ANTI-ANTI-HEIMATROMAN — VEA KAISERS »BLASMUSIKPOP« CID RIM / STEIRISCHER HERBST / PROMETHEUS 128 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 128, AUGUST 2012
The Dark Knight Rises. Ariel Pink. Dwarf Fortress. Frank Ocean. Passion Pit. Nas. Sägenvier. Katharina Prazuch. The Soundtrack Of Our Lives. Metamaus. Cooly G. Im Wortwechsel: Was fehlt den »Creatives«, um zur »Industry« zu werden?
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Leitartikel von Thomas Weber.
EigENtlich EiN traUErspiEl: der österreichische Film. Er ist nicht radikal, nicht wagemutig. Knallhart zu kalkulieren traut er sich dann aber auch nicht. ins Kino kommt mittelmaß, das kaum einen interessiert – weder die massen, noch die connaisseure. Vielleicht, weil die branche zu feige ist?
Das gEFÄllE DEr gEFÄlligKEit Doch selbst der Status und Erfolg eines Michael Haneke wäre allein mit österreichischen Mitteln wohl ein anderer. Erinnert sich noch jemand an den kuriosen Streit darüber, ob Michael Hanekes »Das weiße Band« nun ein deutscher oder doch ein österreichischer Film sei? Vom Fördervolumen her ist die Sache als deutschösterreichisch-französisch-italienische Koproduktion eindeutig international. Dass sich so viele andere offensicht-
crowDFUNDiNg: pEaNUts zUr motiVatioN Vielleicht ist es ja zu begrüßen, wenn sich Filmeschaffende auf in die Welt machen müssen, um Geld aufzustellen oder ganz neue Modelle zu versuchen – wie das gerade erst das Kreativsyndikat Monochrom und der Filmemacher Arash
T. Riahi (»Exile Family Movie«) mit ihrem Projekt »Sierra Zulu« getan haben. Weil ihnen für ihr skurriles Sowjet-AbenteuerMovie sowohl seitens des Filmfonds Wien als auch seitens des Österreichischen Filminstitut ein »Njet« beschieden war, versuchte man es kurzerhand auf der Crowdsourcing-Plattform Kickstarter. Beachtlich, dass Fans und die Community, in der das Projekt seit Jahren Thema ist, binnen kürzester Zeit bereit waren, mehr als 50.000 US-Dollar zu geben. Doch mehr als einen Motivationsschub und einen PRträchtigen »Kickstart« kann diese Summe bei den insgesamt nötigen drei Mio. Euro tatsächlich nicht bieten. Was das zeigt? Nun: vorerst einmal die Chancen, aber auch die Grenzen des Hypes um Crowdfunding und Fan-Finanzierung; letztlich aber auch die Notwendigkeit, darüber zu diskutieren, was, wie und nach welchen Kriterien Filme gefördert werden soll. Warum die Förderung für »Sierra Zulu« abgelehnt wurde, blieb bislang nämlich unbegründet. Die Akteure selbst haben einstweilen eine amerikanische Filmfirma gegründet und werben in L.A. für ihr Projekt. Eines steht also bereits fest: Sollte es gelingen, »Sierra Zulu« dereinst auch in die Kinos von Wien Umgebung zu bringen – durch und durch österreichischer Film wird das dann keiner mehr sein. BILD MICHAEL WINKELMANN
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achen wir uns nichts vor: Der österreichische Film spielt keine Rolle, zumindest nicht über Österreich hinaus. Natürlich: Im besten Fall – und den gibt es durchaus –, da inspiriert er uns, irritiert er uns nachhaltig oder unterhält er uns gut, der österreichische Film. Jedem von uns fallen aus dem Stand ein paar abgründige Ansätze, denkwürdige Szenen, Gags und Pointen ein, die wir dem Schaffen der heimischen Kamera-Kleinkunst verdanken. Doch dabei handelt es sich in den allermeisten Fällen letztlich um InsiderSchmähs, die man nur hier versteht, in der Abgeschiedenheit der Provinz. Wirklich andernorts angekommen ist zuletzt nur Andreas Prochaskas »Die unbeabsichtigte Entführung der Frau Elfriede Ott«, der ein herausragendes Beispiel dafür ist, wie eine österreichische Komödie für den nationalen Markt intelligent produziert wird und darüber hinaus auch im Ausland Lacherfolge einfahren kann. Prochaska gehört zu den wenigen Filmemachern des Landes, denen es gelingt, über ihren Heimmarkt hinaus zu wirken und dabei doch »typisch« österreichische Popkultur zu schaffen, also mit österreichischer Färbung, Breite und Bodenhaftung. Eindrucksvoll gezeigt hat das bereits sein Austro-Slasher »In 3 Tagen bist du tot«, der etwa vom renommierten World Sales Celluloid Dreams neben den Filmen Michael Hanekes vertrieben wird.
lich mit der Welt im kleinen Österreich begnügen, hat auch mit dem Filmfördergebaren in diesem Land zu tun. Gefördert wird und würde nämlich am liebsten, was gefällt. Trotzdem kommt – mangels Alternativen – auch absehbares Minderheitenprogramm zum Zug. Wirklich bemerkenswertes, großes Kino geht da wie dort nur selten daraus hervor. Vielleicht liegt es daran, dass sich Gefallen möglichst schnell messen lassen soll. Diese Haltung gebiert nur zu oft berechenbare Machwerke, die auf den Erfolg und das schnelle Geld an den österreichischen Kinokassen abzielen. Oder, das andere Extrem: Filme, deren Hersteller sich von vornherein damit begnügen, mit einer Hand voll Kopien in schlecht besuchten Kinosälen gezeigt zu werden. Auch am notwendigen Apparat dahinter hapert’s nicht selten. Hat ein Film dann doch einmal Potenzial, lässt oft das Drumherum zu wünschen übrig. Nie werde ich die Reaktion eines Marketingmenschen vergessen, der – auf unterlassene Hilfeleistung für den Erfolg eines Films angesprochen – beleidigt defensiv mit »Wir sind professionell genug!« konterte. Sollte heißen: Für Österreich reicht’s schon, also lass mich doch bitteschön in Ruhe. Man glaubt es kaum: Der Film wurde dennoch ein Erfolg. Woran liegt es also, dass es dennoch immer wieder einmal österreichische Regisseure mit sperrigem Kino oder sogenannten »Festivalfilmen« sogar zu Achtungserfolgen im Ausland bringen? Vermutlich vor allem an der Beharrlichkeit einzelner Akteure, ihrem Einsatz und der Bereitschaft mit vergleichsweise überschaubaren Budgets zu arbeiten.
Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber
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Truth Is Concrete Camps sind so irgendwie das neue Ding auf Kunstevents. Da wuchern die Aktivitäten, es wuselt im Lager, aber vor allem wird damit die Grenze zwischen Kunst und Leben arg verwischt. Nach Berlin Biennale und Documenta hat nun auch der Steirische Herbst so ein Camp ins Zentrum seines Programms gebaut. »Truth Is Concrete« heißt es nach Bert Brecht, dem großen Polit-künstler. Das offene Basislager wird Ausgangspunkt für konkrete Handlungen sein.
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Magazin BLASMUSIKPOP 022 —— Einmal deutsches Feuilleton rauf und runter, bitte. Vea Kaiser hat mit ihrem Debüt geschafft, worum andere ihr Leben lang kämpfen. Sie hat mit »Blasmusikpop« ein Buch mit Bestselleralarm der guten Sorte geschrieben. GOLDEN FRAME: KATHARINA PRAZUCH 026 —— Die 22jährige Katharina Prazuch hat soeben den Zeichenwettbewerb »Utopie Jugend« von Albertina, Forum Alpbach und The Gap gewonnen. Wir nehmen ihre Arbeit ».« unter die Lupe. METAMAUS 028 —— Vor 20 Jahren ist »Maus« erschienen. »Metamaus«, das Comic über das Comic, arbeitet den langen Kampf mit dem Vater, der eigenen Geschichte und NaziDeutschland auf. DWARF FORTRESS 030 —— Das Spiel erschließt sich Anfängern nur schwer, ist unendlich komplex und laut seinem Entwickler Tarn Adams erst in ungefähr 20 Jahren fertig. Ein digitales Phänomen. SPEC OPS: THE LINE 033 —— Military-Shooter bereiten als Spiele oft actionreich Freude, schmerzen aber inhaltlich ob ihrer hirnlosen Propaganda. »Spec Ops: The Line« macht dies anders und lässt den Spieler über seine kriegstreiberischen Handlungen nachdenken.
Einfach Radel-Teams im Betrieb bilden und gemeinsam im Mai Radeltage sammeln!
PROMETHEUS 034 —— Ridley Scott erzählt in »Prometheus« eine Geschichte von Fortpflanzung, Vatermord und dem Erschaffen von Leben. CID RIM 036 —— Cid Rim ist dem Wiener Affine-Stall entsprungen. Sein Debüt auf dem renommierten Label Luckyme jongliert gekonnt mit Beats, Bass, Synths und Neutronenbomben. ARIEL PINK 038 —— Ex-Chillwave-Freak-Folk-Posterboy Ariel Pink fusioniert Lo-Fi Disco-Sound mit Frank Zappa- und SixtiesReferenzen zu wundersamen Pop-Perlen. MUSIK UND WERBUNG 039 —— Werbung stand am Anfang von Radio, von Boybands, von Megastars. Die Doktorarbeit von Pinie Wang widmet dem Thema schlappe 273 Seiten. TRUTH IS CONCRETE 042 —— Beim Steirischen Herbst rücken Kunst und Politik ganz nahe aneinander. In einem Basislager werden, nun ja, konkrete Wahrheiten zum gesellschaftlichen Ganzen gesucht. DEPARTURE GET TOGETHER: MULTIMEDIA 044 —— Gute Kooperationen sind ein Schlüssel für die Arbeit der Zukunft. Wir haben Multimedia-Büros gefragt, was funktioniert, und was nicht. SÄGENVIER 046 —— Wer denkt sich eigentlich Leitsysteme aus? Sägenvier zum Beispiel. Doch das Vorarlberger Büro macht noch so viel mehr. Ein Porträt.
Prometheus Entweder die Eltern oder ihre Kinder machen Probleme, oftmals beide gegenseitig – in der Vergangenheit, aber auch in der Zukunft. »Prometheus« heißt der neue CGI-Kracher von Ridley Scott, der im Vorfeld gern als Prequel zu »Alien« tituliert wurde. Jonas Vogt und Klaus Buchholz machen sich Gedanken zu Vaterschaftstests und schwulen Robotern.
034 Rubriken Leitartikel Inhalt Editorial Porträts / Impressum Fondue Fabula Rasa Unbezahlter Anzeiger Splitter Wortwechsel: Was fehlt den »Creatives«, um zur »Industry« zu werden? Workstation: Katharina Roßboth Lookk: Lookk Forward Reviews Introducing: Olivia Colman Termine
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Kolumnen Zahlen, Bitte: 1��000 Know-Nothing-Gesellschaft
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Bild der Ausgabe Kuh Miriam ist fotogen, ein Medienprofi. Leider auch schwanger. Deshalb wurde dann leider doch nichts aus dem Plan, unser Cover-Cowgirl Vea Kaiser auf der Kuh in den Sonnenuntergang reiten zu lassen. Am Hof des Ausflugsziels Bauernladen Hoffmann in Tullnerbach-Irenental wurde an einem lauen Sommerabend fotografiert.
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GEWINNEN! 2011 waren über 1000 Betriebe dabei! Wir radeln auch 2012 wieder!
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Heimat, fremde Heimat — Immer dann, wenn man als betonierter Urbanist mit Kühen, Alm und Blasmusik konfrontiert wird, heißt es erst einmal, die eigene Arroganz runterschlucken. Die Themen der Coverstory: Typisch österreichische Dörfer – uninteressant. Vea Kaiser – nie gehört. Debütroman – ach süß. Anti-Anti-Heimatroman – my ass. Bis man sich besinnt und eingestehen muss, dass man mal besser nicht den Moralapostel raushängen lässt, das letzte Mal Joyce und Jelinek ist immerhin etwas länger her. Wenn man schon all dem unguten Regionalstolz und Reality-Porno etwas entgegenhalten will, dann ist »Blasmusikpop« von Vea Kaiser gerade die Waffe der Wahl, ach was, die Ultima Ratio. Sag nicht ich, aber meinen zumindest die, die das Buch gelesen haben (s. 020). Herausgeber Thomas Weber ist sich sogar sicher, dass der Roman verfilmt werden wird. Heimat, fremde Heimat, gibt es gleich noch hinterher: die 22-jährige Gewinnerin eines Zeichenwettbewerbs (s. 026) und die entgrenzten Gräuel des Dritten Reichs, die Art Spiegelman zuerst zu »Maus« und später »Metamaus« antrieben. Und irgendwie ist doch auch Ridley Scott mit »Prometheus« auf der Suche nach dem heimatlichen Schoß (s. 032). Zum Hochsommer 2012 also Heimat überall? – Nein, danke. Aber Anti-Anti-Heimat? – Na zeig mal her. Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap
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Anna-Lisa Dorsch
Martin Riedl
Sport, Kuh und Bilder — Anna-Lisa Dorsch hat in den letzten Wochen fotografisch Einiges für uns gemacht. Zum einen hat sie Biorama-Chefredakteurin Johanna Stögmüller nach München auf den »DLDwomen«Kongress begleitet (siehe Splitter und www. thegap.at), zum anderen hat sie die Autorin Vea Kaiser für unsere Titelgeschichte fotografiert. Für diesen Job war die Absolventin der Wiener Graphischen die perfekte Wahl: Sie hat aus den schwierigen Lichtverhältnissen herausgeholt was möglich war und außerdem gekonnt zwischen Kuh Miriam und Vea Kaiser vermittelt. Anna-Lisa, selbst erfahrene Island-Pferde-Reiterin, konnte Vea ermutigen, sich dem schwangeren 800-kg-Tier – mit dem nötigen Respekt – zu nähern. Das Ergebnis ziert unser Cover. Ab Herbst zieht es die allgemein sportbegeisterte Anna-Lisa erstmal in die Ferne. Danach will sie im Bereich Digital Artwork tätig sein und Schrift bzw. Text und Bild möglichst gemeinsam wirken lassen.
Medienflüsterer — Martin mag Phil Collins. Das macht ihn grundsätzlich verdächtig – und sehr sympathisch. Man könnte vermuten, er hat The Gap bereits gekannt, bevor er sich bei uns beworben hat, weil: irgendwas mit Musik und Filmen macht ja jeder gern. Für so langweilige Dinge wie Social Media, Crowdfunding, ePublishing und Rechteverwertungsgesellschaften interessieren sich allerdings sonst nur Spinner so wie wir, oder eben Martin. Allein dadurch ist er nah dran am perfekten Praktikanten. Wenn da nicht noch der Umstand wäre, dass er zielstrebig alles macht, worum man ihn bittet, und das mit Genauigkeit, Witz und Fokus. Und das ist selbst dann nicht ganz leicht, wenn man schon mit ORF Wien, Wiener Zeitung, Lounge.fm und der ÖGB-Zeitung Solidarität fast die ganze Praktikumsrunde absolviert hat, den Zivildienst im WUK gemacht hat und auf der FH Journalismus studiert. Wir kennen da auch gaaanz andere Fälle. Irgendwann bleibt dann sogar noch Zeit für Sound Zoo, eine Discokapelle mit Zebra-Overalls, Piano und Cello. Eines nimmt man dem peniblen Kremsmünsterer allerdings nicht ab: »Mag Tiere weniger als Menschen, was nicht heißt, dass ich Menschen mag.« Ja ja, dafür aber Phil Collins hören …
TEXT MARTIN MÜHL BILD SOPHIA WIEGELE
TEXT STEFAN NIEDERWIESER
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HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTION Martin Mühl, Stefan Niederwieser REDAKTION Ranya Abd El Shafy, Niko Acherer, Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, Liliane Blaha, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Andreea Dosa, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Lisa Gotthard, Manfred Gram, Dominique Gromes, Benedikt Guschlbauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Lukas Hoffmann, Peter Hoffmann, Michael Huber, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Enrico R. Lackner, Artemis Linhart, Ali Mahlodji, David Mochida Krispel, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karolina Podolecka, Christian Prenger, Miriam Reichel, Teresa Reiter, Werner Reiter, Tobias Riedl, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Bernhard Schmidt, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Cornelia Stastny, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Raphaela Valentini, Jonas Vogt, Ursula Winterauer, Imre Withalm, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Anne Erwand, Martin Riedl TERMINE Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko FOTOGRAFIE Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann ILLBILLYILLUSTRATION Jakob Kirchmayr COVER Foto: Anna-Lisa Dorsch; Kuh: Miriam WORKSTATION-FOTOSTRECKE Katharina Roßboth ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Monopol, Yara Bartel LEKTORAT Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer WEB Super-Fi, m-otion ANZEIGEN Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) DISTRIBUTION Martin Mühl DRUCK Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Bernhard Schmidt PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien KONTAKT The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at BANKVERBINDUNG Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 ABONNEMENT 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— ERSCHEINUNGSWEISE 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
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Fabula Rasa Die Kolumne von Georg Cracked. Neue Standards in Sachen vertretbarem Kulturpessimismus No. 27.
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lilo nein Was Uns BeWegt!
Über texte uNd aNdere KörPer
Hurra, die illegale Anti-Piraten-Gratis-DownloadGesetzesvorlage wurde vom EU-Parlament gekippt. Wir sind Demokratie! Das finden alle gut im Internet. Außer jene, die mal die Idee hatten, von kreativer oder künstlerischer Arbeit zu leben, z.B. von Musik. Das ist aber egal, denn mir wurde das so erklärt: Mit Musik kann man heutzutage eh schon nichts mehr verdienen, das tun nur die vier großen Konzerne und gegen Konzerne kann man immer schon mal grundsätzlich sein. Und die paar Musiker, die tatsächlich von ihrer Musik leben können, wie U2, Coldplay oder Aerosmith, haben eh genug, die brauchen gar nicht noch mehr Geld. Moment, sagte ich dann, da muss es aber noch was dazwischen geben? Calexico zum Beispiel oder Mumford & Sons oder die Klaxons. Aber da war es schon spät auf der Party, die kleine Gruppe, in der ich stand, hielt sich mehr an ihren Bierflaschen fest als davon zu trinken und dann kam das Gespräch auch noch auf Lars von Triers letzte Filme und da konnte ich nicht mitreden, weil ich mein Taschengeld nur für den Eintritt zu »Ice Age 4« gespart hatte.
FÜr raUchVErbot, NUr Nicht bEim gras Dabei war der Abend vielversprechend in seinen Diskussionen: Allgemeines Rauchverbot ja, aber das soll nicht für Marihuana gelten. Ist der Dalai-Lama ein religiös-sanktionierter Alleinherrscher, oder ist er ein Diktator, aber eh einer von den Guten? Ich trage das Muslima-Kopftuch als Zeichen für meine individuelle, antikonsumistische und pro-feministische Haltung innerhalb eines aufgeklärten Islam, aber wie zeige ich das nach außen? Für die Menschen im Bezirk, wo ich wohne, sind doch alle Kopftücher gleich. Vielleicht mit einem Button auf dem steht »I go balla balla, for my only god Allah«? Sie fand das aber ernsthaft nicht so gut, weil zu uneindeutig. Also war mein zweiter Vorschlag »Mein Gott existiert wenigstens wirklich!«, und darüber wollte sie dann nachdenken. Ernsthaft. Außerdem fand sie, dass »Desperate Housewives« eine gotteslästerliche, reaktionäre, frauenfeindliche Serie sei, während ich eine Theorie dagegen hielt, nach der es die Rache eines frustrierten US-Produzenten an seinen Ex-Frauen sei. Aber trotz alledem endeten die Diskussionen bei Musik und als jemand sagte »Ich finde Musik total super!« beschloss ich, dass es Zeit zu gehen sei. cracked69@hotmail.com
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Sound-Schildkröte
Wearable Tails
Einer unserer Vorsätze für 2012 war, die »Awwwwww!«-Abteilung zuverlässiger zu bedienen. Also gibt es hier zwar keine Hundewelpen, aber dafür die Sound-Schildkröte für Babys. Drei verschiedene Musik-Modi schulen durch steigende Komplexität spielerisch das Gehör. Drückt der Hosenscheißer auf den farbenfrohen weichen Panzer, ertönen im ersten Modus einzelne Töne, im zweiten harmonische Zweiklänge, im dritten ganze Melodien. Die Farbkontraste helfen, Form und Farben der Plüschfigur zu erkennen. Für überambitionierte Eltern und solche, die es noch werden wollen.
Da beißt sich die Katze doch glatt in denselbigen: Anschnallbare Schwänze (im Internet auch als Strap-ons bekannt, einfach mal googlen) werden der Renner in 2013. Wer seiner Zeit wieder mal voraus sein will, lässt sie sich jetzt schon aus England schicken. Im Angebot sind unter anderem Eichhörnchen (bekannt aus »Ice Age«), Lemur (bekannt aus »Madagaskar«) und Fuchs (bekannt aus »Manta, Manta«). Sie sind stylish, praktisch und helfen beim Balancieren auf dem Geschmackssims, das Gleichgewicht zu halten. Außerdem sind Schwanzverlängerungen normalerweise deutlich teuer. www.kigu.co.uk
Bueronardin
Being Batman Irgendjemand hat ausgerechnet, was es kosten würde, Batman zu sein. Es ist erstaunlich »billig« und selbstverständlich absolut zu empfehlen. Anzug, Waffen, Training und Alfred sind kostentechnisch vernachlässigbar. Wenig überraschend muss man für die Fahrzeuge schon tiefer in die Tasche greifen. Alles in allem kostet Batman seine 682.450.750 USDollar. Den Löwenanteil nimmt dabei allerdings Anwesen und Batcave ein, aber da ist noch Raum nach unten. Christopher Nolan müsste ja beides jetzt gebraucht herumliegen haben.
28.9. – 7.10. A City Full of Design www.viennadesignweek.at
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Ösi Bua
(Musiker / Er ist der Ösi Bua)
TOP 10
MUSIK ZUM AUFSTEHEN, BMX’N AM BAUERNHOF ODER KOPF OFF MACHEN
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Curse – Widerstand Casper – Auf und davon HMBC – Vo Mello bis ge Schoppornou Damien Marley / NAS – Road To Zion Max Herre – Blick nach vorn Texta – Ned deppad Deichkind – Arbeit nervt Skrillex / Damian Marley – Make It Bundem Mac Miller – Smile Back B.O.B – Play For Keeps
TOP 5
MENSCHEN, VOR DENEN ICH AM MEISTEN RESPEKT HABE
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Alle Bio-Bauern Meine Eltern Bob Marley Stefan Raab Florian Richling
AUCH NICHT SCHLECHT: Kein Empfang haben am Sonntag. Schweinsbrotn, dazua an Leberkas. Nette Taxifahrer am Ende einer Partynacht.
Sophie Huber
(Praktikantin The Gap / Biorama)
TOP 10
Albert & Tina 2012
GEHT GAR NICHT Rasierte Männer Babysprache Sammelkarten Aufgeklebte Fingernägel Übergroße Gürtelschnallen Chihuahuas Muckibuden Muckis Aufgemalte Augenbrauen Nerd-Brillen mit Fensterglas Leinensackerl (als Handtasche)
TOP 5
SACHEN DIE ICH IN DER PENSION MACHE
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Farbstifte nach Farben sortieren Unterhosen bügeln Rommé spielen lernen Tischtücher besticken Häääää was hast gsagt?
AUCH NICHT SCHLECHT: Milchschaum
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Auch heuer machen wir wieder von 26. Juli bis 31. August Party auf der Terrasse der Albertina. TEXT JOHANNES PILLER BILD CLAUDIO FARKASCH
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Am 28. Juli fand die Eröffnung der diesjährigen Ausgabe von Albert & Tina statt. Schauplatz für den Afterwork-x-Kunst-Event ist die Terrasse des Albertina Museums mit ihrem feinen Ausblick auf das Palmenhaus, den Burggarten und den Sonnenuntergang. Wegen eines frühen Regengusses wurden Bar und DJ-Pult kurzerhand nach innen verlegt, wo DJ Laminat um 19.00 Uhr per Schallplatte die Eröffnung feierte. Um halb neun war die Terrasse wieder trocken und wir konnten nach draußen – was diesmal viele gleichzeitig wollten. Fünfmal hat man noch die Chance, Donnerstag abends von 19.00 bis 23.00 Uhr Kunst und Musik zu genießen. Als DJs haben sich Poetique Electronique, Anna Leiser, Moogle, Kid Soylent und Ken Hayakawa angekündigt. www.facebook.com/albertinamuseum
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TOP 5
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Monochrom veröffentlichen ihre irre und wirr-komische Raumfahrt-Soap nun auch auf DVD: Der Weltraum-Tourist onaniert in der schwerelosen Toilette, der Captain verharrt in Kalter-Krieg-Klischees und auch sonst wird es keine Sekunde langweilig. 11 Folgen improvisierter Raumfahrt-Humor.
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High-Heels und Human Resources
TEXT JOHANNA STÖGMÜLLER BILD ANNA-LISA DORSCH
»Neue Regeln, neue Werte« wurden auf der diesjährigen, von Hubert Burda Media organisierten Innovationskonferenz »DLDwomen« in München diskutiert. Moderne Suffragetten, neu inszeniert. Ursula van der Leyen ist keine große Frau – physisch gesehen. Die zierliche CDU-Politikerin, Mutter von sieben Kindern und Co-Schirmherrin der »DLDwomen« betritt als erster Gast die Bühne. Mit trainierter Stimme und Headset-Mikrofon spricht sie von der »bright side, specially for women«, welche die digitale Zukunft der Arbeitswelt bringen soll: Keine Männerbünde mehr! Denn: Digitale Netzwerke kennen kein Geschlecht. Applaus! Warum eine Frau wie Ursula van der Leyen, vor einigen Jahren ob ihres verbissenen Kampfgeistes (Stichwort: Internetsperre) von der Netzgemeinde »Zensursula« getauft, überhaupt auf dieser Konferenz spricht, ist eine andere Frage. Ein leicht konservativer Hauch umweht die Liste der geladenen Speaker. Auch Überraschungsgast Alanis Morissette sorgt für wenig Punk-Appeal, wenn sie von ihrer »personal connection with spirit« spricht. München ist anders. Die Slogans der Emanzipationsbewegung werden bei »DLDwomen« in einem exklusiven Rahmen gerufen. Im Haus der Kunst in München haben sich globale Denkerinnen, Unternehmerinnen, Kreative, Wissenschaftlerinnen und Investorinnen versammelt. Und: Ja, Männer sind auch da. Auf der Bühne und im Publikum. Nagellack in den Trendfarben der Saison, eine hohe Dichte an High-Heels und die Strick-Ecke – trotzdem ist »DLDwomen« keine Veranstaltung nur für Frauen. Es geht schließlich um unser aller Zukunft. Und die ist weiblich.
Das Kapital DEr FraU DLD – das steht für Digital Life Design. Die im Medienimperium von Hubert Burda entwickelte Konferenz mit mehreren Ablegern auf der ganzen Welt bietet ein Podium für engagierte und inspirierte Menschen, die mit ihrem Projekten aus den unterschiedlichsten Sparten wie Wirtschaft, Technik, Wissenschaft, Medien und Politik versuchen, die Welt zu verändern – und das auch sehr erfolgreich tun. Die digitale Revolution wird hier von einem Telekommunika-
tionsunternehmer als Motor für Geschlechterdiversität präsentiert, die weibliche Arbeits- und Brain-Power als Zukunfts-Kapital ins Rennen geworfen, ohne das es sich schon rein rechnerisch nicht ausgehen würde. Das Fazit: Weiblichen Stärken fangen bei Empathie an und hören ganz sicher nicht bei Multitasking auf. Die Digitalisierung der Lebens-, vor allem aber der Arbeitsbereiche bedeutet für Frauen vor allem eins: einen Vorteil. Nicht nur, wenn es um das Obsoletwerden der persönlichen Präsenz am Arbeitsplatz geht. Frauen sind viele, und die Arbeitgeber von morgen werden die gut ausgebildeten weiblichen Arbeitskräfte schlichtweg brauchen. Quotenforderungen sind in dem Zusammenhang nicht nur ein feministisches Dogma, sondern die Beschleunigung einer Notwendigkeit.
arbEit UND ÜbErlEbEN 150 Millionen Mädchen fehlen auf dieser Welt. Sie wurden abgetrieben, ermordet, weil sie Mädchen sind. Die Harvard-Professorin Iris Bohnet befasst sich mit dem Thema Gendercide, ihr Kollege Robert Jensen hat dazu eine Langzeitstudie in Indien durchgeführt: Im Rahmen der in Indien boomenden Call-Center-Branche wurde die Möglichkeit fokussiert, Frauen zu einer Berufstätigkeit zu verhelfen und ihnen somit ein eigenes Einkommen zu sichern. Die Aussicht darauf, dass Mädchen und Frauen arbeiten können und Teil des Wirtschaftssystems sind, hatte einen enormen Effekt auf die Entscheidung der Eltern, wie sie ihre Töchter behandeln. Die Überlebenschancen indischer Mädchen sind gestiegen, ja sogar ihr BMI hat sich messbar verbessert. »Being a boss and having babies«, wie es EU-Kommissarin Viviane Reding beschreibt, ist also nicht die einzige Herausforderung, mit der Frauen auf dem Weg ins mittlere und obere Management oder schlicht zur Gleichstellung konfrontiert werden. An manchen Orten auf dieser Welt ist die Herausforderung nämlich einfach die, zu überleben. Willkommen im digitalen Zeitalter. Gebrauchen wir unsere Smartphones und unsere Hirne. 01�
Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger
12.000 12.000 Schweizer Kunden forderten in einer Petition den Boykott israelischer Produkte. Nun sollen Waren aus dem Westjordanland gekennzeichnet werden. Ist das gut, böse oder eine jenseitige Überforderung der Moral?
I
m Supermarkt ist alles leider geil, was man will und alles ungeil, was man soll. Das weiß heute jeder Fastfoodmulti, deswegen verkauft er seine Industrie-Hamburger auch mit dem Biobauernschmäh. Was darf man essen? Die Fastenvorschriften des islamischen Ramadan sind im Vergleich dazu ein Kinderspiel. Rindfleisch? No way, katastrophale Energiebilanz. Trägt außerdem zur Erhöhung der Methangasproduktion bei. Fisch? Geht nicht, das hält das überfischte Meer nicht mehr aus, und außerdem sind da sicher ein paar Atome Fukuyima drin. Der Fair-Trade-Kaffee ist auch nicht wirklich fair, der Wein aus Australien geht wegen dem ökologischen Fußabdruck nicht, und der spanische Salat wird von modernen marokkanischen Sklaven geerntet. Ja, man kann die Motivation von Karen Duve in ihrem Bestseller »Anständig essen« schon verstehen. »An dem Tag, als ich beschloss, ein besserer Mensch zu werden«, war sie im Supermarkt und kam über die Ansicht eines langjährigen, geliebten Lebensabschnittpartners namens Hähnchen-Grillpfanne ins Grübeln.
Fallobst aus den Siedlungen Die Schweizer Supermarktkette Migros hat für 2013 eine Kennzeichnung für Orangen und Oliven aus den jüdischen Siedlungen im Westjordanland angekündigt. Man könnte sagen: eine löbliche Geste politischer Bewusstseinsbildung eines Konzerns, der auch moralische Werte im Einkaufssackerl mitliefern will. Aber was heißt das jetzt für unsereins vor dem Regal? Soll ich jetzt die Orangen boykottieren und durch das Vorüberschreiten an der Kiste meine Ablehnung der israelischen Siedlungspolitik demonstrieren – und zwar wenn schon sonst keinem Publikum, dann wenigstens mir selbst? Andererseits will der Konzern ja doch das Obst verkaufen. Warum sonst wird es denn sonst angeboten? Soll ich also die Orangen eben doch kaufen, damit ich vielleicht die in der Ernte eingesetzten palästinensischen Arbeiter unterstütze? Aber Moment, unterstütze ich damit nicht eher die Ausbeutung der Arbeiter und den Status Quo der illegalen Siedlungen? Oder soll ich die Orangen (als
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Israelunterstützer) genau deshalb kaufen, weil ich damit eine zackige Solidarität mit Israel zeigen kann? Oder appelliert der Konzern einfach nur an eine imageträchtige Bewusstmachung mit der Hoffnung auf keine Konsequenzen, damit am Ende weiter die Kasse stimmt?
Der gute Kapitalismus der Schweizer Denkungsart Wie man’s dreht und wendet: Der gute Kapitalismus der Schweizer Denkungsart stellt einen vor noch mehr Schwierigkeiten als ein moralisch blinder Kaufmannsgeist. Transparenz, sagt Migros-Chef Herbert Bollinger, sei das Gebot der Stunde. Was der Kunde dann mit den Etikett-Informationen »Westbank, israelisches Siedlungsgebiet« bzw. »Ostjerusalem, israelisches Siedlungsgebiet« macht, bleibe dem mündigen Bürger überlassen. Die israelische Botschaft verurteilt die Schweizer Neutralität als Akt der Diskriminierung Israels, der verlässliche Feuilletonscharfschütze Henryk Broder vergleicht das Kennzeichnungsvorhaben mit dem sogenannten Judenstempel in deutschen Pässen während des Nationalsozialismus. »Folgt man aber der Logik von Herbert Bolliger, könnte man sagen, auch das große rote J war keine Stellungnahme im Konflikt zwischen dem Deutschen Reich und seinen Juden, es war nur eine Maßnahme zur Herstellung von Transparenz. Der mündige Grenzbeamte sollte in die Lage versetzt werden, eine Entscheidung zu treffen, wen er einreisen lässt und wen nicht.«
Homophobe Pistazien Doch damit nicht genug. Wäre es nicht auch interessant, stichelt Broder weiter, zu wissen, woher die Pistazien im Supermarkt kommen? Vielleicht gar aus dem Iran, »wo Ehebrecherinnen gesteinigt und Homosexuelle an Baukränen aufgehängt werden?« Der Supermarkt als Minenfeld des Gewissens: Das Beispiel zeigt, wie die Zuständigkeitsbereiche einer moralischen Sensibilität ganz ohne den vielbeschworenen Tugendterror von außen und die lästige Gouvernantenstaatsgängelung beständig erweitert werden. Die Luxusmoral der konsumierenden Stände wird zum Alltag. Gefragt ist eine Tugend ohne Gott, die dem angekränkelten
Selbst den Bauch pinselt. Der New Yorker Musiker John Maus hat sein letztes Album passenderweise »We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves« genannt und dabei wohl nicht nur an die Tücken der Warenwelt im Supermarkt, sondern auch an das Balzgehabe in der Disco gedacht.
