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Ich bin sicher, ich war schon einmal älter

Hannah Zufall und Ariane Koch

– Ich möchte eigentlich gar nicht viel sagen, sondern lieber schnellstmöglich die erzählen lassen, um die es hier geht. – Sie sind da und zugleich nicht da. – Nie da gewesen. – Noch nicht da.

Nicht, weil ich SAGE, dass ich ich bin, bin ich ich, nein, weil ich WEISS, dass ich ich bin, sage ich die Wahrheit, wenn ich behaupte, dass ich ich bin. Soviel steht fest, aber – ähm – aber – Sein. Nichtsein. Sein! Wenn ich einatme, atme ich das Sein ein. Das, was wirklich ist. Mit der Luft werden die Stoffe in mein Denken geschleust. Das Sein geht direkt HIER rein! Hier ins Reptilienhirn! Ich nehme es IN MIR auf. Das Entscheidende ist – mhm

Wo war ich …? Ach ja, die Wahrheit –

– Sie sind alt und gleichzeitig nicht alt. – Ja, welches Alter haben eigentlich die alten Figuren einer jüngeren Autorin? – Vielleicht kommen wir uns entgegen. Sprich, ihre und meine

Lebensjahre addiert und durch zwei geteilt. – Vielleicht ist das tatsächliche Alter der Figuren auch nicht so wichtig. – Oder es ist eben gerade wichtig. – Machen die Figuren mich als Autorin reicher an Perspektiven und sind sie vielleicht in manchen Aspekten jünger und mir mehr Schwester als gedacht? – Oder sind sie mir voraus, die eigenen Figuren, nicht nur an

Jahren, sondern auch an Wissen? – Was weiß ich schon? – Wer spricht, wenn ich sie etwas sagen lasse? Ältere Frauen, die ich im Kopf habe? – Klischees? Potenzielle Vorbilder, die es kaum gibt? – Meine Großmutter und Urgroßmütter? Wer wird sie verkörpern? – Sie werden nicht verkörpert. – Warum nicht?

– Niemand möchte sie verkörpert haben. – Natürlich will man sie verkörpert haben, aber in der verjüngten

Version. – Sag ich doch, eine Verkörperung der Verkörperung. – Der Wunsch nach ewiger Jugend wird mitverkörpert. – Der Wunsch nach dem ewig jugendlichen Körper wird mitverkörpert. – Frauenkörper. – Der alte Körper wird mit einem jungen Körper überblendet. – Das Altern wird zensiert. – Das Alte wird zensiert. – Die Alte.

Schauen Sie mit mir ans andere Ufer. Der Blick wird klarer, wenn Sie die Augen dabei geschlossen halten. Stellen Sie sich vor, dort drüben wartet der Tod auf Sie. Nicht Ihr eigener Tod, so weit gehen wir heute nicht, nein, dort wartet der personifizierte Tod. Wie sieht der Tod aus? Ist er männlich? Eine absurde Frage, sicher. Doch in unseren Abbildungen hat der Tod meist ein Geschlecht, haben Sie darüber schon einmal nachgedacht? Früher, in meiner Zeit, in einer alten Zeit, gab es noch den Tod und die Tödin. Ein Todespärchen, das sich gemeinsam den Job teilte. Sozusagen Bonnie und Clyde des Volksglaubens.

– Bedeutet jetzt alt und weiblich sein schwach zu sein? – Mag sein. Nein, eigentlich nicht. Aber falls doch: Heißt das dann, dass Schwäche auf der Bühne nicht gezeigt werden soll?

Das wäre mir aber neu … das Theater ist doch so stolz auf seinen

Auftrag, den Finger in die Wunde zu legen. – Die Wunde muss anscheinend frisch sein. – Wegen dem Theaterblut? – Vielleicht. Das ist halt effektvoller. – Was ist mit den sprichwörtlichen alten Wunden, die wieder aufreißen? – Gute Frage. – Generell ist es natürlich einfacher, sich mit Stärke statt mit

Schwäche zu identifizieren. Jung ist besser als Alt. – Ach ja? – Aber wieso verbinden wir mit Alter keine Stärke? Als wäre es nicht verdammt hart gewesen, so weit zu kommen – ohne zu sterben. Als bräuchte es keine Willenskraft, es all die Jahre auszuhalten.

