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Akute myeloische Leukämie: Azacitidin Tabletten schließen Lücke in der Erhaltungstherapie
Eine akute myeloische Leukämie (AML), die häufigste Leukämieform bei erwachsenen Patienten, ist prinzipiell behandelbar. Zur Verfügung stehen u.a. etablierte Chemotherapien, epigenetische Wirkstoffe und die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) (Tab. 1) [1, 2]. Allerdings können auch mit diesen Optionen nur etwa 35–40% der erwachsenen Patienten bis 60 Jahre und lediglich 5–15% der über 60-Jährigen geheilt werden [3]. Dies liegt oft daran, dass nach einer Induktionstherapie mit oder ohne Konsolidierungstherapie einige leukämische Zellen überleben können, d. h. weiterhin eine minimale Resterkrankung (MRD) besteht [4, 5]. Daher erleiden selbst bei kompletter Remission etwa 50% der Patienten innerhalb eines Jahres ein Rezidiv [6]. Bei niedrigem Erkrankungsrisiko empfiehlt das European Leukemia Network (ELN) deshalb eine weitere Chemotherapie, bei intermediärem oder hohem Risiko eine HSZT [7]. Wenn – insbesondere ältere – Patienten nicht für eine HSZT infrage kommen, etwa aufgrund von Multimorbidität oder schlechtem Allgemeinzustand, wenn kein geeigneter Spender verfügbar ist
oder die Betroffenen sich gegen diese Behandlung entscheiden, gibt es nur wenige Therapiemöglichkeiten. Für diese Patienten ist eine Erhaltungstherapie von entscheidender Bedeutung, um das Ansprechen auf die Induktionstherapie zu verlängern und die Prognose zu verbessern. Trotz des hohen Bedarfs existiert derzeit jedoch noch kein allgemein anerkannter Behandlungsstandard für eine Erhaltungstherapie bei AML – unter anderem weil bislang Therapiemöglichkeiten fehlten, die das Gesamtüberleben signifikant verlängern. Lediglich für Patienten mit FLT3+-Mutation gibt es eine klare Empfehlung für eine Erhaltungstherapie [1]. Um diese therapeutische Lücke ein Stück weit zu schließen, könnten Azacitidin Tabletten (Onureg®) einen wichtigen Beitrag leisten. Seit dem 17. Juni 2021 ist das orale Präparat als Erhaltungstherapie für Patienten mit AML verschiedener Subtypen zugelassen, die eine komplette Remission (CR) oder eine komplette Remission mit unvollständiger Regeneration des Blutbildes (CRi) nach einer Induktionstherapie mit oder ohne Konsolidierungstherapie erreicht haben und die nicht für eine Transplantation hämatopoetischer Stammzellen geeignet sind, einschließlich derer, die sich dagegen entschieden haben (Abb. 1) [8]. Azacitidin Tabletten verlängerten in der Zulassungsstudie QUAZAR® AML-001 sowohl das Gesamtüberleben als auch das rezidivfreie Überleben im Vergleich zu Placebo signifikant,
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Intensive Therapien Nicht intensive Therapien
Mögliche Behandlungsoptionen 1, 2: • Induktionstherapie3 (3+7-Schema aus Anthrazyklin kombiniert mit
Cytarabin) • Konsolidierungstherapie • Nach Ansprechen auf die Induktionstherapie: Azacitidin Tabletten zum Remissionserhalt, höher dosierte Cytarabin-basierte Therapie oder eine HSZT Mögliche Behandlungsoptionen: • Hypomethylierende Wirkstoffe (injizierbares Azacitidin oder Decitabin jeweils als Monotherapie oder in Kombination mit Venetoclax) • Niedrigdosierte Chemotherapie (Cytarabin) • Best Supportive Care (Bluttransfusionen bei Anämie, Infektbekämpfung etc.)
Keine kurative Behandlung; symptomlindernde und lebensverlängernde Maßnahmen stehen im Vordergrund 1 Patienten mit FLT3-ITD- oder FLT3-TKD-Mutation sollten laut Leitlinie Midostaurin gemäß Fachinformation erhalten. 2 Patienten mit CD33-positiver Core-Binding-Factor-AML (CBF-AML), mit CD33-positiver NPM1-Mutation bei FLT3wt oder mit CD33positiver Intermediär-Risiko-AML bei FLT3wt sollten Gemtuzumab Ozogamicin in Kombination mit dem „3+7-Schema“ gemäß Fachinformation erhalten. 3 Patienten mit AML-MRC und Patienten mit tAML können statt dem klassischen „3+7-Schema“ CPX-351 gemäß Fachinformation bekommen [1].
