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Forever Young oder Stages of Ageing?

Franziska Werner

Das Thema Altern in der Freien Szene – eine Kurationsaufgabe

»Alt sind immer die anderen!«, lautet ein geläufiger Ausspruch über das Alter. In ihrem Impulsvortrag1 im Online-Gespräch »Stages of Ageing II: Altern in der Freien Szene, das überregionale Panel«2 vom 26. Oktober 2021 im Rahmen des Festivals Coming of Age der Sophiensæle Berlin wurde dieser Satz von der Soziologin Silke van Dyk eingebracht. Sie wollte damit erläutern, wie die Differenzkategorie Alter wirkt und welche Parallelitäten sich zu anderen Marginalisierungsmarkern ziehen lassen oder auch nicht. Sie diagnostizierte, dass die Diversitätskategorie Alter am wenigsten diskutiert wird. Dass selbst bei intersektionalen Diskussionen Altersdiskriminierung als randständig gilt, als langweilig und wenig hip. Bei Feminismus, Queerness, Postkolonialismus oder Anti-Rassismus, Ableismuskritik und seit kurzer Zeit auch bei dem Thema Klasse gibt es zum Glück inzwischen einiges Interesse. Da kommen alle. Beim Thema Ageismus kommt niemand. Es gilt als total uncool. Dieses Resümee, das van Dyk aus ihrer sozialwissenschaftlichen Perspektive zieht, gilt leider auch für das Feld der Performing Arts. Wann und wo findet sich dieses Thema in den Spielplänen, Programmen und Produktionen der Freien Darstellenden Künste? Das lässt sich tatsächlich an einer Hand abzählen. Das Alter erscheint als etwas anderes, was nirgendwo dazugehört. Umso wichtiger ist es, die Auseinandersetzung mit dem Alter(n) auf die Bühne zu bringen und als Kurationsaufgabe wahrzunehmen, als etwas, das – im buchstäblichen Sinn des Begriffs ›Kuratieren‹ – gepflegt werden sollte.

Das Festival Coming of Age Im Herbst 2021 widmeten die Sophiensæle Berlin den verschiedenen Facetten des Alterns einen dreimonatigen Programmfokus mit dem Titel Coming of Age3. In Neuproduktionen, Gastspielen und Diskussionen thematisierten wir die Unsichtbarkeit des Alterns in theatralen, sozialen und politischen Zusammenhängen und blickten künstlerisch auf ein Phänomen, das uns alle betrifft. Ein Haus der Freien Szene und das Thema Altern – wie geht das