– Ja. Aber Grausamkeit ist anziehend, Schmerz hingegen nicht. – Magst du einen Tee mit mir trinken? – Gerne. – Ich habe aber nur Blasen- und Nierentee da. Leber- und Gallentee. Kamillentee. Frauentee. – Danke, dann lieber nicht. – Siehst du. – Mhm?

Es ist ja immer so still – wenn keine was sagt. Manchmal, wenn man lange schweigt und dann den Mund leicht öffnet, riecht es nach Erde. Muffig, ja. Aber anders. Wir erkennen den Geschmack von früher mit der Zunge von heute und den neuen mit der von gestern.

– Und wer hat jetzt noch mal gesagt, dass Alter mit Schmerz einhergeht? Warum nicht mit Grausamkeit, mit Lässigkeit, mit

Stärke! Nimm etwa Agnes und Alithea, das sind zwei Theaterfiguren aus Stücken von uns, die es gibt und die doch selten vorkommen. Die eine ist dement und gibt vor, eine Göttin zu sein, vielleicht ist es aber auch genau andersherum. Die andere kümmert sich bis zur Selbstaufgabe um andere, das heißt nein, eigentlich ist ihre Fürsorge tödlich. Es spielt auch keine Rolle, da sie eine Rolle spielen. – Sie sind Hauptrollen. Könnten es jedenfalls sein, sind es aber wie gesagt selten. Welchen interessanten älteren weiblichen

Rollen – neben Claire Zachanassian in Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame – kennt man denn aus dem sogenannten klassischen Kanon? – Ist diese Claire eine interessante Rolle? – Dann vielleicht lieber die Amme in Romeo & Julia? Was gibt es da sonst noch? – Großmütter. Namenlos. – Sehen Sie. – Sie sehen sie eben nicht. – Warum will sie niemand sehen? – Wen? – Sehen Sie. – Wir können sie, die wir nicht sehen wollen, nicht kennen.

– Würden wir sie denn mögen, wenn wir sie kennenlernen würden? – Klar! – Oder wir haben womöglich Angst vor ihnen. – Nicht vor ihnen, nur vor dem, was sie uns voraushaben. – Die Lebenserfahrung? – Wer sagt, dass ältere Frauen reicher an Erfahrungen seien? – Warum reden wir immer nur über die älteren Frauen? Was ist mit den älteren Männern? – Wir reden über die, die wir nicht sehen. – Nicht mehr sehen. – Noch nicht sehen.

– Es geht ums Überleben – Oder ums Sterben. Wir überleben doch schon viel zu lange. Irgendwann ist doch auch mal gut. Nach all diesen Millionen von Jahren. Irgendwann dürfen dann doch auch mal die nächsten. Wir sind ja schon ganz staubig, so lange sitzen wir hier schon rum

– Warum mögen wir das Alter nicht? – Wir mögen den Tod nicht. – Aber wir mögen doch den Tod. Junge Frauen sehen wir gern auf der Bühne sterben. Darüber wurden bereits ganze Bücher geschrieben. Der Tod und das Mädchen. Das Trauerspiel. – Alte Frauen hingegen … – Sehen wir nicht sterben. Weder freiwillig noch unfreiwillig.

Leben sehen wir sie aber auch nicht. – Wir wollen ihr gemächliches Sterben nicht sehen. – Das unser eigenes Sterben ist. – Weil ich dann eigentlich über meine eigene Zukunft als alte

Frau schreiben würde. Über mein eigenes Altern. Über mein eigenes Ende. Und damit auch über Ihre Zukunft, Ihr Alter und

Ihr Ende.

Als ich lernte in die Zeit zu schauen Nicht nur zurück, sondern auch nach vorn Und kommen sah, was ihr nicht wissen wollt Dieses Schwimmen

– Nun, erst einmal schreiben wir doch über die Gegenwart. – Aber wie verändere ich die Vergangenheit und ihre Wirklich-

keit, wenn ich sie in der Gegenwart aufschreibe? – In welche Zeit schreiben wir uns hier eigentlich hinein? Ist das überhaupt unsere Zeit? – Wem gehört die Zeit? – Wem gehört die Bühnenzeit? – Im Publikum, da sitzen der älteren Menschen viele. – Außer bei den Schulvorstellungen morgens. – Abends, da sitzen die Alten in den weichen Sesseln und nicken mit den Köpfen. – Warum ist das ein Problem? – Ich habe nicht gesagt, dass das ein Problem ist. – Aber fühlt sich das ältere Publikum überhaupt angesprochen?