Tabelle 1: Wirkstoffe, die bei neudiagnostizierter AML zur Anwendung kommen [1, 2].
Abbildung 1: Der Therapieansatz bei AML ist in der Regel kurativ intendiert und umfasst bei geeigneten Patienten zunächst eine intensive Induktionstherapie mit dem Ziel einer kompletten Remission der Erkrankung, die möglichst lange erhalten werden soll. An die intensive Chemotherapie schließt sich teilweise eine medikamentöse Konsolidierungstherapie oder auch eine HSZT an. Für Patienten in erster Remission, die nicht für eine HSZT geeignet, aber dringend auf eine Erhaltungstherapie angewiesen sind, eröffnen Azacitidin Tabletten (Onureg®) eine neue Behandlungsmöglichkeit (mod. nach [1, 2]). CR: vollständige Remission, CRi: CR mit unvollständiger Regeneration des Blutbildes, SZT: Stammzelltransplantation.
während die gesundheitsbezogene Lebensqualität nicht beeinträchtigt wurde und das Nebenwirkungsprofil gut kontrollierbar war [9].
Signifikante Verlängerung des Gesamt- und rezidivfreien Überlebens
Die Zulassung von Onureg® durch die Europäische Kommission erfolgte auf Basis der Ergebnisse der QUAZAR®-AML-001-Studie, einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten PhaseIII-Studie [9]. Die 472 eingeschlossenen Patienten waren zum Zeitpunkt des Screenings 55 Jahre oder älter, hatten eine neu diagnostizierte AML, wiesen eine intermediäre oder ungünstige Zytogenetik auf, hatten nach intensiver Induktions-Chemotherapie mit oder ohne Konsolidierungstherapie (nach Ermessen des Prüfarztes vor Studieneinschluss) innerhalb von 4 Monaten (± 7 Tage) vor der Randomisierung eine erste CR oder CRi erreicht und kamen für eine HSZT nicht infrage. Die Studienteilnehmer wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert und erhielten an 14 Tagen eines 28-tägigen Zyklus entweder einmal täglich oral 300mg Azacitidin Tabletten (n=238) oder Placebo (n=234) zusätzlich zur Best Supportive Care. Die Behandlung lief im Median über 12 Zyklen (1–82) mit Azacitidin Tabletten und über 6 Zyklen mit Placebo (1–76). Primärer Wirksamkeitsendpunkt war das Gesamtüberleben (overall survival, OS), sekundärer Endpunkt das mediane rezidivfreie Überleben (relapse-free survival, RFS). Bei den mit Azacitidin Tabletten behandelten Patienten zeigte sich nach einem medianen Follow-up von 41,2 Monaten ab dem Zeitpunkt der Randomisierung ein signifikanter OS-Vorteil von 9,9 Monaten (p<0,01; Abb. 2). Das mediane OS betrug bei ihnen 24,7 Monate (95%-KI: 18,7–30,5) im Vergleich zu 14,8 Monaten in der Placebo-Gruppe (95%-KI: 11,7 –17,6). Nach einem Jahr lebten schätzungsweise noch 72,8% der Patienten unter Azacitidin Tabletten und 55,8% der Patienten unter Placebo (Unterschied: 17%; 95%-KI: 8,4–25,6). Nach 2 Jahren lagen diese Anteile bei 50,6 und 37,1% (Unterschied: 13,5%; 95%-KI: 4,5–22,5). Die Vorteile der Behandlung mit Azacitidin Tabletten waren in den meisten Subgruppen (z.B. erhaltene Konsolidierungstherapie oder Vorliegen einer CR bzw. CRi) konsistent. Auch das mediane RFS war zudem unter Behandlung mit Azacitidin Tabletten signifikant länger als im Placebo-Arm: 10,2 Monate versus 4,8 Monate (p<0,001;
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Abbildung 2: Ergebnisse der Studie QUAZAR® AML-001 für den primären Endpunkt, das Gesamtüberleben [9].
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Abbildung 3: Ergebnisse der Studie QUAZAR® AML-001 für den sekundären Endpunkt, das rezidivfreie Überleben [9].
