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»Manchmal habe ich das Gefühl, Kunst von älteren Menschen ist unsichtbar«

Ein Interview mit Constantin Hochkeppel

Mein Name ist Constantin Hochkeppel und ich bin 1990 geboren. Ich bin Theatermacher im Bereich Physical Theatre. Ich arbeite mit meiner eigenen Company KimchiBrot Connection. Wir sind in Köln und im Ruhrgebiet ansässig. Darüber hinaus arbeite ich mit der Performing-Group zusammen, wir machen Tanz für junges Publikum. Zudem arbeite ich projektbezogen als Choreograf und Regisseur für verschiedene Stadttheater.

Was bedeutet das Thema Alter im Augenblick für dich persönlich? Ich bin gerade dreißig geworden. Vor fünf bis zehn Jahren war dreißig noch lange hin. Dreißig war: »Da bin ich angekommen.« Jetzt bin ich dreißig und ich würde nicht sagen, dass ich angekommen bin. Wobei ich auch nicht wüsste, wo ich ankommen sollte. Da hat sich eine Perspektive verändert für mich. Ich merke, dass ich anders wahrgenommen werde, ich habe gefühlt eine Art Welpenstatus verloren. Ich finde das toll, dass ich so sein kann, wie ich bin. Auch wenn mir sehr bewusst ist, dass ich weder so aussehe noch mich so verhalte, fühle ich mich im Kern immer noch so wie mit achtzehn. Ich erfahre eine Art Kontinuität in meiner Persönlichkeit. Wegen meines Geburtstages habe ich mich mit dem Thema Alter auseinandersetzen müssen und es hat mir überraschenderweise keine Angst gemacht. Das fand ich schön. Alter und Älterwerden ist in unserer Gesellschaft negativ besetzt. Irgendwann entspricht man nicht mehr dem Schönheitsideal. Man hat Falten, kriegt vielleicht eine Plauze oder schütteres Haar oder kann nicht mehr das leisten, was man mal geleistet hat, als man noch jung war. Ich erfahre das momentan an meinem Körper. Das ist ein schöner Prozess, weil es was Bewusstes ist.

Was bedeutet das Thema Alter im Augenblick auf deine künstlerische Arbeit bezogen? Für meine künstlerische Arbeit stellt sich mir die Frage, wie lange ich noch auf der Bühne stehen kann, ganz praktisch. Wie lange kann ich noch das physisch darstellen, was ich darstellen möchte? Inwiefern kann ich meinen Erwartungen noch gerecht werden? Inwiefern muss ich meine Erwartungen anpassen an meine körperlichen Fähigkeiten? Oder gibt es vielleicht in dem Feld andere Positionen, wie zum Beispiel

Choreografie oder Regie, die ich dann perspektivisch eher einnehmen werde und auch möchte? Thematisch hat sich das bisher noch nicht so niedergeschlagen in den Arbeiten. Wobei ich merke, dass das Thema Intergenerationalität immer präsenter wird in der Gesellschaft und in meinen eigenen Arbeiten.

Welche Erfahrungen hast du in der Zusammenarbeit mit älteren Künstler*innen? In allen Fällen, in denen ich mit älteren Menschen zusammengekommen bin – und älter meint jetzt vielleicht über fünfzig –, war das eine ganz tolle Zusammenarbeit, weil ich das Gefühl hatte, ich selbst werde respektiert in meiner künstlerischen Vision und künstlerischen Persönlichkeit. Und auf der anderen Seite: Ich darf mit so einem reichen Geschöpf, reich an Erfahrung und an Wissen, arbeiten. Da findet ein Geben und Nehmen statt, ein Austausch von Wissen und Erfahrung. Was darunter liegt: Offenheit und ein Gefühl von Sicherheit.

Wie erlebst du das Älterwerden als Mann in unserer Gesellschaft? Ich habe das Gefühl, dass ich aufgrund meiner Homosexualität noch einmal anderen Erwartungen oder anderen Bildern ausgesetzt bin. Ich habe momentan das Gefühl, dass ich mich davon ganz gut emanzipiert habe. Es gibt in meinem Freundeskreis aber auch Männer, die älter sind und die ein Verhalten gegenüber Jüngeren und auch Frauen an den Tag legen, das ich ganz widerlich finde. Ich merke, dass Mannsein mit einem gewissen Habitus einhergeht, der sich sehr stolz über andere stellt. Als männlich gelesene Person hat man heutzutage meiner Meinung nach immer noch einen ganz anderen Stand in der Gesellschaft.

