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21. Januar 2011
Alles toller, bunter, neuer. Schon wieder!
Neue deutsche Leitkultur
Wir sind Dschungel
Schumachers
Gewinner der Woche
Der Verlierer der Woche
Der bislang eher verwaiste Bundestags-Kindergarten. Denn SPD-Generalin Andrea Nahles und Familienministerin Kristina Schröder versorgen Deutschland mit Nachwuchs. Und endlich hat auch die SPD mal wieder die Nase vorn. Denn die kleine Nahles ist schon geschlüpft, Schröder junior kommt erst im Sommer. Wir gönnen beiden Muttis eine richtig lange Baby-Pause.
Christian Lindner. Der hochgelobte FDPGeneral drohte donnernd mit Koalitionsbruch, weil die böse Union keine Steuergeschenke machen will. Und was passierte? Keiner hat sich erschreckt, aber allen haben gelacht. Aufgemerkt, liebe FDP: Inzwischen ist es den Leuten völlig egal, ob ihr mitregiert oder nicht. Es merkt ja eh keiner.
Schumachers Woche
Der Hammer der Woche
Unsere Lena. Die soll mit ihrem nächsten Grandprix-Sieg das Image von Düsseldorf aufpäppeln. Hat ja mit Hannover schon toll geklappt. Zunächst sollte unsere krummbeinige Lieblings-Abiturientin mal Nachhilfe geben in Düsseldorf: So geht ein verfassungskonformer Haushalt. Dann erlebt Hannelore Kraft Lenas Auftritt vielleicht noch als Ministerpräsidentin.
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Spielzeug der Woche
Das iPad. Das elektronische Spielzeug ist der Renner im Bundestag. Jeder zweite Abgeordnete hat schon eins. Klar: Raschelt nicht so laut wie die Zeitung, sieht irgendwie relevant aus und wenn die Kanzlerin mal wieder zu einer ermüdenden Grundsatzerklärung anhebt, kann man unauffällig ein paar Runden „Angry Birds“ spielen. Oder Schach, wie Ministerpräsident Peter Müller im Saarbrücker Landtag. Oder schon mal das nächste Wochenende im Wellness-Tempel planen.
Update
Das Tagebuch „Schon im zweiten Absatz des Artikels stand so viel Scheiße, dass ich zu lesen aufgehört habe.“ FREITAG: Axel Springer bringt eine kleinere, eigens layoutete Ausgabe der WELT AM SONNTAG wie schon nach NRW nun auch nach Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland.
SAMSTAG: Der Klambt-Verlag entwickelt nach Informationen von W&V ein schnelles, schmutziges People-Magazin, das noch im ersten Halbjahr erscheinen soll.
MONTAG: Steve Jobs kündigt wegen Krankheit eine Auszeit an. Derweil berichten belgische Medien, Apple werde Zeitungs-Abonnenten die kostenlose Nutzung zugehöriger iPad-Apps verbieten. Will Apple an Print-Abos mitverdienen?
DONNERSTAG: RTL2 produziert noch in diesem Frühjahr eine sage und schreibe elfte Staffel von „Big Brother“.
VOGUE-Chefredakteurin Christiane Arp gefällt ein Fashion-Week-Verriss im SPIEGEL nicht
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Exemplare verkaufte BILD im vierten Quartal 2010 – 4,3 Prozent weniger als im Jahr zuvor und zum ersten Mal unter der 3-Millionen-Marke
Update
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Gewinner
Ricky Gervais
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Liebling der Woche
weil es sich unser Mann in Hollywood als Moderator der Golden-Globes-Verleihung nicht nehmen ließ, der britischen Tradition folgend sein Publikum zu beleidigen, wenn es der Pointe diente. Youtube!
Lieber FOCUS, 18 Jahre später versuchst Verlierer Du immer noch, Dich an den SPIEGEL ranzuwanzen. Wenn Dich schon am Kiosk niemand mit dem großen Onkel aus Hamburg assoziiert, tust Du‘s eben selbst, per Riesenanzeigen. Dazu Sarrazin aufs Cover, den Helden Deiner Kernzielgruppe, und das Ganze für 1 Euro. Wenn es so nicht klappt, dann gar nicht. Könnte aber durchaus sein, dass es nicht klappt.
