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26 / 11 / 10 Schimanski! Magazin für Medienmacher

Die Kollegen von Kabul Wie die Journalistin Friederike Böge unter schwierigen Bedingungen junge afghanische Reporter ausbildet

! R E H C A M U H C S Zwei ewige Weisheiten der deutschen Steuer-Phobiker lauteten: Erstens zeigt der fiskalische Wettbewerb der Schweizer Kantone, wie Besteuerung auszusehen hat, zweitens kurbeln niedrige Unternehmenssteuern, wie in Irland, die Ökonomie prächtig an. Inzwischen steht Irland vor der Zwangsverwaltung und die Schweiz wird alsbald den ruinösen Wettlauf um noch niedrigere Steuersätze entschärfen. Zugleich kommt das angebliche Hochsteuerland Deutschland schmerzfrei aus der Krise. Kostspielige aber wirkungsvolle Instrumente wie die Kurzarbeit können sich eben nur finanzkräftige Staaten leisten. Selbst in der Krise fanden sich sogar noch fünf Milliarden Spielgeld für das offenbar wirkungslose Elterngeld. Die Hälfte würde reichen, um den absehbaren Notstand an deutschen Hochschulen zu lindern. Keine Frage: Die gierigen staatlichen Geldverteiler machen Vieles falsch. Aber weder Iren noch Schweizer bieten eine überzeugende Alternative.


AUFMACHER Magazin für Medienmacher

Auf der Seite AFGHANISTANTODAY.ORG berichten 15 afghanische Journalisten, Fotografen und Filmemacher aus allen Teilen des Landes über das, was wir nur aus den Berichten deutscher Journalisten kennen. Gleichzeitig ist AFGHANISTAN TODAY ein vom Auswärtigen Amt finanziertes Trainingsprojekt: Erfahrene Journalisten aus dem Westen bringen den afghanischen Kollegen das Handwerk bei. Die Redaktion leitet die Berliner Journalistin Friederike Böge.

haben die Texte keinen richtigen Fokus und erzählen keine Geschichte. Schließlich redigiere ich die Artikel auf Englisch und Deutsch.

Arbeiten Sie nur mit ausgebildeten Journalisten? Das sind aktive Journalisten, die oft nicht nur für uns, sondern auch für afghanische Ableger von internationalen Medien arbeiten, die Dari-Webseite der BBC zum Beispiel, oder den Pashto-Dienst von VOICE OF AMERICA. Das haben wir bewusst gemacht, um nicht Leute zu fördern, die gar keine Journalisten werden Frau Böge, Sie bilden afghanische wollen oder später nicht in dem BeJournalisten aus, die meist kein Eng- ruf arbeiten. lisch sprechen. Wie funktioniert das? Wir veranstalten mit Hilfe von Dol- Wie gebildet sind die afghanischen metschern regelmäßig Workshops, Journalisten? in denen wir an den Texten arbeiten Es gibt viele, die schon nach der und den afghanischen Kollegen hel- zwölften Klasse in den Journalismus fen, Themen zu finden. Die Journa- gegangen sind. Nach dem Sturz listen schreiben in Dari und Pashto, der Taliban gab es viel Geld für den wir übersetzen die Texte ins Eng- Mediensektor – Trainingsprojekte lische. Ein erfahrener afghanischer von vielen internationalen OrganiKollege hier in Kabul gibt erstes sationen – und das Interesse, junge Feedback und sagt den Autoren, wie Leute zu fördern, weil die alten Joursie sie umschreiben könnten, um für nalisten eine sehr spezielle Berichtwestliche Leser attraktiv zu sein. Oft erstattung betrieben haben. Diese

Friederike Böge


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jungen Journalisten haben heute das Problem, dass ihnen nun manchmal ein intellektuellerer Zugang zu Themen fehlt. Einige haben aber auch studiert. Nicht Politik, Jura oder Wirtschaft, wie in Deutschland üblich, sondern Literatur zumeist, weil man der Meinung ist, als Journalist müsse man vor allem mit Sprache umgehen.

schaft verändern und die Menschen bilden. Sie schreiben nicht, was ist, sondern wie es sein sollte.

