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»Was man im Alter so erlebt, kenne ich seit meiner Kindheit«
Ein Interview mit Gerda König
Ich bin Gerda König, geboren 1966. Ich arbeite seit 25 Jahren als künstlerische Leiterin der DIN A 13 tanzcompany in Köln. Das ist ein mixed-abled-Ensemble. Wir arbeiten mit Tänzer*innen mit und ohne körperliche Besonderheiten und sind international in Kooperation mit den Goethe-Instituten in vielen Ländern der Welt tätig, um weitere mixed-abled-Kompanien zu initiieren.
Was bedeutet das Thema Alter im Augenblick für dich persönlich? Das Thema Alter spielt in meinem Zusammenhang weniger eine Rolle. Was man im Alter so erlebt – dass man mehr Hilfe braucht, dass man nicht mehr so viel kann, dass man erschöpfter ist oder mehr auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen ist –, kenne ich seit meiner Kindheit. Durch meine Behinderung erlebe ich diesbezüglich keine Veränderung, weil all das für mich schon immer Alltag war.
Was bedeutet das Thema Alter bezogen auf deine künstlerische Arbeit? Im mixed-abled-Tanz arbeiten wir immer mit sehr diversen Körpern, die sehr diverse Arten haben, sich zu bewegen und sich auszudrücken. Sie haben ein ganz anderes Bewegungspotenzial, sodass es keine Rolle spielt, ob jemand alt oder jünger ist. Es ist einfach anders. In unserer künstlerischen Auseinandersetzung geht es genau um diese differenzierte und diverse Bewegungsäußerung, die die unterschiedlichen Tänzer*innen haben, und gar nicht so sehr um das Alter.
Wie erlebst du das Älterwerden als Frau in unserer Gesellschaft? Mit diesem Thema war ich schon als junger Mensch konfrontiert, denn als Frau mit Behinderung ist man einfach eine Frau dritter Klasse. Insofern ist das heute für mich kein Thema. Gleichzeitig glaube ich, dass ich mit meinen 54 Jahren recht jung geblieben bin, weil ich immer in Kontakt mit vielen jungen Leuten bin. Im Verhältnis zu anderen Menschen in meinem Alter, die ich kenne, bin ich, glaube ich, nicht so alt geworden.
Wie stellst du dir dein Altsein vor? Ich glaube, dass ich auch im Alter, also in zehn oder zwanzig Jahren, immer noch künstlerisch tätig sein werde. Das ist einfach Teil meines
Lebens. Ich kann mir mein Leben gar nicht vorstellen, ohne kreativ zu sein, Dinge umzusetzen, Ideen zu haben und diese in die Gesellschaft zu tragen. Insofern glaube ich nicht, dass ich mit dem künstlerischen Prozess jemals aufhören werde. Vielleicht wird er sich verändern. Vielleicht werden die vielen Reisen, die wir gemacht haben, nicht mehr in dem Maße stattfinden können, weil ich einfach mehr auf mich aufpassen muss. Aber ich glaube, in Rente zu gehen, wäre nicht mein Ding. Selbst wenn ich gar nichts mehr könnte, also wirklich nur noch im Bett liegen und noch nicht einmal mehr aufstehen könnte, hätte ich doch immer noch Ideen. Und dann würde ich die immer noch umsetzen, wenn auch vielleicht im kleineren Rahmen. Ich glaube, ich würde immer einen Weg finden, um irgendeine künstlerisch-kreative Idee umzusetzen.
Sollte sich in Bezug auf die ältere Generation gesellschaftspolitisch etwas ändern? Ich denke, es wäre sinnvoll, alte Menschen stärker in soziale Kontexte zu integrieren und Menschen nicht ins Altersheim abzuschieben. Ich denke auch, dass die jüngere Generation im Dialog mit älteren Menschen viel lernen kann. Man muss einfach lernen, in anderen Zusammenhängen, in anderen Strukturen zu denken. Wenn das Thema Diversität ist, betrifft das auch das Alter, bei dem man umdenken muss und sollte.
