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HERR MINISTER, ZAHLEN BITTE
Souverän. Für Magnus Brunner ist in der Politik das Amt des Finanzministers der beste Job der Welt.
VITA MAGNUS BRUNNER
Finanzminister
Der begeisterte Tennisspieler ist seit Dezember 2021 Finanzminister der Republik Österreich.
International hat sich der gebürtige Vorarlberger durch sein souveränes Auftreten einen Namen gemacht. Sein Pressesprecher Michael Ulrich ist Burgenländer – an etwaigen Sprachbarrieren arbeiten die beiden noch.
Finanzminister Magnus Brunner jongliert derzeit
Milliarden Euro für Hilfen. Mit dem Börsianer sprach
er über schlechte Kommunikation, die VollkaskoMentalität und darüber, wie viel der Staat helfen soll und ob der Kapitalmarkt derzeit politisch opportun ist.
INTERVIEW DOMINIK HOJAS, INGRID KRAWARIK FOTOS STEFAN BURGHART
Milliarden. Bonmot am Rande: Beim Wort „Budgetverhandlung“ verschwindet das Lächeln von Magnus Brunner.
Magnus Brunner fühlt sich wohl und auch sehr gefordert in seiner Rolle als Finanzminister. Trotz seines dichten Terminkalenders gibt er sich sehr nahbar, gewinnend und im Gespräch auch selbstkritisch. Keiner habe immer die perfekten Lösungen parat, sagt er. Doch nicht zu helfen sei derzeit keine Option. Zartbesaitet ist er definitiv nicht. Die akademische Viertelstunde hat er trotzdem ausgenutzt. Die Börsianer-Chefredaktion traf den gebürtigen Vorarlberger in seinen Büroräumlichkeiten in der Johannesgasse in Wien, dem Sitz des Bundesministeriums für Finanzen, und sprach mit dem begeisterten Tennisspieler über die Abschöpfung von Übergewinnen, Gießkannen- und Vollkasko-Mentalität, was die Abschaffung der kalten Progression tatsächlich bringt und kostet, wer die Milliardenhilfen zahlen soll, ob die Gräben zwischen Schwarz und Rot zu kitten sind und welche Joker er für den Kapitalmarkt plant.
Egal ob London, Washington oder Wien, Sie hinterlassen auf dem Finanzparkett einen guten Eindruck – wie wohl fühlen Sie sich
als Finanzminister? – Magnus Brunner: Es ist ein unglaublich spannender Job. Ich geh sogar noch ein Stück weiter: Wenn man in der Politik sein möchte, ist Finanzminister der absolut beste Job.
„Bevor Hilfen wirken, von den nächsten zu sprechen, halte ich nicht für seriös.“
MAGNUS BRUNNER
Inwiefern? – Weil vieles beim Finanzminister zusammenkommt. Das merke ich jetzt in Krisenzeiten, da bin ich als Finanzminister unglaublich intensiv gefordert.
Sie selbst zeigen sich regelmäßig kritikfähig – was bedeutet Feedback für Sie, und wie formuliert man es Ihnen gegenüber am bes-
ten? – Ich nehme jede konstruktive Kritik ernst. Ich bin nicht zartbesaitet, niemand hat immer die perfekten Lösungen.
Die freie Marktwirtschaft ist für mich das stärkste Betriebssystem der Welt. Bereitet es Ihnen Sorgen, wenn die Politik immer öfter versucht, in den Markt einzugreifen, Stich-
wort Gewinnabschöpfung? – Das macht mir große Sorgen. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr hat das als Vollkasko-Mentalität beschrieben. Auch Markteingriffe gefallen mir prinzipiell nicht, ich habe einen anderen Zugang. Allerdings leben wir in außergewöhnlichen Zeiten, in denen sich vieles verändert hat. Gerade im Energiebereich macht ein Markteingriff für mich nur Sinn, wenn man den auf europäischer Ebene durchzieht. Da ist die Europäische Kommission gefordert.
