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Primär biliäre Cholangitis: Frühzeitige Zweitlinientherapie mit Obeticholsäure erhöht Therapieansprechen
Die primär biliäre Cholangitis (PBC) ist eine progressive autoimmune Lebererkrankung, die die Gallengänge in der Leber schädigt. Folge ist eine fortschreitende Entzündung, die ihrerseits zu Fibrose, Zirrhose und letztlich zum Leberversagen führen kann. Um die Komplikationsrate zu senken, das Progressionsrisiko zu minimieren und die Lebensqualität von PBC-Patienten zu erhöhen, ist eine frühe effektive Therapie essenziell. Bei nicht adäquatem Ansprechen auf die Standardtherapie mit Ursodeoxycholsäure (UDCA) kann eine Zweitlinienbehandlung mit Obeticholsäure (Ocaliva®) die Ansprechraten deutlich erhöhen.
UDCA-Non-Responder haben ein erhöhtes Risiko für eine Progression zur Leberzirrhose
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Real-World-Daten zur Erstlinientherapie von 10 großen Zentren in Deutschland haben gezeigt, dass von 480 Patienten 116 ein unzureichendes Ansprechen auf UDCA (gemäß PARIS-I-, PARIS-II- und Barcelona-Kriterien, Alkalische Phosphatase ≤1,67 × ULN und Bilirubin-Normalisierung) hatten [1]. Das Ergebnis dieser retrospektiven Analyse entspricht der zu erwarteten UDCA-Non-Responder-Rate, die sich auch bereits in anderen Untersuchungen gezeigt hat. Zu beachten dabei ist jedoch, dass Patienten mit unzureichendem Ansprechen ein erhöhtes Risiko für eine Progression zur Leberzirrhose aufweisen [2]. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass der retrospektiven Analyse zufolge nur bei weniger als einem Drittel der Patienten (n=28) die Therapie durch die zusätzliche Gabe von Fibraten, Glukokortikoiden oder Obeticholsäure (Ocaliva®)
intensiviert wurde, während bei der Mehrheit der Patienten (n=39) keine Therapieanpassung erfolgte [1]. Immerhin wurde bei gut einem Drittel (n=35) die UDCA-Dosis erhöht, doch hatte insgesamt nur die Hälfte der Patienten eine ausreichend hohe UDCA-Dosierung [1].
Zweitlinientherapie rechtzeitig beginnen
Bei nicht adäquatem Ansprechen auf eine Erstlinientherapie mit UDCA führt eine frühzeitige, effektive Zweitlinienbehandlung zu einem signifikanten Ansteigen der Ansprechraten. Wichtig dabei ist, die Kriterien stringent anzuwenden und die Leberwerte regelmäßig zu kontrollieren. Nach einem Jahr muss die AP unter 1,67 × ULN abgesunken oder sogar normal sein. Ist das nicht zu erreichen – und das betrifft bis zu 40% der Patienten –, dann ist es Zeit für die Zweitlinientherapie.
Nationales prospektives PBCRegister enthüllt erste wichtige Botschaften
Vor 2 Jahren wurde das erste nationale PBC-Register [3] ins Leben gerufen, um prospektiv RealWorld-Daten zu sammeln und zu analysieren. Bis Ende Mai 2021 wurden 404 Patienten (über 90% weiblich) rekrutiert, davon 222 (55%) UDCA-Responder, 84 (21%) primäre inkomplette UDCA-Responder, 51 (13%) sekundäre inkomplette UDCA-Responder und 47 (12%) neu diagnostizierte Patienten. Die Stratifizierung der Non-Response erfolgte gemäß den PARIS-II-Kriterien (AP <1,5 ULN + AST <1,5 ULN + Bilirubin ≤1mg/ dl) [3]. Der Anteil an neu diagnostizierten Patienten mit Leberzirrhose ist mit über 20% erstaunlich hoch – viele PBC-Patienten werden anscheinend zu spät diagnostiziert. Zu Beginn der Therapie bekamen standardmäßig 99,5% eine UDCA-Therapie (Responder 13,3mg/ kg, Nicht-Responder bis zu 15,4mg/kg), 10% (n=38) erhielten Obeticholsäure (5–10mg), 18 davon nach primär inkomplettem und 19 nach sekundär inkomplettem UDCA-Ansprechen. Weitere Therapien waren Bezafibrat, Prednisolon und Budenosid [3]. Das biochemische Ansprechen wurde anhand von AP- und Bilirubin-Werten ermittelt. Wie erwartet, waren diese Parameter bei Erhebung der Baseline-Daten bei den UDCA-Non-Respondern deutlich erhöht.
