10 minute read
SO DENKT DIE POLITIK
ENERGIEPREISE
Die hochgepeitschten Energiepreise werden zunehmend zum Politikum. Eine Debatte über staatliche Eingriffe führt zu der politischen Grundsatzfrage, wo staatliche Verantwortung beginnt und wo diese aufhört. Der Börsianer fragte bei den heimischen Parlamentsparteien nach und bat sie um eine Stellungnahme.
TEXT CHRISTOPH EISELE
Der Umgang mit den hochgeschossenen Energiekosten bringt uns zurück zu der Frage, die schon die alten Römer beschäftigte: Wie viel staatlicher Eingriff ist sinnvoll? Die Rede ist von einer Sondersteuer auf Über- beziehungsweise Zufallsgewinne. Die Mineralölkonzerne und Energieerzeuger verdienten sich im vergangenen halben Jahr eine goldene Nase, während die Unternehmen auf der Abnehmerseite finanziell immer stärker in die Bredouille gerieten – wie uns jüngst das Beispiel Wien Energie vor Augen führte. Länder wie Spanien, Italien oder Ungarn haben die Besteuerung der sogenannten Windfall-Profits bereits umgesetzt, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Besonders die langfristigen Auswirkungen auf die Wirtschaft wird man erst aus der Retrospektive feststellen können. In Österreich erhitzt der Diskurs die politischen Gemüter. Der Börsianer wollte von den Wirtschafts- und Energiesprechern wissen, wo sie die Grenze zwischen Freiheit und Eigenverantwortung ziehen.
Tanja Graf Energiesprecherin ÖVP
Wie sehen Sie die Rolle des Staates, wo sollte er eingreifen und wo
Eigenverantwortung und Freiheit walten lassen? – Der Staat und die Volksvertretung im Parlament haben die Aufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Unsere Prämisse lautet dabei „Fördern statt bestrafen“. Den Rest regelt der Markt. In die persönliche Lebensführung der Menschen greifen wir natürlich nicht ein. Aber selbstverständlich soll und muss der Staat dann eingreifen, wenn Marktversagen droht – ein Beispiel dafür ist die aktuelle Energiekrise.
Inwiefern macht eine Besteuerung von Übergewinnen bei Ener-
giekonzernen Sinn, wie könnte man diese ausgestalten? – Als EUMitgliedsstaat befinden wir uns in einem großen, gemeinsamen Energiemarkt. Hier gibt es Spielregeln, an die wir uns halten. Bei allen Eingriffen haben wir aber darauf zu achten, dass es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Erschwerend kommt hinzu, dass auf die verschiedenen Gesellschaftsformen und Eigentumsverhältnisse sowie auf den Unterschied zwischen Versorgern und Produzenten zu achten ist. Wichtig ist uns zudem, dass die Energieunternehmen auch künftig für den Umstieg auf die erneuerbaren Energien gerüstet sind. Stichwort: Versorgungssicherheit und Netzausbau.
Wie stehen Sie zu Eingriffen in den Markt wie der geplanten Strompreisbremse? – Wir wollen als Staat nur eingreifen, wenn Marktversagen droht – so wie in der jetzigen Energiekrise. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien im Parlament arbeiten mit ganzer Kraft daran, für die Haushalte und Unternehmen die belastende Teuerung abzufedern. Deshalb haben wir die Stromkostenbremse gezogen. Diese soll von 1. Dezember 2022 bis 30. Juni 2024 dafür sorgen, dass Haushalte rund 80 Prozent des jährlichen Durchschnittsverbrauchs von 2.900 kWh zum VorkrisenPreis beziehen können. Das bringt pro Jahr eine durchschnittliche, unkomplizierte Entlastung von circa 500 Euro für die Haushalte. Dieses Modell stellt leistbares Leben in Österreich sicher. Auch für die heimischen Unternehmen werden Entlastungsschritte folgen, um die Mehrkosten für Energie zu abzufedern.