I Vs. Us Gleichwohl sind Worte wie »Wir« und »Uns« im Popzusammenhang eher retro, wenn man einem deutschkanadischen Forscherteam glauben darf. Das hat unlängst festgestellt, dass die Popmusik in den letzten 40 Jahren immer trauriger und selbstverliebter geworden ist. Früher hat man in Dur ein Wir eingeklatscht, heute jammert man in Moll über das arme, depressive Ich. Mal nachdenken, was war denn da: »We shall overcome«, »We will rock you« von Queen, »We are the champions« von der Südkurve, »We love you« von den Stones, »We are family« von Sister Sledge oder »Wir sind die Roboter« von Kraftwerk. Ok ok, passt. Und ab den späten 80ern immer mehr Ichichich! »Me myself and I« von De la Soul, »Ich-Maschine« von Blumfeld, »Fütter mein Ego« von den Einstürzenden Neubauten. Andererseits gibt es das Ich aber auch schon viel früher in depressiver, beschädigter Form: »I don’t like mondays« von den Boomtown Rats, »I am the walrus« von den Beatles, »I walk the line« von Johnny Cash oder »Zwickt’s mi« von Wolferl Ambros. Das händehaltende »We« war umgekehrt aber auch nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen: »We hate you little girls«, haben Throbbing Gristle mal gesungen, und das war jetzt echt kein Liebeslied, sondern schmuddelte hart an der Pädosexuellen-Grenze herum. Hilfe, Zensor in uns, bitte melden! Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at
Thomas Edlinger Journalist und Kurator
Das Ö1 KulturPicknick
DYNAMOWIEN
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Mit Willi Resetarits & den Stubnblues Allstars, dem RSO Wien unter der Leitung von Cornelius Meister, Musik aus allen Richtungen, Literatur- und buntgemischtem Kinderprogramm.
oe1.ORF.at/kulturpicknick
W채r so gern ein Cowgirl und muss stattdessen einen entlarvenden Bestseller 체ber das Landleben in St. Anger schreiben: Vea Kaiser. 020
Vea Kaiser — »Blasmusikpop«
Village People Es ist nicht gerade ein alltäglicher Anblick, wenn sich über 50 Buchhändler aus ganz Österreich im Hinterzimmer einer Altwiener Gastwirtschaft einfinden. Einem gastronomischen Traditionsort, dem man merklich ansieht, dass sich über die Jahre Gulasch- und Schnitzeldämpfe, Spritzer- und Bierrülpser ins Holz gefressen haben. Was sie in dieser Dichte dort hintreibt? Eine Lesung. Dass dies eine Lesung aus dem unveröffentlichten Erstlingswerk einer nahezu unbekannten Jungautorin sein wird, macht die Zusammenkunft nicht unbedingt gewöhnlicher. Ebenso, dass man noch nicht sonderlich viel vom aufgehenden Literaturstern weiß. Geburtsjahrgang 1988, einige Stipendien und ein Studium der klassischen und deutschen Philologie sind in der Mini-Biografie angegeben. Ach ja, den Buchtitel kennt man natürlich auch: »Blasmusikpop«. Das Buch jedenfalls, da ist sich der deutsche Verlag vorab ziemlich sicher, ist ein »furioses Debüt«, ein »großer Roman über ein kleines Dorf«. Ähnliche Sätze stehen bald einmal wo drauf. Hier wurde aber, abgesehen von literarischer Qualität, nach eingehender Prüfung wohl auch weiteres Vermarktungspotenzial gesichtet. So etwas führt zu einem kräftigeren Rühren der Werbetrommel als üblich. Inklusive Lesungen vor Buchhändlern, die ja gemeinhin als vertrauenswürdige Personen gelten und nicht selten in persönlichen Beratungsgesprächen den kaufentscheidenden Ausschlag geben. Auftritt Vea Kaiser.
Eine bunter Haufen Die hoch gewachsene, schlaksige Dame im kurzen Rock und mit langem Haar wird gleich persönlich. Sie habe am heutigen Tag ein sehr wichtiges Examen in Altgriechisch verhaut, erzählt Kaiser. Das, vor allem aber wie sie sich im Moment fühlt, erinnere sie sehr deutlich an ihren Romanhelden Johannes A. Irrwein. Dieser ist ein Musterschüler, hat aber seine Geschichte-Matura versemmelt. Deshalb hat sich Kaiser entschlossen, diese für Buch und Handlung sehr wichtige Passage an diesem Abend ihrem Publikum vorzusetzen und es damit persönlich in den Mikrokosmos ihres Romans einzuführen. Ein kunterbunter Mikrokosmos übrigens, randvoll mit funkelnden Einfällen und aberwitzigen Episoden aus dem Leben eines Bergdorfes und seiner Bewohner. St. Peter am Anger heißt das nicht einmal 500 Seelen zählende Kaff auf einem Hochplateau in den fiktiven Sporzer
Alpen, das in »Blasmusikpop« porträtiert wird. Dort wimmelt es von komischen Käuzen, die einem doch so unheimlich bekannt vorkommen. Da führt etwa eine übergewichtige Bürgermeisterdynastie Wort. Ein machtsüchtiger Großbauernclan verstärkt seinen Einfluss durch gezielte Heirat. Eine hierarchisch gegliederte Mütterrunde will sich nicht nur beim Kinderkriegen und Kuchenbacken übertrumpfen. Das Leben verläuft zwar in geordneten Bahnen, dennoch ist alles ein wenig neben der Spur.
Der Bergdoktor Mit Ironie, vor allem aber mit Liebe fürs Skurrile, geht Kaiser dabei zu Werke. Und obgleich die anklagende Härte des Anti-Heimatromans ihre Sache nicht ist, es wird nichts beschönigt und schon gar keine heile Welt herbeigeschrieben. Es ist, wie es ist, und es ist halt so. »Es gibt ja in der österreichischen Moderne die Tradition des Dorf-Bashing. Das sind Texte, die kann ich nicht lesen. Ich mag auch kein Schwarz-Weiß-Denken. Ich mag es lieber bunt. Darum dürfen auch meine Figuren bunt sein«, sagt die Niederösterreicherin, die in »Blasmusikpop« vordergründig drei Generationen von St. Peterianern porträtiert. Dabei setzt die Geschichte Ende der 1950er Jahre ein, als sich Johannes Gerlitzen, ein kaum 20-jähriger Berufsschnitzer, einen Bandwurm einfängt und daraufhin Arzt werden will. Das schafft er 021
Text und Interview Manfred Gram Bild Anna-Lisa dorsch
Die 23-jährige Niederösterreicherin Vea Kaiser porträtiert in »Blasmusikpop« ein kleines Bergdorf und seine vom Lauf der Zeit verschont gebliebenen Einwohner. Im Zentrum ein Held, der dort nicht hinpasst, obwohl er trotzdem anachronistisch entrückt ist. Bestselleralarm.
auch, beäugt aber nach seinem Studium das Treiben in seiner Heimatgemeinde mit der kühlen, rationalen Distanz der Wissenschaft und mit einer leidenschaftlichen Verachtung, wie man sie nur ehemals Geliebtem entgegenbringen kann. Nach dem Tod seiner Frau bringt der Bergdoktor seine Tochter alleine durch die Pubertät. Dass diese mit Alois Irrwein den trinkfesten Dorfdraufgänger ehelicht, sorgt für weiteres Konfliktpotenzial. Erst als der Ehe der heiß ersehnte Sprössling Johannes A. Irrwein entspringt, entspannt sich die Lage. Der hochbegabte, wissensdurstige Doktor-Enkel passt aber so gar nicht mehr ins Dorfschema …
Liebe zur Antike Ab hier zaubert die 23-Jährige eine hochalpine Coming of Age-Story aufs Parkett und treibt den jungen Sonderling Johannes durch die Wirren der Dorfgeschichte. Die übermenschliche Liebe Johannes’ zur Antike im Allgemeinen und seine kultische Verehrung für den griechischen Geschichtsschreiber Herodot im Besonderen macht sich Vea Kaiser dabei stilistisch zu Nutze. Jedem Kapitel ist ein von Johannes verfasster, historischer Bericht vorangestellt, der die Geschichte des Dorfes von seiner Besiedelung über die Völkerwanderung, Christianisierung, Reformation, Gegenreformation bis hin zu den Weltkriegen erfasst. Sprachlich und typografisch vom Rest des Buches abgehoben. »Ich wollte, dass diese Episoden ein wenig holprig klingen – so als übersetze man Herodot ins Deutsche«, erzählt Vea Kaiser über diese einleitenden Petitessen, die Struktur in ihren Roman bringen. Die Niederösterreicherin teilt mit ihrem Helden Johannes A. Irrwein übrigens die Liebe zur Geschichtsschreibung und der griechischen Antike. »Ab 1000 vor Christus wird es für mich interessant. Das ist der Zeitpunkt, bei dem mein Denken einsetzt«, erklärt Kaiser, die ein Jahr an der renommierten universitären Schreibschule Hildesheim verbracht hat, dort aber schnell bemerkte, dass der unterrichtete und vermittelte Literaturbegriff nichts für sie ist.
Sprachvermittlung Fasziniert ist Vea Kaiser auch von Dialekten. Ihren Dorfbewohnern verpasste die Autorin, deren Debüt demnächst auch ins Tschechische übersetzt wird, gar eine eigene Sprache. Mit Beratung ihres LinguistikProfessors erarbeitete sie Merkmale und Gemeinsamkeiten der bairischen Dialekte und formte daraus einen derben Kunstdialekt, der erheitert. »Hey Peppi, was ham a Gummi und a Sarg g’meinsam?« »In beiden steckt a Steifer?« »Owa woaßt, wos da Unterschied zwischen dem Steifen im Olla und dem Steifen im Holzpatschen ist?« – »Woaßt eh, da ane kummt, da andre geht. Servas!« Norddeutsche Leser, das versichert Kaiser, die die Frage auch selbst schon gestellt und positiv beantwortet bekommen hat, finden die sprachlichen Ausritte ins Bairische charmant und exotisch. So sehr, dass bereits vor Verkaufsstart des Buches eine zweite Auflage gedruckt worden ist. Und die Österreicher? Nun, die Abordnung der Buchhändler im Wiener Wirtshauszimmer hatte jedenfalls keine Verständnisprobleme. Im Gegenteil – vielmehr wollte man nach dem Ende der kurzen Lesung im Dorf und in der dort verwendeten Sprache seine eigene Region wiedererkannt haben. Willkommen in der Welt von »Blasmusikpop«, dort, wo die Luft noch sauber ist, die Kühe gesund sind und von Vereinnahmung noch Zauber ausgeht. 022
»Mit einer Kuh würde ich sofort in den Sonnenuntergang reiten« Vea Kaiser, 23-jähriger Literaturstern, erklärt im Gespräch, warum Homer Vergil vorzuziehen ist, ihr Pferde in der Leberkäsesemmel lieber sind und sie die Berge hasst. Vea, du hast mit »Blasmusikpop« ein sehr detailliertes Buch über das Dorfleben in der fiktiven, abgeschiedenen Gemeinde St. Peter am Anger geschrieben. Darf ich fragen, von welchem Berg du selbst kommst? Von keinem. Ich bin in einer 1.000-Einwohner-Gemeinde im Wienerwald und in der Wachau groß geworden und in St. Pölten zur Schule gegangen. Ich hatte das Dorfleben für mein Buch als Anschauungsmaterial und meine Eltern und Großeltern gefragt, ob sie lustige Geschichten aus dem Dorf kennen. Zu sehen und zu hören, wie Dorfmechanismen funktionieren, inspiriert einen, eigene Einfälle und Geschichten zu erfinden. Es ist aber fast alles, was im Roman vorkommt, frei erfunden. Denn die Realität war oft schlimmer als die Geschichten, die ich mir ausgedacht habe. Gibt es nennenswerte Sehenswürdigkeiten in deiner Heimat? Burgen, Schlösser, einen besonderen Baum, Kraftplätze, regelmäßige Marienerscheinungen? Nein, wir haben nur einen kleinen Hügel mit einem einzigen Schlepplift, mehr passt auf den nicht drauf. Und der ist nur wenige Tage im Jahr im Betrieb. Aber er ist der Schlepplift, der St. Pölten geografisch am nächsten ist. Hast du dort Schifahren gelernt? Um Gottes willen! Ich hasse Schifahren. Ich schau mir zwar unheimlich gerne Schirennen im Fernsehen an, aber ich mag es selbst nicht machen. Ich mag auch Snowboarden und Wandern nicht. Mir hat sich der Sinn davon noch nie erschlossen, dass Menschen wo rauf-
»Die Römer waren ein kunstloses, dekadentes, kriegerisches Volk. Und in der Literatur gibt es Ovid, ansonsten nichts.« (Vea Kaiser)
gehen, um einfach oben zu sein und dann wieder runtergehen. Ich bin kein großer Fan von Bergen und kann mit ihnen nicht wirklich was anfangen. Trotzdem liegt dieses St. Peter am Anger in den fiktiven »Sporzer Alpen«. In der Schweiz gibt es übrigens einen Ort, der Sporz heißt. Ich weiß. Ich war mit meinem Freund in der Schweiz unterwegs, als unser Auto in der Nähe von Sporz zusammengebrochen ist und wir dort übernachten mussten. So kam das Gletschermassiv, in dem St. Peter am Anger liegt, zu seinem Namen. Ein St. Peter am Anger gibt es dafür aber tatsächlich. Gleich in der Nähe von Böheimkirchen, deiner Gegend sozusagen … Ja und mit der Namensgebung des Dorfes hat es eine ähnliche Bewandtnis. Nur ist in St. Peter am Anger nicht das Auto zusammengebrochen, sondern ich. Wie das? Ich jogge gerne. Beim Laufen kommen mir nämlich immer die besten Einfälle. Wenn ich mein Leben ändern will, dann geh ich immer joggen. Vor ein paar Jahren – es war glaub ich 2006 – kam mir dabei die Idee zu diesem Dorfroman. Ich war so begeistert und bin gelaufen und gelaufen und gelaufen. Dabei habe ich allerdings nicht auf den Pulsmesser geachtet und irgendwann war ich derart außer Puste, dass es mich »zamdraht« hat. Das war genau vor dem Ortsschild St. Peter am Anger. Gut, dass du dich wieder erholt hast. Aber heißt das, du hast sechs Jahre an dem Buch gearbeitet? Mehr oder weniger. Vier Jahre Gedankenarbeit, zwei Jahre Schreibarbeit. Ursprünglich wollte ich ja einen historischen Roman über Wurmforschung schreiben. »Blasmusikpop« hat dann aber das geplante Wurmbuch quasi gefressen. Ein paar Stellen haben es dann doch ins Buch geschafft. Ich lasse ja alle Dinge, für die ich mich begeistere, in meine Texte einfließen. Eine Geschichte ist für mich wie ein volles Zimmer. Mistest du beim Schreiben auch aus? Ja, wenn es zu voll wird, werfe ich Sachen weg. Vor allem die temporären Faszinationen fallen dem Rotstift zum Opfer. Zum Beispiel fand ich es eine Zeitlang ziemlich toll, wenn Mädchen auf Kühen reiten. Dazu gibt es unzählige Videos auf YouTube.
Was fasziniert dich so an Cowgirls? (Lacht) Ich glaub, ich würde selbst gern ein Cowgirl sein und auf Kühen reiten. Also, ich saß mit vier Jahren einmal auf einem Pferd und das ging sofort mit mir durch, seitdem mag ich Pferde nur als Leberkäse. In meiner Jugend war ich dann irgendwie sauer, dass alle anderen Mädchen reiten und Pferdesticker sammeln, und ich aufgrund meines Traumas nicht mitmachen konnte. Mit einer Kuh würde ich allerdings sofort in den Sonnenuntergang reisen. Du gehst mit deinem Figureninventar liebevoll ironisch um. Du verklärst nichts, klagst aber auch nicht dezidiert an. Bist du einverstanden, wenn man sagt, du hast einen Anti-Anti-Heimatroman geschrieben? Das ist eine schöne Bezeichnung. Für mich ist das Buch aber vor allem ein Blasmusikpoproman. Das heißt was genau? Ich wollte die Geschichte von einem Jungen und seinem Dorf mit einem Poproman verbinden. Poproman heißt ja nach meiner Definition, dass sehr stark zitiert wird, was für die Figuren elementar ist. Orte, Clubs, Markenkleidung, Musik, Helden aus Film, Literatur oder Comics. Wenn ich einen Poproman am Land schreibe, dann ist es der Landkosmos, der für die Figuren elementar ist. Die Feuerwehr, Fußball am Dorfplatz, Maibaumaufstellen, Seifenkistenfahren, die katholische Kirche oder eben Blasmusik. Elementar ist auch die Liebe deines Helden Johannes zur altgriechischen Sprache und zu seinem Idol, dem antiken Geschichtsschreiber Herodot von Halikarnassos. Du studierst doch auch selbst Altgriechisch, oder? Ja. Das Interesse für die Antike wurde bei mir in der Schule geweckt. Ich hatte immer das Gefühl, ich lerne im Griechisch-Unterricht mehr als in allen Schulfächern zusammen. Wenn man Griechisch studiert, hat man eine riesige Leidenschaft für Geschichte und Geschichten. Man hat einfach einen Riesenfundus an Erzählungen und Biografien, der einen inspiriert und auf den man zugreifen kann. GriechischStudenten träumen sich auch sehr gerne aus der Gegenwart weg. Ich zum Beispiel kann die Gegenwart immer sehr gut ausblenden. Wie hältst du es eigentlich mit den Römern? Die römische Kultur ist absolut unspannend. Sie haben in ihrer Zeit als Imperium keinen einzigen eigenständigen Kunstgegenstand hervorgebracht. Sie waren gute Architekten, ja, aber ansonsten ist alles Römische von den Griechen abgekupfert. Die Römer waren ein kunstloses, dekadentes, kriegerisches Volk. Und in der Literatur gibt es Ovid, ansonsten nichts. Wer bitte liest freiwillig Vergil, wenn man Homer lesen kann? Eine rhetorische Frage? Ich hänge halt an den Griechen. Das Tragische ist, dass ich besser Latein als Griechisch kann, weil es eben die einfachere Sprache ist. Und eigentlich ist Latein nach wie vor noch eine lebendige Sprache. In der Medizin, in der Biologie, oder wenn du Priester im Vatikan verführen willst. Mit dem Land-Katholizismus gehst du in deinem Buch auch sehr entspannt um. Johannes besucht ein Stiftsgymnasium der Benediktiner. Abgründe werden zwar angedeutet, aber die sind ja nahezu niedlich im Vergleich dazu, was in den letzten Jahren so an die Oberfläche kam. Man kann über die katholische Kirche sehr viel Kritisches schreiben und es ist einer der schlimmsten Vereine ever. Aber ich wollte in meinem Buch jetzt die Kirche nicht zum Bösen machen. Dazu gab es keine Veranlassung. Außerdem ist literarisch gesehen der Katholizismus ohnehin schon völlig dekonstruiert. Die Kirche ist vielmehr für mich, aber auch für viele andere junge Autoren ein Codepool, an dem man sich bedienen kann. Du kommst gerade aus Prag, wo du an einem neuen Buch arbeitest. Worum wird es gehen? Mein nächster Roman spielt auf einer kleinen, erfundenen griechischen Insel. Die Insulaner wollen verhindern, dass die Insel bankrott geht. Du hast es anscheinend mit kleinen Gemeinschaften abseits der Welt? Ja, einen Großstadtroman wird es von mir niemals geben. 023
Sechs gute Gründe, »Blasmusikpop« zu lesen:
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Text Thomas Weber
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Das Buch ist gut recherchiert, klug, aber nie verkopft. »Blasmusikpop« strotzt nur so vor verzerrten Fakten und beiläufig eingestreutem Wissen. Die liebevoll bis in kleinste Details ausgemalte Spießigkeit eines Lebens in der Bildungsferne des hochalpinen österreichischen Hinterlands wurde wahrscheinlich noch nie hingebungsvoller geschildert als von Vea Kaiser. Man merkt: Die Autorin weiß, wovon sie spricht. Den Bergbarbaren und »all den tumben Bergbauern und ihrem Verdauungsschnaps« stellt sie zwei Außenposten der »Zivilisation« entgegen: einen Mediziner und seinen Enkel. Beide widmen ihr Leben der Wissenschaft. Mit Parasiten und antiken Denkern muss man sich nicht beschäftigt haben, um nach knapp 500 Seiten doch einiges über sie erfahren zu haben. Gerade wer nicht im Dorf groß geworden ist, wird viel über Österreich lernen.
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»Blasmusikpop« ist durch und durch österreichisch. Nein, auch wenn es diesem Buch nicht an Gehalt fehlt: Das hier ist keine Weltliteratur! Zu sehr zementiert Kaiser mit ihrem eigens kreierten bairischen Kunstdialekt das Unurbane, Ungehobelte, Rustikale und Fortschrittsfeindliche – das typisch Österreichische ein. Ein Österreich-Roman (so er sich nicht als Abgesang auf den kakanischen Vielvölkerstaat versteht) lässt sich offensichtlich immer noch nicht aus der Stadt heraus erzählen. Österreich ist ein Dorf. Wir sind Sankt Peter am Anger.
Vea Kaiser hat Witz und kann erzählen. Vea Kaiser hat das Talent eines Michael Köhlmeier. Sie kann erzählen, richtig gut unterhalten, verfügt über eine beeindruckende Beobachtungsgabe und schafft es dabei auch noch, zu vermitteln: zwischen Barbaren und Kultivierten, zwischen scheinbar Gegessenem und der Gegenwart, zwischen (Klein-)Stadt und Land. Dabei ist »Blasmusikpop« nicht nur eine Roman gewordene Sammlung von Dorfgeschichten, sondern ein drei Generationen übergreifender Entwicklungsroman, der den »Tagebüchern des Adrian Mole« oder auch dem »Club der toten Dichter« um nichts nachsteht. Manch derben Schmäh, manch skurrilen Charakter, die Situationskomik, aber auch die irrwitzigen Einfälle Kaisers wird man nicht so schnell vergessen. Etwa, wenn der Bürgermeister die neue Dorfdisco mit den Worten: »Na dann lasst’s uns tanzen, bis den Mädls die Duttln aus den Dirndln hupfn!« eröffnet.
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gibt es Dörfer wie St. Peter am Anger überall. Auch die Welt ist schließlich ein Dorf. Eine Übersetzung ins Tschechische ist schon fix. Und eine Fortsetzung von Kaisers Roman drängt sich förmlich auf: Man möchte schließlich wissen, wie es diesem Johannes Alois Irrwein weiter ergeht.
Womöglich kann sich sogar das Feuilleton mit diesem Stück Popliteratur anfreunden. Eine Hassliebe mit dem Feuilleton ist jedenfalls drin. Allein schon, weil Vea Kaiser als angehende Altphilologin keinen Hehl daraus macht, dass sie ihr Fach liebt und lebt. Die Autoren der klassischen Antike holt sie in die Gegenwart. Gerade die Wächter des Abendlandes können gar nicht anders als das gut finden. Und auch sonst zitiert sich Kaiser durch die Literatur- wie Altvordere durch die Pop-Geschichte. Selbst Thomas Bernhard findet – inhaltlich, nicht stilistisch – eine Bestätigung. Sein Stehsatz »Die Großväter sind die Lehrmeister« hat auch in Kaisers Dorfchronik seine Gültigkeit – wenngleich sich der Enkel bei ihr emanzipieren darf.
»Blasmusikpop« ist ein Anti-Anti-Heimatroman ohne Angst vor Kitsch und Happy End. Ohne viel Folkore und ohne zu beschönigen beschreibt Kaiser das Leben auf dem Land. Zwar wird im Dorf vieles totgeschwiegen und als gottgegeben genommen. Doch dass hier keine Kinder mehr verkauft, niemand geknechtet und keine Mägde missbraucht werden, ist letztlich Beweis dafür, dass die Zivilisation gerade auch bei den Bergbarbaren Einzug gehalten hat. Und ist sie auch nur an den Fernsehgeräten, Gatschhupfern, Modemagazinen und Nordic-Walking-Stecken sichtbar. Weder an der Idylle, noch an der Enge muss sich Kaiser abarbeiten. Beides sind Pop-Chiffren, die als bekannt vorausgesetzt und aus der sicheren Distanz weitergedacht werden. Die Klosterschule, die der junge Johannes A. Irrwein besuchen darf, ist kein Hort der Pädophilen, Heuchler und Sadisten, sondern als schöngeistiges Bollwerk der Bildung selbst vom Ungeist des Marktdenkens bedroht. Denn die Welt ist längst nicht mehr klein, überschaubar und sicher. Nichts ist gottgegeben. Das weiß die Erzählerin. Das weiß der Leser. Und nach im Kloster verhauter Matura und geläutert durch einen Sommer der weltlichen Reife gegangen, weiß es am Ende auch der Enkel. Das mag kitschig sein. Peinlich ist es nie.
Dieser Roman wird verfilmt werden – als Bestseller. Das ist eine Prognose. Gewagt ist sie aber nur deshalb, weil es kaum noch richtige Bestseller gibt. »Blasmusikpop« wird es als Taschenbuch geben, als Hörbuch, die Autorin wird unzählige Male daraus vorlesen, Widmungen hineinschreiben, und er wird verfilmt werden –hoffentlich weniger schrullig als »Der Unfisch« (schon wieder Köhlmeier) und ohne auf den Erfolg von »Die Piefke-Saga« zu schielen. Vielleicht wäre die Story etwas für Michael Glawogger. Niemand wird danach trachten, den Wikipedia-Eintrag zu Vea Kaiser, an dem sicher schon irgendjemand bastelt (und sei’s ihr Verlag), löschen zu lassen. Vielleicht wird es sogar einen englischsprachigen Eintrag geben. Dieser Roman wird nämlich auch übersetzt werden. Denn obwohl durch und durch österreichisch,
»Blasmusikpop«: Der Debütroman von Vea Kaiser ist im deutschen Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.
golden frame — Katharina Prazuch
Irgendwo zwischen Ab- und Auftauchen gefangen. Die schillernde Vision einer »Utopie Jugend« überzeugte die Jury und Publikum des gleichnamigen Zeichenwettbewerbs.
Abtauchen! Knapp unter der Wasseroberfläche reflektiert Katharina Prazuch, die Gewinnerin des Zeichenwettbewerbs von Forum Alpbach, Albertina und The Gap, mit ihrer ausdrucksstarken Bleistiftzeichnung zum Thema »Utopie Jugend«. Katharina Prazuch überzeugte mit ihrem Beitrag schlussendlich die meisten Publikumsvoter des Wettbewerbs »Utopie Jugend«, für ».« zu stimmen. Der eigenwillige Titel, den die 22-jährige Komparatistikstudentin ihrem Werk gibt, sei dem Atem gleichzusetzen, oder ›enso‹ – einem Ausdruck des Momentanen: eine Leerstelle, ein Dazwischen. Aussteigen, untertauchen, aber ohne unterzugehen. In Hinblick auf das Thema des Wettbewerbs, »Utopie Jugend«, ist die Tauchende wohl als ein Statement in Richtung Innehalten im Strudel des Erwachsenwerdens zu sehen, ein Kontra zu den Anforderungen und Anstrengungen, die das Leben oder die Gesellschaft abverlangen. So viele Wege, so viele Entscheidungen, und man rast im Zug der Zeit mit. Da kommt Sehnsucht auf nach Anhalten, nach dem Empfinden des dumpfen Halls der Realität, der zu vernehmen ist, wenn man den Kopf unter Wasser steckt und sich Geräusche zu schemenhaften Lauten verwandeln. Sich unter der Oberfläche zu befinden, verändert auch die Sicht auf das Darüber. Man sammelt sich, um es zu betrachten. Von außen wirkt der Anblick unklar und vom welligen Wasserspiegel getrübt. Die Zeichnerin spricht von der »schönen Verzerrung des Gesichts, dem Verschwimmen der Wellen und der Gesichtskonturen«, die für den Augenblick festgehalten sind. Abtauchen oder auftauchen – wie man es gerne sehen möchte.
Als Vorlage diente der seit Kindergartenzeiten in Wien lebenden gebürtigen Polin ein Werbefoto aus einer Modezeitschrift. Mit Bedacht auf Oberflächen- und Tiefenstruktur hat sie dem gefundenen Bild unter Verwendung ihres liebsten Mediums, dem Druckbleistift auf Papier, ihre persönlichen Eindrücke beigemengt. Zeichnen gehörte schon seit frühester Kindheit zum favorisierten Ausdrucksmittel ihres kreativen Outputs. Motiviert durch ihre Schwester hat sie das 2010 entstandene Werk schließlich zum Wettbewerb eingereicht. Neben Mode, Fotografie und kulturellem Experimentieren interessiert sich die junge Literaturwissenschaftlerin dabei für den medialen und zwischenmenschlichen Austausch. Kunst biete sich als ideales Medium an, um Grenzen verschwimmen und verschiedenste Eindrücke und Überzeugungen sowie Techniken zusammenfließen zu lassen. Von Rilke bis Kafka, Kracht über Lang, von Frittenbude bis CocoRosie, ja und auch Prada und McQueen, da gibt es kein Gegeneinander, das alles kann man kreativ miteinander verbinden. Ganz im interkontextuellen Fluss ist es also um die Gewinnerzeichnung bestellt. Was meint Katharina nun also konkret zu Utopie und Jugend? Diese Begriffe fallen für sie mit dem Zustand des Tauchens zusammen: Abweichen vom Rest, sich ausklinken, sich dazwischen aufhalten. Die Utopie liegt in der Tatsache, dass es sich letztendlich doch nur um einen Moment der Abgeschiedenheit handeln kann, bevor die Atemnot die Taucherinnen wieder ins hier und jetzt zurückholt. Das Abtauchen ist ein temporärer Zustand, der die Realität verwässert – genau wie wir uns vom Begriff der Jugend als wünschenswertem Dauerzustand immer mehr entfernen, je weiter das Alter voranschreitet und Jugendlichkeit schließlich zur utopischen (Wunsch-)Vorstellung einer Gesellschaft wird. Die zehn Gewinner des Wettbewerbs »Utopie Jugend« sowie das hier vorgestellte Gewinnerwerk des Publikumsvotings werden ab dem 18. August im Rahmen einer Ausstellung während des Europäischen Forum Alpbach 2012 präsentiert.
Text Margit Emesz
Ausklinken auf Zeit
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Art Spiegelman: »MetaMaus« — Einblicke in einen Comic-Meilenstein
Maus × Mann × Shoah 028 Der Comic-Roman »Maus« ist und bleibt ein bahnbrechendes Stückchen Kultur. Sein Schöpfer Art Spiegelman wird seither fast ausschließlich in Verbindung mit diesem Werk wahrgenommen. Mit »MetaMaus« sollen nun alle Fragen ein für alle Mal beantwortet werden. Comics genießen immer öfter das Rampenlicht der Universitäten. Viel zu oft aber geht diese Auseinandersetzung Hand in Hand mit einem zwanghaften akademischen Drang nach Erhebung in den Rang der »echten Künste«. Es bedurfte einer ungenierten Wissenschaftlerin wie Hillary Chute, um einerseits nicht in diese Falle zu tappen und andererseits ein so gewaltiges Monument wie »Maus« in Angriff zu nehmen. Ihre Arbeiten an der Harvard University und der University of Chicago waren es, die den Autor Art Spiegelman schließlich dazu bewegten, ihr Zugang zu seinen umfangreichen Aufzeichnungen zu gewähren. Das Ergebnis nennt sich »MetaMaus«. Dass »Maus« seine ganze Karriere überschatten sollte, konnte er 1980 beim Abdruck der ersten Episode im Magazin RAW noch nicht ahnen. »Ich hatte arroganterweise angenommen, dass mein Werk erst posthum anerkannt werden würde«, gesteht Spiegelman. Als Pantheon Books 1986 die ersten sechs Teile in einem Sammelband veröffentlichte, begann es ihm zu dämmern, wie monumental sein Werk angesehen wurde. Mit der Vollendung von »Maus« fünf Jahre später verschmolzen Künstler und Werk. Spiegelman wurde u.a. mit dem Pulitzer-Preis geehrt und trat einen kontinuierlichen Rückzug an, vor dieser Eindimensionalität der Wahrnehmung flüchtend. Umso beeindruckender also, dass es Hilary Chute nicht nur gelang, den Künstler wieder zu seiner eigenen Nemesis zurückzubringen, sondern eine finale Stellungnahme zu »Maus« öffentlich zu machen.
Text Nuri Nurbachsch Bild MetaMaus / Pantheon Books 2011
Geschichts- vs. Geschichtenbewältigung Der Ursprung von »Maus« liegt in Art Spiegelmans angespanntem Verhältnis zu seinem Vater Vladek Spiegelman begründet. Über lange Zeit hinweg fehlte beinahe jeglicher Kontakt zwischen den beiden. Einerseits war Vladek der einzige noch verbleibende Rest seiner engsten Familie – seine Mutter Anja beging Selbstmord, als er 20 Jahre alt war. Gleichzeitig klaffte zwischen den beiden einige enorme Gräben. Einer davon sollte paradoxerweise zur Annäherung zwischen Vater und Sohn führen und der Grundstein für »Maus« werden: Vladeks Erlebnisse in Nazi-Deutschland und dessen Konzentrationslagern. In »MetaMaus« zeigt Spiegelman bereitwillig auf, wie schwer er damit zu kämpfen hatte, dass seine Familiengeschichte sowohl unmittelbar mit seinem Vater als auch in der Zeitgeschichte verhaftet war. Als er Anfang der 1970er beschloss, ihn ausführlich zu befragen, geschah dies auch mit der Hoffnung auf therapeutischen Effekt. »Es war schwierig für mich, über meine Vergangenheit nachdenken zu müssen, und es war schwierig, in der Gegenwart meines Vaters sein zu müssen, metaphorisch gesprochen und auch ziemlich konkret«, gesteht er.
und emotionale Aufarbeitung werden oder konnte es als historische Biografie Bestand haben? Bis in die kleinsten Details beleuchten Hillary Chute und Art Spiegelman die Strapazen, um eine angemessene Balance zu finden. Die trügerische Natur individueller Erinnerungen, wie auch die Verlockung, diese zu Fakten zu erheben, war Art Spiegelman an jedem Punkt bewusst. Seine eigenen Worte bringen es am ehesten auf den Punkt: »Das Thema von ›Maus‹ ist die Suche nach der Erinnerung und letztlich die Erschaffung von Erinnerung.« Aus dieser Situation heraus ergab sich dann auch für »MetaMaus« die Entscheidung für das Medium Comics. Nicht nur ist es Spiegelmans vertrauteste Schreibform, es boten sich damit auch ein paar Vorteile. An diversen Beispielen, dank Exzerpten aus Notizen und Skizzen säuberlichst dargestellt, zeigt »MetaMaus«, wie Spiegelman das Medium nutzt, um die diversen Ebenen – der Erzähler Vladek, Vladeks Wiedergabe der Berichte anderer, Art als Sohn im Comic, Art der Künstler außerhalb des Comics, historische Fakten etc. – sichtbar zu machen. Darin hebt sich »Maus« auch heute noch von anderen persönlichen Darstellungen des Zweiten Weltkriegs ab. Die Schritte, die Art Spiegelman – sehr oft von Ehefrau Françoise Mouly tatkräftig unterstützt – auf seiner Suche setzte, fügen sich auf den Seiten von »MetaMaus« jetzt zu einem imposanten Gesamtbild von zwangsneurotischer Hingabe an den Schaffensprozess.
Das letzte Wort So führen Hillary Chute und Art Spiegelman die Untersuchung weiter. Einflüsse, Hintergründe, Familiengeschichte und vieles mehr – was auch immer Relevanz in der Entstehung von »Maus« hatte, wird unter die Lupe genommen. Familienstammbäume und Zeitlinien vervollständigen den Hintergrund. Auf der DVD findet man eine vollständige, digitale Ausgabe von »Maus« (mit Skizzen, Audioclips und Notizen versehen), ein vollständiges Transkript der Gespräche zwischen Vladek und Art, die »Maus«-Notizbücher von Art Spiegelman und tausende Entwürfe aus dem Entstehungsprozess. In dieser Masse und Tiefe an Material ist scheinbar wirklich alles gesagt, was es zu diesem wegweisenden Werk zu sagen gibt. Letztendlich bleibt nur die Frage, ob es denn wert ist, sich so sehr damit auseinanderzusetzen? Festzuhalten ist, dass »Maus« einen unauslöschlichen Einfluss auf unsere Kultur hinterlassen hat. »MetaMaus« besteht als notwendige und umfassendste Untersuchung des Werkes mit faszinierenden Einblicken. Und ein inniger Wunsch von Art Spiegelman dürfte damit auch erfüllt worden sein: Jede Frage zu »Maus«, die ihm künftig gestellt wird, kann er getrost auf »MetaMaus« abwälzen. Hier steht alles drin.