Gab es auf EU-Ebene Gespräche zum The-
ma Abschöpfung? – Wir bemühen uns schon seit vielen Wochen, dass die Europäische Kommission endlich tätig wird. Ich vermeide den Begriff Übergewinn, was soll das sein? Gewinn ist nichts Böses, im Gegenteil. In der aktuellen Situation gibt es vielleicht einen Krisengewinn oder Zufallsgewinn, über diese Abschöpfung kann man reden. Allerdings ist das nur eine Symptombekämpfung, keine Ursachenbekämpfung. Aus meiner Sicht ist ein gemeinsamer Markteingriff nur sinnvoll, wenn man das System oder das Marktdesign ändert. Wer nur Symptome bekämpft und Zufallsgewinne abschöpft, bekommt noch keine niedrigeren Preise.
Der Markt und die Börsen reagieren bei solchen Themen sehr sensibel, Aussagen des Kanzlers Karl Nehammer haben die Verbund-Aktie fast fünf Milliarden Euro an Wert gekostet. Der Markt lebt von Vertrau-
en. Können Investoren der Republik Öster-
reich in Zukunft weiterhin vertrauen? – Sie können sich zu 100 Prozent verlassen und Vertrauen haben. Es zeigt, dass auch Politiker und Experten behutsam vorgehen müssen.
Sie haben den Begriff Bauchweh in den vergangenen Wochen öfter verwendet. Der Staat schüttet derzeit mit diversen Hilfen Milliarden Euro an Helikopter-Geld aus, der Begriff Gießkanne fällt auch öfter. Was kann, soll und muss der Staat in einer Kri-
se leisten? – Die Menschen sind intensiv von den Teuerungen betroffen, wir können es uns nicht leisten, nicht zu helfen. Es ist aber prinzipiell nicht Aufgabe des Staates, alle Krisen dieser Welt zu 100 Prozent zu kompensieren, dazu ist er auch nicht in der Lage. Das muss klar gesagt werden. Man kann abfedern und teilweise ausgleichen.
Wie kompromissfähig muss man als
Finanzminister sein? – Wir leben in einer Koalition, da muss man kompromissfähig sein. Wir versuchen schon, treffsicher zu handeln und nicht mit der Gießkanne, wie Sie gesagt haben, die Hilfen zu verteilen. Es ist aber natürlich eine Abwägung zwischen Treffsicherheit und Geschwindigkeit und Administrierbarkeit der Unterstützungsmaßnahmen. Wir verfolgen schon einen Plan.
Wie sieht der aus? – Im Jänner und März mussten wir schnell helfen, da haben wir vier Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das ist extrem viel Steuergeld. Dann ist die Situation auf den Energiemärkten eskaliert. Bei dem dritten Paket in Höhe von 28 Milliarden Euro haben wir darauf geachtet, dass Maßnahmen dabei sind, die schnell wirken, und zwar vor allem für Bezieher der Mindestpension und der Mindestsicherung sowie für Familien. In der zweiten Phase sind wir bewusst in die Breite gegangen in Richtung Mittelstand, weil die Teuerung auch den Mittelstand stark betrifft.
Verstehen Sie die Kritik an der Gießkannen-
Mentalität? – Über mehr Treffsicherheit kann man diskutieren, es ist nur nicht ganz so einfach, das Geld zu den Leuten zu bringen. Das kann man über Sozialleistungen und Familienleistungen relativ einfach machen, aber wenn man an die Steuerzahler ranwill, ist das schon komplexer. Möglich wäre das über den Steuerausgleich nächstes Jahr, aber das ist zu spät, das kommt erst 2023.
Ihr Bauchweh wird nicht besser werden, es klagen immer mehr Interessengruppen, derzeit Kommunen und Gemeinden sowie Unternehmen. Was ist da geplant, und wie
Gießkanne. „Über mehr Treffsicherheit kann man immer diskutieren, manchmal muss es aber schnell gehen“, meint Magnus Brunner.
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Milliarden Euro an Hilfen hat der Staat bisher angekündigt und teilweise schon ausgezahlt, um die Energiekrise und die Inflation zu bekämpfen. Ab 1. Jänner 2023 werden die Abschaffung der kalten Progression, die Senkung der Lohnnebenkosten sowie die Valorisierung der Familien- und Sozialleistungen wirksam.
viel wird das kosten? – Uns ist bewusst, dass Betriebe sehr stark von der Energie- und Preissituation abhängig sind. Es wird für die großen und energieintensivsten Betriebe eine Strompreiskompensation geben und einen Energiekostenzuschuss für jene KMUs, die besonders betroffen sind. Beim Energiekostenzuschuss reden wir sicher von einem Rahmen von einer Milliarde Euro, der hoffentlich nicht ausgeschöpft wird.
Wo sind denn die Grenzen dieser Vollkasko-
Mentalität? – In so schwierigen Zeiten ist nicht zu helfen keine Option. Ich glaube, den englischen Spruch „Whatever it takes“, der in Coronazeiten mit „Koste es, was es wolle“ übersetzt wurde, würde ich anders übersetzen: „Wir stellen das zur Verfügung, was notwendig ist.“
Wer soll das alles zahlen? Sie haben zwar Rekordsteuereinnahmen von 100 Milliarden Euro, aber Sie haben neben der Energiekrise auch die Zinswende, Finanzierungen werden den Staat wesentlich mehr kos-
ten. – Wir sind in Österreich relativ gut abgesichert und haben langfristige Anleihen ausgegeben, da sind wir ganz gut unterwegs. Bei der Finanzierung insgesamt ist es immer eine Abwägung. Bei der kalten Progression zum Beispiel gibt es einen Eigenrefinanzierungsanteil, der aufgrund der hohen Inflation bei 30 Prozent Mehreinnahmen gesehen wird. Bei Budgets und Ressorts müssen wir Schwerpunkte setzen. Jede Maßnahme muss auch volkswirtschaftlich hinsichtlich des Wachstums und Stärkens der Kaufkraft angeschaut werden.
Konservative Schätzungen rechnen in einem Jahr mit einem EZB-Leitzins von 3,25 Prozent, es sprechen auch viele Volkswirte von einer möglichen Rezession. Rechnen Sie mit einem Wirtschaftsabschwung,
und was bedeutet das für das Budget? – Auf der einen Seite sind wir 2022 extrem gut drübergekommen, wir reden da von vier Prozent Wachstum, da sind Deutschland und die Schweiz weit hinter uns. Das ist die positive Nachricht. 2023 trübt sich das massiv ein, das hängt auch mit der Gassituation zusammen. Alle Experten sagen uns, wenn wir mit der Gassituation halbwegs drüberkommen, schlittern wir insgesamt nicht in eine Rezession.
Wie zufrieden sind Sie mit der derzeitigen EZB-Politik? Ihre Vorgänger waren oft sehr
kritisch. – Ich bin zwiegespalten. Ich finde es gut, dass die EZB diesen kräftigen Zinsschritt gesetzt hat, klar ist, dass weitere Schritte folgen müssen. Was ich weniger positiv beurteile, ist die Geschwindigkeit, die Zinsschritte hätten früher erfolgen sollen. Mir fehlt auch gerade wegen der Inflationsthematik ein klares und konsequenteres Auftreten der EZB, weil viel Psychologie dabei ist.
Sie sind bald bei EZB-Präsidentin Christine Lagarde zu Gast, was werden Sie fordern?
– Wir werden die Inflationsentwicklung analysieren, aber vor allem darauf aufmerksam machen, dass das Mandat der EZB auf der Preisstabilität ruht.
Grüne Themen sehen Sie also nicht im Kerngeschäft der EZB? – Nein, sehe ich nicht. Der Job der EZB ist das Zwei-Prozent-Ziel bei der Inflation oder zumindest der Kampf gegen die hohe Inflation.
Welche strukturellen Maßnahmen planen Sie, um die ganzen Corona- und Energiehilfen zu bezahlen? – Wir wollen auf jeden Fall mittelfristig auf einen nachhaltigen Budgetpfad zurückkehren, weil wir uns auf nationaler Ebene Spielräu-
me schaffen müssen für zukünftige Krisen. Da war Österreich jetzt in einer guten Situation, weil meine Vorgänger zum Teil schon darauf geschaut haben, dass wir diese Spielräume haben, sonst hätten wir uns die intensiven Unterstützungen jetzt nicht leisten können. Auch auf europäischer Ebene ist eine nachhaltigere Fiskalpolitik kein Selbstzweck. Wenn etwa Italien oder Portugal den Haushalt besser im Griff hätten, hätte die EZB früher handeln können.
Was wäre so eine strukturelle Maßnahme?
– Es sind eher Entlastungsmaßnahmen wie die kalte Progression. Das ist schon eine Riesengeschichte.
Die Abschaffung der kalten Progression ist ein Riesenschritt, zu dem man der Regierung gratulieren kann – was ist so besonders daran, was bringt sie? – Die kalte
MAGNUS BRUNNER
Progression ist die schleichende Steuererhöhung, von der der Finanzminister in den vergangenen Jahrzehnten profitiert hat. Wenn man mehr Lohn bekommt, ist man bisher automatisch in eine höhere Steuerstufe hineingekommen. Das schaffen wir ab, indem wir die Inflation einberechnen. Wifo und IHS machen dazu einen Progressionsbericht, den nehmen wir dazu her, die Summe an kalter Progression abzugleichen. Das passiert zu zwei Dritteln automatisch, ein Drittel gibt uns den Spielraum, etwas für die Steuerzahler auszugleichen. Wir haben jetzt entschieden, das eine Drittel für die erste und zweite Tarifstufe herzunehmen. So geben wir das Geld zu 100 Prozent zurück und entlasten die Steuerzahler.
Was heißt das konkret? – Wenn ich bisher den Start des Steuerzahlens bei 11.000 Euro hatte, wird es nächstes Jahr bei 11.693 Euro sein. Die Stufen gehen alle hinauf. Ich komme später in eine neue Stufe. Wir hätten es uns auch leichter machen können. Man verliert budgetären Spielraum, deshalb hat man das auch nicht gemacht in der Vergangenheit.
Wie viel budgetären Spielraum verlieren Sie
da? – Für 2023 1,8 Milliarden Euro. Dieses Geld bleibt bei den Menschen.
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Steuergeld. „Bei der Wien Energie ging es um zwei Milliarden Steuergeld. Das ist nicht nichts“, sagt Magnus Brunner.
Gibt es noch weitere Ideen? – Wir haben drei auf den Weg gebracht: die kalte Progression, die Valorisierung der Sozialleistungen und Familienleistungen und die Lohnnebenkostensenkung, zum ersten Mal seit 15 Jahren. 0,3 Prozent sind nicht so schlecht.
Eigentlich ist die ökosoziale Steuerreform ein großer Wurf, der aber völlig untergeht.
Hat man die zu schlecht verkauft? – Total. Da haben Sie vollkommen recht. Es ist eigentlich unfassbar, dass eine Steuerreform, die gerade jetzt großzügig wirkt, in der aktuellen Aufgeregtheit der Diskussion keine Beachtung findet. Das ist eigentlich ein Wahnsinn. Aber wir haben auch aktuell mehrere Krisen, dazu die Vollkasko-Mentalitäts-Diskussion, die durch die Coronahilfen und Teuerungsausgleichsmaßnahmen weiter angeheizt wird. In dieser ganzen Aufgeregtheit redet man nur von nächsten Schritten und lässt die Maßnahmen gar nicht mehr wirken.
Hilft der Staat zu viel? – Ich hoffe, dass die strukturellen Maßnahmen, die wir gesetzt haben und im nächsten Jahr wirken, anerkannt werden. Bevor Hilfen wirken, von den nächsten zu sprechen, halte ich nicht für seriös.
Ein bisschen einen Erziehungseffekt darf
der Finanzminister auch erwirken … - (lacht) Ja, ich brems eh immer.
Manche wollen die CO2-Bepreisung verschieben, wird das Paket aufgeschnürt?
– Nein, weil der Einstieg der Bepreisung von CO2 auf der einen und die Entlastung über den regionalen Klimabonus auf der anderen Seite als ein Paket beschlossen wurden. Der Klimabonus kommt einen Monat früher als gedacht, die CO2-Bepreisung im Oktober. Gott sei Dank haben wir den Preis damals auf 30 Euro pro Tonne CO2 festgesetzt.
Stichwort Wien Energie: Wie lautet Ihr bis-
heriges Fazit dazu? – Der Fall wurde uns damals vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Wien Energie und auch von der Wiener Stadtpolitik sehr dramatisch geschildert. Innerhalb von 24 Stunden waren zwei Milliarden Euro notwendig. Es ging laut Unternehmensangaben um Blackout-Gefahr für zwei Millionen Kunden und den Wunsch, den Handel an der Leipziger Börse auszusetzen, was aber nicht möglich war. Als Bund können wir nur einer Gebietskörperschaft helfen, aber keinem einzelnen Unternehmen eine Kreditlinie zur Verfügung stellen. Da waren wir etwas überrascht, dass es zu Beginn kein offizielles Ansuchen der Stadt Wien gegeben hat.
