptfigur. Die wiederkehrende Überforderung ihrer Person provoziert absurde Situationskomik. Auch hier macht die Krankheit den Humor trockener und zugänglicher. Entsprechend den vorstädtischen Gegebenheiten: 019
Text Klaus Buchholz Bild Sony / ORF / Constantin Film
Krebs bedeutet nicht selten, sich von der Welt zu verabschieden, während der Körper zerfällt. Witzig ist das nicht, und es sieht auch weder ästhetisch schön noch aufregend fotogen aus. Die Frage ist, wie der Einzelne jeweils auf die Schicksalsdiagnose reagiert. Allein in Europa erkrankt etwa jeder dritte Bürger im Laufe seines Lebens an Krebs. Die meisten Krebsarten entstehen grundlos. Oft ohne den Ursprung zu kennen, bleibt Krebs eine allgegenwärtige Todesursache, mit der gerechnet werden muss, quer durch alle Kontinente, Gesellschaftsschichten und Generationen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass im Jahr 2030 rund 13,1 Millionen Menschen weltweit an Krebs sterben werden (derzeit sind es mehr als 7,6 Millionen Menschen; Krebs bleibt die weltweit häufigste Todesursache). In den meisten Fällen treten Krebserkrankungen im höheren Alter auf, was Krebs für alternde Gesellschaften zwangsläufig zum Thema macht. Das spiegelt sich auch in der wiederkehrenden Auseinandersetzung im Kino oder Fernsehen wieder. Aktuell wird die Mystik der heimtückischen Krankheit dort mit einem Humor aufgebrochen, der das Absurde im Leben mit Krebs offenlegt. Die Antworten aus der Filmwelt werden unaufgeregter, ihre Pointen gehen dafür umso tiefer. Langsam verschieben sich ihre Paradigmen hin zum Lustspiel mit Tumoren: derzeitige US-Serien wie »Breaking Bad« oder »The Big C« nutzen die Komik des Krebsalltags für ihr (junges) Publikum. Dieses ist – statistisch betrachtet – längst von bösen Zellen umzingelt.
wieder an die Wand gefahren. Hier reißt der Krebs alle Beteiligten aus der Couch, besonders die Zuschauer. Zunächst wird ihnen die Diagnose als dramaturgischer Impulsgeber präsentiert. Der kahl rasierte Kopf von Walter White spuckt immer wieder Blut, kotzt oder verliert sich. Die familiären Konflikte kreuzen sich mit den kriminellen in kruden Storylines. Der eigentliche Schmäh um den Krebs gedeiht dann zwischen Prekarität, Alltagsdilemmas und allgemeiner Betroffenheit. Denn über all dem thront eine außergewöhnliche Absurdität. Dadurch wird die Erkrankung kaum als dunkle Bedrohung mystifiziert, stattdessen brettert den Zuschauern ein trockener Sarkasmus entgegen. Das untergräbt die Beklemmung in den Wohnzimmern, lässt unverkrampft lachen und wirkt nachvollziehbar. In diesem Sinn bleibt Krebs das narrative und komische Moment von »Breaking Bad«. So gesundet keine der Folgen am auffrischenden Witz der Serie.
anders als bei »Breaking Bad« spielt Geld keine Rolle in »The Big C«. Das gehoben mittelständische Vermögen garantiert der Protagonistin beste medizinische, kulturelle und soziale Versorgung. Über Krebs lachen zu können, hat offensichtlich auch mit Privilegien und Souveränität zu tun. Mit abschätzbarem Witz will »The Big C« so unter die Haut, aber nicht bis auf die Knochen gehen. Unschöne Notlagen sind weitestgehend unsichtbar. Wie in vielen Krebsgeschichten zuvor versöhnt sich auch hier die Individualisierung mit bürgerlichen Normen. Das stabilisiert die Gesellschaft, appelliert sanft an eine bessere Welt und macht es dem Zuschauer einfacher, Abschied zu nehmen. Die moralischen Kollisionen bei »Breaking Bad« wirken da hingegen erfrischender. Dennoch gelingt es beiden Serien, das Thema mit lebensnaher Absurdität zur Diskussion zu stellen. So viel Schicksal Krebs auch bedeuten kann, so kontrastreich kann die Komik in der plötzlichen Lebensumstellung genutzt werden. Wenn zum Beispiel schon in der ersten Folge von »Breaking Bad« bei der tragischen Erstdiagnose der Senffleck auf dem weißen Kittel des Arztes zur Komik überspannt wird. Oder wenn etwa die Hauptfigur bei »The Big C« mit ihrem Doktor flirtet, anstatt dem nahenden Tod habhaft zu werden. Die Protagonisten beider Serien handeln selbstbestimmt mit ihrem Krebs. Sie produzieren durchschlagende Lacher, die ihre Zuseher für den selbstverständlichen Irrsinn eines Krebsalltags sensibilisieren.
Keine altmodischen Ängste mehr – in »50 / 50« kann über Krebs gelacht werden, auch wenn es manchmal im Hals stecken bleibt.
braucht sich nicht mit absehbaren Eskapaden aufzuhalten. Der Witz muss sich mit dem Krebs etablieren, was auch gelingt – unabhängig von der streitbaren Qualität der Rogen-Gags. Besonders nahe kommt »50/50« dann, wenn die Scherze verklingen und hinter der Komik die Sprachlosigkeit bleibt. Da überrascht der Film außerdem mit einem melancholischen Unterton: der Humor zeigt sich feinfühlig gegenüber der Endlichkeit seiner Hauptfigur, nimmt sie ernst und kann deswegen auch mit ihr lachen. Das befreit »50/50« noch nicht von bravem Kitsch, aber von langweiligen Tabus. Es macht den Film zu einem neuen beachtenswerten Beispiel eines unverschämten Umgangs mit Krebs, der mit altmodischen Ängsten aufräumt. Auf diesem Weg verliert die Krankheit langfristig so auch vor einem großen Publikum ihre hartnäckige Mystik als dunkle Bedrohung. Indessen können komische Figuren aus ihrem Schatten treten und darüber witzeln, wie der Tumor zum Flirt-Vorteil wird. Die Paradigmen verschieben sich Richtung Mainstream, es soll auf breiter Basis über Krebs gelacht werden.
Angespannter Lachmuskel mit Tumor
Krebs für die ganze Familie Mann kann Krebs haben und damit Frauen aufreißen: die Bromance-Comedy »50/50« mit dem vulgären Buddy Seth Rogen und dem strauchelnden Krebspatienten Joseph Gordon-Levitt schleudert Kumpel-Pointen. Gordon-Levitt spielt einen erfolgreichen Radiomacher Mitte 20, die Diagnose wirft ihn aus der Bahn. Rogen spielt den besten Freund des Todgeweihten und brüllt gegen dessen 50 Prozent Überlebenschance aufmunternde Männerscherze – »If you were a casino game, you’d have the best odds«. Er soll seine Gefühle teilen, aber nicht zum Opfer werden. Gordon-Levitt ist derweil auf der Suche nach sich selbst – zwischen Chemo-Therapie, Abschiedspartys, Eltern, Beziehungskrisen und seiner artigen Therapeutin (Anna Kendrick), die er am Ende küssen wird. Regisseur Jonathan Levine (»The Wackness«) hat hier das autobiografische Drehbuch von Will Reiser verfilmt, einem privaten Freund von Seth Rogen. »50/50« ist eine gut gemeinte, aber zurückhaltende Kampfansage, deren stereotypen Figuren und Konflikte anfangs weniger innovativ sind, als sie vorgeben zu sein. Die Story bleibt melodramatisch-konventionell. Gleichzeitig belebt »50/50« den Krebsfilm aber insgesamt mit überraschendem, gefasstem Pragmatismus. Trotz alternativer Ideen und Charaktere gibt sich »50/50« einerseits sehr traditionsbewusst. Emotional und ideologisch aufgeladene Familienbilder werden immer zentraler, je näher die unvermeidliche Operation bevorsteht. So überwindet die Figur von Gordon-Levitt auch ihre klassische Position als Opfer im engen sozialen Gefüge nicht. Andererseits bleiben genretypische Ausbrüche aus dem medizinischen Betreuungsverhältnis aus. Stattdessen versucht der Krebspatient seinem Schicksal auf Augenhöhe zu begegnen. Die Hauptfigur wird schließlich aktiv und »50/50« an diesem Punkt zur modernen Bereicherung des Genres. Das wirkt erwachsen wie realistisch und
Mit aufrichtigem Humor arbeitet auch »La Guerre est déclarée« von Valérie Donzelli und Jérémie Elkaïm. Im Gegensatz zu »50/50« funktioniert der Film aber als unvergleichbar radikale Kriegserklärung an den Krebs. In einem sensiblen und grellen Krebsmärchen verarbeiten die beiden Autoren autobiografisch den Gehirntumor ihres gemeinsamen Sohnes. Inspiriert von Kubricks »Full Metal Jacket« (1987), stürmen sie in den Rollen der Elternfiguren Romeo und Juliette gegen die Krankheit. Ihre Beziehung hält dabei den Erschütterungen nicht stand. Sie sind jung, schön, verliebt und Pop-Prototypen, die der Krebs fast zerreißt. An Originalschauplätzen wurde gedreht; die sozio-ökonomische Situation der Eltern wird thematisiert und nicht grob ausgeblendet (wie etwa in »50/50«). Mit Voice-Overs, Musikvideoszenen, Songs, lautem Gelächter und rohem Schmerz schafft der Film bunte Impressionen und Distanz. Gleichzeitig offenbaren sich intimer Humor und aggressive Lust, die mit dem Krebs um das Recht auf Unbeschwertheit, um die Versprechen junger Popkultur ringen. »La Guerre est déclarée« ist ein beeindruckender Überlebenskampf und eine melancholische Pop-Hymne an die Wechselhaftigkeit der Liebe. So radikal wie die Akteure die Krankheit nicht akzeptieren, so konsequent erweitert dieser Krebsfilm rückhaltlose Perspektiven auf die Krankheit. Erst in der Nicht-Akzeptanz finden die scheinbaren Opferfiguren zu einer Ruhe, die es ihnen und damit dem ganzen Genre erlaubt, sich auf die Herausforderung Krebs kreativ einzulassen. In dieser Ruhe und Melancholie liegen die Kräfte, aus denen ihr großer, lebensnaher Humor erstarkt. Auf diese Weise kann mit den Betroffenen so unverblümt über das schwere Schicksal des Kindes gewitzelt werden. Die gegenwärtige Popkultur scherzt eben auch mit ihren Metastasen und entspannt sich damit langfristig. Der natürliche Verlauf der schweren Erkrankung kommt der Dramaturgie grundsätzlich sehr entgegen, was Krebs als filmisches Motiv so praktikabel macht. Doch der melodramatische Tod ist deshalb noch lange nicht das zwangsläufige Ende. Sowohl der alternative Pragmatismus von »50/50«, als auch die leidenschaftliche Experimentierfreude von »La Guerre est déclarée« brechen das Genre beispielhaft für die Zukunft auf. Krebs ist so weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, dass auch die zeitgenössische Popkultur nicht umhin kommt, dem Thema mit eigenen filmischen Entwürfen zu begegnen. Das verdeutlichen auch die anregenden Serien »Breaking Bad« und »The Big C«. Das selbstsichere, absurde Spiel mit gewohnten Krankheitsbildern scheint der nächste Anfang für Krebs in Film und Fernsehen zu sein. So lange die Metastasen nicht aufhören zu wachsen, wächst der Krebs-Film mit seinem Publikum mit. »La Guerre est déclarée« und »50/50« sind derzeit in den österreichischen Kinos zu sehen. »The Big C« läuft montags um 22.45 Uhr auf ORF eins.
Wiener Stadthalle M i t d e n W i e n e r Co m e d i a n H a r m o n i s t s i n d i e We l t d e r g o l d e n e n 2 0 e r J a h r e e i n t a u c h e n o d e r s i c h vo n d e r a t e m b e r a u b e n d e n A k r o b a t i k u n d d e n m ä r c h e n h a f t e n Ko s t ü m e n d e s C i r q u e d u S o l e i l ve r z a u b e r n l a s s e n – d i e W i e n e r S t a d t h a l l e b i e t e t e i n b r e i t g e fä c h e r t e s P r o g r a m m . 3. Juni, 19:30 Uhr, Halle D
Ce lti c Wo m a n
Es gilt das Motto „Nach der Show ist vor der Show“ und so ist der Tourneeplan für Deutschland und Österreich mit 25 Terminen wieder prall gefüllt. 20.–24. Juni, Mi.–Sa. 20 Uhr, Sa. auch 16 Uhr, So. 13 & 17 Uhr, Halle D
Ci rq u e d u So le i l Wiener Comedian Harmonists 24. Mai, 20 Uhr, Halle F
1.–2. Juni, 20 Uhr, Halle F
Wi e n e r Co m e d ia n Harmonists
H e lg e Sch n e i d e r
Die goldenen 20er Jahre. Die Wiener Comedian Harmonists entführen in die Welt der 20er Jahre. Mit viel Wiener Charme erklingen die Lieder der berühmten Comedian Harmonists.
Rettung naht – Superhelgi auf Tournee. Auch 2012 entspringt die Tournee wieder ausschließlich Helges Hirn – ohne gefährliche Feuerwerkeffekte, nur mit Witz, Quatsch, Phantasie und einem tollen Outfit, eventuell auch zwei! Und: Musik!
Nach der gigantischen Resonanz auf die ersten zehn Stationen präsentiert Cirque du Soleil seine international gefeierte Produktion „Alegria“ nun auch in Wien. Tickets sind direkt bei der Wiener Stadthalle, einem Unternehmen der Wien Holding, unter www.stadthalle.com bzw. telefonisch unter 01 / 79 99 79 sowie bei Wien Ticket, einem Unternehmen der Wien Holding, unter www.wien-ticket.at bzw. telefonisch unter 01 / 58 885 erhältlich.
VEREINIGTE BÜHNEN WIEN B r o a d w ay - G l a m o u r a u f d e n M u s i c a l - B ü h n e n d e r S t a d t : D a s R a i m u n d T h e a t e r z e i g t „ I c h w a r n o c h n i e m a l s i n N e w Yo r k “ m i t d e n g r ö ß t e n H i t s vo n U d o J ü r g e n s , w ä h r e n d i m R o n a c h e r d i e N o n n e n r o c ke n – „ S i s t e r Ac t “ e i n fa r b e n p r ä c h t i g e r S p a ß , d e r g a r a n t i e r t u n t e r h ä l t . nur noch bis 15. Juni 2012, täglich außer Mo., Raimund Theater
Ich wa r n och n i e m a l s i n N e w Yo r k
Aus 21 bekannten und beliebten Songs von Udo Jürgens wie „Aber bitte mit Sahne“, „Mit 66 Jahren“, „Vielen Dank für die Blumen“ und „Ich war noch niemals in New York“ entstand ein swingendes Musical mit Broadway-Glamour und erstklassigen Show-Elementen. bis Dezember 2012 verlängert, täglich außer Mi., Ronacher
S i s te r Ac t
Das fröhliche Musical mit mitreißenden Choreographien, einem farbenprächtigen Bühnenbild, viel Komik und den grandiosen Songs des achtfachen Oscar-Gewinners Alan Menken begeistert das österreichische Publikum. Whoopi Goldberg: „Ich verspreche: Das Wiener Publikum wird sich amüsieren!“
Sister Act Tickets sind direkt bei den Vereinigten Bühnen Wien, einem Unternehmen der Wien Holding, unter www.musicalvienna.at bzw. an den Vorverkaufsstellen sowie bei Wien Ticket, einem Unternehmen der Wien Holding, unter www.wien-ticket.at bzw. telefonisch unter 01 / 58 885 erhältlich. a dv e r t o r i a l • 0 2 1
In »Data.Anatomy (Civic)« hat Ryoji Ikeda die kompletten CAD-Daten eines Kompaktwagens durch seine Software gejagt, die Ergebnisse arrangiert und in Berlin präsentiert.
golden frame — Ryoji Ikeda – Data.Anatomy (Civic)
Fahrende SoftwareBilder Seit mehr als 15 Jahren verarbeitet Ryoji Ikeda digitale Daten zu Musik, Bewegt-Bild und anderen Kunstformen – und stößt damit doch immer noch auf Unverständnis. Die Daten für seine neue Installation »Data.Anatomy (Civic)« stammen von Honda und der neuen Version ihres Kompaktklasse-Wagens Civic. Ikeda hat komplette 3D-CAD-Files, mit jedem noch so kleinen Detail zu einer Video- und Sound-Installation weiter verarbeitet. Er hat die Installation einige Monate lang mit seinen Mitarbeitern entwickelt. Zentral ist dabei die Software, die er für jeden Auftrag und jedes Werk neu schreibt. Ausgehend vom Daten-Rohmaterial macht er sich Gedanken über das erwünschte Ergebnis und schreibt dann eine Vielzahl von Algorithmen, die aus den Daten Bilder und Töne generieren, die dann schließlich arrangiert werden. In Schwarz, Weiß und ein bisschen Rot zeigt Ikeda den visuellen Output auf einer 20 × 4 Meter großen Leinwand. Der Sound ist gewohnt minimalistisch, zuweilen abstrakt und im Gegensatz zu früheren Arbeiten in einem hörbar engeren Frequenzfeld, das möglicherweise schmerzhafte Klänge tendenziell ausspart. Anders die Bildebene: Diese durchläuft mehrere Phasen und Abschnitte. Solche, in denen viele relativ konkrete Objekte gleichzeitig zu sehen sind, die aber aufgrund des Abstands von der Leinwand und ihrer Bewegung eher abstrahiert werden und selten also solche zu erkennen sind. Im letzten Teil des zwölfminütigen Loops werden die 3D-Modelle größer und erkennbarer. Als würde man mit einer Kamera in einen Körper eintauchen, bewegen sich Polygon-Modelle über die Leinwand. In den verschiedenen Sequenzen werden alle (!) Teile des Wagens in der Installation sichtbar – Details lassen sich allerdings schwer erkennen und nicht jeder Besucher teilt die Begeisterung von Ikeda für die totale Überinformationsflut. Die Übersetzungsarbeit bleibt wenig transparent. Ikeda hat in den letzten 15 Jahren so manch wegweisendes Album auf Raster Noton veröffentlicht und sich als Künstler mit Installationen weltweit einen Namen gemacht. Zentral waren dabei immer wieder digitale Daten wie etwa Teile des menschlichen Genoms oder Aufzeichnungen der NASA. Der Autohersteller selbst bleibt bei der Präsentation stark im Hintergrund. Der neue Civic, wie seine Vorgänger stark emotionalisierend gezeichnet, ist nur in der Arbeit selbst und dort stark intellektualisiert zu erleben. Mit »Data.Anatomy (Civic)« feiert Ikeda, der selbst immer wieder von Mathematikern als Künstlern spricht, seinen technischen Zugang zu Kunst, der sich nicht ohne Streu- und Reibungsverlust auf die Zuseher überträgt. Dass wir uns daran noch immer nicht gewöhnt haben, spricht bei aller Sprödheit für die Notwendigkeit von derlei Arbeiten. »Data.Anatomy (Civic)«, eine Auftragsarbeit von Ryoji Ikeda für Honda, war von 19. April bis 1. Mai im geschichtsträchtigen Berliner Muma (Kraftwerk) zu sehen. www.dataanatomy.net 023
Text martin mühl Bild Ryoji Ikeda
Ryoji Ikeda zeigte seine aktuellste Installation »Data. Anatomy (Civic)« im Berliner Kraftwerk und weiterhin ausschnittsweise auf Youtube. Er zelebriert darin seinen sehr technischen Zugang zu Kunst.
Bleiben oder gehen? Victoria Legrand und Alex Scully machen als Beach House Musik zwischen den Orten und fallen dabei gem端tlich aus der Zeit.
Beach House — Auf ihrem vierten Album »Bloom« passiert Schönes wie von selbst
Dauercamper und gewobene Träume 025 Ihre Musik erinnert an Vergangenes, aber nicht als Abziehbild fremder Ideen, sondern als Metapher auf ein Leben vor dem Internet.
erwachsener irgendwie Die Vermutung, dass das ganze Chillwave-Phänomen eng mit der aktuellen Wirtschaftskrise verbunden ist – diese Theorie am Namen Beach House festzumachen, stößt bei Victoria Legrand im Interview auf wenig Verständnis. Auf die zugegeben etwas plumpe Frage, warum sie sich denn für diesen Namen entschieden haben, kommt nur ein beiläufiges »Der klang halt gut, wir haben mit einigen Namen rumgespielt und der ist dann hängengeblieben. Wir machen das öfter, so entstehen auch unsere Songs.« Und so ist dann auch Beach House entstanden. »Wir haben einfach angefangen, Musik zu machen, eher nebenbei ist dann dieses Projekt hängengeblieben. Und wir haben einfach weitergemacht.« Also erstmal entspannen, die Popmusikgeschichte nicht neu aufrollen oder manisch durch den eigenen Referenzwolf drehen müssen. Das Album heißt auch deshalb »Bloom«, weil hier etwas Schönes wie von selbst passiert – und doch ist der vollen Blüte auch immer Vergänglichkeit eingeschrieben, Vanitas und barockes Metaphernspiel. In einem der ersten Beach House-Songs von 2006 »Childhood« singt Legrand dann auch treffend: »All my toys are dead«, sechs Jahre später wird das in »Myth« endlich aufgehoben: »You can’t keep hangin’ on / To all that’s dead and gone« und so klingen Beach House 2012, erwachsener irgendwie, aber nicht gesetzt, nur so halb settled.
Dauercamper und Touristen Der Soziologe Jean Didier Urbain beschreibt in seinem Buch »At The Beach« zwei verschiedene Arten des Urlaubers, zum einen sei da der Villégiauter (in etwa »Dauercamper«) und zum anderen der Tourist. Der Tourist ist ein routinierter Abenteurer, hält sich ungern länger am selben Fleck auf und braucht die Abwechslung. Der Dauercamper ist dagegen eher ungern Flaneur und sehnt sich nach seinem abgesicherten Gärtchen oder dem Haus am Strand. Und genau zwischen diesen Spannungsfeldern lassen sich auch Beach House einordnen. Doch das Ferienhaus am Strand kann auch ein ökonomischer Ort sein. Während die Babyboomer der 70er Jahre sich langsam aus dem Geschäft zurückziehen, zirkelt ihr Nachwuchs in der Krisenschleife und zieht von den Collegestädten wieder in den elterlichen Keller zurück. Da bietet das Haus am Strand einen Sehnsuchtsort, einen Fluchtpunkt, ein Kindheits-Refugium, das zugleich das einfache Leben verspricht, aber gleichzeitig eine Art Statussymbol des Lebens der Erwachsenen ist.
allererste liga Aus den Kindern der 80er Jahre sind inzwischen bereitwillige Musikarchivare geworden und die Ü30-Party, die man sonst so verschmäht hat, werden zu einer glücklichen Option, die eigene Nostalgie mit ein paar Wodka-Red Bulls am DJ-Pult zu kompensieren. Beach House passen auch in diese Ecke, ihr Sound scheint zeit- und raumlos zu sein und verdankt sich trotzdem zutiefst den Datenhalden der Popmusik aus den 70ern, 80ern und 90ern, mit mäandernden Gitarren, ein paar glockenhellen Tönen hie und da, über aus Synths gewobenen Träumen. Das soll keine Kritik sein, vielmehr eine Bestands- und Befindlichkeitsaufnahme. Während sich andere Post-Chillwaver nun erneut am Früh-90er-Rave abmühen und eine Art Second Generation Manchester anfeuern, liegt es gar nicht mal so fern, sich ein wenig zurückzulehnen und gemütlich aus der Zeit zu fallen. Die Musik von Beach House erinnert an Vergangenes, aber nicht so sehr als Abziehbild oder vergilbte Postkarte, eher an einen Naturzustand. Während ihre Songideen weitgehend auf Tour entstehen, sie die Versatzstücke unterwegs zusammenklauben, ein Riff hier und ein paar Eindrücke und Textfetzen da, wird das Album dann im eigenen Referenzfeld und »in Sicherheit« produziert. Das Duo schafft es dabei, an den üblichen Referenzfeldern vorbei ihren Sound zu verfeinern und konsequent weitere Nuancen hinzuzufügen. Klar, da ist ein bisschen Shoegaze drin, ein wenig Dream Pop, hypnagogisches Zittern und auch kühle Wellen aus der Vergangenheit. Aber darüber redet man nur noch, wenn man sonst auch auf Teufel komm raus Portishead den Trip-Hop-Stempel aufdrücken muss. Und da wissen wir ja mittlerweile Bescheid, dass diese Band für sich steht. »Bloom« ist nun das Album, mit dem Beach House dasselbe gelingt. Auch wenn der Vorgänger »Teen Dream« schon einschlägig abgefeiert wurde, spielen die zart aufgebauschten Melodien in »Wild«, »Wishes« oder »Myth« auf so vielen Levels in der allerersten Liga.
Leck! Zwei Tage vor dem Interview ist »Bloom« ins Internet gesickert. Nicht unbedingt eine ungewöhnliche Sache. Doch für Alex Scully, der inzwischen 29 ist und somit auch zu einer Generation gehört, die noch ein Leben vor dem Internet kennt, durchaus ein Grund, wütend zu werden. Es gehe darum, etwas zum Anfassen zu haben, wenn man sich ein Album holt, meint er. Er wünscht sich die alten Zeiten zurück, in denen eine Platte noch etwas Besonderes war. Könnt ihr euch an euren ersten Download erinnern? Scully erinnert sich an Massive Attack-CDs und Indie-Alben. Wenn ihr aber das Album noch nicht runtergeladen habt oder dauernd streamt, dann holt es euch am besten bald aus der guten Vinyl-Stube. »Bloom« ist in seiner zurückhaltenden Schönheit wohl eine Platte des Jahres. Beach House sind reifer geworden, der Sound blüht erst jetzt so richtig auf. »Bloom« von Beach House erscheint am 15. Mai via Cooperative. 025
Text Michael Aniser Bild Liz Flyntz
Ganze sechs Jahre hat das selbstbetitelte Debüt des Duos aus Baltimore nun schon auf dem Buckel, eigentlich Ewigkeiten, wenn man bedenkt, dass Begriffe wie Chillwave oder Dream Pop erst kürzlich in der hiesigen Popberichterstattung auftauchten. 2006 war alles noch Gitarren-Indie und kam aus England, daneben vielleicht ein paar frühe New Rave-Zuckungen. Die Platte war schnell wieder vergessen, doch Carpark Records, die sich dieses Duos annahmen, pushten unbeirrt weiter und sollten dann bald schon den ganzen Haze-Gaze-Hype um Toro Y Moi, Memory Tapes und Young Magic losspulen. Womit wir beim Thema wären.
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»Eat Skull« öffnet sich dem Weird-Pop und überrascht zugleich mit Zugänglichkeit.
Mile Me Deaf — Slacker-Krach ohne Krise
Bier und Zuckerwatte
Text Reiner Kapeller Bild mile me deaf
Mile Me Deaf galt lange Zeit als unüberblickbares Sammelbecken musikalischer Grenzideen. Mit dem Debütalbum »Eat Skull« hält nun gelassene Ordnung Einzug. Gemeinsamer Dreh- und Angelpunkt
Zehn Jahre sind seit der Gründung von Mile Me Deaf vergangen. Mit der Zeit änderte sich nicht nur die Besetzung, auch die musikalische Ausrichtung nahm dabei neue Formen an. Als Versuchsfeld abwegiger Ideen konzipiert, behielt Möstl stets die Narrenfreiheit, die in manch etabliertem Projekt für Kopfschütteln gesorgt hätte. Dadurch verweilte Mile Me Deaf über die Jahre auch meist unter den Fühlern des Popradar, blieb unberechenbar, unscheinbar und frei von Veröffentlichungsdruck. Vom Schaffen ohne Rechenschaft entfernt sich Möstl nun mit großen Schritten. »Eat Skull« ist das offizielle Debütalbum nach unzähligen Demotapes und Compilations. Es öffnet sich dem Weird-Pop und überrascht zugleich mit Zugänglichkeit. Killed By 9V Batteries, Sex Jams, Zuchthaus oder Goldsoundz, Möstls musikalischer Ausdrucksdrang ist weithin bekannt. Irgendwo dazwischen hat der Grazer Zeit für 500 Songs gefunden. Kaum ein anderer entspricht damit dem Bild des nimmermüden Kreativgeists so wie Möstl. Dabei schuf er in den vergangenen zehn Jahren nicht nur Berge an Aufnahmen und Schubladen längst vergessener Songskizzen, Möstl entwickelte auch die Fähigkeiten eines Verbinders. Was Mile Me Deaf mit ständigen Wechselbesetzungen und Gastspielen befreundeter Musiker bereits über Jahre vorlebt, findet jetzt auch auf Labelebene eine Entsprechung. 026
Im Fall von Mile Me Deaf war es das Wiener Label Fettkakao, das 2011 die 7-Inch »Swing Back To Me« veröffentlichte. Von der positiven Resonanz angetrieben, fand das einstige Nebenprojekt den Weg auf Vinyl und in den Vertrieb. Anfang Juni erscheint »Eat Skull« auf Fettkakao und Siluh Records als Kooperationsidee, von der beide Seiten gleichermaßen angetan sind. Wolfgang Möstl erfüllt dabei die Funktion des zentralen Dreh- und Angelpunkts. Auf Vertrauen und Mitspracherecht fußt auch ein Großteil der künstlerischen Freiheit, auf die sich Möstl in seiner Umsetzung gerne beruft. In Anbetracht seiner musikalischen Vergangenheit hat sich Mile Me Deaf vom einstigen Experimentierfeld weitestgehend entfernt. Fast durchgehend wandern die Titel auf »Eat Skull« durch entspannte Popgefilde, irgendwo zwischen den Fabelbands Girls und Yuck. Spürbar abgenommen haben dabei die Noise-Anteile, manchmal wurde komplett auf jegliche Form der Verzerrung verzichtet. So vielseitig die einzelnen Teile auch erscheinen mögen, »Eat Skull« eint eine gemeinsame Stimmung. Sie lässt den Sound verwaschen, herrlich gelassen und rund erscheinen. Dabei bleibt auch Platz für akustische Gitarren, Mundharmonikas und trashige Keyboardsounds. »Eat Skull« ist in erster Linie ein – wenn auch vorsichtig – euphorisches und ausgelassenes Album geworden. Wie auf dem Cover zelebriert es ein Leben aus Bier und Zuckerwatte. Bitter und süß zugleich, ein Grundton, wie ihn das Leben schreibt. Hätte man die letzten zehn Jahre ständiger Umtriebigkeit nicht im Hinterkopf – man würde dieser Unbeschwertheit Möstls und der gefühlten Leichtigkeit dieses Albums wohl ein wenig misstrauisch gegenüberstehen. »Eat Skull« erscheint am 1. Juni als Kooperation von Fettkakao (Vinyl) und Siluh Records (CD). Zeitgleich wird es ein Mile Me Deaf »Best Of« der letzten zehn Jahre als Gratis-Download geben.
