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M O D E & AC C E S S O IRE S

DAS REICHE ERBE DER

GALLUSSTADT

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Die Spuren der Epoche, als St.Gallen zur textilen Weltmetropole aufgestiegen war, begleiten Besucher:innen bis heute auf Schritt und Tritt. ELISHA NICOLAS SCHUETZ

Die Ostschweiz ist weltweit bekannt für ihre textile Tradition und ihr ausgeprägtes Know-how in diesem Bereich; und diese Tradition reicht gar bis ins frühe Mittelalter zurück. Über Jahrhunderte war das Leben der St.Galler:innen von der Verarbeitung von Baumwolle, der Leinwandherstellung, und dem Besticken gefertigter Stoffe geprägt. Der enorme Einfluss der Textilwirtschaft in der Ostschweiz ist bis in die Gegenwart spürbar – unter anderem in der Architektur. Die Hochblüte Der Höhenflug der St.Galler Stickindustrie begann 1828 mit der Handstickmaschine, deren weiterentwickelte Version ab 1852 in Serie herstellt wurde. Auf ihr wurden Stickereien von beinahe handgestickter Qualität ermöglicht. Mit der Erfindung der Schifflistickmaschine begann 1863 die globale Erfolgsgeschichte der St.Galler Stickerei. 1890 standen in Ostschweizer Haushalten rund 19 400 Stickmaschinen, und immer mehr Menschen stickten zu Hause als wichtiger Nebenverdienst – insbesondere im Winter. Zwanzig Jahre später war die Produktion von Stickereien mit einem Anteil von 18 Prozent und 20

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über 200 Millionen Franken der grösste Exportzweig der Schweizer Wirtschaft. Über die Hälfte der weltweit produzierten Stickereien stammte aus St.Gallen, von wo rund 95 Prozent der Produktion exportiert wurden. Allmählicher Niedergang Ihren produktiven Höhepunkt erreichte die St.Galler Stickerei 1912 mit einem Absatz von 8941 Tonnen und einem Exportumsatz, der grösser war als jener der Uhrenindustrie. Doch nur zwei später Jahre leitete der Erste Weltkrieg ihren Niedergang ein. Umgehend brach die Nachfrage nach luxuriösen Produkten wie Stickereien ein und Freihandelszonen existierten faktisch nicht mehr. Nach dem Krieg zog die Nachfrage kurzfristig an, doch beendete die Weltwirtschaftskrise ab Ende der 20er-Jahre die Glanzzeit der St.Galler Stickerei endgültig. Sie erreichte 1935 mit 631 exportierten Tonnen ihren Tiefpunkt. Die Löhne fielen, die Arbeitslosigkeit stieg und die grösste Wirtschaftskrise der Region nahm ihren Lauf. Die Stickindustrie wiederzubeleben scheiterte, weil sich die teuren Stickautomaten nicht rentabel einsetzen liessen.


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