Verbessertes Ansprechen durch Dosissteigerung von Obeticholsäure
Die Add-on-Therapie mit Obeticholsäure (bzw. Monotherapie bei UDCA-Unverträglichkeit) ist die bislang einzige zugelassene und in den DGVS- und EASL-Leitlinien [4, 5] empfohlene Zweitlinientherapie für PBC-Patienten mit inkomplettem UDCA-Ansprechen [6]. Aus der offenen Verlängerungsphase der Zulassungsstudie POISE liegen mittlerweile Langzeitdaten über bis zu 6 Jahre vor. Demnach blieben Therapieeffekte, die mit Obeticholsäure während der 12-monatigen Doppelblindphase der Studie erreicht wurden, auch im nachfolgenden LangzeitFollow-up erhalten [7]. Zudem weisen die POISE-Studiendaten darauf hin, dass mit Obeticholsäure behandelte Patienten von der nach Fachinformation empfohlenen Erhöhung der Dosis von einmal täglich 5mg auf 10mg profitieren: Bei diesen Patienten ließ sich mehrheitlich eine weitere signifikante Reduktion der AP erreichen (p<0,001) [8]. Elisabeth Wilhelmi, München
Literatur
1 Wilde ACB et al. J Clin Med 2021; 10:1061 2 Leicht E et al. (unpublished data) 3 Wiegand J et al. J Hepatol 2021;75:
S294-803, Abstract PO-1294 4 Strassburg CP et al. SK2-Leitlinie „Autoimmune Lebererkrankungen“; Stand: 9/2017; AWMF-Registernr. 021/027 5 European Association for the Study of the
Liver (EASL). J Hepatol 2017;67:145172 6 Fachinformation Ocaliva® 5mg/10mg;
Stand: Januar 2021 7 Nevens F et al. AASLD 2019, Abstract #L06 8 Nevens F et al. N Engl J Med 2016; 375:631-643
Vosoritid – die erste zielgerichtete Therapie für Kinder mit Achondroplasie
Achondroplasie ist die häufigste Skelettdysplasie und durch einen dysproportionierten Kleinwuchs gekennzeichnet. Ursache ist eine Gain-of-Function-Mutation im Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor-3-Gen (FGFR3), wodurch die Umwandlung von Knorpel- in Knochensubstanz an der Wachstumsfuge der Knochen hochreguliert und das Knochenwachstum gehemmt wird. Folgen der frühzeitigen Verknöcherung sind neben einer verringerten Körpergröße oft auch schwerwiegende Komplikationen, wie z.B. eine Stenose des Foramen magnum, eine Spinalkanalstenose, O-Beine, aber auch Atemprobleme und häufige Mittelohrentzündungen. Alle bisherigen therapeutischen Ansätze sind auf die symptomatische Behandlung der Komplikationen ausgerichtet. Mit Vosoritid (Voxzogo®) steht Menschen mit Achondroplasie nun die erste zielgerichtete Therapieoption in der EU zur Verfügung. Indiziert ist das Arzneimittel für die Behandlung von Patienten ab 2 Jahren, deren Epiphysen nicht geschlossen sind. Die Diagnose der Achondroplasie sollte durch entsprechende genetische Tests bestätigt werden.
Ursache im Fokus
Vosoritid zielt auf die molekulare Ursache der Achondroplasie – die Daueraktivität des FGFR3Signalweges – ab. Ein natürlicher Gegenspieler des FGFR3 ist das C-Typ-natriuretische Peptid (CNP). Bei Achondroplasie reicht das körpereigene CNP aber nicht aus, um der dauerhaften Wachstumshemmung durch den mutierten FGFR3 entgegenzuwirken. Genau hier setzt Vosoritid – ein rekombinantes, modifiziertes CNP-Analogon mit verlängerter Halbwertzeit – an. Wirksamkeit und Sicherheit von Vosoritid wurden in einem umfangreichen Studienrogramm in verschiedenen Altersstufen über einen längeren Zeitraum untersucht.