Erinnerung in Bild und Schrift Ein anderes Hindernis in der Entstehung von »Maus« war die Quelle selbst. Wieviele von Vladeks Erinnerungen waren überhaupt präzise? Wie konnte Art sicher gehen? Sollte »Maus« eine persönliche 028
»MetaMaus« erscheint im September im S. Fischer Verlag in deutscher Sprache. Die englische Ausgabe ist bereits bei Pantheon Books erschienen. www.pantheonbooks.com
Ad Personam: Art Spiegelman Am 15. Februar 1948 kam Itzhak Avraham ben Zev Spiegelman in Stockholm zur Welt, wurde bei der Einreise in die USA auf Arthur Isadore umbenannt und änderte seinen Namen bei erster Möglichkeit auf Art Spiegelman. Als Teenager begann er bei Topps Bubblegum als Illustrator von Kaugummi-Sammelkarten zu arbeiten, wo er an US-Popkultur-Phänomenen wie den »Garbage Pail Kids« mitwirkte. Bereits in seinen frühen 20ern wurde er zu einem elementaren Bestandteil der Underground Comix in den USA. 1975 gründete er mit Bill Griffith das Magazin Arcade. 1980 riefen Françoise Mouly (seit 1977 seine Ehefrau) und er die Anthologie RAW ins Leben, welche zu einer zentralen Publikation der alternativen Comic Book-Szene wurde. 1986 erschien der erste Band von »Maus«, 1991 dann der zweite und finale Teil. Die Anerkennung für »Maus« (eine Pulitzer-Sonderauszeichnung, zweimal den Angoulême ICF Best Comic Book Award, Max & Moritz-Auszeichnung, Eisner Award, Harvey Award, uvm.) überschatten noch immer seine weitere Arbeit. Er war von 1992 bis Anfang 2002 für The New Yorker tätig, veröffentlichte 2004 »In The Shadow Of No Towers« und stellte mit Françoise Mouly eine Reihe von Comic-Anthologien für Kinder unter dem Titel »Little Lit« zusammen. 1999 wurde er in die Will Eisner Award Hall Of Fame eingeführt, 2011 erhielt er den Angoulême ICF Grand Prix. Timeline zur Entstehung von »Maus«: 1906 – * Vladek Spiegelman 1912 – * Anja Zylberberg 1937 – Vladek und Anja heiraten 1944 – Vladek und Anja werden nach Auschwitz gebracht 1945 – Zweiter Weltkrieg endet in Europa; Vladek und Anja wiedervereint 1948 – * Art Spiegelman 1955 – * Françoise Mouly 1968 – † Anja Spiegelman (Selbstmord) 1972 – Art beginnt Interviews mit seinem Vater 1978 – Arbeit an »Maus« fängt an 1980 – RAW Volume 1 #2, Serialisierung von »Maus« eingeleitet 1982 – † Vladek Spiegelman 1986 – »Maus I« veröffentlicht (Pantheon) 1991 – RAW Volume 2 #3, Fertigstellung der »Maus«-Serialisierung 1991 – »Maus II« veröffentlicht (Pantheon) 1996 – »The Complete Maus« veröffentlicht (Pantheon) Quelle: »MetaMaus«, Pantheon, 2011 029
Minimalistische Grafik, obskures Interface, unerreichte Spieltiefe.
Dwarf Fortress — Noch lange nicht fertig und schon heute erinnert die Komplexität des Spiels an die »Matrix«.
Losing is Fun 030 Die Fantasy-Simulation »Dwarf Fortress« ist wahrscheinlich das komplexeste Spiel aller Zeiten. Wenn der IT-Branchenriese O’Reilly ein neues Buch ausschließlich einem einzigen Spiel widmet, muss es sich dabei um einen absoluten Ausnahmetitel handeln. »Getting Started With Dwarf Fortress« von Peter Tyson, Mitte Juni erschienen, bietet auf 238 Seiten eine Einführung in ein Freeware-Indie-Spiel, das in der Games-Geschichte seinesgleichen sucht und dessen Komplexität auch von den größten Blockbustern nicht einmal annähernd erreicht wird. »Dwarf Fortress« ist ein Unikum, ein technisches Phänomen und einer der interessantesten Underground-Titel mit absolutem Kultcharakter. Das bis zum Größenwahn ambitionierte Game mit der minimalistischen Grafik ist eine gewaltige Sandbox mit dem Ziel, eine mehrere tausend Quadratkilometer große Fantasy-Welt samt ihren Einwohnern komplett prozedural zu simulieren – von der Geologie über das Klima bis hin zu einzelnen Insekten und Individuen, mit ihren jeweils eigenen psychischen Besonderheiten und Vorlieben. Einfacher ausgedrückt bedeutet das, dass nichts in »Dwarf Fortress« im Vorhinein ins Programm geschrieben ist: Die gesamte Spielwelt, ihre Städte und Bewohner und alle Ereignisse, die dem Spieler widerfahren, ergeben sich aus dem Zusammenspiel tausender komplexer Grundregeln und künstlicher Intelligenz. 030
Sandbox mit Zwergen »Dwarf Fortress« ist eine virtuelle Ameisenfarm in Übergröße. Kernstück des Spiels ist der Fortress Mode, in dem der Spieler – ähnlich wie bei »Sim City«, »Dungeon Keeper« oder »The Sims«, nur ungleich komplexer – anfangs sieben Zwerge mit viel Mikromanagement zum Bau einer stetig wachsenden unterirdischen Zwergenfestung anleitet. Der Fantasie und Findigkeit der Spieler sind keine Grenzen gesetzt: Ob man riesige Festungsanlagen, komplexe Produktionsökonomien, aufwendige Bewässerungsanlagen oder vertrackte Fallen als Schutz vor Feinden entstehen lässt, bleibt jedem selbst überlassen – wie im Indie-Hit »Minecraft«, der übrigens laut Aussagen von dessen Schöpfer Marcus »Notch« Persson stark von »Dwarf Fortress« inspiriert wurde. Und wie in »Minecraft« gibt es auch in »Dwarf Fortress« kein Spielziel, dafür aber unzählige Möglichkeiten, mehr oder weniger spektakulär zu scheitern: Ob die Kolonie wegen fehlgeschlagener Ackerbauversuche verhungert, durch unachtsames Graben von Lava- oder Wassermassen ausgelöscht wird, von depressiven Zwergen in Tobsuchtsanfällen zerlegt oder von marodierenden untoten Elchen (!), Vampiren oder Goblins ausgelöscht wird, stets steht über all diesen Katastrophen das inoffizielle Motto des Spiels: Losing is fun.
Wunder im Buchstabensalat Was Uneingeweihte von diesem Kultspiel jedoch bislang verlässlich fernhält, sind Grafik und Bedienbarkeit. Zu verworren erscheint Anfängern der dürre ASCII-Buchstabensalat, zu undurchdringlich das teilweise kryptische User-Interface, das vom Spieler verlangt, eine Unzahl von Tastaturkommandos im Kopf zu behalten. Während letzterem Einwand mit dem Erscheinen des eingangs erwähnten Buches und dem Verweis auf unzählige How-to-Videos und das umfangreiche Wiki begegnet werden kann, bleibt bei der Frage der Grafik nur wenig Trost: Es gibt zwar unterschiedliche Grafiksets, die das spartanische Originalspiel etwas aufpeppen, sowie verschiedene Visualisierungsprogramme – doch der Reiz des Spiels liegt auch mit diesen Hilfsmitteln hinter der Oberfläche. Der auf den ersten Blick anachronistische Minimalismus der Darstellung täuscht allerdings: Auch wenn die Welt von »Dwarf Fortress« nur aus Satzzeichen, Buchstaben und Symbolen besteht, offenbart sich auf den zweiten Blick die Eleganz dieser Lösung: Die Vegetation verändert im Lauf der Jahreszeiten ihre Farbe, Wege, die oft beschritten werden, verwandeln sich grafisch sichtbar in Matschpisten und das bei den bis ins kleinste Detail simulierten Kämpfen vergossene Blut färbt Kampfplätze rot. Und irgendwann geschieht verlässlich das Wunder: Hat die sich hier entfaltende Welt den Spieler erst einmal gefangen genommen, geht es ihm wie jenem Charakter, der im SFKlassiker »Matrix« im neongrünen Codegewirr schlussendlich die Parallelwelt ausmachen kann: »I don’t even see the code anymore. All I see is blonde, brunette, redhead …«
Zach (l.) und Tarn Adams (r.) arbeiten gemeinsam an »Dwarf Fortress«.
Alphaversion der Matrix
Download der aktuellen Alphaversion auf www.bay12games.com. Anfänger finden im Internet mit dem »Lazy Newb Pack« eine bequem mit Grafiksets ausgestattete Version mit weniger Einstiegshürden.
Best Of Dwarf Narratives Der Reiz von »Dwarf Fortress« liegt in seiner Fähigkeit, aberwitzige Anekdoten und Geschichten aus sich heraus zu generieren. Wer von Grafik und / oder Interface abgeschreckt ist, aber trotzdem wissen will, was er verpasst, findet im Netz von Fans liebevoll gestaltete Geschichten und Comics. Die Besten gibt’s hier: »Boatmurdered«: Der Klassiker der DF-Stories erzählt eine tragische-epische Geschichte von Lava und Elefantenterror. lparchive.org/Dwarf-Fortress-Boatmurdered Text rainer sigl Bild Tarn Adams Privat
Was hinter der trügerisch simplen Fassade von »Dwarf Fortress« vorgeht, ist komplizierteste Rechenkunst, die auch mächtige Prozessoren ins Schwitzen bringt: Die New York Times, der das Ausnahmespiel letzten Sommer einen mehrseitigen Bericht wert war, vergleicht respektvoll die Komplexität der Simulation von »Dwarf Fortress« mit jener professioneller Ingenieurssoftware in industriellen Windkanälen im Flugzeugbau. Diese Komplexität bringt bei jedem Spiel ein neues Abenteuer hervor, und vor allem: Sie generiert Geschichten, die in ihrer Aberwitzigkeit und Originalität das Gros der von professionellen Games-Autoren erdachten Plots in den Schatten stellen. Durch die Mischung aus komplexer Simulation und offenem Spieldesign erleben einmal dem Charme des Spiels Verfallene Herausforderungen, die es so in keinem anderen Spiel gibt. Versuche ich, alle meine Zwerge mit geschickt infiziertem Brunnenwasser zu Vampiren zu verwandeln? Schaffe ich es, die riesige Höhlenwelt unter der Erdoberfläche mit ihren mythischen Monstern und Dämonen zu kolonisieren? Kann ich den unterirdischen Lavasee durch geschickte Ingenieursleistung in eine tödliche Falle verwandeln? Was tun, wenn ein wandernder Nekromant plötzlich die Überreste meiner geschlachteten Nutztiere zum Leben erweckt? »Dwarf Fortress« simuliert eine gesamte Welt, in der alle Eingriffe des Spielers komplexe, aber nachvollziehbare Reaktionen mit sich bringen. Andere Open-World-Games wie »Skyrim« oder die »GTA«-Reihe können mit der Vollständigkeit dieses künstlichen Mini-Universums nicht mithalten. Der 34-jährige Schöpfer dieser aberwitzigen Weltsimulation, Tarn Adams, galt als mathematisches Wunderkind, bis er seine Tätigkeit an der University of Texas aufgab, um sich seit 2006 gemeinsam mit seinem Bruder Zach ganz seinem Lebenswerk »Dwarf Fortress« zu widmen. Hilfe von außen, etwa durch Veröffentlichung des Quellcodes, wollen die genialen Einzelkämpfer dabei nicht annehmen. Den Lebensunterhalt, auch das eine charmante Eigenheit der IndependentGames-Szene, sichern freiwillige Spenden der Community. 20 Jahre, so schätzt Tarn Adams, wird es wohl noch dauern, bis sein Megaprojekt vom perfekten Spiel her so ist, wie er und sein Bruder es sich erträumen. Bis dahin können hartgesottene Spieler mit Mut zur Einarbeitung einen Blick in eines der faszinierendsten Spiele aller Zeiten werfen. Es lohnt sich: »Dwarf Fortress« ist schon jetzt ein Meilenstein der Games-Geschichte.
»Bravemule«: Mit viel Liebe und aufwendig illustriert hat die Geschichte der Festung »Bravemule« fast schon Tolkien’sche Ausmaße angenommen. www.bravemule.com »DFStories« bietet eine beeindruckende Sammlung von Geschichten und Erlebnissen aus der Welt von »Dwarf Fortress«: dfstories.com Tim Denee, Illustrator und DF-Fan, lässt die Epik von »Dwarf Fortress« in fantastischen Illustrationen lebendig werden. www.timdenee.com/comics 031
Lena Winkler Bauchklang-Fan mit vollem Einsatz Thomas Steinert Epsilon-Fan der ersten Stunde
Michi Plesser Excuse Me Moses-Fan aus Überzeugung
www.st-poelten.gv.at
St. Pölten geht ins Ohr und setzt musikalische Akzente. So sind Locations wie das Café Publik im Kulturbezirk oder die Jugendkulturhalle Freiraum das ganze Jahr über Spielstätte musikalischer Lokalmatadore wie Excuse Me Moses, I am Cereals, Epsilon oder Bauchklang. Im Sommer verwandelt sich die Stadt mit Frequency und Beatpatrol in eine große Open-Air-Bühne für Tausende Fans und Musikbegeisterte. Damit diese lebendige Musikkultur auch weiterhin erhalten bleibt, fördert und unterstützt St. Pölten die Unterhaltungs- und Veranstaltungsszene nach Kräften.
Living Office* | St. Pölten
Tim Spörer I am Cereals-Fan und nichts anderes
»Spec Ops: The Line« — Ein Military-Shooter, der sich Gedanken zum Thema Krieg macht
Wenn Töten (k)ein Spiel ist 033 »Spec Ops: The Line« schickt den Spieler als Delta Operative Martin Walker in die nahe Zukunft und nach Dubai. Die Stadt wurde von apokalyptischen Sandstürmen zerstört, ihr absurder, alter Glanz schimmert noch durch. Die Evakuierung der Stadt hat nur teilweise funktioniert. Walker und seine beiden Kollegen sind auf der Suche nach Colonal Konrad und werden schon bald in Kampfhandlungen verstrickt – wobei unklar bleibt, gegen wen sie überhaupt kämpfen müssen. Schnell sehen sie sich zum Einsatz extremer Mittel (weißer Phosphor, …) gezwungen. »The Line« setzt hier nicht auf wohlbekannte Hau-Drauf-Stimmung, sondern verweigert dem Spieler moralische Rückendeckung und macht mitunter nachdenklich. Auch wenn nie verheimlicht wird, dass Joseph Conrads »Heart Of Darkness« bzw. damit Coppolas »Apocalypse Now» mehr als Vorbilder sind: Das ist in der Spielgeschichte weitgehend einzigartig. Von der internationalen Fachpresse gibt es viel Zustimmung, aber auch berechtigte Kritik, etwa an der zu wenig zusammenhängenden Story im letzten Drittel und ein paar nicht gelungenen Designentscheidungen, die für zwischenzeitlichen Spielfrust sorgen. Es ist aber erfreulich und höchste Zeit, dass Entwickler diesen Schritt gehen und ein Actionspiel entwickeln, dass sich Gedanken über seinen militärischen Inhalt macht. »Spec Ops: The Line« zeigt, dass sich Action und Inhalt nicht ausschließen und ist im besten Fall Vorbild für andere Entwickler. Storytechnisch war offensichtlich Joseph Conrad bzw. »Apocalypse Now« eine Inspiration. Wie seid ihr mit dieser Quelle umgegangen? »Spec Ops: The Line« setzt sich ganz gezielt und aktiv mit der Schattenseite von Krieg und Konflikten auseinander. Das ist ein recht anspruchsvoller Ansatz, und wurde vor allem schon in Filmen mehrfach sehr gut aufbereitet. Unter anderem eben auch in »Apokalypse Now«. Wir sind einfach einen Schritt zurückgegangen, zum Ursprung, dem Roman von Joseph Conrad. »Herz der Finsternis« von Conrad bildet das Inspirationsfundament. Auf der grundlegenden Idee des Buchs haben wir dann unsere eigene Geschichte entworfen. Genau wie Francis Ford Coppola mit »Apokalypse Now« interpretieren wir Conrads Roman neu, und zwar auf eine interaktive Art und Weise.
Vieles bleibt storytechisch trotzdem im Dunkeln – eine bewusste Entscheidung? Durchaus. »Spec Ops: The Line« bewertet ganz bewusst keine der verschiedenen Entscheidungen, die ein Spieler trifft, in irgendeiner Form. Es ist uns wichtig, dass er die Konsequenzen seines Handelns sieht und selbst entscheidet, ob das, was er getan hat, okay war. Jeder Mensch ist verschieden, hat andere Erfahrungen gemacht und vertritt andere Ansichten. Daher interpretiert jeder das, was er gesehen, gehört oder getan hat anders. In eurem Folder schreibt ihr, Spieler seien heute bereit ein Spiel zu spielen, dass sie schlecht fühlen lässt. Was musste passieren, damit dies nun möglich ist? Die kulturelle und gesellschaftliche Relevanz von Videospielen wird von den Medien als auch der Politik inzwischen akzeptiert. Das Medium wie auch die Spieler sind erwachsen und damit auch anspruchsvoller geworden. Daher ist es ein logischer und wichtiger Schritt, dass auch Spiele mehr Tiefgang bieten. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass sich der Spieler schlecht fühlen muss, aber er kann bzw. sollte auf einer anderen Ebene als der reinen Spaßebene angesprochen werden. In Filmen und Büchern ist das die Normalität, und jetzt, dank einiger mutiger Entwickler, hoffentlich auch in Videospielen. Trotzdem wird Brutalität im Spiel belohnt, man bekommt etwa durch Exekutionen mehr Munition. Warum? Das ist eine bewusst gewählte Spielmechanik. In Dubai ist nicht nur Wasser, sondern auch Munition knapp. Der Spieler soll sich fragen, ob er den verwundeten, um sein Leben bettelnden Soldaten brutal exekutieren will, nur um ein paar extra Schuss zu erhalten oder ihn verschont und damit riskiert, bald keine Munition mehr zu haben. Das ist eine der vielen, weniger prominent präsentierten, aber durchaus wichtigen Entscheidungen, die man während seiner Mission treffen muss.
»Spec Ops: The Line« ist Ende Juni bei Yager / 2K für Xbox 360, PS3 und PC erschienen. Eine längere Version des Interviews ist auf www.thegap.at online. 033
INTERVIEW Martin MühlBild Yager / 2K
Ganze vier Jahre nach »Haze« erscheint mit »Spec Ops: The Line« nun der weltweit erst zweite nennenswerte Shooter, der sich Gedanken zu seinem Spielinhalt macht: Nicht perfekt, aber absolut notwendig.
PROMETHEUS — Ein Kind, das keines sein will
Die Hand aus der Wiege 034 Reproduktion und ihre Schattenseiten: Ridley Scott erzählt in »Prometheus« eine Geschichte von Fortpflanzung, Vatermord und dem Erschaffen von Leben. Das bildgewaltige Quasi-Prequel von »Alien« drückt sich aber vor klaren Antworten.
Text Jonas Vogt Bild CentFox
In der griechischen Mythologie haben Eltern von ihren Kindern nichts Gutes zu erwarten: Der Himmelsgott Uranos wird von seinem Sohn mit einer Sichel entmannt, Ödipus tötet seinen Vater und heiratet danach seine Mutter. Aber auch umgekehrt ist das Verhältnis schwierig. So verschlingt der Titan Kronos alle seine Kinder aus Angst, von ihnen abgesetzt zu werden. Das Motiv des Vatermords spiegelt die uralte Angst vor dem Kontrollverlust. Was wir schaffen, kann uns zerstören. Weshalb es auch nicht Gottvater Zeus ist, der die Menschen schafft, sondern ein Titan, der für diesen Verrat einen schrecklichen Preis zahlt. Sein Name: Prometheus. In Ridley Scotts Film ist ein Schiff gleichen Namens im Jahr 2092 auf dem Weg zu einem weit entfernten Planeten. Teil der Crew ist Archäologin Elizabeth Shaw (Noomi Rapace). Sie folgt Hinweisen von prähistorischen Höhlenmalereien, denen zufolge riesige Außerirdische einst das Leben auf die Erde brachten. Die Suche nach diesen »Engineers« wird von einem alten Industriellen (Guy Pearce) finanziert, der verzweifelt versucht, sein Leben zu verlängern, um weiter an der Spitze seines Konzern stehen zu können. Doch wie alle Beteiligten muss er im Verlauf der Geschichte lernen, dass nichts ewig ist.
»A king has his reign, and then he dies«, serviert ihm seine Tochter Meredith (Charlize Theron) eiskalt die unangenehme Wahrheit.
Die Suche nach dem Schöpfer Der Konflikt um die Nachfolge an der Konzernspitze ist nicht die einzige schwierige Eltern-Kind-Beziehung in »Prometheus«. Reproduktion und das Schaffen von Leben ist das zentrale Thema, das sich durch den gesamten Film zieht. Scott spiegelt den Vaterkonflikt auf vielen Ebenen. Vielleicht zu vielen. Exemplarisch dafür steht die Hauptfigur Elizabeth: Sie hat mit dem Tod ihrer Eltern zu kämpfen und wünscht sich trotz ihrer Unfruchtbarkeit ein Kind. Gleichzeitig befindet sie sich stellvertretend für die Menschheit auf der Suche nach ihrem Schöpfer. Diese Suche wird erfolgreich verlaufen und das zweite Problem lösen – aber auf eine andere Art als gedacht. Wie in jeder guten Geschichte haben Schöpfer und Geschöpfe unterschiedliche Pläne, die sich auf verschiedene Art ihren Weg bahnen. Und manchmal wünscht man sich, man hätte nie gefunden, wonach man gesucht hat. Das ist alles ein wenig viel auf einmal. Scott verteilt die Generationskonflikte mit der Gießkanne und vertraut seinen Zuschauern auch an anderer Stelle zu wenig. Religiöse Fragen wie Glaubensfestigkeit im Angesicht des Schreckens werden nicht angedeutet, sondern offen diskutiert. Überhaupt legt das Script vor allem seinen weiblichen Wissenschaftlern ärgerlich viele naive Glaubensargumente in den Mund. »Prometheus« bewegt sich im »Alien«-Universum und zitiert gegen Ende – etwas bemüht – Szenen des Film, vermeidet aber klare Antworten auf die Frage nach Herkunft und Motivation der versteinerten Kreatur in der berühmten Szene des Klassikers von 1979. Oder lässt sie für eine Fortsetzung offen. Der Film scheitert letztlich ein wenig daran, kein Prequel sein zu wollen, obwohl man es erwartet. Wenn man so will, ist es »Alien«, der »Prometheus« Probleme macht. Wo wir wieder beim Vaterkonflikt wären. »Prometheus« ist ab 9. August in den österreichischen Kinos zu sehen.
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Prometheus — Michael Fassbender ist ein gemeiner androgyner Roboter unter vielen
Schwule Roboter 035 Spoiler: Die Rückkehr zum Alien-Franchise bringt keine existenziellen Antworten, aber die alte Angst vor Andersartigkeit. Michael Fassbender ist ein androgyner Roboter, der als Außenseiter Unruhe stiftet. Was beunruhigt Ridley Scott?
»What is it about robots, that makes them so robotic?« Die Liste an androgynen Filmrobotern, die als schwul wahrgenommen werden, ist lang. Sie reicht etwa vom singenden Tin Man von »The Wizard of Oz« (1939), dem goldenen C-3PO (»Star Wars«) über den weiß geschminkten Data von »Star Trek«. Das wären die Guten, unter den Bedrohlichen finden sich beispielsweise HAL9000 (»2001: Space Odyssey«) oder der böse T-1000 von »Terminator 2«. In einem Promotion-Video für »Prometheus« im Internet wurde David vorab als Roboter vorgestellt, der erstmals die Emotionen seiner Mitmenschen nachvollziehen kann. »What is it about robots, that makes them so robotic?«, fragt seine Stimme im Clip. David wird als eitler Intrigant inszeniert und seine Andersartigkeit homoerotisch stilisiert. Er wurde vom greisen Konzernführer (Guy Pearce) geschaffen und zum untertänigen Sohn programmiert. Er entwächst einer modernistischdystopischen Familie. Die biologische Tochter (Charlize Theron) porträtiert Scott als unterkühlte, skrupellose Thronanwärterin. Statt Fürsorge herrscht Misstrauen, Verachtung und eine aggressive Intimität. In den ersten Szenen des Films beobachten wir David, wie er einsam durchs Raumschiff schlendert, Sprachen erlernt, Sport betreibt und den Film »Lawrence Of Arabia« (1962) studiert. Routiniert spricht
er die Dialoge des Hauptdarstellers Peter O’Toole und pflegt die gleiche blonde Frisur. Das Epos handelt vom britischen Militärmythos T.E. Lawrence, der im Ersten Weltkrieg die arabische Wüste geeint und gegen die Osmanen verteidigt haben soll. Über die sexuelle Orientierung des schillernden Soldaten und Schriftstellers sind die Historiker bis heute uneinig. Den Mythos des schwulen Weltkriegshelden multiplizierte wiederum das Kino. Der mehrdeutig zarte O’Toole ist so zur schwul konnotierten Identifikationsfigur und Ikone geworden. Das wiederum instrumentalisiert »Prometheus« für seinen Roboter.
Konservativ statt originell In Interviews erklärt Michael Fassbender, dass ihm »Lawrence Of Arabia« als Vorlage für seine Rolle gedient habe. Neben O’Toole und David Bowie habe er sich außerdem vom US-amerikanischen Turmspringer Greg Louganis inspirieren lassen, einem offen schwulen Olympiasieger und Weltmeister aus den 80ern. Dessen körperliche Eleganz habe ihn beeinflusst, so Fassbender. Andere Filme aus der »Alien«-Reihe und deren Androiden habe er hingegen gemieden. Behäbig jongliert »Prometheus« seine eigenen Schöpfungsmythen und Fortschrittsfantasien. Ridley Scott wählt grobe Andeutungen statt einem konsequenten Narrativ oder mutiger Thematisierung. So dient ihm sein androgyner David ebenso nur als abgegriffenes Sujet. Die Konsequenzen sind dennoch prekär. Davids Absichten sind undurchsichtig und seine Höflichkeiten so falsch wie das blonde Haar. Als männlich und technologisch überhöhte Schöpfung ist ein Mutterleib für ihn höchstens ein Wirt, ein klinisches Experiment – wie der Film zeigen wird. Er muss der Außenseiter in den eigenen Reihen bleiben und zumindest seinen Kopf verlieren. Innerhalb der Gruppe geht von ihm die größte Gefahr aus, auf ihn wird die größte Unruhe projiziert. Dass diese Furcht vorm unkontrollierten Roboter mit homosexuellen Subtext andeutungsweise gefüttert werden muss, ist letztlich konservativ und fad. Auch wenn Fassbender es noch so brillant spielt. 035
Text Klaus Buchholz Bild CentFox
Ridley Scotts halbgarer »Robin Hood« (2010) war eine Enttäuschung. »Prometheus« sollte endlich wieder die Leinwand mit Aliens und menschlichen Innereien bespritzen. Doch noch bevor die Außerirdischen unter die Haut gehen und die Geschöpfe von H.R. Giger die Optik verdunkeln, unterspült Scott seinen Film mit blonder Homoerotik. Unter den Raumfahrern befindet sich ein Außenseiter mit sexuellem Subtext – der Android David (Michael Fassbender). Damit folgt Scott einer fragwürdigen Tradition. Anstatt queere Figuren selbstverständlich in einer fiktiven Zukunft zu repräsentieren, bekommen vermeintlich asexuelle Roboter einen schwulen Unterton.
Cid Rim — Das Debüt »Cid Rim« auf Luckyme
Text Jonas Vogt Interview Stefan Niederwieser, Jonas Vogt Bild Jasmin Baumgartner
Jazz mit Konzept, Drummer mit 036 Klavier Cid Rim vereint gekonnt Beats, Bass, Synths, Neutronenbomben und Melodien. Mit dem Label von Hud Mo und Machinedrum könnte das den Durchbruch bedeuten.
Tausche Klavier gegen Rastlosigkeit Wien und London trennen knapp 1.500 Kilometer und ein Meeresarm. Das beschreibt die Hürde, die Musiker dabei zu überspringen haben, aber nur unzureichend. Doch manchmal spielt der Zufall – oder die richtigen Bekannten – mit. Im Jahr 2010 begleitete Cid Rim seinen Affine-Kollegen Dorian Concept nach London, um bei einer Show Drums zu spielen. Beim Mexikaner teilten sie sich einen Tisch mit Hudson Mohawke und den Luckyme-Machern. Die daraus folgende Twitter-Bekanntschaft ermöglichte es, immer wieder Tracks nach London zu schicken. Das Feedback war sporadisch, aber freundlich. Cid Rims Output war bis dahin sehr überschaubar, eigene Releases scheiterten immer an der selbstgewählten Rastlosigkeit. Das Material war zu verschieden und passte nicht zusammen. Es fehlte einfach ein Konzept. Das Problem löste sich erst, als der Musiker begann, seine Stücke mehr am Klavier zu denken, dabei ist Cid Rim darauf nicht sonderlich virtuos. Das Unvermögen am Instrument erwies sich als praktisch und die Akkorde als der Faden, der die neuen Stücke verband. Das Quasi-Demo wurde über den privaten Verteiler geschickt, im November 2011 kam die Nachricht von Luckyme: Man müsse etwas daraus machen.
Ein Club-Banger ist unmöglich
Freejazzer? Cid Rim lächelt immer noch über das Etikett, dass ihm das Dummy Mag vor einigen Wochen aufdrückte. Das Londoner Magazin wusste offenbar nicht allzu viel über den Wiener, hatte aber wohl das Gefühl, unbedingt über ihn schreiben zu müssen. Daran wird sich Clemens Bacher, wie Cid Rim mit bürgerlichem Namen heißt, gewöhnen müssen. Anfang August erscheint sein selbstbetiteltes Debüt auf dem Label Luckyme. Das weckt mächtig Erwartungen. Das Hauslabel von Hudson Mohawke und Lunice ist ein Name, der Aufmerksamkeit erzeugt. Und es liegt wohl wieder einmal richtig: »Cid Rim« ist eine überzeugende Mixtur aus Funk, Jazz, HipHop und UK Bass. Ein vielseitiger Ritt über weiche Piano-Riffs, treibende Bässe und verschiedenste Bpm-Zahlen. Im Gespräch fallen die Worte »Jazzmusik für den Club«, womit sich auch Cid Rim selbst anfreunden kann. Als würde eine Big Band-Platte aus den 60ern durch den Subwoofer geschraubt. 036
Cid Rim entstammt dem Kreis um das Wiener Label Affine Records. Man kann sich darüber streiten, ob der Sound des Kollektivs so homogen ist wie wir Schreiberlinge immer tun. Aber natürlich haben sie einen Sound-Entwurf, und der ist auch bei Cid Rim deutlich hörbar. Er nicht ganz so komplex wie The Clonius, weniger HipHop als Dorian Concept, nicht so funky wie Ogris Debris. Dafür sind die Breakbeat-Anteile höher. Das klingt erstens gut und dürfte zweitens sein Publikum finden. Manche Tracks erinnern an UK Bass-Durchstarter wie Disclosure oder XXXY und brauchen keinen Vergleich zu scheuen. Auf Luckyme ist Cid Rims Sound organischer, weicher. Ab und zu scheinen Bridges und echte Songstrukturen durch. Die Musik ist gut – »fett« im engeren Sinne ist sie nicht, dafür ist sie viel zu verspielt. Der minimalistische Club-Banger, den der Musiker seit Jahren machen will, scheitert an Notwendigkeiten. Cid Rim braucht Akkorde um zu komponieren. So werden Komplexität und Wärme wohl erstmal nicht aus seiner Musik verschwinden. Warum auch? Das Konzept ist schlüssig. Der Erfolg kann kommen. »Cid Rim« von Cid Rim erscheint am 7. August via Luckyme.
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»Empirische Marktforschung ist im Club nicht möglich«
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Cid Rim über steigenden Druck, bezahlte Ankünder und seinen Plan B.
departure focus
KOOPERATION
get together – create together – work together
departure get together Eine Veranstaltung von departure und The Gap im Rahmen des Themencalls focus Kooperation.
Do 6.9.2012, 19 Uhr Thema: Multimedia project space Treitlstraße 2, 1040 Wien www.departure.at
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BEZ AHLTE ANZEIGE
Luckyme hat es geschafft, das Announcement für deine Platte sehr prominent zu platzieren, u.a. auf Pitchfork. Testen sie gerade ein bisschen den Hype ab? Wenn man heutzutage eine Platte vermarkten will, ist es heute vor allem eine Timing-Sache. Du musst in kurzer Zeit überall sein, am besten alles an einem Tag verblasen. Das Fact Mag haut glaub ich zwei Artikel die Stunde raus. Wenn du da nicht genau dann vorm Rechner sitzt, kann das schnell untergehen. Weißt du, ob da Geld im Spiel ist? Ganz ehrlich: Das weiß ich nicht. Luckyme hat aber auch einen großen Namen, so dass sie auch so drüber schreiben würden. Meine Platte sticht aus den Releases des Labels ja auch ein wenig hervor. Weniger Clubmusik, eher borderlinig. Setzt dich die Aufmerksamkeit unter Druck? Es geht. Eigentlich hab ich jetzt wieder viel mehr Bock, Musik zu machen. Ab dem Zeitpunkt, wo alles fertig war, hab ich gewartet und gedacht: Verdammt, jetzt muss es auch raus, sonst weiß ich nicht, was ich damit machen soll. Seit dem Moment, wo ich weiß es kommt, hab ich auch wieder den Drive zum Musikmachen. Dann ist man wieder auf Null. Wann war das Album denn fertig? Ich hab so zwischen Juli letzten Jahres bis Februar daran gearbeitet. Danach hab ich auf den nächsten freien Slot gewartet, ein Label bringt ja nicht x Platten gleichzeitig raus. Anfangs war nur eine 4-Track-EP geplant, aber es war einfach schwierig, da eine Auswahl zu treffen. Dann meinten wir ok, ich mach noch einen Rahmen (Intro, Interlude und Outro) und es wird eine klassische halbe Stunde. Wenn du die Produktion ansprichst: Steht bei dir als studiertem Drummer als erstes der Beat, wenn du einen Track machst? Nein, fast immer die Akkorde. Ich hab zum Glück ein Klavier zuhause, auf dem ich rumprobiere und schaue, ob’s passt. Ab einem gewissen Zeitpunkt weiß ich, dass ich einen Track fertig machen muss und will. Ich arbeite auch in einem durch, ich kann nicht an einem halbfertigen Stück drei Wochen später noch herumbasteln. Wie produzierst du, und wer hört mit? Sehr minimalistisch: Ein Schreibtisch mit einem Laptop, eine akzeptable Monitorbox und ein 50-Euro-Midi-Keyboard. Mithören tut das nähere musikalische Umfeld. Ich spiel meine Sachen gerne anderen Leuten vor. Ich mag es auch, an dem Abend aufzulegen, an dem ich eine Nummer fertig gemacht habe und sie dann frisch im Club zu hören. Das heißt, die Tracks sind live getestet? Ja. Ich will ja auch, dass die Sachen im Club funktionieren. Meine Boxen daheim hören halt in den Bässen irgendwann auf, aber ein Track muss ja auch auf sehr guten Anlagen vernünftig klingen. Ich ändere die Tracks dann aber nicht grundlegend und mache es auch nicht wirklich vom Publikum abhängig. Empirische Marktforschung ist im Club nicht möglich. Es geht um den Sound. Merkst du bookingmäßig schon, dass es jetzt richtig losgeht? Momentan bin ich noch froh, wenn ich jedes Wochenende etwas zu tun habe. Ich hoffe natürlich auf mehr, nehme aber keine Hypothek auf. Es wird halt stetig mehr. Wenn das jetzt plötzlich viel mehr Zeit in Anspruch nimmt, freu ich mich natürlich. Aber du hast schon einen Plan B? Meinen Nebenerwerb, den Schlagzeugunterricht, will ich definitiv weitermachen. Ich spiele hier und da mal reine Jobs, war auch schon auf zwei Kreuzfahrtschiffen. Aber man muss und will ja auch in sein Zeug investieren. Und da ist jetzt die Zeit.