Versuchen Sie, das zu ändern? Ja. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede der journalistischen Traditionen, aber trotzdem gibt es internationale journalistische Standards, die in Afghanistan nur kaum eingehalten Wie unterscheidet sich die afgha- werden, weil es eben dreißig Jahre nische Vorstellung von Journalismus Krieg gab. Wenn wir diese Standards einführen, ist das kein Kulturexport, von der westlichen? Nach neun Jahren Regierung Karzai meine ich, sondern Qualifizierung. gibt es natürlich moderne Formen von afghanischem Journalismus. Unter Ihren Autoren sind auch einige Vorher gab es erst den regierungs- Frauen. Wie unterscheidet sich ihre hörigen Verlautbarungs-Journalis- Arbeit von der der Männer? mus aus der Zeit der sowjetischen Es gibt bestimmte Begrenzungen. Besatzung, ohne viel Recherche Zum Beispiel können Sie nicht auf der oder Kritik. Und während der langen Straße Interviews führen. Es würde Zeit des Krieges hatten Zeitschriften sich sofort eine Menschentraube um eher Propaganda-Charakter. Dazu sie herum bilden und das Interview kommt ein starker Einfluss der Litera- stören. Afghanische Journalistinnen tur: Das Verhältnis von Schreiberling bemühen sich, nie ein Interview zu und Leser ist hierarchisch – der Autor führen, bei dem sie allein mit einem erklärt, wie die Welt funktioniert und Mann in einem Raum sitzen und die bewertet die Ereignisse moralisch. Tür geschlossen ist, denn dann gibt Viele Journalisten sind nach wie vor es schnell Gerüchte über unmorader Meinung, sie müssten die Gesell- lisches Verhalten. Wenn eine Bom-


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be explodiert, berichten darüber keine Frauen – schon, weil sie nicht so mobil sind. Sie haben einfach kein Motorrad, um dort hinzufahren. Die meisten Frauen müssen außerdem spätestens um fünf zu Hause sein und können darum keine Abendveranstaltungen besuchen.

seitig, weil bis auf den Korrespondenten des STERN kein deutscher Journalist dauerhaft in Afghanistan ist. Die meisten fliegen aus Delhi ein, und dann liegt es in der Natur der Sache, dass ihr Themenspektrum begrenzt ist. Sehr viele Kollegen fahren mit der Bundeswehr herum. Fünfzig Prozent der Berichterstattung ist aus Sicht der deutschen Soldaten. Das ist eine begrenzte Sichtweise, die der Komplexität des Themas oft nicht gerecht wird. Viele Lebensbereiche kommen in unseren Medien weniger vor, weil es in der Kürze der Zeit, die die Journalisten hier sind, nicht möglich ist, sie zu recherchieren. Die Kulturunterschiede, die Sprachbarrieren und natürlich die Sicherheitslage schränken die Arbeit ein.

Gelten diese Einschränkungen auch für Sie? Ich kann im Land umherreisen, was afghanische Journalistinnen nicht können. Der entscheidende Punkt ist: Ich unterliege nicht dem moralischen Druck der afghanischen Gesellschaft. Ich war gerade zwei Wochen in Kandahar zum Beispiel. Dort trage ich eine Burka und laufe nicht auf der Straße herum. Ich lasse mich von Büro zu Büro fahren, von einem Übersetzer, der jeden Tag ein oder Wie kommen deutsche Redaktionen zwei Mal das Auto wechselt, um nicht an Ihre Artikel? zu sehr aufzufallen. Redaktionen können sich gern an uns wenden und die Artikel der afSie haben drei Jahre in Afghanistan ghanischen Journalisten veröffentligelebt und besuchen das Land regel- chen. Wir wollen, dass diese Texte mäßig. Wie gut berichten die deut- gelesen werden. schen Medien darüber? Die Berichterstattung ist relativ ein- Interview: Sebastian Esser


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JOBWECHSEL

Ann Thorer wird MAXIChefredakteurin. Zur Zeit macht sie noch die BRAVO GIRL. Vorgängerin Bettina Billerbeck wechselt zu LIVING AT HOME. Christine Strobl ist neue Fernsehspielchefin des SWR. Die FinanzministerTochter und BWCDU-Generalsekretärs-Gattin leitete bisher das Kinder- und Familienprogramm. Udo Becker bleibt nun offiziell RADIO NRW-Chef, seit Anfang des Jahres war er das bereits kommissarisch. DAPD-Pressesprecher Wolfgang Zehrt wird viertes Vorstandmitglied der Nachrichtenagentur, zuständig für „Business Development“.

Pflaume macht rüber Kai Pflaume macht rüber von SAT.1 zur ARD, wie einst von drüben nach hüben. Er übernimmt von Pilawa, der zum ZDF ausgebürgert wurde, die Sendung „Das neue Star Quiz“ und soll zusätzlich noch eine weitere Show moderieren. Nur „Nur die Liebe zählt“ läuft noch mal in der alten Heimat, denn die Staffel ist schon vorproduziert. Es war ja nicht alles schlecht.

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DIE MEDIENWOCHE Magazin für Medienmacher

Sonntag: Alice Schwarzer muss Jörg Kachelmanns Anwalt 5.000 Euro zahlen. Mindestens, denn unzutreffende Behauptungen hatte sie da noch immer nicht vollständig von ihrer Seite entfernt. MONTAG: Die von Neven DuMont dem Jüngeren leger in Aussicht gestellte Entlassungwelle bei der FR findet vorerst nicht statt. Da sind wir aber beruhigt. DIENSTAG: Konstantin Neven DuMont ist offiziell vor die Tür gesetzt, jetzt aber richtig: HerausgeberÄmter futsch, Aufsichtsrat auch. Jetzt will er schnell verkaufen. Oder seinen Job zurück. DIENSTAG: Der CDU-Politiker Siegfried Kauder (nein, das ist der Bruder) fordert, die Pressefreiheit bei Terrorgefahr einzuschränken. Auch sonst hysterische Nicht-Hysterie.

»Amis pédophiles, à demain!« Der französischen Staatspräsident Nicolas Sarkozy, höflich wie immer, verabschiedet sich herzlich von einer Gruppe Journalisten: „Mein pädophilen Freunde, bis morgen!“

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amerikanische Cent soll eine iPadZeitung namens DAILY kosten, an der Rupert Murdoch zusammen mit Apple bastelt. Alle sind sich einig: Das wird nix. Na, mal warten.

Gewinner Verlierer

Das Medientagebuch

Peter Seewald, weil der konvertierte Ex-Kommunist mit seinem Papst-InterviewBuch die Welt im Atem hält. Kondome für schwule Prostituierte sind jetzt okay mit Gott. Ja, mein Gott, ‘s ist ein Anfang.

LIEBLING der wochE Lieber Shaun, das Schaf, Sie haben als einziger Deutscher in diesem Jahr einen Emmy gewonnen. Na ja, Sie sind natürlich ganz Brite in Aussehen und Habitus, aber immerhin bezahlt der WDR einen Teil Ihres Gehalts. Das ist so, als wenn ein Ire oder Grieche den Nobelpreis gewinnen würde, für Deutschland. Cheereo, old chap!

Peter Pauls, Chef des KÖLNER STADTANZEIGERS, weil er per Kommentar die DuMont-Desaster-Legende weiterstrickt: Springer ist schuld. Äh, nein, diesmal nicht.


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SONNTAG 40 Jahre Tatort, Duisburg Tatort ist nicht Schimanski, aber kein Tatort hatte mehr Charakter. Wir zeigen aus Anlass des Krimi-Jubiläums Bilder aus der Karriere des Ruhrpott-Kommissars. Ach ja, und Entschuldigung: Scheiße.

Zabou, 1987


Magazin f端r Medienmacher

Duisburg-Ruhrort, 1981


Zweierlei Blut, 1984 Magazin f端r Medienmacher


Magazin f端r Medienmacher

Unter Br端dern, 1990


POSTSCRIPTUM Magazin für Medienmacher

Normalerweise drucken wir keine positiven Zuschriften, aber dieses Zitat von MEEDIA.DE hört sich einfach so gut an: „Als das gedruckte Heft eingestellt wurde, hätten viele (ich auch) keinen Pfifferling mehr auf die Zukunft dieses Titels gesetzt. Mittlerweile ist die freitägliche Mail mit dem neuen ViSdP-PDF zu einem liebgewonnenen Ritual geworden. Freitag für Freitag schaffen es die Kollegen, den Wochenthemen einen ungewohnten und/oder originellen Spin zu geben. [...] Mehr als einmal ärgern wir uns, dass uns der eine oder andere Dreh von ViSdP nicht selbst eingefallen ist. Das ist jetzt als Kompliment gemeint.“

UNd, wie waren wir? Als Heimatverbundene und Tatort-Nostalgikerin gefällt mir diese Woche vor allem die Bildstrecke mit Schimmi!! Und jetzt geh ich erstmal auf den Balkon!

IMPRESSUM

Hier bitten wir Cheflektorin Carla Mönig um Ihre Meinung zur aktuellen Ausgabe. Sagen Sie uns Ihre: www.facebook.com/visdp.

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Herausgeber Dr. Hajo Schumacher Chefredakteur Sebastian Esser Stellvertreter des Chefredakteurs Wendelin Hübner Stellv. Chefredakteure Susan Mücke, Frank Joung Leitender Redakteur Patrick Weisbrod Leiterin Lektorat Carla Mönig Adresse Lietzenburger Straße 51, 10789 Berlin Telefon 030 2196 27287

Der Tipp Wir bei V.i.S.d.P. rauchen ja auf dem Balkon. Gar kein Problem, kommt man auch mal an die frische Luft. Selbst bei Minus 2 Grad, so wie in Berlin heute Morgen. Echt schön, total. Nun ist es ja so, dass man nicht gern alleine raucht. Deswegen gibt es dafür seit gestern eine iPhone- und AndroidApp: die Mitrauchzentrale. Das kostenlose Programm hilft, die richtigen Plätze und Lokale zum Rauchen sowie Glimm-Kumpels zum Mitrauchen zu finden. Sechs Rauchertypen vom Selbstdreher bis zum Pfeifenraucher oder „Sonstigen Raucher“ kennt das Programm. FOTOS: S.1-4: AFGHANISTAN TODAY; S.5: SAT.1, DAPD, Radio NRW, SWR, Bauer; S.6: WDR, Bertelsmann, KSTA; S. 8-11: WDR.

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