Signifikante Steigerung des Knochenwachstums
Basis für die Zulassung von Vosoritid ist eine Phase-III-Studie, in die 121 Kinder mit Achondroplasie im Alter von 5 bis <18 Jahren eingeschlossen wurden. Sie erhielten randomisiert 52 Wochen lang täglich eine subkutane Dosis Vosoritid (15μg/kg Körpergewicht) oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Veränderung der mittleren annualisierten Wachstumsgeschwindigkeit (Annualised Growth Velocity, AGV) gegenüber dem Ausgangswert. Unter der Therapie mit Vosoritid stieg die AGV um 1,57cm/Jahr im Vergleich zu Placebo signifikant (95%-KI: 1,22 –1,93; p<0,0001). Die beobachtete Wachstumssteigerung trat proportional – sowohl an der Wirbelsäule als auch an den unteren Gliedmaßen – auf. Nach der Behandlung mit Vosoritid zeigte sich kein Unterschied der Knochenmineraldichte im Vergleich zu Placebo. Unter der Therapie war der mittlere Anstieg des Knochenalters vergleichbar mit dem mittleren Fortschreiten des chronologischen Alters. Das deutet darauf hin, dass die Knochenalterung nicht beschleunigt ist.
F. S.
PD-1-Inhibitor Cemiplimab zur systemischen Therapie des fortgeschrittenen kutanen Plattenepithelkarzinoms
Die Immuntherapie ist eine wirksame Therapieoption beim fortgeschrittenen kutanen Plattenepithelkarzinom (CSCC). Auf der diesjährigen Jahrestagung der europäischen Krebsgesellschaft ESMO (European Society of Medical Oncology) wurden aktuelle Daten der EMPOWER-CSCC-1-Studie mit dem PD(programmed-cell-death)1-Inhibitor Cemiplimab (Libtayo ®) vorgestellt. EMPOWER-CSCC-1 ist eine Phase-II-Studie bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem CSCC, die in verschiedenen Kohorten mit dem PD1-Inhibitor Cemiplimab behandelt wurden. Primärer Studienendpunkt war jeweils die durch ein unabhängiges Expertengremium bestätigte objektive Remissionsrate (ORR). In Gruppe 1 waren Patienten mit metastasiertem CSCC und in Gruppe 2 solche mit lokal fortgeschrittenem, mit lokalen Maßnahmen nicht mehr kurativ behandelbarem CSCC eingeschlossen. Beide Patientengruppen erhielten eine an das Körpergewicht adaptierte Dosierung mit 3mg/kg Cemiplimab intravenös*, alle 2 Wochen. In Gruppe 3 wurde Cemiplimab bei metastasierten Patienten mit einer Fixdosis von 350mg Cemiplimab i.v., alle 3 Wochen, eingesetzt.
* Die Dosierungen 3mg/kg Q2W und 600mg Q4W Cemiplimab sind nicht zugelassen.
Bis zu 20 Prozent komplette Remissionen bei anhaltendem Ansprechen
In den 3 Gruppen zeigte sich eine vergleichbare und konsistente Wirksamkeit von Cemiplimab. Das aktuell publizierte Studien-Update bestätigt nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 15,7 Monaten bei fast jedem zweiten Patienten ein Therapieansprechen mit einer objektiven Tumorrückbildung bei 43–51% der Patienten (ORR: 46,1% im Mittel), darunter bis zu 20,3% komplette Remissionen nach 2 Jahren sowie eine Krankheitskontrollrate von 72,5%. Die mediane Ansprechdauer ist bislang in keiner der 3 Gruppen erreicht. Das gilt auch für das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) und das mediane Gesamtüberleben (OS) bei einer prognostizierten 2-Jahres-Überlebensrate von 73,3%. Bemerkenswert ist, dass die ORR- und die CR-Rate im Therapieverlauf zunehmen. So betrug die CR-Rate in Gruppe 1 (metastasiertes CSCC) nach 2 Jahren 20,3% versus 16,9% nach 1 Jahr. Die Daten unterstreichen, dass mit Cemiplimab hohe Ansprechraten, auch komplette Remissionen, und darüber hinaus ein anhaltendes Therapieansprechen möglich sind. Dies erklärt, warum das mediane PFS und OS bislang nicht erreicht wurden.
Verbesserung der Lebensqualität
Mit dem Therapieansprechen verbesserten sich auch die Lebensqualität und der allgemeine Gesundheitszustand signifikant, da krankheitsbedingte Beschwerden und damit einhergehende Schmerzen zurückgingen (p<0,0001). Die Verbesserungen zeigten sich bereits in den ersten 2 Monaten und hielten im Therapieverlauf an.
