Magazin Bericht Glanz oder Harnisch
Das Laboratorium Die Studierenden des Studiengangs Szenisches Schreiben der Universität der Künste Berlin präsentieren regelmäßig Auszüge aus ihren Arbeiten Von Marla Thermann
„Übung 1“, ruft Giorgio Ferretti und hält demonstrativ vier Finger in die Luft. Dann beginnt er, sprachliche Purzelbäume zu schlagen, macht Spagate zwischen Punkt und Komma und springt mit einem Salto auch einfach mal über den Seitenrand hinaus. Der gebürtige Italiener studiert Literarisches Schreiben am Literaturinstitut in Leipzig und präsentiert an diesem Leseabend als einer von acht Studierenden Auszüge aus aktuellen Arbeiten. Glanz oder Harnisch nennt sich das wiederkehrende Format, das der 13. Jahrgang des Studiengangs Szenisches Schreiben (2014 bis 2018) während seiner Zeit an der Universität der Künste (UdK) Berlin ins Leben gerufen hat, um Studierenden einen Raum zum Ausprobieren zu ermöglichen. Hier werden die Bühne zum Textlabor, das Publikum bereitwillig zum Versuchskaninchen im Sinne der Kultur, die Umsetzungen zu inszenatorischen Versuchsaufbauten. Verschiedene Institutionen stellen ihre Räumlichkeiten zur Verfügung, an diesem Abend ist es die Vagantenbühne im Berliner Westen, wo Glanz oder Harnischals Teil der Reihe von Werkstattlesungen stattfindet. Die präsentierten Textfassungen sind roh, unfertig und reizvoll. Kittel an, Schutzbrille auf und los.
Glanz oder Harnisch heißt die Lesereihe der Studierenden des Studiengangs Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin
Theater der Zeit 1 / 2023
Der Abend gestaltet sich in vielerlei Hinsicht sehr abwechslungsreich, mit jedem Beitrag ändern sich Duktus, Präsentation und Thema. Es gibt die sprachlichen Experimente wie bei Ferretis Vortrag mit dem Übertitel „Monologe. Grammatiken. Variationen“. Er testet, in welche Formen Sprache überführt, verführt, entführt werden kann. „Wisst ihr, was ich meine?“, heißt und fragt der Text von Narayana Sieber, der den individuellen Kosmos einer im Zentrum stehenden Figur erforscht. Wie auch Fabienne Lehmann, mit der sie gemeinsam vorträgt, studiert Sieber am Literaturinstitut in Biel und ist für ein Semester als Gast an der UdK. Ihre Ich-Erzählerin schildert von ihrem Leben mit Panikattacken und verknüpft dabei Erinnerungen und Gegenwart. Zwei weitere Beiträge nehmen Aspekte familiärer Bindungen genauer unter die Lupe. In dem dramatischen Text „Erna“ lotet Silvan Rechsteiner, Student an der UdK, die Beziehung der Titelfigur zu ihrer Tochter, ihrer Enkeltochter, dem Leben und dem Tod aus. Fabienne Lehmann liest aus ihrem Romanprojekt „Inge“ vor und stellt sich dabei einer relevanten wie unbequeme Frage. Wie ist umzugehen mit dem Erbe des Nationalsozialismus, das in nahezu jedem Stammbaum Wurzeln geschlagen hat? Am Ende wird es dystopisch: Die UdKStudent:innen Paula Kläy und Guido Wertheimer platzieren drei Dichter:innen (Kläy, Wertheimer, Ferretti) im berlinerischen Großstadtdschungel irgendwo zwischen Hölle und Gottlosigkeit, Sinnsuche und Ambivalenz, Vodka Soda, Goya und einem Unterweltwächter, der die Begonien gießt (Maximilian Rummel), und konfrontieren sie dort mit der Gewalt der Natur. Die Forschungsgegenstände des Abends spiegeln die Interessen und Stimmen einer jungen Generation wider, zeigen den Enthusiasmus der Autor:innen auf, die zeitgenössische Dramatik voranzutreiben und zu bereichern und schicken das Publikum mit Neugierde auf das, was da noch kommt, nach Hause. Deutlich wird auch der Prozess, der zum Szenischen Schreiben gehört; das Verfassen und die Umsetzung sind eng miteinander verknüpft. Abende wie Glanz oder Harnisch sind daher essenziell, genauso wie der Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Theaterschaffenden. Im Resultat gehen sowohl das Publikum als auch die jungen Autor:innen mit neuer Inspiration nach Hause. T
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