Ariel Pink’s Haunted Graffit — New Weird American
Zucker, Sahne und Meth 038 Erwachsen sein ist nicht leicht. Freak-Barde Ariel Pink tauscht auf seinem neuen Album »Mature Themes« die Home-Recording-Boombox gegen das Tonstudio und fusioniert Lo-Fi Disco-Sound mit Frank Zappa- und Sixties-Referenzen zu wundersamen Pop-Perlen.
Der Peter Pan-Effekt hat Ariel Pink erreicht: Sein neuer Longplayer »Mature Themes« ist ein halbernster Versuch, sich als erwachsener Künstler in der Popwelt zu positionieren. Das gelingt mit einer Reise zurück. Zeit hat die große Gabe, an uns vorbeizurauschen. Tage, Monate, Jahre vergehen in kaum hörbaren Wogen, bis der Punkt einsetzt, in dem man panisch aus dieser Trance aufwacht. Der Schock, wie sich die Jahre aufeinander gestapelt haben, sitzt dann tief und drückt auf den Tempomat: Wer man ist, wo das Glück wartet und wohin die Reise führt, weiß man jetzt zwar immer noch nicht – klar ist allerdings, das es langsam Zeit wird, erwachsen zu werden. Und die richtige Abzweigung dorthin zu finden. »Mature Themes« nennt sich die Abzweigung, die der in Los Angeles beheimatete Avantgarde-Musiker Ariel Marcus Rosenberg gewählt hat. Ein Album, das wie der Soundtrack zu einem fiktiven VHS B-Movie klingt. Jener Sorte, die in der Ramschecke schmuddeliger Vorstadt-Videotheken um einen Euro pro Stück angeboten werden, die ihre letzte Aufführung bei WG-Partys von bekifften Studenten im Toleranzsemester finden. Es ist eine ähnliche Atmosphäre, wie sie die Songs auf »Mature Themes« schaffen: Hochproduzierter Trash, aber unglaublicher catchy – und sonderbar lustig.
Text Michael Kirchdorfer Bild Piper Ferguson
Westküste trifft Ostküste Als der Kalifornier Ende der 90er damit begann, als Ein-Mann-Kapelle obskuren Lo-Fi-Pop auf selbstbespielte Tapes, CD-Rs und 7"-Singles zu bannen, war seine Musik noch nicht mal den Eingeweihten des Undergrounds vertraut. Als das Hipster-Label Paw Tracks einen Plattenvertrag anbot und ihn mit dem Debütalbum »The Doldrums« ins Herz der Brooklyner Freak-Folk-Szene katapultierte, wurde das Geschrammel zur Outsider-Kunst erhoben und Pink zum Prinz eines neuen, weirden WestküstenSounds gekrönt. Alsbald produzierte dieser Songs wie vom Fließband: Großer Trash und heilige Kunst reichten sich dabei die Hand und gebaren neben einer Reihe musikalischer Fragwürdigkeiten auch immer wieder bestechend schöne Popsongs. Stilistisch hatte Pinks Schaffen schon immer wenig mit dem Folk-Revival der Ostküste zu tun, doch Look, Image und Obskurität passten einfach zu gut in das Sittenbild der neuen Szene. Freak-Folk war gerade eben dabei, von Medien vereinnahmt zu werden. Der artifizielle Begriff »New Weird America« kam aus der Feder eines Musikjournalisten. Der schottische Autor David Keenan verwendete die Wortschöpfung erstmals, als er für den Guardian einen Bericht über das Brattleboro Free Folk Festival in Vermont verfasste. Als Antwort auf Greil Marcus’ Bezeichnung »Old Weird America«, mit dem die amerikanische Folkmusik des frühen 20. Jahrhunderts gemeint war, sollten Musiker wie Ariel Pink darin den Neuentwurf der psychedelisch-kopflastigen Gitarrenmusik der 60er Jahre darstellen. Als Band, mit The Haunted Graffiti, probte Pink einen weiteren Schritt in Richtung Breitband-Pop. Gekillt wurde der Demosound seiner Frühwerke. Aus Lo-Fi wurde Hi-Fi, und der unverschämt groovende Sixties-Beat der Single »Round And Round« veranlasste Pitchfork (die wichtigste Ratingagentur unter den Indie-Gazetten) doch glatt dazu, den Song auf Platz Eins ihrer Jahrescharts zu hieven. Auch
»Mature Themes« klingt mit lupenreiner Studioproduktion aus Funk, Experimental, Psychedelic und Disco-Elementen so gar nicht wie die Rauschaufnahmen von früher. Der sterile Anti-Pop mit sandigen Westküsten-Harmonien präsentiert sich als Hochglanzprodukt. Die Band gibt den tonalen Raum vor, in dem Ariel Pink sich austobt, und nicht umgekehrt. Diesen Raum möge man sich vorstellen als ein mit Discokugeln überladenes Schulaula-Fest, bei dem in den hinteren Plätzen jede Menge Drogen rumgereicht werden.
Zwischen heiligem Ernst und Fuck You-Attitüde »Mature Themes« ist das selbsternannte Opus Magnum der kauzigen Graffiti-Kapelle: Laut Pink ist es »das Album, das wir schon immer machen wollten« – und klingt wie erwartet ziemlich unerwartet. »Kinski Assassin« riecht mit seinen ProgRock und Free-Jazz Anleihen nach Frank Zappa und den Mothers Of Invention. Der Track versucht erst gar nicht, die nostalgische Ironie von sich zu weisen. Die Band geht quasi voll darin auf, wie Zappa in seinen besten Zeiten zu spielen. »Is This The Pest« ist eineinhalbminütiger Punk-Boogie. Die Dada-Lyrik, in der sich »G-Spot« mit »H-Bomb« lustig zueinander reimt, lässt einen ratlos zurück: Trotzdem ist es Blaupause für alles, was noch kommen soll. »Farewell American« definiert diesen Anspruch auf anachronistische Anarchie am vehementesten: Es gibt keinen Punkt, keinen Sinn, keine Richtung und keinen Stil. Es ist alles ein großer, bunter Freak-out, der entweder im Narzissmus oder in der paranoiden Psychose mündet. Disco-Sounds werden durch den Fleischwolf gedreht, pulsieren unter dem elektrisch knarzenden Brummen einer Neonröhre. Mit »Mature Themes« und »Only In My Dreams« folgt eine Unterbrechung in die Einfachheit: Zwei Songs, die sich zu den süßesten Selbstläufern dieses Sommers entwickeln könnten. Der eine ist reine, beherzte Popmusik aus der Brian Wilson-Schule, der andere das kauzigste Kleinod Kitsch, das Pink bisher aus Zucker, Sahne und Meth hervorgezaubert hat. Der Wahnsinn nimmt exponentiell zu und entlädt sich im »Schnitzel Boogie« – so lustig war durchdachte Theatralik zuletzt bei den Kiffergebrüdern Ween. Anderes klingt auch mal wie eine Parodie der späten Roxy Music. Kurz bevor man sich relativ sicher ist, den Stil von »Mature Themes« gefasst zu haben – Ariel Pink der Zappa-Bastard – fährt die Haunted Graffiti Band mit der Single »Baby«, einer relativ originalgetreu nachgespielten Coverversion des Teenie-Soul- Duos Donnie and Joe Emerson, die Platte noch einmal ganz woanders hin. Aus einem furchtbar schnulzigen B-Hit zweier 17-Jähriger in Glockenhosen wird eine gloriose Soul-Hymne, die auch im legendären Studio 54 für innigste Schleicher gesorgt hätte. Am Ende ist man amüsiert, aber auch ratlos: Wer ist hier wie erwachsen geworden? Ist das Album ein ernstgemeinter Witz oder ein Fuck You an den Musikschreiberling, der es wagt, Ariel Pink auch nur irgendwie deuten zu wollen? Mature Themes – von wegen. Was wir hören, ist hochambitionierte, spaßige, Ritalin spritzende Kindermusik. Fazit: Erwachsen werden andere. Ariel Pink ist und bleibt Peter Pan. Er hat nur den Designer gewechselt. »Mature Themes« wird am 20. August via 4AD als CD, Do-LP sowie Download veröffentlicht. 039
Sie wurden mit Werbung reich und schön (von links aussen): Noah And The Whale – Five Years Time (Orange), K’naan – Waving Flag (Coca Cola), Mr. Oizo – Flat Beat (Levi’s), TEED – Garden (Nokia), Lykke Li – I Follow Rivers (Fußball EM), Justin Timberlake – I’m Lovin It (Mc Donald’s), Richard Strauss – Also sprach Zarathustra (Warsteiner), Sugababes – Push The Button (Tassimo), Dresden Dolls – Coin-Operated Boy (Darbo), Pinie Wang, The Asteroids Galaxy Tour – Around The Bend / The Golden Age (Apple / Heineken), Empire Of The Sun – We Are The People (Vodafone), CSS – Music Is My Hot Sex (Apple), Stereo Total (Sony), Babylon Zoo – Spaceman (Levi’s) Text Stefan Niederwieser Bild Universal, Peter Graham Photography, Ed Banger, Jessica Heaton, Warner, Sony Music, Josef Lehmkuhl, John Paul Pietrus, Pixie, Pinie Wang, Windish Agency, Debaser, Roberta Ridolfi, Ray Burmiston
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Musik und Werbung — Dienstleistung als Kernkompetenz der Musikindustrie
Pandoras speckige Büchse 041 Musik ist Emotion. Schopenhauer sagt sogar: das Abbild allen Wollens. Was liegt da näher, als Musik mit etwas anderem zusammenbringen, das wir wollen? Musik und Werbung kommen deshalb schon lange blendend miteinander aus. Pinie Wang hat eine Doktorarbeit zum Thema geschrieben. Musik ist Emotion. Schopenhauer sagt sogar: das Abbild allen Wollens. Was liegt da näher, als Musik mit etwas anderem zusammenbringen, das wir wollen? Musik und Werbung kommen deshalb schon lange blendend miteinander aus. Pinie Wang hat eine Doktorarbeit zum Thema geschrieben. Das Lucky Strike Orchestra spielte ab 1928 sehr beliebten und sehr langweiligen Swing landesweit auf mehreren Radiokanälen. Die Werbung in anderen Medien wurde gleichzeitig gestoppt. Das Ergebnis war fatal: nur zwei Monate später war der Umsatz der Zigarettenmarke um 40 Prozent gestiegen. Popmusik hatte von da an ein Raucherbein. Camel, Chesterfield, Lucky Strike, Pall Mall, Old Gold und Raleigh & Kool sponserten jeweils eigene Orchester, sogar Glenn Miller. Offenbar war mit hottem Swing etwas zu verkaufen. Weltweit ist Reklame seither explodiert. Allein seit 1964 wuchs der Werbemarkt in den USA von 23,6 Milliarden auf über 600 Milliarden US-Dollar an. Nachzulesen ist das in klarer Sprache und enormer Detailfülle in Pinie Wangs soeben fertig gestellter Doktorarbeit. Die Austo-Chinesin, DJ und Designerin hat den Vorreiter USA untersucht, seit den ersten Notenblättern und den Vaudeville-Theatern vor 150 Jahren über das Aufkommen von Hollywood, Radio, Rock’n’Roll, MTV und Lady Gaga bis heute. Hier könnte ihre Werbeeinblendung stehen. Seit den 1920ern ist einiges passiert, Rauchen etwa ist heutzutage ungesund. Auch wenn Tabakkonzerne mittlerweile mit einem harten Werbeverbot belegt sind, man ist immer noch kreativ bei den Schlupflöchern: Allein dafür, dass an Orten wie dem Wiener Flex und der Pratersauna Zigarettenautomaten stehen, die nur eine gewünschte Marke ausspucken, werden heute hohe Summen bezahlt. Mit den tatsächlich verkauften Päckchen steht das in keinem Verhältnis. Man spricht dann lieber von Imagetransfer. Oder auch Coolness-Klebstoff. Genauso funktioniert das hier: The Gap ist gratis, weil Afri-Cola, Lebensministerium und Ö1 (danke!) dieses Magazin oder diese Website lässig finden und der Blickkontakt mit den richtigen Lesern ausreicht, damit ihr Ding im richtigen Licht erscheint. Oder, um in den 1930ern zu bleiben: Lucky Strike war damals sehr, sehr hot. Sie hatten nicht nur ein eigenes Swing-Orchester, sondern veranstalteten außerdem die erste Hit-Parade im Radio und waren damit die Mutter aller Charts-Shows.
Sell Out! Damals bestimmten Werbeagenturen das Programm und produzierten viele der Shows. Sie schrieben sogar heimlich den Ablauf von Quizshows – was so lange lustig war, so lange man davon nichts wusste. Das System wurde reformiert, Werbefenster kamen. Der Streit um die Kontrolle über Artikel und Sendungen brandet seither immer wieder auf, unmoralische Angebote gibt es da wie dort. Das Verhältnis zwischen Musik und Werbung ist allerdings weniger einseitig, als man vielleicht glauben mag. Was sich geändert hat: Werbung wird heute von Künstlern und Labels bereitwillig akzeptiert. Wenn Katy Perry für T-Mobile monatelang auf einer Rakete reitet, findet das niemand mehr schlimm. Ganze Labels kuscheln so wie Kitsuné, Gomma und Ed Banger mit der Modewelt, Autoherstellern und Energy Drinks. Die Black Keys und Vampire Weekend stritten in einer US-Show sogar darum, wer den Titel des größten Sell-Outs eher verdient hätte und übertrafen sich scherzhaft mit ihren Monster-Deals. Musik wird immer häufiger zum zentralen Pfosten internationaler Kampagnen.
Manche werden davon aufgesogen, für andere beginnt mit der unerwarteten Gelddusche die Karriere. Andere können damit einfach ein paar Jahre länger Musik machen.
Schmiermittel Manchmal kommt es allerdings auch zum Eklat. Der sogenannte »Payola«-Skandal von 1959 führte zu einem völligen Umbau der Industrie. Formatradio kam, Charakter-DJs verschwanden. Diese wurden beschuldigt, gegen Geld bestimmte Songs in ihren Sendungen zu spielen. Skandal. Dahinter standen aber weniger moralische Bedenken rund um die kleinen Schmiergeldzahlungen oder die Werbung an sich, sondern die neue Musik, die diese DJs auf Sendung brachten: R’n’B und Rock’n’Roll der kleinen Labels. Mit Payola hatte bis dahin fast niemand ein Problem, es war davor schon üblich, und nachher auch, dann aber immerhin strafbar. Den dreckigen Job übernahmen die sogenannten Plugger. Sie drehten den Senderleuten ihre neuen Scheiben in die Ohren, Stöpselgeld gab es gleich dazu. Heute werden bei Festivals und in Clubs einzelne Slots verscherbelt. Oder für das Tour-Vorprogramm von bekannten Bands, weil es sich in der Band-Bio wichtig liest. Oder es gibt von Labels kleine Geschenke oder Einladungen für redaktionelle Berücksichtigung, wie das so schön anonym heißt. Streng genommen muss das gekennzeichnet werden. Auch wenn es dabei im Vergleich zu Inseratenkampagnen aus Kanzleramt oder Ministerien um geradezu lächerliche Beträge geht.
Der GroSSe Kuppler Die Kräfteverhältnisse heute verschieben sich, werden unüberschaubar: Labels paktieren mit Konzernen. Apple, Youtube und Amazon schneiden mit. Red Bull, T-Mobile, A1 betreiben Musikportale. Fernsehen produziert Casting Stars. Werbung ermöglicht Videos und Touren. Filme, Serien machen Musiker und ihre Songs berühmt, Blogger auch. Games brauchen Bass. Die Musikindustrie wird zum großen Kuppler. Mach ein Preisschild dran und es gehört dir. Pinie Wang bezeichnet das so: »Dienstleistung als Kernkompetenz der Musikindustrie«. Wenn man ihrer Doktorarbeit folgt, sind wir heute in einer vierten Phase in der Geschichte von Popmusik angekommen: nach Livemusik, Senden und Tonträger kommt jetzt Dienstleistung. In dieser Welt kooperiert Werbung mit jedem Akteur, steuert Geld bei, redet aber auch ständig mit. Also alles beim Alten? Pinie Wang glaubt das nicht. Immerhin sind die drei verbliebenen Major-Labels jeweils Teil riesiger, internationaler Medienkonzerne. Sie müssen ihre Musik so anpassen, dass sie sich leichter in Serien, Filme, Games und Werbung einfügt – das aber immer so, damit es letztlich dem Star nützt. Das heißt, geschmeidig bleiben, hybrid bleiben. Werbung ist dein Freund – das haben mittlerweile selbst Soap&Skin, Peter Kruder und Clara Luzia für sich beschlossen. Nur Bunny Lake, nun ja, sagen wir sie waren ihrer Zeit einfach weit voraus.
»Musik und Werbung – Einfluss von Werbung und Medien auf die Entwicklung der Musikindustrie in den USA« von Pinie Wang wird in der Bibliothek der Universität für Musik und darstellende Kunst und am Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft verfügbar sein. Derzeit laufen noch Gespräche mit mehreren Verlagen. Mehr dazu auf www.piniewang.com 041
Steirischer Herbst: »Truth is concrete« — Auf der Suche nach konkreten Wahrheiten in Kunst und Politik
Die feministische Agitprop-Gruppe FEMEN kommt aus der Ukraine und wurde 2008 in Kiew gegründet. Ihre Protestaktionen mit entblößten Brüsten richten sich gegen Sextourismus, Korruption und Ausbeutung. 042
»Truth Is Concrete« - 21.–28. September 2012
In einem Zeltlager in Graz rücken Kunst und Politik ganz nahe aneinander. »The Camp« heißt das Projekt von Raumlabor Berlin, das Fragen zur Gemeinschaft nicht nur stellt, sondern in einem gemeinsamen 24 / 7-Marathon erprobt. Manche mögen beim Wort »Camp« schon die Augen verdrehen, auch nach all den widersprüchlichen Reaktionen über das Occupy-Camp auf der diesjährigen Berlin Biennale. Ist das wieder nur eine weitere Kunstveranstaltung, die versucht, sich mit Hilfe von Aktivisten von dem neoliberalen Beigeschmack der Zeitkunst zu befreien? Die versucht, ihre Krise zu entfesseln, um so wie in den 60er Jahren wieder einmal so richtig politisch zu sein – und das noch dazu im gemeinsamen Tipi-Zeltlager? Auf der heurigen Berlin Biennale wurde das dortige Camp als Menschenzoo kritisiert, die echten Occupy-Zelte auf der weltweit größten Kunstausstellung, der Documenta 13 in Kassel, wurden einfach in den Betrieb integriert. Doch man kann Entwarnung geben: Die Macher von »Truth Is Concrete« wollen nicht bloß politisch sein, sondern auf einer konkreten Basis aufbauen und damit den richtigen Nährboden bieten. Sie scheinen dabei keinerlei utopische oder anarchistische Absichten zu haben.
Bye bye Utopia So hieß vor zwei Jahren eine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Ein Architekten-Netzwerk verabschiedete sich da von den Bildern und Entwürfen einer besseren Gesellschaft. Das gleiche Team, Raumlabor Berlin, setzt nun die Arbeit in Graz fort. Dabei dienen ihnen die Wünsche der Stadtbewohner, mal auch Brachflächen oder wie jetzt ein Boot-Camp für politische Kunst als Ausgangspunkt für ihr weites Experimentierfeld. Plätze werden erobert, Orte alternativ genutzt. Ihre Projekte sind deshalb nicht bloße architektonische Hüllen, sondern immer auch lebendige Orte. In der Zusammenarbeit zwischen dem Team mit dem Festival in Graz zeigt sich bereits ein erster wesentlicher Zug von »Truth Is Concrete«. Das Festival schlägt sein Fundament als professionelles Labor in den Boden. Concrete – das heißt im Englischen manchmal eben auch Beton. Selbst wenn man dabei immer ein bisschen Zeltnomade bleibt. Neben dem Raumlabor wurden rund 150 internationale Aktivisten, Wissenschaftler und Künstler nach Graz eingeladen (u.a. Diedrich Diederichsen, Mariam Ghani, Oliver Marchart und Gerald Raunig). Aktuelle Debatten und Geschehnisse wie der Arabische Frühling, die Occupy-Bewegung oder Syrien sollen Tag und Nacht zum Thema gemacht werden. Kann also Kunst ein soziales oder politisches Werkzeug sein, kann sie nützlich sein? Die Frage nach dem Politischen der Kunst ist nicht neu. In der Nachkriegszeit erprobten Künstler schon solche Strategien, das Publikum einzubinden und sie aktiv werden zu lassen. Das Musikstück des amerikanischen Komponisten John Cage »4'33"« ist beispielhaft und gilt als Vorläufer für spätere Konzepte der Aktivierung des Publikums. Für eine Zeitdauer von vier Minuten und 33 Sekunden wurde kein Ton gespielt. Das ganze Publikum des Konzertsaals wurde zu Mitwirkenden eines Musikstücks. Deren Rascheln und Husten wurde zum Klang des Stücks. Der Hörende wird zum Ausführenden.
www.steirischerherbst.at www.truthisconcrete.org
Get down and talk together Und solche Aktivierung via Kunst wurde immer wieder für letztlich politische Zwecke genützt. Galt es in den 60er Jahren das Publikum zu aktivieren und politisch zu mobilisieren, so geht es heute um etwas andere Inhalte. Viele Künstler, die sich mit politischen Themen beschäftigen, wollen sich ihrer politischen Aufgabe bewusst werden. Die eigene Rolle wird hinterfragt: »In einer Zeit, in der sich Künstler – ob in Kairo, an der Wall Street, in Moskau oder Athen – sehr konkret die Frage stellen, welche Rolle sie als Künstler in den (politischen) Bewegungen haben, in denen sie auch engagiert sind, muss die Frage nach deren Positionierung und Beteiligung vielleicht ganz neu behandelt werden«, meint etwa Festivalkurator Florian Malzacher. »Ob Kunst nützlich sein kann und soll, das ist natürlich eine provokante Frage. Vielleicht ist es also mal wieder Zeit für einen Paradigmenwechsel.« Gäste, Künstler und Freunde aus Ungarn, Spanien, Syrien, Griechenland, den USA und Japan sollen in Graz dazu beitragen, den Rockzipfel dieser Veränderung zu ergreifen. Die Suche nach der Wahrheit, so schwer einem das Wort auch über die Lippen kommt, soll mit oder ohne Tipi-Zelt, mit oder ohne Tanzschuhen beginnen – quasi in einem offenen Marathon. »Truth Is Concrete« heißt die Devise. Sie soll, wie schon damals Berthold Brecht im dänischen Exil, von dem der Titel stammt, als Stirnlampe zur Wahrheit dienen. Ein grünes Gegenstück zum Beton gibt es auch: den »Garden of biological disobedience« von Katherine Bell. Pflanzen, Pilze und Insekten wuchern in ihrer eigenen Existenz. Bell legt Mikrosysteme an, in denen sie beispielsweise den Wirkstoff Mycelium von Pilzen als natürliche Wasserfilteranlage nutzt. In Graz wird die Künstlerin einen ganzen Garten gestalten, der ebenso wie »The Camp« als Spielstätte dienen wird. Ökologische und ethische Fragestellungen werden hier durch die besondere Art der Gartengestaltung besonders thematisiert. Na, wenn damit schlussendlich nicht die Grenze zwischen Kunst und Praxis aufgehoben ist – und das alles bei freiem Eintritt! 043
Text Denise Helene Sumi Bild Seth Tobocman, FEMEN
Occupy Kunst!
Der Steirische Herbst, das Festival neuer Kunst in Graz, ist eine Plattform, die »ästhetische Positionen« der Gegenwartskunst mit »theoretischem Diskurs« zu verknüpfen sucht. Unter dem Titel »Truth Is Concrete« wird im September sieben Tage lang ein Camp als Festivalzentrum aufgebaut. Künstler, Aktivisten, Wissenschaftler und Interessierte sind eingeladen, vor Ort mitzuwirken. Gemeinsam sollen Fragen zu Möglichkeiten der Kunst, deren Wirkungsmacht und deren Stellenwert in aktuellen politischen Debatten untersucht und vorangetrieben werden. In Form eines gemeinsamen Schlaf- und Lebensraums wird den Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben, jederzeit Tag und Nacht dem Projekt beizuwohnen. Das umfasst »The Camp« von Raumlabor Berlin, den »Garden of biological disobedience« von Katherine Ball, die Bibliothek »Camp Library« von The Piracy Project, ein Videoarchiv, die Radiostation »Studio 24 / 7« von Radio Helsinki 92,6 und sogar einen Friseur als »Mobile Salon« von The HairCut Before The Party. Einen Hundespielplatz wie auf der Documenta 13 wird es nicht geben.
deparTure focus KooperaTion — get together: Multimedia
In Österreich sind kleinere und mittlere Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft. »Die können sich oft nicht vorstellen, dass sie sich die Arbeit von Kreativen leisten können und so beauftragen sie diese meist erst in der letzten Phase eines Entwicklungsprozesses, um das Produkt oder die Dienstleistung zu behübschen.« Das ist laut Thomas Joszeffi noch sehr oft der Regelfall. Der ehemalige Generaldirektor der Salinen und Ehrensenator der Kunstuni Linz betätigt sich derzeit als Kuppler für departure. Er will Brücken zwischen Kreativen und klassischer Wirtschaft schlagen. Die heimischen Creatives sind von Architektur und Design über Software und Games bis hin zur Werbung sehr kleinteilig strukturiert. Fast zwei Drittel aller Büros bestehen aus nur einer Person. Ihnen stehen Auftraggeber gegenüber, die oft um ein Vielfaches größer sind und mit ihren Kontakten einen stark formalisierten Umgang pflegen.
BrückeN Vor proJektBegINN ScHLageN
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schluss mit Behübschen Die heimische Kreativwirtschaft steht im internationalen Vergleich qualitativ und wirtschaftlich gut da. Die gesamtumsätze steigen trotz krise und mitbewerbern. Dennoch hat sie mit einigen strukturellen problemen zu kämpfen. kooperation auf allen ebenen sollen und können diese ausgleichen.
»Kreative können oft nicht darstellen, welchen Wert ihre Arbeit hat«, meint Gerin Trautenberger, der selbst seit vielen Jahren als Art Director und Kurator tätig ist. Die Vorab-Ergebnisse der aktuellen Designleiterstudie, an der er auch beteiligt ist, bestätigen das. Seit 2006 ist die Anzahl der Unternehmen, für die Design kein Thema ist oder die es nur als Styling betrachten, tendenziell gestiegen. Damals haben nur 15 Prozent der befragten Firmen angegeben, ihre Strategie an Design auszurichten und cirka ein Drittel sahen dafür nur eine begleitende Rolle vor. Dabei würde es oft nicht nur um die Gestaltung eines Screens, sondern um das gesamte Erlebnis gehen, insbesondere bei Multimediaprojekten. Je früher Kreative eingebunden sind, desto besser gelingt das. Wenn einzelne Personen oder Einzelkämpfer überhaupt zu Ausschreibungen eingeladen werden, stellen diese meist einen enormen Aufwand dar. Und wenn sie dann gewonnen sind, müssen rasch zusätzliche Kräfte für ein Projekt organisiert werden. Für Gerin Trautenberger sind Zusammenschlüsse wie die OS Alliance eine mögliche Lösung. Die Genossenschaft bietet Open SourceEntwicklern eine Struktur, mit der auch größere Aufträge bewältigt werden können. »Viele Kreative glauben, sie stehen mit allen anderen im Wettbewerb. Wenn sie begreifen, dass sie sich ergänzen können, vergrößern sie den ganzen Kuchen und damit auch das gemeinsame Stück«, meint Trautenberger.
diese seiTe isT TeiL einer enTGeLTLichen KooPeraTion MiT deParTUre. TexT Werner reiTer Bild VaLence
kooperatIoN ISt geteILteS rISIko Diese Erkenntnis hat sich bei Computergrafikern schon eher durchgesetzt als in anderen Bereichen. »Unser Sektor ist extrem kooperationsorientiert«, sagt Kris Staber. Er ist Obmann und Gründer der IG Computergrafik. »Es gibt so gut wie kein Projekt, das eine Einzelperson alleine abwickeln kann. Bei Games oder Animationen arbeiten immer mehrere, meist hoch spezialisierte Einzelpersonen oder Unternehmen zusammen.« Sein eigenes Unternehmen Arx Anima besteht aus fünf Personen. An großen Projekten, wie etwa einem aktuellen für Disney, arbeiten dann aber schon mal 30 Menschen mit. Innerhalb der Branche zu kooperieren ist für Büros in diesem Bereich die Grundlage für langfristige Geschäfte. Anstelle der klassischen Paarung Auftraggeber vs. Auftragnehmer treten tief greifende, teilweise sogar vertragliche Partnerschaften.
StaBILere StruktureN Die Gründe dafür liegen nicht nur in der Komplexität der Projekte und der Notwendigkeit, sich spezialisieren zu müssen, sondern auch in der internationalen Ausrichtung. Nicht wenige österreichische Anbieter arbeiten fast ausschließlich international. »Wir konkurrieren jeden Tag mit Deutschland, Frankreich oder Kanada. Dort können die Anbieter teilweise um bis zu 40 Prozent günstiger produzieren«, sagt Staber. Die Forderungen der IG Computergrafik gehen daher in zwei Richtungen: Von der Politik wünscht man sich eine Senkung der Lohnnebenkosten und ein einfacheres Fördersystem, auf der anderen Seite will man den Austausch zwischen den heimischen Anbietern stärken. Michael Zagorski und Markus Raffelsberger haben in ihrem Designstudio Valence beispielsweise das Corporate Design für einen Fertigteilhaushersteller entwickelt, aus dem sich dann eine tiefer greifende Kooperation entwickelt hat. Diese Arbeiten waren Grundlage
Für Club-Visuals ist immer ein Zusammenspiel nötig, manchmal tiefgreifende Kooperationen. Das Wiener Designstudio Valence performte auch beim Sound:frame-Festival, im Bild ein Still.
für die Entwicklung einer Serie von Häusern. Auch wenn die Häuser letztlich nicht in Produktion gingen, diese Form der Zusammenarbeit hat für die beiden Designer auf jeden Fall Potenzial, stärkt sie doch das wechselseitige Verständnis. Eine langfristige Partnerschaft sollte die logische Folge sein.
departure — www.departure.at Valence — www.valencestudio.com IG Computergrafik — www.igcomputergrafik.at Kris Staber / Arx Anima — arxanima.com Gerin Trautenberger / Microgiants — microgiants.com
Auf strategischer Ebene einsteigen Kreative können viel mehr leisten als bloß zu behübschen, wenn sie von Beginn an in Innovationsprozesse von Unternehmen und Institutionen mit eingebunden sind. Das ist leicht gesagt. In der Realität bekommen sie die Ansprechpartner, die in Unternehmen strategische Entscheidungen treffen können, oft gar nicht zu Gesicht. Thomas Joszeffi kann sich daher gut vorstellen, dass Kreative verstärkt mit Unternehmensberatern zusammenarbeiten, um gleich auf der richtigen Ebene einzusteigen. Gerin Trautenberger sieht auch im Generationswechsel in Betrieben eine große Chance, zu neuen, tragfähigen Kooperationen zu kommen. Dafür müssten Kreative allerdings beginnen, im größeren Maßstab zu denken und neue Wege finden, wie Kooperationen reibungsloser ablaufen können. departure und The Gap veranstalten am 6. September im Wiener Project Space ein get together im Rahmen des Calls für Einreichungen von Kreativ-Projekten »departure focus Kooperation«.
departure focus Kooperation Gute Kooperationen sind ein Schlüssel für die Arbeit der Zukunft. Wenn Grafikbüros, Musiklabels, Filmproduktionen, Designer, Programmierstuben oder Modelabels mit Handwerk und Wirtschaft zusammenarbeiten, wachsen daraus immer neue Erfahrungen und Horizonte. Manchmal geht das nicht ohne Reibungsverlust, enttäuschten Erwartungen und einem Lernprozess. Aber das Potenzial von Kooperationen ist enorm. Ein Geben und Nehmen auf Augenhöhe ist dafür Voraussetzung. Nicht immer müssen dafür Kosten und Risiko detailliert geteilt werden; aber es kann helfen. Wenn Kreative den Prozess von Anfang an begleiten, und nicht nur hübscher Stuck sind, wenn andererseits Kreative die Wünsche und Arbeitsweise von Unternehmen verstehen, kann und sollen daraus gute Kooperationen entstehen. departure und die Wirtschaftsagentur der Stadt Wien fördern mit dem Themencall departure focus Kooperation die besten gemeinsamen Vorhaben mit € 1,5 Mio. Einreichfrist ist der 1. Oktober 2012. 045
In der Volksschule Tschagguns werden Kindern nicht mit kalten Wegweisern erzogen. Stattdessen: Kindergerechte, komfortable Pfeile, Symbole und Hilfestellungen.
Büro SÄgenvier — Designkommunikation aus dem Ländle
Lust auf Niveau 046
Text Peter Stuiber Bild sägenvier
Das Vorarlberger Büro Sägenvier ist im heimischen Grafikdesign seit Langem eine bekannte Fixgröße. Dabei waren sie nicht einmal besonders laut, als sie jung waren. Dafür vernetzen sie sich heute mit Leidenschaft.
»Ich geh in die Sägen 4«, hieß es früher bei den Weberinnen und Webern, die in der Textilfabrik in der Sägerstraße 4 in Dornbirn ihr Geld verdienten. Daher der einprägsame Name eines Büros, das sich »Designkommunikation« auf die Fahnen geschrieben hat. Was das bedeutet? Von Leitsystemen, Web und Werbung bis zu Animationen und Aktionismus kann das vieles und noch mehr sein. Gründer Sigi Ramoser erklärt es so: »Wir sehen uns als Schnittstelle. Wir kommen aus der Gestaltung, sind aber kommunikationsgeübt. Wir sind keine Full-Service-Agentur, sondern ein großes Gestalterbüro mit hohem Anspruch im Bereich Kommunikation.« Die Lust auf hohen Anspruch war schon vor 26 Jahren da, als Ramoser die lose Zusammenarbeit mit seinen Kompagnons Hermann Brändle und Sandro Scherling startete. »Natürlich traue ich mich nicht behaupten, dass ich nie etwas gemacht hätte, zu dem ich nicht gestanden wäre. Aber wir haben immer wieder Aufträge abgelehnt. Etwa von einem Gletscherbahnunternehmen, das behauptet hat, es würde nur zwei Prozent der Natur berühren – nämlich genau die Fläche, die verbaut wurde. Das ist doch ein Witz, oder?« Auch für Einkaufszentren würde Sägenvier nicht arbeiten, denn wenn es nur noch ums Verkaufen geht, hört sich der Spaß für sie ebenfalls auf. Ob das nicht ein Luxusproblem eines gut gehenden Büros sei, das sich 046
eben leisten könne, Aufträge abzulehnen? Nicht unbedingt, das war auch schon früher so. »Qualität erhält man, wenn man manche Dinge eben nicht macht.«
Geiz ist banal Verständlich, dass Ramoser klassische Werbung oft ziemlich banal findet und sich über Sprüche wie »Geiz ist geil« ereifern kann: »Als Konsument werde ich bemüllt mit Sachen, die mir lästig sind. Wahrscheinlich geht es den meisten Menschen so. Doch die Leute werden gescheiter und anspruchsvoller, glaub ich.« Dennoch würde »der Konsument« in vielen Fällen noch immer unterschätzt und unterfordert. Was Sägenvier macht, kommt sehr direkt an. »Bei Kommunikation geht um die möglichst geradlinige Übersetzung von dem, was man denkt und was man tut. Unternehmen sollten nicht irgendwas vorgeben, was sie nicht sind. Jeder kann sich ja im Internet informieren und vergleichen. Da fliegt ein Schwindel auf, wenn man Dinge beschönigt.« Ehrlichkeit, Geradlinigkeit – da ist man gleich versucht, regionale Klischees über den äußersten Westen Österreichs zu strapazieren, wenn es um Sägenvier geht. Denn die zeitgenössische Vorarlberger Architektur lebt ja bekanntlich ebenso wenig vom Schnörkel wie das klassische Schweizer Grafikdesign. Doch Achtung, so regional Sägenvier verankert sind, so international werden die Projekte des
Hier wird die Schrift für ein Plakat mit Fahrradketten nachgebaut. Natürlich haben die Designer auch scherzhalber Wörter wie »Busen« und »Penis« zurechtgelegt. Drum herum gab es eine komplette Fahrrad-Kampagne.