Du stehst als junger Künstler noch am Anfang deiner Karriere, was bedeutet dies für dich? Gibt es spezielle Ziele, die du künstlerisch erreichen willst? Je älter ich werde, desto mehr kommt der Satz, ich müsste eigentlich schon das und das gemacht haben, in den Vordergrund. Das hat mit einem gewissen Erwartungs- und auch Produktionsdruck zu tun, den man hat, wenn man sich etablieren möchte. Ich bin gerade an einem Punkt, wo ich mich frage: Sollte es wirklich mein Ziel sein, den und den Preis zu gewinnen, da und da zu arbeiten oder als Person überhaupt bekannt zu werden, so viel zu arbeiten, dass ich ständig auf der Bildfläche bin? Oder sollte ich im Gegenteil eher das machen, was ich wirklich interessant finde, Produktionen absagen, die ich nicht so

spannend finde, und eher meine künstlerischen Interessen vertiefen? Jetzt lege ich den Grundstein für die nächsten Jahre, Jahrzehnte. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht muss ich gar nicht irgendwo ankommen, sondern es kann einfach irgendwie weitergehen. Da kommt dann das Projekt und dann das nächste Projekt, und da öffnet sich noch mal die Tür. So, wie es die letzten vier Jahre gewesen ist, kann es sehr gerne weitergehen, weil das befreit war von der Überlegung, wo will ich hin, was will ich machen, sondern einfach ein Offensein für Möglichkeiten war. Und ich fand das ganz angenehm.

Siehst du dich eher als Einzelkünstler oder eher in Kollektivstrukturen eingebettet? Wo siehst du dich in der Zukunft? Ich mag es, kollektiv zu arbeiten, egal, ob ich der künstlerische Leiter bin, der die Entscheidungen trifft, oder Teil eines Kollektivs mit kollektiven Entscheidungen. Kollektivität prägt meine Arbeit, egal, ob ich als Einzelkünstler unterwegs bin oder mit meiner Company. Wir haben eine sehr flache Hierarchie, auch wenn wir klare Rollenzuweisungen haben. Wir merken, dass gerade diese Arbeitsweise – auf der einen Seite klare Verantwortlichkeiten, auf der anderen Seite aber eine flache Hierarchie und eine gute Kommunikation – uns sehr weit bringt.

Wie stellst du dir dein Älterwerden und Altsein vor? Wünsche, Hoffnungen, gibt es möglicherweise eine Diskrepanz zu der erwarteten Zukunfts-Realität? Was mir Angst macht, ist die Zukunft unseres Planeten und die Zukunft unserer Gesellschaft, weil ich das Gefühl habe, dass wir vor so viele Herausforderungen gestellt sind, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt immer maroder wird und mehr und mehr bröckelt. Deswegen will ich mir gar nicht ausmalen, wo ich mit fünfzig sein könnte, weil ich gar nicht weiß, ob ich mit fünfzig überhaupt noch lebe. Wenn ich das ausspreche, hört sich das schwarzmalerisch an, aber das sind tatsächlich Sorgen, die ich habe und die auch irgendwie mein Handeln bestimmen. Eine Hoffnung ist, dass die Politiker*innen, die nun mal das Ruder in der Hand halten, checken, dass Kapitalismus nicht das Nonplusultra ist und uns definitiv nicht helfen wird, wenn wir noch länger als die nächsten hundertfünfzig Jahre auf dieser Erde leben wollen.

Hast du das Gefühl, dass die Zukunftsangst auch in deine/eure Arbeit einfließt? Ja, habe ich. Dieses Thema ist in den letzten ein bis anderthalb Jahren immer akuter geworden. In unserer nächsten Produktion wird das auf

jeden Fall ein Thema sein. Da geht es zum Beispiel um Verlust. Ich finde es wichtig, dass sich Kunst damit auseinandersetzt, weil Kunst noch mal einen ganz anderen Zugang zum Menschen hat als Politik. Weniger über den Kopf, mehr über das Gefühl. Das Ding ist halt nur, dass gerade die Menschen, die diese Kunst eigentlich sehen, hören, mitbekommen sollten, nicht die Möglichkeit oder den Wunsch haben, diese Kunst wahrzunehmen.

