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Geschichtsträchtig
Erich Hackl
Am Seil
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Ab 1939 hingen sie zu dritt am Seil, Reinhold Duschka, Regina Hilde Kraus und ihre damals zehnjährige Tochter Lucia. Was das bedeutete, war dem leidenschaftlichen Bergsteiger klar. Das Sichern beim Bergsteigen bedeutet ein Höchstmaß an Verantwortung. Sich sichern zu lassen wiederum geht mit Abhängigkeit und Vertrauen einher. Reinhold Duschka entschied sich 1939, Mutter und Tochter vor der Deportation zu retten und zu verstecken – zunächst in seiner Werkstatt für Kunsthandwerk in der Mollardgasse 85a (eine Gedenktafel erinnert daran), nach schwerem Bomben beschuss 1944 in zwei weiteren Unterkünften bis zum Ende des Krieges. Er versorgte sie mit Nahrung und Büchern, lehrte sie sein Kunsthandwerk und ermöglichte es ihnen mitzuarbeiten. Er begab sich in Todesgefahr und rettete den beiden so das Leben. In kristallklarer Sprache, in der kein einziges Wort bedeutungslos oder unnötig wäre, voller Kunstfertigkeit und Poesie erzählt Erich Hackl diese wichtige und wahre Geschichte.
–––– von Eva-Maria Niegel
Diogenes, 128 S., € 20,60
Ljuba Arnautović
Im Verborgenen
Ljuba Arnautović erzählt eine Geschichte aus der Vergangenheit, die dennoch eine ungeheure Aktualität aufweist. Wie weit reicht die Zivilcourage, wenn es darum geht, jemanden zu verstecken? Würden wir verfolgte Freunde abschieben lassen? Zulassen, dass Menschen, längst Teil unserer Gesellschaft, plötzlich weg müssen und unter schrecklichen Bedingungen in Lager interniert werden? Mit 60 Jahren schrieb Ljuba Arnautović ihr Romandebüt – und was für eines. Sie erzählt ihre eigene Familiengeschichte, ausgehend von ihrer Großmutter Eva, die während der Nazizeit immer wieder Menschen in ihrer Wohnung versteckte. Diese Geschichte nimmt Arnautović zum Anlass, tief in die österreichische Zwischenkriegszeit einzutauchen: Die Kämpfe im Februar 1934, der Einmarsch der Nazis – all das wird spürbar durch einen nüchternen, ja manchmal fast distanzierten Erzählstil, der doch eine große Empathie hervorruft. Eva wird nicht als Heldin dargestellt, ihrer Figur fehlt jegliches Pathos. Sie tut einfach das, was sie tun muss, weil es das Richtige ist. Was würden wir tun?
–––– von Petra Hartlieb
Picus, 192 S., € 22,00
Robert Streibel / Bernhard Herrmann
Der Wein des Vergessens
Als Robert Streibel und Bernhard Hermann begannen, für ihr Buch zu recherchieren, kam ihnen aus der Region nur Ablehnung entgegen. Schließlich beschäftigten sie sich mit wichtigen Dingen, die untrennbar mit österreichischen Traditionen verknüpft sind: Die Wachau und ihr Wein. Die Autoren stießen zufällig auf Tausende Briefe und Dokumente, in denen es um die Arisierung des berühmten Weingutes „Sandgrube“ geht. Dieses gehörte dem jüdischen Geschäftsmann Paul Robitschek und seinem Lebensgefährten August Rieger. Jüdisch und schwul zu sein – das waren gleich zwei Gründe zur Denunziation, und so wurde das Weingut sang- und klanglos 1938 arisiert. Die beiden Autoren begannen nachzuforschen und erzählen in Romanform eine unglaubliche Geschichte von Verrat und Treue, Liebe und Geschäft, Vernichtung und Verdrängung. Das Buch und das darauf folgende Presseecho gaben am Ende den Ausschlag für die Wachauer Winzergenossenschaft, sich ihrer verdrängten Vergangenheit endlich doch zu stellen. „Allzu lang waren wir uns der historischen und moralischen Problematik nicht bewusst und wollen uns nun den kritischen Fragen dieser Zeit aufrichtig stellen. Wir bedauern, dass wir nicht bereits früher angemessen reagiert haben“, hieß es nun vonseiten des Vor standes der 1938 gegründeten Winzergenossenschaft.
–––– von Petra Hartlieb
Residenz, 256 S. mit 24 S. Bildteil, € 24,00