Büros wahrgenommen und ausgezeichnet. Zur Trophäensammlung zählen etliche Joseph Binder Awards, der Deutsche Designpreis, ein Merrit Award beim Art Directors Club NY, ein European Design Award usw. Da hat nicht einmal der Ruf, etwas »softymäßig« (Ramoser) zu sein geschadet, im Gegenteil. Mittlerweile klopfen sogar große Unternehmen an, die früher eher mit der verbalen Brechstange agiert haben. Sägenvier agiert nicht immer nur dezent und subtil. Wenn es drauf ankommt, kann man sogar aktionistisch werden. Bei einer Kampagne für die Arbeiterkammer Vorarlberg zum Thema »Schulden von Jugendlichen« schickte man einen bärtigen »SchuldenfallenTrapper« auf die Straße, in die Öffentlichkeit. Handy- und Autokosten, Telefonsex oder Kreditraten – das befördert viele Jungen ins finanzielle Abseits. Die Entscheidung für eine auffällige, durchaus lustige Art bei einem ernsten Thema hatte gute Gründe: »Wir wussten, mit herkömmlicher Werbung können wir den mächtigen Werbeimpulsen nichts entgegenhalten.« Manchmal kann sich auch etwas Unvorhergesehenes aus einer Zusammenarbeit entwickeln. Für ein neurologisches Krankenhaus hatte man zur Recherche Interviews mit Patientinnen und Patienten geführt. Die erwiesen sich als so gehaltvoll, dass schließlich eigene Geschichtenhefte daraus entstanden, die leidvolle, aber auch positive Erfahrungen schilderten.
Wo bin ich? Sägenvier ist auch ein Beispiel dafür, dass im Bereich der Kommunikation die Grenzen längst fließend sind. Ob Illustration oder Editorial, Design für Unternehmen oder Verpackungen, Branding oder Social Advertising, Webdesign oder Illustration und wie sie alle heißen: Es herrscht ein freies Spiel der kreativen Kräfte. Ein Bereich hat sich dabei in den vergangenen zehn Jahre als besondere Spezialität von Sägenvier herauskristallisiert: die Signaletik. Im klassischen Sinn versteht man darunter Leitsysteme, die Menschen bei der Orientierung auf komplexen Arealen wie Flughäfen, Büros oder Krankenhäuser helfen. Doch Signaletik ist weit mehr als nur Hinweistafeln oder Piktogramme. »Es geht auch um Unterhaltung, Corporate Identity,
wie gut und komfortabel die Menschen geführt werden«, so Ramoser. »Wenn man etwa beim Bürohaus eines Telekom-Unternehmens die Ebenen der Tiefgarage mit Städtenamen codiert, also Como 3 statt C3 sagt oder ein Stockwerk ›Timbuktu‹ nennt, dann ist das eine Identitätsübersetzung. Denn das Unternehmen verbindet ja Städte und Gebiete. Das schafft Bewusstsein bei den Mitarbeitern wie bei den Kunden.«
Geben und Nehmen Verbinden ist auch eine weitere wesentliche Stärke von Ramoser und seinen Mistreitern. In der heimischen Kreativbranche zählt das Büro zu den bestvernetzten überhaupt, was auch durch Netzwerkstudien belegt ist. »Schon in den 80er Jahren haben wir für unterschiedliche Agenturen gearbeitet, was bei manchen mit Misstrauen gesehen wurde. Dabei wollten wir einfach unser Spektrum möglichst weit aufmachen. Das Wort Kooperation war damals nicht so in aller Munde wie heute.« Als man 2001 das Büro Sägenvier gründete, war klar, dass man in immer wechselnden Teams arbeiten würde – teils mit Angestellten, teils mit Freelancern. »Aus unserem Büro haben sich im Lauf der Jahre drei, vier eigene Büros etabliert. Aber anders als bei den Werbeagenturen haben jene, die gegangen sind, nie Kunden mitgenommen. Das hat noch nie zu Konflikten geführt. Es ist eine lang gelebte Erfahrung, wie man mit Know-how-Transfer umgeht.« Die Vernetzung betrachtet Sigi Ramoser nicht als notwendiges Übel, sondern als Chance, den Wettbewerb nicht nur als ein Rittern um den nächsten Auftrag zu begreifen. »Es besteht ein freundschaftlich gewachsenes Interesse zwischen anderen Büros und uns.« Nicht zuletzt schafft das Freiräume, die man selber genießen kann. »Irgendwann wollte ich nicht mehr alles selber machen. Das Beste, was mir heute passieren kann, ist ein Projekt gemeinsam mit interessanten Menschen durchzuführen. Wie man Dinge lustvoll umsetzt, darauf kommt es schließlich an.« www.saegenvier.at 047
Martin Pichlmair
der wortwechsel. vier personen zur frage:
Medienkünstler und Wissenschafter, Broken Rules
Was fehlt den »Creatives«, um zur »Industry« zu werden?
Klein, wendig und flexibel: Das sind die positiven Attribute, mit denen man die Unternehmen der Kreativwirtschaft belegen kann. In rund zwei Dritteln der heimischen Kreativbetriebe arbeitet überhaupt nur eine Person. Wendiger geht es wohl kaum. Und kreativ sind sie ja per definitionem; nicht nur, was ihre Kerngeschäft betrifft, sondern ganz generell. Ein starker und auch wachsender Industriezweig in der rauen See der Wirtschaft? Bis zu einem gewissen Grad ja. Die weniger positiven Zuschreibungen: selbstausbeuterisch, wenig kooperationsorientiert, immer im Konkurrenzkampf. Für größere Aufträge stellen sich gleich mehrere Kreative an, die sich nur zu oft mit ihren Preisen unterbieten. Ist der Vertrag dann endlich abgeschlossen, ist meist die Zeit zu kurz, das Projekt auf den Boden zu bringen. Fabrikation, Kooperation, Serialisierung und Industrialisierung haben oft genug einen schlechten Ruf unter Kreativen. Der Begriff »Kreativwirtschaft« meint aber oft genau das. Die Positionen sind so unterschiedlich wie nur selten: viele Büros verlassen sich erst gar nicht auf die Politik und bewegen sich frei am Markt. Andere lobbyieren und versuchen in den Institutionen für bessere Bedingungen zu kämpfen. Manche Büros agieren sehr lokal, andere fast nur international. Manche arbeiten sehr individuell, andere mit Handwerkern, Konzernen, Anwälten, Konsumenten, öffentlichen Einrichtungen. Was sie machen, kann sich an jeden richten. Und ist deshalb so schwer zu fassen, zu fördern. Die Schwierigkeiten liegen an den Schnittstellen zwischen größeren Unternehmen und den Kreativen, die nicht die Infrastruktur und die PS haben, wie eine Industrie zu agieren. Der holländische Politikwissenschaftler Jost Smiers meint in seinem Buch »No Copyright« sogar, dass das Copyright in diesem Bereich viel verhindert, weil es eines erschwert, was bei Kreativen besonders wichtig ist: auf den Ideen anderer aufzubauen. Was fehlt also? The Gap wird das Thema auf www.thegap.at weiter verfolgen. 048
dokumentation Martin Mühl, Stefan Niederwieser text Werner Reiter
Wenn von Creative Industries die Rede ist, meint das, dass die Kreativen, die gleichen strukturellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen haben wie große Unternehmen. Und doch: da fehlt noch eine Menge.
»Einzelstücke, keine Serien« — Persönlich schätze ich den Begriff »Creative Industries« nicht sehr. Einerseits erinnert er mich stark an Andy Warhol’s »The Factory« – eine Anmaßung, die in den 60ern offenbar politisch Sinn machte, heute aber nicht mehr erstrebenswert scheint. Andererseits gibt es genug industrielle Betriebe, die in hohem Maße kreativ sind. Der Kern meiner Kritik an dem Begriff ist jedoch eine andere. Industrie ist die serielle Fertigung von Produkten. Kreative fertigen Einzelstücke und betreiben Fertigung als Forschung. Selten geht es um existentielle Belange. Mode, Design, Architektur, Musik, Games –zivilisatorische Errungenschaften, die nicht unbedingt zum Überleben notwendig sind, selbiges jedoch erst lohnenswert machen. Faktoren, die dabei negativ auf die Creative Industries einwirken: Unsere Gesetzgebung ist sehr stark auf den Schutz großer, sprich finanzkräftiger Betriebe ausgelegt, in Österreich, der EU und den USA. Die notwendigen gesetzlichen Anpassungen, um der Kreativwirtschaft mehr Sicherheit zu geben, sind zu zahlreich um sie hier vollständig aufzuzählen. Von Copyright-Klagen zu Patent-Trollen, von Kollektivverträgen zur Meldung beim Marktamt sind wir den gleichen Regeln unterworfen wie internationale Konzerne. Das jedoch, ohne deren Einfluss zu haben. Der innere Zwang, der die Motivation des kreativen Schaffens bildet, führt jedoch dazu, dass wir uns von solchen Lappalien nicht zurückhalten lassen. Martin Pichlmair, 35, ist ehemaliger Medienkünstler und Wissenschafter. Heute ist er Mitgründer der IndependentGames-Firma Broken Rules.
Christina Steinbrecher
Rudolf Greger
GP Designpartners
TKI / IG Kultur Tirol
»In der Wachstumsphase« — Der Begriff »Industrie« impliziert, dass die Kreativwirtschaft ebenso effizient ist wie die klassische Industrie. Dass ihre Akteure Einzelpersonen und kleine Unternehmen sind, steht dabei nicht im Widerspruch dazu, von einer »Industrie« im weitesten Sinn zu sprechen. Adornos Begriff einer »Kulturindustrie« sollte als Synonym für Formen der Effizienzsteigerung und Rationalisierung stehen, aber auch für andere Systeme, mit denen heute die Verbreitung, Rezeption und Verwertung von Kunst gestärkt wird. Denn die Produktionsumstände in der Kunstindustrie hängen von zwei wesentlichen Faktoren ab: Globale Netzwerke und exponentielle Wachstumsraten in allen Tätigkeitsbereichen. Kunstmarkt und Ausstellungen werden für den Tourismus immer wichtiger, zeigen die Statistiken: 2010 fanden weltweit 154 Messen für moderne und zeitgenössische Kunst statt. Alleine die sechs Kunstmessen in Österreich kommen zusammen auf 87.500 Besucher. Die Biennalen, Triennalen und Kunstmessen 2010 haben über neun Millionen Menschen besucht. Diese Zahlen wirken sich nicht nur auf alle Zulieferindustrien, sondern auch auf Beschäftigungszahlen positiv aus. E-Commerce und Online-Auktionen verzeichneten einen durchschnittlichen Zuwachs von 5,2% in den letzten zehn Jahren. Dieses rasante Wachstum und der Bedarf an Information in noch unerschlossenen Märkten stellen Prozesse des Kunstbetriebs und seine Akteure vor neue Herausforderungen. Möglichst umfangreiches Wissen um und Bewusstsein für eine adäquate Verwendung von Bildmaterial und Copyright muss erst entwickelt werden. Fragen, die auch auf dem zeitgleich stattfindenden Art Industry Forum im Zentrum stehen werden.
»Nichts.« — Die Creative Industry ist ein Faktum. Die Frage ist, wer weiß davon, wem ist es bewusst und was fange ich mit diesem Bewusstsein an. Viele jammern bloß: die Kreativen über Geringschätzung und Ausverkauf, die Kunden der Kreativen über vermeintlichen Mangel an Professionalität, Selbstüberschätzung und nicht nachvollziehbarer Preisfindung. Dazu gesellen sich die sich Vordrängenden, die Interessen der Kreativen zu vertreten gierenden staatlichen Institutionen, die in den Creative Industries eine noch auszuschöpfende Wählerschaft entdeckt haben (nach Tony Blair vor 15 Jahren) und diese mit einer unüberschaubaren Menge an Förderungen an den Staat binden wollen. Dabei ist es eine Frage der Selbsteinschätzung. Die Zeit der Kreativen, ihre Fähigkeit zu synthetisieren, ihre Ideen sind wertvolles Kapital. Das wurde in vielen Jahren aufgebaut. Die Tatsache des minimalen Maschinen- und Materialeinsatzes – letztlich genügen Papier und Bleistift, um das Ergebnis der Überlegungen zugängig zu machen – und die Möglichkeit, eigene Bedürfnisse einzuschränken, darf nicht dazu verleiten, die erbrachte Leistung (Kreativität, Inspiration, Innovation) gering zu bewerten, also sehr günstig bis gratis zu arbeiten / einzukaufen. Der oft verspürte Marktdruck, der auch zum Nachgeben verführt, ist eine Projektion. Ohne Creative gäbe es schon lange keine Classic Industries mehr im Westen. International ist gut zu erkennen, wo die Innovation ihren Ausgangspunkt hat (vgl. Designed in California, Produced in China). Gute Arbeit rechtfertigt guten Preis. Insbesondere dann, wenn sie dringend benötigt wird, weil sie vom klassischen Unternehmer nicht erbracht werden kann (siehe Rechtsanwälte, Ärzte, sogar Unternehmensberater schaffen es). Die Creative Industry ist gut aufgestellt and ready. Nutzen wir das!
»Künstler ≠ Creatives« — Die Arbeit der freien, zeitgenössischen Kunst- und Kulturszene ist weitgehend nicht den Creative Industries zuordenbar. Dass aber genau das immer wieder versucht wird, ist problematisch. Denn bis auf seltene Ausnahmen funktioniert diese Kreativität nicht nach herkömmlichen Marktlogiken, die mit Wirtschaftlichkeit, Nutzen, »Sellability« und oft auch mit Mehrheitsfähigkeit zu tun haben. Das ist einerseits gut: für die Gesellschaft, da so sichergestellt wird, dass es Verstörendes, Qu(e)eres, Singuläres und NichtMarktfähiges gibt, das den Alltag bereichert und zur Auseinandersetzung herausfordert. Gerade die Arbeitsweisen der freien Kulturszene können auch Gegenmodelle zur neoliberalen Verwertungslogik darstellen. Andererseits schlecht: da die Entlohnung von Kunst- und Kulturschaffenden dadurch von oft prekären Jobs und der staatlichen Förderpolitik abhängig ist. Diese wiederum ist häufig intransparent und einem konservativen, repräsentativen Kunst- und Kulturbegriff geschuldet. Für mich stellt sich daher die Frage: »Was fehlt diesen ›Creatives‹ um ungehindert ihrer Arbeit nachgehen zu können?« Zuallererst eine generelle Aufwertung – durch Regierungspolitik, Medien etc. – und eine Erhöhung der entsprechenden Förderbudgets. Eine Förderpolitik, die explizit die Arbeit der Kulturschaffenden unterstützt, samt notwendiger Infrastruktur, und nicht etwa Wirtschafts- und Tourismusförderung auf Umwegen betreibt. Ein Sozialversicherungssystem für Kreative, das realitätsnah und leistbar ist. Und natürlich die Anerkennung von Kulturarbeit als Arbeit, das heißt: adäquate Bezahlung und verbindliche Standards der Entlohnung, die von Kulturverwaltung und -politik sowie von Kunst- / Kultureinrichtungen einzuhalten sind.
Kuratorin, Vienna Fair
» Ohne Creative gäbe es schon lange keine Classic Industries mehr im Westen.« (Rudolf Greger)
Christina Steinbrecher, 29, ist Kuratorin und seit heuer mit Vita Zaman künstlerische Leiterin der Vienna Fair The New Contemporary, der größten österreichischen Messe für zeitgenössische Kunst (20.–23. September). www.viennafair.com
Anita Moser
Anita Moser, 45, ist Geschäftsführerin der TKI – Tiroler Kulturinitiativen / IG Kultur Tirol www.tki.at. Die TKI ist die Interessenvertretung der freien Kulturinitiativen Tirols mit über 100 Mitgliedern.
Rudolf Greger ist Service Designer und Industrial Designer. Mit Christoph Pauschitz hat er vor 20 Jahren GP Designpartners gegründet. gp.co.at
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bild Katharina RoSSboth dokumentation Martin Riedl
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Theresa Thompson, 40, Immobilienmaklerin
Eigentlich klingt der Beruf Maklerin ja bieder. Nicht so bei Theresa Thompson. Seit 14 Jahren lebt die Österreicherin in New York an der Upper West Side, seit sieben Jahren verkauft sie Luxus-Eigentumswohnungen. Bevor es sie über eine Kunstmanagement-Ausbildung nach New York verschlagen hat, hat sie an der Uni und am Konservatorium in Wien studiert. Nach nur zwei Wochen in New York hatte sie einen Job bei einer Künstleragentur in der Tasche. Gefunden hat sie den über eine Anzeige in den New York Times. Warum sie jetzt als Maklerin arbeitet ist schnell erklärt, und hört auf die Namen Christopher und Emily. Mehr Geld und Zeit für die damals noch kleinen Kinder hat der neue Beruf versprochen. Dass kein Tag dem anderen gleicht, gefällt Thompson an der Maklerei. Es macht ihr Spaß, neue Leute zu treffen und schöne, verrückte, elegante und auch geschmacklos eingerichtete Wohnungen zu sehen. Einmal hat sie sich über 14 Monate lang fast jeden Sonntag mit einem Ehepaar getroffen, um die passende Wohnung für die beiden zu finden – Geduld und Flexibilität sind die Dogmen der Makler. An Wien vermisst die ausgebildete Flötistin die Vogelstimmen, wenn sie die Fenster öffnet.
Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ
Anna Ritsch, 27, Fotografin
Ein Studium an der Graphischen in Wien, ein Praktikum bei einem Fotografen in New York, und seither war sie nicht mehr gesehen in Österreich. Anna Ritsch lebt seit vier Jahren in New York City und arbeitet als Fotografin. Mensch und Raum interessieren sie ebenso wie der bewegte Körper. Sie will mit ihrer Arbeit den Augenblick gestalten und Menschen kennenlernen. Dass das Organisieren dabei oft mehr Raum einnimmt als der Moment des Fotografierens selbst, stört Anna Ritsch ein wenig an ihrer Arbeit. Sie ist fasziniert von der Dynamik einer Stadt, deren Multikulturalismus ihr eine ganz besondere Energie gibt. Bedauerlich findet sie, dass New York aber auch eine Stadt des Kommens und Gehens ist – so schnell man jemanden kennenlernt, so schnell ist er schon wieder verschwunden. Liebste Sprache bleibt für sie der Vorarlberger Dialekt. Was Anna Ritsch an Österreich neben ihrer Familie und ihren Freunden jedoch wirklich vermisst, sind Leberkäsesemmeln und Nussschnecken. Das verstehen wir. Anmerkung: Der Gitarrist, der durchs Bild fliegt, heißt Josh Greenfield uns spielt bei The Canon Logic.
Gründerserie Lookk No 24 von Andreas Klinger.
Lookk forward Seit mehr als vier Jahren arbeiten wir nun am Aufbau unseres Fashion-Start-ups LOOKK, previously known as Garmz. Seit zwei Jahren sind wir online und seit einem Jahr in London. Seither ist vieles passiert …
Ä
nderungen, vor allem Fortschritte, sind von außen sehr schwierig zu erkennen und nachzuvollziehen. Sie sind paradox. Fortschritte erwartet man zu früh, bemerkt sie aber erst im Nachhinein. Änderungen nimmt man graduell kaum wahr und wacht nur bei den radikalen wirklich auf. Erst dann versucht man, das Gesamtbild zu verstehen.
Was hat funktioniert? Die letzten viereinhalb Jahre waren voller Erfahrungen und Learnings. Genügend Learnings, um Dutzenden von Start-upGründern Anleitung für Go’s und vor allem No-go’s zu geben und 24 The GapKolumnen mit gefährlichem Halbwissen zu füllen. Wir wurden Teil von Seedcamp, dem Turbo für Start-ups in Europa, und Mitglied von 500 Start-ups – dem aktuell spannendsten Start-up-Netzwerk in den USA. Hinter uns stehen Investoren von Net-a-porter. Die besten Fashionblogs haben über uns geschrieben. Und sprachen wir nicht gerade Keynotes auf Fashion Weeks, waren wir bei Condé Nast-Events zu Präsentationen eingeladen. Nebenher bauten wir noch ein Spitzen-OnlineProdukt, mit zahlenden Kunden und tollen Kampagnen mit Susie Bubble und Co. Alles in allem sind wir 2011 zu Recht offiziell zum Fashion Start-up of the Year von Techcrunch Europe ernannt worden.
Was hat nicht funktioniert? Unsere größte eigene Erkenntnis der letzten zwei Jahre war, dass wir zuviel machten und das zu schnell, zugleich und an zu vielen Orten. Das funktionierte trotz aller Energie und Bemühungen summa summarum leider nicht. Wir haben ja bereits seit dem Jahreswechsel die eigene Produktion und das eigene Prototyping aufgegeben. Das reichte nicht. Unser Hauptproblem war weiterhin noch das schreckliche »just ok«. Unser Wachstum war »just ok«, Feedback war »just ok« und vor allem der Shop verkaufte sich auch nur »just ok«. Nichts griff wirklich bzw.
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brachte merkbare Fortschritte. Die Designer waren mit den Verkaufszahlen happy, wir konnten aber darauf kein Business aufbauen. In manchen Momenten waren wir sogar kurz davor, die Company ganz zuzusperren. Wenn die eigenen Bemühungen regelmässig nicht greifen, fühlt man sich irgendwann sehr fehl am Platz. Koppelt man das mit widersprüchlichen externen und internen Erwartungen und presst es in ein bestehendes Konstrukt aus Altlasten und Entscheidungsprozessen, kommt kaum noch etwas Gutes heraus. Eine Änderung war also nötig.
Was wird konkret geändert? Wir haben nun nach mehreren Wochen Feedback und schrittweisen Verbesserungen unsere neue Version der Plattform gelauncht. Wir sind weg von allen BackendProzessen, die nicht skalieren wollten. Nach Produktion und Protoytping nun auch kein von uns betreuter E-Commerce mehr, kein Warehousing und kein Shipping – endlich! Nie wieder grantige Dimitrys, die unsere Pakete an der russischen Grenze stoppen. Keine Streits mehr mit DHL über verlorene Pakete, kein Lagerhaltungsstress bei Fehlbestellungen. Lessons learned, Fokus auf nur einen Kern: Talent Exposure und Community. Die upgedatete lookk.com-Plattform hilft Jungdesignern, eine Fanbase aufzubauen und diese zu monetarisieren. Ähnlich Pinterest oder Facebook, aber stark visuell und direkt an Mode gekoppelt. Kunden erstellen sich ein Magazin aus Designern und ihren Freunden und entdecken so neue Mode. Das Ziel ist eine Webseite, über die Designer eine Community, aber
auch Kunden aufbauen können. Passend zum neuen Release strukturieren wir auch die Firma um. Graduelle Änderungen reichten nicht mehr und radikale mussten folgen. Anfang dieses Jahres waren wir noch 17 Leute, das wurde geändert. Weniger Leute, aber die richtigen Leute. Die Company soll sich in sehr naher Zukunft selbst tragen können. Es ist die neue Mentalität auf der klassischen Venture Capital-Route, kurz zur Seite zu treten und dann wieder mit Bootstrap-Attitüde einen funktionierenden Unternehmenskern aufzubauen. Die neue Plattform wird nicht die gesamte Mode-Weltherrschaft an sich reißen und nebenher noch Vertrieb und Produktion revolutionieren. Sie wird aber in ihrem Segment die beste Community Page und der beste Marketplace werden. Mit Fokus auf die eigenen Stärken und einer Reduktion aufs Wesentliche, und das bis ins letzte Detail. Mit einem reduzierten Team, um bewusst das Tempo rauszunehmen und erstmal zu merken, wo man Unterstützung braucht. Dass wir das ernst meinen, zeigt unter anderem, dass das Team vorerst auf drei Leute reduziert wird. Ein starker Einschnitt, der einen großen Teil unseres Dev- und Marketingteams, einen meiner Co-Gründer sowie mich selbst inkludiert. Und so kommt auf mich die markanteste Änderung seit vier Jahren zu: Ab September bin ich nicht mehr bei LOOKK. Aber mehr dazu in der nächsten Kolumne.
Andreas Klinger @andreasklinger
HIMMER, BUCHHEIM & PARTNER
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umsjury k i l b u P RD STANDA Aufnahme läuft Achtung, tember 2012! p bis 28. Se
Seien Sie unter den fünf Auserwählten, sichten Sie Festivalfilme bei der Viennale und vergeben Sie den renommierten STANDARD Publikumspreis. Richten Sie Ihre Bewerbungen mit Begründung, warum gerade Sie eine so tragende Rolle spielen sollten, bis 28. September an publikumsjury@derStandard.at Mehr Information unter: derStandard.at/Viennale 3 Wochen gratis lesen: derStandard.at/Abo oder 0810/20 30 40
Die Zeitung für Leserinnen 055
super-fi.eu
AB HIER: REZENS ONEN
128 Frank Ocean Channel Orange (Def Jam)
Progressive Traditionspflege Die sexuelle Orientierung von Frank Ocean kann egal sein, sein Debütalbum mit Sicherheit nicht. »Channel Orange« ist eine modernes Meisterstück historisch beflissener Black Music. In vielerlei Hinsicht bricht das Debütalbum von Frank Ocean mit Offenbarungen auf. Zum einen eröffnet »Channel Orange« mit der hypnotischen Vorab-Single »Thinking Bout You«, die seit Herbst letzten Jahres große musikalische Erwartungen und neben weiteren Songs auch die Gerüchte um die sexuelle Orientierung des 24-Jährigen befördert – »Yes of course I remember, how could I forget how you feel / You know you were my first time, a new feel«. Zum anderen erinnert der Song sofort an die umnebelte R’n’B-Ästhetik von Drake oder The Weeknd, um bis zum Finale dieser dreieinhalb Minuten Spielzeit auch gleich wieder mit ihr aufzuräumen. Langsam schreibt sich die Falsettstimme durch den flirrenden Beat, während Frank Ocean die großen Gefühle ohne Abstraktion beim Namen nennt und in bester Soul-Manier die ewige Liebe beschwört. Vor dem geistigen Auge nicken sich indes Prince, Justin Timberlake und Pharrell Williams einstimmig zu. Hier geht es um das große Ganze. Letzterer hat nicht nur den jungen Barden aus dem Umfeld von Odd Future einst musikalisch beeinflusst, sondern zudem auch die Single »Sweet Life« mitproduziert. In einem süßlichen Slow Jam thematisiert Ocean darin die Verwahrlosung durch Wohlstand, Ignoranz und Einsamkeit gegenüber der unglamurösen Außenwelt. »Super Rich Kids« (mit Earl Sweatshirt) übt ähnliche Kritik und ergänzt auf ähnliche Weise das musikalische Erbe von D’Angelo, dem noch deutlicher hörbaren Vorbild: Die angelernte Verbindung von sanftem Jazz und trockenem Funk wird 2012 von kleinteiligen Bass-Beats umspült und von Synthesizern verdichtet. Das melancholische »Crack Rock« weckt vergleichbare Erinnerungen und macht den Drogenmissbrauch in den Ghettos zum Thema. So präsentiert sich »Channel Orange« auf allen Ebenen als eine klassische und fortschrittliche Großtat. Feinsinnig variiert Frank Ocean seine Stimme durch seinen rauschenden R’n’B, vertieft sich im dichten Sog seines Gesamtwerks, ohne in den einzelnen Songs jemals zu verklingen oder rührselig zu werden. Vor Kurzem hat sich Frank Ocean in einem offenen Brief auf seinem Blog geoutet. 2012 ist ein gutes Jahr für den Mainstream von Black Music. Schwul zu sein muss nun offiziell kein Tabu mehr sein. Wie viel die Geschlechtspartnerwahl wirklich mit der Musik von Frank Ocean zu tun hat, kann er letztlich nur selbst wissen und bleibt irrelevant. Die alten Helden werden nun ohnedies mühelos abgelöst (inklusive ihrer heterosexuellen Deutungshoheit). Der Sound von Frank Ocean setzt sich zwar dezidiert mit der Vergangenheit des Soul auseinander, verspricht dank seinem überbordenden Talent aber eine schillernde Zukunft für anspruchsvollen R’n’B. 09/10 Klaus Buchholz 057
R ez
Holy Other Held (Pias)
Ohne Raum und ohne Zeit Zwischen R’n’B, Witch House und Dreampop: Holy Others Debüt ist ein wunderbares Stück über die Dringlichkeit und Unmöglichkeit der Liebe. Im Englischen gibt es Begriffe, die sich nur völlig unzureichend übersetzen lassen. »Ghostly« ist einer davon. Das deutsche Pendant »geisterhaft« hilft nur bedingt weiter, kann es doch die schwebende, sprunghafte, prekäre und unheimliche Schönheit der Beschreibung nicht umfassen. Deshalb haben es englische Rezensenten leichter, über Holy Others Debüt zu schreiben. Denn ghostly ist das Wort, das »Held« einfach am besten trifft. Das trifft nicht nur auf die Musik zu, sondern auch auf den scheuen Produzenten selbst. Fotos gibt es keine, und das einzige, was von ihm offenbart wird, ist sein aktueller Wohnort: Manchester. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies Methode hat. Jede Information engt ein, lenkt unser Denken in bestimmte Bahnen, setzt das Produkt in eine Beziehung zu Ort und Zeit. Holy Others Musik ist raum- und zeitlos. Sein sphärisch vor sich hin treibender Mix aus R’n’B, Witch House und Dreampop versucht sich an universeller Gültigkeit und fällt bei dem Versuch noch nicht mal auf die Nase. Die Stimmen auf dem Album sind durchwegs elektrifiziert – Autotune in voller Konsequenz, wie es heuer auch schon Polica durchgezogen haben. Im Falle von »Held« erweist sich das als absoluter Glücksgriff. Die Vocals sind distanziert, ihres Kontexts beraubt und so von ihrer Entstehung entrückt. Sie werden zu Symbolen, zu universellen Träumen, Bedürfnissen und Wünschen. Niemand möchte allein sein, auch nicht die Cyborgs, die hier von der Liebe singen. »Held« erzählt von der Unmöglichkeit und der Dringlichkeit der Zweierbeziehung, diesem komplizierten und fragilen Gebilde zwischen den Polen Geborgenheit und Einschränkung. Holy Others gleichförmige, zauberhafte, langsame Stücke spiegeln die Trägheit, in der sich die meisten Beziehungen irgendwann wiederfinden, perfekt wieder. Vom pochenden Opener »(W)Here« über das flüchtige »Love Some1« bis zum finalen »Nothing Here« ist »Held« ein schlüssiges, magisches Album. Pflichtprogramm für alle, die im Geheimen von elektrischen Schafen träumen. 08/10 Jonas Vogt 058
m u si k
The Soundtrack Of Our Lives Throw It To The Universe (Haldern Pop Recordings)
Glorreiches Ende einer großen Band! Letztmalig legen die 1995 gegründeten schwedischen The Soundtrack Of Our Lives 13 neue tolle Songs zwischen Psychedelic und 60s-Pop vor. Das Info zum Album, das sich liest, als wäre ein Übersetzungsprogramm Amok gelaufen, teilt mit, dass Noel Gallagher – Oasis und TSOOL tourten einst gemeinsam in den USA – meint, mit das Schlimmste, was 2012 passieren kann, wäre die Auflösung dieser Band. Sorry, Noel, da müssen wir durch. Die Band um Sänger Ebott Lundberg (Ex-Union Carbide Productions) ist in Schweden eine Institution, im Rest der Welt eher peripher wahrgenommen. Sie lässt es mit Jahreswechsel, diesem finalen Album und einigen letzten Live-Gigs – einer davon beim Waves-Festival in Wien – bleiben. Das ist definitiv schade, aber sie tun es erhobenen Hauptes. Dieses Werk schließt nahtlos an ihre unlängst veröffentlichte, dringend empfohlene »Best Of«-Sammlung namens »Golden Greats No 1« an. Lundberg & Co schreiben so tolle Songs, die von The Who bis Neil Young an ganz vielem anstreifen, was musikalisch früher leiwand war, jetzt leiwand ist und immer wieder leiwand sein wird, dass dem Esoterik-Verdacht, den die Lyrics manchmal auslösen, nicht nachgegangen werden muss. Und warum 2012 nicht über die Geschwindigkeit des Lichts singen? TSOOL haben einen großen Sound voller Charakter, bedienen sich grundsätzlich eher gemäßigter und getragener Tempi – was das wirkliche Eintauchen in diese Musik bei dringend erhöhter Lautstärke fordert, um nicht fälschlich Gleichförmigkeit zu orten. Gleichzeitig können sie so unglaublich zart sein, was die unglaublich schönen Balladen »Solar Circus« und das abschließende »Shine On (There’s Another Day After Tomorrow)« zu zwei absoluten Highlights dieses bittersüßen Abschieds macht. Vor allem letzterer Song geht mit einfachen Mitteln ans Eingemachte und verströmt ganz ungeniert eine Angerührtheit, Hoffnung und Euphorie, die die reinen Worte der Lyrics transzendiert: »Shine on there’s another day after tomorrow, there’s another day after the end«. Weinen wir doch wieder öfter gemeinsam! 07/10 Rainer Krispel
R ez
Nas Life Is Good (Def Jam)
m u si k
Passion Pit Gossamer (Columbia)