ARD und ZDF weil sie im Namen der Grundversorgung gern Unsummen für Sportrechte ausgeben, das Argument im Fall der LeichtathletikWM in Daegu aber offenbar nicht zählt: Die ÖffentlichRechtlichen werden nicht live berichten. Ob da Zeitverschiebung und Quote eine Rolle spielen?
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Update
Nach Sendung verhaftet Pharmahändler versuchten, ein ZDF-Team zu bestechen, um einen Kronzeugen zu diskreditieren. Am Mittwoch, einen Tag nach der Sendung, wurden sie verhaftet. Ein journalistischer Krimi
Am Dienstag sendete das ZDF-Magazin „Frontal 21“ einen Beitrag der Reporter Christian Esser und Jobst Spengemann. Die beiden Journalisten dokumentierten mit versteckter Kamera, wie zwei Pharma-Unternehmer versuchten, einen Kronzeugen der Staatsanwaltschaft mundtot zu machen – mit Hilfe von Journalisten-Bestechung. Am Mittwoch nun verhaftete die Staatsanwaltschaft einen der Männer, Hans Riedel, wegen Verdunklungs- und Fluchtgefahr. Die Frontal-21-Reporter hatten sich sich zum Schein bereiterklärt, den Kronzeugen gegen Geld zu diskreditieren. Der hatte offengelegt, dass die Pharmamänner mit gefälschten oder illegalen Medikamenten handelten. Die Firma Zyo Pharma überwies den Journalisten daraufhin tatsäch-
lich mehr als 10.000 Euro. Am Montag schließlich konfrontierte das Team die Männer. Wenig später erreichte sie per Fax eine Warnung der Betrugsabteilung der AOK (siehe Abbildung), die stets über die Recherchen der Journalisten informiert war. Es zeigt, mit welch harten Bandagen in der Pharmabranche gekämpft wird. Darin heißt es: „Wir können eine Gefährdung Ihrer Person nicht völlig ausschließen und raten daher an, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.“ Die beiden Pharmahändler handelten im vollen Bewusstsein der Konsequenzen. In einem Ausschnitt des Frontal 21-Stückes sagt einer von Ihnen: „Mein Anwalt hat mir gesagt: Lass den Scheiß mit den Journalisten. [...] Wenn das rauskommt, würde das für uns heißen: Massive Beeinflussung von Zeugen, sprich Verdunklungsgefahr und U-Haft.“
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Update
Vergangene Woche in der Axel-Springer-Passage: Was für ein Frauenideal vermitteln die Modemagazine?
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Magermodels? 90:60:90? Langbeinige Schönheiten? Blogger(in?) Shrubrub hat sämtliche VOGUE-Cover des vergangenen Jahres übereinander gelegt. Am Ende erscheint ein überraschendes Schönheitsideal: die Jungfrau Maria.
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Leute
Viel aufzuholen, also: Florian Illies, ZEIT-Feuilleton-Chef, wird im Sommer geschäftsführender Gesellschafter des Kunstauktionshaus Villa Grisebach. Er verlässt den Journalismus. Hammer. Claus Strunz, Chefredakteur des HAMBURGER ABENDBLATTS, moderiert eine neue Talkshow bei SAT.1, die „Eins gegen Eins“ heißen wird.
SPIEGEL ONLINE-CvD Stefan Plöchinger wird Nachfolger von Hans-Jürgen Jakobs als Chef von SÜDDEUTSCHE.DE. Christine Zerwes vom SZ-MAGAZIN geht zum STERN. Henryk M. Broder, bisher AllzweckAutor bei SPIEGEL ONLINE und gelegentlich im Heft, geht in gleicher Funktion zur WELT. Passt auch besser.
Leute
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Er macht's allein Für alle, denen kurz vor Weihnachten nicht der Sinn nach News über anderer Leute Karrieren stand: Timm Klotzek wird Chefredakteur des SZ-MAGAZINS. Dafür verlässt er seine Posten als Chef der Gruner+Jahr-Hammer-Erfolgs-Zeitschriften NEON und NIDO. Seinen Kompagnon Michael Ebert lässt Klotzek mit dem ganzen Kram sitzen.