Sollte sich in Bezug auf die jüngere Generation gesellschaftspolitisch etwas ändern? Es täte uns allen gut, wenn die Generationen mehr Kontakt zueinander hätten. In unserer Gesellschaft haben sich ganz viele Subgesellschaften ausgebildet, die kaum miteinander kommunizieren, und das finde ich unglaublich schade. Ich bin ja leider auch nur in meiner Subkultur unterwegs. Ich tue selbst auch wenig dafür, diese Mauern zu durchbrechen. Ich würde gerne mehr Kontakt mit älteren Menschen haben. Ich habe Freunde und Freundinnen, die älter sind als ich, und ich finde, dass ihre anderen Sichten auf die Welt bereichernd sind.

Kannst du genauer sagen, auf welchem Gebiet sie bereichernd sind? Hast du vielleicht ein Beispiel? Ich merke, dass ich viel lernen kann in Bezug auf Politik und auf größere Zusammenhänge, zum Beispiel geschichtliche Zusammenhänge oder Kausalitäten. Und in Bezug auf die Sicht auf Liebe und auf Partnerschaft. Ich merke, dass ich mir von älteren Menschen, was den Umgang miteinander angeht, viel abgucken kann. Ich war damals noch nicht geboren, aber ich habe das Gefühl, dass die Integrationspolitik der BRD in den Anfängen schon katastrophal war und wir deswegen heute in 2020 in einer Gesellschaft leben, die eben nicht divers ist, sondern in sich, in den einzelnen Subkulturen, sehr homogen ist. Ich würde gerne in einer Gesellschaft leben, in der das gesellschaftliche Klima so ist, dass ein florierender, konstruktiver Austausch stattfindet und man gemeinsam zu neuen Einsichten kommt.

Siehst du in der Kunst einen zunehmenden Generationenkonflikt? Ich habe schon das Gefühl, dass diejenigen, die die Gelder verteilen, zu wenig divers sind, und das meint auch zu wenig generationenübergreifend. Generell gibt es zu wenig Menschen, die jung sind und Entscheidungsmacht haben, auch in der Kunst. Ich erinnere mich, dass du mal gesagt hast, dass es ganz wenige Fördermöglichkeiten für ältere Künstler*innen gibt. Das finde ich bedauerlich, da ich es so wertvoll finde,

mit älteren Menschen zusammenzuarbeiten und zusammenzuleben, weil ich das Gefühl habe, dass durch ihre Erfahrung ein Bewusstsein für das besteht, was sie machen wollen und auch nicht machen wollen. Aber ob ich einen Generationenkonflikt sehe? Also, da fehlt mir dann auch so ein bisschen Bewusstsein für eure Perspektive.

Inwieweit können jüngere von älteren Künstler*innen bzw. ältere von jüngeren Künstler*innen profitieren? Generell können die Jungen vom Erfahrungsschatz der Älteren profitieren, wenn die Älteren gewillt sind, ihn auch zu teilen. Und die Älteren können von den Jüngeren lernen, offen zu sein für neue Wege, neue Methoden, neue Ästhetiken. Ich finde es unglaublich berührend zu sehen, wie sich ältere Menschen auf der Bühne bewegen. Ich habe das Gefühl, dass dieses Elefantengedächtnis in jeder Bewegung dabei ist, und das hat sowas unglaublich Fragiles und unglaublich Reiches. Ich finde diese fragile Reichhaltigkeit sehr berührend und häufig auch weise. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Kunst von älteren Menschen, die nicht bekannt sind, unsichtbar ist. Angie Hiesl + Roland Kaiser, das ist in Köln ein Begriff. Aber ich habe das Gefühl, dass andere Künstler*innen in eurem Alter wenig vertreten sind in Köln. Das mag daran liegen, dass es sie nicht gibt, aber es kann auch genauso gut daran liegen, dass sie einfach nicht sichtbar sind. Auf der anderen Seite nehme ich sehr viele Künstler*innengruppen in meinem Alter oder ein bisschen drüber wahr. Auch im Stadtbild.