Sind die Spielpläne für sie gemacht? – Klassisch gleich alt. – Konservativ gleich alt. – Das ist auch ein gemeines Vorurteil. – Man wünscht sich aber doch ein jüngeres Publikum. – Man könnte. – Könnte schon. – Klar, könnte man auch. – Als Möglichkeit. – Die mit dem Abonnement. – Ernstnehmen als Zielpublikum. – Vielleicht magst du doch ein Schluck Blasen- und Nierentee? – Was hast du immer mit dem? Warum trinkst du das Zeug überhaupt? – Blasenentzündung. Darüber gibt es auch keine Stücke. – Anderes Thema. – Ach ja? – Von meiner Mutter weiß ich, denn sie ist Psychogerontologin, dass chronische Blasenentzündungen zu dementen Zuständen führen können. Vor allem im Alter. – Ach ja? – Oder ist das auch ein anderes Thema?

– Also mit meinem EIGENEN Altern habe ich keine Probleme, aber mit dem

Altern der ANDEREN. Das Altern der anderen stimmt mich irgendwie traurig – Wie traurig? – Punktuell, wie wenn jemand mit kleinen Nadeln in meine Rinde sticht, manchmal merke ich es, manchmal nicht.

– Vielleicht weil man das eigene Sterben ja sowieso nicht bemerkt, aber das schleichende Sterben der anderen sehr wohl?

– Genau genommen sterben wir doch mit jedem Atemzug. Unsere Zellen sterben ab und erneuern sich, die ganze Zeit. Und irgendwann bauen wir einfach mehr Zellen ab als auf. Es ist ein steter Prozess.

– Ein Zyklus. So wie bei den Eizellen. – Und ab so ungefähr vierzig … – Verschwinden die Eizellen. Erst werden sie weniger, dann bleiben sie ganz aus. – Wie die alten Frauen auf der Bühne. – Wie die Figuren für älteren Schauspielerinnen. – Spielen die Eizellen eine Rolle? – Oder ist es ein Zufall. – Es gibt diese traurige Idee der nicht mehr fruchtbaren und deshalb nutzlosen Frau. – Was verschwindet eigentlich zuerst? Die Schauspielerinnen über vierzig oder die interessanten Frauenfiguren? – Frau oder Ei? – Diese Fragen, führen die irgendwohin? Mit mir hat das nichts zu tun. – Sicher? – Ich glaube, meine Figuren sind immer uralt, kommen aus irgendeinem Urmeer, sind schon Jahrhunderte herumgetrollt. – Oder tragen verschiedene Alter in sich? – Kann man Figuren schreiben, die alle Alter in sich tragen? – Warum sollte man. – Zum Beispiel: Kann eine reife Figur –– Was heißt reif? Älter? – Kann also eine reife Figur unschuldig sein?

Ich bin sicher Ich war schon einmal älter Als ich es jetzt bin Die Evolution ist recht schnell vonstattengegangen Ich muss sagen, ich habe fast nichts davon mitbekommen Mir ist, als käme ich nun nicht mehr vom Fleck In dem, was man Zeit nennt Weil sich um mich herum kaum mehr etwas bewegt Obwohl ich früher einmal die Schnellste war

– Ich finde es traurig, dass ich jetzt noch viele sein darf – und irgendwann nur noch wenige. – Aber dürfen wir nicht auch jetzt schon nur mittelviele sein, als

Frauen? – Und irgendwann sind unsere Rollen, auch die gesellschaftlichen, so begrenzt. – Die Fische im Aquarium werden immer weniger. – Ja, so ähnlich. – Oder wir angeln immer dieselben gesellschaftlichen Zuschreibungen. – Vielleicht sollte ich den Angler*innenschein machen. Wobei ich

Mühe hätte, einem Fisch mit dem Stock auf den Schädel zu hauen. – Bis er tot ist. – Oder sie, die Fischin. – Ich will keine Fischin umbringen. – Aber würde es helfen, wenn wir uns die älteren Frauen vermehrt als Mörderinnen vorstellen? – Wem oder was soll das bitteschön helfen? – Es würde helfen, wenn die älteren Frauen mehr Handlungsspielraum haben. – Aber es hilft nicht, wenn die Handlungen aus Verbitterung passieren. – Ein Schluck Leber- und Gallentee? Ist gut für die Verdauung.