Indie-Games in der Adoleszenz — Der globale Reifungsprozess der Kreativ-Unternehmer
Die Indies werden erwachsen
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Text Andrea Schmoll Bild GDC (Daniel Cook / Spryfox)
Die Game Developer Conference (GDC) 2012 zeigt, dass das romantische Bild der Indie-Studios nicht mehr stimmt. Zwar streben diese immer noch danach, Spiele zu machen, die abseits des Mainstreams funktionieren, so richtig unabhängig sind sie jedoch nicht mehr. Und wer ist der Boss? Das Geld natürlich. So mancher Gamer träumt davon, seinen Namen einmal in den Credits eines Spiels zu lesen. Nicht für alle ist es aber attraktiv, als kleines EntwicklerRädchen in der großen Spiele-Maschinerie der AAATitel zu enden. Zum Glück gibt es da ja noch die Indie-Publisher: Frei und unabhängig das innovative, tiefgründige Spiel erschaffen, das es noch nie zuvor gab? Entwickler, die früher in ihrer Studentenbude ein Spiel programmierten, hatten wenig Sorgen. Wenn andere die Rechnungen begleichen, kann man leicht Indie sein. Doch der Zahn der Zeit macht vor niemandem Halt und so wurde aus den Jungstudenten rasch Endzwanziger mit eigenen Wohnungen und mitunter Familie. Wer als Erwachsener überleben will, braucht ein regelmäßiges Einkommen – auch als IndieDeveloper. Damit ist viel Freiheit dahin, denn bei der Auswahl von Projekten und Spielideen gesellt sich zu den Parametern »Inhalt« und »Anspruch« plötzlich auch »Kohle?«. Und das meist mit ganz vielen Fragezeichen.
Aus SpaSS wird Business Diesen Fragezeichen widmete sich unter anderem auch Aaron Isaksens Vortrag »The Pursuit of Indie Happiness: Making Great Games without Going Crazy«. War das Bild der Indies früher ein entspanntes und sorgenfreies, so hat auch hier der Stress Einzug gehalten. Ein ewiges Dahinwerkeln kann sich nur noch ein Phil Fish leisten, der für die Fertigstellung seines Spiels »Fez« ganze fünf Jahre benötigte. In der echten Welt bedeuten fünf Jahre Entwicklung auch fünf Jahre kein Geld – und außerdem eine unzufriedene Community. Indies mussten lernen, dass selbst von ihnen Deadlines und Milestones eingehalten werden müssen – auch wenn kein Vorgesetzter oder Publisher involviert ist. Deadlines? Milestones? Eigentlich wollte man nur Spiele 028
machen, die vielschichtig sind und Tiefe beweisen, unabhängig von der ach so seelenlosen Maschinerie hinter AAA-Titeln. Und plötzlich steht man einsam und verloren inmitten von Marketing-Plänen und Businessentscheidungen. Aron Isaksen hat im Interview mit IndieVeteranen wie Kellee Santiago (Journey), Adam Atomic (Canabalt) und Daniel Caplan (Minecraft) herausgefunden, wo der Schuh drückt: Der Arbeitsaufwand bei der Entwicklung ist explodiert. Was früher noch im Zweierteam umgesetzt werden konnte, ist heute nur noch ein Bruchteil dessen, was in der Entwicklung eines (Indie-)Titels beachtet werden muss: Marketing, PR, Kunden, Distribution, das Erstellen von Business-Modellen und Budgetplänen, die Analyse des Marktes und das Managen des Projekts sind für einen finanziellen Erfolg genauso wichtig geworden wie das Spiel selbst. Dazu kommt Druck: Jede Fehlentscheidung, jedes Versagen, jede mittelmäßige Spielidee behindert direkt den Cashflow, von dem man abhängig ist.
Stunden-Reduktion Und hier beginnt der Teufelskreis. Um den Erfolg des Projektes – und somit des Cashflows – zu gewährleisten, werden mehr Arbeitsstunden in das Projekt gesteckt. Feiertage, Wochenenden und Krankenstände existieren nicht. Jede freie Minute wird vor dem Arbeitsgerät verbracht. Isaksens Umfrage ergab, dass bereits 13 Prozent der befragten Indie-Developer zwischen 55 und 80 Stunden pro Woche arbeiten, dies jedoch als zu wenig empfinden. Dieser Zwang, sich zu Tode zu rackern, führt zu fehlerhafter Leistung. Der Erfolg bleibt aus und das Ego leidet unter der falschen Annahme, dass man selbst unzureichend ist und schlechte Arbeit leistet. Kompensiert wird durch noch längere Arbeitszeiten, Übertauchen von Krankheiten und dem ewigen Mantra, dass man nur besser, schneller und kreativer sein müsse.
Flashbang Studios und Mojang haben daraus gelernt und ihre Arbeitsstunden deshalb klar reguliert und limitiert. Flashbang Studios schickt seine Entwickler pünktlich um 16 Uhr nach Hause. Mojang (»Minecraft«) limitierte den Arbeitstag einfach auf acht Stunden. Bei beiden gilt das Motto: Was heute nicht gemacht wurde, muss bis morgen warten. Dieser Weg aus dem Teufelskreis wirkt verlockend simpel, doch dafür müssen komplette Prozesse verändert werden. Strengere Zeitpläne, interne Milestones und einen effizienteren Workflow – was vielen Kleinunternehmern und Selbstständigen schon lange klar ist, ist für Indie-Game-Entwickler noch Neuland.
SOLiDArität
Druck bekommen die Indies auch branchenintern – »Cloning« bleibt ständiges Thema. Große Firmen kopieren schlicht Spielmechaniken und -ideen, setzen diesen ein neues Gesicht auf und publizieren die Spiele unter ihrem eigenen Namen. Das große Geld scheffelt der Cloner, der die Geschäftsfähigkeiten mitbringt – der bestohlene Indie sieht davon keinen Cent. Die Solidarität zwischen den Indies und kleineren Betrieben ist groß, schließlich kann es jeden treffen, der mit einer guten Spielidee, aber wenig Marketing-Budget auf den Markt kommt. Die Riesen der Spielentwicklung sitzen eindeutig am längeren Hebel. Schnell ist ein kleiner Entwickler aufgekauft und die Rechte am eigenen Produkt sind abgegeben. Vielen jungen Entwicklern, die den direkten Weg aus dem Studium in die eigene Indie-Schmiede gegangen sind, wird mit dem Anwachsen von Verantwortung, Arbeitsstunden und Medienpräsenz auch bewusst, dass sie längst erwachsen geworden sind und sich mit erwachsenen Problemen auseinandersetzen müssen. Und dennoch – spricht man mit ihnen über ihre Wünsche, Träume und die nächsten Projekte, so ist der Optimismus groß und die Spiele sind ambitioniert. Und das ist gut so, denn dem Enthusiasmus, anspruchsvolle Spiele zu machen, soll durch finanzielle Verantwortung kein Abbruch getan werden. Das ist der Spagat, den die Indies schaffen müssen. Die GDC ist die größte Konferenz für Spieleentwickler weltweit. Im letzten Jahr wurde das 25-jährige Jubiläum im alljährlichen Austragungsort, dem Moscone Center, gefeiert. über 19.000 Besucher pilgern jährlich nach San Francisco, um an dieser Konferenz und der dazugehörigen Messe teilzunehmen, sich mit anderen Entwicklern auszutauschen und zu networken. www.gdconf.com
Cloning cloning ist ein aktueller Trend, der besonders die indies und kleine Spieleschmieden trifft. Große Firmen stehlen Spielmechanik und -idee, setzen dem Produkt ein neues Gesicht auf und scheffeln damit die große kohle. Die bestohlenen indies können sich wenig bis gar nicht wehren, da die Großen, wie zynga, am längeren hebel sitzen.aktuelle cloning-Opfer sind Spryfox mit ihrem Titel »Yeti Town«. als der Publisher 6waves lolapps eine kopie des Spiels auf den markt brachte, war nur das Setting verändert, der Rest jedoch ident. Spryfox gingen damit vor Gericht, da nicht nur geistiges eigentum gestohlen wurde, sondern auch das gemeinsame nDa nicht eingehalten wurde. »Tiny Tower« von nimblebit ist Ähnliches widerfahren: als zynga ein Spiel namens »Dream Heights« in den app Store stellte, konnte man die augen vor den Gemeinsamkeiten nicht verschließen. »Temple Run« von imangi Games ist ein weiteres Opfer. zwar wurde die Spielmechanik nicht geklont, aber es konnte glaubhaft weisgemacht werden, dass »Temple jump« ein add-On sei. Damit landeten sie innerhalb von zwei Tagen auf Platz 1 der Top Paid apps. Die niederländischen entwickler Vlambeer wollten im juli 2010 ihr angel-Spiel »Radical Fishing« für den Flash-markt herausbringen. im app Store kann man seit juli 2011 »ninja Fishing« von Gamenauts kaufen. Gleiche mechanik, andere Verpackung.
SUBOTRON pro games
Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen jeden Donnerstag im MuseumsQuartier | quartier21 | Raum D | 1070 Wien subotron.com/pro-games Diese wöchentliche Veranstaltungsreihe hat zum Ziel, durch die Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Community die Weiterentwicklung und Etablierung der österreichischen GamesSzene zu unterstützen und zu begleiten. Im Raum D des quartier21 im Wiener MuseumsQuartier präsentieren SpieleentwicklerInnen die Geschäftsmodelle, Finanzierung, Projekte, Vermarktung und Vernetzung ihrer Firmen, Ausbildungsstätten geben Einblick in Voraussetzungen, Lehrpläne, Schwerpunkte und Ziele ihrer Lehrgänge, die verschiedenen Berufe in der Games-Branche werden erklärt und jeden letzten Donnerstag im Monat trifft sich die Games-Szene zum networking.
Do. 03.05.12 Bewerbung in der Games-Branche Alexander Ganz, Personalberatung Ganz & Stock, Frankfurt am Main Do. 10.05.12 Bildungsreise in die Broken Rules Studios Do. 17.05.12 Ausbildungsstätten stellen sich vor: Donau-Universität Krems / Applied Game Studies : Mag. Alexander Pfeiffer, M.A. Do. 24.05.12 Spieleentwickler stellen sich vor : Socialspiel interactive family entertainment GmbH : Helmut Hutterer Do. 31.05.12 Gamers gathering – Branchenmeeting Do. 07.06.12 Spieleentwickler stellen sich vor : Cliffhanger Productions Software GmbH: Michael Paeck Do. 14.06.12 Ausbildungsstätten stellen sich vor : SAE Institute Wien / Qantm Game Design & Animation: Alexander Eibler Do. 21.06.12 Spieleentwickler stellen sich vor : Bongfish Gmbh: Michael Putz & Klaus Hufnagl-Abraham Do. 28.06.12 Gamers gathering – Branchenmeeting Live: Gameboy Music Club
Powered by www.creativespace.at – Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien
Medienpartner
zeughaus.com
www.facebook.com/Poolbar.Festival
6. Juli−19. August
www.poolbar.at
poolbar-Festival Altes Hallenbad Feldkirch
MOGWAI YANN TIERSEN THEOPHILUS LONDON FRITTENBUDE THE WHITEST BOY ALIVE MARILYN MANSON GOGOL BORDELLO BALTHAZAR REGINA SPEKTOR NNEKA ENTER SHIKARI CRO TINDERSTICKS DESTROYER DJ HELL EFFI ZOMBIE NATION (LIVE) SPEECH DEBELLE YELLOWCARD WHOMADEWHO JAPANTHER TRUCKFIGHTERS TROUBLE OVER TOKYO (THE VERY LAST CONCERT) GINGA U.V.A.
RaineR Ganahl — Fahrrad-Obsessionen im BA Kunstforum
… weil ich so mein Fahrrad lieb … 031 Dass Rainer Ganahl irgendwann auch mal das Auto nimmt, ist schwer vorstellbar. Wie besessen widmet er sich in zahlreichen Projekten, Performances, Videos, Fotostrecken und Schriftstücken einzig dem einen Fortbewegungsmittel – dem Drahtesel. Er hält es dabei wie sein Idol Alfred Jarry. Der um 1900 lebende französische Schriftsteller, Proto-Dadaist und Erfinder der Pataphysik (Wissenschaft von den imaginären Lösungen) wurde als Provokateur, Eigenbrötler und Enfant Terrible der Pariser Künstlerszene bekannt. Eine Persönlichkeit, in der sich die Grenzen zwischen Kunstfigur und realem Charakter aufgelöst hatten. 1869 erwarb Jarry ein Fahrrad – es sollte fortan sein Markenzeichen werden. Er selbst erschien stets in Fahrradmontur, statt Klingelläuten feuerte er Revolverschüsse ab.
pASSiOn chriSti ALS fAhrrADrennen Rainer Ganahl, dem ein kauziger Hang zur Skurrilität nicht abzusprechen ist, verarbeitet nun Jarrys Schriften und Anschauungen, adaptiert den exzentrischen Franzosen in- und auswendig. So posiert der 1961 geborene Tiroler mit Wohnsitz in New York und Professur in Stuttgart als Lookalike mit einem Fahrrad Baujahr 1869 oder baut dessen Sattel in sein eigenes Gefährt ein. »The Passion Considered as an Uphill Bicycle Race or I wanna be Alfred Jarry, 1903 / 2011« basiert auf einem Schriftstück Jarrys, das die Passion Christi mit einem Fahrradrennen gleichsetzt. Ganahl vollzieht den Kreuzgang als Berg-
wanderung mit geschultertem Fahrrad, um am Gipfel Jarrys Worte einer Kuh vorzutragen. Mit »Ce Qui Roule – That – Which – Rolls (Early forms of rollin’ rocks)« inszeniert Ganahl ein Theaterstück in drei Akten für und mit Fahrrad, dem ebenfalls Jarrys Texte, z.b. »Le Supermâle«, zugrunde liegen. Und es wird ein weiterer intellektueller Ahne zitiert: Marcel Duchamp, der schon 1913 das »Roue de Bicyclette« als eines der ersten Ready-mades herstellte. Das Bike mutiert in Ganahls Stück gar zum mittelalterlichen Folterinstrument mit einem anzüglichen Touch: eine nackte Frau – ein weiteres Zitat von Duchamps – wird zwischen vier Fahrräder gespannt. Das Motiv dieser Vierteilung setzt Ganahl in weiteren Versionen um: mittels einer Fahrradmaschine etwa, an die tatsächlich vier Pferde gebunden werden. Oder mit der eigenen »Kreuzigung« als Street Performance. Auch abseits französischer Vorbilder entwickelt sich Ganahls Manie: »I wanna be Chinese / Dinghi, 2011« ist ein promotionartiges Video, das den Künstler auf einer mitunter halsbrecherischen Fahrt mit einem Elektrobike made in China begleitet. Anliegen: Bewusstsein für Umwelt und Weltwirtschaft: 50 Prozent der Straßen sollen zu Bikeways werden. Damit verbunden kann man sich beim Lesen des »Fahrrad-Manifest« eventuell davon überzeugen lassen, auf das Zweirad umzusteigen. Fest steht jedenfalls: Rainer Ganahl ist dem Fahrradspleen verfallen. »I Wanna Be Alfred Jarry« ist im Tresor des Bank Austria Kunstforum von 9. Mai bis 15. Juli zu sehen. 031
TexT maRGiT emeSz Bild RaineR Ganahl
Fahrradfahren und französische Avantgarde um 1900 – das bringt der eigenwillige Konzeptkünstler rainer Ganahl in den derzeitigen Schwerpunkten seines Oeuvres unter einen hut. Und steigt dabei auch vor religiösen motiven und fetischismus nicht auf die Bremse.
anders als geWohnt
Am 1. und 2. Juni 2012 finden zum sechsten Mal die Architekturtage in ganz Österreich statt und laden unter dem Motto „anders als geWohnt“ wieder zu einem außergewöhnlichen Architekturereignis ein! Ein umfangreiches Programm bietet vielfältige Möglichkeiten, Architektur, mit einem Schwerpunkt im Bereich ‚Wohnen’, hautnah zu erleben, Neues zu entdecken und Ungewöhnliches zu verstehen.
Ein Projekt der Kammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten und der Architekturstiftung Österreich
Zeughaus
www.architekturtage.at ww ww.architekturtage.at
»Die Löwin – als Räuber – enttarnt sich ihre begehrte Beute« von Deborah Sengl ist einer von mehreren monströsen Hybriden, die in der Manege der Kunsthalle Wien präsentiert werden.
»paRallelwelT ZiRKuS« — Überblick zur Ausstellung in der Kunsthalle Wien
KunstChimären Vor der Zeit von Film, Fernsehen und Internet war der Zirkus ein Türöffner zur großen weiten und exotischen Welt. Daher strömte das Publikum auch in die mitgeführten KuriositätenShows menschlicher und tierischer Absonderlichkeiten. Wie ein Abend im Theater auf Geist und Gemüt, so wirkte ein Tag im Zirkus auf die Sinne. In seiner Geschichte hat der Zirkus zahlreiche Wandlungen erfahren: Sowohl in seiner äußeren Gestalt – vom festen Zirkusbau über dir Wander-Menagerie zum flexiblen Chapiteau bis hin zur Theaterbühne – als auch in der Form seiner Darbietung, vom Pferdetheater über monumentale Pantomime zum Cirque Nouveau. Der Zauber, den die verträumte Welt des Zirkus auf das Publikum ausübt, weht bis ins Heute herüber, auch wenn er manchmal schon leicht modrig riecht. Das Publikum ist anspruchsvoller geworden, es will Sensationelles, in einem viel schnelleren Tempo, auf Youtube-Level. Der Zirkus selbst ist nicht mehr die moderne Form von Massenunterhaltung, die er im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert einmal war. Dennoch gibt es Anzeichen, dass er auch im neuen Jahrtausend in den unterschiedlichsten Sphären kulturell unverändert fest verankert ist, etwa im Film, in der Literatur oder der Bildenden Kunst.
mAneGen, mASKen, mUtAnten Ein echter Zirkus wird für die Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« in der Kunsthalle nicht nachgebaut, dafür aber ein Zelt aus Glühbirnen. Fasziniert von diesem Mikrokosmos, seinem Satz an Figuren, Schauplätzen und performativen Routinen, haben sich viele Künstler dem Thema gewidmet, so etwa Federico Fellini mit Filmen wie »La Strada« und »I Clowns«. Die fantastischen Kostüme, die Anmut der Artisten und die außergewöhnlichen Attraktionen
haben nicht nur Vorlagen für Literatur und Film geliefert, sondern auch für Fotokünstlerinnen wie Rhona Bitner, die zwischen 1994 und 2001 eine Fotoserie von akrobatischen Szenen angefertigt hat. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts zählten auch Absonderlichkeiten wie Kleinwuchs oder besondere Biegsamkeit zum festen Bestandteil des Zirkusprogramms. Die Fotografin Diane Arbus und die Künstlerin Ulrike Ottinger skizzierten in ihren Arbeiten diese Welt der Abnormalitäten. Neben Akrobaten, Jongleuren, Messerwerfern, Feuerschluckern und Dompteuren gehört auch die Figur des Clowns zur Zirkustradition. Seine Opposition zur Perfektion der Artisten und die Vielschichtigkeit der Figuren zwischen Gut und Böse inspiriert Filmkünstler seit Langem. Charlie Chaplins Figur des Tramp aus dem Film »The Circus« ist das grandiose Beispiel einer solchen Verkörperung. Zu den aktuelleren Beispielen zählen Arbeiten von Cindy Sherman oder Paul McCarthy. Neugier, Sensationslust und ein Hauch von Gefahr und Abenteuer locken immer noch Besucher an. Dabei ist der Zirkus viel mehr als nur ein Ort des Schauens und Staunens, er ist eine Projektionsfläche von Träumen und Sehnsüchten, eine exotische Parallelwelt, um der Realität zu entfliehen … wenn sich im Internet gerade nichts tut Die Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« ist bis 2. September in der Kunsthalle Wien zu sehen. kunsthallewien.at
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TexT anDReea DOSa Bild eSSl mUSeUm, klOSTeRneUbURG
Die Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« Zirkus« bringt zeitgenössische Arbeiten von federico fellini bis Deborah Sengl unter das chapiteau der Kunsthalle Wien.
»paRallelwelT ZiRKuS« — Ausstellung und Rahmenprogramm
Bild © Daniel FiRman, cOURTeSy GaleRie PeRROTin, PaRiS, FOTO: GUillaUme ziccaRelli
Starren, Staunen, Schaudern 035 Rahmenprogramm »parallelwelt Zirkus« Kunst sagen die einen, Tierquälerei die anderen – für seine Arbeit »Nasutamanus« hat der französische Künstler und Freizeit-Dompteur Daniel Firman einem Elefanten beigebracht, die Schwerkraft zu überlisten. Nur mit seinem Rüssel hält sich das Tier an der Wand fest und verfällt so – Hinterbeine und Schwanz in schöne, parallele, rechte Winkel gebracht – in eine Starre. Staunen und Schrecken oder die scheinbare Aushebelung der Naturgesetze, so funktioniert auch die Welt der Manege. Der entscheidende Unterschied: Mit Kunst und Skulpturen wie dieser hier von Daniel Firman lässt sich viel mehr Geld verdienen. »Nasutamanus« von Daniel Firman ist im Rahmen der Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« bis 2. September in der Kunsthalle Wien zu sehen. kunsthallewien.at
Snitzel Race Goes Circus Do. 24. mai, 19.00 Uhr; mo. 2. juni, 18.30 Uhr; Sa. 14. juni, 19.00 Uhr ulrike ottinger: Fiktion und Faktion Do. 23. august, 20.00 Uhr überblicksführungen jeden Sonntag, 15.00 Uhr Kuratorinnenführungen So. 10. mai, 15.00 Uhr; Fr. 22. juni, 18.00 Uhr Clownführungen Sa. 5. mai; So. 6., 13., 20., 27. mai; So. 3., 10., 17., 24. juni, 14.00 Uhr; So. 1. juli, 15.00 Uhr Führung: Starren, Staunen, Schaudern: Zur Schaulust im wandel der Zeit Sa. 16. und 23. juni, 15.00 Uhr Führung: diane arbus und andere meister des monströsen Sa. 5. und 26. mai, 9. juni, 15.00 Uhr Führung: menschen, Tiere, Sensationen Sa. 19. mai, 2. juni, 30. juni, 15.00 Uhr Führung: Starren, Staunen, Schaudern: Zur Schaulust im wandel der Zeit Sa. 12. mai, 15.00 Uhr
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LINKS
— Dieser Clown hat daheim ein »Haus der 1000 Leichen«. Im gleichnamigen Film von Rob Zombie (2003) ist er kein Sympathieträger.
ClownS, naRRen, omeGa-TieRe — Die unheimlichen Spaßmacher der Populärkultur
ansichten eines Clowns
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Die archetypische figur des clowns ist in der Kunst, der Literatur und der musik viel porträtiert. Als narr, als Schurke, als melancholiker. für Letzteres gäbe es sogar einen konkreten Grund – denn eigentlich mag ihn niemand. Ok, reden wir Klartext: Niemand mag Clowns. Die Berufsgruppe würde sich gefühlt auf einem ähnlichen Sympathielevel wie Pressesprecher oder Lobbyisten bewegen, aber dazu ist sie den meisten Menschen einfach zu egal. Auch im Zirkus blicken die Zuschauer beim Auftritt eines Clowns meist nach zwei Minuten höflichen Gelächters genervt auf ihre Uhren und wünschen sich die Artisten oder Löwen zurück. Akzeptiert es, selbsternannte Spaßmacher: Niemand braucht euch. Im Prinzip nicht mal eure Kernzielgruppe: Im Jahr 2008 befragte die Uni Sheffield 250 Kinder, was sie von den Clown-Darstellungen an den Wänden von Kinderstationen hielten. Alle 250 fanden sie unlustig, verbanden Negatives mit ihnen, und viele hatten auch schlicht Angst. Klinikclown-Verbände bemühten sich schnell richtigzustellen, dass sich die Befragung nur auf Wanddarstellungen, nicht aber auf die Besuche von echten Klinikclowns bezog. Aber zu spät, der Schaden war angerichtet. Die Botschaft, die hängen blieb, war: »Kinder haben Angst vor Clowns«.
zusammen auf. Der legendäre italienische Regisseur Federico Fellini erklärte die Beziehung zwischen den Antagonisten zu einem »Kampf zwischen dem stolzen Kult der Vernunft, der zum anmaßenden Kult des Ästhezismus wird, und dem Instinkt, der Freiheit des Triebes.« Rona Yefman arrangiert einen Stern aus Clowns. Loser.
Und diese Angst ist kein Zufall. Die Populärkultur schreibt den maskierten Spaßmachern gerne böse Rollen auf den Leib. Ob Pennywise aus Steven Kings »Es«, der Joker aus »Batman« oder Captain Spalding aus Rob Zombies »Haus der 1000 Leichen«: Die Literatur- und Filmgeschichte ist voll von brutalen Clowns, die sadistischen Spaß am Quälen ihrer Opfer haben. Woher das kommt, ist schwer zu sagen. Vielleicht, weil man den Clown hinter seiner Maske nicht erkennt; vielleicht spielt das bürgerliche Misstrauen gegenüber jemandem, der die Dinge nicht ernst nimmt, mit hinein; vielleicht vermuten wir auch hinter professionellen Humorarbeitern automatisch etwas Tiefgründiges und Unheimliches. Psychologen weisen auch darauf hin, dass gerade auf Kinder die Kombination aus sehr ungewöhnlichen Gesichtern auf bekannten Körperformen erschreckend wirkt. Die krankhafte Angst vor Clowns nennt man übrigens Coulrophobie. Gesicherte Zahlen existieren nicht, Gerüchten zufolge soll es eine der zehn häufigsten Phobien sein. Das Bestival, ein Sommerfestival auf der Isle of Wight, verbot im Jahr 2006 den Zutritt für Menschen im Clownkostüm. Angeblich habe es Beschwerden von Coulrophobikern gegeben.
prOfeSSiOneLLe UnterhALtUnGSArBeit Für einen Unterhaltungsberuf hat die Clownerie einen überraschend tiefen theoretischen Überbau. An den professionellen Clownschulen wird viel gelesen, und Andrej Nikolajev, ehemaliger Clown des Moskauer Staatszirkus, ist heute Professor an der Theaterakademie der russischen Hauptstadt. Clown sein bedeutet nicht, sich einfach nur zum Affen zu machen. Und Clown ist nicht gleich Clown. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich aus der Pantomime vor allem zwei Figuren heraus: Der Weißclown und der dumme August. Der Weißclown ist der autoritäre, elegante Besserwisser; sein Compagnon ein tölpelhafter, warmherziger Idiot. Die beiden Figuren treten meist
Der nArr ALS BLitZABLeiter In der Rolle des Clowns lebt der Archetypus des Narren weiter. Die Geschichte reicht weit zurück, bis zum Harlekin der Renaissance und dem Hofnarren des Mittelalters. Auch die irische Mythologie kennt Narrengötter, und die Populärkultur hat diesen Aspekt Lokis aus dem nordischen Asen-Mythos über die Jahre immer bekannter gemacht. Das ist auch der Punkt, warum sich die Clowns vielleicht doch nicht schlecht fühlen müssen. Wie die Hofnarren werden sie ausgelacht, man prügelt auf die ein, ist sich aber insgeheim bewusst, dass sie eine wichtige Sonderrolle spielen. Wie das bemitleidenswerte Omega-Tier im Wolfsrudel, das als Blitzableiter dabei hilft, das soziale Gefüge zusammenzuhalten. Die Rolle des Clowns ist eigentlich eine traurige, weshalb die Kunst ihn auch gerne melancholisch porträtiert. Er lebt für den Moment. Er versucht, die Menschen zum Lachen zu bringen und arbeitet nur für sie. Und ist am Ende allein und ungeliebt. Eine grundsympathische Figur, die jeden Tag aufs Neue scheitert. In Heinrich Bölls Roman »Ansichten eines Clowns« wird der Protagonist Hans Schnier gefragt, was für ein Mensch er sei. Seine kurze Antwort: »Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke. Tschüss.«. 037
TexT jOnaS VOGT Bild TibeRiUS Film, ROna yeFman UnD SOmmeR cOnTemPORaRy aRT GalleRy, Tel aViV
cAn’t SLeep. cLOWn WiLL eAt me
FReaKS, CYBoRGS und auSSenSeiTeR — Groteskes und Schönes in der Kunst
TexT eRwin UhRmann Bild UlRike OTTinGeR, aRThaUS / STUDiOcanal hOme enTeRTainmenT, SammlUnG SiGG, RUbRa
miss Gestaltet 038 monströses und Unheimliches hat schon immer die Kunst bewegt. freakshows, Wachsfi gurenkabinette, humanoide roboter werden in der popkultur und der zeitgenössischen Kunst gleichermaßen herangezogen. Das Spektrum des grotesk Schönen braucht eine Annäherung. In Freakshows auf Jahrmärkten oder in Sideshows rem Film »Freak Orlando« (1981) und einer dazugehörigen Fotoserie beim Zirkus traten noch im 19. Jahrhundert Men- – momentan im Rahmen der Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« in der schen mit auffälligen körperlichen Merkmalen auf. Kunsthalle Wien zu sehen – zeigt sie die Reaktionen auf jene anders Der Engländer Joseph Merrick war zu Lebzeiten als wirkenden Menschen in verschiedenen Zeiten. In Ottingers Arbeit »Elefantenmensch« bekannt und rief Ekel und Fas- entsteht ein Kosmos, in dem Menschen ohne Unterleib, mit übermäzination hervor. Dabei hatte Merrick einen Mana- ßiger Behaarung und Kleinwüchsige ebenso wie reale und imaginäre ger, der ihn bis Festlandeuropa wie einen Popstar vermarktete. Der Körper gleichberechtigt wohnen. Waren diese in ihrem Umfeld noch »Elefantenmensch« litt am Protheus-Syndrom, wodurch sich seine vor der NS-Zeit als Stars gehandelt, so waren sie danach auch manGewebezellen veränderten. Posthum wurde Merrick zum Symbol des gels Einnahmequellen noch stärker marginalisiert. Heute werden sie von der Gesellschaft marginalisierten Außenseiters, das bekannteste tendenziell stigmatisiert oder sie verdienen ihr Geld mit Auftritten in Denkmal setzte ihm David Lynch mit dem Film »Der Elefanten- Nachmittags-Talk-Shows. mensch« (1980). Ein ähnliches Schicksal erlitten Menschen, die an Hypertrichose, menSchen AUS WAchS Im 19. Jahrhundert waren Wachsfigurenkabinette die ultimativen einem übermäßigen Haarwuchs litten. Als Wolfsmenschen traten sie im Zirkus auf und bestritten ganze Tourneen. In der Renaissance Orte zum Gruseln. Berühmte Morde wurden nachgestellt, martialebten manche stark behaarte Menschen an königlichen Höfen, er- lische Szenen aus der (Kunst-)Geschichte nachgebaut, wie die Erhielten hervorragende Bildung, wurden häufig auf Gemälden abgebil- mordung des französischen Revolutionsmärtyrers Jean Paul Marat, det und hatten einen Sonderstatus. In vielen Fällen konnten Klein- detailgetreu und oft mit viel Splatter. Dabei geht die Geschichte wüchsige, Damen mit Bart und Menschen mit Symptomen, die sie der Wachsfiguren auf einen praktischen Nutzen zurück. Tote Herrzu Außenseitern machen, ihren Lebensunterhalt durch ihr auffälliges scher wurden früher für die trauernde Masse ausgestellt, bevor sie Äußeres verdienen. Intoleranz, gleichzeitig aber auch die nachvoll- unter Pomp und Zeremoniell beerdigt wurden. Die Ausstellungsdauziehbare Faszination für Außenseiter waren die ständigen Begleiter. er überschritt in der Regel die Haltbarkeit eines Leichnams, der vor Das Nazi-Regime schließlich verbannte die Sideshows aus dem Zirkus den Augen der Trauernden verweste. Als Heinrich I. von England 1135 und ging mit Grausamkeit gegen all jene vor, die nicht in das Konzept aufgebahrt wurde, begann sein Leichnam zu tropfen. Ein Fleischer wurde beauftragt, den toten Herrscher über Nacht auszuweiden um des Herrenmenschen passten. den Leichengeruch zu vermindern. Der vergiftete sich an der Leiche DAS Schöne UnD DAS GrOteSKe und verstarb selbst. Man schaffte Abhilfe mit Wachsfiguren. In GroßFür die Künstlerin und Filmemacherin Ulrike Ottinger sind das britannien gab es Anfang des 20. Jahrhunderts mehr als 150 PanopSchöne und das Groteske unmittelbar miteinander verknüpft. In ih- tiken. Wachsfiguren sind nicht nur ein beliebtes Horrorfilmmotiv.
Ulrike Ottingers »Der Bote der Inquisition Goya Episode« (1981) und David Lynchs »Der Elefantenmensch« (1980) stellen Fragen zum entspannten Umgang mit Freaks. »Ruan« von Xiao Ru und »Telenoid« von Hiroshi Ishiguro loten Grenzen des Menschlichen aus.
Der weltbekannte Künstler Maurizio Cattelan hat Hitler ebenso wie Papst Johannes Paul II., von einem Stein getroffen, dargestellt. Beunruhigend detailgetreue Darstellungen von Menschen gibt es auch von Marc Quinn, der nicht nur aus Kokosnussmilch, sondern sogar aus seinem eigenen gefrorenen Blut eine Skulptur seines Kopfes angefertigt hat. Viele Außenseiter der Gesellschaft hat der in Wien lebende Bildhauer Virgilius Moldovan zwar in Übergröße, aber bis ins letzte Detail aus Silikon geformt. Äderchen und blaue Flecken sind ebenso wie Hautunebenheiten zu sehen und machen die Skulpturen ebenso authentisch wie unheimlich.
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»Kunst entsteht, wenn die natürlichen und die künstlichen Körper befreit werden.« — Lady Gaga
menSchLiche rOBOter Wachsfiguren und Skulpturen, die den Menschen allzu perfekt simulieren, irritieren und beunruhigen erst einmal. Besonders gut ist dies bei der Begegnung von Menschen mit humanoiden Robotern zu beobachten. Diesen Effekt entdeckte der japanische Robotiker Masahiro Mori 1970 und nannte ihn »Uncanny Valley«, was soviel heißt wie »unheimliches Tal«: Ein Akzeptanzeinbruch, wenn ein Roboter oder Avatar »zu menschlich« wirkt. Im Linzer Ars Electronica Center befindet sich der Telepräsenzroboter »Telenoid«, der vom japanischen Robotikexperten Hiroshi Ishiguro entwickelt wurde. Telenoid hat nichts gemein mit den blechernen Androiden aus »Star Wars«, er beherrscht Mimik und Gestik, imitiert menschliches Verhalten und ist einem Menschen nachempfunden. Im AEC kann sich der Besucher den Roboter auf den Schoss setzen, er hat etwa die Größe eines Kleinkindes, und mit ihm sprechen.
GrenZen AUSLOten
Biomorphe und antropomorphe Skulpturen haben nur mehr wenig gemein mit den Wachsfiguren früherer Tage. Mit der Skulptur »Ruan« hat der chinesische Künstler Xiao Yu nicht nur die Grenzen zwischen Skulptur und Natur ausgelotet, sondern auch ein kritisches Statement zu Experimenten in der Genetik abgegeben. Xiao Yus »Ruan« hatte 2005 in Bern in der Schweiz einen Skandal mit gerichtlichen Folgen ausgelöst. Der Künstler vernähte bereits vorhandene Präparate zu einem Fabelwesen, an einem Möwenkörper befestigte er den Köpf eines menschlichen Fötus, auf den er die Augen eines Hasen nähte. Seine Skulptur, die zum ersten Mal auf der Kunstbiennale in Venedig 2001 zu sehen war, löste auch im Kunsthaus Graz, wo sie 2008 im Rahmen der Schau »Biomorphe Formen in der Skulptur« zu sehen war, heftige Reaktionen bei den einzelnen Zuschauern aus.
Auch Gunther von Hagens wurde mit seiner extrem erfolgereichen »Körperwelten«-Ausstellung immer wieder dafür kritisiert, die Grenzen zwischen anatomischer und künstlerischer Darstellung zu verwischen. Die in Wien lebende Künstlerin Deborah Sengl schafft dagegen tierische Hybride in Zeichnungen und Skulpturen. Eine andere Ikone der Popkultur erweitert ebenfalls ihren Körper, modifiziert und transformiert ihn, umhüllt ihn mit einem Kokon, spricht von ihrem Penis und wird von ihren Fans oft »Mother Monster« genannt: Lady Gaga.
Dem SYStem entKOmmen Der Künstler Javier Téllez, dessen Arbeiten in der Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« in der Kunsthalle Wien zu sehen sind, sieht im Karneval oder Jahrmarktspektakel eine befreiende Kraft, eine Funktion, die Hierarchien außer Kraft setzt. Sein Hauptaugenmerk legt er, als Sohn zweier Psychiater, auf Menschen mit Geisteskrankheiten, die er als die am meisten Marginalisierten der Gesellschaft bezeichnet. Lars von Triers Film »Idioten« (1998) erzählt die Geschichte einer kommunenartigen Gruppe, die versucht, Menschen mit Intelligenzminderung zu simulieren, um dadurch selbst mehr Freiheit zu erlangen. Diese befreiende Kraft ist es wohl, die die Faszination des Menschen für Außenseiter, für künstliche Menschen und selbst geschaffene Wesen nährt. Die eigene Existenz ist beschränkt durch den Körper und das System, in dem man sich befindet. Anderssein befähigt dazu, erst einmal das System hinter sich zu lassen – egal ob als Cyborg, als Chimäre, als Freak, als Irrer, als Sonderling, als Wachsfigur oder Marionette. Als Grenzgänger verunsichern sie, versichern uns aber auch unsrer eigenen Menschlichkeit. Als solche sind sie die unheimlichen Dauergäste der Kunst. 039
TexT jana laPPeR Bild cliFTOn chilDRee, aUS: »clOwn alley«, 2012 © cliFTOn chilDRee; cOURTeSy GaleRie hilGeR, wien
CliFTon ChildRee — Der US-Künstler im Interview zu seiner Installation »Clown Alley«
»die Zukunft ist wie 040 ein alptraum für mich« Clifton Childree ist nicht so ganz aus dieser Zeit. Der in miami lebende Künstler fl Der in miami lebende Künstler fl üchtet sich in billige illusionswelten und begibt sich gerne in die Gesellschaft von grotesken figuren und freakigen Außenseitern. Für die ausstellung »Parallelwelt Zirkus« hast du eine installation angefertigt. Ja, »Clown Alley« ist nach dem Raum außerhalb des Zirkus benannt, wo sich Clowns tummeln und sich für die Show ankleiden und schminken. Ich habe mich schon immer für Dinge interessiert, die hinter den Kulissen geschehen. In den letzten Jahren habe ich auch alte Spielautomaten hergestellt. Nicht diese neuartigen mit Videos, sondern welche aus dem frühen 19. Jahrhundert, die mit Münzen funktionieren. In die Automaten baue ich alte, zerschlissene Filme ein, die dann unzählige Male abgespielt werden und sowohl der Film als auch der Automat dadurch fast zerfallen. Hinterlegt wird das durch einen alten Leierkasten, der typische Zirkusmusik von einst abspielt. Dieser Raum ist heute vergessen und es kommt mir so vor, als wäre der Zirkus tot. Das finde ich wirklich traurig und deswegen wollte ich, dass meine Installation dieses Gefühl vermittelt: die Maschinen funktionieren nicht einwandfrei, der Leierkasten gibt schräge Töne von sich. Woher hattest du die Materialien für deine installation? Ich habe viele Dinge hier auf dem Naschmarkt gefunden und diese dann bearbeitet. Fundsachen verwende ich gerne, sie sind manchmal schon so kaputt, wie ich es vorsätzlich nie hinbekommen würde. Sie haben schon etwas Zersetztes an sich. Du bedienst dich an Elementen der Stummfilmzeit. Warum ziehst du das Flackern eines Schwarz-Weiß-Films einer High-Definitionauflösung vor? Es hat wohl mit meiner Familie zu tun. Meine Großmutter tanzte in sogenannten Vaudeville Shows, also kleinen Zirkusgruppen, die 040
ohne Zelt umherreisten und hier und dort auftraten. Viele Stummfilm-Schauspieler kamen ursprünglich vom Vaudeville. Als Neunjähriger begann ich dann mit meinen Freunden, solche Shows mit einer gefundenen alten Kamera zu filmen. Sie waren immer sehr humorvoll. Welche Rolle spielt denn Humor heute in deiner arbeit? Eigentlich denke ich darüber nicht zu viel nach. Ich mag es, mit den Elementen Horror und Comedy zu spielen. Man kann sehr gut mit den Emotionen der Zuschauer spielen, wenn man diese beiden Extreme zusammensetzt. Wenn auf eine witzige Szene eine AlptraumSzene folgt, verstärkt es den Horror noch. Der Humor wirkt dann befremdlich. So kann ich Szenen schaffen, die den meisten normalen Menschen nicht in den Sinn kommen würden. Würdest du sagen, dass sich das Thema Freaks und außenseiter durch deine gesamte künstlerische arbeit zieht? Siehst du dich vielleicht selbst als einer? Ja, Leute, die gegen die Norm rebellieren, interessieren mich sehr. Mein Großvater war zum Beispiel auch so einer. Ich selbst bin auch nie auf eine Kunsthochschule gegangen, weil ich mich da einfach nicht gesehen habe. Du wendest dich so stark der Vergangenheit zu. interessiert dich die gegenwart oder die Zukunft gar nicht? Wenn ich mich so umsehe, ist die Zukunft eher wie ein Alptraum für mich. Es kommt mir so vor, als wäre die Vergangenheit irgendwie langsamer, weicher, handgemachter. Ich würde wirklich gerne einmal zurück in die 20er Jahre gehen, auch wenn ich wahrscheinlich enttäuscht wäre, dass nicht alles in Schwarz-Weiß ist. Und vermutlich würde ich mich dann wieder mehr für 1850 interessieren.
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Krems, DominKanerKirche
hanskuPelwieser »refleCtions« 29/09/2012 –27/01/2013
Foto: © rita ne
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manfred wakolbinger »uP from the skies« 03/06 – 14/10/2012
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st. Pölten, lanDesmuseum nieDerösterreich
Der Zeichenroboter »Piccolo« wird von der Community weiter entwickelt und ständig verbessert.
Open Design — Offenes Design zum Selbermachen
Open Design: Raus aus der Nerd-Ecke Die Idee gibt es schon einige Jahre. Ähnlich wie bei Open Source-Software werden Designs in Form von Bauplänen oder Produktionsanleitungen öffentlich zur Verfügung gestellt, eine Community entwickelt diese weiter und verbesserte Versionen landen wieder im Netz. Die Anwender werden zu Prosumern. Mutanten werden zusammengeführt, andere Ideen fallen gelassen, Spezialanwendungen angefertigt – mit dem Ziel, für sich selbst und für alle anderen Dinge zu perfektionieren. Bislang wurde dieser Ansatz vor allem von Künstlern und nerdigen Bastlern gepflegt. Mittlerweile beschäftigen sich aber auch Politik und Wirtschaft mit der Idee des Open Design. In der Idee steckt viel Potenzial. Es zu entwickeln sei »denkintensiv«, sagt Georg Russegger, einer der Kuratoren des Open Design Symposium, das am 23. Mai an der Kunstuniversität Linz stattfindet. Es ist der Auftakt für eine Initiative, die auf die konkrete Anwendung der Open Design-Philosophie abzielt. »Wir wollen hier nicht zum Chor predigen, sondern eine breit aufgestellte Community schaffen«, so Co-Kurator Martin Kaltenbrunner. »Oberösterreich ist mit seiner starken Design-Tradition und den vielen Handwerksbetrieben ein guter Nährboden«, sagt Patrick Bartos, Geschäftsführer der »Creative Region«, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die regionale Wirtschaft für das Thema zu interessieren und konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten zu schaffen.
Was bei Software schon etabliert ist, hält nun auch in Bandbreite der physischen Welt Einzug: Das Prinzip der Offenheit. GroSSe Das Themenspektrum beim Symposium ist groß: Es reicht von Eine Initiative leistet jetzt Entwicklungsarbeit Hardware über Sound bis Tools – jeweils mit einem »Open« davor. Und es gibt tatsächlich vieles, was nach Open Design-Prinzipien in Oberösterreich und orientiert sich dabei an gestaltet werden kann und auch schon wird. Am sichtbarsten und Erfolgsmodellen wie der offenen Hardware von Arduino. verständlichsten in der Mode oder im Möbeldesign, weil sich diese
am einfachsten in den Alltag einbinden lassen und man die Objekte auch zu Hause ohne allzu großen Aufwand reproduzieren kann. Bei den stetig sinkenden Preisen für Laser-Cutter und 3D-Plotter können auch einfache Gebrauchsgegenstände nach digitalen Bauplänen günstig hergestellt werden. Kaltenbrunner sieht die Beschränkungen dort, wo die Produktionsmittel teuer sind – etwa bei Mikroprozessoren.
Text Werner Reiter Bild Watz, Rubra
Open Design als Brand
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Open Design kann wie »bio« oder »nachhaltig« als Label funktionieren.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Wo sich Systeme öffnen und viele Menschen an der Weiterentwicklung mitarbeiten, wird Innovation möglich. Im Softwarebereich haben das mittlerweile auch große Konzerne wie IBM erkannt. In der Welt der physischen Produkte muss sich dieses Bewusstsein erst herausbilden. »Kooperation ist da der Schlüsselbegriff. Kooperation heißt aber auch bis zu einem gewissen Grad, ungerichtet und damit ergebnisoffen zu sein«, meint Russegger. Wichtigste Herausforderung sei, Vertrauen in diese offenen Systeme zu schaffen. Und zwar auf allen Ebenen: Designer müssen darauf vertrauen können, dass ihre Leistungen anerkannt werden, Prosumer übernehmen Verantwortung und Unternehmen wollen an dem System verdienen. Bevor die Frage nach handfesten Business-
Martin Kaltenbrunner ist Professor am Interface Culture Lab der Kunstuniversität Linz und beschäftigt sich hauptsächlich mit offenen Werkzeugen in der Medienkunst und unkonventionellen Konzepten der Mensch-Maschine Interaktion. modin.yuri.at
modellen beantwortet wird, geht es erst einmal darum, eine »gedankliche Brand« aufzubauen und an bestehenden Beispielen zu lernen. Langfristig kann Open Design genau wie »bio« oder »nachhaltig produziert« als Label funktionieren. Ein solches Label muss aber erst über mediale Aufmerksamkeit langsam aufgebaut werden, die Open Design-Projekte über ihre Diskursstärke und natürlich auch über ihre Vermarktbarkeit erzielen können.
Arduino als Benchmark Bei Arduino funktioniert das auf allen drei Ebenen. Der Spanier David Cuartielles hat mit einem internationalen Team für seine Studenten eine günstige Möglichkeit entwickelt, mit Microcontrollern zu arbeiten, indem er Hard- und dazugehörige Software nach dem Open Source-Prinzip zur Verfügung stellt. Mittlerweile wurden etwa 450.000 Stück dieser Steuerelemente verkauft. Cuartielles schätzt, dass weltweit insgesamt etwa 800.000 Controller im Umlauf sind, weil viele ihre eigenen Geräte nach Arduino-Plänen bauen. Viel mediale Aufmerksamkeit hat diese Open-Hardware vor allem für drei Projekte bekommen: Arduino-Steuerelemente stecken im spanischen Roboter, der 2010 die Roboter-Fußball WM gewonnen hat, in Geigerzählern, die nach der Atomkatastrophe in Fukushima Messdaten lieferten und im Zeichenroboter »Piccolo« von Greg Saul. Cuartielles ist manchmal selbst überrascht von der Größe, die seine Plattform mittlerweile erreicht hat. Über 70.000 Personen sind bei Arduino registriert, etwa 400 Developer tragen zur Weiterentwicklung bei und mehr als 50 Personen haben die Software kürzlich innerhalb einer Woche in fünf Sprachen übersetzt. Cuartielles legt besonderen Wert auf die lokale Verankerung. Die globale Verfügbarkeit der Baupläne und der Software wird durch Support und Initiativen vor Ort unterstützt, die gemeinsam an Projekten arbeiten und voneinander lernen.
Oberösterreich als Knotenpunkt Da setzt auch die Initiative in Oberösterreich an. In der Open Design-Region sollen die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden. Und dazu gehört eben nicht nur, dass Informationen frei verfügbar sind, sondern auch ein möglichst niederschwelliger Zugang zu Technologien und Produktionsmöglichkeiten. Diese Infrastruktur soll ein Community Lab bieten. Eine Wunsch-Location ist die ehemalige Tabakfabrik in Linz. Patrick Bartos sieht da mehrere Anknüpfungspunkte für die regionale Wirtschaft. Zum einen finden Start-ups und freie Initiativen ein Umfeld für ihre Arbeit vor, in dem sie ihre Ideen entwickeln können. Zum anderen gibt es Unternehmen in der Region, die die benötigten Produktionsmittel wie etwa Spritzgussmaschinen zur Verfügung stellen können. Und nicht zuletzt haben Handwerksbetriebe dort die Gelegenheit, sich mit Entwicklern auszutauschen. Damit sollte es auch möglich sein, handfeste Businessmodelle zu entwickeln. Das Idealbild wären dann oberösterreichische Konsumenten, die zum Beispiel beim lokalen Tischler Möbel bestellen, die in den Labs entworfen wurden.
Georg Russegger ist Leiter des Forschungs- und Entwicklungsprojekts »Ludic Interfaces« am Interface Culture Lab der Kunstuniversität Linz. Gemeinsam mit der Gruppe 5uper.net ist er für die künstlerische Leitung des Coded Cultures Festival verantwortlich. www.ufg.ac.at
Patrick Bartos ist Geschäftsführer der Creative Region Linz & Upper Austria, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Kreativschaffende gezielt zu unterstützen und die Region als Standort für Kreativindustrien zu positionieren. www.creativeregion.org
David Cuartielles ist Leiter des Electronics Laboratory an der Universität Malmö und Mitbegründer von Arduino, einem der erfolgreichsten Open Hardware Start-ups. www.arduino.cc.
www.open-design.at 043
Dieses Möbelstück wurde aus den Resten der Betten der jugoslawischen Volksarmee gefertigt. In Mailand war »Occupy!« eine der wenigen politischen Sitzgelegenheiten.
TexT PeTeR STUibeR Bild Dejana kabiljO, maRcanTOniO RaimOnDi maleRba, SchellinG & bORSbOOm
deSiGnmeSSe mailand — Meinung: Allzu bequem sitzen
das Sofa als Geschichtenerzähler 044 eine Branche inszeniert sich selbst: Die mailänder möbelmesse hat wieder gezeigt, in welchem Dilemma Design steckt, wenn es hauptsächlich um das Schöne geht. Ein subjektiver Besuchsbericht. Die Mailänder Möbelmesse, der wichtigste Designevent der Welt, stellt jeden April die italienische Metropole auf den Kopf. Am Messegelände rittern über 2.000 Aussteller um die Aufmerksamkeit des Publikums, dazu kommen unzählige Showrooms in der Stadt, Ausstellungen, Produktpräsentationen, Diskussionen – und Partys. Selbst wenn man dem ganzen Trubel skeptisch begegnet, ganz entziehen kann man sich dem Charme der schönen Welt nicht. Ein perfekt hergestellter Stuhl aus einer italienischen Manufaktur oder ein skandinavisches Holzmöbel machen einem schlagartig bewusst, dass das übliche Mobiliar zuhause mit Qualität soviel zu tun hat wie Supermarktfutter mit Slow Food. Das Problem dabei ist nur: Langsam geht es in Mailand selbst schon lange nicht mehr zu. Am liebsten wäre es den Anbietern, man würde jedes Jahr sein komplettes Mobiliar tauschen wie die Garderobe. Das würde der Möbelbranche, die schon seit Längerem – besonders in Italien – in der Krise steckt, gut tun. Es gibt allerdings auch in Mai-
land immer wieder Side-Events, die auf die problematischen Seiten der Design- und Konsumwelt hinweisen. Vor ein paar Jahren sorgte etwa eine Gruppe namens Recession Design mit Möbelentwürfen für Aufsehen, die jedermann ohne großen Aufwand selbst zuhause nachbauen kann, mit günstigem Material aus dem Bauhaus. Auf den Zug des Do-it-yourself sind vor allem junge Designerinnen und Designer aufgesprungen, aber seit die Krise selbst in die Krise gekommen ist, scheint das weniger Thema zu sein. Wie auch, man will ja Möbel verkaufen und nicht Bauanleitungen.
ASt im SchrAnK Noch immer »voll im Trend« ist allerdings das Thema Nachhaltigkeit – allerdings mit einer derartigen Penetranz, dass man Verdacht schöpfen muss: Wer 100.000 Euro für seine Küche ausgibt, der darf sein Gewissen damit beruhigen, dass wenigstens die Rohstoffe nachhaltig angebaut wurden oder die Metallteile später mal recycelt werden können. Schön, wenn man der Welt Gutes getan hat. Natürlich
Stauraum im Schwein. Das Regal »Sending Piggy« von Marcantonio Raimondi Malebra erinnert an die industrielle Fertigung von Schlachtvieh. wird auch entsprechend grün inszeniert: Die Anzahl der Pflanzen übertraf in Mailand bei mancher Präsentation diejenigen der Möbelstücke, dazu wurden Meditationsklangteppiche ausgebreitet oder Vogelgezwitscher aus der Konserve gespielt, es fehlte eigentlich nur noch eine Nackenmassage, um völlig wegzukippen vor lauter EinsSein-mit-der-Welt. Schräger geht’s natürlich auch, etwa dann, wenn unbehandelte Äste als Stehleuchten dienen oder ganz Schränke durchwachsen, um uns an Mutter Natur zu erinnern, so gesehen beim jungen Italiener Marcantonio Raimondi Malerba. Aber damit allein ist es natürlich noch nicht getan. Denn dem Konsumenten fehlt es nicht nur an Bodenständigkeit, er ist noch dazu geschichtslos geworden. Je mehr man kauft, desto weniger Bezug hat man zu den Dingen, ganz klar. Die Marketingstrategen haben das erkannt und verkaufen schon längst keine Produkte mehr, sondern Geschichten. So auch in der Möbelbranche. Das versuchten nicht nur die Berliner, die ihre Präsentation vor Ort »Instant Stories« nannten. In Mailand lief das Bemühen um Authentizität hauptsächlich auf zwei Arten ab. Entweder man drapierte um die neuen Entwürfe alte Gegenstände, hängte also etwa Pfannen oder Kochlöffel aus der Bauernstube in die Designerküche, um ihr damit Leben einzuhauchen. Oder man erzählte etwas über die Herstellung der Möbel, am besten in der Manufaktur. Bis zu einem gewissen Grad hat man das bislang natürlich immer getan, gerade die Italiener pochen ja mit Vorliebe zu Recht auf ihre geniale Handwerkstradition. Präsentiert wurde aber meist nur das fertige Produkt. Um diesem Aura zu verleihen, öffnet man jedoch immer öfter die Archive und lässt in die Werkstatt blicken. Der KunststoffmöbelGigant Kartell nannte seine heurige Show in Mailand bezeichnenderweise »Work in Project«, die Nobelmarke Zanotta zeigte ebenso wie der dänische Hersteller Fritz Hansen die Entwurfsskizzen aktueller Designer und die Bestandteile von Designerklassikern in Vitrinen, so als bräuchte der Produzent sie nur noch persönlich zusammensetzen, um ein Produkt mit Geschichte zu besitzen. Vielerorts hatte die Prä-
Der Rahmen macht’s – ein modernisiertes Bauernkästchen von Schelling & Borsboom. sentation etwas extrem Museales, um sich von der profanen Welt des bloßen Konsums abzuheben.
WOLLe im feDerKern Auch den experimentelleren Jungdesignern geht es um Geschichte(n). Sie versuchen immer wieder, das »Alte« und »Echte« in ihren Entwürfen nicht nur heraufzubeschwören, sondern auch zu integrieren. So etwa das niederländische Atelier Schelling & Borsboom, das jahrhundertealte Kästchen mit schlichten Rahmenkonstruktionen kombiniert, was irgendwie extrem schick aussieht und so gar nichts von Bauernmöbel-Ästhetik hat. Bezeichnender Titel des Entwurfs: »À la recherche …« Das hätte sogar Proust gefallen. Ähnlich das Linzer Duo March Gut, das im Nachwuchspavillon Salone Satellite eine Metallkonstruktion mit dem Namen »Geh’ Stell« präsentiert hat, in die man alte Platten einspannen kann und somit einen Tisch mit persönlicher Geschichte erhält: »Jeder kann sein liebstes Stück Holz einspannen und sich selbst verwirklichen.« Eine ganz, ganz andere Art von Geschichte hat die Wahl-Wienerin Dejana Kabiljo den Besucherinnen serviert: Wie schon im vergangenen Jahr ergatterte die experimentelle Designerin einen prominenten Platz direkt vor dem Eingang zum Temporary Museum for New Design (gelegen in der Zona Tortona, einem der Designviertel abseits der eigentlichen Messe). Dort stellte sie ausrangierte Betten aus dem Bestand der jugoslawischen Armee aus, auf die blanken Federkerne drapierte sie bunte Wollquasten. Aus der Ferne sah das aus wie Stacheldraht mit Punkten, beim Probesitzen erwiesen sich die zu Sitzmöbeln umfunktionierten Betten dann allerdings als überraschend komfortabel. Das Projekt nennt sich »Occupy!« in Anspielung an die aktuelle politische Protestkultur. Assoziationen und Fragen dazu fallen einem zur Genüge ein: Wie politisch kann Design sein? Was steckt unter der Oberfläche eines Möbels? Wie bequem haben wir es uns eingerichtet? Die Antwort lautet wohl: verdammt bequem. 045
Rodrigo Jorquera
Bundesvorstand der Piratenpartei
der wortwechsel. vier personen zur frage:
Es gibt eine Sehnsucht nach neuen Parteien, nach weniger Filz, weniger Korruption – insgesamt: einer Politik, die wir nachvollziehen können. Nicht nur in Deutschland setzen viele ihre Hoffnungen in die Piratenpartei. Doch: Welche Probleme könnten die Piraten überhaupt lösen? Die Situation ist keine neue: Die Politik steckt in der Krise. Die Medien schreiben vom Ruf der Leute nach neuen Parteien, nach weniger Filz, weniger Korruption, einer Politik, die sie nachvollziehen können. In Deutschland wird dieser Ruf gehört, die Piraten liegen in Umfragen teilweise vor Grünen, Linken und FDP sowieso. Dabei kennen sie noch nicht einmal ihr Programm. In Österreich stellt die Piratenpartei in Innsbruck immerhin bereits einen ersten Gemeinderat. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Weitere werden folgen – nicht nur, aber vor allem im urbanen Raum. Die etablierten Parteien verstehen die Welt nicht mehr. Da hat man sich all die Jahre redlich bemüht. Und dann taucht, wie aus dem Nichts, eine Partei auf – ohne erkennbares Programm, ohne charismatische Persönlichkeiten – und wird für ihr bloßes Dasein vom Wähler belohnt. Wenn überhaupt ein Thema erkennbar ist, dann bloß ein radikaler Freiheitsbegriff – geerdet, praktiziert und bedroht im Internet. Dabei beruht der Umgang (Kopfschütteln, Verwunderung) der etablierten Parteien womöglich auf einem großen Missverständnis. Man schreit »Monothematik!« und sieht nicht, dass es eigentlich um eine ganze Bandbreite an Themen geht. Auf eine denkwürdige historische Parallele deutet die Fehleinschätzung des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD) aus dem Jahr 1982 hin: »Ich glaube nicht, dass die Grünen auf Dauer existenzfähig sein werden. Diese Bewegung ist völlig unpolitisch, sogar politisch naiv.« Ungeachtet dessen stellt sich die Frage: Welche Probleme könnten die Piraten überhaupt lösen? Welche sollten sie lösen?. The Gap wird das Thema auf www.thegap.at weiterverfolgen.
dokumentation Thomas Weber & jonas vogt bild Julia Fuchs, Konrad Becker, Manuel Pulgar, privat
Welche Probleme können die Piraten überhaupt lösen?