Waren Sie darüber verärgert? – Nein, aber es ging um zwei Milliarden Euro Steuergeld, das ist das Jahresbudget des Landes Vorarlberg. Da geht es nicht um nichts.
Mittlerweile haben Experten von Ithuba oder auch Freshfields festgestellt, dass vonseiten der Wien Energie nicht spekuliert wurde. Das haben Sie bei Interviews in den Raum gestellt. Sind für Sie jetzt alle Fragen beantwortet? – Ich habe gesagt, es stehen mutmaßliche Spekulationen im Raum, und das muss man aufklären. Wir wissen noch nicht, was in dem Bericht von Ithuba und Co steht. War das Risikomanagement ausreichend, waren die Vorsichtsmaßnahmen ausreichend, gab es eine Anpassung an die Marktsituation – das sind die entscheidenden Fragen, die
beantwortet sein müssen, dann kommt ohnehin der Rechnungshof und prüft.
Die Gräben zwischen Schwarz und Rot sollen unfassbar tief sein. Kann das gekittet
werden? – Ich hab da einen ganz anderen Zugang. Ich treffe mich ab und zu mit Stadtrat Peter Hanke, und auch mit Michael Ludwig habe ich mich immer konstruktiv und gut unterhalten, ich schätze beide. Deshalb finde ich es schade, dass es so weit gekommen ist und man nicht besser kommunizieren konnte.
Zum Schluss: Der Regulierungsrucksack der Finanzindustrie ist in den letzten zehn Jahren immer schwerer geworden, das nimmt dem Markt auch die Vielfalt. Haben Sie hier konkrete Erleichterungen im Kopf, Stich-
wort Behaltefrist? – Wir haben das im Regierungsprogramm vereinbart und ein Konzept entwickelt, weil ich überzeugt bin, dass wir den Kapitalmarkt attraktiver gestalten müssen. Die Behaltefrist ist schon dazu da, Alternativen aufzuzeigen, da geht es um Vorsorge, auch für junge Menschen.
Können Sie schon Eckpunkte verraten? – Die Hauptpunkte Dauer, Höchstgrenzen und welche Produkte sind offen, da stehen ein paar x im Konzept, die müssen wir mit dem Koalitionspartner verhandeln. Wir haben das Konzept fertig, es war noch die Frage, ob einfach gesetzlich oder verfassungsgesetzlich, da haben wir uns für Ersteres entschieden, weil Signale der Opposition schon gekommen sind, die Behaltefrist nicht zu unterstützen. Die Legistik ist in Fertigstellung. Dieses Konzept haben wir unserem Koalitionspartner bereits übermittelt und hoffen, dass es auch im Sinne des Koalitionspartners ist, in Richtung der Vorsorge etwas zu tun. Ich bemühe mich weiter.
Was würden Sie denn statt eines solchen x
einsetzen? – (lacht) Bitte um Verständnis, dass ich dazu jetzt nichts sagen werden. Aber wenn wir von einem Jahr oder zehn Jahren Behaltefrist sprechen, bin in näher bei einem Jahr.
Ist dieses Thema derzeit überhaupt poli-
tisch opportun? – Das hoffe ich, weil wir inhaltlich ja weiterarbeiten müssen. Krisenmanagement ist das eine, das ist unfassbar intensiv, weil multiple Krisen da sind, aber wir müssen parallel für den Standort und Wirtschaftsstandort weiterarbeiten, das ist dringend notwendig. Ich hoffe, dass solche inhaltlichen Projekte auch weitergeführt werden. Die Behaltefrist ist wie die kalte Progression dringend notwendig. n
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Ein Viertel der globalen Emissionen steht in Verbindung mit der Lebensmittelproduktion und ein Drittel der produzierten Lebensmittel findet den Weg in den Müll. Beide Sachverhalte bilden die Grundlage für einen dringend notwendigen Wandel in einem gewaltigen Ausmass. Mark Hawtin von GAM Investments analysiert die Zukunft unserer Lebensmittel und erläutert, warum sich hiermit eine der spannendsten Erfolgsaussichten für die nächsten 10 bis 15 Jahre abzuzeichnen beginnt.