Glaubst du, sie lügen mich an? Nein, aber sie erzählen sich gern Geschichten. Man muss sich selbst eine Burg sein. Ich kenne die Leute im Dorf, sie sind, wie sie sind, und jetzt verblöden sie noch mehr. Jede Beerdigung ist eine Befreiung. Jede Beerdigung? Hörst du dir eigentlich selbst zu? Ach, immer weg mit Schaden!

– Wie prägt mich die Sprache einer anderen vorausgegangenen

Generation, wenn ich beginne, mich in ihr auszudrücken? – Du konnotierst sie automatisch anders, indem du sie jetzt benutzt. – Oder reproduziere ich sie? – Wir sind alle ständig altersdiskriminierend – und merken es nicht einmal. – Aber gibt es das auch umgekehrt? – Wie meinst du?

– Manchmal fühle ich mich meinen Studierenden gegenüber auch ein wenig überlegen, und die sind ja nur ein paar Jahre jünger. – Wir gelten aber alle noch als jung, du, die Studierenden, ich. – Wir dürfen als Frauen untereinander keinesfalls missgünstig werden, egal in welche Altersrichtung. – Warum nicht? Warum sollte ich die Frauen mehr schonen als die Männer? – Reden wir jetzt über Geschlechterdiskriminierungen oder übers

Altern? – Das geht Hand in Hand.

Ein paar Kinderkörper gebadet Aufgeräumt, nachdem sich ein paar Kinderkörper selbst gebadet hatten Selbst gebadet Wasser aufgesetzt Der Schmidli einen Tee gebracht Dem Meyer einen Tee gebracht Selber Tee getrunken Während des Stopfens der Socken Eingeschlafen Und dann und wann eine Niederkunft Im Ehebett

– Denkst du, eines Tages spielt das Alter keine Rolle mehr? – Aber ist es das Ziel, die Differenzen auszulöschen? Ich erinnere mich gerade an die feministische Philosophinnen-Gemeinschaft Diotima. Die glauben an die Kraft von ungleichen Beziehungen zwischen Frauen. – Affidamento. – Sie glauben, dass wir gerade wegen unserer Differenzen voneinander lernen können. – Das Alter ist immerhin eine konstante Ungleichheit, mit der wir umzugehen lernen müssen. – Und wenn du jetzt noch das biologische Alter deiner Zellen dazunimmst (da sind sie wieder, diese Zellen!), dann wird es gänzlich kompliziert. Vielleicht sind meine Zellen aufgrund chronischer Blasenentzündungen ja schon kurz vor der Demenz und mein eigentliches Alter, biologisch gesehen, ist circa fünfzig. – Und würde das jetzt etwas ändern?

– Nicht wirklich. Obwohl. – Ich habe bei meinen Figuren auch noch nie zwischen tatsächlichem und biologischem Alter unterschieden. Sollte ich vielleicht mal. – Das könnte man dann fein säuberlich bei den Dramatis Personae auflisten: Agnes, Alter in Jahren 92,4; biologisches Alter 74,6.

Und ist man, wenn man in Neuseeland aus dem Flugzeug aussteigt, zwölf Stunden jünger als vorher? Ich glaube älter Aber das ist nur das eine, das andere ist – Fitnessstudio, Agil ins Alter, Zumba Kann ich jetzt bitte noch einen Schluck Cognac haben, ohne dass mir die Pflegeassistentin nachher den Nachtisch kürzt? Sowieso habe ich Lust, am immer gleichen Ort zu stehen Ob mit Rollator oder ohne Genau, hier beweg ich mich nicht mehr weg Die Füße wie zwei Klötze Von mir aus können die am Boden festgeschraubt sein, von mir aus kann da Regen, kann da Sturm kommen Vulkanausbruch Und ich strecke meine Äste der Sonne entgegen FEEL FREE Und wenn ich Lust drauf habe, werde ich hundert Jahre alt Ich bin nicht alt, es gibt immer noch ältere Wer hat hier was von alt gesagt? Das Alter ist mir Hans wie Heiri

– Oder: Alter scheißegal, aber bitte nicht mit einer jungen Schauspielerin besetzen. – Also Jugenddiskriminierung. – Genau. – Mhm. – Ich mache das mittlerweile beim Schreiben. Wenn es eine Figur gibt, bei der ich noch unschlüssig bin, welches Geschlecht und

Alter sie haben soll, dann lasse ich sie alt und weiblich sein.