zusammen? »Forever young« – ist das nicht die Botschaft der Freien Szene mit ihrem Fokus auf Newcomer und Innovation? Die Idee für ein solches Festival ergab sich aus dem Nachdenken über das Alter und Altern in verschiedenen Kontexten. Die Sophiensæle feierten im Herbst 2021 ihr 25. Gründungsjubiläum. Damit stand das Thema des Älterwerdens im Raum. Auch wenn 25 Jahre für eine Institution noch nicht sehr alt ist, ist es dennoch ein Jubiläum, welches längst über die Volljährigkeit hinausreicht und mit dem der Weg einer Institutionswerdung verbunden ist. Einst von jungen Künstler*innen und künstlerischen Kollektiven als Alternative zu den sehr hierarchisch agierenden Kunstinstitutionen gegründet, wurde mit den Sophiensælen Berlin über die Zeit eine Spielstätte als stetige Begleiterin der Freien Tanz- und Performance-Szene etabliert. Und das in einer Stadt, die sozusagen selbst nach der neuen Pubertät der 1990er Jahre inzwischen das Erwachsenenalter erreicht hat. Eine Stadt, die ebenso wie die in diesen Jahren mitgewachsene Freie Szene mit allen Stärken und Schwächen in die Jahre gekommen ist: Sozusagen eine Entwicklung vom freien wilden Spirit der Nachwendejahre hin zu einem durchgestylten, geordneten, etablierten und seriösen Best-Ager oder Yuppie. Die sogenannte Freie Szene, in den späten 1960er und -70er Jahren entstanden, ist ein noch recht junges Phänomen. Sie hat durch die Ausbildungsstätten in Gießen und Hildesheim einen großen Schub bekommen und speziell in Berlin seit den Nachwendejahren einen weiteren Entwicklungsschritt genommen. Inzwischen gibt es eine nennenswerte Zahl an Akteur*innen, die sich immer noch Fragen von Leben und Arbeiten vor dem Hintergrund eines prinzipiell prekären Status aufgrund der Verkettung von Einzelprojektförderungen stellen müssen. Sie sehen sich mit zunehmendem Alter mit weiteren Fragen konfrontiert, etwa Versorgungsfragen bei Familiengründungen, zu leistender Care-Arbeit, Fragen zu finanzieller und sozialer Absicherung oder Altersvorsorge. Die Freie Szene umschwirrt von jeher der Ruf der jungen Wilden, des Neuen und Innovativen. Auch in den Sophiensælen liegt seit ihrer Gründung traditionell ein Schwerpunkt auf einer jungen Generation. Aber was passiert, wenn die Jungen älter werden, wie kann ein sinnvolles Miteinander, eine Programm-Mischung zwischen den Älteren und Jüngeren aussehen? Viele Künstler*innen und Kollektive sind ihren Weg mit dem Haus gegangen, die Newcomer von damals sind nun mid-career, established, old … Oder wie kann eine künstlerische Entwicklung mit all ihren Höhen und Tiefen überhaupt sinnvoll beschrieben werden?

Ein weiterer Fokus dieses Festivals galt dem Thema der Generationensolidarität, das durch die Pandemie seit Frühjahr 2020 eine Renaissance erlebte. Während in der Klima- und Fridays-for-FutureBewegung der Appell der Jungen an die Älteren ging, ihre Zukunft nicht zu verspielen, drehte sich der Ruf nun um: Die von der Krankheit weniger stark betroffenen Jüngeren sollten die Älteren und vulnerablen Gruppen schützen. Welche Generationen tragen welche Verantwortung und welche Lasten? Wer soll für wen zurückstecken? Wer setzt sich für welche Gegenwart und Zukunft ein? Wie lässt sich in der Freien Szene statt ständiger Konkurrenz um Ressourcen wie Räume, Fördergelder, Programmslots und Aufmerksamkeit ein solidarisches Miteinander gestalten? Und nicht zuletzt fragten wir uns: Welche älteren Künstler*innen kennen wir auf unseren Bühnen der Freien Szene? Wollen wir Stücke von, mit oder über die sogenannten Alten machen, und ab wann beginnt eigentlich dieses Altsein? Mit dem Titel Coming of Age versuchten wir, unsere programmatischen Überlegungen über das Altern als andauernden Transformationsprozess widerzuspiegeln. Denn im Erleben der eigenen Biografie ist das Alter ein langsamer und kontinuierlicher Prozess. Ein Weg, der erst mit dem Tod abgeschlossen ist. Die künstlerische Volljährigkeit kann mit 25, 46, 68 Jahren oder nie erreicht sein. Dieses künstlerische Unterwegssein in verschiedenen Altersstufen wollten wir bereits im Titel abbilden. Wir führten Themen und Ideen zusammen, welche die Künstler*innen rund um das Thema des Alterns bewegten. Dabei sollten die üblichen Binaritäten Alt und Jung, wir und die Alten, die Alten und die Jungen möglichst vermieden werden. Neben den bereits genannten strukturellen und sozioökonomischen Fragen kristallisierten sich drei Themenlinien heraus: erstens der intergenerationale Austausch, zweitens die Zustände von Abschiednehmen, Sterben und Tod und drittens das Thema der Körperlichkeit und die Leerstelle von alternden Körpern auf unseren Bühnen. In vielen Arbeiten standen persönliche Geschichten im Vordergrund, wie der Austausch mit der Elterngeneration, Fragen nach dem Generationenwechsel, dem Loslösen von der Elterngeneration sowie zur eigenen Elternschaft. Wie kann ein fruchtbarer Austausch zwischen den Generationen gelingen und wann ist Abgrenzung wichtig?