Betrachten wir Investitionen aus dem Bereich der Disruption, geht es darum, Themen aufzuspüren, die potenziell Substanz aufweisen und mit exponentiellem Tempo wachsen. Lebensmittel haben sich diesbezüglich noch nie empfohlen. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass der Klimawandel und die technologische Entwicklung derzeit einen Wendepunkt im Lebensmittelbereich herbeiführen, der mit dem der Smartphones im Jahr 2007 vergleichbar ist. Analysen, durchgeführt von Hannah Tucker von Balance Point Ventures, lassen darauf schliessen, dass dem Lebensmittelbereich zukünftig drei Entwicklungsalternativen offenstehen: 1.Ein Weltuntergangsszenario, und zwar der
Zusammenbruch der Natur, sollten wir keine grundlegenden Änderungen vornehmen; 2.Eine synthetische Welt, in der wir die Natur kontrollieren; und 3.Eine sich erneuernde Welt, die durch den Schulterschluss von Alt und Neu gekennzeichnet ist, um bessere Ergebnisse zu erzielen, die nachhaltiger sind und weniger zerstörend auf die Umwelt wirken.
Szenario 1 ist offensichtlich keine Option, oder mit den Worten Ban Ki-moons, «es gibt keinen Planeten B», aber auch Szenario 3, selbst wenn es additiv ist, wird unseres Erachtens die Probleme nicht in grossem Umfang lösen können. Das heisst, dass im Verlauf der nächsten 10 bis 20 Jahre synthetisch hergestellte Lebensmittel einen Grossteil des Bedarfs an nachhaltigen Lebensmitteln decken werden. Sie unterliegen bereits den geometrischen Gesetzen, die das Hyperwachstum unterstützen, und erfüllen daher die Anforderung an die Disruption, nach der wir Ausschau halten. 25 % der globalen Emissionen stehen in Verbindung mit der Lebensmittelproduktion und ein Drittel der produzierten Lebensmittel findet den Weg in den Müll. Beide Sachverhalte bilden die Grundlage für einen dringend notwendigen Wandel in einem gewaltigen Ausmass. Darüber hinaus stehen 99 % aller Fischarten vor dem Aussterben, da der Säuregehalt der Ozeane steigt, die Korallenriffe zerstört werden und das Phytoplankton rapide abnimmt. Kurz gesagt, die ozean- und landbasierten Ökosysteme müssen sich verändern. Die Technologie ist mittlerweile in der Lage, zu diesem Wandel in der gleichen Weise beizutragen, wie sie das in anderen Branchen getan hat, angetrieben durch das Mooresche Gesetz und das Metcalfesche Gesetz.
Das Mooresche und das Metcalfesche Gesetz
Metcalfe’s Law
Driving margins up as nodes scale (APIs)
Moore’s Law
Driving cost down as nodes scale
Instrinsic value explodes
| Quelle: BCG-Analyse. NASSCOM-Bericht: AI,
Beyond the Myth & the Hype (KI, Jenseits von
Mythos und Hype), Analyse des McKinsey
Global Institute. 2019 SaaS Trends, Blissfuly. com. Die Ansichten entsprechen denen des
Managers und sind Änderungen unterworfen.
Nur zur Veranschaulichung.
Mark Hawtin
Investment Director
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Die Fähigkeit, auf der Ebene von Elektronen zu operieren, ermöglicht Entwicklungen in der synthetischen Welt, die noch vor ein paar Jahren undenkbar waren. Genauso wie das Mooresche Gesetz die Kosten für die Genom-Sequenzierung gesenkt hat, hat es beispielsweise auch die Kosten für die Herstellung von synthetischem Fleisch gesenkt. Die Grafik unten zeigt nach den Worten von Ron Shigeta, dem Mitgründer des Wissenschaftsbeschleunigers IndieBioshows, wie «laborgezüchtetes Fleisch im gleichen Ausmass Skalierungseffekten unterliegt wie das Internet».