Leben nach dem Tod Wenn sein Debüt »Illmatic« als drittbestes HipHop-Album der 90er gilt, was soll man noch erwarten? Und warum sind sich plötzlich alle einig, dass dieses sein zweitbestes ist? Ja, ist denn HipHop doch nicht tot? Nas selbst hatte das vor sechs Jahren behauptet. Damals hoben Crunk, Snap und Hyphy das Grab aus. Danach kamen andere Katastrophen, die alle weniger tödlich waren als ursprünglich angenommen. HipHop überlebt sie alle, nimmt das eine auf, spuckt anderes wieder aus. Rapping, das ist als Kulturtechnik offenbar so unerschöpflich, dass man heute so wie Nas sogar mit ganz klassischen Tracks alle Küsten aus dem Strandhäuschen jagen kann, von East Coast zur West Coast bis zur Europe Coast. Hat da jemand Nostalgie gesagt? Retro? »Life Is Good« macht jedenfalls etwas, was nur wenig andere überhaupt können: Das Album blickt weit zurück, ohne Idealisierung, sondern auf gute und schlechte Zeiten, auf die Jugend in einem chaotischen New York, auf die eigenen Fehler, auf den ganzen Bling, auf die Trennung von Kelis. Ihr Kleid trägt er am Cover auf dem Schoß. Wenn man etwas Liebgewonnenes verliert, ist das oft ein Grund, sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit und mit knusprigen Reimen auf die Reise durch die eigene Vergangenheit zu machen. Das zehnte Album von Nas reitet zwar nicht auf der Retrowelle, sie schadet ihm aber definitiv auch nicht. Die Beats überspannen die letzten paar Jahrzehnte schwarzer Musik, vom Isaac Hayes-Sample aus den 70ern zu smoothem Soul, Boom Bap, hartem Deep Funk aus der Public Enemy-Schule, rohem Reggae bis hin zu flirrenden Club-Synths. In dieser Breite, mit dieser Geschichte, auf diesem Niveau ist auch traditioneller HipHop eine Ausnahme. Pop ist nach einem Jahrzehnt voll immer neuer Hype-Acts an einem Punkt angekommen, in der die alten Meister auf Augenhöhe mit den neuen Rebellen Songs schreiben. Jay-Z, Raekwon, El-P, Big Boi, The Roots, Killer Mike spucken derzeit genauso aufregende Tracks aus wie Jeremiah Jay, Space Ghost Purrp, Frank Ocean, Asap Rocky, Action Bronson, Quakers, Hodgy Beats, Big Krit oder Kendrick Lamar. Da ist es höchst willkommen, dass jemand diese simple Wahrheit ausspricht – auch wenn sie nicht immer stimmt, selbst mit bitterem Unterton: Life is good. Danke fürs Erinnern. 08/10 Stefan Niederwieser
Bittere Pillen mit Zucker runterspülen Mit ihrem zweiten Album »Gossamer« legen Passion Pit ihren flauschigen Saccharin-Pop noch überlebensgrößer an. Die Themen sind indes dunkler geworden. Als vor drei Jahren das Album »Manners« erschien, fiel es leicht zu überhören, dass es sich um einen Mann mit einem troubled mind handelte, der sich da die Seele so euphorisierend aus dem Leib quietschte und zu Hymnen des Zuckerschocks transformierte, die nur dafür erdacht schien, um Reklame für Deodorants, Mobiltelefone und alles andere zu vertonen. Die Musik der Bostoner Band Passion Pit war auf ihrem Debüt ein Dokument des Überschwangs, eine in allen Pink- und Neon-Türkis-Tönen blitzende Licht-Orgel, die gut verschleiern konnte, dass in Sänger und Mastermind Michael Angelakelos in nicht wenigen Stunden die Trübsal spukt. Auf »Gossamer«, dem zweiten Album von Passion Pit, geht es nun textlich unter anderem um folgende Dinge: Drogen, Alkohol, Geisteskrankheit, Gewalt, Selbstmord. Vom üblichen Liebelei-Herzschmerz nicht zu sprechen. Angelakelos sieht »Gossamer« als das große Selbstreinigungs-Album, das die eigene biografische Misere »verarbeitet«. Um diesen massiven Dienst an sich selbst zu bewerkstelligen, hat er sich mit dem Major Columbia im Rücken und wohl von Brian-Wilson-haftem Größenwahn beflügelt einen Vergnügungspark von einem Studio eingerichtet, der gerätetechnisch und hinsichtlich munter leuchtender Apparate Neverland und die Daft-Punk-Pyramide in den Schatten stellt. Das wunderbare A-cappella-Trio Erato aus Schweden hat man eingeflogen, die Streicher hat zum Teil Nico Muhly arrangiert, der solch illustre Namen wie Björk, Grizzly Bear oder, ja, Philip Glass in der Biografie führt. Das Ergebnis ist eine großartig überfrachtete Materialschlacht im Koordinatensystem von synthetischer Psychedelik, Disco-Pop, R’n’B und gar funky eierndem Glitch-Hop. Hinter all der schönen Sound-Marmelade stehen immer auch richtige, echte und gute Songs. Nicht selten aber geht mit Erreichen des höchstmöglichen Mitgröhl- und Ohrwurm-Faktors das Risiko eines gehörigen Nervpotenzials einher. 07/10 Philipp L’heritier 059
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Teen In Limbo (Carpark)
Cooly G Playin Me (Hyperdub)
Niemandsland Teen hängen rum, warten auf Godot. Es gibt Schlimmeres, was man tun könnte. Polarkappen rösten, Leute rempeln oder den Banken Geld leihen zum Beispiel. Vielleicht ist es zur Abwechslung mal ganz gut, dass man nichts macht, sich hinsetzt, ein Zigarette anraucht und überlegt, wie man hierher gekommen ist, ob man etwas vergessen hat, oder jemand vielleicht in den Speicher geht, schaut, ob dort noch was gut ist, oder viel zu lange Songs anschlägt – Songs, die mäandern, anders gebaut sind, in einer Schleife hängen. Der Albumtitel könnte gar nicht besser gewählt sein. »In Limbo« ist betörend gesungener Ambient und Psychedelic Rock für Wartehallen, gemacht von drei Schwestern und einer Freundin aus New York. Das Debüt lässt sich viel Zeit. Refrains gibt es so gut wie keine, dafür krautige, holpernde Rhythmen und elastische Melodien, die minutenlang dahinschlurfen. »Better« kreiselt um sich selbst, wiederholt sich stur, »Sleep Is Noise« tritt zäh auf der Stelle, »In Limbo« will auch erst einmal gar nichts, nur beobachten. Und dabei sind das noch die kurzen Songs. Dieses Album ist gefangen zwischen den Orten, mit sich selbst verstrickt. Und gerade als man sich fragt, ob Teen nicht einfach nur keine Einfälle haben, da fährt ein grimmiger Refrain wie aus dem Nichts ins Ohr, aus einer Niederhölle, wird einmal wiederholt, bricht dann abrupt ab. »Electric« entwickelt sich linear auf diesen Moment hin. Aber auch in »Why Why Why« schälen sich aus einem schleppenden Rhythmus ebenso unerwartet strahlende Harmonien heraus. Pop und Paisley Underground sind in diesem Album vergraben, wie auch der Wille, sich dem zu verweigern. Aber diese Momente sind rar, sanfter Nihilismus überwiegt. Das ist jetzt vielleicht eine Spaßbremse, aber wenn die verlorene Generation dieses Jahrzehnts noch länger am Größenwahn ihrer Eltern knabbern muss, dann ist »In Limbo« der richtige Soundtrack dafür. Nun ja, das »wenn« kann man streichen, übrigens. Ein paar Hymnen fallen dabei ab, der Tag erglänzt nur einen Augenblick, und dann von neuem die Nacht. 07/10 Stefan Niederwieser 060
m u si k
After Eight und eiskalte Milch Merissa Campbell hat das Produzieren und Auflegen bei ihrem Vater gelernt. Ihr Debüt mischt kühlen Soul und digitalen Dub auf dem Mutterlabel allen Dubsteps: Hyperdub. Schon wieder ein Wunderkind? Die Britin Merrisa Campbell bringt nach einigen positiv aufgenommenen Singles und EPs ihr Debüt auf dem Qualitätslabel Hyperdub heraus. Dass die britische Elektronik- und Dance-Szene unbestreitbar zu den fruchtbarsten und kreativsten der Welt zählt, macht es nicht wirklich leicht etwas abzuliefern, das da noch heraus- sticht. Passiert hier auch nicht. Es ist einfach nur ein gutes Album geworden. Cooly G ist in erster Linie dem Basskontinuum verpflichtet. In zweiter Linie ihrer Qualität als Singer-/ Songwriterin und ihrer Fähigkeit, Dub ohne Anleihen und Roots so frisch wie eine Packung After Eight mit einem Glas eiskalter Milch klingen zu lassen. Auf ihrer Stimme liegt immer wieder reichlich Delay, hört sich dadurch stellenweise fast gesamplet an. Überhaupt wird auf »Playin Me« Hall und Raum groß geschrieben. Manche der verwendeten Synths erinnern an die Zeit des Übergangs von Jungle zu darkem Drum & Bass, aber statt hektischem Funk gibt es eben jetzt den eckig-synkopierten, hektischen Funk … US-Juke scheint für die clevere englische Dance-Elite wohl für den Moment die bevorzugte Straßenerdung zu sein. Cooly G bewegt sich zwischen den Polen strikter Patterns und offensiver Abstraktion. Der Versuchung der Rhythmussektion, durch ein wenig angetäuschten, menschlichen Swing die Schärfe zu nehmen, wird widerstanden. Eh auch schön. Das unterstreicht die distanzierte Melancholie der Tracks noch. Herausstechend: der kühle Dub in Moll von »Sunshine« und die Coldplay(!)-Coverversion »Trouble«, bei der der Pop-Balladenkitsch des Originals ohne Ironie in ein auffrisiertes und upgedatetes Stück 90er Chillout-Kitsch übersetzt wurde. So erzeugt Cooly G durch das Zusammenspiel ihres weichen, etwas schwebenden Organs über den profanen Beats und den geerdeten Bässen ihre eigene Genreblase. Die aber bitte nicht einordnen. Merissa ist bei so etwas nämlich wählerisch und aufbrausend. 07/10 Johannes Piller, Thomas Wieser
R ez
Can The Lost Tapes (Mute)
m u si k
Andreas Buchner Ascent / Decliner (Antime)
Walddisko Zurückhaltung! Jahrzehntelang lagen diese Bänder in Archiven. Nun liegen sie neu editiert in Form von drei CDs vor. Zu hören ist Can-Material erster Güte. Unverständlich, warum das so lange zurückgehalten wurde. Die Spuren der deutschen Ausnahmeband sind in so vielen Werken klugen Musikschaffens zu finden, dass der Platz hier nicht reicht, um auch nur die wichtigsten der Can-Inspirierten aufzuzählen. Die Musik der 1968 in Köln gegründeten Band ist auf mehreren Ebenen herausragend, interessant und einzigartig: Hier trafen klassisch ausgebildete Stockhausen-Schüler auf Jazz-Musiker, einen Gitarristen, der als Einziger glaubte, Can »würden Rock-Musik machen« und Vokal-Freaks im besten Sinne. Weder der erste Vokalist Malcolm Mooney noch sein Nachfolger, der japanische Weirdo Damo Suzuki, gehen als Sänger im engeren Sinn durch. Sie setzten ihre Stimme als Instrument ein, das sich in die von Schlagzeuger Jaki Liebezeit vorgezeichnete Rhythmik einfügte. Die Can-Mixtur wirkte nie aufgesetzt oder gekünstelt, sie kam aus der Fähigkeit, einander zuzuhören, aufeinander zu reagieren, miteinander zu arbeiten und dem unbeugsamen Willen, etwas ganz Neues zu schaffen. Und das haben sie gemacht. Ohne Kompromisse. Sie haben in ihrem Studio mit relativ bescheidenen Mitteln großartige Raumakustik-Effekte geschaffen und sie haben die Bänder aus ihren schier endlosen Studio-Sessions in mühsamster Kleinarbeit editiert. Mit heutigen Produktionsmitteln ist das ja kein Aufwand mehr. Damals waren Samples noch kleine Schnipsel von Tonbändern. Manches, was Can produziert haben, klingt heute noch so unglaublich outer-space, dass es einem schwer fällt, das mit dem Begriff Klassiker zu belegen, obwohl sie das mittlerweile sind. Irmin Schmidt, Holger Czukay, Jaki Liebezeit und der 2001 verstorbene Michael Karoli und die beiden Vokalisten haben im Deutschland der späten 60er frühen 70er Türen zu neuen musikalischen Räumen aufgestoßen. Was mit den Lost Tapes nun zum Vorschein gekommen ist zeigt: Das Gebäude war noch viel größer als angenommen. 10/10 Werner Reiter
Anschwellende Electronica, poppige Momente, ambientöses Geknister und dabei immer einen Fokus auf den tanzwilligen Floor. Andreas Buchner debütiert ohne einen Ansatz von Frittenbude. Der Albumtitel ist Programm. Bei jedem Track ist eine deutlich hörbare Steigerung zu vernehmen, bevor es wieder zur Entspannung kommt und das nächste Stück beginnt – was dazu führt, das Album für ein einziges großes Gesamtwerk zu halten. Zwischen den Stücken rauschen fließende Übergange. Durch dieses Trackmuster wird eine spezielle Eigendynamik erzeugt. Sphärische Sounds treten deutlich in den Vordergrund. “Ascent/ Decline“ kann generell ein durchwegs organischer Sound attestiert werden. Field Recordings und teils selbst eingespielte Instrumente verleihen dem Album Ruhe und Wärme sowie eine Art von Naturklang, Pantha Du Prince lugt um die Ecke, während sich Andreas Buchner seine eigene Walddisko zimmert. Auch durchaus stimmig: das Cover mit Waldlichtung und zwei überlappenden Dreiecken. Manchmal vielleicht sogar die Spur zu stimmig. Andreas Buchner stammt aus Landshut in Bayern und lebt seit ein paar Jahren in Wien. Neben seinem Projekt “Oberst & Buchner“, mit dem er zu Beginn des Jahres eine EP auf dem Wiener Label Schönbrunner Perlen releast hat, produziert Buchner auch solo. Dabei ist 2011 über die Sommermonate Juli und August ein Konzeptalbum entstanden. “Ascent/ Decline“ ist der Name seines zehn Tracks langen Debüts. Dieses erscheint auf Martin Steers Label Antime. Wie beim vorletzten Radiohead-Album kann man hier selbst entscheiden, was man dafür zahlen möchte. Fein gestrickte Electronica mit einem Schuss Pop gibt es auf ganzer Spiellänge zu hören. Immer wieder verliert man sich bei gezielt eingewobenen Vocals, in verträumt-malerischen Melodien und Klängen. Durch das Auf- und Absteigen erzeugt Buchner packende Spannungsbögen. Am Ende des Albums ist die Versuchung groß gleich noch eine Runde in der Walddisko zu drehen. Techno, der nah an der Natur gebaut ist, gab es früher schon (einmal sogar am Cover von The Gap), Andreas Buchner setzt mit feinsinnigen Sounds und aufbäumenden Stimmungen ein Ausrufezeichen auf genau diese Lichtung. 07/10 Johannes Piller
061
01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk
R ez
Erol Alkan Another »Bugged Out« Mix & »Bugged In« Selection (!K7) – Erol Alkan, dunkler Prinz der britischen IndieDance-Szene, füllt mit seinem neuesten Mix die Tanzflächen. Dabei bleibt sogar genug Zeit zum Regenerieren. 07/10 martin riedl
Fiona Apple The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do (Sony Music) – Wirft einen nicht mit Selbstentblößung, sondern unglaublichen musikalischen Ideen um.
M u si k
Barker & Baumecker Transsektoral (Ostgut Ton) – Gemastert für die maximale analoge AudioLeistung. Techno mit Sicht über den Tellerrand auf Ostgut Ton. 06/10 johannes piller
Baroness Yellow & Green (Relapse) – Baroness übertrumpfen sich selbst. Auf »Red« und »Blue« folgen 75 Minuten durchdachte Songwriting-Kunst. Ohne Scheiß: Ein Meilenstein der neueren Rock-Geschichte. 09/10 werner schröttner
08/10 michael huber
Mark Berube And The Patriotic Few June In Siberia (Global Records Via Roughtrade) – Auch wenn es in Sibirien dadurch doch nicht wärmer werden wird, versucht es Mark Berube mit seinem neuen Album wenigstens, ein klitzekleines Feuerchen zu machen. 03/10 nicole schöndorfer
Andreas Buchner Ascent / Decline (Antime) – Anschwellende Electronica, poppige Momente, ambientöses Geknister und dabei immer einen Fokus auf den tanzwilligen Floor. Andreas Buchner debütiert ohne einen Ansatz von Frittenbude.
Cat Power Sun (Matador / Beggars) – Selbst wenn die große Cat Power wieder enttäuscht, ist das hörbarer als 98 % aller Releases. Nur ist das kein Grund, nicht die restlichen 2 % zu hören.
Cooly G Playin me (Hyperdub) – Kühler Soul und digitaler Dub treffen auf Juke-beeinflussten britischen Elektronik-Sound und alle kommen gut miteinander aus.
05/10 stefan niederwieser
06/10 thomas wieser
Matthew Dear Beams (Ghostly International) – Oh Dear! Das Techno-Wunderkind unternimmt durchtriebene Rock-Ausflüge und bohrt seine durchdachten Beats in ein Vakuum der Unvorhersehbarkeit.
Dexys One Day I’m Going To Soar (BMG) – Solo musste Kevin Rowland viel ungerechtfertigten Spott über sich ergehen lassen. Um so mehr erstaunt der Hype, der nun rund um seine Stammformation wieder erblüht.
08/10 martin riedl
07/10 gerald c. stocker
Fennesz Aun – The Beginning And End Of All Things (Touch) – Selbst ohne Film und Bookletwälzer ist dieser Soundtrack eine kolossale Traummaschine, entrückend, wie ein philosophisches Schmerzmittel, Ambient, von Solo-Piano durchweht.
Firewater International Orange (Noisolution) – Von Istanbul aus kultiviert US-Musiker Tod A. seinen Agit-World-Pop. Nicht schlecht, aber limitiert durch Gesang und Songwriting ihres Mainmans.
07/10 johannes piller
Diamond Version Technology At The Speed Of Life / Empowering Change (Mute) – Alva Noto und Bytone bringen Marktforschung zum Klingen. Der Beginn der Serie schubst klare Beats, Design und Clicks’n’Cuts hin zum Gesamtkunstwerk.
DJ Empty Meaningless (Accidental) – Hohles Rumpeln, Maschinen ohne Funk, stupides Plong, Bum Bum ohne Wumm und Art Brut für den Club – die Welt ist für das Ideen-Vakkum von DJ Empty noch nicht bereit.
Enabler All Hail the Void (Southern Lord) – Die Renaissance der 90er im Hardcore hält weiter an! Converge- / Coalesce-lastiger Hardcore mit Andy Hurley von Fall Out Boy am Schlagzeug. Heftig und gut.
04/10 stefan niederwieser
06/10 werner schröttner
06/10 stefan niederwieser
The Flaming Lips Flaming Lips And Heady Fwends (WEA / Warner Bros.) – Klingt nach Genie und Wahnsinn. Mit Schwerpunkt auf Letzterem. 07/10 werner reiter
05/10 rainer krispel
07/10 stefan niederwieser
Flo Rida Wild Ones (Warner) – Makes song about blow job – Number 1 Hit. 05/10 stefan niederwieser
Fur Coat Mind Over Matter (Crosstown Rebels) – Grooves für die Knochen, Mark und Bein. Viel geradliniger und trockener kann man kaum noch tanzen. Und das mit zwei Typen aus Venezuela. 08/10 stefan niederwieser
The Futureheads Rant (Nul) – Auf ihrem fünften Studioalbum überrascht die britischen Indie-Rock-Band mit A-Cappella-Sound, der immer wieder ans Limit des Spannungsbogens stößt. 05/10 gerald c. stocker
Gallon Drunk The Road Gets Darker From Here (Clouds Hills Record Ltd) – Verdiente englische Band um Ex-Bad Seed James Johnston rückt ihrem »dark subject matter« mit konsequentem urbanen Neo-Blues zu Leibe. Geil! 08/10 rainer krispel
REZ
Jeremiah Jae Raw money Raps (Brainfeeder) – Ein respektables Debüt unter den Flügeln des Flying Lotus. Die Verbindung zwischen Raps und Produktion gelingt aber nur stellenweise.
Jaill Traps (Sub Pop) – Eine sanft verbitterte LP tappt in selbst gelegte Fallen. Der britophile Power-Pop war schon explosiver, potenzielle Brillanz zu stark gezäumt.
05/10 jonas Vogt
06/10 daVid mochida krispel
muSIk
Keine zähne im maul aber la Paloma Pfeifen Postsexuell (Broken Silence Records) – Kieler Trio findet zwischen Punk, Post-Punk und IndieSounds einen überzeugenden und erfrischenden Weg, mit deutschen Texten zu arbeiten. 07/10 rainer krispel
scott Kelly / steve Von Till / wino songs of Townes Van zandt (My Proud Mountain) – Übertragungen aus dem Vorhof der Hölle. Sehr gelungenes Tribute dreier Heavy Dudes an alten Meister des Songwritings. »No words of comfort.«
Paradies der Tiere Paradies der Tiere (Wohnzimmer Records) – Duo Wolfgang Schlögl und Franz Reisecker macht extrem rhythmusbetonte, charmant rumpelnde Songs mit schwer fassbaren Inhalten. 07/10 martin Zellhofer
08/10 daVid mochida krispel
Ps i love You death dreams (Paper Bag Records via Roughtrade) – Alles andere als viel Lärm um nichts liefert das kanadische Duo PS I Love You mit ihrem zweiten Album. Eher viel Lärm um alles – um Vocals, um Gitarren, um Drums.
max Richter Recomposed: Vivaldi – Four seasons (Deutsche Grammophon) – Wer Muse für Art Rock hält, hält auch Max Richter für einen genialen Komponisten. Seine Vivaldi-Versionen sind Gegenwartsklassik, die man aber hören kann.
07/10 nicole schöndorfer
06/10 stefan niederwieser
angus stone Broken Brights (EMI) – Australischer Folkie gibt sich auf Solo-Debüt als modebewusster Dylan-Wiedergänger. Er beherrscht die Codes zu gut: Unverwechselbares tritt in den Hintergrund. 06/10 michael huber
strip steve mirco mega (Boys Noize Records) – Strip Steve legt ein Debüt vor, dass im Grunde alle Stücke spielt – das verzichtbaren Füllern und handwerklich einwandfreiem Eklektizismus ausgleicht. 06/10 keVin reiterer
shed The Killer (50weapons) – Sheds 50Weapons-Debüt wird getragen von fast grenzenlosemSelbstvertrauen und bringt zwar viel Beton / Techno, aber mindestens genauso viel Herz / Blut mit sich.
smashing Pumpkins oceania (Martha’s Music) – Eigentlich handelt es sich bei dieser Songauswahl um ein Album im Album, das schon seit Jahren via Internet gestreut wurde. Die Qualität von alldem ist gewohnt hoch.
08/10 keVin reiterer
07/10 gerald c. stocker
TnghT TnghT (Warp Records) — Die Supergroup aus Hudson Mohawke und Lunice funktioniert. »TNGHT« ist Musik, zu der man daheim Kopfnicken und im Club springen will.
Various artists TV sound and image (Soul Jazz) – Feiner Rückblick auf den ambitioniert funkigen Arbeitsethos britischer Musiker im Dienste des noch jungen Mediums Fernsehen.
The Very Best mTmTmK (Cooperative) – Wenn Charts nur öfter so klingen würden. Herumhüpfen zu einem alles umarmenden ReggaetonEurodance-World-Hybrid war noch nie so einfach.
07/10 jonas Vogt
06/10 thomas wieser
07/10 stefan niederwieser
otto von schirach supermeng (Monkeytown Records) – Manischer Electro-BreakcoreDerwisch kaspert sich durch diverse Genres und einen konfusen Sci-Fi-Film im Stil von Russ Meyer. 05/10 thomas wieser
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Film
This Ain’t California (von Marten Persiel)
Betonspielplatz DDR »This Ain’t California« schwärmt davon, wie sich auch DDR-Teenager in den 80ern ihre Straßen subversiv auf Skateboards aneignen. Als Doku ist der Film eine berauschende Ode an Jugendkulturen.
360 (von Fernando Meirelles; mit Anthony Hopkins, Jude Law, Rachel Weisz, Ben Foster, Johannes Krisch) — Fernando Meirelles wärmt Arthur Schnitzlers »Reigen« lauwarm auf. Während Jude Law über den Naschmarkt spaziert, sitzt Anthony Hopkins in einem Schneesturm in Denver fest. Diverse andere Geschichten, die miteinander lose verbunden sind, rollen sich parallel dazu auf – mehr, als man an einer Hand abzählen kann. Laut Meirelles ist die Welt ach so klein und die Wege ihrer Bewohner kreuzen sich zwangsläufig. »360« handelt von unterschiedlichen Arten des Mensch-Seins in der Globalisierung. Doch mit all den bloßen Andeutungen ist sein neuer Episodenfilm mehr glatt als mitreißend und mehr flau als vielschichtig. Stattdessen könnten die gehaltlosen Charaktere mit ihren unmotivierten Handlungen ebenso gut einer der letzten beiden Rom-Coms von Garry Marshall (»New Year‘s Eve«, »Valentine’s Day«) entsprungen sein. Das illustre Ensemble kann »360« schließlich nicht über seine Ziellosigkeit hinwegretten, zumal die kurze On-Screen-Zeit den einzelnen Akteuren nur wenig Gelegenheit zur Entfaltung bietet. 05/10 Artemis Linhart
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Im Fachjargon beschreibt ein Wallride einen Trick, bei dem man sich mit dem Skateboard gegen eine Wand stemmt und an dieser entlang fährt. Vorausgesetzt, die gegebenen Fähigkeiten und Umstände lassen das zu. Bei »This Ain’t California« sind es kreative Jugendliche, die mit selbst gebastelten Boards die Berliner Mauer und den DDR-Überwachungsstaat herausfordern. Trotz lustloser Gleichschaltung kommen sie mit Breakdance, Punk, Pop und eben Skateboarding in Berührung. Differenziert und spielerisch erzählt Regisseur Marten Persiel von einer subversiven Jugendkultur, die es so nicht hätte geben sollen. Sein Film erbaut sich an der Geschichte dreier Teenager, die das Skaten für sich entdecken. Einer von ihnen heißt Denis, seine Biografie ist Leitfaden der Handlung. Er ist ein antiautoritärer Draufgänger und wird sich beispielhaft vom Regime seines Vaters abwenden, der ihn zum Leistungsschwimmer erziehen will. Außerdem wird er zur Ikone der aufkeimenden Szene werden und diese 1988 sogar zu einem Internationalen Contest nach Prag bringen. Anfangs werden die Boards von den Jugendlichen noch aus Rollschuhen und Holzstücken zusammengeschraubt. Selten passieren Westbretter die Grenze (in der BRD werden sogar Gebrauchtteile für die Genossen gesammelt). Der Weg zur eigenen Szene ist holprig und kurios. Schließlich versucht die Politik den populären Jugendsport zu instrumentalisieren. Sogar ein eigenes DDR-Rollbrett wird schließlich produziert. In einer wilden Mischung aus Archivaufnahmen, Amateurfilmen, gemalten Animationen und nachempfundenen Szenen wird das Publikum an die vielseitigen Konflikte dieser Generation herangeführt. Freiräume werden erobert und verloren, Kontakte nach Westen geknüpft. All die angeschnittenen Themen und Ideen schafft der Film dann aber auch nicht zu vertiefen. Mit melancholischem Unterton berichten derweil die Zeitzeugen von den Schwierigkeiten dieser Subkultur – von Widerstand, Leichtsinn, Selbstfindung und Freundschaft. Persiel schafft eine sehr romantische Interpretation seiner Protagonisten. So kreiert er bunte, dokumentarische Fantasien einer widerspenstigen Jugend. In geläufiger Musikvideoästhetik lässt er sie den Aufstand zu Punkrock proben und öffentliche Räume besetzen. In der Wiederholung und Melodramatik vieler dieser Clips schrammt das häufig nur knapp am RetroKitsch vorbei. Nichtsdestoweniger ist »This Ain’t California« der seit Langem originellste und berauschendste Kinobeitrag zur DDR. 07/10 Klaus Buchholz
R ez
Film
The Dark Knight Rises (von Christopher Nolan; mit Christian Bale, Tom Hardy, Joseph Gordon-Levitt, Gary Oldman, Anne Hathaway, Marion Cotillard, Michael Caine)
Mit leicht offenem Mund Christopher Nolan hat mit »The Dark Knight Rises« den imposantesten Blockbuster dieses Sommers geschaffen. Die beste seiner Arbeiten bis dato ist der Film aber nicht geworden. Batman macht Gefangene, Christopher Nolan nicht. Das erwartungsvoll starrende Publikum reißt er schon mit der Eingangssequenz tief in sein knapp dreistündiges Superheldenepos. Drei Gefangene werden in ein Flugzeug gebracht; einer von ihnen wird sogleich als Bane das Flugzeug zerstören lassen und höchst spektakulär mit einer Geisel in ein darüber fliegendes Terroristenflugzeug flüchten. Tom Hardy wird als hoch intelligenter und unerbittlicher Bösewicht etabliert. Ihm gegenüber steht der geknickte Fledermausmann Christian Bale. In der düster-grauen Welt von Gotham muss er sein Passionsspiel inklusive Wiedergeburt noch überdauern. Währenddessen überfrachten namhafte Nebenfiguren die vermeintlich verstrickte Story mit Handlungssträngen, sicherheitspolitischen Nöten und dystopischen Fantasien. Das Problem von »The Dark Knight Rises« sind seine Vorfahren. Bei »The Dark Knight« war es die wirkungsstarke Psychologisierung von Heath Ledger, bei »Inception« war es die Souveränität von Leonardo DiCaprio – in beiden Filmen waren sie die notwendigen Ergänzungen zum epochalen Blockbuster-Handwerk. Denn trotz der um Verschachtelung bemühten Storylines, der fast selbstverständlich großartigen Special Effects, der bestechenden Kameraarbeit und Montage, der Übergröße der Kulissen oder der Details in Kostümen und Gadgets, brauchen die Darsteller Raum zur Entfaltung. Besonders dann, wenn so ungeschickt mit großen Gesten gespielt wird, dass sie den Film als unfreiwillig komische Klischees oder Kitsch einholen (eine Batman-Statue, exotistische Gefängnisszenen, todesmutige Polizistenheere etc.). Sein manipulatives Spiel mit dem Mensch in der gruppendynamischen Masse gleitet Nolan manchmal aus den Händen. Übermaß führt nicht automatisch zu Mehrwert. Sein Verständnis von Hollywood-Kino bedeutet eine Unterhaltung, die mehrdimensional unter die Haut geht, bombastisch und radikal sein soll – zumindest funktioniert das auch so im Ansatz. Die beiden stärksten Eindrücke, die das Action-Drama aber letztlich vermittelt, sind einerseits die dröhnende Orchestermusik von Hans Zimmer, der die (thematischen) Materialschlachten wieder umrahmt und der etwas irritierende, stets leicht geöffnete Mund von Hauptdarsteller Christian Bale andererseits. Der dritte Teil der Batman-Trilogie ist kein Meisterwerk. Bezeichnenderweise bleibt der Mund nur leicht offen stehen, besonders nach dem weitaus konzentrierteren zweiten Teil der Reihe. Das große Dröhnen ist vorerst vorbei. 07/10 Klaus Buchholz
Das Schwein von Gaza (von Sylvain Estibal; mit Sasson Gabai, Baya Belal, Myriam Tekaïa, Gassan Abbas, Khalifa Natour) — Nur zaghaft entspinnt sich diese Freundschaft zwischen Mann und Schwein in Sylvain Estibals Komödie. Dem Fischer Jafaar (Sasson Gabai), der sonst eine magere Ausbeute hat, geht ein richtig dicker Fisch ins Netz: ein vietnamesisches Hängebauchschwein. Nun gelten Schweine in Gaza aber als unrein. Jafaar hat seine Not damit, das Tier loszuwerden – ohne dass dessen Hufe den Boden berühren. Die Grenzen zwischen Slapstick und Poesie auslotend, schickt der Regisseur die beiden Hauptdarsteller auf ein ulkiges Abenteuer, das sie schließlich zu Partners in Crime werden lässt. Der Film triumphiert dank Sasson Gabais subtilem komödiantischem Talent. Zudem präsentiert sich »Das Schwein von Gaza« als politisch aufgeladenes Sommermärchen, dessen Nebenrollen gängigen Klischees trotzen und dessen Liebe zu Details ebenso überzeugt. 07/10 Artemis Linhart
Starbuck (von Ken Scott; mit Patrick Huard, Antoine Bertrand, Julie LeBreton) — Gemäß der Storyline klingt »Starbuck« nach dünnem Humor: ein schusseliger Samenspender wurde versehentlich Vater von über 500 Kindern. Nun holt ihn die Vergangenheit mit einer drohenden Sammelklage ein. Sein Alltag als gütiger Chaot beginnt sich zu wandeln, plötzlich wird er verantwortungsbewusst und von väterlicher Liebe beseelt. Trotz dieser dünnen Handlung überrascht die frankokanadische Komödie mit einem Hauptdarsteller, der – bei aller Albernheit – seine Figur mit Persönlichkeit füllt. Das dann doch nicht so eindimensionale Drehbuch schafft es sogar, verschiedene Elternperspektiven und Erziehungskonflikte (z.B. Drogenmissbrauch, Kinder mit Behinderung) einzubauen, ohne gar zu sentimental zu werden. Als wendiges Wohlfühlkino stopft »Starbuck« so das allgemeine Sommerloch etwas über dem Durchschnitt. Sehr viel mehr ist hier für die ganze Familie aber auch nicht drin. 06/10 Klaus Buchholz
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Introducing Olivia Colman
Bullhead (REM) von Michaël R. Roskam; mit Matthias Schoenaerts, Jeroen Perceval, Barbara Sarafian auf DVD
Die Kunst subtiler Comedy beherrscht Olivia Colman zur Perfektion. Das Missbrauchsdrama »Tyrannosaur« offenbart sie nun als Charakterdarstellerin. Es dämmert langsam, als Hannah die Tür ihres Reihenhauses in einer britischen Vorstadtsiedlung öffnet. Sie ist allein. Aus der Küche holt sie ein großes Glas Rotwein samt Flasche, ehe sie auf der Couch Platz nimmt und ihren Blick durch das halbdunkle Wohnzimmer schweifen lässt. Schnitt. Ihr Ehemann kommt nach Hause, betritt den Raum, ruft mehrmals ihren Namen, schaltet das Licht aus und ein. Sie reagiert nicht. Plötzlich stellt er sich vor die Couch und uriniert auf ihren Körper. Er geht, während sich Hannahs Augen plötzlich öffnen und ihr leerer Ausdruck die Kamera durchdringt.Mit diesen Szenen wird das Publikum von »Tyrannosaur« erstmals mit der Brutalität konfrontiert, die noch über Olivia Colman und ihre tragische Protagonistin hereinbrechen wird. Das preisgekrönte Gewaltdrama des britischen Regisseurs Paddy Considine verlangt viel von seiner Hauptdarstellerin. Die 38-Jährige antwortet auf die Wucht ihrer Szenen mit stoischer Ergebenheit. Bis zu ihrem atemberaubenden Finale hält sie damit beinah die ganze Spannung dieses Films aufrecht. Seit Jahren huscht Olivia Colman erfolgreich durch Sketches und Serien des britischen Comedy-Fernsehens. Sie wird als verlässlich komische Konstante in Formaten wie »Bruiser«, »Peep Show« oder zuletzt »Twenty Twelve« wahrgenommen. 2011 schaffte es Coman, an der Seite von Meryl Streep in »The Iron Lady« als fürsorgliche Tochter im Kino auf sich aufmerksam zu machen. Ihre durchdringende Performance in »Tyrannosaur« beeindruckte nun restlos die Jurys und bescherte ihr zahlreiche Filmpreise. Olivia Colman offenbart sich damit als eine packende Charakterdarstellerin, die das britische Kino auch in Zukunft beeindrucken wird.