»Echtzeit-Demokratie« — Offenheit, Transparenz und Partizipation: das sind Säulen auf denen die Piratenpartei basiert. Die Sehnsucht nach diesen Werten ist ein direktes Produkt der Politikerverdrossenheit, die die Abgehobenheit der bisher agierenden Parteien verursacht hat. Die unhinterfragte Akkumulation von Macht, die die eigentlichen Werte der christlich sozialen, sozialistischen und libertären Parteien als leere Hülsen hinterlassen hat und der eigentliche politische Diskurs, der zur Verbesserung der Lebensrealität jedes Einzelnen geführt werden sollte, ist zur populistischen Scheinkommunikation verkommen. Die direkte Reaktion auf diese Missstände ist das Aufkommen der Piratenpartei. Ebenso ist diese Neuentwicklung Bestätigung und Garant dafür, dass wir Piraten sehr viel erreichen können und werden. Wir sind eine politische Partei, die sich in erster Linie als Sprachrohr und politische Plattform der Bevölkerung Österreichs versteht. Somit muss die Frage, welche Probleme die Piraten lösen können, dementsprechend umformuliert werden: Welche Probleme kann die österreichische Bevölkerung lösen? Grundsätzlich sollen alle politischen Entscheidungen zum Wohl jedes einzelnen Bürgers beitragen. Die Problematik besteht darin, dass sich die etablierten Systeme mit aller Macht dagegen wehren, sich dem digitalen Zeitalter zu öffnen. Daraus resultieren die demokratischen Bruchstellen, welche wir heute erleben. Wenn die Piraten mithilfe der Bevölkerung eine »EchtzeitDemokratie« erschaffen können, werden wir gerüstet sein, jede Herausforderung mithilfe der Schwarmintelligenz zu meistern. Die etablierten Parteien müssen aus ihrer Angststarre befreit werden und freiwillig Platz machen für das Volk. »We are the 100 %« – auch wenn das einige politische Vertreter gerne vergessen. Ohne Konsens und Niederreißen ideologischer Barrieren werden wir nicht den Weg in ruhigere Gewässer finden. Die Zeit ist reif für den Übergang. Rodrigo Jorquera, 32, ist Bundesvorstand der Piratenpartei und arbeitet als selbstständiger IT-Manager in Wien.
Ingrid Brodnig
Juliane Alton
Konrad Becker
journalistin
Geschäftsführerin IG Kultur Vorarlberg
NETZKULTURVETERAN
»Nicht viel zu erwarten von ›Piratenwapplern‹?« — Heinz-Christian Strache minus vier Prozent. Das BZÖ versäumt den Einzug ins Parlament. Das wäre doch ein schönes Wahlergebnis! Wenn es die Piraten schaffen, sich als neue Anlaufstelle für die Protestwähler zu etablierten, dann könnten sie den Rechten die Stimmen abtrünnig machen. So sieht das Best-Case-Scenario aus. Viel mehr sollte man sich von den Piraten aber nicht erwarten, schon gar nicht inhaltlich. Die Partei gibt es schon seit 2006, an der politischen Debatte nimmt sie aber bisher nicht teil, ebensowenig findet man ein echtes Parteiprogramm online. Ein riesiger Fehler, denn die Netzpolitik wird immer wichtiger. Online werden derzeit zentrale Bürgerrechte ausverhandelt, das Verhältnis von Staat, Firmen und Bevölkerung neu ausgelotet. Auch die Leute interessieren sich immer mehr für ihre Rechte im Internet, das führen etwa die Proteste rund um ACTA vor, dem umstrittenen internationalen Anti-PiraterieAbkommen. Doch wo bleiben die Piraten bei dieser Debatte? Man weiß es nicht. Ihr Programm, ihre Führungsfiguren sind unbekannt. Und trotzdem würden sechs Prozent der Bürger für die Piraten stimmen, sagt eine aktuelle Gallup-Umfrage im Auftrag der Tageszeitung Österreich. Das zeigt, wie verzweifelt die Bevölkerung sein muss, wie sehr sie sich nach einer politischen Alternative sehnt. Und zwar nach irgendeiner. Das ist die wahre Leistung der Piraten. Sie jagen den etablierten Parteien – inklusive Grüne – Angst ein. Diese können es jetzt nicht mehr leugnen: Sie stecken echt in der Bredouille, wenn ihnen sogar die Piratenwappler Wähler wegschnappen.
»Konzept der Liquid Democracy ist bestechend« — Das mühsame Werden der Piraten als politische Gruppierung zeigt vielleicht ein innovatives Element für demokratische Organisationsformen. Die Restriktionen des Urheberrechts sind nur ein Auslöser für den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung. Eher können die Piraten im Feld der Demokratiereform etwas bewegen. Das Konzept der Liquid Democracy ist bestechend und übt eine große Anziehungskraft auf Menschen aus, denen die Organisation unseres Zusammenlebens nicht egal ist, die Ideen und Fähigkeiten besitzen, die sie gerne teilen und nutzbar machen. Die repräsentative Demokratie stößt an eine Grenze der NichtBeteiligung, die für viele nicht mehr akzeptabel ist. Die Frage ist, ob die Piraten ein Organisationsmodell entwickeln können, das alle Menschen einbindet und nicht zu einem Zensuswahlrecht auf Basis digitalen Kapitals führt. Entscheiden nur mehr jene, die sich im Netz gut artikulieren, wäre dies eine gesellschaftliche Rolle rückwärts.
»Neue Strategien unverzichtbar« — In Österreich wurde als erste Reaktion auf den Erfolg der Piraten nur von einer Juxpartei gesprochen. Doch die von Politik- und Marktversagen geprägten Probleme, die den Wunsch nach Alternativen begründen, sind durchaus real. Die verengte Perspektive und mangelnde soziale Kompetenz der Piraten ist oft schockierend, das Verständnis kultureller Praxis erschreckend gering. Aber traditionelle Parteien haben die Herausforderungen digitaler Informationsgesellschaften entweder sträflich vernachlässigt oder per Law-and-Order-Wahn amtsbehandelt. Das politische Establishment zeigt sich den neuen Herausforderungen nicht gewachsen. Private Lobbys erkaufen sich Einfluss und arbeiten gegen Interessen der Öffentlichkeit. Niemand braucht digitale Lynchmobs, aber neue Strategien demokratischer Öffentlichkeit sind unverzichtbar. Denn neue Formen der Wissensorganisation schaffen gefährliche Ungleichgewichte in Umgebungen, die nicht nur mediatisiert, sondern zunehmend automatisiert sind. Der Trend steuert zu den Untiefen des Informationsfeudalismus, steigender Marktkonzentration und zentralisierter Macht durch dezentrale Kontrolle. Kontrollgesellschaften stehen aber in Widerspruch zum offenen Austausch von Kultur und Bildung als kollektive Ressource. In einer solch kritischen Situation ist Problembewusstsein Teil der Lösung. Schon weil Protest hierzulande meist nach rechts abdriftet, bleibt nur Mast- und Schotbruch zu wünschen – und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel …
» Die wahre Leistung der Piraten: Sie jagen den etablierten Parteien – inklusive Grüne – Angst ein.« (Ingrid Brodnig)
Juliane Alton, 46, ist Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg und arbeitet für die Grüne Bildungswerkstatt Vorarlberg. Die Dokumente der schwedischen Piraten kennt sie im Original.
Konrad Becker, 53, ist Mitbegründer von World-Information.Org und forscht im Bereich Kultur und neue Technologien. Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen, zuletzt – gemeinsam mit Martin Wassermair »Nach dem Ende der Politik« im Löcker Verlag.
Ingrid Brodnig, 27, ist Redakteurin der Wiener Stadtzeitung Falter. Ihr Fokus: Netzkultur. Sie twittert unter @brodnig
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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Andreas Greif, 50, Spielzeughersteller
Jeder feiert gerne. Und auch, wenn das mit dem Fasching so eine Sache ist, Andreas Greif macht damit sein Geschäft. Er verkauft Spaß – ob an Kinder in Form von selbst hergestelltem Spielzeug, oder an Erwachsene durch Kostüme unterschiedlichster Art. Seit 1948 gibt es seine Werkstatt schon, ein von der Großmutter gegründeter Kostümladen. Eine »Du musst aber später das Geschäft übernehmen«-Sache war das allerdings nicht, denn machen wollte er das eigentlich schon immer. Andreas Greif steht allerdings nicht den ganzen Tag in der Werkstatt und schnitzt Holzpuppen. Sein Tagesgeschäft besteht heute eher aus Wareneinkauf, Buchhaltung und Verwaltungsaufgaben. Selbst produziert wird natürlich auch noch: Holzbogen, Federkopfschmuck, Tomahawk, Trommeln, Polizei- und Schaffnermützen sind im Sortiment und stehen auch zum Export bereit. Einiges wird schon seit 40 Jahren hergestellt. Am besten gefällt dem 50-Jährigen übrigens, dass er Produkte verkauft, durch die der Spaß auf Partys leichter in Schwung kommt.
bild Sebastian Freiler dokumentation jana lapper
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Lisa Kortschak, 36, Künstlerin
Lisa Kortschak ist zwar noch Studentin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, nimmt aber bereits regelmäßig an internationalen Ausstellungen und Projekten teil. Vor allem Musik, Sound und Performance haben es ihr angetan. Neben ihrer Band Tankris hat sie zum Beispiel letztes Jahr für das Brut Wien, zusammen mit zahlreichen anderen Künstlern, einen surrealistischen Film vertont. Ihr aktuelles Projekt »Der Goldene Klang« beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld zwischen Bühne und Publikum: Im Großen Musikvereinssaal wurde über einen digitalen Flügel ein 45-minütiges Klavierstück vorgetragen. Der Clou dabei: Das Publikum und der Pianist hörten die Musik lediglich über In-Ear-Kopfhörer, der Flügel war dabei auf stumm geschalten. Die Dokumentation dieser Situation, bei der nur die körperlich erzeugten Geräusche der Zuhörer und des Pianisten aufgezeichnet wurden, wird gleichzeitig Lisas Diplomarbeit sein. Wenn das geschafft ist, würde sie nach dem Studium gerne mehr oder weniger gut von ihrer Kunst leben können und maximal eine 15-Stundenwoche haben, um sich den wichtigen Dingen des Lebens zu widmen: Kunst, Musik und in die Luft schauen.
Gründerserie Lookk No 22 von Andreas Klinger.
»Super fucking awesome, man!« Andreas Klinger über die permanente Show und Fassade einer Internet-Start-up-Szene, in welcher Erwartungen über Realitäten gestellt werden.
H
ow are things going?« »Pretty fucking awesome, man. Couldn’t be better currently. We are really excited how things are going. Interest is growing and traction is getting better and better and we are in the process of adjusting to all the new opportunities.« Mit anderen Worten: heiße Luft. Es gibt eigentlich nichts Sinnloseres, als einen Start-up-Gründer nach der aktuellen Lage seines Unternehmens zu fragen, vor allem, wenn es schlecht läuft, denn es ist sowieso alles perfekt, egal wie unsicher die Zukunft ist oder wie sehr man einen guten Rat brauchen würde. Die Menge an heißer Luft, die in diesen Szenen produziert wird, sollte ausreichen, um die Menschheit aus der Abhängigkeit vom Atomstrom zu befreien. Die Tatsache, dass scheinbar jeder sein eigenes Start-up hat, macht das Ganze auch schön basisdemokratisch und »Start-up« nachhaltig zum Unwort unserer Generation.
Und wie läuft’s wirklich?
»hey Bro …« In Central Europe sind wir ja noch fast zu bescheiden. Internationale Unternehmer sind regelmäßig überrascht, wenn wir nach einer gewonnenen 20-Euro-Bier-Wette nicht bereits von »Post-Revenue« sprechen oder wir mit Customers eigentlich immer »paying customers« meinen. Aber auch hier in Europa wird gedampft, was das Zeug hält. Start-up-Network-Events und Szenetreffs sind für mich einige der realitätsfernsten Orte, die es gibt. Räume gefüllt mit testosteron-getriebenem Balzverhalten. Herr und Frau Start-Upper reden von Zukünftigem in superlativen Vergangenheitsformen. Und irgendwie nennen mich zu viele Leute »Bro«.
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Seifenblasen Als klassischer Wiener mit Raunz und Schlechtrednertum tief in meinen Genen bin ich mir stets ein wenig unsicher, wie viel von dieser Seifenblaserei wirklich Sinn macht. Start-ups agieren am Markt der Erwartungen, bis sie sich am realen Markt bewiesen haben. Markterwartungen hält man mit gutem Buzz oben und Vorschusslorbeeren für potenzielles zukünftiges Wachstum gibt’s frei Haus. Man sollte daher nur Positives kommunizieren, oder? Und so stets Buzz und Hype oben halten. Man will ja nicht, dass sich jemand Sorgen macht.
Wir haben letzte Woche unser halbes London-Office gekündigt. Zusätzlich dazu das Wiener Office abgedreht und das NYC Office auf Eis gelegt. Simpler Grund: Wir wollen bei unserem Produkt nochmal Schwung holen und dafür brauchen wir eine Fokusphase. Dass Leute entlassen nicht immer Panik bedeutet ist paradox und glaubt mir keiner in dieser Szene. Geld haben wir genug und die Dinge laufen, aber eben nicht auf der Skala, wo wir es gerne hätten. Wir haben uns also entschlossen, uns wieder einmal einzusperren und das Produkt zu überarbeiten – auf Kundenwunsch hin. Und damit der Fokus möglich ist, wird vorerst alles andere abgestoßen. Leute feuern ist immer unangenehm, aber das Produkt zu refokussieren ist wirklich super fucking awesome, man! Wie viel von diesem Text heißer Dampf oder die gelebte Wahrheit war, wird sich in den nächsten Monaten herausstellen.
Andreas Klinger @andreasklinger
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Prosa von Tina Fey
wie knackt man eine männerbastion? wie die amerikanische comedy-szene? tv-star tina fey erzählt in ihrer autobiografie unaufdringlich unterhaltsam, wie sie dies angestellt hat.
Wer ist hier der Boss? mir doch egal, ob dir das gefällt (einer von vielen liebesbriefen an amy poehler) • Amy Poehler war neu bei der Show »Saturday Night Life, SNL«, und wir drängelten uns alle im Autorenraum des siebzehnten Stockwerks, weil die Mittwochs-Leseprobe anstand. Im Autorenzimmer wurden immer lautstark Stehgreifeinlagen zum Besten gegeben. Amy machte gerade mit Seth Meyers, der ihr gegenüber am Tisch saß, irgendeinen Unsinn und riss dabei so etwas wie einen Witz. Ich weiß nicht mehr genau, wie er ging, nur, dass er schmutzig und laut und »undamenhaft« war. Jimmy Fallon, den man wohl als den damaligen Star der Show bezeichnen kann, wandte sich zu ihr um und sagte gespielt empfindlich: »Hör auf! Das ist nicht nett! Das gefällt mir nicht.« Amy unterbrach sich, ihr Blick verfinsterte sich, und dann fuhr sie zu ihm herum. »Mir doch egal, ob dir das gefällt, verdammt.« Jimmy war geschockt. Aber Amy erzählte ihren Witz einfach weiter. (Hier sollte ich anmerken, dass Jimmy und Amy sehr gut befreundet waren und sich nie ernsthaft anmotzten. Auch nicht, was Penis-Witze angeht.) Mit diesem Schlagabtausch fand eine kosmische Kräfteverschiebung statt. Amy machte klar, dass sie nicht bei SNL war, um nett zu sein. Sie war nicht da, um Ehefrauen und Freundinnen in den Männerszenen zu spielen. Sie war da, um zu machen, was sie machen wollte, und es war ihr verdammt egal, ob es irgendwem gefiel. Ich war wirklich froh. Mir schoss sofort durch den Kopf: »Ich habe hier eine Gleichgesinnte! Ich habe hier eine Gleichgesinnte!« Obwohl bei der Show für mich alles super lief, fühlte ich mich mit Amy weniger allein. Daran denke ich jedes Mal, wenn jemand zu mir sagt: »Jerry Lewis findet Frauen nicht witzig«, oder, »Christopher Hitches findet Frauen nicht witzig«,
oder, »Rick Fenderman findet Frauen nicht witzig … Willst du dazu einen Kommentar abgeben?« Ja: Es ist uns scheißegal, ob es euch gefällt. Das spreche ich natürlich nicht aus, weil sich Jerry Lewis als großer Wohltäter engagiert, weil Hitchens sehr krank ist, und den dritten Typ habe ich sowieso erfunden. Solange keiner dieser Männer mein Chef ist, und das ist keiner von ihnen, spielt es keine Rolle. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen, denn es ist unheimlich arrogant zu denken, nur weil dir irgendetwas nicht gefällt, wäre es tatsächlich nicht gut. Ich mag die chinesische Küche nicht, aber deshalb versuche ich noch lange nicht den Beweis zu erbringen, dass man sie vergessen muss. Daher lautet mein ungefragter Rat an Frauen am Arbeitsplatz folgendermaßen: Wenn Sie mit Sexismus, Altersdiskriminierung oder womöglich aggressivem Buddhismus konfrontiert sind, stellen Sie sich die Frage: »Steht diese Person zwischen mir und dem, was ich vorhabe?« Wenn die Antwort nein lautet, ignorieren Sie diesen Menschen und machen Sie einfach weiter. Sie nutzen Ihre Energie besser, wenn Sie sich auf Ihre Arbeit konzentrieren und dadurch solche Leute hinter sich lassen. Wenn Sie erst einmal das Sagen haben, stellen Sie niemanden ein, der Ihnen jemals blöd gekommen ist. Wenn die Antwort ja ist, ist die Sache schon schwieriger. Ich schlage vor, dass Sie Ihre Strategie nach dem alten Sesamstraße-Film »Darüber! Darunter! Mittendurch!« gestalten (Wenn Sie unter Vierzig sind, erinnern Sie sich vielleicht nicht an diesen Film. Darin wurden die Begriffe »darüber«, »darunter« und »mittendurch« erklärt, indem man Kleinkinder zeigte, die auf einer stillgelegten Baustelle herumkrabbelten. Der Film wird nicht mehr ausgestrahlt, weil inzwischen auch andere draufgekommen sind, wie bescheuert er war.) Wenn Ihr Chef ein Idiot ist, sollten Sie versuchen, auf seiner Ebene oder darüber
jemanden zu finden, der kein Idiot ist.* Wenn Sie Glück haben, gibt es an Ihrem Arbeitsplatz ein neutrales Gelände, auf dem Sie sich beweisen können – vielleicht wie einen Schießstand, wie das Ranking der Verkaufserfolge in einem Autohaus oder die SNL-Leseprobe. Konzentrieren Sie sich darauf. Nochmal: Verschwenden Sie Ihre Energie nicht damit, Meinungen ändern zu wollen oder Umerziehungsversuche zu starten. »Darüber! Darunter! Mittendurch!« heißt die Parole. Die Meinungen ändern sich auf ganz natürlichem Weg, wenn Sie erst mal das Sagen haben. Oder auch nicht. Wen interessiert das? Machen Sie Ihr Ding und kümmern Sie sich nicht darum, ob es den anderen gefällt.
erinnerungen an die zeit, in der ich sehr sehr dünn war • Für eine kurze Zeit um die Jahrhundertwende war ich sehr dünn. Folgende Erinnerungen habe ich an diese Phase. • Mir war immer kalt. • I ch besaß kurze Cord-Shorts in Größe 34. Die ich auch trug. Zur Arbeit. Mitten in Manhattan. • I ch fand es herrlich, wenn die Leute mir sagten, ich würde zu dünn. • E inmal nahm ich eine Tüte mit roten Paprika-Stücken als Snack mit an den Strand. • I ch verzehrte regelmäßig Kekse aus dem Reformhaus, die so widerlich waren, dass Rachel Dratch, als ich ihr einmal begeistert einen anbot, einen Hasen zeichnete und den Keks zu einer Spur kleiner Stücke zerbröselte, die aus dem Hintern des Hasen kam. • M änner, die ich schon länger kannte, bedachten mich auf einmal mit Aufmerk-
samkeit … und ich hasste sie dafür. • Manchmal musste ich mir zum Schlafen ein Kissen zwischen die Beine klemmen, weil mich das Klappern meiner knochigen Knie vom Schlafen abhielt. • Ich hatte viel Zeit, weil ich so gut wie nie aß. • Ich rannte an sechs Tagen in der Woche drei Meilen auf einem Laufband. • Ich fühlte mich allen wunderbar überlegen. • Ich hatte noch kein Kind. Wir sollten den Leuten ihr Gewicht selbst überlassen. Eine Weile dünn zu sein (vorausgesetzt, Sie nehmen weiterhin Nahrung auf und werfen dafür keine Tabletten ein oder rauchen gar) ist als Zeitvertreib absolut in Ordnung. Jeder sollte es mal ausprobieren, genauso wie einen superkurzen Haarschnitt oder ein Date mit einem Weißen.
ad personam: Tina Fey
Gerne wird die US-amerikanische Schauspielerin und Drehbuchautorin Tina Fey als »lustigste Frau im Universum« tituliert. ein Superlativ, den man durchaus auch mal so stehen lassen kann. Oder auch nicht, dann sollte aber anständig diskutiert werden. egal. Die 42-jährige startete ihre comedian-laufbahn jedenfalls im warmen nest als autorin bei »Saturday night live, Snl« und avancierte 1999 zur ersten chefautorin des Formats. ihre erfahrungen in dieser männerbastion verarbeite sie zum Sitcom-hit »30 Rock«, in dem sie auch gleich die hauptrolle übernahm. Dafür gab es zahlreiche auszeichnungen. mit »bossypants – haben männer humor?« (Rowohlt Polaris, ab 1. juni) veröffentlicht die begnadete komödiantin und zweifache mutter ihre autobiografie, die einblick in Privatleben und berufsalltag gibt und stellenweise durchaus auch als subtiles feministisches manifest gelesen werden kann. MANFRED GRAM
* Gibt es auch Arbeitsplätze mit hundertprozentiger Idiotenbesetzung? Sicher. Ich würde mich strikt weigern, mit Wall Street-Börsianern oder den Frauen zu arbeiten, die für die Umkleidekabinen im DesignerSchnäppchenjägerparadies Filene’s Basement zuständig sind.
Erinnerungen an die Zeit, in der ich ein kleines bisschen fett war • Für eine kurze Zeit zum Ausgang des letzten Jahrhunderts war ich übergewichtig. Folgende Erinnerungen habe ich an diese Phase. • Meine Titten waren größer. • Einmal verließ ich ein Restaurant noch während des Nachtischs, um rechtzeitig zu Krispy Kreme zu kommen, bevor sie schlossen. • Obwohl ich bei McDonald’s nur die Pommes mag, hielt ich es für nahrhafter, zu einem ganzen Menü aufzurunden und dazu noch zwei Cheeseburger zu essen. • An wirklich ehrgeizigen Tagen holte ich mir einen Junior Whopper bei Burger King und ging dann zu McDonald’s, um die Pommes dazu zu kaufen. Woher der Shake kam, war mir egal. • Ich konnte keine Meile rennen. • Ich trug Männer-Overalls in Übergröße, die ich liebte. • Männer, mit denen ich befreundet war, wollten kein Date mit mir … und ich hasste sie dafür. • Zu mindestens drei Gelegenheiten übergab ich mich an Heiligabend, weil ich Schokolade, frisch gepulte Shrimps, Bratwurst und Käse durcheinander gegessen hatte. Alkohol war nicht beteiligt. • Ich war stolz auf die Vorstellung, dass ich die Maße einer »echten Frau« hatte. »Größe 40 ist der nationale Durchschnitt«, gab ich an, »egal, was euch die Zeitschriften weis machen wollen.« • Als ich einmal meine Unterwäsche bügelte, verbrannte ich mir meinen hervorstehenden Bauch mit dem Bügeleisen. Wir sollten die Leute in Ruhe lassen, was ihr Gewicht angeht. Eine Zeit lang pummelig zu sein, ist eine natürliche Lebensphase (vorausgesetzt, Sie ziehen sich keinen Diabetes zu) und nichts, wofür man sich schämen muss. Wie die Pubertät oder die langsame Verwandlung in einen Republikaner.