Generationen Das Festivalprogramm zeigte eine große künstlerische Bandbreite der Themen und Inhalte: Zum Thema Generationen stand Ursula Martinez in A Family Outing – 20 Years On mit ihrer Mutter Milagros Lea auf der

Bühne und verhandelte mit dem Reenactment einer früheren gemeinsamen Performanceproduktion den Umgang mit Demenz und Verantwortung füreinander. In ihrer Arbeit Like Daughter, like Mother reflektierte Olivia Hyunsin Kim ihre eigene neue Mutterrolle in Deutschland und ordnete sie vor dem Hintergrund ihres familiären südkoreanischen Kontexts in die Themen Patriarchat, Kolonialismus, Migration und Rassismus ein. Im Gastspiel des Stücks von Jaha Koo The History of Korean Western Theatre ging es ebenfalls um das Thema Kolonialismus. Gezeigt wurde seine aktuelle Auseinandersetzung als junger Vater in Europa mit den Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend bei seiner inzwischen dement werdenden Großmutter in Südkorea. Diese familiäre Ebene verknüpfte er thematisch mit der Kolonialisierung der koreanischen Theatertraditionen durch Japan und Großbritannien und seinem eigenen Schaffen als Performancekünstler. Marjani Forté-Saunders performte in Memoirs of A … Unicorn gemeinsam mit ihrem Vater Richard Forté auf der Bühne und beschäftigte sich mit Schwarzer Männlichkeit und Vaterschaft vor dem Hintergrund der rassistischen Gewalt in den USA und der aktuellen Black Lives Matter-Proteste. Um den Austausch zwischen den Generationen ging es auch in der Arbeit DAWN von Sheena McGrandles, die mit ihrem Team ein autofiktionales Musical über queere Elternschaft, Familienmodelle und Reproduktion feierte. Samara Hersch schaltet in ihrem Gastspiel Body of Knowledge die Zuschauer*innen telefonisch mit Teenager*innen in Australien zusammen, um sie miteinander in komplexe Gespräche über Intimität, das Heranwachsen, Musik, Sexualität und das Altern zu führen. Und auch Golschan Ahmad Haschemi und Banafshe Hourmazdi vom Performance-Duo AHH widmeten sich in dem Pop-Musical OK, Boomer! mit Glamour und Rock Fragen nach dem feministischen Erbe und der POC-Sisterhood einer jüngeren Generation und der sich daraus ergebenden Verantwortung. In den Performances wurde deutlich, dass es wichtig ist, zwischen dem Alter als Differenzkategorie und der Abgrenzung unterschiedlicher Generationen zu unterscheiden. Die Bedeutung der Differenzierung zwischen den Kategorien Alter und Generation wurde auch von der Soziologin Silke van Dyk hervorgehoben. In dieser Themenlinie des Festivals wurde weniger das Alter als vielmehr Fragen der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen reflektiert. Die Bedeutsamkeit der Unterscheidung, wann wir über Alter und wann wir

über Generationen sprechen, wurde uns erst im Laufe des Festivals durch all diese künstlerischen Positionen so richtig deutlich. Ebenso wie die Erkenntnis, dass es gar nicht so einfach ist, ein Festival über, von und mit ›Alten‹ zu machen, weil am Ende bei den Künstler*innen ein großes künstlerisches Interesse an einem Generationenaustausch besteht und scheinbar weniger an den Themen Alter und Altern. Die von Silke van Dyk formulierten Hinweise, genauer zu schauen, wo wir es mit Generationendifferenzen zu tun haben und nicht mit Altersspezifika, ebenso wie die Erkenntnis, dass bestimmte Prägungen nicht zu bestimmten Altersphasen gehören, sondern zu bestimmten Generationen und dass bestimmte Positionierungen durch alle Altersstufen durchgehen – über all das konnte man in diesen ›GenerationenArbeiten‹ sehr gut reflektieren.