»Tyrannosaur« ist via Kino Kontrovers auf DVD erschienen. TEXT Klaus Buchholz BILD Kino Kontrovers
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J. Edgar (Warner) von Clint Eastwood; mit Leonardo DiCaprio, Arnie Hammer, Naomi Watts auf DVD und Blu-ray
Michael (Kino Kontrovers) von Markus Schleinzer ; mit Michael Fuith, David Rauchenberger auf DVD
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Wenn sich der suchtkranke Rinderzüchter Jacky die Nadeln setzt, um Testosteron in seinen Kreislauf zu spritzen, so ist es nicht bloß sein behäbiger nackter Muskelkörper, der diese Momente füllt. Es ist vor allem das ganze biografische Gewicht, das Matthias Schoenaerts so dringend in den trüben Blick seiner Figur legt. Mit düsterem Szenenlicht beleuchtet »Bullhead« das männlich dominierte Hinterland Belgiens, führt in den Untergrund eines verbrecherischen Hormonhandels und zu einem tragischen Helden, der an seiner Lebensgeschichte zerschellt. Behutsam lässt Regisseur Roskam seine hässlichen Charaktere aufeinander wirken und entwickelt damit eine ebenso subtile wie intensive Tragödie. Die Spannung bleibt zwei Stunden lang aufrecht, um dann mit großartiger Befremdung den Kreis des Scheiterns zu schließen. »Bullhead« ist dunkelstes europäisches Kino, geschickt als Krimi getarnt. 09/10 Klaus Buchholz In »J. Edgar« ist es ein liebevoller Kuss auf die von Altersflecken übersähte Stirn, den Amerikas einst mächtigster Mann, FBI-Legende J. Edgar Hoover, seinem Weggefährten / Freund / verschmähten Liebhaber Clyde Tolson aufdrückt. Was ist Liebe? Wie hält man sie im Zentrum der Macht aufrecht? Und wann geht beides unwiderbringlich zu Ende? Clint Eastwood nutzt dafür weniger die innenpolitischen Fieberkurven der US-Zeitgeschichte – der Tod Kennedys kommt erstaunlich lapidar daher – als vielmehr die Person, die über die Amtszeit von acht US-Präsidenten hinweg die Fäden, vor allem aber deren Geheimnisse in den Händen hielt: J. Edgar Hoover. Ihm heftet er sich auf die Fersen, vom jungen übereifrigen Angestellten der Justizbehörde über den Gläubigen und Wegbereiter der Forensik bis zum kaltblütigen selbsternannten Beschützer der US-Gesellschaft vor Gangstern, Entführern (Charles Lindberg-Entführung) und Kommunistenverschwörung. 08/10 Hans-Christian Heintschel Der 35-jährige Michael erfüllt jedes Klischee eines unauffälligen Versicherungsangestellten – und hält sich ihm Keller den zehnjährigen Wolfgang für sexuelle Dienstleistungen. Markus Schleinzer erzählt den Film aus der Perspektive von Michael und schafft es doch, den gebotenen Abstand zu halten. »Michael« ist dabei – und das mag sauer aufstoßen – nie quälend hart oder zäh. Ganz im Gegenteil: Es gab selten Filme zum Thema Kindesmissbrauch, die flotter vergingen, ja beinahe spannend waren. Schleinzer wechselt zwischen Alltagsszenen (jenen im Alltag von Michael und jenen von Michael gemeinsam mit Wolfgang) und solchen, in denen große Veränderungen eintreten könnten, indem Michael auffliegt. Das Tempo ist vergleichsweise flott und vieles handwerklich präzise statt inhaltlich schwermütig. Selbstverständlich funktioniert das auch deswegen, weil Michael Fuith und David Rauchenberger so großartig spielen. Meisterhaft! 09/10 Martin Mühl
Monochrom’s ISS (Edition Mono / Monochrom) von Johannes Grenzfurthner, Roland Gratzer; mit Jeff Ricketts, Maciej Salamon, Claire Tudela, Geoff Pinfield auf DVD
Beschweren tun sich die vier Hauptdarsteller in der von der Künstlergruppe Monochrom (Ö / D) inszenierten, elfteiligen Sitcom »ISS« ausgiebig. Etwa, wenn der in der New Economy mit Ego-Shootern reich gewordene neuseeländische Weltraum-Tourist Angus Slernotzki heimlich am Klo onaniert und das Sperma im Raum herumflirrt – zum Unbehagen der kanadischen Mit-Raumfahrerin Claire Saint-Jacques. Dann gibt es noch einen herrlich blöden texanischen Redneck, Captain Ulysses Van Hundsbak. Die Witze sind oft gut, in dem Durcheinander an Wortmeldungen gehen die besten Pointen aber leider verloren. Das hängt mit der Machart von ISS zusammen: die Sitcom ist improvisiert und live aufgezeichnet. Etwas mehr Struktur hätte der hirnrissig-amüsanten Space-Odyssee nicht geschadet. 7/10 Martin Riedl Auf www.thegap.at außerdem Reviews zu »Am Ende des Tages«, »Camelot«, »Dame König As Spion«, »The Divide«, »Der Gott Des Gemetzels«, »The Help«, » I’m Not A Fucking Princess«, »Jonas«, »King Of Devil’s Island«, » Pakt Der Rache«, »Phase 7«, »Robin Hood Season 1.2«, »Rosa Roth«, »Swingers«, »The Take«, »Texas Killing Fields«, »Tyrannosaur«, »Underworld Awakening«, » Wer’s glaubt wird selig«, »Wie Staatskünstler«, …
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sa c hb u c h Markus Heidingsfelder System Pop (Kadmos)
Hit / Flop Markus Heidingsfelder wendet die deutsche Systemtheorie auf das System Pop an und entlarvt dabei viele Pop-Theorien. Beim akademischen Sprechen, Schreiben und Nachdenken über Pop wird dieser mit unterschiedlichsten, sich manchmal widersprechenden Kategorien beschrieben: subversiv, authentisch, rebellisch, geschmäcklerisch, hedonistisch, plump, dumm, anbiedernd, zeitgeistig, körperlich. All das und noch viel mehr ist Pop, quasi eine Wundertüte, in die jeder reinstecken kann, was er will. Solcherlei Zuschreibungen und Bewertungen sind für den Sozialwissenschafter Heidingsfelder wenig ertragreich, zumal mit diesen Adjektiven oft nur persönliche Vorlieben von Autoren bezeichnet werden, nicht aber wertneutrale und trennscharfe Begriffsarbeit geleistet wird. Für Heidingsfelder ist Pop weder gut noch schlecht, sondern eine originäre US-amerikanische Kulturtradition, die ihr Selbstverständnis in Abgrenzung zur europäischen Hochkultur bezieht. Er erklärt Pop in seiner jetzt als Taschenbuch veröffentlichten Dissertationsschrift kurzerhand zu einem System sui generis – wie etwa Politik, Wirtschaft und Religion. Das System Pop beschreibt er anhand der binären Codierung Hit / Flop. Methodologisch bedient er sich bei der Systemtheorie des großen deutschen Soziologen Niklas Luhmann. Für seinen Ansatz spricht, dass er damit die impliziten Wertungen vieler kulturwissenschaftlicher Studien vermeidet. Gegen seinen Ansatz spricht, dass durch die Übernahme der Systemtheorie auch das Soziologen-Deutsch von Luhmann beibehält. Das ist bisweilen sperrig zu lesen, allerdings gelingt ihm die längst überfällige Entideologisierung und Versachlichung des Popdiskurses. Denn während für manche Kritiker beispielsweise Gossips neues Album einen Ausverkauf darstellt, erklimmt die US-Band für andere Kritiker durch die tightere Produktion nun endgültig den Pop-Olymp. Wer hat nun aber Recht? Heidingsfelder weist nach, dass viele akademische und journalistische Schreibweisen mehr von persönlichen Vorlieben und Abneigungen getragen sind als vom Streben nach intersubjektiv nachvollziehbarem Schreiben. Aber auch Parteigänger der These, wonach Pop nur durch Naherfahrung und persönliches Leben seine Wirkung entfalte und sich somit der wissenschaftlichen Beschreibung überhaupt entziehe, entlarvt er als wissenschaftsfeindliche Ideologen. 07/10 Christian Moser
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Christoph Bartmann Leben im Büro 01 (Hanser) — Das Büro ist mit uns! Allgegenwärtig sind türlose Büros, die wir etwa durch das Aufklappen unserer Laptops betreten. Für Christoph Bartmann bezeichnet der Begriff Büro weniger einen Ort als vielmehr eine gegenwärtige Kultur der Selbstkontrolle. Wir sind alle Manager unserer selbst und bei der Kontrolle helfen uns »Office«Programme. Wirklich produziert wird scheinbar nur Kommunikation, deren Inhalt das Tun ist – doch wann wird etwas getan? Das neue Büro erscheint schlimmer als das alte Amt. Dabei ist es dem Autor vom Desktop aus gelungen, eine tiefgehende Kritik am Arbeitsalltag so vieler zu verfassen, die einem auf Grund des Aufhängers »Büro« auch nahe geht. Doch nach Frustphrasen, wie dem »kontrollierten unkontrollierten Feierabend-Exzess« oder dem Wunsch, Anfragen automatisch mit dem Hinweis auf »akute Zielerreichung« zu beantworten, lese ich im Abschlusskapitel doch verwundert, dass der Autor morgen wieder ins Büro gehen wird, und das nicht mal ungern. 05/10 Richard Schwarz Sebastian Hackenschmidt / Klaus Engelhorn (Hg.) Möbel als Medien 02 (Transcript) — Kein weiteres Designbuch und auch keine Stilkunde. Der Band »Möbel als Medien« ist ein Reader mit Texten, die sich mit der »Medialität« von Möbeln auseinandersetzen, also was Möbel – über ihre Funktionalität hinaus – vermitteln. Darüber haben sich Philosophen, Kunsthistoriker und sogar Psychoanalytiker den Kopf zerbrochen – passend zum anhaltenden Trend, Gegenstände des Alltags als Medien zu interpretieren. Die meisten Texte in dem Band sind zwar keine Originalbeiträge, aber mittlerweile oft schwer greifbar, etwa die bahnbrechende Studie von Hajo Eickhoff über den (Bedeutungs-)Wandel des Sitzens von den Ägyptern bis heute. Oder Herbert Lachmayers Ausführungen über das Chefzimmer. Warum Freischwinger-Stühle ins dynamische 20. Jahrhundert passen und was genau unter einem »Popometer« zu verstehen ist – hier erfährt man’s. Wer sich für Möbel interessiert, dem öffnen sich Türen abseits der üblichen formalen Beschreibungen. Da nimmt man auch in Kauf, dass da und dort kulturwissenschaftlich geschwurbelt wird. 08/10 Peter Stuiber Corinne L. Rusch Transient Confessions 03 (Kerber) — Den Träumen auf die Spur kommt man in Corinne L. Ruschs eben erschienenem Buch: Inszenierte Szenen in prachtvollen Hotelarchitekturen reihen sich zwischen Gedichte und fragmentarische Textpassagen. Flüchtig, zerrissen, ohne Anfang und Ende, das sind die Fragmente der Geschichten, die in Corinne L. Ruschs »Transient Confessions« auftauchen. Die Settings der Fotografien sind größtenteils in Grand-Hotels in der Schweiz und Süditalien aufgenommen. Beim Durchblättern findet man sich irgendwo zwischen David Lynchs Gänsehautatmosphäre und einer Fotokampagne von Prada oder Louis Vuitton wieder. Geheimnisvoll sind Fotografien und Text von leeren, verschiedenfarbigen Seiten unterbrochen; die REM-Phasen diverser traumvoller Nächte verfolgen einander. Träume, Geständnisse, Wunschbilder, Nachtmare – ein Buch, das unterbewusste Begebenheiten einfängt und abbildet und zum immer wieder Hineinschauen einlädt. 08/10 Margit Emesz 067
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Katharina Bendixen Gern, wenn du willst 01 (Poetenladen) — Nach dem »Whiskyflaschenbaum«, dem Buchdebüt der 31-jährigen Leipzigerin, lassen sich weitere Äste im prosaischen Geflecht seltsamer Beziehungen erklettern. Was, wenn ein nur dir sichtbares Mädchen dich verfolgt; was, wenn du die Chefin für deine Mutter hältst; wenn du vor einem Krieg flüchtest, den es nicht gibt; und was, wenn du dich in einem Kinofilm siehst, in dem du nie mitgespielt hast? Willkommen im Reich der Möglichkeitsform, das knapp hinter der Realität beginnt, dem Bendixen-Reich, in dem sein könnte, was in dir ist als Trugbild. Sehr heutige Menschen – Call Center-Outbounderin, Agenturstatistikerin, Kellnerin – kippen schleichend ins Wunderland und mäandrieren durch Lebensbäche, die südamerikanische Fantastik wie deutsche Strenge erzählerisch vereinen und lakonisch einmünden: »Seit der Fehlgeburt schläft mein Mann nicht mehr mit mir, aber das ist nicht schlimm.« Dann geht frau eben im Bioladen einer Insel auf Auszeit, beginnt nach Jahren wieder mit der Mutter zu sprechen … Bendixen sorgt auf sanfte, doch pointierte Weise dafür, dass Sonderlichkeiten nicht unter diskriminierende Absonderung fallen: Das fein gesponnene Sommerbuch der etwas anderen Art. 07/10 Roland Steiner Raymond Carver Beginners 02 (S. Fischer) — Raymond Carver ist fixer Bestandteil der US-Literaturlandschaft, seit er 1981 seinen ersten Kurzgeschichtenband »Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden« veröffentlichte. Es sind diese abrupt endenden Kurzgeschichten, als ob man eine Konversation unerwartet abbricht, das Glas Wein nicht fertig trinkt oder die Zigarette nach den ersten Zügen ausdämpft. Diese skelettierten Geschichten mit ihren offenen Räumen sorgten für Weltruhm. Dass dies ein Kunstgriff von Lektor Gordon Lish war und mit dem Ansinnen von Raymond Carver gar nicht übereinstimmte – welcher Autor will sich schon freiwillig beschneiden lassen – kam erst nach und nach heraus, der Briefwechsel zwischen Autor und Lektor, in allen späteren Carver-Ausgaben auf den letzten Seiten angereiht, zählt mittlerweile auch schon zur postmodernen Literaturgeschichte. Nun gut, jetzt liegen erstmals die Carver-Storys im Original in der Buchhandlung, unter dem eindringlichen Titel »Beginners«. Trotzdem, das mit der Ehrenrettung eines Autors ist so eine Sache: Natürlich hat der Autor Recht, aber was hilft es ihm, wenn seine Geschichten in der vollen Länge vielleicht doch zu viel von allem erzählen? Die Antwort auf diese Frage obliegt dem Leser selbst. Wichtig scheint, dem Autor – auch lange nach seinem Tod – seine ungekürzten Geschichten zurückzugeben. 08/10 Martin G. Wanko F. Scott Fitzgerald Drei Stunden zwischen zwei Flügen und andere Meistererzählungen 03 (Diogenes) — Auf kleinerer Angriffsfläche erprobt Fitzgerald in seinen Meistererzählungen Ideen, die ganze Romane ausbauen könnten. Er unterfüttert wie kein anderer die Exzesse der Lost Generation mit gemeiner Ironie. Der Schriftsteller legt leichtfüßig eine kesse Sohle aufs Parkett. Skandalöse junge Frauen geben sich kühl und unmoralisch. Sie tragen das Haar kurz und lassen um sich werben. Das Tanzen und Trinken ist endlos, Untreue und Brunft dominieren das Scheinweltzeitalter. Die Golfplatzdekadenz lebt Exzess auf der Kleinstadtveranda, 068
Buch Réjean Ducharme Von Verschlungenen verschlungen (Traversion)
Die Kindheit als zynisches Sprachkunstwerk Über vier Jahrzehnte dauerte es, bis sich für den sprach- und bildgewaltigen französischen Roman »Von Verschlungenen verschlungen« ein Übersetzer fand. Das Warten auf die dunkle, zynische Kritik wider das Großbürgertum hat sich gelohnt. Réjean Ducharmes ebenso einflussreicher wie ungewöhnlicher Roman »L’avalée des avalés« (»Von Verschlungenen verschlungen«) ist 45 Jahre nach seinem Erscheinen schließlich doch ins Deutsche übersetzt worden. Selbst die Schlüsselrolle des Buches in Jean-Claude Lauzons Film »Leolo« (1992) ließ bisher deutschsprachige Verleger kalt. Bérénice Einberg berichtet in ihm von ihrer Kindheit und ihrem Erwachsenwerden in zerrütteten, aber quasi-feudalen Familienverhältnissen. Es wäre aber ein Missverständnis, den Roman als realistische Literatur zu lesen. Es handelt sich um ein artifizielles Sprachkunstwerk. Ducharme bei der Errichtung dieses Prosagebäudes zu beobachten, ist beeindruckend: Die Bildersprache ist gewagt und balanciert auf dem Abgrund zwischen surrealer Groteske und Realität. Die meisten Autoren würden an dieser Spielform des Expressionismus scheitern. Ducharme zieht seine Leser aber mühelos in diesen Sprachkosmos hinein. Der Blick der kleinen Bérénice auf die Erwachsenenwelt ist erbarmungslos und zynisch. Sie hasst ihren Vater und die Welt in der sie lebt – mit der Ausnahme ihres älteren Bruders Christian, den sie bis zum Inzestuösen vergöttert. Läse man den Roman realistisch, stieße man auf einen großen Konstruktionsfehler in der Erzählperspektive: Bérénice schreibt nicht wie ein Kind, sondern wie eine hochgebildete Intellektuelle. So als hätte sie bereits mit acht Jahren mehrere höchst unterschiedliche Studiengänge abgeschlossen. Volksschulkinder formulieren üblicherweise nicht auf höchstem literarischem Niveau und sind auch keine wandelnden Fremdwörterlexika. Kurz, hinter Bérénice versteckt sich als Erzähler ein erwachsener Zyniker ohne Illusionen. Diese kaltschnäuzigen Beobachtungen wechseln nun mit jeder Menge kindlichem Unfug ab. Groteske und gefährliche Spiele werden gespielt. Der Erwachsenenwelt wird mit diversen Provokationen der Spiegel vorgehalten. Kalter Hass wechselt sich mit heißen kindlichen Sehnsüchten ab. Die Familienverhältnisse sieht das Kind in einer SchwarzWeiß-Logik: Wird der Vater gehasst, so wird die Mutter vergöttert. Bérénice ist sicher eine der ungewöhnlichsten Kunstfiguren der Weltliteratur. »Von Verschlungenen verschlungen« liest sich trotz dieser Komplexität ausgesprochen unterhaltsam, wenn man bereit ist, sich auf diesen spektakulären Sprachstrom einzulassen. Dann stellt sich ein ähnlicher Sog ein, wie man das aus den Büchern des Thomas Bernhard kennt. Der Übersetzer Till Bardoux leistete exzellente Arbeit, diese Sprachexplosion ins Deutsche zu übertragen. Der Roman ist vollgepackt mit Anspielungen und Themen. So kommt die Religion als Opfer des Spottes nicht zu kurz, läuft doch eine strikte Trennlinie zwischen Christentum und Judentum durch die Familie. Für ihre provokanten Annäherungen an ihren Bruder Christian wird Bérénice zu orthodoxen jüdischen Verwandten nach New York verbannt. Für deren religiöse Gebräuche hat sie nur Verachtung übrig. Es gibt nur wenige Erstlinge, die literarisch etwas völlig Neues zu Papier bringen. Réjean Ducharme ist dieses Kunststück gelungen. 09/10 Christian Köllerer
REZ
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zeughaus.com
zeigt sich kokett am Country-Club-Ball und beim Tennisturnier. Sie spiegelt aber gleichzeitig Oberflächlichkeit und die Vergänglichkeit der menschlichen Schönheit wider. Die Etikette leidet unter den Umwalzungen der Zeit, Techtelmechtel in Kriegszeiten lockern die Moral. Zwar lässt der Autor den amerikanischen Traum vom großen Geld in Erfüllung gehen, er zeigt aber auch das nüchterne Erwachen danach. Denn, wie heißt es so schön heute wie damals: Glück im Spiel und Pech in der Liebe. Der Autor nimmt Abstand von Schwarzmalerei, er deutet an. Jede Story desillusioniert auf eine andere Art und Weise. Zwischen Sehnsucht und Wehmut bilden sich Verkrustungen eines unnatürlichen Lebens. Die Leichtigkeit haben alle fiktiven Figuren gemein und sie ist trügerisch. Prickelnd wie die Champagner-Cocktails in der Hotelbar liest es sich von Glücksbegüterten. Doch so sehr die Glamourwelt im Glas perlt, so schal ist der Nachgeschmack. Substanzloses Partyleben entwurzelt. Die seekranke Gesellschaft erleidet Schiffbruch. Erzählerischer Realismus schickt sich an, als Vintage-Literatur zur sommerlichen Zerstreuung zu dienen. Man geselle sich zu Martini und Liegestuhl und ignoriere elegant den zukünftigen Katzenjammer nach dem Börsencrash. 08/10 Juliane FischeR
michael muhammad Knight Taqwacore 04 (Rogner & Bernhard) — Der mit der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts vertraute wie Punk und Hardcore affine Rezensent möchte diesen Roman verdammen. Führen doch beide Denkschulen für ihn zur Erkenntnis, dass es höhere Wesen nicht gibt und er menschliche Wesen, die an solche glauben, höchstens toleriert – aus der Distanz. Muslimischer Punk? Christlicher Punk? Fuck me! Doch dieses Buch – im Original vor über acht Jahren erschienen – ist höchst vergnüglich. Eine Geschichte, die in einer fiktiven muslimischen Punk-WG in den USA anhebt, wo ein Loch in der Wand Richtung Mekka weist und sich zu männlicher Onanie in der Burka steigert, kann gar nicht schlecht sein. Dazu ist die Fiktion heute Realität, es gibt eine »reale« Taqwacore-Szene muslimischer Punx, samt gleichnamiger Filmdokumentation, eine Verfilmung des Romans existiert ebenso. Der Autor – über das Interesse an Malcolm X vom Katholizismus zum Islam konvertiert – hat seit »The Taqwacores« unter anderem »William S. Burroughs vs. the Qur’an« veröffentlicht, was für geistige Flexibilität und Offenheit spricht. Die Fragen, die dieser Roman aufwirft, gehen dabei noch viel weiter als der Roman selbst. 07/10 RaineR KRisPel gerhard Roth im irrgarten der Bilder. die gugginger Künstler 05 (Residenz) — In einem opulenten Prachtband kompiliert der österreichische Ausnahme-Romancier seine persönliche Werksichtung der exzeptionellen Überwinder von Barrieren psychischer Krankheiten. Die Register psychiatrischer Fachwelt lässt der steirische Romanzyklen-Verfasser (»Die Archive des Schweigens«, »Orkus«) rund um Wahn und Sinn, Gesellschaft und Politik bereits 1978 außen vor, als er in den Orbit der Künstler jener Nervenheilanstalt in Maria Gugging eintritt, die nachfolgend sowohl im Therapeutischen als auch am Kunstmarkt reüssiert. In diesem Band beschreibt er Maler, Zeichner, auch Dichter jener Generationen bis heute, denen dank Leo Navratil und v.a. des jetzigen Leiters Johann Feilacher ein würdiges Leben inner- und außerhalb ihrer Beeinträchtigungen ermöglicht wird. Ein Band von Zeugnissen der sogenannten Art Brut, begleitet von Schilderungen des Autors über die Beziehungen zu diesen, vor allem aber über deren Werk. Einem fotografiertem Werk, das auf unterschiedlichste Weise reine Kunst ist – plastisch hypertroph (Walla), sinnlich düster (Hauser), mathematisch (Tschirtner), expressiv (Schöpke), planerisch (Fink), geistreich (Mach), ethnografisch (Fischer), sexuell (Korec, Vondal). Begeisternd in jeder Hinsicht!
6. Juli−19. August
poolbar-Festival Altes Hallenbad Feldkirch KULTURELLES VON NISCHEN BIS POP
WAS NOCH KOMMT:
DARK SKY CRO EGYPTRIXX SICK OF IT ALL GIN GA YELLOWCARD BALTHAZAR SPEECH DEBELLE WHOMADEWHO MOGWAI THE JON SPENCER BLUES EXPLOSION U.V.A.
10/10 Roland sTeineR
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www.fb.com/Poolbar.Festival
www.poolbar.at Dank an BMUKK, Vorarlberg, Feldkirch
R ez Alison Bechdel Are You My Mother? 01 (Houghton Mifflin Harcourt) — Im autobiografischen »Fun Home« sezierte Alison Bechdel ihr Verhältnis zu ihrem verstorbenen Vater. In »Are You My Mother?« setzt sie die autotherapeutische Tradition fort. Therapie ist hierbei das entscheidende Wort. Seite um Seite führt Bechdel ihre Leser nicht nur durch die Komplexität dieser Mutter / Tochter Beziehung, sondern stellt den Prozess ihres Verständnisses eben dieser Situationen offen zum Diskurs. Wiederum schafft es Bechdel, höchst intime Materie weder peinlich noch exhibitionistisch oder erzwungen wirken zu lassen. In manchen Teilen sogar amüsant wird aus dieser Selbstbeleuchtung, wie auch schon bei »Fun Home«, ein allgemein gültiges Symbol, zu dem jeder Zugang finden kann und sollte. Bechdel hat dem autobiografischen Comic wieder gesundes Leben eingehaucht. 9/10 Nuri Nurbachsch
Shigeru Mizuki NonNonBa 02 (Drawn and Quarterly) — In kleinen Gesten und unscheinbaren Momenten Großes zu erkennen, das ist eines der Talente von Shigeru Mizuki. Die unerschütterlich ehrlich-fröhliche Art, in der er diese Beobachtungen vermitteln kann, ist mitreißend. Für »NonNonBa« reist Mizuki noch weiter in der Zeit zurück als in seinen Weltkriegsmemoiren »Onwards Towards Our Noble Deaths«, in seine Kindheit, wo seine berüchtigte Begeisterung für »yōkai« begann. Der Begriff »yōkai« fasst die reiche Welt japanischer Monster, Geister und Fabelwesen zusammen, derer es (dank der animistischen Traditionen des Shintoismus) etliche Tausend gibt. Die freundliche alte Frau aus der Nachbarschaft erzählt dem jungen Shigeru von »yōkai« und pflanzt damit die Saat, die später zu Mizukis berühmtester Serie »GeGeGe no Kitarō« reifen soll. Abseits dessen gewährt uns Mizuki Einblick in das bescheidene rurale japanische Leben der 1930er. Sitten und Gebräuche verweben sich mit den »yōkai« zu einem eigenen Mythentier, dem scheuen Nostalgiefuchs. Trotz scheinbarer Sehnsucht ist »NonNonBa« nicht rührselig der Vergangenheit verpflichtet, dafür ist Mizukis Optimismus zu stark ausgeprägt. Eine Kaminfeuergeschichte aus einer anderen Welt, die vor Jahren mal (eine) Wirklichkeit war. 9/10 Nuri Nurbachsch Pierre Wazem, Frederik Peeters Koma 03 (Humanoids) — Für jeden Menschen gibt es eine Maschine. Jede Maschine ist kompliziert und sensibel. Manchmal kann man sie reparieren, aber ist sie irgendwann kaputt, hilft gar nichts mehr. Wazem und Peeters bemühen das Gleichnis Mensch/ Maschine, jedoch mit neuen Assoziationen. Philosophisch lose um das kleine Mädchen Addidas Eme konstruiert das Duo eine witzige, zugleich nachdenkliche Erzählung. Addidas fällt gelegentlich unerwartet in Mini-Komas. Während sie fest im Leben steht und mit ihrem Gebrechen spielerisch umzugehen vermag, bedrückt es ihren Vater schwer. Per Unfall und Zufall stürzt Addidas in den Untergrund, lernt dort das Geheimnis der Maschinen und deren Handhaber kennen. Ihr Vater hingegen stolpert auf der Suche nach seiner Tochter durch Bürokratiefallen in ein Arbeitslager. Ab hier entwickelt sich »Koma« zu einer vergnüglichen Parabel über die Menschheit und ihre Zustände. Wazems augenzwinkerndes Skript und Peeters freundliche, energetische Visualisierungen verleiten dazu, die plumperen Momente zu verzeihen und sich dafür an den schlauen Szenen zu erfreuen. 7/10 Nuri Nurbachsch
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Co m i c s Anders Nilsen Big Questions Drawn and Quarterly
Aus der Vogelperspektive Die großen Fragen der Menschheit, durchexerziert am Beispiel der Vögel. Anders Nilsens Opus Magnus »Big Question« ist ein Meisterwerk. Anders Nilsens »Big Questions« sollte man selbst erfahren. Auf mehr als 500 Seiten werden hier mit subtilem Humor und originellem, philosophisch-poetischem Zugang die großen Menschheitsthemen verhandelt. Der Ursprung des Lebens, der Tod, das Wesen des Menschen, die menschliche Kraft zu zerstören – und zwar alles aus der Sicht von auffällig anthropomorphen Vögeln. Sie picken tagaus, tagein die DonutKrumen vom Boden, die die alte Frau ihnen fürsorglich hinterlässt. Vielleicht war es diese Nahrung, ein Produkt menschlicher Kultur, angereichert mit tierischen Fetten, die sie langsam veränderte, sie aus ihrer natürlichen Existenz riss. Die Krähen werden sagen: »And you are what you eat, little bird. You're not just seeds and mindless bugs anymore.« So geht es in »Big Questions« auch um Unschuld und deren Verlust und der ergibt sich bereits aus der Distanz zu sich selbst, dem Wunsch, mehr sein zu wollen als man ist. Sie geben sich nicht länger mit Krumen zufrieden, sondern wollen an die großen Fragen herantreten. Die einen in neu entflammtem, religiösem Eifer, die andere distanziert und rationalistisch im Stil der Philosophie. Sie fragen nach dem Ursprung, dem Urvogel und dem Ur-Ei. Dieses wird ihnen in »Big Questions« auch begegnen – als ein noch unverstandenes menschliches Fabrikat, Vorbote eines längst in Gang geratenem Verhängnisses; die Bombe. Doch auch die Bombe ist nicht der Ursprung, sie hat eine Geschichte, ebenso wie das Flugzeug, das sie trägt, und der Pilot, der seine Nerven verliert. Seine Geschichte ist mit einem Schwan verbunden, einem Schwan den er töten sollte, oder vielleicht tötete? Deshalb sein angespanntes Verhältnis zu Vögeln, die nach seinem Absturz zu seinen Zeitgenossen werden. Sie beginnen ihn zu verehren als Abkömmling des großen stählernen Vogels, doch er muss sie bitter enttäuschen. Bliebe da noch der »Idiot«, der immer die großen Donut-Stücke abbekam, solange die alte Frau noch für ihn sorgen konnte. Doch irgendwann verändert sich alles – auch für Idioten. Er muss sein zerstörtes Zuhause verlassen, sucht nach Nahrung, isst Gras, schluckt Würmer ekelt sich und isst und schluckt weiter, als wandelnde Herausforderung an das menschliche Selbstverständnis. Die Vögel werden auf seine ungewöhnliche Erscheinung aufmerksam, folgen ihm, studieren seine Gewohnheiten. Vermuten manche die Antwort in ihm? Über der Landschaft schwebt eine Bedrohung, die nie ausformuliert wird. Wird das Verhängnis den Antworten zuvorkommen? Die Vögel werden jedenfalls schützen, was noch zu schützen ist – die umherirrende, Gras essende und Würmer schluckende Unschuld. Die zeichnerische Qualität von »Big Questions« ist beeindruckend und unaufdringlich zugleich – kindliche Vogelzeichnungen, fein gezeichnete, ausdrucksstarke menschliche Mimiken, weite und karge Landschaftspanoramen. Trotz dieser Vielfalt und der unglaublichen Entstehungsgeschichte von »Big Questions« über einen Zeitraum von 15 Jahren ist das Ergebnis von der ersten bis zur letzten Seite konsistent und alles fügt sich ein. Den Lesern wird 01 02 03 dabei keine bestimmte Weltanschauung nahegelegt, kein philosophisches Programm aufgezwungen, sondern viel Freiraum für die eigene Auseinandersetzung gelassen. Pathos kommt in »Big Questions« nie auf. Den braucht es auch nicht, wenn man die großen Fragen richtig stellt. 10/10 Alexander Kesselring
REZ
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im freien Fall nach oben Ein konfuses Mädchen spielt mit der Gravitation, erlebt dabei eine wundersame Geschichte und bringt portables Spielen auf ein neues Level. Mit »LocoRoco« und vor allem mit den »Patapon«-Titeln hat Sonys Japan Studio bereits bewiesen, dass seine Entwickler zu den wenigen gehören, die sich erfolgreich Gedanken darüber gemacht haben, was ein gutes portables Spiel ausmacht. Bislang lag ein Erfolgsrezept in der reduzierten Darstellung und einem mitreißend simplen Spielkonzept. Doch jetzt gibt es die PS-Vita. Und die Vita kann mehr. Das Japan Studio hat mit Bravour reagiert. Die Orientierung im dreidimensionalen Raum soll eine jene Fähigkeiten sein, die durch das Spielen von Videospielen verbessert werden. Wenn das so ist, sollte vor dem Genuss von »Gravity Rush« ganz ausgiebig gezockt werden. Denn die blonde Heldin Kat stürzt in eben diesem dreidimensionalen Raum in alle Richtungen, orientiert die Schwerkraft von dort aus neu und fällt abermals. Diese Art der Fortbewegung ist zweifelsohne der Clou des ersten wirklich herausragenden PS Vita-Titels. Denn sie fasziniert über Stunden und produziert ein bisher unbekanntes Spielgefühl. Dazu gesellt sich eine faszinierend geheimnisvolle Stadt, in der sich Kat zu Beginn des Spiels wiederfindet. Eine nahezu schwebender Ort, der an einem gewaltigen Stamm befestig zu sein scheint und dem einige Stadtteile abhanden gekommen sind. Gleich nach der ersten Befassung mit den, auch für Kat völlig neuen Fähigkeiten der Gravitationsbeeinflussung, geht es also darum, diese verlorenen Stadtteile wiederzufinden und vielleicht auch einen Grund dafür zu entdecken, warum die Stadt von unheilvollen schwarzen Stürmen und den Angriffen seltsamer Wesen heimgesucht wird. Es ist das Dreigespann, bestehend aus einer ungewöhnlichen Spieldynamik, einer bezaubernden Welt und einer fesselnden Geschichte, das »Gravity Rush« zu einem der besten portablen Spiele überhaupt macht. Die zurückhaltende und doch detailverliebte Grafik scheint für den kleinen, feinen Vita-Bildschirm wie geschaffen und die dezente, fast unbemerkte Nutzung der Vita-Eigenheiten verleiht dem Ganzen noch zusätzlichen Charme. Freilich hätte Japan Studio noch mehr aus dem Konzept machen können. Ab und an fehlt ein bisschen Abwechslung. Aber die Faszination bleibt ungebrochen aufrecht und die PS-Vita selten lange ausgeschaltet. 08/10 haRald KoBeRg
gravity Rush (Japan Studio); PS Vita; at.playstation.com/gravityrush 071
R ez The Amazing Spider-Man 01 (Activision); PS3 getestet, Xbo 360, Wii, PC, 3DS, DS; www.theamazingspidermangame.com — Das Lizenzspiel knüpft inhaltlich an die Geschehnisse des aktuellsten Kinofilms an. Die zuletzt erfolgreichen »Batman«-Games dienten spielerisch als Vorlage, »Spider-Man« ist aber zugänglicher. 05/10 Stefan Kluger