Was denkst du, woran es liegt, dass gerade in der Kunst, wie du sagst, die Älteren gar nicht so sichtbar sind? Woran liegt es, dass ich das nicht wahrnehme? Vielleicht ist das eher die wichtige Frage. Ich merke, dass ich Vorbehalte habe. Mein großes Vorurteil ist, dass Kunst, die von älteren Menschen kommt, gestrig ist. Und wenn ich das so sage, tut es mir leid, weil das natürlich nicht per se stimmt. Vielleicht sollte ich mir vornehmen, mir mehr Kunst von älteren Menschen anzuschauen. Ich kenne natürlich Werke von Pina Bausch zum Beispiel, die ja jenseits der sechzig noch Kunst gemacht hat. Das ist eines der wenigen Beispiele, die ich nennen könnte. Speziell auf Köln bezogen, fallen mir ganz wenige Kölner Künstler*innen, die älter sind ein. Ich sollte die Augen offenhalten.

Was ist es genau, dass dich die Kunst von Jüngeren mehr interessiert als die von Älteren?

Vielleicht ist es die Agilität. Würde ich mich entscheiden müssen zwischen einer installativen Performance und einem schnellen, energetischen Tanzstück, würde ich das schnelle, energetische Tanzstück wählen. Und diese schnellen, energetischen Tanzstücke sind meiner Erfahrung nach eher von jüngeren Menschen initiiert oder inszeniert. Wohingegen die Kunst von älteren Menschen eher kontemplativer ist. Darauf hat dann doch die leitende Person einen entscheidenden ästhetischen Einfluss. Ich denke jetzt zum Beispiel an VA Wölfl oder Pina Bausch. VA Wölfl ist älter, aber hat halt junge Tänzer*innen. Der hat einen sehr krassen, ästhetischen Einschlag, genauso wie Pina Bausch. Trotz der jungen Tänzer*innen sieht man manchmal oder häufig das Alter, weil das mit dieser künstlerischen Setzung zu tun hat. Weil die Setzung meiner Meinung nach im Alter viel klarer ist.

Würdest du sagen, das hat etwas von ›bereits mehrmals gesehen‹ oder ›kennt man*frau schon‹? Das finde ich sehr zweischneidig. Dieses ›kennt man schon‹ spricht ja auch für eine Handschrift. Und das hat eine ganz starke Qualität, wenn eine persönliche künstlerische Handschrift vorhanden ist. Man kann das Rad nicht neu erfinden, alles war irgendwie schon mal da.

Wie müsste etwas von einer älteren Person sein, damit es dich verblüfft? Es müsste eine immersive, multimediale, hochenergetische Physical-Theatre-Performance sein. So etwas würde ich nicht von einer älteren Person erwarten.

Stellst du schon körperliche Veränderungen fest? Wenn ja, welche? Und wie wirken sie sich auf deine Kunst aus? Ja. Ich stelle körperliche Veränderungen fest. Ich habe zum Beispiel schneller Schmerzen, Gelenkschmerzen vom Tanzen. Und ich muss mehr arbeiten, um körperlich fit zu bleiben. Bisher haben diese und andere körperliche Veränderungen noch keinen großen Einfluss auf meine künstlerische Praxis gehabt. Das wird sich ändern, mit Sicherheit.

Hast du eine Vorstellung, wo es hingeht, was passieren könnte? Ein Weg ist natürlich runter von der Bühne und hin zum Choreografen oder Regisseur. Eine andere Möglichkeit wäre, die Konzepte so anzupassen, dass sie auch von Menschen getanzt werden können, die körperlich nicht mehr so fit sind wie 18-Jährige, und sie dann selbst

tanzen. Man sieht mir mein Alter an oder kann das einschätzen. Und das spielt auf der Bedeutungsebene wahrscheinlich immer mit, sodass ich getrost das weitermachen kann, was ich bisher mache, mit einem veränderten Körper und dadurch mit einer weiteren Bedeutungsebene.

Sollten Künstler*innen irgendwann von sich aus zurücktreten, um jüngeren Künstler*innen Platz zu machen? Welche Grundvoraussetzungen wären dafür notwendig? Ältere Menschen sollten aufhören, Auto zu fahren. Aber ich finde nicht, dass ältere Menschen aufhören sollten, Kunst zu machen, weil ich der Meinung bin, dass ältere Menschen jüngeren Menschen auch in der Kunst viel geben können, zum Austausch und zum Nachdenken anregen können. Was natürlich heißt, dass es Plattformen geben sollte, wo sich junge und ältere Künstler*innen begegnen, dass es Förderung geben muss sowohl für Nachwuchskünstler*innen als auch für ältere Künstler*innen und die dazwischen. Und nicht nur Förderung, sondern auch Orte, an denen sie ihre Kunst machen können. Nicht ausschließlich ältere Künstler*innen, denn schön wäre, wenn es generationenübergreifend ist.