super-fi.eu
A B HIER : RE Z EN S O NEN
Traxman Da Mind Of Traxman (Planet Mu / Trost)
Liebesgrüße aus Windy City
BILD Planet Mu
Seit zwei Dekaden pumpt Traxman den Dance-Underground mit virtuosem Ghetto House voll und war so nebenbei Wegbereiter für die Evolution von Footwork. »Da Mind Of Traxman« spricht zwar die Sprache der Chicagoer Musikgeschichte, aber in einem völlig neuem Dialekt. Auch wenn sein Name vielen in unseren Breitengraden nichts sagt, Cornelius Ferguson aka Traxman hat in Nerd-Kreisen schon fast so etwas wie Legendenstatus. Seit mittlerweile 20 Jahren streichelt er seine MPC und releast seine Musik auf renommierten Labels wie Dance Mania. Er gründete die Geto DJz Clique und ist neben den abgefeierten DJs Rashad und Spinn auch ein Teil der Ghetto Teknitianz. Mike Paradinas aka µ-Ziq ist einer dieser Nerds, denen Traxmans Tracks orgasmusähnliche Schauer über den Rücken jagen. Guter Nebeneffekt dabei ist, dass Paradinas mit seinem Label Planet Mu auch gleich das neue Album von Traxman veröffentlicht. Schöner und passender könnte diese Fügung nicht sein. Das britische Label hat sich schon vor Jahren von seiner Breakcore-Vergangenheit emanzipiert. Seither war Planet Mu nicht nur für den Siegeszug von Dubstep mitverantwortlich, vor allem kann es sich damit rühmen, Footwork aus seinem Chicagoer Ghetto befreit und in europäische Ohren injiziert zu haben. Die Bombe lässt Planet Mu allerdings erst jetzt mit »Da Mind Of Traxman« platzen. Ein Mann und seine MPC kämpfen gegen Genre-Grenzen. Zwar schwingt die HouseGeschichte Chicagos bei der Musik von Traxman immer mit, aber dieser verschmiert gekonnt Zeit und Stile. HipHop-artiger Funk wird von synkopischer Percussion angeheizt, verhallte Soundscapes werden von peitschenden Claps zerschnitten, Acid-House flirtet mit Jazz und Juke, Uptempo-Footwork-Tracks werden mit herzerwärmenden, souligen Deep House-Chords grundiert – egal, welche Sounds Ferguson in den Arbeitsspeicher seiner Maschinen lädt, er konjugiert deren Einzelteile neu oder deutet sie gleich zur Gänze um. Groove-technisch ist Traxman sowieso mit zwei funky legs und ebensolchen Ohren gesegnet. Aus den hyperaktiven Sounds und polyrhythmischen Beats schälen sich immer wieder neue Grooves heraus und werden mit dem Besten, was das Sample-Universum zu bieten hat, angereichert. Selbst wenn Traxman von Hand angetriggerte Vocal-Schnipsel wie »Conq Dat Bitch« oder »It’s Crack« über eine deepe, verjazzte Chord-Folge schlunzt, begeistert er damit. Die Musik von Ferguson atmet zwar den Spirit der staubigen Straßen von Chicago, aber im Hintergrund sitzt ein Klangmeister, der seinen Stücken eine musikalische Tiefe einhaucht, die Tanzmusik im Normalfall nicht so schnell streift. Der Dance-Chronik wurde ein Meilenstein geschenkt. 09/10 Max Zeller 057
Rez
Cold Specks I Predict A Graceful Expulsion (Mute)
Durch Mark und Bein I am a goddamned believer: Doom-Soul zwischen Religiosität und Rebellion. Soll man Musik daran messen, wie innovativ sie ist – oder doch daran, wie sehr sie in Gehör und Herz eindringt? Bei Ersterem müsste man die kanadische Band Cold Specks beharrlich ignorieren. Ihr Debüt »I Predict A Graceful Expulsion« ist wie eine Kaleidoskop-Schau in die Vergangenheit. Ihre Songs liegen im schwarzamerikanischen Blues und Soul genauso stark verankert wie in der idealistischen New Age-Folkästhetik der späten 60er. »I am a goddamned believer«, singt Frontfrau Al Spx auf der Single »Blank Maps«, und meint das verdammt ernst. Das Lied ist wie eine Brücke, hinter deren Enden Religion und Rebellion lauern – in einem Album, das als Bühne dient, auf der die beiden Pole immer wieder zusammenstoßen: Das Hymnische liegt irgendwo im Himmlischen verborgen. Der Soul ist allerdings nicht immer vom heiligen Geist beseelt. Warum Cold Specks ihre Musik als »Doom Soul« bezeichnen, wird auf Tracks wie »The Mask« oder »Elephant Hand« deutlich: Die agnostischen Kapitel des Albums geben sich als brüchiger, spröder Folk, der mehr an Beth Gibbons denn an Soul-Diven wie Mahalia Jackson erinnert. Wenn Spx in Tracks wie »Winter Solstice«, »Holland« oder »Send Your Youth« den Gospel fast ganz ablegt, verschiebt sich die Wahrnehmung auf traditionelle Folk-Bausteine: Die Band spielt weltlicher, zelebriert dabei altgediente Auflehnungs- und Freiheitsgestiken und untermauert diese mit allzu intentionaler Protestsong-Poetik. Die dabei entstehende Nostalgie gibt sich nicht einmal die Mühe, retro-kontemporär zu wirken. Dass diese Musik 2012 dennoch unverschämt begeistern kann, ist vor allem der Stimme der 23-jährigen Al Spx zu verdanken. Ihr tiefer, rauer und klarer Vibrato geht durch Mark und Bein, ist voller Seele und füllt den Raum. Country-Gitarren, Cello, Saxofon und ein sich hymnisch hochschaukelndes Schlagzeugspiel geben der Stimme den nötigen Spielraum, um sich von engmaschigen musikalischen Landkarten abzugrenzen. Al Spx singt den Blues, als ob er für sie geschaffen worden wäre. Die Gospel, Blues und Folk-Elemente erfinden das Rad nicht neu, fügen den Songs aber vielschichtige Schattierungen zu, die »I Predict A Graceful Expulsion« zu einem lohnenswerten Debüt erheben. 07/10 Michael Kirchdorfer 058
m us i k
Fehlfarben Xenophonie (Tapete)
Immer noch Monarchie, immer noch Alltag Zehn Jahre nach ihrer dauerhaften Reunion mit »Knietief im Dispo« legt die deutsche Punk/Wave-Institution eine zwingende neue Songsammlung vor. Mit ungleich lauteren Marketing- und Medienfanfaren veröffentlichen zeitgleich zwei »größere« deutsche Bands, die ebenfalls mit Punk im weitesten Sinne zu tun haben, neue Alben: Erfüllen Die Toten Hosen die Funktion der geraden, aufrechten Michels mit (rest-)kritischem Bewusstsein und einer diffus »rebellischen« und moralischen Haltung, also das Modell »Rock«, so sind Die Ärzte spielerischer, schwerer festzunageln, also Pop. Bleibt den Fehlfarben Punk, weniger im Sinne eines Sounds, mehr als die vielfältige Idee der fortgesetzten künstlerischen und reellen Reibung an den Verhältnissen. Was die Fehlfarben nahe an in einem verwandten Geist nachgekommenen Bands wie Blumfeld oder Tocotronic verortet. Janie J. Jones, wie Sänger und Texter Peter Hein nach einem TheClash-Song wirklich heißt, völlert verbal mit Gusto und Esprit in einer aus den Fugen geratenen Welt. »Was passiert in Bankenland? / Wann werden Banken wieder niedergebrannt? / Hört hier wer einen Aufruf zur Gewalt? / Bleibt nach der Revo die Küche kalt?«, vokalisiert er in »Lang genug«. Dann bläst Frank Fenstermachers Saxofon zum kollektiven lustvollen Zweifel – als gelte es Klang und Geist von »Monarchie und Alltag«, jenem brillanten Album, auf das die Fehlfarben gerne reduziert werden, ins Hier und Jetzt zu holen. »Der Widerspruch / Der Widerspruch / Der Widerspruch tut jedem Leben gut / Im Widerspruch / Im Widerspruch / Da lebt es sich noch mal so gut«, singt Janie ein Lied weiter in »Richtig in falsch (NFS)«, bevor er – der rheinische Schalk des in Wien lebenden Sängers ruht selten – noch ein Lied weiter treffend das »Hygieneporzellan« lobt und preist. In nur fünf Tagen in den legendären Hansa Studios in Berlin mit Produzent Moses Schneider eingespielt, sind auch Uwe Jahnke (Gitarre), Michael Kemner (Bass), Pyrolator (Keyboard, Elektronik) und Saskia von Klitzing (Schlagzeug) in großer Form, was die vierzig Minuten und elf Lieder zu einem gekonnt querulanten, aber nie verbiesterten Vergnügen macht. 07/10 rainer krispel
Rez
Friends Manifest! (Lucky Number)
Bezüge auf Umwegen
BILD Jim Anderson, Julia Hoppen, Cooperative Music, Audiolith
Die New Yorker Band Friends formt auf ihrem Debütalbum die Trends der jüngeren Vergangenheit zu einem beinahe schon endgültigen Pop-Statement. Die Band Friends wird dereinst unter dem Begriff »Post-Brooklyn« in die Geschichtsbücher eingehen oder auch als Jumping-The-Shark-Moment im New Yorker Hipster-Musik-Kontinuum erinnert werden – also als jener Augenblick, der für gewöhnlich in Fernsehserien den Zeitpunkt markiert, ab dem das Publikum beginnt das Interesse zu verlieren und der Trend nach unten weist. Das Quintett um Sängerin Samantha Urbani schöpft auf seinem Debütalbum in einer so unbekümmerten Art und Weise die Signale des Zeitgeists von vor sechs Jahren ab, dass man stutzig wird. Friends sind eine Gruppe, die sich nicht mehr direkt auf die originalen Disco-Funker der späten 70er wie Liquid Liquid oder ESG zu beziehen scheint, sondern schon ausdrücklich über den Umweg über deren Widergänger aus den Nullerjahren: das LCD Soundsystem oder !!!. Wo einst abenteuerlich und durchaus radikal Soundwelten verknüpft wurden oder dies immerhin einmal ausprobiert wurde, stützen sich Friends auf eine längst schon wieder etablierte Pop-Strategie. Also rasseln und klopfen Friends auf »Manifest!« munter drauf los, sie schlagen die Percussions, lassen den Bass elastisch schnalzen und überlagern Synthie-Pop mit Informationen von Dub, Tropicalia und diversen Weltmusiken. Friends just want to make you dance! Friends verhalten sich zu all den Pop-Weiterdenkern der jüngeren Vergangenheit, die weirden Experimentalismus catchy in Form gebracht haben oder – andersherum gedacht – immer wieder diesen einen tollen Hook oder diese eine nie im Leben wieder zu vergessende Melodie in die wildeste Klangforschung geschleust haben, in etwa so wie sich die – heute noch – fesche Band Duran Duran zu New Wave verhalten hat. Vielleicht soll man aber auch wieder einmal daran erinnert werden, dass Duran Duran nicht immer schon bloß das Fleisch gewordene Klischee zur Ironisierung von 80er-Jahre-Klamotten und -Frisuren gewesen sind, sondern auch mindestens – mit ihrem Album »Rio« – eine richtig feine Platte mit sehr guten Songs drauf aufgenommen haben. 07/10 Philipp L’heritier
m us i k
Frittenbude Delfinarium (Audiolith)
Raven wegen Deutschland Heimatlos und Spaß dabei: Ernstzunehmende linke Tanzmusik aus dem Hause Audiolith, die dritte. Überzeugt trotz Befindlichkeitslyrik. Die politische Linke hat, was Dancefloor-Fragen angeht, ein Imageproblem. Sie gilt als humorlos, verkniffen und eher diskurs- denn tanzflächenorientiert. Das ist nicht ganz fair, denn auch Antideutsche und Marxisten feiern ab und zu ganz gerne. Im Booklet einer Rantanplan-Platte findet sich ein schöner Satz, quasi die Blaupause für progressive Tanzmusik aus diesem Spektrum: »Wenn die Revolution nicht tanzbar ist, sind wir nicht dabei.« Dem Hamburger Label Audiolith ist es vor allem mit seinem Flagschiff Egotronic gelungen, exakt das auf ein neues Level zu heben: Musik, die Politik mit dem Arsch versöhnt. Nun darf man zu Recht die Frage stellen, worin sich »Raven gegen Deutschland« vom ganz normalen Raven unterscheidet, wenn die Locations, die Bässe und die Drogen dieselben sind. Es ist dieses grundlegende Attitüdeproblem, an dem auch »Delfinarium« ein wenig krankt. Aber nicht falsch verstehen: Das dritte Frittenbude-Album ist gut. Ziemlich gut sogar. Und vor allem abwechlungsreich. Das Rezept bleibt grundsätzlich dasselbe: Electro-Pop bzw. auch mal Electro-Punk mit Sprechgesang, den man immer noch mögen muss, um mit der Platte warm zu werden – Frank Spilker und Schorsch Kamerun lassen grüßen. Frittenbude klingen auf »Delfinarium« mal nach den frühen Streets, mal nach The Rapture, und natürlich schimmert Egotronic vor allem bei Electro-Brecher wie »Erlös dich von dem Schrott« durch. Es gibt auch immer wieder leicht gitarrenlastige Tracks. Aber gerade ein Track wie »Deutschland 500« (»Hallo Deutschland! Du fühlst dich immer noch so deutsch an!«) zeigt dann doch den Unterschied zu Bands wie den Goldenen Zitronen. Für die waren Kapitalismus und Deutschland noch Feinde, bei Frittenbude stören sie eher auf der Ebene der Befindlichkeiten. Wie ein Montagmorgen, an dem die Zahnpasta aus ist. Man kann dieses flaue Gefühl aber mit Spaß bekämpfen. Raven wegen Deutschland halt. Das beste Stück auf »Delfinarium« ist »Zeitmaschinen aus Müll«, das ruhig vor sich hin treibt wie einst Blumfelds »Verstärker«. Das Stück ist übrigens ein Abgesang auf die hedonistische, studentische Linke. Na bitte – da soll ihnen nochmal jemand Humorlosigkeit vorwerfen! 06/10 Jonas Vogt 059
Rez
Fostercare Altered Creature (Robot Elephant)
Me And My Drummer The Hawk, The Beak, The Prey (Sinnbus / Rough Trade)
Hate Parade Wenn das tote Kind von Seapunk und Witch House mit Deleuze unterm Arm von Afterhour zu Afterhour zieht. Fostercare wirkt ziemlich ausgedacht. Die Schlüsselreize sind verlockend und machen misstrauisch. Denn immerhin führte das Strohfeuer rund um das Meme »Seapunk« im Jänner vor, wie man im Jahr 2012 einen Hype zündet und sehr, sehr schnell wieder abwürgt. Wenn Medien plötzlich nur mehr davon reden, was Tumblr ist und warum ein Hashtag implodiert, hat man etwas falsch gemacht. Als Band liegt das dann meistens an der Musik. Während Seapunks vor allem durch türkise Wasserwelten, blaue Haare und 90er-JahreRave-Grafik auffielen, ist das bei Fostercare ein bisschen anders. Dabei hat Fostercare bereits bei Disaro Material veröffentlicht – jenem Label, das für Witch House mitverantwortlich war. Und von diesem Mikrogenre blieb ja schon einmal nicht viel mehr übrig als ein paar fantastische Tracks und der Umstand, dass man jetzt einige Sonderzeichen wie †, ∆ oder ∞ schneller auf der Tastatur findet. Rund um Fostercare vermeidet man deshalb tunlichst, die beiden ungleichen Zombiegeschwister Witch House und Seapunk zu erwähnen. Fostercare muss man vor diesem Hintergrund dennoch als PRKunstprojekt mit Musikanteil betrachten. Wer ist sich mit den Begriffen Deleuze, Porno und Post-Humanismus an die Öffentlichkeit wendet, hat es auf Subkultur-Geschichtsschreiber abgesehen. Und prinzipiell ist es nicht einmal die schlechteste Idee, Gewalt und Werbung eng zu verknoten. Cyberspace-Techno bringt dabei die inneren Widersprüche einer Massenkultur wie sonst nichts zum Klingen. Das Raver-Paradies auf den Siegeralleen, in den Fabrikhallen, den Gasometern, totale Affirmation für freie Körper – was da Anfang der 90er auf der Love Parade passierte und in einer Unterführung in Duisburg endete, war der vergebliche Versuch, im einzig verbliebenen System des Kapitalismus Erlösung zu finden. Was dieser Produzent aus Minneapolis namens Fostercare nun daraus macht, bringt diese scharfe Ambivalenz auf den Punkt. Rave-Arpeggi, Trance-Wabern, Big Beat Horror und E Culture kommen unter einem Groove zusammen, um das Ende eines Traums besinnungslos zu feiern. Auch wenn »Altered Creature« teilweise schmerzhaft klingt, als Statement ist das jetzt gerade richtig. 07/10 Stefan Niederwieser 060
m us i k
Powerballaden Drei sind eins zu viel? Im Falle von Me And My Drummer ergeben Stimme, Keyboards und Drums eine Ménage à trois, die bestens funktioniert. Bei diversen Theateraufführungen, die sie berufsbedingt mit Musik untermalten, lernten sie einander kennen, die zwei Blondschöpfe Charlotte Brandi (Me) und Matze Pröllochs (My Drummer). Irgendwann schließlich beschlossen sie, gemeinsam abzuhauen und ihre eigenen Stücke zu schreiben, zu singen und zu spielen – bedauerlich für die Theaterkollegen, hocherfreulich für den Rest der Welt. Wie schön und wandelbar ihre Stimme ist, beweist die Dortmunderin Charlotte Brandi bereits ganz am Anfang des Albums. Mühelos durchquert sie aufwendige Sphären zwischen mädchenhafter Leichtigkeit, wie sie sonst nur eine Leslie Feist auf derart bezaubernde Art zustande bringt, und erdigem Soul, der sogar Lana Del Rey ein klein wenig alt aussehen lässt. Vergleiche mit den großen weiblichen Stimmen unserer Zeit sind so unausweichlich wie auch verdient. Chan Marshall und Lykke Li etwa wären bestimmt entzückt von Perlen wie »You’re A Runner« oder opulenten Powerballaden wie »So Foreign«. Begleitet werden die sympathischen Stimmkulissen von sprunghaften Keyboards, welche von romantischem Geklimper bis hin zu poly glotten Tonfolgen reichen und sich dabei trotzdem immer perfekt in die intelligenten Songstrukturen einzubetten scheinen. Und vom oftmals eigenwilligen Schlagzeugspiel von Matze Pröllochs, welches sich besonders bei »Heavy Weight« in ungewöhnlichen Beat- und Rhythmusregionen herumtreibt. Die so entstehenden Klangkonstrukte sind Songs, deren Aufrichtigkeit und erfrischend spannende Eigentümlichkeit Welten kreieren, in die man gerne tiefer eintauchen möchte, die man geduldig absorbieren möchte, die trotz ihrer instrumentalen Reduktion und stimmlichen Fragilität eine musikalische sowie gefühlsbedingte Intensität und Dichte schaffen, die immer wieder gefällt – Durchlauf für Durchlauf. »The Hawk, The Beak, The Prey« ist eine dieser Platten, die passenderweise mitten im Frühling erscheint, die jedoch Emotionen hervorruft, die einem, wie auch die einzelnen Titel selbst, das ganze restliche Jahr über in schönster Erinnerung bleiben werden. 07/10 Nicole Schöndorfer
Rez
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Santigold Makers Of My Make-Believe (Warner)
Hört mal … Signale!
BILD Robot Elephant, Sinnbus Records, Warner Music
Santigold klingt nicht mehr so einzigartig. Eine fantastische Single und der Shuffle-Button helfen darüber locker hinweg. »Disparate Youth« ist der Höhepunkt … aber was für einer. Ja, da steckt etwas von »Plans For Nigel« von XTC drin, anderswo Gwen Stefani und M.I.A. überhaupt. Wenn man aber gerade den zweiten Klassiker geschrieben hat, kann der Rest eines Albums schon einmal an den Erwartungen scheitern. Immerhin ist die Liste der Kollaborateure lang, Reaktionen gedämpft. Dabei liegt der eigentliche Fehler des zweiten Albums von Santigold in der Reihung der Songs. Das dramatische, martialische »God From The Machine« passt mit seinen Schicksalschören und Blechtrommeln besser vor ein Finale als in den ersten Akt. »The Keepers« wäre als mühelose, äußerst gut gelaunte Untergangshymne eine zwingende Single. Ist sie nicht. Und mit »Look At These Hoes« und »Big Mouth« sind zwei Groove-Glanzstücke ganz am Ende des Albums versteckt. Zudem verliert Santigold zur Mitte des Albums mit drei Songs auf mittlerem Tempo an Schärfe und Spannung. Dabei hatte doch auch das Debütalbum schon einige Zwischenspiele, an die man sich nicht mehr erinnert. Auf dem Nachfolger fallen sie viel stärker auf. Die Lösung heißt Shuffle. Das Wunderwerk digitaler Play-Technik bringt Zwischentöne und Klangspektrum von Santigold immer neu, immer anders zum Schwingen. Genau dieses Spektrum war damals, 2008, ziemlich aufregend. Gemeinsam mit M.I.A. und Ebony Bones mischte sie die Soundbanken von Dancehall, Indie, Moombahton und Electro durcheinander. Heute ist dieser kreolische Musikmix ganz oben im Pop angekommen, bei Beyoncé und Rihanna. Dort wird er auch bleiben; aber der Novelty-Effekt ist dahin. Was Santigold weiterhin besonders macht, ist ihre verschleppt-coole Art zu singen – Call and Response mit sich selbst. Und nur wenige andere trauen sich gesellschaftspolitische Statements mitten im Scheinwerferlicht, versuchen die diffusen Gefühle eines »Wir« in Worte zu bringen. Und dann ist da eben die Single »Disparate Youth«: eine späte Hymne für Occupy, ein selbstbewusster Schlachtruf für eine neue Zeit. Genau, was wir brauchen.
Shared Resources Vom Mehrwert des Teilens Keynote Felix Stalder: „Teilen als Paradigma der (Netz-)Kultur“
24.05.2012 – Empfang 18:00h – Start 18:30h MarxPalast (Media Quarter Marx) Maria Jacobi Gasse 2, 1030 Wien Eine der effizientesten und ressourcenschonendsten Formen des Zusammenlebens sind Smart Cities. Die Infrastrukturen dieser Städte und Regionen sind darauf ausgelegt, den Ressourcenbedarf pro Bewohner auf ein Minimum zu reduzieren. Zu dieser rein technischen Ebene kommt aber auch eine soziale und ethische Komponente – und zwar die des Teilens. Car- oder Desksharing am Arbeitsplatz waren da erst der Anfang. In Zukunft werden wir uns intensiver mit anderen koordinieren müssen – in unterschiedlichsten Lebensbereichen. Besitzen wird vielfach durch (Be-) Nutzen abgelöst. Netzkultur, Open Source Software oder Technologien wie Cloud Computing liefern bereits viele Beispiele, welchen Mehrwert das Teilen bringen kann. Da twenty.twenty dieses Mal im Rahmen der Konferenz SmartWeb.Vienna stattfindet, sind wir auch nicht in der gewohnten Location, sondern im MarxPalast (Media Quarter Marx). Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussionsplattform Zukunftsszenarien einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.
06/10 Stefan Niederwieser
www.twentytwenty.at | www.facebook.com / exploring2020 | www.twitter.com / exploring2020 061
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dave aju heirlooms (Circus Company) — Dave aju bringt die Familienjuwelen zum Schimmern auf seinem zweiten album. Deephouse-Vererbungslehre mit herz. 07/10 JOHANNES PILLER
mUSiK
Hier lesen Sie über 0,00000000001% unseres Musikangebotes.
Garbage not Your Kind of people (Stunvolume) — Das Quartett rund um Shirley manson feiert am Rande der mainstream-Pop-Gesellschaft ein gelungenes comeback. 06/10 GERALD C. STOCKER
Florian horwath Tonight (Stereo Deluxe) — Der Songwriter mit dem hippiesken einschlag hat vor den aufnahmen seines jüngsten kum-ba-yah-liedguts leider vergessen, seine Gitarre zu stimmen. 02/10 MICHAEL HUBER
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damon albarn dr. dee (Parlophone) — Der ausflug von blur-Frontmann albarn in die historienmusik ist trotz wirrem konzept immerhin nicht so schlimm wie die von Sting, Tori amos oder Paul mccartney.
Bunny lake The Sound of Sehnsucht (Universal) — Der anfangs raffinierte Disco/Pop-hybridSound des Vorzeige-electroPop-Duos wurde ausgehöhlt, kaltgestellt und die überreste links liegen gelassen. 03/10 KEVIN REITERER
05/10 STEFAN NIEDERWIESER
The Beth edges Blank Coins, Round dice (Acute) — Der beherzte indierock der jungen österreichischen band hat durchaus seine lichten momente – und ein ausgeprägtes Faible für coldplay. 05/10
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erstes wiener heimorgelorchester ütöpie (Monkey) — intelligente Texte mit literarischem anspruch treffen auf simpel gestrickte bontempibeats. Das ist hörenswerter, als man glauben möchte.
hans im Glück hans im Glück (Gran Depot / Couch) — Das wiener Duo produziert fetzigen Party-Pop zwischen ironie, exzentrik und Poesie, der sogar Dornröschen aus dem Tiefschlaf gerissen hätte. 07/10 NICOLE SCHÖNDORFER
huoratron Cryptocracy (Last Gang) — wie erwartet kann der vollbärtige exot der metal-electro-Szene die geballte energie seiner DjPerformances nicht überzeugend auf albumlänge umsetzen. 04/10 JAKOB BOUCHAL
extra life dream Seeds (Africantape) — atmosphärische insemination – extra life pflanzen mal behutsam, mal emphatisch ihren Traumsamen in unsere Ohren. etwas befremdlich und gruselig – aber auf die gute art.
Richard hawley Standing on The Sky’s edge (Parlophone) — nach ein paar ruhigeren alben lässt der nordenglische Songwriter mit Pulp-Vergangenheit diesmal zwischendurch auch mächtig die Gitarren krachen.
norah Jones little Broken hearts (EMI) — Die marken-Samtstimme lässt sich von Danger mouse neu einkleiden: mit einem dicht gewebten kleid aus feinen, nicht allzu dringlichen ideen. 06/10
07/10 NICOLE SCHÖNDORFER
07/10 GERALD C. STOCKER
07/10 GERALD C. STOCKER
dana Buoy Summer Bodies (Lefse) — mit nichts anderem als Songwriting birgt Dana buoy einige Perlen aus einer toten idee namens laptop-mPc-chill-Tropicalia. 06/10 STEFAN NIEDERWIESER
MANUEL FRONHOFER
dean Blunt & inga Copeland Black is Beautiful (Hyperdub) — andere arbeiten ihre Skizzen bitte gefälligst aus, bei diesem hyperdub-Duo aber hat das Unfertige System. ihre Traum-Geschichten aus dem laptop deuten Schönes nur an. 07/10 STEFAN NIEDERWIESER
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The dandy warhols This machine (Naive) — Dandys still rule, Ok? – wuchtige Saitenhiebe, mürrische arroganz und ein paar fetzige electro-elemente. Darunter steht ganz klar Dandy warhols – mit drei Rufzeichen! 07/10 NICOLE SCHÖNDORFER
Tolga Fidan Rogue (Vakant) — Der ewig Getriebene findet zwischen controllertürmen und Gitarrensaiten den perfekten Unterboden für sein lP-Debüt. 07/10 KEVIN REITERER
MICHAEL HUBER
Aber warum über neue Alben lesen, wenn man sie gleich hören kann?
Kwes meantime (Warp) — Der selbstproduzierende Singer-Songwriter mit bastlerhändchen fabriziert experimentelles, das man ganz scharf im auge behalten sollte. 08/10 JULIANE FISCHER
phon.o Black Boulder (50Weapons) — Phon.os album-einstand auf 50weapons bietet ein famoses licht/Schatten-Spiel für Ukbass-afficionados, Dub-Techno-Raver und Soul-Schwärmer. 07/10 KEVIN REITERER
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lee Ranaldo Between The Tides and The Times (Matador) — lee pendelt relaxed zwischen countryeskem Soft-Rock und typischen alternative-/indieSettings. Sonic-youth-anklänge sind erlaubt, willkommen und vorhanden. 07/10
Teen daze all of us, Together (Lefse) — Vorboten dazu gab es einige lobenswerte, jetzt ist die erste lP da. mit der zeit stieg auch der Synthetikanteil und futuristische kaugummiblasen schweben an der Diskodecke. 06/10
various artists 10 Years of Boxer (Boxer) — eine label-compilation mit stilvollem minimal, Tech-house und einigen gut dazupassenden ausritten ins Gitarrenland. 05/10 THOMAS WIESER
JULIANE FISCHER
DAVID MOCHIDA KRISPEL
liars wixiw (Mute) — auf ihrem sechsten album lassen die liars den Ozean elektronisch rauschen – wohlfeil zwar, jedoch weitestgehend unaufgeregt und unaufregend. 06/10 PHILIPP L’HERITIER
principles of Geometry Burn The land & Boil The oceans (Tigersushi) — ein kombinat aus meditativ dahingleitenden Parts und abrupten melodiewechseln, das man auf vier brauchbare Tracks einkochen könnte.
Mit Deezer unlimitiert Musikstreamen. 15 Mio. Songs Auch ohne Internetverbindung nutzbar Streamen und downloaden
Rufus wainwright out of The Game (Universal) — maestro wainwright als selbstreflexiver, sich gegen die allzu rasanten modernitätsmuster sträubender Songwriter im 70er-jahre-Vintage-kleid. 08/10 JOHANNA STÖGMÜLLER
05/10 SANDRA BERNHOFER
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mystery Jets Radlands (Rough Trade) — Das USaalbum der britischen Dandy-Pop-helden tut sich mit blues und benzin schwerer, als man vermuten konnte. einige fruchtbare missverständnisse gibt es dennoch.
Quakers Quakers (Stones Throw) — Drei Produzenten + eine armee Rapper = großartige collage. wer große innovationen braucht, sollte allerdings woanders suchen. 7/10 JONAS VOGT
06/10 STEFAN NIEDERWIESER
Spring leads You home Tonight letters of The lost (Popup) — je mehr musiker auf der bühne stehen, desto größer die Gefühle – das konzept von SlyhT funktioniert offensichtlich. hat es bei arcade Fire ja auch schon. entzückend.
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The 2 Bears Be Strong (Southern Fried) — wenn zwei hot-chip-mitglieder einfache Partymusik produzieren, hüpfen sie in bärenkostüme und singen sogar über das Tier. 05/10 MORITZ GAUDLITZ
Jack white Blunderbuss (XL Recordings) — nach den recht verzichtbaren, eindimensionalen Dead weather legt jack white ein überzeugendes Solodebüt mit 13 klassesongs vor. ein Großer! 08/10 RAINER KRISPEL
06/10 NICOLE SCHÖNDORFER
off! off! (Vice) — keith morris (black Flag, circle jerks) weiß, wie Oldschool-hardcore-Punk zu klingen hat. nämlich so, als ob die letzten drei jahrzehnte nicht stattgefunden hätten. 06/10 WERNER SCHRÖTTNER
masha Qrella analogies (Morr) — es ist einfach Rockmusik. Und noch dazu ist es die so ziemlich bescheidenste und feinste und funkelndste des jahres, die wir hier von der berliner musikerin verabreicht bekommen.