Insane 2 02 (Game Factory Interactive/Peter Games); PC; www.petergames.de — Rasanter Offroad-Racer mit freier Routenwahl, der Action über Realismus stellt. Vor allem für zwischendurch ein unkomplizierter Spaßgarant. 06/10 Reiner Kapeller Inversion 03 (Namco Bandai); Xbox 360 getestet, PS2, PC; www.inversion.com — Es ist nachvollziehbar, wenn in »Inversion« ein etwas polierter Klon des 3rd-Person-Deckungs-Shooters »Gears Of War« gesehen wird. Trotzdem ist das nicht ganz gerechtfertigt, denn zum einen entlehnt das Spiel noch viele andere Elemente aus anderen Spielen, wie etwa eine ziemlich zerstörbare Umgebung (»Red Faction«), mechanische Telekinese (»Psi Ops«) oder sich drehende Schwerkraft (»Prey«), zum anderen gelingt hier eine selten schlüssige Verschränkung von Story und Gameplay durch recht flüssige Übergänge zwischen Spielgeschehen und häufige, aber kurze Zwischenszenen. Auch wenn das die Story um einen Cop, der seine Familie verliert und sich dann in den Kampf begibt, um seine Tochter zu finden, nur bedingt interessanter macht. Als Gegner fungiert hier ein religiöser, eventuell außerirdischer Clan, der die Erde zerstört und über Technologien wie eine Antigravitationsmaschine verfügt, um Gegenstände zu bewegen oder die Schwerkraft zu beeinflussen. »Inversion« macht vieles richtig, und ja, es könnte ebenso vieles, wie etwa seine GameplayKern-Deckungs-Mechanik, noch besser machen. Mich haben die ungewöhnliche Mixtur und das Ineinandergreifen der unterschiedlichen Elemente überzeugt. 07/10 Martin Mühl Lego Batman 2: DC Super Heroes 04 PS3, Xbox360, PC; www.videogames.lego.com — Das Spielprinzip der »Lego«-Games ist altbewährt und bleibt auch hier unverändert. Es geht weniger darum, Herausforderungen zu bewältigen, sondern Spaß zu haben. Die Story-Missionen dienen eigentlich nur als Einführung und dazu, neue Figuren freizuschalten. Der wahre Spaß kommt beim Befriedigen des Sammeltriebs. Wie immer gilt es allerlei Spezial-Legosteine zu finden, um Fahrzeuge und noch mehr Figuren zu erhalten. Neu ist, dass es neben den Missionen eine ganze Stadt zu erkunden gibt, in der diese versteckt sind, in dem Spiel steckt quasi ein Lego-GTA light. Eine weitere Neuerung ist, dass die Story nicht mehr nur quasi pantomimisch erzählt wird, Die Legofiguren haben endlich sprechen gelernt. Leicht enttäuscht könnte man beim ersten Spielen der Story sein, wenn man sich auf die anderen Helden neben Batman und Robin freut. Die beiden spielen
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immer noch die Hauptrollen, erst relativ spät und recht spärlich kommen auch die anderen zum Einsatz. Ist ein Held (oder Schurke) aber erst einmal freigespielt, kann man ihn beim zweiten Durchgang oder in Gotham City nach Belieben spielen. 08/10 Niko Acherer
Lollipop Chainsaw 05 (Grasshopper); PS3 getestet, Xbox 360; — Durchgeknallte Cheerleader-Zombie-Action voller PopReferenzen vom Feinen. Das klassische Gameplay und die kurze Spielzeit stören da kaum. 06/10 Harald Koberg
London 2012 06 (Sega); PS3 getestet, Xbox 360, PC; www.olympicvideogames.com — Die 31 Disziplinen in 12 Sportarten wurden routiniert umgesetzt, keine davon fällt sonderlich vom Rest ab. Besonders gegen menschliche Mitspieler kann »London 2012« eine Weile unterhalten, zumal die Steuerung erfreulich viel Variation bietet. 06/10 Stefan Kluger MIB Alien Crisis 07 (Activision); Xbox 360 getestet, PS3, Wii, 3DS; www.meninblackgame.com — Doch eher trashiges Videospiel zur Filmserie, das aktuelle Standards weit unterläuft und damit beinahe schon wieder humorvoll wirkt. 02/10 Martin Mühl PulzAR (Xdev/Sony); PS Vita; at.playstation.com — Ein kleines, feines Laser-Umlenk-Rätselspiel, das Augmented Reality bestens nutzt. Und das fast nichts kostet. 08
06/10 Harald Koberg
Resistance - Burning Skies 09 (Nihilistic/Sony); PS Vita; at.playstation.com/resistancebs — Die bisherigen »Resistance«-Titel waren mitverantwortlich dafür, dass die PS3 sich auch als Shooter-Plattform etablieren konnte. Erreicht haben sie das durch stimmungsvolle Szenarien, innovative Kämpfe und eine gut erzählte Geschichte. Von diesen drei Eigenschaften ist auf der tragbaren Playstation leider nicht all zu viel geblieben. Denn die Spielwelt ist schlicht und eng, die Handlung ist ziemlich flach und nur in netten Zwischensequenzen wirklich spürbar und die Kampfdynamik … die Kämpfe sind die, die wir schon vor zehn Jahren auf Konsolen geführt haben. Genrefreunde wird »Burning Skies« ohne Zweifel für ein paar Stunden erfreuen. Und gescheitert ist der erste Ego-Shooter auf der Vita sicherlich nicht, aber Verbesserungspotenzial gibt es an allen Ecken und Enden. Und so bleibt für uns weiterhin die Vorfreude. Und die ist bekanntlich die schönste. 06/10 Harald Koberg
Das Schwarze Auge: Satinavs Ketten 10 (Daedalic); PC; www.satinavs-ketten.de — Erstmals spielt ein klassisches Adventure in Aventurien. Fans von »Das Schwarze Auge« dürfen sich auf eine düstere und wendungsreiche Geschichte freuen, sollten aber beim Rätseldesign ein Auge zudrücken können. 07/10 Stefan Kluger
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Starhawk 11 (Sony); Xbox, PS3 (getestet), PS3; www.starhawkthegame.com — Dass nicht jeder Shooter gleich ein Bachelor’s Degree in Steuerungs-Multitasking voraussetzt, beweist »Starhawk«. Ganz wie im Vorgänger »Warhawk« geht es hier zu Land und in der Luft ganz ordentlich zur Sache. Die Entwickler von Sonys Santa Monica Studios haben auch noch die alte Idee von Build-&-Battle in das Spiel integriert: Mitten im Getümmel des Gefechts kann ich mir einen Geschützturm herbeirufen, um die lästigen Luftangriffe zu unterbinden. Und wenn der Feind sich dann doch zu sehr auf die Lufthoheit konzentriert, bestelle ich mir einen Mech, klettere hinein und steige auf in die Lüfte. Und all das ist kaum komplizierter als der Waffenwechsel … Spaß macht das alles schon in der Solo-Kampagne, die eine kurze Geschichte rund um die Jagd nach der geheimnisvollen Rift-Energie erzählt. Doch allzu relevant ist die Handlung nicht, erstreckt sie sich doch gerade einmal über gute fünf Stunden, ohne auf das Spielgefühl wirklich Einfluss zu nehmen. Richtig erbaulich wird es erst online, wenn plötzlich komplexere, reale Hirne hinter den Gegnern stecken. Da fällt dann auch die eine oder andere Disbalance noch weniger ins Gewicht und die bescheidene KI wird belanglos. Ein Shooter für Neulinge und Veteranen, der eine Menge gibt, ohne viel zu verlangen. 07/10 Harald Koberg
Theatrhythm Final Fantasy 12 (Square Enix); 3DS; www.theatrhythm.com — Zugegeben, der Titel ist sogar für japanische Maßstäbe sperrig, und viele hielten ihn bis zuletzt für einen bloßen Arbeitstitel. Herausgekommen ist nicht nur eine Hommage an die Musik aus 25 Jahren »Final Fantasy«, sondern auch ein überaus gelungenes, rhythmisches Musikspiel. Erfreulicherweise wurde auf eine verworrene Story und ausufernde Dialoge ebenso verzichtet wie auf endlose Tutorials. Bereits nach kurzer Eingewöhnungszeit geht das Wischen, Tippen und Halten – die elementaren Bewegungen des Spiels – fast von selbst. Dabei steigt der Schwierigkeitsgrad stetig und bietet auf höheren Level auch Vielspielern genug Herausforderung, falls sie alles freischalten möchten. Erfolgreich bestandene Sequenzen bringen neben Erfahrung und Gegenständen auch Rhythmia-Punkte, mit denen besonders begehrte Extras wie neue Spielfiguren freizuschalten sind. Aufgelevelte Figuren dürfen sich mehr Fehler während der musikalischen Duelle erlauben – ein bisschen Grinden ist daher auch in diesem Spin-off nicht verkehrt. Die Steuerung mit Stylus funktioniert tadellos, die Musik ist auch für Nichtkenner der Serie ein Genuss; nur bei Tracks aus den ersten Teilen werden sie verwundert klassichem NES-Sound lauschen, während Veteranen von vergangenen Zeiten träumen. 08/10 Stefan Kluger
Virtua Fighter 5 - Final Showdown 13 (Sega); PS3 getestet, Xbox 360; — Sega setzt auf überarbeitetes Altes und liefert Freunden der Serie einen Pausenfüller. Gewohnt feines Gameplay mit ungewolltem Retro-Look. 04/10 Harald KoberG
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Trotz der finanziell angespannten Situation in Griechenland erlebt die Kunstszene in Athen vielleicht sogar deswegen eine Blüte. Das Künstlerhaus eröffnet eine Gruppenausstellung 14 griechischer Künstler, die sich mit den Existenzängsten und Zweifeln einer krisengeschüttelten Gesellschaft auseinandersetzen. Dauer: 20. Juli bis 12. August Wien, k / haus Galerie; www.k-haus.at
Boiling Point: Contemporary Greek Artists
TERMINE KULTUR
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KULTUR
Forum Alpbach Kunst und Kulturprogramm 2012 Das bereits 68. Europäische Forum Alpbach eröffnet im August mit dem Generalthema »Erwartungen – die Zukunft der Jugend« seine Pforten. An Kultur soll es auch nicht mangeln: Die Gewinner des Zeichenwettbewerbs »Utopie Jugend«, die Ausstellungseröffnung »Wahnsinnig schön – Art Brut in Österreich«, ein mazedonischer Filmabend mit »Punk’s not dead« und ein Gespräch mit dem Künstler Dan Perjovschi. Eröffnung: 16. August, 17.00 Uhr ; Dauer: 16.–31. August Alpbach, Verschiedene Locations; www.alpbach.org
Europas beste Bauten. Mies van der Rohe Award 2011 Der Mies van der Rohe Award wurde 1987 ins Leben gerufen, um hervorragende Leistungen in der europäischen Nachwuchsarchitektur zu feiern und fördern. Die Wanderausstellung der 45 Projekte, die 2011 mit dem Preis ausgezeichnet wurden, macht gerade im Architekturzentrum Wien Station. Dauer: 19. Juli bis 8. Oktober Wien, Architekturzentrum; www.azw.at
Cittadellarte: Teilen und verändern Ausgehend von der Michelangelo Pistoletto-Retrospektive in der Neuen Galerie widmet sich die Ausstellung im Kunsthaus Graz der Idee des partizipativen Arbeitens und folgt anhand verschiedener Projekte von Künstlern und Künstlerkollektiven dem Wunsch nach einem subversiven, offenen und nachhaltig kulturell geschaffenen Weltmodell. Kleine Schritte machen, das war gestern. Eröffnung: 29. September, 13.00 Uhr ; Dauer: 30. September 2012 bis 20. Jänner 2013 Graz, Kunsthaus / Space01; www.museum-joanneum.at
Ephemeropterae Die Performance-Reihe Ephemeropterae, entwickelt von Gastkurator Boris Ondreička und Daniela Zyman, bietet jeden Freitag Oral History, Erzählung, Dichtung oder Musik. Zur Abenddämmerung verwandelt sich der Park in einen fruchtbaren Schauplatz zeitgenössischer Kultur. Am 17. August sind Gilbert Bretterbauer und Dominik Steiger von Son Of The Velvet Rat zu Gast im Augarten. Dauer: 17. August bis 28. September Wien, Thyssen-Bornemisza Art Contemporary; www.tba21.org
Ransmayr / Rosmanith / Fennesz Im Rahmen der Ausstellung »Manfred Wakolbinger. Up From The Skies« präsentiert Zeit Kunst Niederösterreich gleich drei Schwergewichte der österreichischen Kulturlandschaft an einem Abend. Christoph Ransmayr liest zu den Unterwasserfotos von Manfred Wakolbinger, mit Musik von Peter Rosmanith. Abgerundet wird alles mit dem Konzert des Ausnahmemusikers Christian Fennesz. Lesung: 31. August, 20.00 Uhr; Konzert: 31. August, 22.00 Uhr Krems, Landesgalerie für zeitgenössische Kunst / Dominikanerkirche; www.zeitkunstnoe.at
Die letzten Tage d. Menschlichkeit Eine dramatische Bilder-Revue von Christian Qualtinger und Zeno Stanek, ganz im Zeichen von Karl Kraus’ legendärer Szenenfolge »Die letzten Tage der Menschheit«. Die Adaptierung wird als unerbittliche Satire auf den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft im Sinne des gesellschaftskritischen Analytikers Kraus auch viel bitterbösen Humor bieten. Premiere: 2. August, 20.15 Uhr, Weitere Vorstellungen : 3., 4., 5., 10., 11., 12., 17., 18., 19., 24., 25., 26. August, 20.15 Uhr. Litschau, Herrensee Theater; www.herrenseetheater.at 075
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Die NDU ist eine Studieninitiative des WIFI und der Wirtschafskammer NÖ.
T ermine
As Told By Eons, Ausstellungsansicht, Courtesy Galerie Meyer Kainer
G a lerien
Solche Ahmung, 2012, Oil on canvas, 290 × 208 cm Ulrike Ottinger, Superbia – Der Stolz, 1986
Gedi Sibony
Georg Baselitz
Kunst soll die Welt der Menschen und ihrer Interaktionen in einer »eingefrorenen fiktionalen Welt« lokalisieren – so die Aussage Sibonys in seinen »Vienna Writings«. Die skulpturalen wie reliefartigen Werke des New Yorker Künstlers haben allerdings wenig mit Stillstand zu tun: Die alltäglichen, ja banalen, Materialien seiner Kartonskulpturen, die den Betrachtern physisch entgegentreten, sind ebenso Auslöser neuer Interaktionen wie die intellektuellen Spiele mit den Grenzen gängiger Kunstbegriffe. Gefundene Zeichnungen etwa werden von vorne nach hinten gerahmt und mit Gaffatape zusammengeklebt. Was ist vorne, was hinten, was ist Bildraum, was ist ein Bild und vor allem die Frage »Was wird da vor uns versteckt?« prallen hier zusammen. Fazit: Spielerisch und abwechslungsreich zeigt sich die Wiener Werkreihe von Sibony. bis 15. September Wien Galerie Meyer Kainer
Georg Baselitz gehört zu den größten Malern unserer Zeit. In den 60er Jahren seinen abstrakt-expressionistischen Siegeszug durch Biennalen und Museen der Welt startend, ist er auch heute nicht müde, sein erklärtes Ziel, »die Repräsentation von jeglichem Inhalt zu befreien«, weiterzuverfolgen. Es begann 1969, indem er das Motiv auf den Kopf stellte – 2012 verfolgt er eine Methode, welche ausgehend von einem Fotonegativ die farblichen Negativ-Positiv-Verhältnisse aus den Angeln hebt. Daneben zeigt seine neue Werkreihe Arbeiten, in denen Baselitz sein bisheriges Schaffen in Bezug auf seine expressionistischen Ahnen Heckel, Kirchner oder Munch reflektiert. Wie originell diese sind, wird ab dem 26. Juli in der Galerie Thaddeus Ropac zu sehen sein. 26. Juli bis 31. August Salzburg Galerie Thaddeus Ropac
TEXT Franziska Wildförster BILD Julia Spicker
Kärnten
Galerie Judith Walker bis 30. September Michael Kos
Tirol
Galerie Elisabeth & Klaus Thoman bis 8. September Éva Bodnár
ZIRKUS 4. Mai – 2. September 2013
FILMSCREENING
UND TALK
ULRIKE OTTINGER Do., 23. August 2012, 20 Uhr Filmcasino Wien „Der Prater ist ein sehr zentraler Ort in Wien und dennoch exterritorial, er ist ein Möglichkeitsraum. Hier begegnen sich alle sozialen Schichten, Reiche und Arme, das Land und die Stadt, Wiener und Menschen von woanders.“ Ulrike Ottinger
Wien
Galerie Andreas Huber bis 13. September »You are right it flows much better this way« Galerie Gabriele Senn bis 28. Juli »Verbrecher und Dekorateure« Charim Galerie bis 15. September »Tracing paper« Georg Kargl Fine Arts bis 8. September Martin Dammann Galerie König bis 8. September Valentin Ruhry Galerie Emanuel Layr bis 15. September »Very abstract and really figurative« White8 Gallery 2. August bis 5. September Jakub Vrba
PARALLELWELT
Steiermark
Galerie Eugen Lendl bis 18. August Christian – Kri – Kammerhofer
Oberösterreich
Galerie 422 Margund Lössl bis 26. August Hermann Nitsch
Salzburg
Mario Mauroner Contemporary Art bis 8. September Jan Fabre
Niederösterreich
Kunstfabrik Groß Siegharts ab 21. Juli Benjamin Eichhorn
Anlässlich der Ausstellung Parallelwelt Zirkus präsentiert die Kunsthalle Wien die Filme Prater und Superbia – Der Stolz. Matthias Christen, Kurt Mayer und Verena Konrad sprechen mit Ulrike Ottinger über die Transgressivität des Zirkus und über den Wiener Prater als exterritorialen Ort, an dem Zeitgeist, Moden, technische Entwicklungen, soziale Dispositionen und kulturgeschichtliche Phänomene sichtbar werden.
Vorarlberg
Galerie Lisi Hämmerle bis 30. Juni »Djinni in a Bottle – Materialisation und Medialität«
tägl. 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 21 Uhr Museumsplatz 1, A–1070 Wien www.kunsthallewien.at
TERMINE
MUSIK
Mit der Fussball-EM kam der gerechte Sommerhit »I Follow Rivers« (auch heimliche Twitter-Hymne), den Lykke Li wohl auch beim Frequency zum Besten gibt.
Frequency Festival Österreichs Festival für Kraut und Rüben, formerly known als Salzburger Indie-Rock-Partie, besticht durch ein gutes Booking. Dass dabei inhaltlich sehr unterschiedliche Zielgruppen bedient werden, stört die Veranstalter weniger. Begrüßenswert: Mit Parov Stelar wird auch eine verdiente Größe der österreichischen Musikszene auf der Hauptbühne spielen. Die wunderbaren Elektro Guzzi haben dafür einen eher undankbaren Slot ausgefasst. Zwischen all den Highlights trotzdem Pflicht. 15.–18. August St. Pölten, Frequency Festival St. Marx
Patti Smith Ein Sommerkonzert in der Arena ist in den letzten Jahren schon zu so etwas wie einer guten Tradition für die bekennende Wien-Freundin geworden. »Banga«, ihr erstes Studioalbum mit neuen Songs seit acht Jahren, liefert rechtzeitig neues Material für ein Set, in dem ansonsten verlässlich Platz sein wird für alte Lieblingssongs, mit den Riffs ihres Lebensgitarristen seit 1971, Lenny Kaye. Diesmal soll sogar ein Garagenrock-Medley zelebriert werden. 28. August Wien, Arena
TEXT Martin Riedl
Sie wird gern als Godmother Of Punk bezeichnet. Konzerte von Patti Smith sind ein Erlebnis, ein Songbeben, echt gut halt.
TERMINE
MUSIK
vorschau herbst
Sigur Rós In Island müssen magische Schwammerln wachsen – gemessen an der Einwohnerzahl schwemmt es von dort überproportional viel gute Musik auf den Kontinent. Sigur Rós gehören dabei zu jenen Bands, die man entweder liebt oder nicht ausstehen kann. Seit dem letzten Konzert in der Bundeshauptstadt sind vier Jahre vergangen. Vier Jahre Bühnenabstinenz, in denen sie sich unter anderem Filmen und bezaubernden Soloprojekten gewidmet haben. 4. September Wien, Arena
Sa. 08.09. // 20:00 Punk ’n’ Roll
Leningrad Cowboys
Fr. 21.09. // 20:00 Wave/Punk-Rock
Fehlfarben / Seven Sioux
Do. 27.09. // 20:00 Tanz
The Killers
Sziget Festival
Editta Braun Company: Planet Luvos
Der Pionier unter den Festivals in Osteuropa feiert heuer sein 20-jähriges Jubiläum. Man hat sogar die Attacken der rechtsradikalen ungarischen Regierung überstanden. Die subversive Musik von Bands wie Mando Diao, Placebo oder den Beatsteaks hat über die Jahre für einen gesellschaftlichen Wandel und unverzichtbare Steuereinnahmen in Ungarn gesorgt. Wir ziehen den Hut. 6.–13. August Budapest, Sziget Festival
Sa. 29.09. // 20:00 Literatur
Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung
Gürtel Nightwalk
A Thousand Fuegos
Seit 1998 wird in den Stadtbahnbögen zwischen Thaliastraße und Ottakringer Straße Lärm gemacht. Und das Kind ist groß geworden. Baustellenbedingt muss das Café Carina zwar in diesem Jahr eine Pause einlegen, umso lauter werden Sex Jams, A Thousand Fuegos oder das St. Pöltener Shit-Kollektiv dafür in den Gürtellokalen die Gitarren schrammen respektive die Platten drehen. 25. August Wien, diverse Locations
Mi. 03.10. // 20:00 Theater
Königlich Flämisches Theater (BEL): „Mission“ mit Bruno Vanden Broecke
Do. 11. – Fr. 12.10. // 20:00 Theater
Memoryhouse Kein Hersteller von Speicherkarten oder USB-Sticks, sondern der Name, auf den Evan Abeele und Denise Nouvion ihre Band 2010 in Toronto getauft haben. Der Sound mäandert zwischen Dreampop und Shoegaze, träumt und plätschert vor sich hin. Die Seen, in die diese Bäche münden, sind vielleicht nicht tief, aber ersaufen kann man darin trotzdem. Der richtige Ort zum Selbstversuch. 28. August Wien, Rhiz
Poolbar Festival
Speech Debelle
Was der Staatsfunk für alternativen Mainstream gut findet, ist durch einen ordentlichen Qualitätsfilter gegangen – Ausrutscher seien verziehen. Beim FM4-Wochenende an der Poolbar spielt Indie-Rapper Cro, der derzeit mit »Easy« den Begriff Hitsingle definiert. Außerdem dabei: Mercury Prize-Gewinnerin Speech Debelle oder Jon Spencer Blues Explosion. Zum Abschluss schönlärmen dann Mogwai. bis 20. August Feldkirch, Poolbar
Gob Squad / Campo (GB/D/BEL): Before your very eyes
Mi. 31.10. – Sa. 03.11. // 20:00 Pop
Ahoi! Pop 2012
Musikfestival mit Awolnation / A.G. Trio / The Divine Comedy / Shy / Nicole Willis & The Soul Investigators / Nigel Wright u.v.a.
Mo. 12.11. // 20:00 Alternative
Tindersticks
Mo. 26.11. // 20:00 Americana
Calexico
Do. 13.12. // 20:00 Kabarett
Lady Gaga
George Michael
Reheat Festival
Manch einer hätte Lady Gaga wohl gewünscht, dass sie der Schlag auf den Kopf in Auckland länger vom Singen abhält. Ein Tänzer hat ihr während der Show versehentlich eine Metallstange über die Birne geknallt. Das Konzert ging weiter. So schnell ist dieses Monster nicht totzukriegen. 18. August Wien, Stadthalle
Fast ein Jahr nach seiner Nahtoderfahrung im AKH holt George Michael das Konzert in Wien nach. Aus einer Show sind zwei geworden. Angeblich soll der Londoner, nachdem er aus dem Koma aufgewacht ist, zwei Tage lang in Bristol-Akzent (!) gesprochen haben. 4. und 6. September Wien, Stadthalle
Das Reheat Festival ist »besser als wie man denkt«. Zwischen den vertrockneten Grasbüscheln der normalerweise von Rockjüngern niedergetrampelten Nickelsdorfer Puszta-Steppe werden am Kleylehof Konzerte, Performances und Lectures abgehalten. 18. August Nickelsdorf, Kleylehof
Das Rainald Grebe Konzert
Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at
TERMINE
FESTIVALS
3 Fragen an Thomas Heher (Waves Vienna Festival) Waves Vienna ist ein Showcase-Festival. Wie sorgt man dafür, dass die richtigen Leute vor Ort sind? Wir haben eine solide Basis für einen Austausch zwischen Ost und West geschaffen und auf unser Konferenz-Programm wirklich sehr gutes Feedback bekommen. Sogar Monate später noch. Zahlreiche Kooperationsanfragen beweisen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Speaker und Delegates kennen das Waves Vienna bereits. Was bringt es, ein Festival nicht auf die grüne Wiese zu stellen? Ein Festival auf der grünen Wiese und ein Clubfestival sind ja zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe – Gummistiefel und Sneakers sozusagen. Clubfestivals ziehen eher ein etwas älteres Publikum an – eines, das nicht mehr so gerne in Zelten übernachtet und am Nachmittag in der Sonne brütet. Es geht mehr um die Musik, Bands in intimeren Rahmen zu erleben und zu entdecken. Wir müssen das Programm sehr genau gestalten, weil Clubs nur begrenzte und oft kleine Kapazitäten haben und das Line-up genau aufeinander abgestimmt sein muss. Einnahmen von den Bars fallen weg und wir zahlen Mieten in den Clubs, dafür brauchen wir keine Bühnen und Tonanlagen aufstellen – außer in ein paar Off-Locations. Auch haben wir bei der Infrastruktur weniger Kosten, Toiletten und Verpflegung gibt es, wir brauchen keine Parkplätze. Mit Ema, TEED, Actress oder Dry The River gab es letztes Jahr Volltreffer. Auf wen muss man heuer achten? Acts, bei denen schon spürbar ist, dass der große Sprung kurz bevorsteht, hören heuer auf Namen wie Sun Glitters, Mario & Vidis, Einar Stray, Botibol, Fenster, Rangleklods, Tu Fawning, Housse De Racket, Mujuice, Rocketnumbernine, Thomalla oder Her Voice Over Boys. Und Gold Panda, Rustie, Dillon, Brandt Brauer Frick, Ghostpoet, Gravenhurst, Scout Niblett oder Kavinsky haben den Sprung ins internationale Rampenlicht bereits geschafft. Eigenlob stinkt zwar, aber wir haben heuer wirklich genügend Zeit ins Booking inve stiert und es hat sich gelohnt. Waves Vienna 4. bis 7. Oktober Wien, diverse Locations 080
Leuchtbuchstaben gehen bei der Ars Electronica in die Cloud.
Ars Electronica Festival Es geht um alles, das große Ganze, nichts weniger. Einiges hat sich das Ars Electronica Festival in diesem Jahr vorgenommen, entsprechend groß klingt auch das Motto des internationalen Festivals für digitale Kunst: »The Big Picture« – pluralistische Perspektiven und eine Suche nach Weltbildern, die nicht im eigenen kleinen Mikrokosmos gefangen bleiben. Trotz immer stärkerer Fragmentierung in allen Lebensbereichen ist in Krisenzeiten der Blick auf das große Ganze wesentlich. Demokratisierung von Information im Internet und soziale Netzwerke als Motor: Bei der Klangwolke am 1. September wird ein menschliches soziales Netzwerk erzeugt. Wer will, kann dafür vorher einen Leuchtbuchstaben anfertigen. Die Buchstaben interagieren, die Menschen selbst werden Teil der Wolke. 30. August bis 3. September Linz, AEC
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FESTIVALS Wolf Haas ist Verteidiger der Missionarsstellung.
250.000 … soviel Kilo Müll wurde auf dem Frequency 2011 mit seinen 140.000 Besuchern in St. Pölten entsorgt. Bei Aufräumarbeiten wurden jedoch auch Kopierer oder Bauschutt gefunden, welche wahrscheinlich von altklugen Anrainern in Nacht und Nebel entsorgt wurden.
O-Töne Die Idee ist gut, die Umsetzung auch: Lesungen vor mehr als zehn Leuten. Im Hof des Museumsquartiers lesen in den Sommermonaten bereits seit 2004 Zeitgenossen aus ihren Werken und beweisen: Lesungen sind Pop genug, um auch Publikum anzulocken. Das Programm wird von Thomas Keul ausgewählt, dem Herausgeber der Literaturzeitschrift Volltext. Im August noch zu hören: Clemens Setz mit seinem im Herbst erscheinenden Roman »Indigo«. Er handelt von Clemens Setz, einem Mathematiklehrer in einem Internat in der Steiermark. Die Kinder dort leiden am rätselhaften Indigo-Syndrom. Als Setz beginnt, Nachforschungen anzustellen, wird er suspendiert. Neben Setz lesen im August noch Lilian Faschinger, Walter Grond und Olga Flor. Zum Abschlussabend lädt Wolf Haas im Zeichen von Sex: Sein neuer Roman heißt »Verteidigung der Missionarsstellung«. bis 30. August, donnerstags Wien, Museumsquartier
Schlosshofkino Waidhofen
Der schöne Geist heißt in Fleisch und Blut Elle Fanning.
Das Rothschildschloss wird im August viermal zum Freiluftkino. Opener ist Murnbergers »Komm süßer Tod« mit Österreichs Parade-Grantscherbn Josef Hader. Vor und nach den Screenings gibt’s DJ-Line im mittelalterlichen Schlosshof. 1., 8., 22., 29. August Waidhofen / Ybbs, Rothschildschloss
Freakwave
Die Freaks laden nach Bregenz ein. Das heißt im Klartext: Slackline-Worldcup, Konzerte von Crookers, Fiva, Ogris Debris und vielen anderen. Skateboard- und Longboard-Sessions und Paddeln rund um das Bregenzer Strandbad und das Festspielhaus vervollständigen ein buntes Leporello an Fun. 29. August bis 2. September Bregenz, diverse Locations
ImPuls Tanz
Slash Filmfestival
TEXT Barbara Heinzl
Blut! Blut! Blut! Woher kommt nur das ganze Blut? Bereits in die dritte Runde geht Slash, Österreichs erstes Filmfestival des fantastischen Films. Altmeister Francis Ford Coppolas neuester Streich »Twixt« (in 3D) feiert dabei im Filmcasino seine Österreich-Premiere. Val Kilmer spielt in dem Horrorstreifen einen Mystery-Autor, der seinen Karrierehöhepunkt bereits hinter sich hat. In einer kleinen Provinzstadt wird er in die Aufklärung eines Mordes an einem jungen Mädchen verwickelt. Selma Blair wird im kanadischen Thriller »Replicas« zur Gefangenen im eigenen Haus und hat gewalttätige Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Unter dem Motto »Play it again« soll außerdem das Verhältnis zwischen Filmen und Videospielen untersucht werden. Und das Foyer des Filmcasinos wird in eine Arcade-Spielautomatenhalle umgebaut. 20.–30. September Wien, Filmcasino
Bis 12. August bleibt Wien noch Mekka für Tanzund Performance-Begeisterte. So erweckt etwa der aus Kärnten stammende Choreograf Johann Kresnik im Odeon Francis Bacons Bilder auf sehr eindringliche Art zum Leben, dafür mit von der Partie ist die Compagnie des brasilianischen Startänzers Ismael Ivo. bis 12. August Wien, diverse Locations
Alpinale
Die etwa 6.000 Einhörner zählende Vorarlberger Gemeinde Nenzing ist Veranstaltungsort für das Filmfestival Alpinale, das sich ganz dem Kurzfilm verschrieben hat. Ein Einhorn aus Gold ist dabei jene Trophäe, die der Sieger des Wettbewerbs mit nach Hause tragen darf. 7.–11. August Nenzing, Ramschwagsaal u. -platz 081
Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.
AUS, SCHLUSS, PASTA.
J
ILLUSTRATION JAKOB KIRCHMAYR
etzt hat es mich wieder einmal erwischt. Ich erlebe gerade einen ziemlich uncharmanten Rückfall in Sachen Onanie. Der kommt bei mir in unregelmäßigen Schüben. Ich will – vor allem, um mir den Ernst der Lage nicht vor Augen führen zu müssen – nicht mit Zahlenmaterial herumschmeißen. Man würde es ohnehin nicht glauben. Außerdem kommt mir ein kleiner Selbstbetrug in dieser Hinsicht sehr gelegen. Nichts lässt einen besser normal weitermachen, als der Glaube, alles sei im grünen Bereich. Dass dieser Glaube auf ein gewissenhaftes Ignorieren einer akribisch geführten Spritz-Strichliste aufbaut, ist eine dieser bezaubernden Ironien, die nur der Alltag zu fabrizieren imstande ist. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Inspirationsquellen für meine Ausritte in Eigenliebebelangen aus den hintersten Winkeln meiner Erinnerung abgerufen werden. Ich befriedige mich also zurzeit vorwiegend unplugged, und somit ohne technische Hilfsmittel. Also kein Internet, elektrische Zahnbürste oder lustiges Spielzeug, das mir Firmen immer wieder zu Rezensionszwecken zukommen lassen. Allerdings – so ehrlich muss ich jetzt auch noch sein – ganz unplugged war ich wirklich nicht unterwegs, denn mir fiel eine gut zehn Jahre alte Daten-CD in die Hände und da war, neben unfertigen Seminararbeiten und halbgaren Referaten, so einiges an einschlägigem Bildmaterial bewegter Natur draufgebrannt. Wiedersehen macht auch in dieser Hinsicht Freude und es hat etwas von einem vorübergehenden Ankern in alten, lange nicht mehr angelaufenen Gestaden. Anders als bei Spielfilmen, in denen man auch noch nach dem fünften Mal Schauen neue Details zu erkennen glaubt und sich dann still darüber freut, weil man den eigentlich unnötigen Zeitaufwand gerechtfertigt sieht, sind bei Pornos aber eher keine neuen Handlungsfinessen zu entdecken. Ein, zweimal hab ich mich vielleicht so Dinge gefragt wie,
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ob mir die komische Lampe mit dem Leopardenfellbezug schon damals aufgefallen ist – das war’s dann aber auch schon fast. Fast, denn ich kam auch nicht drum herum mich zu fragen, ob die Filmchen Schuld daran trugen, dass meine angefangenen Seminararbeiten und Referate nie fertig wurden. Die Themen waren nämlich recht knackig und eigentlich schon weit fortgeschritten ausgearbeitet. Hiermit biete ich Interessierten gerne ein Referat zu Gustav Ucickys Film »Café Elektric« an, in dem Marlene Dietrich ihr Kinodebüt gab. Und lege noch eine ordentlich recherchierte, bereits mit zahlreichen Satzbausteinen und Quellenangaben versehene Biografie zum Essayisten und Journalisten Anton Kuh dazu. Dieser Arbeit ist übrigens der schöne Satz »Lieber in Berlin unter Wienern, statt in Wien unter Kremsern« vorangestellt. Aber wie gesagt, alles ist leider nur halbfertig, zuviel des Wichsens lähmt anscheinend ein Vorankommen in intellektuellen Angelegenheiten. Nein, sorry, ich revidiere. Nicht nur anscheinend, sondern tatsächlich. Auch weil übersteigerte Triebbefriedigung ganz komische Wortwahl und eigenartigen Satzbau macht und zudem die Realität verzerrt. Zum Beispiel war ich unlängst, als ich einer kleinen Besorgung wegen eine Schlecker-Filiale aufsuchte sehr entrüstet, als mir an der Kassa kein Oralverkehr angeboten wurde. Nein, sorry nochmal. Es war natürlich keine Schlecker-Filiale. Das hab ich jetzt erfunden, weil Schlecker einfach mehrdeutiger ist und bald auch von wirtschaftsnostalgischem Wert sein wird und deshalb noch
mal kurz verewigt werden muss. Vielmehr war es eine Bipa-Filiale. Ich geh nur zum Bipa, ich hab nämlich eine Bipa-Card. Mit der gibt’s nämlich immer Rabatt auf Waschpulver, Geschirrspül-Tabs, Nivea-Deo und meistens auch für Oral-B Aufsteckbürsten für die elektrische Zahnbürste. Bipa ist übrigens mit seinem puffigen Pink in der CI auch nicht gerade schlecht sexuell aufgeladen, und seit sie den alten Slogan »Alles Liebe, Bipa« gegen Sätze wie »Bi Crazy Bipa« oder »Bi Beautiful Bipa« usw. ausgetauscht haben, ist die Sache für mich noch expliziter geworden. Der Bipa ist ein Drogeriebordell. Und in nuttiger Umgebung fühl ich mich gut aufgehoben. Besser als beim »dm«. »dm«, möchte ich immer schreien, »dm, mir graut’s vor dir und deinem faden Hier-bin-ich-Menschhier-kauf-ich-ein-Slogan. Da muss ich immer an Faust-Fuck denken. Sagt man heute überhaupt noch Slogan? Oder ist das ein Terminus, den nur noch Vertreter umsatzschwacher Werbeagenturen, die in ihrer Denke in den 80er Jahren steckengeblieben sind, verwenden? Mir wurde gesagt, man verwende Claim oder Tagline stattdessen. Ungefähr so, wie jeder Kabarettist, der eine politische Anspielung in sein Programm einbaut, Satiriker heißen will. Oder Fressbürger mit mindestens Matura schon seit Jahren statt Nudeln Pasta sagen. So, fertig, jetzt muss ich wieder ein bisschen an meiner Pasta feilen.
Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly
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