Abschied In der zweiten Themenlinie des Festivals wurden Rituale des Loslassens und des Abschiednehmens sowie das Sterben und der Tod bearbeitet. Liz Rosenfeld und Rodrigo Garcia Alves beschäftigten sich in ihrer Arbeit Thank you for your effort, even if these requests cannot be fulfilled mit möglichen queeren Praxen der Sterbebegleitung, der gegenseitigen Fürsorge, Freundschaft, Liebe und Pflege in wahlfamiliären Verbindungen. Die Gruppe Interrobang ließ uns in ihrer Audioinstallation Deep Godot auf einen Pflegeroboter treffen, eine Künstliche Intelligenz, mit der wir bereits in jüngeren Jahren unsere zukünftigen Wünsche für die Alters- und Pflegebegleitung besprechen konnten. Die Choreografin Doris Uhlich nahm uns in ihrer Arbeit Tank mit auf einen Science-Fiction-Körpertrip zwischen Isolation und Konservierung. Siegmar Zacharias und Steve Heather führten uns durch eine Online-Klangmeditation, in der die transformative Kraft der kollektiven Trauer, des kollektiven Hörens auf die Stimmen der Vorfahren, der Geborenen und Ungeborenen erlebbar wurden. Cora Rudy van Dongen Frost und Franz Reimer hielten die Erinnerungs-Séance Sogar dein Tod war ein Geschenk über eine große Freundschaft, den Abschied von und das künstlerische Erbe des Schauspielers und Freundes Walter Ladengast. Die Regisseurin und Performerin Corinne Maier verhandelte in ihrem Stück Die Zufügung den Tod von und die Trauer um die Theaterautorin Gerlind Reinshagen, die während der Proben zu einem gemeinsamen Stück 2019 verstarb.

In seiner Arbeit Alter Hase feierte Lajos Talamonti mit ehemaligen Weggefährt*innen sein 38-jähriges Bühnenjubiläum in der Freien Szene und befragte sie und sich selbst nach ihren Wendepunkten im Leben nach ihrer gemeinsamen Tanzausbildung und den darauffolgenden unterschiedlichen Karriere- und Lebensstationen und den jeweiligen Abschieden von der Bühne. Die Beschäftigung mit diesen Themen war für die Künstler*innen mit sehr persönlichen Erlebnissen, Reflexionen und schmerzhaften Erfahrungen verbunden. Trauerprozesse, die eigene Vergänglichkeit, der Abschied von geliebten Menschen, das Schwinden der eigenen Kräfte und die veränderte Körperlichkeit – all das zu veröffentlichen, war für viele ein Novum. Der etwas altmodische Begriff der Katharsis schien hier auf die eine oder andere Weise für Performer*innen und Publikum seine willkommene Wirkung zu entfalten. Hier wie gesamtgesellschaftlich finden Prozesse von Abschiednehmen, Trauer, Loslassen und Sterben eher hinter verschlossenen Türen statt und damit häufig als unsichtbarer oder gar nicht vorhandener Teil des Lebens. Öffentliche Reflexion und Austausch können auch hier viel zur Enttabuisierung und zu heilsamer Erfahrung in Gemeinschaft beitragen. Erfahrungsaustausch und eigene Beispiele sind hilfreich, um diese Lebensbereiche nicht allein bewältigen zu müssen und vielleicht auch alternative Umgangspraxen zu entwickeln. Insofern können die Performing Arts wichtige Impulse geben und neue Formen der gemeinsamen Erfahrung und Reflexion ermöglichen.