Squarepusher ufabulum (Warp) — alter iDm-held präsentiert sich in guter Form und protzt auf seinem angestammten Territorium mit seinen überlegenen Superkräften. 07/10 THOMAS WIESER
Tu Fawning a monument (City Slang) — was Tu Fawning anfassen, zerfällt zu Grabesstaub, diesmal durchsetzt mit flirrenden Goldsprengseln in Synthie-Form. Dunkel und exzentrisch bleibt es aber. 06/10 SANDRA BERNHOFER
Zulu winter language (PIAS) — Das junge englische Quintett demonstriert auf seinem Debüt GefühligkeitsPop mit Synthie-Tupfern. klingt wie fast alles. 05/10 PHILIPP L’HERITIER
08/10 PHILIPP L’HERITIER
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01/10 GROTTiG 02/10 SchlechT 03/10 naja 04/10 Ok, PaSST eh 05/10 GUTeR DURchSchniTT 06/10 SehR GUT 07/10 SUPeR 08/10 ein TOP-albUm DeS jahReS, GenRe-klaSSikeR 09/10 abSOlUTeS meiSTeRweRk
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Rez Offroad (von Elmar Fischer; mit Nora Tschirner, Elyas M’Barek, Max von Pufendorf, Tonio Arango, Thomas Fränzel) — Meike ist die Tochter des Marktführers für Rasenmähersäcke und die nachfolgende Chefin des Familienunternehmens. Dementsprechend wenig aufregend und unglamourös gestaltet sich ihr Dasein in der Vorstadt. Als sie einen kleinen Ausbruch aus ihrem Leben starten will, ersteigert sie bei einer Auktion einen Proll-Jeep samt Rinderhörnern auf dem Kühlergrill. Im Kofferraum des Wagens findet sie 50 Kilo Kokain. Plötzlich scheint ihr die Freiheit nicht mehr so fern wie zuvor. Es folgt eine vorerst unfreiwillige Komplizenschaft mit Salim, einem jungen Türken, der sie vor Schlägern rettet und eine halb-lustige Verfolgungsjagd mit den kriminellen Eigentümern des Drogenschatzes. Als Roadmovie wirkt »Offroad« recht sympathisch, auch wenn man sich im Laufe des Films langsam die Frage stellt, ob Nora Tschirner, als Mauerblümchen auf der Suche nach ihrer Freiheit, und Elyas M’Barek, der eh harmlose Proll-Türke, das Sujet des ungleichen Paares damit nicht schon totgespielt haben. 06/10 Teresa Reiter Projekt X (von Nima Nourizadeh; mit Thomas Mann, Oliver Cooper, Jonathan Daniel) — Der klassische US-Teenie-Spaß: Drei 17-jährige, sogenannte HighschoolLoser möchten eine Wahnsinns-Party schmeißen, um so endlich beliebter zu werden. Das Ganze gerät jedoch außer Kontrolle und die Jungs bekommen mächtigen Ärger. Obwohl der Plot nach einer weiteren langweiligen und vorhersehbaren Komödie klingt, steckt doch mehr dahinter. Immer neue Wendungen überraschen einen bei dieser »Party des Jahrhunderts«, auch wenn mit Klischees und Sexismus dabei nicht gespart wird. Die jungen, noch gänzlich unbekannten Hauptdarsteller machen ihre Sache gut und überzeugen als planlose, unsichere Heranwachsende, die nur dazugehören wollen. Das Besondere des Films ist aber nicht nur seine Story, sondern vor allem auch sein Mockumentary-Stil. Das ist natürlich für dieses Genre überaus passend, wird aber leider nicht ausreichend stringent durchgeführt und verliert stattdessen auf Dauer seinen Reiz. Regie-Neuling Nima Nourizadeh gibt in »Projekt X« einen sehr expliziten Einblick in das Party-Leben reicher US-Teenager und überrascht damit. Doch an einigen Stellen schießt der Film übers Ziel hinaus und lässt vieles einfach nur absurd bis lächerlich wirken, aber leider nicht wirklich witzig. 03/10 Lena Nitsch Stillleben (von Sebastian Meise; mit Fritz Hörtenhuber, Christoph Luser, Daniela Golpashin, Roswitha Soukup, Anja Plaschg) — Was, wenn plötzlich Unsagbares ans Licht kommt: Der Familienvater ist pädophil. Verzweifelt hält er fest an seiner Vorstellung von der – mittlerweile erwachsenen – Tochter. Sebastian Meise setzt dem, was Markus Schleinzer mit »Michael« vorgelegt hat, noch ein Doppeltes drauf und dreht das Drama »Stillleben« (und zeitgleich die Doku »Outing«). Der Film schleicht sich ins ländliche Familienidyll ein, zerstört dieses mit einem Schlag und sieht zu, wie die Geschehnisse sachte aber dringlich entgleisen. Die wortkarge Momentaufnahme erschließt weder Motive noch Hintergründe, sondern stellt lediglich zur Schau. Was der Film schuldig bleibt, sind nicht nur Antworten – denn er kommt beileibe auch ohne aus, sondern vor allem Fingerspitzengefühl. Mit realitätsfernen, artifiziellen Dialogen stützt sich »Stillleben« etwas zu sehr auf die Sprengkraft der Thematik an sich. Szene-Bonus: Soap & Skin als Prostituierte und Sir Tralala im Selbsthilfe-Sesselkreis. 06/10 Artemis Linhart 064
Film
Kairo 678 (von Mohamed Diab; mit Boshra Parwani, Nelly Karim, Nahed El Sebaï)
Obstmesser auf der Linie 678 Dass ungestört mit dem Bus fahren nicht überall eine Selbstverständlichkeit ist, zeigt Mohamed Diabs »Kairo 678«. Hingegen durchaus eine Alltäglichkeit: sexuelle Belästigung. Das Regiedebüt eines der bekanntesten Drehbuchautoren Ägyptens entpuppt sich als aufgeschlossenes Episodendrama. Drei Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stehen im Fokus des Films. Sie sind keine Ausnahmen, sondern stehen vielmehr exemplarisch dafür, dass sexuelle Übergriffe Frauen und Mädchen aller Gruppen betreffen. Im Autobus ist Fayza (dargestellt von Boshra Parwani, Multi-Star der arabischen Welt und Produzentin des Films) tagtäglich Opfer des »Zitronentests«: Mit der Frucht in der Hosentasche tastet sich der Mann im überfüllten Bus an eine Frau von hinten heran. Im seltenen Fall einer Reaktion kommt das Obst-Alibi zum Tragen. Ansonsten folgt ein intimer Übergriff. Es geht um das Ausbrechen aus der Schockstarre, um gezieltes Agieren. Die Frauen wählen jeweils ihre individuellen Verteidigungswaffen: Während Fayza das Messer zieht, zieht Nelly (Nahed El Sebaï) vor Gericht – als erste Frau in der Geschichte des Landes. Prekär: Beide Taten werden auf ähnliche Weise dämonisiert. Retrospektiv stuft Regisseur Diab die Notwendigkeit einer Revolution beim Betrachten seines Films, der vor dem Arabischen Frühling gedreht wurde, als relativ offensichtlich ein. Der Film zeigt realistisch und einfühlsam die Situationen der Frauen in all ihrer Vielschichtigkeit. Weiters stellt er Folgendes ein für alle mal klar: Sexuelle Belästigung hängt nicht ursächlich mit der Kleidung der Frau zusammen. Betroffen sind selbst Hijab-Trägerinnen. Das und vieles mehr kann sich die Welt nun hinter die Ohren schreiben. Mohamed Diabs These ist: Die Frauen werden Siegerinnen sein. So repräsentiert der Film nicht nur ein positives Frauenbild geprägt von Selbstbestimmung und Stärke, sondern endet auch mit einer hoffnungsvollen Note. The times they are a-changin' und was die Welt braucht, sind mehr Männer wie Diab, die bereit sind, die Scheuklappen abzulegen. 09/10 Artemis Linhart
Rez
Film
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„Eine mittelschwere Sensation: ‘Hamlet Sein’ ist die beste Wiener Theateraufführung seit Monaten.“ Kurier
Tomboy (von Céline Sciamma; mit Zoé Héran, Malonn Lévana, Jeanne Disson, Sophie Cattani, Mathieu Demi)
Geheimnis eines Sommers In »Tomboy« erzählt Céline Sciamma auf wunderbar leichtfüßige Art von Geschlechteridentität als Coming-of-Age-Problematik. Auf der Berlinale 2011 gab es dafür den »Teddy Jury Award«. Eine neue Stadt – ein neuer Anfang, das denkt sich auch die zehnjährige Laure (Zoé Héran), als sie mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester umzieht. Es sind die ersten Tage der Sommerferien und Laure beginnt ihre neue Umgebung zu erkunden. Bald schon lernt sie andere Kinder aus der Nachbarschaft kennen. Diese halten das burschikose Mädchen mit den strubbeligen Haaren und den kurzen Hosen für einen Jungen. Doch Laure klärt den Irrtum nicht auf. Das Mädchen hadert mit ihrer Geschlechtsidentität: sie fühlt sich als Junge, was sich auch in ihrem Auftreten und in ihrer Kleidung manifestiert. Unter dem Namen Mikaël taucht sie fortan voll und ganz in einen perfekten Sommer als Junge ein. Zwischen Wettkämpfen im Wald, Fußballspielen, Raufereien und Wasserschlachten bringt dies aber auch so manche Herausforderung mit sich. Während ein selbst modellierter Plastilin-Penis für die nötige Beule in der Hose beim Baden im See noch ausreicht, gestaltet sich das Pinkeln im Stehen am Rande des Fußballfeldes schon schwieriger. Dass zwischen Mikaël und dem Nachbarsmädchen Lisa (Jeanne Disson) auch noch die erste Liebe aufkeimt, macht die Sache ebenfalls nicht leichter. So rückt das Ende der Sommerferien und damit der Schulanfang unaufhaltsam näher. Und der verheißt Aufklärung, schließlich weist die Namensliste der Schüler keinen Mikaël auf – nur eine Laure. »Tomboy« ist ein Kinderfilm im besten Sinne. Leichtfüßig und humorvoll, doch stets authentisch bringt Regisseurin Céline Sciamma die Unbeschwertheit des Kindseins und die Wirrnisse des Erwachsenwerdens auf den Punkt. Dabei begibt sie sich zwischen grün strahlenden Wäldern und grauen Treppenhäusern ganz auf Augenhöhe mit ihren jungen Protagonisten. Ohne jegliche Eile beobachtet sie in sonnendurchfluteten Handkamerabildern die Kinder bei ihren Spielen und Wettkämpfen, ihren Ritualen und Streitereien. Immer wieder schimmert dabei auch die Brüchigkeit dieser kindlichen Idylle durch, in der Kleinigkeiten zu gefühlten Katastrophen anschwellen können, wenn sie von der Gruppe nicht toleriert werden. Eingebettet in diese Coming-of-Age-Geschichte verhandelt Sciamma fast nebenbei das Thema Geschlechteridentität und überzeugt in einem außergewöhnlichen Film (gleichwohl einem vergleichbare Werke wie »XXY« von Lucía Puenzos ebenso in den Sinn kommen wie »Fucking Åmål« von Lukas Moodysson). 08/10 Andreas Kössl
8 Mai bis 5. Juni 2012, 20
Uhr
„Um das Textkonzept kann jede Großbühne das TAG beneiden.“ Wiener Zeitung „Ein tolles, dichtes Theatererlebnis: geistreich, komisch und wo nötig, sogar tragisch … zu Recht spendet das Publikum donnernden Applaus.“ Falter
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AUSSERDEM IM MAI
REN BENTLEY FAH ai 2012, 20 Uhr 21. bis 23. M
VIF-CUP 2012
12, 20 Uhr
31. Mai bis 2. Juni 20
Tickethotline: 01/586 52 22 oder mail@dasTAG.at Onlineticket: www.dasTAG.at
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Introducing Lena Dunham
Jagdszenen in Niederbayern (Kino Kontrovers) von Peter Fleischmann; mit Martin Sperr, Angela Winkler, Hanna Schygulla auf DVD
Die ersten Episoden von Lena Dunhams neuer HBO-Serie »Girls« wurden beim SXSW Festival vorab gezeigt und sorgten für allerhand Nachhall. Während ihr Film »Tiny Furniture« (2010) noch tapsig die Grenzen von Originalität und Affektiertheit auslotete und dabei eher reizlos ausfiel, scheint Lena Dunham mit »Girls« langsam in die Schuhe der ernstzunehmenden Drehbuchautorin und Regisseurin hineinzuwachsen. Vielleicht ist es auch das Serienformat, das ihre Rolle begünstigt, zumal sie in ihrer Arbeit stets das Episodenhafte der menschlichen Existenz unterstreicht. Zentrale Motive ihrer Auseinandersetzung sind die post-universitäre Sinnsuche, Perspektivenlosigkeit und allumfassende Malaise. Dabei geht es ihr nicht in erster Linie um eine Verkörperung starker Frauen-(Vor)bilder (nach wie vor eine Ausnahme in Film und Fernsehen), sondern um reale, greifbare Charaktere. Was sie erreichen will ist die Normalisierung einer Fernseherfahrung für Mädchen und Frauen, die Trost, Zuspruch und Aufmunterung in einem Programm finden, mit dem sie sich identifizieren können. Dunhams Charaktere sind alles andere als vorbildlich. Sie sind voller Fehler und schlechter Entscheidungen. Und trotzdem werden sie zurechtkommen. »Girls« kommt ohne Intrigen à la »Gossip Girl«, ohne Fels in der Brandung in Form eines Bubentrios à la »New Girl« aus. Die vier Frauenfiguren der Serie haben nicht nur einander, sie veranschaulichen auch: man ist letztlich auf sich selbst angewiesen – und das ist durchaus ok. Zwar steht der Vorwurf einer recht exklusiven Darstellung einer weinerlichen Generation weißer, privilegierter Kids sehr berechtigt im Raum. Dennoch steht die Daseinsberechtigung ihrer Arbeit außer Frage. Obwohl HBO die Serie für Teenager als tendenziell ungeeignet erachtet, ist dies jene Zielgruppe, für die »Girls« besonders ins Gewicht fallen könnte. Mit Lena Dunham ist HBO auf dem richtigen Weg. Und es besteht wieder Hoffnung für Frauen am TV-Schirm.
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TEXT Artemis linhart BILD Wikimedia
Justified – Staffel 1 (Sony) mit Timothy Olyphant, Joelle Carter, Nick Searcy auf DVD und Blu-ray
Skins (Telllyvisions / Al!ve) von Bryan Elsley, Jamie Brittain; mit Dakota Blue Richards, Sebastian de Souza, Sean Teale, Freya Mavor auf DVD
Sommer in Orange (Filmladen) von Marcus H. Rosenmüller; mit Amber Bongard, Georg Friedrich auf DVD
DVD
1969 sorgte Peter Fleischmanns Verfilmung des Theaterstücks von Hauptdarsteller Martin Sperr nicht nur in Bayern und Deutschland für Aufsehen. Adam ist Mechaniker und schwul. In seinem bayrischen Heimatort Unholzing wird er damit zum Außenseiter und als die Bewohner mitbekommen, dass er die als Hure verschrieene Hannelore geschwängert haben soll, kommt es zu Auseinandersetzungen, bei denen Adam selbst zum Gewalttäter wird. Fleischmanns Fokus liegt naheliegend weniger auf einer stringenten Erzählung, sondern mehr auf der Atmosphäre und dem gar nicht so unterschwelligen Brodeln. Das ergibt großartige, mitunter harte, manchmal absurde Szenen, in denen das kräftige Spiel der (Laien-)Darsteller mehr als nur überzeugt. Als Extra gibt es auf der DVD nicht nur ein Interview mit Peter Fleischmann, sondern auch Szenen von der Filmpremiere, in denen viele Besucher über die Darstellung Bayerns erzürnt sind. Dabei geht es natürlich nicht um Bayern – und letztlich auch nicht um 1969. 08/10 martin mühl Weil U.S. Marshall Raylan Givens (Timothy Olyphant) nach einem tödlichen Schusswechsel eine weitere Leiche auf seinem Konto zu verbuchen hat, wird er von Florida in sein Heimatkaff Lexington, Kentucky strafversetzt. Die wenig originelle Prämisse birgt ob der Konfrontation der Hauptfigur mit ihrer Vergangenheit genügend Konfliktpotenzial. Hinzu kommt eine durchwegs überzeugende und vielschichtige Charakterzeichnung. »Justified« basiert auf den Werken von Kultautor Elmore Leonard. Klar, die Figuren eingehend zu beleuchten braucht seine Zeit, weshalb vor allem die ersten Folgen eher an eine Art Case of the Week erinnern, doch sobald die Serie richtig in Schwung kommt und sich die übergeordnete Story herauskristallisiert, schnalzt das Suchtpotenzial steil nach oben. »Justified« ist eine gelungene Mischung aus Neo-Western, Crime und Drama mit ironischen Kommentaren und spritzigen Dialogen. Wie immer: Am Besten im Original. 08/10 Volker Müller Sie masturbieren, sie kotzen im Rausch, sie vernachlässigen die Schule, sie sind widerspenstig und haben längst eine TV-Serie verdient, die ihrem Lebensstil gerecht wird. Die britische Serie »Skins« gibt Teenagern und anderen Publikumsgruppen seit einigen Jahren, was nötig ist: ein glaubwürdiges Fernsehformat. Der Sender Channel 4 nimmt seine Jugendlichen ernst, spielt mit ihnen und übertreibt ihre Allüren des Übermuts mit einem Witz, der auch über drei Staffeln hinweg nicht langweilig wird. Die Sprache wirkt ungeschönt, die Charaktere sind an den richtigen Stellen überzogen und die Schauspieler direkt aus den hormongetränkten Kinderzimmern gerissen. Außerdem wurde der Cast nach Ende der zweiten Serie neu besetzt, um nahe an der Zielgruppe zu bleiben. Im Gegensatz zur US-amerikanischen Imitation auf MTV, die weichgezeichneter daher kommt und dennoch für Skandale sorgte, machen die Briten alles richtig. Für ältere Semester ist der jugendliche Humor auch mal überreizt. Doch so schnell wächst man nicht aus »Skins« raus. 07/10 Klaus Buchholz Eine Handvoll Berliner Bhagwan-Anhänger mit orangefarbenen Gewändern trifft auf bayrische Provinz. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die ziemlich orientierungslose Mama Amrita und ihre beiden Kinder Lilli und Fabian, alle drei Mitglieder besagter und ebenfalls desorientiert wirkenden Sekte, deren vegetarische Lebensfreude, Naivität und Exotik nicht nur in der ländlichen Volksschule für Irritationen sorgt. Erzählt wird das alles aus der Perspektive Lillis, die mit ihrem Wunsch, Bhagwan-Lebensstil und Lederhosen-Philosophie zusammenzubringen, beide Gruppierungen in ziemliche Ratlosigkeit versetzt. Dass letztendlich dann doch irgendwie die Liebe siegt – zwischenmenschlich wie auch fleischlich –, hinterlässt kein unangenehmes Gefühl. 08/10 Hans-Christian Heintschel
Auf www.thegap.at außerdem Reviews von »Best of Tricky Women 5«, »Bulb Fiction«, »Dreiviertelmond«, »Gantz 2: Die perfekte Antwort«, »Incite Mill«, »Killer Elite« , »The Nines«, »One Way Trip 3D«, »Requiem For A Killer«, »Source Code«, »Super 8«, »True Grit« , »Türkisch Für Anfänger Staffel 2«, »Urban Explorer« , »White Collar Staffel 1«, …
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sa c h bu c h Clemens Apprich, Felix Stalder (Hg.) Vergessene Zukunft: Radikale Netzkulturen in Europa (Transcript)
Die Zukunft war schon mal spannender Vor etwa zehn Jahren war alles schon da, was das Netz heute ausmacht. Nicht so bunt, nicht so breitbandig wie heute, dafür war das Nachdenken über das Netz und seine Freiheitsverprechen viel radikaler. Rund um das Jahr 2000 war die Globalisierungskritik auf ihrem Höhepunkt, die Dotcom-Euphorie platzte mit lautem Knall und in Österreich schickte sich eine rechtskonservative Regierung an, das Land umzubauen. Wir erinnern uns: Hier die von Kanzler Schüssel abfällig als »Internetgeneration« abgestempelte Jugend und auf der anderen Seite eine neue Regierung, deren Kulturpolitik primär auf repräsentative und touristisch vermarktbare Projekte ausgerichtet war. Zu der Zeit trafen globale, europäische und nationale Entwicklungen zusammen, die Netzpioniere förmlich dazu aufforderten, in der dezentralen Infrastruktur des Netzes neue kulturelle und kommunikative Praktiken zu erproben und sie auch für Aktionen und Widerstand in der physischen Welt zu nutzen. Die Initiative (Public)Netbase war für einige Jahre (von 1994–2006) der heimische Knotenpunkt in einem globalen Netzwerk von Künstlern, Theoretikern und Aktivisten, der viel internationale Aufmerksamkeit bekam. Neben der theoretischen Arbeit und der künstlerischen Reflexion war es der Netbase immer ein besonderes Anliegen, auch im realen Raum präsent zu sein. Dieser Raum war vor allem das Wiener Museumsquartier vor seiner Wiedereröffnung im Jahr 2001. Dort wurden Veranstaltungen abgehalten und dort gab es auch eine entsprechende technische Infrastruktur für eine Vielzahl an Netzprojekten und Initiativen. Hier fanden Theorie und Praxis zueinander. Im Zuge der Neugestaltung des MQAreals und der Änderung der Schwerpunktsetzungen in der Kulturförderung kam die Netbase unter die Räder. In einigen aufsehenden Aktionen lieferte die Initiative bis zu ihrem endgültigen Aus noch einige wichtige Diskussionsbeiträge. Das Buch legt zwar einen klaren Schwerpunkt auf die Netbase, die Autoren besprechen aber auch andere Projekte aus Europa. Neben den Gastbeiträgen gibt es noch eine ganze Menge an Interviews und Originaldokumenten. Einige der Manifeste könnten durchaus auch aus der heutigen Zeit stammen. Da gibt es viele Forderungen wie etwa die nach Open Government Data oder nach einer gestärkten Internetkompetenz der Menschen, die nach wie vor nur ansatzweise erfüllt sind. Vor allem lädt das Buch aber zu einer Reflexion des Themenkomplexes Social Media ein. Die Basis für deren Funktionen war auch um die Jahrtausendwende schon vorhanden. Heute sind diese zentralisiert in der Hand weniger Plattformen bzw. US-amerikanischer Konzerne. Über mögliche Alternativen wird aber kaum mehr gesprochen. 08/10 werner reiter
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Barbara Blaha, Sylvia Kuba Das Ende der Krawattenpflicht 01 (Czernin) — »Der schlimmste Fehler von Frauen ist ihr Mangel an Größenwahn«, leiten die Autorinnen ihr Fazit ein. Also weiblichen Größenwahn hätscheln? Geht nicht, belegen die gut recherchierten Daten im Buch. Eingangs denkt die Leserin ob der bekannten Fakten genervt: »Nicht schon wieder …« Doch im Mittelteil wird das Buch seinem Untertitel gerecht: Handlungsanleitung, wie Politikerinnen in der Öffentlichkeit bestehen. Wie kommt eine Frau auf einen vorderen Listenplatz? Nicht nur die Quote ist ein Weg, auch Fragen wie etwa die Größe der Wahlkreise spielen eine Rolle. Auch Frauen, die in der Politik oben angekommen sind, haben es schwerer: Hillary Clinton oder Angela Merkel. Es gibt kaum Möglichkeiten, Weiblichkeit als Trumpf einzusetzen (»Frischer Wind«, »Herz« …), dafür aber viele Double Binds: Kompetenz wird angezweifelt, auch wenn sie gut belegt ist, gleichzeitig wird eine kompetente Frau als unweiblich denunziert. Diskussionen über ihr Aussehen verdrängen inhaltliche Positionen und wie sie es macht, ist es falsch. Fazit für die politische Frau: Gut sein, machen! Und ein Vorbild sein – öffentlich wie privat. 09/10 Juliane Alton Oliver Pfohlmann Robert Musil 02 (Rororo) — Robert Musils Leben und Werk in Kürze darzustellen gehört sicher zu den schwierigeren Aufgaben der Literaturwissenschaft. Oliver Pfohlmanns Monografie gelingt das Kunststück, die Komplexität von Musils Weltanschauung prägnant und präzise zu beschreiben, ohne unnötig zu vereinfachen. Während andere Bücher einen deutlichen Schwerpunkt auf den berühmten »Mann ohne Eigenschaften« legen, vernachlässigt Pfohlmann auch die unbekannteren Werke nicht und versucht etwa eine Rehabilitierung von Musils Rezensionen als »Höhepunkte der Literaturkritik des 20. Jahrhunderts«. Musil zählt zu den klügsten Autoren der Literaturgeschichte. Wer sich mit seinem geistreichen Werk beschäftigen will, findet hier den idealen Einstieg. 08/10 Christian Köllerer Christiane Rösinger Liebe wird oft überbewertet 03 (Fischer) — Rechtzeitig zu Frühlingsbeginn geht Christiane Rösinger in ein hartes Gericht mit den Paaren dieser Welt. Spätestens seit ihrer Zeit als Frontfrau der Lassie Singers weiß man, dass sich ihre Toleranz gegenüber »der niedrigsten Lebensform, die nur knapp über dem Pantoffeltierchen steht« in Grenzen hält, gab es den gleichnamigen Song doch schon vor fast einem Vierteljahrhundert. Die »Romantische Zweierbeziehung«, in Folge ganz pragmatisch als RZB tituliert, wird unter zahlreichen Aspekten betrachtet und entzaubert. Der Einfluss der Medien, der Ökonomie und des Kapitalismus auf Romantik und Entstehung von Beziehungen wird erörtert und psychologische Liebesund Bindungstheorien behandelt. Dabei bewegt sich die Lektüre irgendwo zwischen Tagebuch und selbsternanntem populärwissenschaftlichen Sachbuch. Der Rote Faden bleibt schon mal auf der Strecke und nicht selten würde man sich etwas mehr Tiefe wünschen. Rösinger formuliert wie gewohnt spitz, pointiert und kurzweilig. Allerdings fällt das Beziehungs-Bashing zeitweilig so polemisch aus, dass es schon wieder nervt. Pärchen sind scheiße, ja eh. Das Hauptanliegen der Single-Koryphäe ist, dass sich Alleinsein zu einem Beziehungsstatus etabliert, den es nicht zwangsläufig als möglichst schnell zu überbrücken gilt und der zudem keines Mitleids bedarf. Ein Tribut an Cliquen, Kreativität und Autonomie. 04/10 Anna Hoffer 067
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Flavia Company Die Insel der letzten Wahrheit Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt (Bloomsbury)
Kirsten Fuchs Eine Frau spürt sowas nicht 01 (Voland&Quist) — Ausgeklügelte Wortspiele, wie man sie auch in Wir sind Helden- Songtexten finden könnte, paart Kirsten Fuchs mit dem Thomas Bernhard-Trick der Repetition (Stichwort: Ohrensessel-Wiederholungen in »Holzfällen«!). Gut, in einer Kurzgeschichte über das gestohlene Fahrrad kommt jenes gezwungenermaßen öfters mal vor, aber auf vier Seiten 42-mal dasselbe Wort kann einem schon mal »aufn Keks gehen«, wie die Autorin wohl sagen würde. Ihr Schnabel ist nämlich in Berlin gewachsen. Leichtfüßig liest sich das dann, wie ein umgangssprachlicher Wolf Haas oder eine weibliche Tommy Jaud-Kopie. Ebenso wie jener Komiker schreibt Fuchs kolumnen- oder blogeintragartig Geschichten aus dem Alltag. Pseudofreundliche Klugscheißerei windet sich in einem modernen Selbstdarstellungstrieb um Themen wie die Sprachbox, den Ostseeurlaub und Linkshänder. Die Autorin hat dabei den Tick, auf kindliche Art Dinge und Tiere zu personalisieren. Ein paar Storys lang geht diese Taktik auf, nach einer Weile wird der Stil in geballter Form gelesen aber »tierisch« nervig. 04/10 Juliane Fischer
Sind wir nicht alle Piraten? Ein öder Titel, ein einfallsloser Einband, ein hinterfotzig gutes Buch: Flavia Company breitet an einem literarischen Gemeinplatz – der einsamen Insel des Gestrandeten – ein packendes Psychogramm aus. Es ist eine archaische Geschichte von knapp mehr als 150 Seiten, die Flavia Company zum 300-Seiten-Monstrum geraten ist. Dabei fragt man sich anfangs noch, warum gerade dieses Bändchen der spanischen Autorin als erstes ins Deutsche übersetzt wurde. Doch das wird rasch klar, und kaum zu Ende gelesen, muss man es gleich noch einmal von vorne beginnen. Zwei Wendungen, eine davon ganz zu Schluss, lassen die Handlung völlig anders erscheinen und einem als Leser keine Wahl. Man muss dieses Buch ein zweites Mal durchleben. Man will schließlich verstehen. Archaisch an dieser Geschichte ist nicht nur das seit »Robinson Crusoe« klassische Motiv des Gestrandeten. Archaisch ist sie auch, weil Flavia Company in »Die Insel der letzten Wahrheit« eine Geschichte erzählt, die erzählt werden muss. Zuerst ist es Prendel, ein nach mehreren Jahren in der Versenkung nach New York zurückgekehrter Arzt, der seine Geschichte noch kurz vor seinem Tod loswerden muss. Dann ist es dessen letzte Freundin, die das ihr Anvertraute zuerst weitererzählt und dann selbst zu Papier bringen muss. Und schließlich ist man es als Leser selbst, der nicht anders kann als dieses Buch weiterzuempfehlen, als diese Geschichte aktiv hinauszutragen. Mundpropaganda und Niederschrift sind das eine. Archaisch ist diese Geschichte letztlich aber auch, weil sie aus einer Welt ohne Bilder stammt. Abgesehen von einem fragwürdigen Brief gibt es keine Dokumente des auf der Insel Erlebten. Einzig ein Gebiss, von dem Prendels Zahnärztin ablesen kann, dass dieser lange unter Mangelernährung gelitten hat, gibt Zeugnis ab. Doch absolute Sicherheit bietet auch das keine, lediglich Anhaltspunkte. Worum also geht es: Auf einem Segeltörn vor der Westküste Afrikas unterschätzen Prendel und seine Freunde die Gefahr eines herannahenden Boots. Piraten! Diese übernehmen sein Schiff. Einen von ihnen erschießt er, seine Mitreisenden werden erschossen, er selbst kann sich nur durch einen Sprung ins Wasser retten. Tagelang treibt er auf dem Meer, irgendwann wacht er auf einer Insel auf. Gerettet hat ihn einer der Piraten, der, den er getötet zu haben glaubt. Mit ihm teilt er sich die nächsten Jahre auf »L’illa de l’ultima veritat« (wie das Buch im katalanischen Original heißt) – und so manches Geheimnis, das Prendel schließlich zurück in die sichere Großstadt nimmt. Dort sucht es uns Zivilisationsmüde aus der Abgeschiedenheit heim. Hinterfotzig, existenziell und dunkel. 10/10 Thomas Weber