Eine Art Ausgleichsmechanismus. – Ein Beitrag zur Diversität? – Ja, warum nicht. – Vielleicht interessieren dich die älteren Frauen einfach mehr.

Immerhin sind da noch viele Bedeutungslücken, die du beschreiben kannst. – Und dadurch wird die Theaterlandschaft ein kleines bisschen besser und vielfältiger. – Zugleich gefällt mir dieser Optimierungsgedanke daran schon wieder nicht. – Warum dieses Unbehagen?

Wer hatte eigentlich diese schreckliche Idee, dass man sich immer weiterentwickeln muss, dass man grösser oder kleiner, schneller oder besser werden muss? Dass man Schwimmhäute braucht oder diese Säbelzähne? Dass es so etwas wie Evolution geben muss?

– Jugendwahn ist auch Optimierungswahn. Wenn ich nichts arbeite, bin ich auch nichts wert. – Der Diskurs ist alt. – Und deshalb unbeliebt? Unsichtbar? – Deshalb umso mächtiger. – Aber diese Verbindung von Jugend und Arbeit als Fundament deines gesellschaftlichen Nutzens und deiner Identität, das ist noch ein recht junger Gedanke. Historisch gesehen. Oder doch nicht? – Nun, gerade wenn man bedenkt, dass du dein Selbstwertgefühl durch deine Selbstverwirklichung im Beruflichen gewinnst, besonders ja in diesen künstlerischen Berufen gewinnst, und du dann als Frau sowohl nicht mehr vorkommst auf und hinter der Bühne ab einem gewissen Punkt und in der Öffentlichkeit auch nicht mehr, da trifft sich schon was sehr ungünstig. Du wirst nicht mehr repräsentiert auf diesen Brettern, die sonst was bedeuten sollen und im Café übersehen dich selbst die

Kellner*innen. Dabei könnte man doch auch sagen: Hello

Wechseljahre – ich bin raus aus dem Hormonzirkus und nun frei für was Neues. – Ja, wo sind diese Stimmen? – Wo sind diese Frauen? – Hallo? – Haaaallllooooo?!

– Diese ganze Zeitverschwendung, die Zeit aufzuhalten – Der Lauf der Dinge – KANN ICH JETZT BITTE IN RUHE ALTERN?

– Aber es gibt sie doch. – Ja, sie sitzen im Publikum. Sie sind die Sprecherzieherinnen, nachdem ihr Vertrag nicht mehr verlängert wurde. Sie kommen in der ersten Version des Opern-Librettos noch vor, aber dann wollte man doch lieber die junge Geliebte als weibliche Hauptfigur. Ältere Sängerinnen gibt es nämlich nicht im festen

Ensemble und Gäste – tja … die kosten Geld. – Warum sind die festen Ensembles der Stadt-, Staatstheater und

Opernhäuser eigentlich immer zu zwei Drittel Männer und nur zu ein Drittel Frauen? – Na, die Schauspielerinnen kriegen irgendwann Kinder. – Ach, die Schauspieler nicht? – Nein. Nicht so. – Wie dann? – Mensch, Männer sind doch quasi nur so ein Drittel Vater, aber zwei Drittel Schauspieler. – Aha, und bei den Frauen ist andersherum? Das würde jedenfalls die Ensemblezusammensetzung erklären. – Und warum da mehr ältere Typen sind als Frauen. – Zu wie viel Drittel bin ich eigentlich kinderlos?