Die Kosten für laborgezüchtetes Fleisch verhalten sich wie Technologiekosten
100.000
10.000
1.000
Cost of genome sequencing
100 Moore’s Law for computing costs
Next generation sequencers enter the market
10
1 Anecdotal Data
Moore’s Law Cost genome sequencing Cost per serving
Industriell gefertigte Ersatzprodukte für bestehende Lebensmittel wie Fleisch stossen auf grossen Widerstand und die Masseneinführung wird von weitaus mehr Faktoren abhängen als nur der Notwendigkeit, nachhaltige Alternativen zu schaffen. Eine in hohem Masse einschneidende Arbeit zu diesem Thema stammt von RethinkX, einer Denkfabrik im Vereinigten Königreich. In deren Bericht «Rethinking Food and Agriculture» (Lebensmittel und Landwirtschaft überdenken) wird geschätzt, dass die Anzahl der Rinder in den USA bis 2030 um 50 % niedriger sein wird, was die Viehwirtschaft praktisch in den Ruin treiben würde. Dies hängt stark von der Akzeptanz der Alternativen ab, und wir sind der Ansicht, dass dies wiederum von einem Katalysator bestimmt wird, der den Wandel unumgänglich macht. Und in diesem Moment kommt das Mooresche Gesetz zum Tragen. Wie die Grafik oben zeigt, wird es, da die Kosten für laborerzeugtes Fleisch rapide sinken, kostengünstiger sein, Fleischalternativen zu essen und wir gehen davon aus, dass dies auch den Wendepunkt darstellen wird – ein wirtschaftlicher statt eines ökologischen Wendepunktes. Die Welt der Süssstoffe gibt einen weiteren Einblick in den potenziell weitreichenden Einfluss von Lebensmittelersatzstoffen. Die Präzisionsfermentation ist eines der jüngsten und sich am schnellsten entwickelnden Gebiete, das riesige Summen Wagniskapital anzieht. Die Fähigkeit, Organismen auf molekularer Ebene zu analysieren und mit ihnen zu arbeiten, öffnet die Türen zu vielen neuen Innovationsbereichen – beispielsweise die DNA-Sequenzierung von Pflanzen. Neue pflanzenbasierte Eiweisse, die über alle Eigenschaften von Zucker verfügen, werden entdeckt und hergestellt – bisher jedoch nur in kleinen Mengen. Diese Eiweisse, wie Brazzein, Monelin oder Miraculin, sind tausend Mal süsser als traditionelle Zuckerarten oder Süssstoffe, und da es sich um Proteine handelt, bergen sie potenziell gesundheitliche Vorteile. Das Problem war bisher die Herstellung in grossem Massstab, doch mit den Fortschritten, die bei der Präzisionsfermentation gemacht werden, und dem Glauben, dass diese (wie der Fleischersatz) einem geometrischen Entwicklungspfad folgen werden, steht die Aussicht auf eiweissbasierte Zuckeralternativen kurz vor der Kommerzialisierung. Sie werden bereits von Grosskunden wie Coca-Cola und Pepsi getestet. Wir sprechen immer wieder von der Polarisierung von Gewinnern und Verlierern in einer wirklich disruptiven Welt. Es ist leicht zu sehen, dass in der Welt der Süssigkeiten künstlich hergestellte Alternativen die Welt erobern und die bestehende Zuckerindustrie überflüssig machen könnten. Man stelle sich nur die Auswirkungen auf ein Land wie Brasilien vor, den weltweit grössten Zuckerproduzenten! Es gibt in den öffentlichen Märkten einige Möglichkeiten in diese Themen zu investieren. Das Unternehmen Beyond Meat ist sicherlich das bekannteste in diesem Bereich, doch unserer Ansicht nach stellt es für die kommende Disruption keine Bedrohung dar. Präzisionsfermentierung hingegen birgt eine äusserst spannende Perspektive, die sich entweder in sehr kleinen Teilen grosser industrieller Konglomerate wie Cargill befindet oder vollends in privaten Unternehmen mit Namen wie Perfect Day oder Impossible Foods angesiedelt ist. GFI berichtet, dass in den USA im Jahr 2021 1,7 Milliarden US-Dollar in Fermentierungsunternehmen investiert wurden, die sich auf alternative Eiweisse konzentrieren, doppelt so viel wie im Jahr 2020. Wir stehen noch am Anfang dieser Entwicklung, doch wie immer sind wir auf der Suche nach der nächsten Disruptionswelle und bereit für die nächste Investmentgelegenheit. Dieses Thema, das sowohl durch den chronischen globalen Bedarf als auch durch den bevorstehenden technologischen Wendepunkt angetrieben wird, dürfte sich zu einer der spannendsten Perspektiven der nächsten 10 bis 15 Jahre entwickeln.
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