Abb. 3). Nach 6 Monaten hatten schätzungsweise 67,4% der Patienten unter Azacitidin Tabletten und 45,2% der Patienten in der Placebo-Gruppe noch kein Rezidiv entwickelt (Unterschied: 22,2%; 95%-KI: 13,2–31,2). Nach einem Jahr traf dies auf 44,9 bzw. 27,4% der Patienten zu (Unterschied: 17,5%; 95%-KI: 8,5–26,4) [9].
Ergebnisse zur Sicherheit und Lebensqualität
Als häufigste unerwünschte Ereignisse (UE) traten in beiden Studienarmen gastrointestinale Nebenwirkungen vom Grad 1 oder 2 auf (Azacitidin Tabletten vs. Placebo: Übelkeit 62% vs. 23%, Erbrechen 57% vs. 10%, Diarrhö 48% vs. 20%). Die Häufigkeit dieser UE war in den ersten beiden Behandlungszyklen am größten und nahm danach ab. Seltener auftretende UE von Grad 3 und 4 waren vor allem hämatologische Toxizitäten (Azacitidin Tabletten vs. Placebo: Neutropenie 41% vs. 24%, Thrombozytopenie 22% vs. 21%, Anämie 14% vs. 13%). 1% der Patienten brach die Therapie mit Azacitidin Tabletten aufgrund von hämatologischen UE ab.
Azacitidin Tabletten
Bei Azacitidin Tabletten (Onureg®) handelt es sich um einen oral zu verabreichenden, hypomethylierenden Wirkstoff. Basis für dessen Wirksamkeit ist der Einbau des hypomethylierenden Cytidinanalogons in DNA und RNA anstelle des natürlichen Nukleosids Cytosin [8].
Epigenetische Wirkung:
• Durch den Einbau von Azacitidin in die DNA kommt es zu einer
Hemmung der DNS-Methyltransferasen und somit zu einer Hypomethylierung der DNA. Diese wirkt der Unterdrückung von Tumorsuppressorgenen und Genen entgegen, die für die Zelldifferenzierung wichtig sind, was u.a. zur Auslösung der Erkrankung führen kann. Somit kann es zu einer Re-Expression von Genen mit krebsunterdrückender Funktion kommen und die Funktion von
Genen, die wichtig für die Differenzierung und Wachstumskontrolle der Zellen sind, kann wiederhergestellt werden. • Die hypomethylierende Wirkung kann die Entwicklung und Reifung von hämatopoetischen Stammzellen wieder normalisieren.
Zytotoxische Wirkung:
• Durch den Einbau in die RNS und die RNS-Hypomethylierung wird die Proteinsynthese verändert. • Die Aktivierung von DNA-Damage-Pathways führt zu einem gesteigerten Replikationsstress (Störung der DNA-Replikation) innerhalb leukämischer Zellen (Apoptose).
Cave: Das pharmakokinetische und pharmakodynamische Profil von Azacitidin Tabletten (Onureg®) unterscheidet sich von dem von injizierbarem Azacitidin (Vidaza®) [8, 10]. Da Azacitidin Tabletten und injizierbares Azacitidin nicht bioäquivalent sind, können und dürfen die beiden Darreichungsformen aufgrund der Unterschiede bezüglich Expositionsdauer und Dosis nicht ausgetauscht werden. Hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität war die Behandlung mit Azacitidin Tabletten Placebo nicht unterlegen: Zu den meisten Auswertungszeitpunkten zeigten sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen – weder im FACIT-Fatigue-Score noch im EQ-5D-3L-Fragebogen [9]. Fabian Sandner, Nürnberg
Literatur
1 Onkopedia-Leitlinie Akute Myeloische
Leukämie (AML); Stand: Januar 2021;
Im Internet: https://www.onkopedia.com/ de/onkopedia/guidelines/akute-myeloische-leukaemie-aml/@@view/html/index.html 2 Reville PK, Kadia TM. Front Oncol 2021;10:619085, doi:org/10.3389/fonc. 2020.619085 3 Döhner H et al. N Engl J Med 2015; 373:1136-1152 4 Ravandi F et al. Blood Adv 2018;2:13561366 5 Tuval A et al. Haematologica 2019;104: 872-880 6 Burnett AK et al. Leukemia 2017;31:310317 7 Landau DA et al. Leukemia 2014;28:3443 8 Fachinformation Onureg®; Stand: Juni 2021 9 Wei AH et al. N Engl J Med 2020;383: 2526-2537 10 Fachinformation Vidaza®; Stand: Juni 2021