3 minute read

„Entwicklungen am Arbeitsmarkt nicht unterschätzen“

Nach 40 Jahren Kapitalmarkterfahrung blickt der Volkswirt Peter Brezinschek auf zahlreiche prägende Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte zurück. Seine Karriere begann er 1983 als Kapitalmarktanalyst bei der Genossenschaftlichen Zentralbank, dem Vorgänger der Raiffeisen Zentralbank, somit in einer Zeit, in der sich die Industriestaaten gerade von der Stagflation aufgrund hoher Energiepreise erholten.

Droht nun ein ähnliches Szenario? – Peter Brezinschek: Auch diesmal haben zunächst hohe Energiepreise die Inflation angeheizt, wenngleich die Entwicklung zuletzt rückläufig war. Die Inflation sank im Jänner im Jahresvergleich deshalb auf 8,5 Prozent in der Eurozone. Jedoch verschärfte diesmal auch die Lieferkettenproblematik die Lage. Aufgrund der Globalisierung sind heute die Volkswirtschaften weitaus internationaler verwoben.

Angesichts sinkender Energie- und Verbraucherpreise müsste sich die Lage doch weiter entspannen. – Auch die Entwicklungen am Arbeitsmarkt sollte man nicht unterschätzen. Während Ende der 1970er-Jahre eine Rezession zu einer hohen Arbeitslosigkeit führte, ist heute die Lage anders. Allein im Dezember sank die Arbeitslosenquote auf 6,6 Prozent, das tiefste Niveau seit Gründung der Eurozone, und das trotz mauer Konjunkturentwicklung. Die Lohnab- schlüsse fielen deshalb hoch aus, was zu Zweitrundeneffekten führt. Das Gleiche wird bei den Lohnverhandlungen im Herbst 2023 passieren. Deshalb wird man die Inflation wahrscheinlich auch nicht rein mit der Geldpolitik in den Griff bekommen.

Was müsste noch geschehen? – Auch die Fiskalpolitik ist gefordert. Schließlich wurde in den vergangenen Jahren viel an Krisenhilfen beispielsweise als Pan-

Moral der Geschichte. Die Inflation wird man mit Geldpolitik nicht in den Griff bekommen, sagt Peter Brezinschek.

VITA PETER BREZINSCHEK Finanzmarktexperte

Der langjährige Chefanalyst (65) der Raiffeisen Bank International AG und Leiter von Raiffeisen Research lässt seit seinem Abschied nicht locker und ist nun als selbstständiger Finanzmarktexperte durchgestartet. Damit sein Kopf frei bleibt, geht er leidenschaftlich gerne Skifahren und Laufen.

Trotz aktuell hoher Inflation und getrübten Wirtschaftsausblicks sieht Peter Brezinschek, ehemaliger Chefanalyst bei Raiffeisen Research und selbstständiger Finanzexperte, nicht nur Parallelen zu den 1970er-Jahren. Brezinschek geht im Interview mit dem „Börsianer“ auf grundlegende Divergenzen ein und erläutert, worauf Anleger achten sollten.

demiestütze ausbezahlt. Die Nachfrage wurde damit künstlich hochgehalten, anstatt dass sie sich aufgrund steigender Preise einbremste. Die Staatsdefizite, die aufgrund solcher Aktionen noch weiter gestiegen sind, müssen wieder zurückgefahren werden.

Wie schätzten Sie die Konjunktur- und Inflationsentwicklung konkret ein? – Die Eurozone rutscht voraussichtlich nicht in eine Rezession. Zuletzt haben sich mehrere Vorlaufindikatoren wie etwa die Einkaufsmanagerindizes aufgehellt. Das BIP dürfte heuer um 0,3 Prozent zulegen, 2024 könnte das Plus zwei Prozent erreichen. Die Inflationsrate dürfte auf gut sechs Prozent sinken und sich 2024 in Richtung zwei Prozent bewegen. Problematisch sehe ich die hohe Kerninflation – somit ohne Energie, Nahrung, Alkohol und Tabak. Sie erreichte im Jänner 5,2 Prozent. Auch 2024 dürfte sie über vier Prozent bleiben.