Ich war zuerst da. Ich war mutterseelenallein und gänzlich zufrieden damit. Es gab eine Steppe, durch die man lange gehen konnte, ohne dass sich einem ein einziger Baum in den Weg stellte. Ich schlief nicht in Löchern, sondern unter der aufgehenden Sonne, folgte ihrem Licht und kam ihr jeden Tag ein Stückchen näher. Hie und da eine Wüstenspringmaus, manchmal der Wind, der die Sandkörner in unendlich vielen neuen Kombinationen stapelte. Als ich diese Eier legte, als sie einfach aus mir hinauspurzelten, da wollte ich mich eigentlich gleich davonmachen, wollte weiterziehen, schließlich hatte ich die Sonne noch nicht erreicht. Ich habe sofort gewusst, dass die Eier mich nicht brauchen, habe gewusst, dass ich diese Eier nicht brauche. Ich habe es trotzdem nicht geschafft zu gehen. Also bin ich geblieben und habe zugeschaut, wie aus jedem einzelnen Ei etwas schlüpfte. Das sind meine Kinder.

– Mutterschaft, oder don’t go there? – Immer diese Tabus! – Ist es noch zu früh für ein Glas Wein? – Oder schon zu spät? – Vor kurzem las ich, dass wir Menschen zu den sehr seltenen

Spezies gehören, deren Weibchen schon so früh unfruchtbar

werden. Andere Arten, deren Weibchen sich nicht mehr fortpflanzen können, sterben dann eigentlich recht bald. Es braucht sie ja nicht mehr. – Warum ist das bei uns anders? – Eine Erklärung ist, dass wir die älteren Weibchen brauchen, um der restlichen Horde wichtiges Wissen zu vermitteln. Die älteren Frauen sind quasi die Wissensspeicher der Menschheit.

Evolutionär betrachtet würde das wohl am ehesten Sinn ergeben. – Ergibt Evolution Sinn?

– Maikäfer, flieg … Der Vater ist im Krieg …

Die Mutter ist in Pommerland … Pommerland ist abgebrannt …

Eigentlich kein schönes Lied. Mein Mamachen hat’s uns oft vorgesungen. – Und du hast es meiner Mutter vorgesungen. – Sicherlich nicht. Solchen Erinnerungen war sie gar nicht gewachsen. Zu sensibel das Kind. Mochte ja nicht mal essen, als es endlich wieder was gab. Immer das Theater am Tisch, die Erbsenpulerei. Deine Mutter wusste gar nicht, wie gut wir’s hatten. Hat ihr alles nicht geschmeckt, hat alles wieder ausgespuckt. Wieder und wieder musste ich sie damit füttern. – Was? Womit? – Na, mit dem Erbrochenen. – Nein! – Doch.

– Wollten wir nicht eigentlich unsere Figuren für sich sprechen lassen? Die älteren Frauenfiguren, die wie ein goldener Faden durch unsere Texte mäandern? – Sprechen sie nicht längst? – Durch uns? – Unser Gespräch wäre ohne sie gar nicht zustande gekommen.

Wir beide würden uns gar nicht kennen ohne diese Frauenfiguren. – Sie haben Ähnlichkeiten, manche von ihnen. – Mindestens eine von ihnen ist durch meine Urgroßmutter geprägt. – Wie hieß deine Uroma? – Wanda Luise. – Ein schöner Name. Ich weiß nicht einmal, wie meine Uroma hieß.

– Die Namen dieser Generation werden ja gerade wieder beliebt. – Clara. – Alma. – Oskar. – Emil. – Theo. – Gerda. – Naja. Die Namen dieser Generation kann man eben so schön sentimental romantisieren. Aber wo ist Sabine, wo ist Petra, wo

Susanne und wo Claudia …?

Sie ist verdeckt Immer steht etwas im Weg Sodass nur Ausschnitte zu erhaschen sind Gehört dieser Ellenbogen zu mir Und diese Nasenspitz Lange habe ich mich geduckt Damit kein Augenpaar mich zu erhaschen in der Lage ist

Wer deckt mich zu Wer deckt mich auf Wer hört mir zu Wenn nicht damals Dann wenigstens jetzt

Wer etwas sagen darf Dem fällt das Wahre zu Auch wenn die Worte nur gelegt werden in meinen Mund Wie farbige Dragées Blau rot grün gelb sprudelnd Die wahre Farbe bleibt uns verwehrt

Mit Ausschnitten aus den Stücken Gloria, Maikäfer, Freund Hein. Ein Audiowalk mit dem Tod, Verdeckt, Die toten Freunde (Dinosauriermonologe) sowie Wer ist Walter von Ariane Koch und Hannah Zufall.

© Ariane Koch, Aufführungsrechte bei Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG, Berlin

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