Welche Rolle spielt beim Thema Altwerden dein soziales Umfeld? Ich habe eine sehr feste Struktur von Freund*innen, die schon über Jahrzehnte mit mir zusammen sind, genauso wie Kolleg*innen, mit denen ich künstlerisch arbeite. Dazu kommt eine jüngere Generation von Tänzer*innen und Kolleg*innen, die mit mir arbeiten, sowie meine Assistent*innen, die für mich mitarbeiten. Sie alle sind jünger. Insofern habe ich einen sehr ausgewogenen Umgang mit Menschen, die in meinem Alter sind und Menschen, die noch viel jünger sind als ich. Das macht es sehr lebendig und ist erfrischend. Es kommen immer wieder neue Impulse von außen, sodass man auch weiterhin am Puls der Zeit ist.
Siehst du in der Kunst einen zunehmenden Generationenkonflikt? Wenn ich die jüngeren Leute sehe, mit denen ich zu tun habe, dann bewegen sie sich teilweise in Welten, die ich nicht hatte. Sie arbeiten auf einem Bauwagenplatz oder setzen sich sehr mit der GenderThematik auseinander, die wir damals in dem Alter noch nicht als so
zentrales Thema hatten. Es konfrontiert mich mit vielen neuen Impulsen und unterschiedlichen Lebensrealitäten. Gleichzeitig konfrontiert mich die Arbeit in anderen kulturellen Kontexten im Ausland mit interkulturellen Differenzen. Generell finde ich es spannend, diese Differenzen durch meine Arbeit immer wieder zu thematisieren und somit immer in einem neuen Erfahrungsaustausch mit jungen Menschen zu sein und zu erfahren, wie sie sich mit Themen auseinandersetzen. Als ich mich zum Beispiel mit dem Thema »Technolimits« beschäftigt habe und wir uns sehr kritisch mit künstlicher Intelligenz und Human Enhancement auseinandergesetzt haben, haben viele junge Menschen das erst mal nicht verstanden. Sie haben nach dem Grund für die Kritik gefragt, weil das doch eigentlich alles fantastisch sei. Ihren Standpunkt zu betrachten und auch die Faszination zu verstehen, war in dem Moment wichtig. Es gibt in jeder Kunstsparte die sogenannten alten Hasen, die immer da sind und die immer dableiben werden. Solche Ikonen sind auch wichtig. Und es gibt die Youngsters, die einfach nachkommen mit neuen Ideen, mit Neuentwicklungen, mit Dingen, die dagegensprechen, im Kontrast stehen. Ich glaube, oft haben es die jüngeren Generationen schwerer, auf ein Niveau zu kommen, auf dem sie innerhalb der Kunstszene akzeptiert werden. Es dauert lange, sich zu etablieren. Das haben wir alle mal durchgemacht. Die Anfänge sind einfach schwer. Aber ich glaube, das ist kein Generationenkonflikt, sondern abhängig davon, wie bedeutend ein*e Künstler*in ist oder war.
Sollten Künstler*innen irgendwann von sich aus zurücktreten, um jüngeren Künstler*innen Platz zu machen? Wenn ich meine Anfangsaussage betrachte, dass ich nicht aufhören werde, Kunst zu machen, bis ich alt bin oder gar nicht mehr kann, und mir das wichtig ist, ist es natürlich schwer, davon zu reden, zurückzutreten. Ich glaube, das kann man auch nicht so erwarten. Künstlerin zu sein, ist etwas anderes, als innerhalb einer Firma eine bestimmte Position innezuhaben. Das ist ja nicht irgendein Job, sondern Teil von uns als Persönlichkeiten. Insofern finde ich es schwierig, von einem Zurücktreten zu reden. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass man auch diesbezüglich die Generationen in Austausch bringt. Wenn ich als ältere Choreografin für jüngere, neue Tanzschaffende da sein kann, um sie zu coachen oder aus generationell unterschiedlichen Perspektiven einen künstlerischen Prozess anzuschauen, kann das total spannend sein. Ich fände es sehr spannend, an einem künstlerischen Prozess von einem ganz jungen Choreografen beteiligt zu sein.