Körper Auffällig war sogar in diesem spezifischen Festival die Abwesenheit von alternden Körpern – ein Phänomen, das wir trotz intensiver Bemühungen nicht wirklich zu ändern vermochten. Durch die Pandemie wurde dieses Manko einmal mehr verstärkt. Die Videoarbeit der Künstlerin Vanessa Stern Gebeine. Die Frieda, die ich meine war eigentlich als eine Live-Arbeit mit einer motivierten Gruppe älterer Damen geplant, die sich in einigen Workshops unter Anleitung von Vanessa Stern mit der Figur der Komischen Alten beschäftigt hatten. Die Videoarbeit ist nun etwas anderes geworden, aber durchaus auch sehr lohnend anzuschauen mit spannenden Ebenen zum Thema Erinnern und Alter.4 Auch die Arbeit von Isabel Schwenk und Markus Schmans Im Wald mit … eine generationenübergreifende Wanderung durch Berlin war als Live-Show mit Großeltern und ihren Enkelkindern auf der Bühne geplant, in der sie ihre gemeinsamen Wanderungen reflek-

tieren. Auch dieses Stück ist am Ende in anderer Form auf Vimeo gelandet.5 Entgegen dem Mythos, die Freie Szene sei ja schon so viel diverser als das Stadttheater – diverser vielleicht ja, divers noch nicht – wurde hier einmal mehr schmerzlich das Fehlen von alten Körpern deutlich. Wir haben diese Leerstelle als Beweis dafür verstanden, dass die sozioökonomischen Parameter und Strukturen der Freien Szene für das Altern und andere marginalisierte Positionen eine besondere Herausforderung bedeuten, die es auf unterschiedlichen Ebenen stärker zu reflektieren und aktiv zu füllen gilt.

Diskursformate In den Diskursformaten, zwei Paneldiskussionen und einer Peer-toPeer-Akademie, beschäftigten wir uns schließlich mit den bereits erwähnten strukturellen und sozioökonomischen Fragen. Was bedeutet es, in den prekären Strukturen der Freien Szene zu altern? Wie wird dieses Arbeiten den Ansprüchen der verschiedenen Lebensphasen und Lebensalter gerecht? In der Berliner Gesprächsrunde6 mit langjährig tätigen Künstler*innen und Gruppen und ihren Überlegungen und Forderungen zum Älterwerden in der Freien Szene kam treffend ein Grundtenor zur Sprache: Keiner will alt sein, alle wollen alt werden. Denn als Künstler*in geht es auch um Labeling und einen Marktwert, der mit dem Attribut alt versehen – so die Befürchtung vieler Künstler*innen – nicht unbedingt wächst. Etabliert sein – ok, schon länger dabei – ok, aber nicht alt. Um noch einmal auf die Impulse von Silke van Dyk zurückzukommen und einige ihrer Gedanken zu paraphrasieren: Ageismus geht von den unmarkierten mittleren Lebensjahren aus. Von da aus wird das Alter als das Andere besprochen und markiert. Wenn z. B. über die Alten gesprochen wird, die geschützt oder gefördert werden müssen, sie aber nicht mehr als die Handelnden selbst angesehen werden. In den gängigen Narrativen bringen die Jungen Kreativität, Impulse, das Neue, Innovativität und Tempo. Die Alten hingegen stehen für Ruhe, Erfahrung, Loyalität und Kooperationsbereitschaft. Im Kunstkontext sind diese Zuschreibungen – wie in vielen anderen Feldern der Gesellschaft – problematisch, weil sie die Älteren als besonnene Hintergrundressource sehen, aber nicht mehr als die, die kreativ sind, die Ideen haben oder etwas voranbringen. Auch im künstlerischen Kontext der Performing Arts ist es dringend notwendig, diese festgefahrenen Narrative ordentlich durch-

zuschütteln und neue hervorzubringen. Die Auseinandersetzung mit dem Attribut »alt« ist hier noch recht neu und nach wie vor negativ konnotiert. In den Gesprächen war immer wieder zu spüren, wie um einen konstruktiven, kreativen, positiven und fröhlichen Umgang damit gerungen wird. Viele etablierte Künstler*innen wollen natürlich in der Freien Szene alt werden, aber nicht alt sein. Das Ringen um das »gute« Altern hat also in unserem Feld erst begonnen.