Arnon Grünberg Mit Haut und Haaren 02 (Diogenes) — Immer absurder entwickeln sich die sexuellen Vorlieben von Roland Oberstein. Exfrau, Freundin, Geliebte und Studentin lechzen alle nach seiner Aufmerksamkeit. Das erscheint dem Leser unverständlich, da sich der Protagonist eigentlich der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung verschrieben hat und immer noch auf seinen Durchbruch und die Bestätigung als Ökonom wartet. Frauen und Sex sind ihm eigentlich egal, Liebe und andere zwischenmenschliche Gefühle sowieso. Mehr aus nicht nachvollziehbaren Impulsen entwickeln sich seine Liebschaften. Lust verspürt er nicht, zur Erotik fühlt er sich eher verpflichtet. Immer mehr fühlt sich Oberstein hin- und hergerissen zwischen dem Drängen seiner Mitmenschen und seinen wissenschaftlichen Zielen. Was an diesem Charakter attraktiv erscheint, bleibt weitgehend unklar. Die Themen Monogamie, Bindungsproblematik und Untreue könnte man auf viele Arten kurzweiliger in einem Buch verpacken. Die Fluchtversuche aus den Beziehungen und die Suche nach warmer Haut, hinter der sich in Wahrheit Tieferes verbirgt, werden trotz der hohen Seitenanzahl nicht scharf genug dargestellt. Unnötig detailliert und dennoch nicht fassbar fragt man sich dann nach 680 Seiten immer noch, was die Kernessenz ist und zu welchem Punkt der Autor überhaupt kommen möchte. Der Höhepunkt ist es jedenfalls nicht. 04/10 Juliane Fischer Karl Ove Knausgård Lieben 03 (Luchterhand) — Der zweite Teil seiner sechsbändigen Autobiografie vermittelt die poetisch wie analytisch präziseste Reflexion des ambivalenten Urtriebs: Liebe. In Norwegen wurden die Bände dieses opulent radikalen Erzählunterfangens in nur drei Jahren publiziert und allesamt Bestseller. Nach dem letzten verkündete der erst 44-jährige Autor 2011, sein Schriftstellersein sei nun beendet. Nach »Sterben«, dem im letzten Jahr auf Deutsch erschienenen ersten Teil, in dem er seine Ursprungsfamilie und den Tod des Vaters schonungslos aufarbeitete, widmet er sich nun seiner eigenen 068
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Familie: seiner zweiten Frau Linda, den Kleinkindern Vanja, Heidi und John. Wie entsteht Liebe zwischen zwei Menschen und zu Kindern, was lässt sie halten, brüchig werden und erneuern? Knausgård schildert seine Beziehungen ehrlich und ohne moralische Hemmung, dabei in magisch funkelnder C und sogartiger Sprache: die Konflikte zwischen einem schweigsamen, Rückzug ins Alleinsein benötigenden Schriftsteller und einer geselligen, vom MAlltag aber schnell überforderten Filmerin; die Kämpfe um Distanz wie Nähe, Y Zeit und Geld innert einer Wunschfamilie; die unvergleichliche Freude mit den Kleinkindern ebenso wie die Wut auf sie. Zärtliche Detailschilderungen CM eines Zusammenlebens und -liebens wechseln sich ab mit scharfkritischen MY Selbst- und Gesellschaftsreflexionen, und dies auf dem brillantesten Niveau, das die Weltliteratur derzeit zu bieten hat. 10/10 Roland Steiner CY Marko Leino CMY In der Falle 04 K (Zsolnay) — Einer der weiß, wie man eine Story inszeniert, ist Marko Leino, ein wirklich ganz ausgefuchster Tüftler. Mit »In der Falle« hat der Finne einen kraftvollen, in sich arbeitenden Krimi geschrieben. Worum geht’s? Die russisch-finnische Drogenmafia schleust illegale Substanzen nach Finnland und bedient auch dort den Markt. Drogenfahnder Viitasalo fährt gleich am Anfang einen wichtigen Erfolg ein, doch weiß er, dass das große Ding noch auf ihn lauert. Dazu hat man eine Handvoll Kleinverbrecher, Menschen, die ganz einfach in eine Sache reinrutschen, und schon sitzt ein jeder für sich in der Falle. Ich will nicht einmal sagen, dass der kluge Plot mit vielen Wendungen das Buch ausmacht, sondern Marko Leino schreibt, für skandinavische Krimiautoren eher ungewöhnlich, nicht in diesen nordischen Psychomainstream hinein und hat jetzt auch nicht die zarte Federführung eines Mankell, sondern lässt sehr stark einen amerikanischen Einfluss zu, in dem halt der Knochenbrecher auch nicht zu kurz kommt. 08/10 Martin G. Wanko
Don Winslow Zeit des Zorns 06 (Suhrkamp) — Die Vita ist bekanntlich bei amerikanischen Autoren immer ein kleiner Leckerbissen. So auch bei Don Winslow. Der war u. a. Privatdetektiv in New York, Geldschmuggler in Südamerika oder Safaritouren-Verkäufer in China. An Erfahrungsreichtum kann es hier also nicht mangeln. Das bringt er auch auf den Boden, ist er doch einer der Shootingstars im US-Krimi. Trotzdem eine kleine Warnung: Sein aktuell erschienener Roman »Die Sprache des Feuers« ist eher matt, ganz einfach aus dem Grund, weil er schon mehr als zehn Jahre auf dem Buckel hat. Hier schreibt er noch in langen Bögen und eigentlich eher unspektakulär. Don Winslow hat nämlich wirklich erst in den letzten Jahren zu seinem unverwechselbaren Stil gefunden. Schnelle Sätze, verknappte Sprache, im Hintergrund spürt man noch Lehrmeister James Ellroy, aber im Gegensatz zu Ellroy beschreibt Don Winslow ein abgefahrenes Amerika von heute: Ein hoch technologisierter Drogenmoloch, in dem es nur um zwei Dinge geht: Macht und Reichtum. Und irgendwann rennt dann doch jeder um sein nacktes Überleben. »Zeit des Zorns«, so einfallslos der Titel, so rasant die Story. 07/10 Martin G. Wanko
BILD: ANNA-SOPHIE BERGER
Florian Scheibe Weiße Stunde 05 (Luftschacht) — Die junge Kunsthistorikerin Svenja Schubert verschwindet nach dem Besuch eines verlassenen Hauses in Sizilien spurlos, weil ihr Mann sie nicht sucht. Noto, 1693 durch ein Erdbeben zerstörte Kleinstadt, wurde in barockem Stil wiedererrichtet und darum heutiges Unesco-Weltkulturerbe. Dieses zu untersuchen war das Ziel der ambitionierten Wissenschaftlerin, die seit Monaten hier lebte und ob ihrer perfekten Sprachkenntnisse und Extrovertiertheit rasch Anklang fand. Ihr Partner seit fünf Jahren ist das Gegenteil: der Sprache nicht mächtig, introvertiert und ziellos, an seiner Magisterarbeit gescheitert und von einer literarischen Schreibblockade geplagt. Ein kleiner Streit lässt ihn jenen Hausbesuch beenden und in die Wohnung zurückkehren, obwohl Svenja ausbleibt. Und ab da erlebt er eine seltsame Entpuppung: Beflissen arbeitet er an seinem Roman, unternimmt Ausflüge anstatt die Polizei zu informieren, verstrickt sich in Lügen und schläft mit einer Wienerin. Später wird er wegen Mordes verurteilt – und Jahre später entlassen, da der echte Mörder überfuhrt wurde. Scheibe, 1971 in München geborener Regieassistent, erzählt die Irrnisse seines Protagonisten zwischen Ignoranz und Betrug, Selbstbefreiung und -zerstörung aus introspektiver Sicht. In der exakten Beschreibung der Halt- und schließlich Ausweglosigkeit gelingt ihm ein leises wie düsteres Romandebüt inmitten des traumhaften, weil undurchdringbaren Siziliens. 08/10 Roland Steiner
FASHION • DESIGN • FOOD MARKET FOR SUSTAINABLE PRODUCTS
13.–15.07.2012
mq museumsquartier, wien BIORAMA.AT / FAIRFAIR FACEBOOK.COM / BIORAMA
Rez Marijpol Trommelfels 01 (Avant-Verlag) — »Trommelfels« beginnt mit einer mythisch anmutenden Szene. Eine unterirdische Trommlerin (oder ein Trommler) in Gestalt einer menschenähnlichen Fledermaus wird Schlag um Schlag schwächer und mit ihr die Magie, die diesen unterirdischen Ort schützt. Das Höhlengewölbe schiebt sich immer dichter zusammen, umschließt beinah schon die Trommlerin, die schließlich in totaler Erschöpfung von ihrem Podest stürzt. Im letzten Moment stürmt eine neue Trommlerin in den Raum. Danach werden wir mit zwei Menschen bekannt gemacht, die ihr Leben der Archäologie widmeten, ohne jemals etwas Großartiges zu entdecken. Ein überraschendes Ereignis ändert dann alles: Sie entdecken eine unbekannte, zivilisierte Spezies, die in weit verzweigten Höhlenlabyrinthen lebt. Neugier, Entdeckungsdrang und Besitzwunsch scheinen schließlich ein Verhängnis einzuleiten, das nicht nur die Existenz der neu entdeckten Spezies bedroht. Marijpol lässt die Bleistiftskizzen sichtbar bleiben, die sie zu detaillierten Bildkompositionen ausformt. Den Bildern gelingt es, die Vielschichtigkeit der Erzählung wiederzugeben, insbesondere in den Zeichnungen, die die menschlichen Figuren der Erzählung in symbolisch-mythologische Welten versetzen um so ihre emotionalen und kognitiven Konflikte zum Ausdruck bringen. In »Trommelfels« wird sich das Lebendige schließlich der Aneignung entziehen. 08/10 Alexander Kesselring Zak Sally Sammy The Mouse (Book 1) 02 (La Mano) — Handgemacht. Dieses Wort beschreibt den ersten Sammelband von »Sammy The Mouse« physisch und inhaltlich zugleich. Zak Sally hat jeden Band selbst gedruckt. Man sieht es dem Buch an. Ungerader Zuschnitt der Seiten, gelegentliche Farbschlieren, leicht verschobener Aufdruck. Diese körperlichen Eigenschaften kann man als nostalgischen Luxus oder handwerkliches Bonmot betrachten. Oder aber als direkte Manifestation der Narration. Sammy quält sich durchs Leben, hat keinen Antrieb, keinen Drang. Alkohol bestimmt seine Nächte, mysteriöse Stimmen sprechen zu ihm in seinem Heim. Und alles im Leben der Maus ist unperfekt, rau, unfertig. Man kann annehmen, dass er wenig Geld hat, vielleicht auch keine Arbeit. Jeden Tag trifft man hier auf den (vermeintlichen) Tod, den man als »creepy little fucker« abtut. Sammy lebt in einer Cartoonwelt, in der vergessen wurde, dass es ein Cartoon ist. Anthropomorphe Tiere, Slapstick und fantastische Szenerie. Depression, Lustlosigkeit, Zukunftsangst. 08/10 Nuri Nurbachsch Brian K. Vaughan, Fiona Staples Saga #1 03 (Image Comics) — »Es sind immer die gleichen Geschichten, es kommt nur darauf an, wie man sie erzählt.« So oder so ähnlich lautet doch eine geläufige Autorenweisheit, nicht wahr? Sollte sie wahr sein, dann sind Vaughan und Staples ihre Avatare. Trotz dieses Wissens ist jedes Vaughan-Comic irgendwie neu. Fiona Staples ist der visuelle Gegenpart. Ihre Zeichnung, ihr Stil, wirken vertraut, schon oft gesehen, aber dennoch mit frischer Energie erfüllt, zwischen schön und echt oszillierend. Ihre Zusammenarbeit für »Saga« ist ein Segen. Krieg, soziale Gräben, Frau trifft Mann (oder umgekehrt), verbotene Liebe, Kind, Flucht. Kommt bekannt vor? Sollte es auch. In den Händen von Vaughan und Staples ist das aber kein Nachteil, sondern ein Faszinosum. Die Zukunft dieser Serie verspricht Wundervolles. 07/10 Nuri Nurbachsch 070
Co m i c s Jesse Moynihan Forming Vol. 1 (Nobrow Press)
Götterseifenoper Vom Webcomic zum Design-Print-Item: Jesse Moynihans Göttliche Komödie »Forming« feiert die Mythen der Menschheitsgeschichte und baut daraus ein Meisterwerk der Ironie. Die tatsächliche Erzählung von »Forming« wiederzugeben ist nicht einfach, auch nicht sinnvoll. Kurz gesagt: »Forming« ist ein SitcomMash-up menschlicher Schöpfungs- und Göttermythen. In mittlerer Länge: 10.000 Jahre vor Christ Geburt tummeln sich Aliens auf dem Planeten Erde, wirken dabei göttlich, zeugen mit Einheimischen semi-gottartige Nachfahren und haben Krieg, Zwist, Liebe und was sonst noch so dazu gehört. Alles etwas verworren, zwischen den zahlreichen Protagonisten und den tausenden Verbindungen unter ihnen. Ach ja, da sind auch noch Lucifer und Michael, aber die haben weder mit Aliens noch Menschen was zu schaffen. Zumindest nicht eingangs. Hier ist alles erlaubt. Namen und Figuren aus diversesten Legenden tauchen auf – angelehnt an ihre »ernsthaften« Ursprünge, aber von Moynihan ohne jegliche Ehrfurcht in Akteure seines grandiosen komischen Spektakels verwandelt. Ironie ist nicht nur auf Metaebene beheimatet, die Charaktere selbst sind ihr nicht abgeneigt. Andererseits finden sie auch Gefallen an kruden Gags. Doch auch wenn sich »Forming« oberflächlich als lustige Verarsche menschlichen Aberglaubens lesen lässt – wohl in großen Teilen aufrichtig so gemeint ist – ist eine weitere, nicht zu unterschätzende seriöse Ebene mindestens genauso offensichtlich gemacht. Es ist sicherlich nicht weit hergeholt zu behaupten, dass in der Art und Weise, wie sich allerlei Wesen, die als »Götter« einzustufen sind, der Menschen, die in der Narration jenen zunächst offen und gleichgültig gegenüberstehen, und dem Planet Erde Herr werden wollen, ein Kommentar zum Aberglauben enthalten ist. Anders: Die Mythen sind erst durch Konsens zu Mythen geworden, davor haben sie gefickt, gefressen und geschissen, wie alle anderen auch. Und viele strebten selbst nach diesem legendären Status, bereit, alles dafür Notwendige zu tun. Sehr geschickt schleicht Moynihan diese Themen in »Forming« ein, keiner spezifischen Antwort zugewandt, eher viele Blickwinkel durchforstend. Humor und Tiefgang, das alles auch noch in tadelloser Optik. Auf 3 × 3 Panel pro Seite zeichnet Moynihan großartig fantasievolle Figuren. Sein farbintensiver Stil wirkt zugleich archaisch und kultiviert. Space-Age-Höhlenmalerei. Oder telepathische Abbildungen aus den Ursprüngen unseres Universums. »Forming« korrumpiert, im besten Sinne, Symbole und Ideografie. Moynihans visuelle Sprache ist ein Dialekt, den jeder versteht, aber kaum jemand beherrscht. Auf Jesse Moynihans Website jessemoynihan.com wird »Forming« fortgesetzt. Die 20 × 30 cm große gedruckte Version zahlt sich dennoch allein wegen dem erhabenen Gefühl aus, das Werk in der Hand halten zu können. 10/10 Nuri Nurbachsch 01
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mann über Bord! Das deutsche Piraten-Rollenspiel wandelt auf den Spuren von »Gothic« und präsentiert sich ebenso traditionell wie eigensinnig.
Vor einiger Zeit gab es eine deutsche Rollenspielserie, die sich gegen die übermächtigen, aber generischen Welten der »The Elder Scrolls«Reihe stemmte: »Gothic«. Die Entwickler von einst haben mittlerweile ein neues Universum erschaffen, deren zweiter Teil topaktuell ist. »Risen 2: Dark Waters« besitzt das gleiche Grundgerüst wie sein Vorgänger und sämtliche »Gothic«-Teile: eine liebevoll gestaltete, organisch wirkende Welt, kauzige Charaktere, überdurchschnittlich lustige und manchmal beinahe tiefsinnige Dialoge, dazu noch viel Forscherfreiheit. Zu diesen positiven Eigenschaften gesellen sich jetzt noch ein vergleichsweise unverbrauchtes Freibeuter-Szenario inklusive eigenem Schiff und Karibik-Flair. Daneben sorgt auch die anfangs ziemlich düstere Story dafür, dass das Rollenspiel von Entwickler »Piranha Bytes« an Stimmung gewinnt. Aber es gibt auch Grund, sich zu ärgern: Ein ordentliches Kampfsystem zu integrieren ist sicher keine leichte Aufgabe; doch die Hexer-Konkurrenz zeigt, wie’s geht. Da scheitert »Risen 2: Dark Waters« kläglich und muss sich den Vergleich gefallen lassen, da die erste Hälfte (ca. 15 von insgesamt 30 Spielstunden) ziemlich straff und ähnlich linear verläuft; erst dann erhält man sein eigenes Schiff und darf die Welt etwas freier erkunden. Gerade das Kämpfen gegen die meisten Monster entpuppt sich als ödes Geklicke ohne Anspruch, nur selten erfordern Gegner eine besondere Taktik. Dagegen verlaufen Scharmützel gegen menschliche Gegner dank Block- und Kontermöglichkeit etwas spannender. Die zahlreichen Hol-, Sammel- und Metzelaufträge werden fast alle nach bekanntem Schema abgehandelt und bieten kaum Überraschungen. Allerdings sind die kleinen, drumherum geschriebenen Geschichten gefällig bis richtig gut erzählt (und vertont); deshalb fällt diese Schwäche nicht weiter ins Gewicht. Auch die teils schwächelnde Technik, am besten an den holprigen Charakteranimationen, zahlreichen Popups und fehlerhaften Skalierungen in der Dschungelvegetation zu erkennen, macht das Abenteuer nicht nachhaltig schlechter. Die stimmungsvolle, liebevoll gestaltete Welt von »Risen 2: Dark Waters« lockt mit unverbrauchtem Szenario, nachvollziehbarer Handlung und letztlich genügend Freiraum für Entdecker. Es ist ein traditionelles, ja, konservatives Rollenspiel geworden, das viele Fortschritte des Genres ignoriert. Dennoch (oder gerade deshalb) versprüht das Spiel mehr Charme als die meisten Konkurrenten und hebt sich erfrischend von der breiten Masse ab. Und dass ein PC-Rollenspiel im Jahre 2012 beinahe bug-frei erscheint, darf nicht unerwähnt bleiben. 08/10 STeFan KluGeR
Risen 2 – dark waters (Koch Media / Piranha Bytes); PC (getestet), PS3, Xbox 360; www.risen2.com 071
Rez Alan Wake 01 (Remedy / Microsoft); PC; www.alanwake.com — Immer noch großartig erzählter Survival Horror rund um den Schriftsteller Alan Wake. Nun auch für PC. 08/10 Reiner Kapeller Club Penguin Game Day 02 (Artoon) Wii, www.clubpenguin.com — Wieder eine – dezent überdurchschnittliche – Wii-Spielesammlung. Ein bisschen anders, ein bisschen peppig, aber vor allem irgendwie gleich. 04/10 Harald Koberg FIFA Street 03 (Electronic Arts) PS3 (getestet), Xbox360, www. ea.com/de/fussball/fifa-street — Ein erfreulicher Spurwechsel ist EA da geglückt, mit dem neu entdeckten Realismus im Arcade-Ableger ihres Zugpferds »FIFA«. Nach drei netten, aber nur kurzfristig interessanten ersten Schritten wird nun auf Gamebreaker und Comicgrafik verzichtet, um mehr Raum für ernst gemeinte Duelle auf engem Raum zu schaffen. In verschiedenen Modi darf getrickst und gelaufen werden, bis die Controller durchgeknetet sind; online und offline mit allerhand freischaltbaren Items und abwechslungsreichen Herausforderungen. Etwas enttäuschend präsentiert sich dabei die grafische Umsetzung all der hübschen Bewegungen, denn nicht nur der Zusammenprall zweier Spieler verläuft äußerst holprig, sondern auch die Bewegungen am Ball. Und überhaupt scheinen die Akteure ein paar Zentimeter über dem Platz zu schweben. Dazu kommt, dass die KI in den einfachen Schwierigkeitsstufen erstaunliche Tollpatschigkeiten zur Schau stellt – vor allem, wenn sie versucht, zum Abschluss zu kommen. Bezugnehmend auf den angestrebten Realismus kann das durchaus verwundern, doch dem Balancing tut es gut und bewahrt FIFA-Einsteiger vor unnötigem Frust. Alles in allem geht es eindeutig in die richtige Richtung, auch wenn Potenzial für etwaige Nachfolger noch klar zu erkennen ist. 06/10 Harald Koberg Jak & Daxter Classics HD (Naughty Dog / Sony); PS3; www.naughtydog.com/ games/jak_and_daxter — Auf HD und 3D polierte Jump ’n’ Run-Klassiker, die immer noch ihre Stärken ausspielen. 07/10 Reiner Kapeller 04
Kid Icarus: Uprising 05 (Nintendo / Project Sora); 3DS; kidicarus.nintendo.com — Totgesagte leben länger! Nach 20 Jahren reanimiert Big N einen fast vergessenen Helden: Pit, der 1987 in »Kid Icarus« (NES) sein Debüt feierte und 1992 im Gameboy-Nachfolger noch einmal auftauchte. Anstelle klassischer Plattform-Action vergangener Tage bietet »Kid Icarus: Uprising« ein für die Serie völlig neues Konzept: Fliegen und Ballern mit Stylus; simpel, aber gut umgesetzt. Veteranen dürfte das Prinzip aus Klassikern wie »Panzer Dragoon« oder »Sin & Punishment« bekannt sein. Während die Flugabschnitte in sehr eingeschränkten Bahnen ablaufen, sind die Bodenlevels – das zweite Element des Spiels – freier und abwechslungsreicher
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Games Ratchet & Clank: All 4 One 10 (Insomniac Games); PS3; ratchetandclank.com — Mehr vom Selben macht Sinn und Spaß, vor allem im Koop-Modus und mit gutem Witz. Trotzdem waren Action-Abenteuer mit den beiden Spielhelden schon mal besser. 05/10 Harald Koberg
gestaltet. Doch gerade diese Passagen leiden unter einer etwas ungenauen Steuerung und der nervösen Kamera; da wurde Potenzial verschenkt. Dafür ist der Tiefeneffekt des 3DS endlich mal ein echter Gewinn. Warum aber storyrelevante Dialoge während der Action ablaufen müssen, wissen vermutlich nur die Entwickler. Das nervt all jene Spieler, denen die Geschichte nicht völlig egal ist. Alle anderen ballern sich einfach durchs Abenteuer und genießen dessen audiovisuelle Pracht.
Resident Evil: Operation Raccoon City 11 (Slant Six Games); Xbox, PS3 (getestet), PC; www. residentevil.com — Und wieder schlägt eine etablierte Serie ihren Fans mittels grauenhafter KI und fehlender Atmosphäre ordentlich ins Gesicht.
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Kinect Star Wars 06 (Lucas Arts / Micosoft); Kinect für Xbox 360; www. lucasarts.com — Gefällige Game-Sammlung für Microsofts Bewegungssteuerung, die den großen Bogen ebenso vermissen lässt wie herausragende Technik. 05/10 Martin Mühl
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Ridge Racer Unbounded 12 (Namco Bandai / Bugbear); PS3 getestet, Xbox 360; www.ridgeracer.com — Manchmal ist es erfrischend, wenn der neueste Teil einer etablierten Spielereihe vieles ganz anders machen will. Dass sich Namco Bandai das nun bei ihrer traditionsreichen Vorzeigemarke »Ridge Racer« traut, überrascht dann aber doch ein wenig. Für »Ridge Racer Unbounded« wurde ein neues Entwicklerteam geholt – Bugbear, die sich bereits mit der Zerstörungsorgie »FlatOut« einen Namen machten. Diese Vergangenheit merkt man ihrem aktuellen Game an: Ohne Rücksicht auf Verluste wird hier um den Sieg gekämpft, Gebäude explodieren, während gegnerische Autos geschrottet werden. In Verbindung mit der ansehnlichen Stadtkulisse und treibenden Beats macht dieses Spielprinzip eine Weile Spaß. Doch leider scheitert »Ridge Racer Unbounded« am Driften, ausgerechnet jenem Element, das die Serie berühmt machte. Vorbei die Zeiten, in denen intuitiv und direkt durch engste Haarnadelkurven manövriert wurde. Das neue System hinterlässt einen unfertigen Eindruck: Warum muss der Knopf so lange gedrückt werden, um die störrischen Boliden erstmal zum Einlenken zu bewegen? Wer damit Leben kann, erhält ein grundsolides Rennspiel mit Fokus auf derbe Action und Zerstörung
Limbo – Special Edition 07 (Playdead); PC getestet, PS3, Xbox 360; limbogame.org — Auch nach zwei Jahren immer noch eines der besten Indie-Games. Einzigartig verschmelzen Grafik, Sound und Gameplay zu einem atmosphärisch dichten Alptraum, den man unbedingt erlebt haben sollte. Auch wenn man dafür Tausend Tode stirbt. Großartig! 09/10 Stefan Kluger Ninja Gaiden 3 08 (Team Ninja) PS3 getestet, Xbox 360; teamninjastudio.com/ng3/eu — Der zur Hack ’n’ Slay-Orgie verkommene dritte Teil erbost die Fans mittels Massentauglichkeit und bietet dem Rest bestenfalls passable Unterhaltung. 03/10 Harald Koberg Prototype 2 09 (Radical Entertainment / Activision); Xbox 360 getestet, PS3, PC; www.prototypegame.com — »Prototype« war ein rohes Sandboxgame mit allerlei kruden Genreüberschneidungen: New York nach einem Virus-Aufbruch war der Spielplatz, Zombies und Mutationen die Folge. Diese betrafen auch den Helden Alex Mercer, der durch den Virus besondere Fähigkeiten bekam und von nun an Wänden hoch laufen konnte, auf Wunsch Klauen statt Händen bekam oder auch andere Lebewesen konsumierte, um deren Gestalt anzunehmen. Als Hintergrund gab es eine komplexe Story um undurchsichtige Machenschaften zwischen Industrie, Staat und Militär. Teil 2 will hier noch eins draufsetzen und schickt James Heller mit den gleichen Fähigkeiten in die umkämpfte Zone. Dieser muss zwar erkennen, dass vielleicht doch nicht Alex Mercer für den Tod seiner Familie verantwortlich ist, hat aber ebenso jede Menge zu tun. Schade nur, dass nun alles irgendwie stromlinien-förmiger und weniger komplex ist … zumindest was Story und Atmosphäre betrifft. Denn die Steuerung ist nach wie vor überladen und das Spiel ist eher repetitiv und nicht gerade einfach. Nur wird dies eben nicht mehr durch ein überbordendes Setting und die rohe Dringlichkeit des Erstlings geerdet. »Prototype 2« bietet ein hartes und durchaus willkommenes Action-Feuerwerk, an den Erstling kommt es aber nicht heran. 07/10 Martin Mühl
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Terraria 13 (Headup Games / Re-Logic); PC; www.terraria.org — Oldschool-Sandbox-Spiel, das in 2D und mit Pixelgrafik die Sammelwut weckt, aber dafür komplett ohne Story auskommt. Mulitplayer macht Freude. 07/10 Reiner Kapeller Total War: Shogun 2 – Fall Of The Samurai 14 (SEGA); PC; www.totalwar.com — Gutes, alleine lauffähiges Add-on, das die Samurai ins Zeitalter der Industrialisierung führt und die verheerende Zerstörungskraft moderner Waffen demonstriert. Am taktischen Anspruch wurde erneut geschraubt, an der Künstlichen Intelligenz leider nicht. 08/10 Stefan Kluger
Twisted Metal 15 (Eat Sleep Play) PS3, twistedmetal.com — Im explosiven Chaos gehen Spaß und Spielsystem dieses Fahrzeug-Gemetzels fast spurlos verloren. Und online regieren die Verbindungsfehler. 02/10 Harald Koberg
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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS
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© David Sailer
KARTEN UND INFOS: http://radiokulturhaus.ORF.at
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BILD Art Austria, Yuji OSHIMA, Cinema Next, Oliver Ottenschläger, 12 c Raum für Kunst, Let’s Cee Film Festival, Museum GugginG
Art Austria, die bedeutende internationale Messe österreichischer Kunst, ist heuer wieder im Leopold Museum zu Gast. Bereits zum fünften Mal zeigen rund 50 Austeller, unter anderen die Galerie Gugging, Ernst Hilger und Mario Mauroner Contemporary Art, österreichische Kunst vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Eröffnung: 9. Mai, 10.00 Uhr; Ausstellung: 9. Mai bis 13. Mai Wien, Leopold Museum
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TERMINE K U L T U R
termine KULtUr
Soho in ottakring – unsicheres Terrain Soho in Ottakring ist seit 1999 ein kunst- und Stadtteilprojekt, das sich über den 16. wiener Gemeindebezirk ausdehnt und auf aspekte der Urbanität, der Stadtteilentwicklung, künstlerische interventionen und möglichkeiten der Partizipation im öffentlichen Raum fokussiert. eröffnung: 12. mai, 18.00 uhr; dauer: bis 26. mai wien, Yppenplatz / piazzetta an der Kreuzung Brunnengasse / Schellhammergasse
Cinema next Filmnächte Die initiative cinema next hat sich zur aufgabe gemacht, den heimischen Film-nachwuchs zu fördern. im Rahmen der zweiten ausgabe wird es zwischen 11. mai und 15. juni einen abwechslungsreichen Querschnitt durch kurz- und experimentalfilme, animationen und musikvideos zu sehen geben. 11. mai, 22.30 uhr wien, votivkino; 23. mai, 21.00 uhr linz, moviemento; 24. mai, 21.00 uhr Graz, Schubertkino; 6. Juni, 22.00 uhr innsbruck, leokino; 14. Juni, 21.00 uhr Salzburg, das Kino; 15. Juni, 21.00 uhr St. pölten, Cinema paradiso
not moscow not mecca mit der ausstellung »not moscow not mecca« in der Secession geht das kollektiv Slavs and Tatars von der Flora eines Ortes aus und schreiben die autobiografie einer Region. mit Früchten wie Granatäpfel und wassermelonen, die als wissensträger aus fernen welten präsentiert werden, will die ausstellung eine Diskussion über eine biologische neuauslegung der Geschichte anstoßen. eröffnung: 2. mai, 19.00 uhr; ausstellung: 17. Juni wien, Secession
maria anwander – Shortcuts in Circuits maria anwanders arbeiten bewegen sich zwischen Video, Fotografie und Performance. Die künstlerin gibt alltäglichen Gegenständen neue Funktionen: anwander klaut beispielsweise seit jahren Titelschilder aus museen oder bringt ihre eigenen ohne Genehmigung dort an – eine inszenierte, permanente Subversion des kunstmarkts sozusagen. eröffnung: 6. mai, 18.00 uhr; ausstellung: bis 10. Juli Schnifis, 12 c Raum für Kunst
let’s Cee Film Festival Das neue Filmfestival »let’s cee« setzt konzentriert den blick auf das junge kino aus dem zentral- und osteuropäischen Raum (central eastern europe / cee) – ist also quasi die entsprechung des waves Vienna Festivals im Film. zu sehen gibt es als kern des Programms mehr als 30 Spiel- und Dokumentarfilme, unterstützt von Symposien, Vorträgen und konzerten. eröffnung: 27. mai; dauer: bis 3. Juni wien, urania und apollo Kino
Sexi-Blatt: erotika in der Galerie Gugging im zuge der Schau »Sexi-blatt« präsentiert die Galerie Gugging bilder erotischen inhalts der art brut-künstler ida buchmann, anton Dobay, johann Fischer, Giovanni Galli, Oswald Tschirtner, august walla und anderen. zum Teil sehr drastisch und unverblümt werden in den bildern sexuelle Vorstellungen, Träume oder Ängste ausgedrückt bzw. verarbeitet. ausstellung: 26. april bis 7. oktober maria Gugging, museum Gugging 075
BILD — DANIEL SCHREIBER JACK (BY THE GAP) PRÄSENTIERT AM
25.05.2012
The New Tower Generation (Praterei) Moogle (Bebop Rodeo • Comfortzone Records) Laminat (Bebop Rodeo • Schönbrunner Perlen) THE NEW TOWER GENERATION - PRATEREI 004 [LIMITED HANDNUMBERED 12"] (HORNY GOAT WEED B/S TREMBOLON) NOW AVAILABLE. CHECK OUT: FACEBOOK.COM/PRATEREI & SOUNDCLOUD.COM/PRATEREI RECHTE WIENZEILE 2A, WIEN, AUSTRIA, 1050 WWW.FACEBOOK.COM /MORISSONCLUB NEXT DATES: 29.06. • 27.07.