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Der einst schmuddelige Fernsehsender RTL bestimmt die Medienagenda inzwischen nach Belieben. „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ ist ein gesellschaftliches Ereignis, gegen das politische Themen kaum eine Chance haben. Wie konnte das passieren? Gestern Dschungelcamp gesehen? Die Frage ist womöglich eine der meistgestellten dieser Woche. Die sechste Staffel von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ ist bisher die erfolgreichste nach der ersten. Rund 40 Prozent der Zuschauer in der werberelevanten Zielgruppe schalten täglich ein. Die Medien berichten rund um die Uhr. Es ist der Wahnsinn. Das Jahr fängt ja gut an, denken sich alle Sender, die nicht RTL sind. Denn noch mehr Zuschauer als das Dschungelcamp hatten die neuen Folgen von „Deutschland sucht den Superstar“ gesehen, einem weiteren RTL-Mega-Hit. Und das gesamte vergangene Jahr war ein gutes für den Kölner Sender, ein sensationell gutes. Kein Fernsehprogramm hatte mehr Zuschauer. Mit 13,6 Prozent Marktanteil im Gesamtpublikum überholte RTL zum ersten Mal seit 2003 ARD und ZDF – und das trotz
Fußball-WM, von der die Öffentlich-Rechtlichen überproportional profitierten. Der Quotenerfolg lohnt sich: Die RTL Group, und damit deren größter Sender RTL, ist der Goldesel der Konzernmutter Bertelsmann. Medienwissenschaftler gebrauchen den Begriff „Leitmedium“ für einzelne Medienangebote, die einen besonders starken Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Wenn ein neuer Quotenklopper die Kölner Fernsehfabriken verlässt, kommt kein anderes Medium an dem Thema vorbei. Nicht BILD, nicht der SPIEGEL: RTL ist das deutsche Leitmedium 2011. Auch seriösere Medien als BILD berichten über die inszenierten RTL-Fernsehereignisse nicht mehr distanziert, kritisch analysierend (wer erinnert sich noch an den Begriff „Ekelfernsehen“?). Die Show ist zur Nachricht geworden.
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In der SÜDDEUTSCHEN widmet Willi Winkler dem Dschungelcamp ein langes Seite-3-Stück: „Von draußen hat es natürlich den nicht geringen gesamtgesellschaftlichen Reiz, dass bei den schwitzenden Teilnehmern irgendwann doch die Wirkung selbst der eigenvermarkteten Cremes nachlässt und unterm Hemd das kleine zartrosa Schweinchen hervoroinkt, das wir im Grunde unseres Herzens alle sind.“ Und der SPIEGEL porträtierte im Vorfeld, wie viele andere Medien, ausführlichst Rainer Langhans („Er muss sich verkaufen wie eine alte Prostituierte“). Als es am Mittwoch in Australien stark regnete und die ShowKulisse überflutet war, war das Breaking News. Als eine Kandidatin mit Stromstößen gefoltert wurde, war die Empörung vernachlässigend gering. Das ist vor allem das Resultat der guten Arbeit der Fernsehmacher. Das Dschungelcamp ist Boulevard-Fernsehen, wie man es besser nicht produzieren kann: böse, voyeuristisch und mitleidlos. Die Protagonisten sind zwar Opfer, aber sie wollen es nicht anders. Die Moderatoren und Autoren
sind so gemein und sarkastisch, wie es das deutsche Fernsehen nirgendwo sonst hinbekommt. Wenn Sonja Zietlow zum Beispiel sagt: „Wenn Sie sich jetzt fragen, woher Sie diesen Kandidaten wieder nicht kennen ...“ oder Dirk Bach von „Gitta Dings“ spricht, ist das subversives Fernsehen, das mit der eigenen Sinnlosigkeit kokettiert. Dieter Bohlens „Deutschland sucht den Superstar“, zumindest technisch ebenso aufwändig produziert, nimmt sich dagegen zwar unglaublich ernst, aber mit jeder Staffel finden es mehr Zuschauer unterhaltsam, Kandidaten beim öffentlichen Scheitern zuzusehen. Unterhalten ohne Sinn und Ziel, ein Merkmal von Privatfernsehen, das ja keinen Bildungsauftrag zu erfüllen hat – das hat RTL perfektioniert. Großer Erfolg macht auch der Konkurrenz Appetit. Wenig überraschend lud Johannes B. Kerner am Mittwochabend DschungelQueen Desirée Nick in seine Sendung ein – auch wenn die Show bei SAT.1 läuft. Das ZDF hatte dieselbe Idee: Costa Cordalis und Harry Wijnvoord durften bei Markus Lanz von ihren Erfah-
