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Brandherd in Fernost
Schwelender Konflikt. China und Taiwan ziehen abwechselnd Seemanöver für den Ernstfall durch. Wie der aussieht, ist schwierig zu definieren.
China hat seine Gangart gegenüber Taiwan verschärft.
Der Börsianer skizziert,
welche Folgen der Konflikt im Ernstfall auf die globale Wirtschaft und die Finanzmärkte haben kann.
TEXT ROBERT WINTER
Niemand will Krieg. Oder besser gesagt, fast niemand – siehe Wladimir Putins Invasion in der Ukraine. Aber auch anderswo brodelt es. Erhebt doch China weiterhin Territorialansprüche auf die Insel Taiwan. Der Ursprung des Konflikts geht auf die Spaltung von China und Taiwan im Jahr 1949 zurück. Peking stuft die Insel als abtrünniges Gebiet ein und will notfalls mit militärischer Gewalt eine Vereinigung Taiwans mit dem Festland erzwingen. Und dabei könnte das Vorgehen Russlands als Blaupause für den chinesischen Führer Xi Jinping dienen. Ingo Beyer von Morgenstern, deutscher Unternehmensberater, Firmengründer, Hochschullehrer sowie Forschungspartner des Acatis Qilin Marco Polo Asien Fonds: „Obwohl die Ukraine und Taiwan nicht wirklich vergleichbar sind, da die Ukraine ein völkerrechtlich einwandfrei anerkanntes Land ist und Taiwan nicht, würde sich der Westen hinter Taiwan stellen, und es würde zu massiven Sanktionen gegen China kommen.“
Aber welche Konsequenzen kann der Konflikt für die Region und die ganze Welt haben? Nachdem der Westen versucht, China die Stirn zu bieten - kann die veränderte Strategie des Westens im Indopazifik fruchten? Und womit müssen Investoren rechnen, wenn der Ernstfall eintritt?
INGO BEYER VON MORGENSTERN
Rote Linien
Acatis-Forschungspartner Beyer von Morgenstern: „Der Status quo der letzten Jahre mit Chinas Ansage, dass Taiwan zu China gehöre, mit der von fast allen Ländern dieser Welt praktizierten Nichtanerkennung Taiwans als eigenständiges Land und mit einer gelebten Demokratie in Taiwan war ein instabiles Gleichgewicht.“ China hat laut dem Experten, der ein passionierter Polospieler ist und der unter anderem im Jahr 2021 in dieser Sportart in Ebreichsdorf nahe bei Wien die Austrian Open gewann, in einem offiziellen White Paper seine roten Linien beschrieben. Beyer von Morgenstern: „Sollten diese roten Linien etwa durch eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans oder eine offizielle Anerkennung Taiwans durch den Westen als unabhängiger Staat überschritten werden, wird es aus unserer Sicht zu weiteren Eskalationen kommen. Sollten diese roten Linien nicht überschritten werden, sehen wir keine Gefahr eines militärischen Konflikts.“
Dass es sich um einen Schwelbrand handelt, weiß auch Hermann Ortner, Delegierter der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) in Taiwans Hauptstadt Taipeh. Ortner: „Die Spannungen zwischen Taiwan und China sind zwar derzeit hoch, haben aber bisher keine weitreichenden wirtschaftlich-geschäftlichen Einschränkungen zur Folge. Wie sich die Situation weiterentwickelt, ist zurzeit kaum abzuschätzen.“ Dass von möglichen Auseinandersetzungen auch die Beziehungen zwischen China und der Europäischen Union (EU) betroffen sein werden, liegt auf der Hand. Schließlich sind die EU und China wechselseitig der jeweils wichtigste Handelspartner. Täglich werden fast zwei Milliarden Euro ausgetauscht. Das Volumen von China in die EU umfasst 1,3 Milliarden Euro, jenes der EU nach China 700 Millionen Euro. Michael Berger, Wirtschaftsdelegierter der WKO in Peking: „Trotz der engen wirtschaftlichen Verflechtung der EU mit China ist im Hinblick auf die bisherigen Sanktionen in Zusammenhang mit Xinjiang und der Sanktionen gegen Russland davon auszugehen, dass bei einem militärischen Eingreifen Chinas in Taiwan von der EU auch gegen China Sanktionen verhängt werden. Eine plötzliche vollständige Entkopplung der Handelsströme erscheint jedoch schwer durchführbar.“
Aufgeheizte Stimmung
Im Sommer reiste Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, nach Asien und stattete auch Taiwan einen Besuch ab. Das fand die Kommunistische Partei Chinas gar nicht lustig. David Rees, Senior Emerging Markets Economist bei der global tätigen Vermögensverwaltungsgesellschaft Schroders: „Pelosis Asienreise hat die regionalen Spannungen sowie jene zwischen China und den USA weiter angeheizt. Für sich genommen haben die Sanktionen von China gegen den Handel mit Taiwan keine großen wirtschaftlichen Auswirkungen. Sie könnten aber eine Beschleunigung der Entkopplung zwischen den USA und China signalisieren.“
Bezüglich der geänderten Strategie des Westens im Indopazifik sieht Acatis-Forschungspartner Beyer von Morgenstern nur begrenzte Erfolgschancen: „Die Schmach, dass China zum Ende des Kaiserreichs von ausländischen Mächten kontrolliert wurde, sitzt immer noch tief. China hat sich fest vorgenommen, dass das nie wieder passieren darf.“ Deshalb wird laut dem Experten ein „plumpes Die-Stirn-Bieten“ nicht zum Erfolg führen. „Maßnahmen wie Einfuhrzölle, die unsere Inflation in die Höhe treiben, führen nicht zu den gewünschten Zielen, China aufzuhalten oder zu bestrafen“, so Beyer von Morgenstern.
Die wirtschaftlichen Folgen für den asiatischen Raum außerhalb Chinas werden sich wahrscheinlich in Grenzen halten. Beyer von Morgenstern: „Es ist davon auszugehen, dass sich die asiatischen Länder mit großer Sicherheit nicht den westlichen Sanktionen anschließen. Daher wäre Chinas Handel mit dem asiatischen Raum wahrscheinlich kaum beeinflusst.“
Inwieweit die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und dem Rest der Welt leiden würden, kommt auf die Intensität der Sanktionen an. „Für einen Großteil der deutschen Industrie zum Beispiel wären China-Sanktionen, wie wir sie in Russland gesehen haben, ein dramatischer Einschnitt. Das sollten wir uns sehr gut überlegen“, so Beyer von Morgenstern. Dazu kommt, dass die Lieferkettenproblematik erneut geschürt werden könnte. Schroders-Ökonom Rees: „Bisher scheint die Unterbrechung des Schiffsverkehrs nur von kurzer Dauer gewesen zu sein. Rund die Hälfte aller Containerschiffe der Welt passieren die schmale Wasserstraße von Taiwan. Deshalb besteht die Gefahr, dass sich weitere Militäroperationen auf die Lieferketten auswirken werden.“ Das hat laut Rees längerfristige Folgen:
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Milliarden Euro werden fast täglich zwischen China und Europa ausgetauscht, beide sind einander die wichtigsten Handelspartner. Wobei 1,3 Milliarden Euro von China in die EU fließen.
© TAIWAN SEMICONDUCTOR MANUFACTURING CO., LTD.
Chiphersteller.
Taiwan Semiconductor gehört zu den zehn größten Chipherstellern der Welt und produziert zwei Drittel der globalen Aufträge.
DAVID REES
„Weniger effiziente Lieferketten werden sich wahrscheinlich negativ auf die Weltwirtschaft auswirken. Aber einige Schwellenländer werden davon profitieren, wenn sie sich einen Anteil am Fertigungsmarkt sichern können.“
Schlüsselfaktor Chipindustrie
Taiwans Chipindustrie, allen voran die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company TSMC, steht laut dem Marktforschungsinstitut Trend Force für rund zwei Drittel der globalen Auftragsfertigung. Sollte es zu einem Produktionsausfall oder einer Blockade durch China kommen, ist mit Rückschlägen für die globale Wirtschaft zu rechnen. Investmentexperte Beyer von Morgenstern: „Chinas Industrie hinkt bei Halbleitern hinterher. Hier würde man mit einem Schlag einen gewaltigen Schritt nach vorne tun. Es ist nicht damit zu rechnen, dass China im Falle der Übernahme die taiwanische Chipindustrie stilllegt. Im Gegenteil. China könnte die taiwanische Chipindustrie voll auslasten und zu seinen Gunsten einsetzen.“ Und wenn das passiert, wird die gegenwärtige Russland-Gas-Krise laut dem Experten bei weitem in den Schatten gestellt. Beyer von Morgenstern: „Die Auswirkungen für den Westen könnten dramatisch sein. Mittlerweile sind taiwanische Chips in unendlich vielen Elektronikkomponenten verbaut, und der Westen hat weder die Kapazitäten noch die Fähigkeiten, das kurz- und mittelfristig zu kompensieren. Chinas Wettbewerbsfähigkeit würde signifikant gestärkt, der Westen zumindest mittelfristig lahmgelegt.“
Wenn China mit seinem Territorialanspruch Ernst macht, müssen Investoren auf der Hut sein. Es ist damit zu rechnen, dass westliche Investoren ihre Investments in China und in Asien deutlich reduzieren. Damit kann es zu starken Kursverlusten kommen. Stichwort Kursverluste: Der Aktienindex MSCI Taiwan, in dem Taiwan Semiconductor mit einem Anteil von über 43 Prozent außergewöhnlich hoch gewichtet ist, hat zwischen Jahresbeginn und Ende August mit einem Minus von 23,3 Prozent stärker verloren als der MSCI China mit minus 19,5 Prozent und als das breitgefasste Weltaktienbarometer MSCI AC World Index, das im gleichen Zeitraum um 17,8 Prozent absackte.
HERMANN ORTNER
% MEINE RENDITE
Wer weltweit investiert, kann Verluste an fernöstlichen Börsen verschmerzen. Denn rein von der Papierform her spielen Aktien aus China und Taiwan im Weltaktienindex MSCI AC World nur Nebenrollen. Chinesische Aktien sind im Index nur mit 3,6 Prozent gewichtet, auf Papiere aus Taiwan entfallen 1,7 Prozent. Aber man darf nicht glauben, dass eine mögliche Eskalation zwischen China und Taiwan nur regionale Folgen hätte. Beyer von Morgenstern: „Es ist davon auszugehen, dass die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die Weltkapitalmärkte weitaus dramatischer sein werden, als wir das gegenwärtig im Fall von Russland erleben.“ n