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Ein Projekt der Kulturvernetzung Niederösterreich
www.viertelfestival-noe.at
Die NDU ist eine Studieninitiative des WIFI und der Wirtschafskammer NÖ.
TexT FRanziSka wilDFÖRSTeR Bild GaleRie meyeR kaineR, jORiT aUST / GaleRie eliSabeTh & klaUS ThOman
termine
GALerien
Ei Arakawa und Nikolas Gambaroff, »Bodycard Testimonials«, 2012
Erwin Bohatsch, »Ohne Titel«, 2011, Acryl auf Leinwand, 200 � 190 cm
ei arakawa / nikolas Gambaroff
erwin Bohatsch
kunst als Prozess, der weg als das ziel: die in new york lebenden künstler ei arakawa (geb. 1977) und nikolas Gambaroff (geb. 1979) schaffen experimentelle erfahrungskunst, die räumliche Situationen, akteure, Publikum und Objekte ganz frei von hierarchie einbindet. Diskutiert werden dabei avantgardistische und realitätsbezogene ideen der Selbstorganisation des kollektiven und des aktionistischen. es trifft Formales auf narration, Text auf material, Performance auf Objekt. in der ausstellung sind die kollaborativ entstandenen arbeiten aus der »body card Testimonials«-Serie zu sehen: formaler und prozessualer Tiefgang, der ganz subtil auf gesellschaftliche bewegungen und Thematiken wie immigration und das Gay Rights movement anspielt. 11. mai bis 16. Juni wien, Galerie meyer Kainer
erwin bohatsch erkundet in seinen malereien den Punkt größtmöglicher Verdichtung dessen, was ein bild ist. auf den ersten eindruck von Grau und Schwarzabtönungen bestimmt, eröffnen die bilder mit dem Sehvorgang eine Farbigkeit innerhalb der gesetzten Grenzen. Sie sind zum Stillstand gelangte ereignisse. wir begegnen ihnen schrittweise, müssen uns mit ihnen in ein Verhältnis setzen. alles, was man dafür braucht, ist ein bewusstsein für Gegenwart, um in den momenten der begegnung den ereignishaften charakter der bilder zu erfahren. Sie sind abstrakt – sie sind keine Subjekte, die »sich« zeigen, etwas behaupten, oder gar ein unergründliches Geheimnis darstellen. es sind farblich gestaltete Objekte, die uns erfahrungen und empfindungen ermöglichen, die wir weitestgehend sinnhaft erleben oder deuten. nicht mehr und auch nicht weniger. bis 26. mai innsbruck Galerie elisabeth & Klaus Thoman
Kärnten
vorarlberg
Galerie 3 alter Platz 35, 9020 klagenfurt 23. mai bis 16. Juni ba kunstpreis 2012: Räubern(n)
niederösterreich
Galerie Stadtpark wichnerstraße 1, 3500 krems bis 14. Juni harun Farocki: all the right pictures
oberösterreich
Galerie 422 margund lössl an der Traunbrücke 9–11, 4810 Gmunden 12. mai bis 31. Juli martha jungwirth
Salzburg
mario mauroner Contemporary art Residenzplatz 1, 5020 Salzburg bis 30. Juni herbert brandl, jan Fabre, Paolo Grassino, javier Pérez, bathelemy Toguo: Primavera
Steiermark
Galerie eugen lendl bürgergasse 4, 8010 Graz 4. mai bis 2.Juni edgar Tezak
Tirol
Galerie elisabeth & Klaus Thoman maria-Theresien-Straße 34, 6020 innsbruck bis 26. mai erwin bohatsch
KuB-arena karl-Tizian-Platz, 6900 bregenz bis 24. Juni Ulrike müller: herstory inventory: 100 feministische zeichnungen von 100 künstlerinnen
Susanne Bisovsky, FRIDA, Foto: Wolfgang Zajc, Peter Olschinsky / Verena Weiss
SUSANNE BISOVSKY
MITGIFT
4. Mai 2012 – 6. Jänner 2013
Die Wiener Modemacherin Susanne Bisovsky präsentiert ihre zeitgenössischen Stoff-Kunstwerke auf der project/photo/video wall der KUNSTHALLE wien. Ihre ungewollt avantgardistische Kunst bringt uns zum Staunen, wenn sie von vestimentären Gepflogenheiten, von Kleidung wider die Pest, Backen von Röcken, gekalkten Hüten, gepiercten Flügelhauben, Arten der Trauer, Blutröcken oder ein Leben lang nicht gewaschenen Kleidungsstücken erzählt.
wien
Charim Galerie Dorotheergasse 12/1, 1010 wien 11. mai bis 16. Juni Dorothee Golz hilger Contemporary Dorotheergasse 5, 1010 wien bis 25. mai cameron Platter: empty Promises Galerie andreas huber Schleifmühlgasse 6–8, 1040 wien 10. mai bis 16. Juni kaucyila brooke / Volker eichelmann Georg Kargl Fine arts Schleifmühlgasse 5, 1040 wien 10. mai bis 16. Juni muntean / Rosenblum Christine König Galerie Schleifmühlgasse 1a, 1040 wien 10. mai bis 16. Juni zille leutenegger, micha Payer + martin Gabriel, barbara eichhorn: Feldlerche Stube welt Drinnen Grat Galerie Krinzinger Seilerstätte 16, 1010 wien bis 2. Juni angela de la cruz Galerie emanuel layr an der hülben 2, 1010 wien 11. mai bis 30. Juni Plamen Djanoff
Susanne Bisovsky, Foto: Atelier Olschinsky, 2011
tägl. 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 21 Uhr Museumsplatz 1, A–1070 Wien
tägl. 13 bis 24 Uhr, So. und Mo. 13 bis 19 Uhr Eintritt frei | Treitlstraße 2, A–1040 Wien www.kunsthallewien.at
TERMINE FE S TI V A L S
3 Fragen an Josef Obermoser (Crossroads Festival) Ihr startet ein neues Festival für Dokumentarfilm in Graz. Warum ist das eine gute Idee? Weil es in Anbetracht der großen sozialökologischen Krise (Klimawandel, Ressourcenverknappung, Mass Extinction, Hunger, Armut, …), die uns unser aktuelles Wirtschaftssystem beschert, unerlässlich ist, dass sich mehr Menschen damit auseinanderzusetzen und zu handeln beginnen. Die große Politik verschläft unsere Probleme. Das Ruder herumreißen können nur mehr wir selbst. Gute Dokus haben ebenso wie gute Vorträge und Diskussionen die Macht, aufzurütteln, Diskurse in Gang zu bringen und zum Handeln zu inspirieren. Darum geht es bei Crossroads. Außerdem gibt es viel zu wenig kleinere Festivals, bei denen es gemütlich zugeht. Hat »Kony 2012« wieder einmal den schmalen Grat zwischen gut und gut gemeint aufgezeigt? Das kann ich leider nicht beurteilen. Zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung hat mir bisher die Zeit gefehlt. Eure Themen sind Krise, zukunftsfähige Ökonomien und gutes Leben. Wie bekommt man den weiten Anspruch unter und zeigt ihr dabei auch ältere Dokumentationen? Mit 30 Filmen und einem Dutzend Vorträgen und Diskussionen lässt sich schon einiges behandeln. Natürlich kann vieles, wie so oft, nur andiskutiert werden, aber wir hoffen, dass die Veranstaltungen zur weiteren Auseinandersetzung anregen. Es überwiegen Produktionen von 2011, aber wir zeigen auch ältere. Etwa Barbara Ettingers »A Sea Change«, dem nach wie vor einzigen Film, der sich mit der furchterregenden Versäuerung der Ozeane beschäftigt. Sie wird durch unseren CO2-Ausstoß bewirkt und hat u. a. zur Folge, dass Kleinstlebewesen keine Kalkschalen mehr bilden können. Marine Nahrungsketten drohen dadurch zusammenzubrechen. Crossroads – Festival für Dokumentarfilm und Diskurs 18. bis 27. Mai 2012 Graz, Forum Stadtpark; www.crossroads-festival.org 078
So sollte der Festivalbesuch nicht enden … eine Installation von Mark Jenkins.
Escape The Golden Cage Die Flucht aus dem Goldenen Käfig führt den Besucher gleich zu Beginn des Street Art-Festivals in eines der geschichtsträchtigsten Häuser von Wien: das k.u.k. Telegrafenamt, das demnächst zu einem Luxushotel ausgebaut werden soll. Hier werden sich ab 11. Mai diverse internationale Künstler und Künstlerinnen der Urban Art-Szene mit ihren Werken präsentieren, u.a. Abner Preis, Christian Awe und Dan Witz. Am 19. Mai feiern wir dann dort gemeinsam mit dem Festival »Escape The Golden Gap«. Das wird aber nicht das einzige Happening bleiben. Neben einer Panel-Diskussion zum Thema »High and Low Art« ist auch ein »Golden Art Dinner« mit einem 4-Gänge-Menü geplant. Nachdem es im ersten Jahr noch eine allzu offensive Terminkollision mit dem anderen Street Art Festival, dem Blk River gab, wichen die Organisatoren in die eigentlich Festival- und Kongress-Saison, den Frühling, aus. Jetzt kann gleich zweimal im Jahr auf geballte Art Kunst von der Straße gesehen und gefeiert werden – wenn die ausgezeichnete Inoperable Gallery gerade geschlossen hat. 11.–25. Mai Wien, k. u. k. Telegrafenamt und diverse Locations
TERMINE FE S TI V A L S Schon im Vorfeld viel diskutiert – die »New Bohemian Gastarbeiter Opera« von Alexander Nikolic, die mit der Suche nach Stimmimitatoren von Jörg Haider auf sich aufmerksam machte.
190 … Jahre alt ist das älteste Gebäude, das man im Rahmen der Architekturtage in Niederösterreich besichtigen kann. Es handelt sich um die Alte Spinnerei in Oberwaltersdorf, die einst mehrere hundert Angestellte beschäftigte. Heute kann man dort auf 5.500 m2 im Loft-Style leben und arbeiten.
Wiener Festwochen Die Wiener Festwochen mögen oft alt und verknöchert wirken – keine Wunder, gibt es sie doch schon seit 1927 und sind sie einer dieser oft diskutierten Kulturtanker der Stadt Wien, die das Kulturbudget auf Jahrzehnte hinaus blockieren und wer etwas daran ändern möchte, soll sich bitte die Zähne an den Institutionen und den Parteien ausbeißen. Aber: Im Rahmen der Festwochen finden z. B. mit »Into The City« und »Jugendfrei« Programm-Specials statt, die schon lange vor der Krise überaus kritische Fragen stellten, die radikale Alternativen künstlerisch durchspielten, die Integration und Interkulturalität thematisierten und in Bewegung brachten, während diverse Subkulturen geistig noch in den 80er Jahren zuhause waren. Auch das sind die Festwochen. Man muss nur wissen, dass es dort mehr gibt als die rauschende Eröffnung mit Gratiskultur und seligen Songs von Stars für die Massen. 11. Mai bis 17. Juni Wien, diverse Locations
Architekturtage
Musik, Hitze, sym pathisches Publikum und ausgelassene Stimmung auf dem Springfestival in Graz.
»Anders als gewohnt« lautet das diesjährige Motto und ungewöhnlich vielfältig ist auch das Programm. So kann man in den offenen Ateliers mit Architekten Kontakt aufnehmen oder in den offenen Gebäuden Einblicke in private Wohnräume bekommen. 1. und 2. Juni diverse Locations in ganz Österreich
Soundsnoise
Wie der Name schon sagt, dreht sich bei diesem Festival alles ums Thema Sound. Präsentiert werden internationale zeitgenössische Musikprojekte. Zusätzlich gibt es erstmals auch einen Theorieabend mit Soundlectures und Diskussionen zum Thema Retromania. 16. bis 19. Mai Dornbirn, Spielboden
Viertelfestival
Springfestival Bereits zum zwölften Mal findet dieses Jahr das Springfestival in Graz statt, das sich selbst als Schnittstelle für Musikalisches, Elektronisches, Künstlerisches und Digitales versteht. Nationale und internationale Szenegrößen und gefeierte DJs malen die Nächte weiß an. Gemeinsam zieht man durch die Clubs jener Stadt, die für ihre Größe eine einzigartige Dichte gut ausgestatteter Locations besitzt. Neben vielen anderen gehören dazu auch Modeselektor, Aka Aka, Cassius und MS Dynamite. Ein besonderer Höhepunkt: Amon Tobins audiovisuelles Spektakel namens Isam, ein Mapping-Event allererster Klasse. Ergänzt wird das Programm durch eine hochkarätige Konferenz für elektronische Kunst, Technologie und Design. 16. bis 20. Mai Graz, diverse Locations
Warum Viertelfestival? Jedes Jahr findet das Festival in einem anderen niederösterreichischen Viertel statt. 2012 ist es das Mostviertel, das mit einem umfangreichen Programm (Musik, Kunst, Literatur, Performance etc.) aufwarten kann. Mitte Mai bis Mitte August Mostviertel / Niederösterreich
Lendwirbel
Das Straßenfest im Grazer Bezirk Lend entstand ursprünglich aus dem Eröffnungsfest eines Ladenlokals. Seit 2007 hat sich einiges getan und das Festival ist mittlerweile zur fixen Größe im jährlichen Stadtbild geworden. Den Besucher erwartet Kunst, Kultur und mehr im öffentlichen Raum. 4. bis 13. Mai Graz, Lend 079
termine mUSiK
Nowhere Train 16.05.
Mi | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn VVK: EUR 12,– | AK: EUR 14,–
Stefan Deisenberger Banjo Ian Fisher Gitarre Ryan Carpenter Akkordeon, Perkussion Jakob M. Kubizek Gitarre, Ukulele Frenk Lebel Mandoline, Gitarre Stephan Stanzel Lap Steel, Gitarre Martin Mitterstieler Kontrabass
Kevin Saunderson bringt Detroit in die Wiener Rinderhalle. Er gilt als Teil der »Belleville Three« als Erfinder von Techno.
Durchs klingende Niemandsland Fünf Musiker bereisen ungewöhnliche Orte in Österreich. Aus gemeinsam arrangierten und gespielten Songs entsteht ein musikalisches Portrait des Landes. Reisen Sie mit!
Vorschau Herbst 2012
Kevin Saunderson Detroit ist in den letzten jahren nicht unbedingt durch gute nachrichten aufgefallen. Das war mal anders. Die Stadt hat ja bekanntermaßen nicht nur eine glorreiche auto-, sondern auch eine ebensolche TechnoVergangenheit. zu den Pionieren des Genres gehört kevin Saunderson. Der Produzent ist seit über 25 jahren im Geschäft, im zuge der Saisoneröffnung der media Opera bringt er seinen Detroit Techno nach wien. 11. mai wien, Rinderhalle St. marx
… Violetta Parisini Wiens kosmopolitischste Songwriterin besticht mit wunderbaren Geschichten und smarten Stilverschränkungen – von der Ballade bis zur DJ-Kultur.
… Fatima Spar Quartett Endlich wieder da: Fatimas belebende Mischung aus Swing, Balkan Brass und türkischer Musik.
… Bo Candy and His Broken Hearts
… und viele mehr! GARAGE X, Petersplatz 1, 1010 Wien
Schon so gut wie ausverkauft: Dillon in der Wiener Pratersauna.
dillon saison
2011|12
klassik jazz world neue musik kinderkonzerte
(01) 505 63 56 www.jeunesse.at
Das internet liebt Dominique Dillon de byington. Und das nicht zu Unrecht: auf ihrem Debüt »This Silence kills« überzeugte die wahlberlinerin mit durchwegs klugem, gebrochenem, piano-lastigem Pop mit elektronischem einschlag. ihre Tour führt sie und ihr keyboard im mai auch nach Österreich. The Gap präsentiert das konzert in der Pratersauna. 18. mai pratersauna — 19. mai Graz, Springfestival
TexT jOnaS VOGT, manUel FROnhOFeR
Rhythm’n’Blues der alten Schule, mit einer Prise Country und Gospel – aus dem Burgenland statt den Südstaaten, trotzdem authentisch und: erfrischend euphorisch!
TERMINE M U S I K
HIGHLIGHTS MAI & JUNI
Bunny Lake An ihrem neuen Album scheiden sich die Geister: Manche sehen in »The Sound Of Sehnsucht« einen gelungenen Wurf, für andere haben Bunny Lake den Bandbus in die Hecke gefahren. Groß oder doch nur großspurig? Am besten selbst ein Bild machen! 16. Mai Wien, Pratersauna — 31. Mai St. Pölten, Cinema Paradiso
SA. 12.05. 20:00 | SONGWRITER
/ BLUES
ROTIFER / BO CANDY & HIS BROKEN HEARTS MO. 14.05. 20:00 | LESEPERFORMA
NCE
BIBIANA BEGLAU IN „PERRUDJA“ VON HANS HENNY JAHNN
Escape The Golden Gap Auch im Zuge des Urban-Art-Festivals »Escape The Golden Cage« soll und muss gefeiert werden. Die Party im k. u. k. Telegrafenamt Wien in Kooperation mit The Gap steht – dem Festivalnamen entsprechend – im Zeichen des Edelmetalls. Konea Ra (Bild) auf der Bühne und Sebas tian Schlachter an den Decks. 19. Mai Wien, k. u. k. Telegrafenamt
MI. 16.05. 20:00 | SOUL / JAZZ
CAROLINE HENDERSON
FR. 18.05. 20:00 | INDIE / POP
Allo Darlin’ Manchmal reicht eine Ukulele, um für Elizabeth Morris’ Geschichten den passenden Rahmen zu schaffen. Und manchmal darf’s ein bisserl mehr sein – dann wird das ganze Indie- und Twee-Pop-Arsenal aufgefahren, um den Songs Nachdruck und ein gewisses Strahlen zu verleihen. Charmant, charmant. 1. Juni Graz, Cuntra — 2. Juni Steyr, Röda — 3. Juni Wien, Rhiz — 4. Juni Innsbruck, Weekender
TROUBLE OVER TOKYO / MEL / CONTRAILS: INDIE-NATIVE # 12 SA. 19.05. 20:00 | KABARETT
ANGELIKA NIEDETZKY: MARATHON – DER LAUF MEINES LEBENS MI. 23.05. 20:00 | BLACK HUMO
MAX GOLDT: GATTIN AUS HOLZABFÄLLEN
UR
FR. 25.05. 20:00 | INDIE / POP
STEALING SHEEP / GINGA / SUSANA SAWOFF
M83 Der stete Aufstieg des Anthony Gonzalez ist hochverdient. Seit Anfang der Nullerjahre (damals noch mit Nicolas Fromageau) ersinnt der Franzose wunderbar einlullende, aber alles andere als einschläfernde Popmusik, für die Präfixe wie Shoegaze-, Dream- oder Ambient- gerechtfertigt sind. Großes Kopfkino! 3. Juni Wien, Arena
The War On Drugs »Dissonante Hall-Effekte, Krautrock-Collagen, freakige Folk-Instrumen tierung und ein Sänger, der wie ein junger Tom Petty auf Pilzen klingt«, so fasste Kollege Kirchdorfer das aktuelle Album der US-Band in seiner Rezension zusammen. Und auch sein Urteil sei hiermit erneut ausgesprochen: »ein kleines, verrauschtes Popjuwel«. Man merkt es schon, es handelt sich um eine Empfehlung. 5. Juni Wien, Arena
MI. 30.05. 20:00 | LITERATURSALO
JOACHIM MEYERHOFF: ALLE TOTEN FLIEGEN HOCH
N
FR. 01.06. 20:00 | INDIE / ELECTRON
SIN FANG / SOLEY
IC
MI. 06.06. 20:00 | KABARETT
THOMAS MAURER: OUT OF THE DARK FR. 22.06. 20:00 | KABARETT
SCIENCE BUSTERS: SAISONFINALE 2011/12 SA. 23.06. 20:00 | METAL
Hype!
Der Nino aus Wien
Auf der Suche nach dem Next Big Thing: Die dienstägliche Konzertreihe im Fluc hievt junge heimische Bands – von Indie-Rock bis Electro-Pop – auf die Bühne. 8. Mai Wien, Fluc: Amnesiacs — 15. Mai Destroyed But Not Defeated — 22. Mai Nanu — 29. Mai The Bridge And Tunnel People — 5. Juni London Elephants / Antonio Tavic
Der spaßige Liedermacher ist im Mai gleich zweimal im Stadtsaal zu sehen: am ersten Abend mit A Life, A Song, A Cigarette, deren neue Single »Easy« eben erschienen ist, und am zweiten mit Ernst Molden, der wiederum sein neues Album »A so a scheena Dog« im Gepäck mitführt. 25. und 26. Mai Wien, Stadtsaal
HORSE SKELETON / REAP / KATJUSCHA / TBA: METAL OVERDOSE # 39
Austra Katie Stelmanis, Maya Postepski und Dorian Wolf waren 2011 schwer angesagt. Jetzt ist der Hype etwas abgeebbt, die Band aus Toronto aber um keinen Deut schlechter. Musik zwischen Dark Wave und Electro-Goth. Club-, aber nicht zwingend tanz flächentauglich. 28. Mai Wien, Arena
Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstr. 43, A-4020 Linz Info + Tickets: Fon: 0732 / 78 18 00 www.posthof.at
Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.
Einreiseverbot im Erdbeerland
illustration Jakob Kirchmayr
W
arum auch immer, es wurde mir vor einigen Tagen ein Mail zugespielt, in dem zu lesen stand, was ein feministisches Popkulturmagazin in seiner kommenden Ausgabe als Leitthema für sein Heft plant. Ich war sofort begeistert und verrate wohl nicht zuviel, wenn ich sage, dass es dabei um »Haare« gehen soll. Ein bisschen mehr, aber noch immer nicht zuviel verrate ich, wenn ich hinzufüge, dass ich mit dem Gedanken spielte, der mir völlig unbekannten Chefredaktion eine hingesuderte Jeremiade über männlichen Haarausfall zu schicken. Ich ließ es aber bleiben. Erstens will so etwas ja niemand lesen und zweitens – viel wichtiger – will ich Derartiges eigentlich gar nicht erst schreiben. Das geht mir jetzt zu nah. Denn während im Frühling die Natur zu neuer Pracht erwacht und alles grünt und geil austreibt, stirbt mein spärliches Kopfhaar und sagt meiner Schädelhöhe für immer adieu. Selbst die allseits bekannte und angeblich auch wissenschaftlich überprüfte Wahrheit »Männer mit Bart und Glatze, sind gut auf der Matratze«, ist nur ein sehr schwacher Trost für dieses wiederkehrende Ereignis. Leider. Zudem beschlich mich auch das heimliche Gefühl, dass ein feministisches Popmagazin vielleicht nicht der richtige Ort ist, einen Text über genetisch bedingten Haarausfall beim Mann zu platzieren. Nein, nein, da müsste man ein anderes Thema finden, das alle interessiert und dennoch spezifisch ist. Irgendwas mit Sex oder Körperflüssigkeiten. Zum Beispiel eine Hintergrundreportage darüber, wer denn die Menschen sind, die pornografischen Machwerken das Prädikat »Female Friendly« verleihen? Ich hab da einmal wo gelesen, dass sich Frauenrunden einmal monatlich im Bürokomplex von PornHub in Montreal treffen und basisdemokratisch dem gesichteten Material die Pink Venus verleihen. Aber mir schwöbe auch ein journalistischer Do-It-Yourself-Bericht vor, bei dem ein Mann seiner Freundin Binden, Tampons oder Menstruationsbecher bastelt, das testen lässt und die positiv bewerteten Basteleien bei lässigen Craft-Party-Nights dann ultranachhaltig an die Frau bringt.
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Mir fällt in diesem Zusammenhang gerade meine Austropop-Lieblingszeile ein. Sie stammt von Peter Cornelius und ist grammatikalisch von prickelnder Knusprigkeit. Ein echtes Ding für Feinspitze: »Du hast das Recht so zu leben, denn du hast nur das eine, ok«, singt er in »Segel im Wind« und setzt sich mutig über sprachliche Gepflogenheiten hinweg. Denn der im ersten Satzteil verwendete Infinitv »zu leben« wird im zweiten Teil wieder aufgenommen und nominal gebraucht. Cool, ein echter Syntaktik-Punk. Wie dieser rhetorische Kunstgriff heißt, weiß ich jetzt leider nicht, er scheint mir aber ziemlich eng verwandt mit dem Zeugma bzw. der Syllepsis zu sein. Ein E-Mail an drei Sprachwissenschafter hab ich aber bereits verschickt, bei Interesse und Nachfrage kann ich das dann gerne mal wohin posten. Was ich im Mail an die Experten verschwieg, hier aber erklären sollte, da man sich sonst zurecht wundert, wie ich von selbstgebastelten Monatshygieneartikeln auf Peter Cornelius’ »Segel im Wind« komme, ist ein akustisches Missverständnis, das oft mit dieser schönen Zeile einhergeht. Nicht selten versteht man bei ungenauem Hinhören nämlich: »Du hast das Recht so zu leben, denn du hast nur das eine, O. B.!« Da tut sich nun ein neues, weites Feld für tolle Überlegungen auf. Nur soviel: Der selbstgebastelte Menstruationsbecher wäre wohl wiederverwertbar, was völlig neue Rechte und Pflichten in Sachen Lifestyle mit sich brächte. Egal. Gedacht hab ich in letzter Zeit übrigens öfters auch an Günter Grass. Letzterer hat es ja geschafft, mit seinem in vier Tageszeitungen gleichzeitig erschienenen Gedicht »Was gesagt werden muss« ordentlich Diskursprügel und ein Einreiseverbot in Israel zu kassieren. Was man aber in der ganzen Affäre positiv vermerken sollte, ist die tolle Begleiterscheinung, jetzt jeden Kommentar, Meinung oder Belanglosigkeit als schlechtes Gedicht verpacken zu können. Es muss sich nicht einmal mehr reimen.
Ich hätte da zum Beispiel ein Frühlingsgedicht im Angebot, das ich schon einmal vorab socialmediamäßig getestet habe. Es geht um Bärlauch: Bärlauch, Du Langos der Auen und Wälder! Der Westwind treibt Deine Knoblauchrülpser an mein Zimmerfenster. Stirb als Knödel oder Pesto. Ähnliches hab ich auch mit Spargel gemacht. Ich schätze ja dieses Gemüse und gehöre zu jenem Prozentsatz der Menschen, deren Lulu nach Verzehr der phallischen Feldfrucht nicht nach Schwefel riecht. Ich bin anscheinend genetisch nicht dazu in der Lage, irgendwas aufzuspalten. Ein Enzym, oder eine Säure oder was Ähnliches fehlt mir. Man wird leider nicht ganz schlau aus den Internetartikeln darüber, ob das nun gut oder schlecht sei. Der Tenor sagt, es sei egal, ich glaub das aber nicht. Das Gedicht jedenfalls, das ich darüber verfasste, könnte ein Problem werden. Grün und weiß ich liebe dir, du Spargel stach und schälte dich wie eine Banane mit Eichel eingemacht verzehrt in Vereinsfarben beim Fußballspiel zu Hanappi. Aber nicht in der Fankurve. Dort stinkt es nach Schwefel auch ohne dich und nicht nach Rosen und Veilchen, wie bei mir. Ich hätte auch noch einige Zeilen zum Erdbeerland im Talon. Aber ich will kein Einreiseverbot dorthin riskieren. Erdige Hände und Hintern in luftigen Höhen finde ich zu reizend, leider.
Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly
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