Kurze Schlaglichter zum Schluss Wie alle anderen Marginalisierungsmarker ist auch das Alter einer, der kontinuierlich in der Programmarbeit der Theater mitgedacht werden sollte. Trotz Nachwuchsarbeit und Newcomer-Fixiertheit der Freien Szene muss es zukünftig stärker um die Schnittstellen zwischen gender, race, ableism, class und age gehen, wobei das Alter eben nicht an letzter Stelle stehen sollte, wo es am Ende doch allzu oft vergessen wird. Es bleibt zu hoffen, dass das Thema Altern mit seinen verwandten Themen in den kommenden Jahren einen selbstverständlichen Platz im Kanon der Performing Arts einnehmen wird. Durch die zunehmende Betroffenheit vieler Künstler*innen und Kollektive vom Thema des Alterns/Alters rutscht der Kampf für bessere sozioökonomische Strukturen, die ein gutes Altern und Altsein als Künstler*in in den Performing Arts ermöglichen, hoffentlich immer weiter nach oben auf der kulturpolitischen Agenda. Nichtsdestotrotz bleibt die Repräsentation von Alter und das wie auch immer zu definierende »gute« Altern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, welche die künstlerische Praxis nur in Zusammenarbeit mit vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen und der Politik gemeinsam verbessern kann. Die Frage der Generationensolidarität stellt sich zunehmend in der Arbeit der Freien Szene, in den Häusern, Spielstätten, Programmen, Produktionen, Arbeitsweisen. Die Herausforderung besteht hier ebenso wie gesamtgesellschaftlich darin, die Unvereinbarkeit von ökonomischen und solidarischen Interessen so weit wie möglich zu verringern. In der Freien Szene wird der Wunsch nach Austausch, Wissenstransfer und Wertschätzung des jeweiligen Erfahrungsschatzes der Generationen untereinander immer präsenter und findet mehr und mehr seinen künstlerischen Ausdruck und eine gelebte Arbeitspraxis. Kuratorische Impulse und gezielte Programmarbeit können viel dazu beitragen, die Arbeit an diesen Fragen und Debatten in den Performing Arts zu unterstützen und weiter voranzubringen und damit den verschiedenen Stages of Ageing dauerhaft eine Bühne zu geben.

1 Im Zusammenhang mit allen in diesem Text erwähnten paraphrasierten Thesen Silke van Dyks vgl. auch ihre Publikation: van Dyk, Silke: Soziologie des Alters, Bielefeld 2020. 2 Weitere Gäste neben der Soziologin und Altersforscherin Silke van Dyk waren Janina Benduski (u. a. Beirätin und Mit-Initiatorin der Studie Systemcheck/ Bundesverband Freie Darstellende Künste, PAP Berlin), Almuth Fricke (Leiterin kubia – Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur, Köln), Angie Hiesl (Choreografin, Performance- und Installationskünstlerin, Köln), Hannah Zufall (Autorin, Theatermacherin, Berlin, Mitinitiatorin The Golden Age Netzwerk), Moderation: Franziska Werner. 3 Coming of Age – ein Performancefestival, sophiensæle Berlin, 15.09. – 07.11.2021; Kuration und künstlerische Leitung: Joy Kristin Kalu, Franziska Werner; Dramaturgie: Alexander Kirchner. Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds. 4 Vgl. www.diefriedadieichmeine.de. 5 Vgl. https://vimeo.com/619113202. 6 »Stages of Ageing I: Altern in der Freien Szene – das Berliner Panel«, Moderation: Joy Kristin Kalu, Franziska Werner; Gäste: Rahel Häseler (andcompany&Co.), Christoph Winkler, Lisa Lucassen (She She Pop), Sarah Thom (Gob Squad), Cora Frost; sophiensæle Berlin, 25.10.2021.

Irgendwann entspricht man

nicht mehr dem Schönheitsideal

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