ALS POLITIKUM
Christoph Matznetter Wirtschaftssprecher SPÖ Erwin Angerer Wirtschaftssprecher FPÖ
Wie sehen Sie die Rolle des Staates, wo sollte er eingreifen und wo
Eigenverantwortung und Freiheit walten lassen? – Die Situation am Energiemarkt führt eindeutig vor Augen, dass ein Markt nur funktioniert, wenn ihm klare Schranken gesetzt werden. Staat und Politik haben die Aufgabe, im Sinne der Menschen und nicht im Sinne einer ausgedienten Liberalismus-Fantasie zu wirken. Der Staat hat der Freiheit schon immer dort Schranken gesetzt, wo die gesellschaftlichen Vorteile stärker wiegen als Einzelinteressen. Sonst gäbe etwa keine Geschwindigkeitsbeschränkung. In der Wirtschaft bedeutet das: ein freies Spiel der Marktkräfte dort, wo über Konkurrenz die besten Produkte zu günstigen Preisen erzielt werden können. Bei elementaren Dingen des Lebens wie Wohnen, Energie, Nahrungsmittel darf die Preisbildung aber nicht dem Markt überlassen werden.
Inwiefern macht eine Besteuerung von Übergewinnen bei Energie-
konzernen Sinn, wie könnte man diese ausgestalten? – Diese Teuerung umfasst alle Lebensbereiche und trifft fast alle Menschen in Österreich. Parallel machen einige wenige Konzerne Rekordgewinne und profitieren damit vom Krieg. Währenddessen werden Antiteuerungspakete aus Steuergeldern finanziert. Die Österreicher zahlen also doppelt. Einmal die Übergewinne der Konzerne über ihre Energierechnungen und einmal die Maßnahmen der Bundesregierung mit ihrem Steuergeld. Daher sind Übergewinne der Konzerne zur Gegenfinanzierung abzuschöpfen. Hierfür gibt es gibt es unterschiedliche Modelle, im Wesentlichen zieht man den Referenzgewinn des Vorjahres heran und schöpft einen Gutteil des Gewinns, der darüber liegt, ab.
Wie stehen Sie zu Eingriffen in den Markt wie der geplanten Strom-
preisbremse? – Die Strompreisbremse ist kein Markteingriff. Der Staat übernimmt hier lediglich einen Teil der steigenden Stromrechnungen der Haushalte. Echte Markteingriffe, wie ein Aussetzen des Merit-Order-Prinzips, wären längst bitter notwendig. Denn der Strompreismarkt ist völlig außer Rand und Band, wie ein kurzer Blick auf die Preissprünge an der Börse der letzten Wochen zeigt.
Wie sehen Sie die Rolle des Staates, wo sollte er eingreifen und wo
Eigenverantwortung und Freiheit walten lassen? – Die Aufgabe des Staates ist es, regulierend in den Markt einzugreifen, um eine wirtschaftliche und soziale Ausgewogenheit zu schaffen. Es kann nicht sein, dass sich die Menschen das Leben nicht mehr leisten können, während Strom- und Energiekonzerne das X-Fache an „Zufallsgewinnen“ abkassieren. Freiheiten muss der Staat dort lassen, wo es um Selbstbestimmung geht. Unternehmen sollen sich möglichst frei in einem liberalen Wirtschaftsmarkt bewegen können, damit positive Betriebsentwicklungen möglich sind. Die Politik hat die Aufgabe, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Inwiefern macht eine Besteuerung von Übergewinnen bei Energie-
konzernen Sinn, wie könnte man diese ausgestalten? – Man muss hier nicht von „Übergewinnen“ sprechen, sondern von „Zufallsgewinnen“, denn diese sind dem Ausnutzen einer zufälligen Krisensituation geschuldet. Natürlich sollen jene Gewinne, die die Unternehmen aufgrund der Krise zusätzlich eingefahren haben, den Menschen im Land zurückbezahlt werden. Doch damit ist nur kurzfristig geholfen. Auf lange Sicht ist es notwendig, die Ursachen zu bekämpfen und sich von preistreibenden Maßnahmen wie den Russland-Sanktionen und der demnächst in Kraft tretenden CO2-Steuer zu verabschieden.
Wie stehen Sie zu Eingriffen in den Markt wie der geplanten Strom-
preisbremse? – Die Strompreisbremse ist eine halbherzige Symptombehandlung. Sie kommt um ein Jahr zu spät und wird der Dramatik der Preisentwicklung nicht gerecht. Wir müssen auch hier an den Ursachen ansetzen, indem Strom- und Gaspreis voneinander entkoppelt werden und das Merit-Order-Prinzip fällt. Das Problem an „Bremsen“ ist, dass sie nur punktuell wirken. Die Mehrkosten für Energie schlagen sich in vielen Bereichen nieder und damit auf den Preis, den der Endverbraucher zu zahlen hat. Nur wenn wir den hohen Energiepreis in den Griff bekommen, werden wir die Preise dauerhaft senken können.