Was steckt hinter der ungünstigen Entwicklung? – In der Kernrate machen sich allmählich steigende Lohnabschlüsse bemerkbar. Hinzu stehen die Lohnrunden im Herbst 2023 an. Da dürften die Forderungen der Gewerkschaft noch höher ausfallen als 2022. Denn als Verhandlungsbasis wird dann die höhere Inflationsentwicklung vom vergangenen Herbst herangezogen. Auch die Klimaschutzmaßnahmen sowie höhere Dienstleistungspreise sind Treiber der Kerninflation.

Der ehemalige Fed-Chef Paul Volcker hob von 1979 bis 1981 die Leitzinsen von 11,2 auf 20 Prozent an, um die hohe Inflation zu bekämpfen. Auch in Europa waren die Zinsen hoch. Wie weit könnte die EZB gehen? –Bis zum Sommer dürfte der Leitzins voraussichtlich auf vier Prozent angehoben werden, danach ist eine Pause realistisch. Eine Vielzahl an Marktteilnehmern rechnet dann im zweiten Halbjahr zwar mit ersten Senkungen. Ich denke jedoch, dass das höhere Zinsniveau zumindest bis Jahresmitte 2024 andauern wird, da die Kernrate vor allem aufgrund der angespannten Lage am Arbeitsmarkt nicht allzu rasch sinken wird.

Kann sich Europas Peripherie, allen voran Italien, höhere Zinsen angesichts der enormen Schulden leisten? – Mit den steigenden Preisniveaus nehmen ja auch die

Steuereinnahmen, etwa über die Mehrwert- und Lohnsteuer, zu. Außerdem würden konsequente Zinsanhebungen zur Bekämpfung der Inflation das Vertrauen in den europäischen Markt für Staatsanleihen stärken. Dann sind in weiterer Folge Renditesenkungen wieder umso realistischer, ein Umstand, der die Refinanzierungskosten auch für die europäische Peripherie senken würde. Und das würden auch die Bondanleger honorieren.

Trotz hoher Inflation und steigender Zinsen Anfang der 1980er-Jahre knackte 1983 der Dow Jones – damit zu Beginn Ihrer Analystenlaufbahn – die Marke von 1.000 Punkten. Fürchten sich heute Aktionäre zu Unrecht vor höheren Zinsen? – Die Inflation wurde damals erfolgreich bekämpft und sank 1983 in den USA auf rund drei Prozent. Die Konjunktur erholte sich folglich, die Unternehmensgewinne legten wieder kräftig zu. Grundsätzlich gilt: In Zeiten, in denen sich die Inflationsraten zwischen einem und drei Prozent bewegen, lassen sich meist die höchsten Aktienerträge lukrieren. Derzeit ist die Inflation höher, auch die Unternehmensgewinne 2023 werden höchstens zwischen zwei und fünf Prozent wachsen, aber danach wieder mehr zulegen.

Gibt es dennoch Chancen? – Während Wachstumsaktien im Vorjahr unter steigenden Zinsen gelitten hatten, verzeichneten Energiekonzerne starke Zuwächse. Das könnte sich heuer ändern, die Preise für Öl und Gas haben inzwischen markant korrigiert. Die Banken dürften aufgrund höherer Zinsen einen Rückgang beim Kreditwachstum verzeichnen. Demgegenüber könnten Industrietitel, etwa aus der Chemie- und Papierbranche, von den niedrigeren Energiekosten profitieren. Langlebige Konsumgüter dürften ebenfalls wieder vermehrt nachgefragt werden.

1985 verhalf US-Investor Jim Rogers der Wiener Börse zu einem Höhenflug. Braucht es heute einen neuen Katalysator? – Die Regierung sollte die Möglichkeit schaffen, mit Aktien steuerbegünstigt für die Pension vorzusorgen. Damit würden mehr Menschen zu Aktionären werden – ein Umstand, der letztendlich auch für die Wiener Börse eine wichtige Stütze wäre. n

This article is from: