Akteure Nachruf
Ein Nachruf auf den Wasserburger Theaterleiter Uwe Bertram Von Christoph Leibold
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Wasserburg ist bayerische Provinzidylle pur: die Altstadt malerisch in einer Schleife des Inns gelegen, aber mit dem Zug nur über eine Bimmelbahnstrecke zu erreichen. „Wenn ich hier bin, kann hier gar keine Provinz sein!“, pflegte Uwe Bertram dazu gern zu sagen. So ähnlich formulieren das wohl die meisten, die abseits der Metropolen Theater machen. Uwe Bertram aber zählte zur Minderheit derer, bei denen solche Sätze nicht bloße Behauptung waren. Das Theater Wasserburg, vormals eine ambitionierte Amateurbühne, wurde in den knapp zwanzig Jahren unter seiner Leitung zum Profibetrieb und vor allem: zu einer attraktiven Adresse für zeitgenössisches Theater auf der Höhe aktueller ästhetischer und gesellschaftlicher Debatten. Und: einmal im Jahr zum Nabel der bayerischen Theaterwelt, wenn das Haus bei den von Bertram erfundenen Wasserburger Theatertagen zum Festival-Gastgeber für die freie Szene wurde. Uwe Bertram wurde 1962 in Magdeburg geboren und in Rostock zum Schauspieler ausgebildet. Nach dem Mauerfall ging’s über Bern ans Münchner Residenztheater, wo er als Hauptmann in Georg Büchners „Woyzeck“ (Regie: Stéphane Braunschweig) an einem der größten Erfolge unter Intendant Eberhard Witt beteiligt war. Später folgte er Witts Chefdramaturgin Elisabeth Schweeger nach Frankfurt am Main, als die dort Intendantin wurde. Aber nur für kurze Zeit. Bertrams Familie war im Münchner Osten geblieben, auf dem Land, und als sich dort, quasi vor der eigenen Haustür, die Chance bot, den Traum von einem eigenen Theater zu leben, griff Uwe Bertram zu. Gelegentlich spielte er noch auf großen Bühnen, bei den Salzburger Festspielen etwa 2008 in Andrea Breths Dostojewski-Adaption „Verbrechen und Strafe“, vor allem aber verlegte er sich nun aufs Regieführen am eigenen Haus. Bertram war ein Kind des Ostens, das merkte man seinen Arbeiten an. Dass der real existierende Sozialismus krachend ge-
scheitert war? Für ihn kein Grund, die Ursprungsgedanken dahinter zu verwerfen. Als er 2013 „Dantons Tod“ inszenierte (die Titelrolle hatte er viele Jahre zuvor in Bern selbst gespielt), setzte er Büchners Figuren in einen riesigen, mit Schaumbergen gefüllten offenen Sarg. Die Seifenblasen platzten wie die Ideale der Revolution, während das Ensemble immer wieder melancholische A-Cappella-Versionen linken Liedguts anstimmte, das seinen festen Platz im musikalischen Kanon der DDR gehabt hatte. So wurde Büchners Klassiker zum Abgesang auf gescheiterte Utopien. In bester Erinnerung bleiben auch ein radikal verdichteter „Kirschgarten“, Brechts „Arturo Ui“ im Zirkuszelt, die Waits/Wilson-Trilogie „The Black Rider“ – „Alice“ – „Woyzeck“ (ausgezeichnet bei den Bayerischen Theatertagen) oder das Lustspiel „Leonce und Lena“, in dem die Darsteller wie Marionetten an Fäden baumelten. Uwe Bertrams letzte Inszenierung feierte im Juli Premiere: Christoph Heins „Die wahre Geschichte des Ah Q“. Ein vergessenes Stück aus fernen DDR-Tagen, mit dem Bertram einmal mehr alte, vermeintlich überholte Ideen einer Neubetrachtung unterzog. Den dem Kapitalismus innewohnenden Egoismus konterte Uwe Bertram auch in der Theaterpraxis mit einer anderen Haltung: Das Theater führte er aus einem Kollektivgedanken heraus. Zwar war er selbst die integrative Leitfigur. Um sich aber scharte er eine Kerntruppe von Theaterschaffenden – Susan Hecker, Annett Segerer, Regina Alma Semmler, Constanze Dürrmeier, Nik Mayr und Hilmar Henjes –, die dem Theater sein unverwechselbares Profil gegeben hat – und weiterhin geben wird. Am 10. November, knapp zwei Wochen vor seinem sechzigsten Geburtstag und wenige Monate vor seinem zwanzigjährigen Jubiläum als Wasserburger Theaterleiter, hat Uwe Bertram seinen Kampf gegen den Krebs verloren. Seine Mannschaft wird weitermachen. Ein Trost inmitten der Trauer. T
Theater der Zeit 1 / 2023
Fotos rechts Heidi Schmidinger, links privat
Auf der Höhe der Debatten
UWE BERTRAM