Erste Daten der Gruppe 4 mit höherer Dosierung
Mittlerweile liegen auch Daten einer weiteren Kohorte vor, in der Patienten mit metastasiertem oder lokal fortgeschrittenem CSCC mit 600mg Cemiplimab* alle 4 Wochen, behandelt wurden. Die Hoffnung ist, mit der höheren Dosierung eine vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit zu erzielen. Die ersten Ergebnisse der Gruppe 4 zeigen mit 58,7% eine hohe ORR, darunter bereits 11% komplette Remissionen. Bei 76,2% kam es zu einer anhaltenden Krankheitskontrolle mit einer prognostizierten 1-Jahres-PFS-Rate von 64,7% und einer 1-Jahres-Überlebensrate von 79,6%. Trotz höherer Dosierung stieg die Rate unerwünschter Ereignisse nicht klinisch relevant an und liegt mit 12,7% Grad≥3Nebenwirkungen und einer therapiebedingten Abbruchrate von 11,1% vergleichsweise niedrig. S. M.
Cemiplimab
Cemiplimab (Libtayo®) ist ein humaner Immunglobulin-G4 (IgG4) monoklonaler Antikörper, der an den programmed cell death1-(PD-1-)-Rezeptor bindet. Dieser kann mit den auf Tumorzellen exprimierten Liganden PD-L1 und PDL2 interagieren, was zur Unterbindung von T-Zell-Funktionen wie z.B. Proliferation, Zytokinausschüttung und zytotoxischer Aktivität führt. Indem Cemiplimab die Bindung zwischen PD-1 und PD-L1 sowie PD-L2 blockiert, verstärkt es die T-ZellAntwort, einschließlich der AntiTumor-Antwort.
Immunonkologie: Neue Wege in der Krebstherapie mit BiTE®-Molekülen
In den vergangenen Jahren konnten große Fortschritte bei immunonkologischen Therapien erzielt werden. Der Vorteil der innovativen Immuntherapien ist, dass die Arzneimittel durch die Aktivierung des körpereigenen Immunsystems auch die Krebszellen gezielt attackieren und zerstören können, die sich der Abwehr durch Unterdrückung der Immunantwort entziehen, indem sie beispielsweise keine Antigene präsentieren oder diese als körpereigen erscheinen lassen. Eine vielversprechende Option sind die von der Amgen Research (Munich) GmbH entwickelten BiTE® (bispecific T-cell engager)Moleküle, die die T-Zellen des Immunsystems dabei unterstützen, die Tumorzellen zu identifizieren und zu zerstören.
Adapter zwischen Krebs- und T-Zellen
Bei der Herstellung der BiTE® Moleküle werden Teile zweier natürlicher Antikörper miteinander verknüpft, sodass sie gleichzeitig spezifisch an zwei unterschiedliche Zellen binden können. So ausgestattet fungieren die BiTE® Moleküle als Adapter zwischen Krebs- und T-Zellen: Ein Arm bindet an den Rezeptor der T-Zelle (CD3), der zweite Arm verknüpft sich zielsicher mit einem spezifischen Tumorprotein, dem Tumorantigen (Abb. 1). Dadurch wird die T-Zelle aktiviert und kann die Krebszelle eliminieren. Gesundes Gewebe nimmt hierbei kaum Schaden. Da die Zellerkennung nicht über die antigenpräsentierenden MHCKomplexe erfolgt, die die Zerstörung der kranken Zellen normalerweise aktivieren, wirken die BiTE®-Moleküle auch dann, wenn die MHC-Signalmoleküle durch den Tumor verändert und ausgeschaltet wurden (Abb. 1).
Jedes beliebige Tumorantigen kann erkannt werden
Aufgrund der Zweiteilung kann der Tumor-bindende Arm des BiTE® Moleküls beliebig an tumorspezifische Antigene angepasst und das jeweilige Molekül gegen bestimmte Krebszellen gerichtet werden. Das erste Arzneimittel auf Basis der BiTE®-Technologie wurde 2015 in Europa zugelassen. Heute sind bei Amgen zahlreiche BiTE® Moleküle für Zielstrukturen bei verschiedenen soliden und hämatologischen Tumoren in der Pipeline. Amgen prüft zudem die Möglichkeit, verschiedene immunonkologische Ansätze miteinander zu kombinieren, um Krebserkrankungen aus verschiedenen Richtungen zu bekämpfen. Gegenstand der Forschung ist beispielsweise die Kombination der BiTE® Technologie mit der CheckpointInhibition.
B. S.
a) b)
Abbildung 1: a) Bei der regulären Immunerkennung kann die T-Zelle die kranke Zelle nur identifizieren und eliminieren, wenn diese ein Signalmolekül an die Zelloberfläche bringt (MHC). b) Das BiTE®-Moleküle aktiviert die T-Zelle dagegen, indem es mit einem Arm an den Rezeptor der T-Zelle (CD3) und mit dem anderen Arm an das tumorspezifische Antigen der Krebszelle bindet (Quelle: Amgen GmbH).