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«Apollo»-Mission in klein
Apolls Kinder
Studentinnen und Studenten der ETH Lausanne werden im Juli im Innern des Gotthards einen zweiwöchigen Aufenthalt auf dem Mond simulieren. «Asclepios 2» ist die zweite analoge Weltraummission, die vollständig von Studierenden geplant und umgesetzt wird.
TEXT DOMINIC GRAF | FOTOS VALENTIN FLAURAUD/KEYSTONE
So nahe war Veronica Orlandi ihrem Traum noch nie. Seit ihrer Kindheit ist die Italienerin fasziniert vom Weltraum. Eine Faszination, die sich zu einem konkreten
Berufswunsch entwickelte und sie schliesslich an die Eidgenössische
Technische Hochschule Lausanne führte. Und heute, mit nur 24 Jahren, leitet sie eine Mission zum Mond. Fast zumindest.
Exklusive Praxiserfahrung
Denn bei «Asclepios 2» handelt es sich «nur» um eine simulierte Raumfahrtmission, in welcher der Aufenthalt in einer dem Mond analogen Umgebung getestet wird. Rund fünfzig Studierende aus fünfzehn Nationen im Alter zwischen 18 und 32 Jahren nehmen am Projekt teil und kümmern sich in verschiedenen Teams um das Management, das Design, die Experimente sowie um die Kommunikation. Obwohl ihnen namhafte Mentoren zur Seite stehen, wie etwa der ehemalige Schweizer Astronaut Claude Nicollier, liegt das Projekt komplett in der Hand der Studierenden. Sie entscheiden über alles und tragen die Verantwortung. «Deshalb ist ‹Asclepios› so interessant für mich: Ich kann endlich das ausprobieren, wovon ich mein Leben lang geträumt habe», schwärmt Veronica Orlandi, die, wie sie sagt, einen grossen Teil ihrer Zeit ins Projekt investiert.
Das Hauptziel von «Asclepios» sei folglich die Ausbildung, die in Form von Workshops und Schulungen für analoge Missionen sowie vom EPFL Space Center und anderen Labors im Rahmen von Semesterprojekten durchgeführt wird. Für die Teilnehmenden eine grosse Chance. Wann erhält man schon die Gelegenheit, Praxiserfahrung in der Weltraumwissenschaft zu sammeln? Demnach ist auch für alle klar, dass sie später einmal in der Raumfahrtindustrie arbeiten wollen und sich als die Astronautinnen, Raumfahrtingenieure und Mitglieder des Mission Control Centers von morgen betrachten. Passend dazu wurde eine symbolträchtige Bezeichnung für das Projekt gewählt: Benannt nach Asklepios, dem Sohn des griechischen Lichtgottes Apoll, spielt der Name auf das legendäre «Apollo»Programm der NASA in den 1960er und 1970erJahren an. Das Studentenprojekt sieht sich demnach als «kleines ‹Apollo› Programm», und die jungen Teilneh
Rund fünfzig Studierende
aus fünfzehn Ländern nehmen an der analogen Weltraummission teil und sammeln erste, wertvolle Berufserfahrung
Totale Isolation ist eine essenzielle Voraussetzung für die Authentizität der simulierten Mission
Im Innern des Gotthards werden sechs Astronauten zwei Wochen auf einer Mondbasis verbringen
«Asclepios» will dazu beitragen,
dass Menschen eines Tages fern der Erde leben können
DIE BILDER ZEIGEN DIE «ASCLEPIOS 1»-MISSION IM JAHR 2021 UND STEHEN SYMBOLISCH FÜR «ASCLEPIOS 2», DAS IM JULI 2022 STATTFINDET. menden stehen sozusagen sinnbildlich für Apolls Töchter und Söhne.
Zwei Wochen völlige Isolation
Nachdem die erste «Asclepios»-Mission im letzten Jahr erfolgreich ihre analoge Mondbasis im Felslabor Grimsel aufschlug, wurde für «Asclepios 2» die einst streng geheime Festung Sasso da Pigna tief im Innern des Gotthardmassivs gewählt. Hier werden im Juli 2022 sechs Astronauten in völliger Isolation während zweier Wochen stationiert sein, Experimente durchführen und, als Hauptmissionsziel, nach möglichen Wasserquellen suchen. Beobachtet und beaufsichtigt werden sie dabei rund um die Uhr vom Mission Control Center (MCC), wo sich die Verantwortlichen in Schichten abwechseln. «Die Wahl fiel auf die Gotthardfestung, weil sie die nötige Isolation gewährleistet und dadurch realitätsnahe Bedingungen für die Kommunikation zwischen der Basis und dem MCC schafft», erklärt Veronica Orlandi, die während der Mission als Flight Director vom MCC aus die Operation leiten wird. Sie sparen sich zwar den weiten Weg von knapp 400 000 Kilometern zum Erdtrabanten, und auch auf die geringere Schwerkraft müssen sie verzichten, aber ansonsten würden die Abläufe, Konditionen und Standards jenen der Raumfahrtindustrie entsprechen. «Wir halten uns streng an die offiziellen Protokolle der NASA und ESA», so Orlandi. Auch die monatelangen Vorbereitungen und das Training gehen sie mit vollster Seriosität an. Zurzeit würde sich die Astronautencrew in Verbier
(VS) zusammen mit dem französischen Abenteuerer Alban Michon – auch er ein «Asclepios»-Mentor – auf die physischen Herausforderungen, die auf dem Mond herrschen, vorbereiten. Wie ein Lavatunnel auf dem Mond Ein weiterer Grund für die Standortwahl im Gotthard liefert die felsige Umgebung im Berginnern, die durchaus mit einer Lavaröhre am Südpol des Mondes vergleichbar sei. Die Raumfahrtwissenschaft misst diesen Lavatunnels tatsächlich eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Errichtung bemannter Mond«Ich kann endlich das basen bei. Sie schützen vor Strahlung, Kälte und Mi krometeoriten, und, so ausprobieren, wird vermutet, sie könnwovon ich ten Wasserreserven in mein Leben lang geträumt Form von Eis beinhalten – eine essenzielle Bedingung, um auf dem Mond habe.» leben zu können.
Veronica Orlandi,
Projektleiterin «Asclepios 2» Die Projektleiterin ist denn auch der festen Überzeugung, dass wir in Zukunft einen anderen Himmelskörper, sei es der Mond, der Mars oder ein anderer Planet, besiedeln werden, und verweist auf den wissenschaftlichen Nutzen von «Asclepios 2»: «Eines unserer Ziele ist die wissenschaft- liche Forschung, die es zahlreichen Labors auf der ganzen Welt ermöglicht, Proto typen zu testen und Experimente zu entwickeln, die für die Erforschung von Mond und Mars nützlich sind», erklärt Veronica Orlandi. Zu guter Letzt gehe es ihnen nämlich auch darum, die arg strapazierte Erde zu entlasten und, ganz unbescheiden, einen Beitrag zu leisten, um irgendwann in Zukunft einen Teil der Menschen auf einen anderen Himmelskörper umzusiedeln. •