Jakob Schwarz Budget- und Wirtschaftssprecher Grüne Karin Doppelbauer Budget- und Finanzsprecherin Neos
Wie sehen Sie die Rolle des Staates, wo sollte er eingreifen und
wo Eigenverantwortung und Freiheit walten lassen? – Der Staat muss einen funktionierenden Markt ermöglichen, indem er für sozialen Frieden, Sicherheit und Infrastruktur sorgt. Er muss aber da eingreifen, wo der Markt versagt, weil etwa kurzfristiges ökonomisches Gewinnstreben zu langfristigen Problemen führt, wie etwa im Bereich Treibhausgasemissionen klar sichtbar wird. Oder weil langfristige Verlässlichkeit über kurzfristiges Gewinnstreben gestellt wird wie zum Beispiel bei Pensionen. Marktversagen und ein gesteigertes Bedürfnis nach Verlässlichkeit haben dem Staat durch die Corona- und Klimakrise wieder eine aktivere Rolle eingebracht. Diese Rolle muss der Staat meiner Meinung nach ausfüllen, um eine lebenswerte Zukunft für alle zu ermöglichen.
Inwiefern macht eine Besteuerung von Übergewinnen bei Ener-
giekonzernen Sinn, wie könnte man diese ausgestalten? – Durch die aktuelle Energiekrise sind für einige Energieunternehmen massive Zufallsgewinne entstanden. Aufgrund der aktuellen Teuerung, die vor allem von den gestiegenen Energiepreisen getrieben wird, muss der Staat Haushalte und Unternehmen finanziell unterstützen, und das stellt eine erhebliche Belastung für den Staatshaushalt dar. Dass Zufallsgewinne besteuert werden, ist daher aus unserer Sicht eine notwendige Beteiligung an den Krisenkosten, vergleichbar mit der Bankenabgabe zu Zeiten der Finanzkrise. Bei der konkreten Ausgestaltung ist es aber wichtig, dass Investitionsanreize für den Ausbau der erneuerbaren Energieträger erhalten bleiben.
Wie stehen Sie zu Eingriffen in den Markt wie der geplanten Strom-
preisbremse? – Bei der Stromkostenbremse soll einerseits ein leistbarer Grundbedarf für Haushalte sichergestellt werden, aber auch die Preissignale des Marktes erhalten bleiben. Wichtig ist uns, dass diese Markteingriffe nicht für alle Energieprodukte angewendet und damit ein höherer Verbrauch und klimaschädliches Verhalten subventioniert werden.
Wie sehen Sie die Rolle des Staates, wo sollte er eingreifen und wo
Eigenverantwortung und Freiheit walten lassen? – Wir Neos stehen für eine von Eigenverantwortung, fairem Wettbewerb und Innovationsfreude geprägte Wirtschaftspolitik. Die hohen Energiepreise stellen Menschen und Unternehmen derzeit aber vor massive Herausforderungen und gefährden den Wirtschaftsstandort. Anstatt zur Gießkanne zu greifen, muss der Staat über seine Sozialpolitik gezielt Haushalte im unteren Einkommensbereich entlasten und Energienebenkosten und weitere Tarifstufen senken. Für Unternehmen müssen die Lohnnebenkosten deutlich gesenkt werden, damit sie mehr Spielraum bei den Herbst-Lohnrunden haben. Der Staat kann auch helfen, indem er endlich die Entbürokratisierung vorantreibt, Verfahren beschleunigt und Instrumente wie Kreditgarantien bereitstellt, die den raschen Ausstieg aus russischem Gas erleichtern.
Inwiefern macht eine Besteuerung von Übergewinnen bei Energiekonzernen Sinn, wie könnte man diese ausgestalten? – Ein österreichischer Alleingang macht hier keinen Sinn. Das wäre ein zu hohes Risiko für die Versorgungssicherheit. Der EU-Vorschlag ist daher nicht schlecht. Eine europaweite Regelung muss jedenfalls Anreize für Investitionen in Erneuerbare beinhalten.
Wie stehen Sie zu Eingriffen in den Markt wie der geplanten Strom-
preisbremse? – Die Strompreisbremse deckelt zwar den Preis bis zu einem Verbrauch von 2.900 kWh, die Mehrheit der Haushalte verbraucht aber zum Teil sehr viel weniger. Es gibt also keinen Anreiz zum Energiesparen. Sparen, sparen, sparen ist aber das Gebot der Stunde. Die Höhe des Einkommens oder die Haushaltsgröße bleiben zudem unberücksichtigt. Und es wird nicht zwischen Haupt- und Nebenwohnsitz unterschieden. Das ist alles andere als treffsicher und gerecht. Es muss aber auch der Staat bei sich sparen und als gutes Beispiel vorangehen. Deutschland hat schon im Sommer eine flächendeckende Energiesparkampagne gestartet und zeigt, wie das geht. Österreich ist auch hier viel zu spät dran.
BIOTECHSEKTOR MIT ATTRAKTIVEN CHANCEN
Nach zwei ruhigen Jahren kommt wieder Bewegung in den Biotechmarkt. Viele Biotechunternehmen sind aktuell die treibende Kraft bei neuen therapeutischen Ansätzen für Arzneien. Gleichzeitig lockt die niedrige Bewertung. Das ruft übernahmewillige Pharmakonzerne auf den Plan.
Fundamental ist die Biotechbranche so gut aufgestellt wie selten zuvor. Einer Studie zufolge wurden 65% aller klinischen Studien 2021 von kleineren Biotechunternehmen durchgeführt. In diesem Jahr wird vor allem in der Krebsmedizin, der Neurologie und den seltenen genetisch bedingten Erkrankungen eine Vielzahl von klinischen Studienergebnissen und Zulassungen erwartet. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Pharmakonzerne. Sie brauchen neue Wachstumstreiber, um die drohenden Umsatzeinbussen durch auslaufenden Patentschutz zu kompensieren.
Übernahmen nehme zu
Nach zwei relativ ruhigen Jahren kommt bei den Übernahmeaktivitäten wieder Bewegung am Markt auf. Führend bei den Transaktionen ist Pfizer, die aufgrund der Milliardeneinnahmen mit dem COVID19-Impfstoff über reichlich Cashreserven verfügen. Bereits im Dezember wurde Arena Pharma übernommen, deren TopEntwicklung ein Präparat gegen chronische Darmentzündung ist. Im Mai folgte Biohaven, die ein Migränemedikament mit einem neuen Wirkprofil entwickelt haben. Zuletzt übernahm Pfizer Global Blood Therapeutics, die auf seltene hämatologische Erkrankungen spezialisiert sind und führend sind in der Behandlung von Sichelzellanämie, einer genetisch bedingten Erkrankung, bei der sich die roten Blutkörperchen verformen. Bristol-Myers Squibb wiederum gab im Juni die Übernahme von Turning Point Therapeutics bekannt. Mit diesem Deal sichert man sich die künftige Vermarktung eines neuartigen Präparats gegen Lungenkrebs.
Auch die grossen Biotechfirmen gehen auf Einkaufstour. So hat Gilead Sciences die Firma MiroBio übernommen, die einen neuen therapeutischen Ansatz bei Entzündungskrankheiten verfolgen. Amgen, eines der weltweit führenden Biotech unternehmen, übernimmt wiederum die ChemoCentryx, die mit Tavneos ein Produkt zur Behandlung von Vaskulitis auf dem Markt haben. Mit Radius Health, die ein Produkt zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit Osteoporose und hohem Frakturrisiko auf dem Markt haben, hat auch eine Portfoliogesellschaft von BB Biotech ein Übernahmeangebot von den beiden Investmentgesellschaften Gurnet Point Capital, LLC und Patient Square Capital erhalten. Angesichts der weiterhin niedrigen Bewertungen zahlreicher Biotechfirmen ist es gut denkbar, dass noch in diesem Jahr weitere Transaktionen im zweistelligen Milliardenbereich folgen könnten.
Dr. Daniel Koller, Head Investment Team BB Biotech bei Bellevue Asset Management
Autor
Dr. Daniel Koller kam 2004 zu Bellevue Asset Management und ist seit 2010 Head Investment Management Team der BB Biotech AG. Von 2001 bis 2004 war er als Investment Manager bei equity4life Asset Management AG und von 2000 bis 2001 als Aktienanalyst bei UBS Warburg tätig. Er ist promovierter Biotechnologe.