Welche Bedeutung hat das Archivieren für dein/euer Werk? Über das Archivieren habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Was ich daran spannender fände, im Gegensatz zu Dokumentationen, wäre eine Archivierung des Arbeitsprozesses, weil der ja meistens viel spannender ist als das Produkt selbst. Wie man dahingekommen ist, kann Dokumentation in der Regel wenig abbilden. Ich fände es spannend, mir das bewusst zu machen und dann zu archivieren, um das als Blaupause nehmen zu können, um das anderen Künstler*innen zugänglich zu machen.

Was soll von deiner/eurer Arbeit später bleiben? Spielt der Begriff künstlerisches Erbe für dich dabei eine Rolle? Natürlich ist das eine schöne Vorstellung, dass in hundert Jahren mein Enkel stolz darauf sein kann, was sein Opa gemacht hat, oder dass in zweihundert Jahren gesagt wird: Die Kunst des Constantin Hochkeppel hatte einen großen Einfluss auf die heutige Performance-Szene. Das hat was Romantisches und Sentimentales, aber auch was sehr Egoistisches und auch was Narzisstisches. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Bekannter, der jetzt ein Kollege von mir ist, Physical Theatre studiert hat, weil er ein Stück von uns gesehen hat, dann zu einem Workshop von uns gegangen ist und gefragt hat, wo man das denn

studieren kann. Jetzt arbeitet er als Physical-Theatre-Darsteller. Es ist schön, Theater-Papa zu sein. Wenn ich Menschen begeistern kann, Theater zu sehen oder selbst Theater zu machen oder Tanz oder was auch immer, dann ist mir das als künstlerisches Erbe schon genug. Ich muss nicht die Gewissheit haben, dass noch in hundertfünfzig Jahren von mir gesprochen wird als bedeutender Theatermacher.

Wie gehst du deine Alterssicherung an? Wegen der Rente habe ich den hohen Beitrag in der Künstlersozialkasse weiterlaufen lassen. Ich habe auch eine private Altersvorsorge, in die ich einzahle, und jetzt steht noch die Riester-Rente auf meinem Plan. Ich weiß gar nicht, ob ich dazu überhaupt berechtigt bin. Aber ja, das ist etwas, womit ich mich auseinandersetze. Es bricht mir das Herz, wenn ich alte Menschen Pfandflaschen sammeln sehe. So möchte ich nicht enden. Jetzt kann ich noch Geld in meine Altersvorsorge stecken. Jetzt habe ich Gott sei Dank noch eine Mutter, die mich unterstützen kann, weil sie verbeamtet ist. Das heißt, da bin ich privilegiert.

Wie stellst du dir das Ende deines künstlerischen Schaffens vor? Gibt es überhaupt ein Ende vor deinem Tod? Ist das nicht sogar Molière, der auf der Bühne gestorben ist? Sowas will ich nicht. Ich habe mich noch nicht mit dem Ende meines künstlerischen Schaffens auseinandergesetzt, weil ich der Überzeugung bin, wenn es kommen soll, dann wird mir das sehr deutlich kenntlich gemacht. Solange es Menschen gibt, die mit mir arbeiten möchten, wird das sicherlich nicht der Fall sein. Solange es Menschen gibt, mit denen ich arbeiten möchte, wird das auch nicht der Fall sein. Solange ich Dinge zu sagen habe, würde ich gerne weiter Kunst machen. Und wenn ich dabei sterbe, nun ja, dann habe ich halt Kunst bis zum Ende meines Lebens gemacht. Und wenn ich als Postangestellter sterbe, dann hat mir mein Leben gezeigt: Okay, jetzt ist es auch mal gut mit der Kunst. Ich sehe das sehr pragmatisch.

Gekürzte Fassung des Interviews geführt von Angie Hiesl + Roland Kaiser am 13. Oktober 2020 im Rahmen der Recherche zum Thema Kunst und Alter.

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