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rungen berichten, was der Sendung wohl einen optimalen Audience Flow ermöglichen sollte. Lanz selbst ist ein weiterer Hinweis darauf, dass das ZDF gerne mehr so wäre wie RTL, denn er moderierte dort zuvor die teilweise blutrünstigen BoulevardFormate „Explosiv“ und „Extra“. ARD-Programmdirektor Volker Herres ließ sich im Herbst die erstaunlich un-öffentlich-rechtliche Formulierungen einfallen, das RTL-Programm bestehe aus „Sozialpornos von und für Assis“ und sei irgendwas „zwischen banal und anal“. Dabei will auch die ARD mehr so wie RTL sein: Sie lieh sich bei RTL Günther Jauch, um ihm Anne Wills erfolgreiche politische Sonntagabendsendung zu überantworten – auch wenn Politik nicht gerade sein Spezialgebiet ist. Im Herbst tauchte ein internes NDR-Papier auf, in dem ein Redakteur anregte, Produktionsweisen der „Scripted Reality“ zu übernehmen – also die supererfolgreiche RTL-Masche zu kopieren, mit Laiendarstellern billige Pseudo-Dokus zu produzieren. RTL-Chefin Anke Schäferkordt ist zwar der Superstar unter den deutschen Fernsehmachern, man
streut aber gern ein, dass sie ja eigentlich keine Kreative sei, sondern gelernte Controllerin. Ihr Erfolg beruht tatsächlich nicht auf Kreativität, sondern auf dem Kopieren – sämtliche großen Erfolge hat der Sender aus dem Ausland eingekauft. Die meisten davon laufen schon viele Jahre. Bei Serien wie „Dr. House“ zeigen sich Ermüdungserscheinungen. Es gab öffentlich-rechtliche Projekte, die auf angemessenere Weise mit dem einst durch „Big Brother“ ausgelösten Trend umgingen, Leute einzusperren und zu filmen. Zum Beispiel die vierteilige SWR-Dokumentation „Schwarzwaldhaus 1902“ von 2002, bei der man gut unterhalten wurde und etwas lernen konnte. Hilflos wirkte dagegen der Versuch des ZDF, mit „Ich kann Kanzler“ RTL zu kopieren und per Casting Polit-Nachwuchs zu finden. Eine ZDF-Kopie der RTL-Kopie des britischen Originals ist dann naturgemäß ganz schön ausgenudelt. Das alles müsste den Konkurrenz-Sendern eigentlich peinlich sein, ist aber eher ein Zeichen dafür, dass RTL schlicht in einer anderen Liga spielt.
Berlin, RÜckblende Die „Rückblende“, vergeben von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz, ist der renommierteste Preis für politische Fotografie. Wir zeigen die Arbeiten der Gewinner
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3. Preis – Axel Schmidt, DAPD: Ein deutscher Soldat sichert eine Straße, ängstlich beäugt von afghanischen Kindern .
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Sonderpreis – Rainer Jensen, DPA: Bundespräsident Christian Wulff posiert beim Staatsbesuch mit der Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard, während seine Frau Bettina das Bergpanorama bewundert .
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Sonderpreis – Maurizio Gambarini, DPA: Altbundeskanzler Helmut Schmidt bei der Trauerfeier für seine verstorbene Frau Loki im Hamburger Michel.
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2. Fotopreis Ina Fassbender, REUTERS: Ein Mann z체ndet am Tunnel zum Love-Parade-Gel채nde, in dem bei einer Massenpanik viele Menschen starben, eine Kerze an
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1. Foto-Preis Rückblende 2010 Fabrizio Bensch, REUTERS: Thilo Sarrazin, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, posiert bei der Vorstellung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“.
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