Wie erstellen Jüngere ihre Konzepte? Was für Fragen haben sie? Wie gehen sie an ihre Arbeitsprozesse? Ich fände es spannend, künstlerische Entwicklungsprozesse von deren Seite zu sehen und daraus Erfahrung zu sammeln.
Siehst du in der Kunstförderung einen Bedarf speziell für ältere Künstler*innen? Es ist sehr notwendig, diese Frage in die Förderkonzepte einzubeziehen, aber nicht, indem ein separates Antragsverfahren für ältere Kunstschaffende aufgelegt wird. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass natürlich Mehrkosten für ein mixed-abled-Ensemble entstehen. Ich brauche Assistent*innen. Ich brauche Rampen. Ich brauche Barrierefreiheit. Ich brauche für ein Stück vielleicht eine*n Dolmetscher*in. Das muss in den Förderkonzepten nachjustiert werden. Wenn dafür ein zusätzlicher Topf bereitgestellt wird, zeigt man, dass es vonseiten der Fördereinrichtungen als wünschenswert angesehen wird, Leute zu ermutigen, eben genau in dem Kontext zu denken und verschiedene Menschen unterschiedlicher Kulturen, Altersgruppen und Diversitäten mit einzubeziehen.
Gibt es spezielle Ziele, die du noch erreichen möchtest? Was ich mir sehr wünschen würde und wo wir dran arbeiten, ist, dass sich Tanzhochschulen für mixed-abled-Arbeit öffnen: dass Menschen mit einer körperlichen Besonderheit an den Hochschulen für Tanz in Deutschland zugelassen werden und die Chance haben, eine Ausbildung zu machen. Gleichzeitig profitieren davon dann die anderen Tänzer*innen an den Hochschulen, die keine körperliche Einschränkung haben – in ihrer künstlerischen Arbeit, in ihrem Denken, in ihrem Ausdruck und ihrem körperlichen Bewusstsein.
Was soll von deiner Arbeit später bleiben? Ich finde es toll, wenn Stücke von herausragenden Choreograf*innen wie zum Beispiel Pina Bausch weiter gezeigt werden. Ich finde es toll, dass man die Stücke sehen kann, obwohl jemand gestorben ist. Das würde ich in meinem Fall auch begrüßen. Irgendwann ist das natürlich vorbei, aber die Möglichkeit, dass auch in zehn, zwanzig Jahren jemand Stücke sehen kann, sei es digitalisiert oder live performt, sehe ich als Bereicherung für die Nachwelt. Ein altes Bauwerk guckt man sich ja auch gerne an und erfreut sich an der alten Baukunst.
Welche Bedeutung hat das Archivieren für dein Werk? Wir haben alle Stücke von damals bis heute archiviert. Es ist schön, den Prozess zu sehen: Wo man vor 25 Jahren war und wo man heute steht und wie die Entwicklung war.
Ist das Label DIN A 13 nach deiner aktiven Zeit beendet? Nein, auf keinen Fall. Also, das will ich nicht hoffen. Ich möchte DIN A 13 gar nicht so sehr mit meinen Namen verknüpft haben, der natürlich damit verbunden ist, aber DIN A 13 ist DIN A 13. Wir haben das Team, und es sind so viele Dinge, die darin inbegriffen sind, die Workshop-Arbeit, die Schularbeit, die künstlerische Arbeit, jetzt unser mixed-abled-Netzwerk, das Education-Programm M.A.D.E. Und deswegen – nein, auf keinen Fall. Das ist eine kleine Institution, die muss bestehen.
Gekürzte Fassung des Interviews, geführt von Angle Hiesl + Roland Kaiser am 01. Dezember 2020 im Rahmen der Recherche zum Thema Kunst und Alter.