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ULRICH STREIBL
ERNEUERBARE ENERGIE – KEINE AUSREDEN MEHR!
Wir haben versäumt, uns sowohl ökologisch als auch geopolitisch gesund aufzustellen. Jetzt haben wir den perfekten Sturm und keine Zeit mehr für Ausreden.
VITA ULRICH STREIBL
Vorstandssprecher Oekostrom AG
Als langjähriger Strategiechef der OMV AG hat sich der 56-Jährige intensiv mit innovativen Geschäftsmodellen wie Wasserstoff beschäftigt. Im Umweltbundesamt arbeitete er mit österreichischen Unternehmen an Klima- und Umweltschutzkonzepten. Seit September 2020 ist der Vater dreier Kinder Vorstandssprecher der Oekostrom AG.
Wir wissen seit Jahrzehnten, dass unser CO2-Ausstoß unsere Lebensgrundlagen massiv schädigt. Und doch haben wir auf billige, fossile Energie gesetzt – und versäumt, uns sowohl ökologisch als auch geopolitisch gesund aufzustellen. Nun verknappt der Angriffskrieg Russlands die fossile Energie, es fließt kaum noch russisches Gas nach Europa. Parallel dazu ist die halbe Atomkraftkapazität Frankreichs vom Netz, teils weil die Meiler marod sind, teils weil sie aufgrund der Trockenheit nicht genügend Kühlwasser haben. Und eben diese Trockenheit reduziert auch die Stromerzeugung aus Wasserkraft in ganz Europa.
Der perfekte Sturm also. Energie ist über Nacht ein sehr knappes Gut geworden. Der Markt signalisiert uns diese Knappheit durch extrem hohe Preise. Der Markt ist nicht „verrückt geworden“, und er „versagt“ auch nicht. Er tut genau das, was seine Funktion ist: Er sendet ein Knappheitssignal und zwingt uns zu sparsamem Umgang mit Energie. Und er sagt uns, dass wir mit unserer Abhängigkeit von fossiler und atomarer Energie falsch aufgestellt sind.
Die Politik ist vor allem damit beschäftigt, die kurzfristigen Probleme zu lösen. Hilfsschirme werden aufgespannt, um kurzfristige Notlagen zu entschärfen. Bleibt zu hoffen, dass der Fokus sich bald auf die grundlegende Lösung des Problems richtet. Wir haben ökologisch und geopolitisch nur einen Weg: den Aufbau einer Vollversorgung aus erneuerbarer Energie. Dafür müssen wir auf Kraftwerke zur Nutzung von Wind, Sonne, Wasser und Biomasse setzen. Und wir brauchen entsprechende Leitungsnetze und Speicherkapazitäten.
Die Technologien dafür haben wir. Wir haben auch das Geld und qualifizierte Menschen. Um ein Windrad aufzustellen, brauchen wir technisch nur ein Jahr. In der Realität dauert es aber fast zehn Jahre. Denn unsere Genehmigungsprozesse ähneln einer Schallplatte mit Sprung, bei der sich die gleiche Rille ständig wiederholt.
Vor allem brauchen wir ausreichend Flächen, um Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie aufstellen zu können. Deutschland macht es vor und sorgt dafür, dass zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft zur Verfügung stehen. In Österreich liegen wir deutlich unter einem Prozent! Das neue deutsche „Wind-an-Land-Gesetz“ legt verbindliche Flächenziele für Gemeinden fest und beteiligt somit alle Bundesländer am Ausbau Erneuerbarer-Energie-Quellen. Man nenne mir nur einen Grund, warum wir das in Österreich nicht auch könnten. Selbstverständlich können wir das. Doch dafür braucht es auf allen Ebenen mutige Politik, die ökologisch und geopolitisch vor der Geschichte bestehen kann.
Die kaputte Schallplatte der Genehmigungsschleifen hat ausgedient. Wir brauchen eine Begrenzung der Genehmigungsprozesse auf zwei Jahre und eine Umkehr der Beweislast: Auf Eignungsgebieten muss der Beweis geführt werden, dass die menschliche Gesundheit oder besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten gefährdet sind. Nur dann kann ein Projekt abgelehnt werden.
Ob wir unsere Lebensgrundlagen weiterzerstören und von despotischen Öl- und Gasregierungen abhängig sein wollen, können wir jeden Tag neu entscheiden. Wir sollten diese Frage klar mit Nein beantworten, heute und mit Nachdruck! Dann werden wir schon in fünf Jahren in einem Land leben, in dem der gesamte Strom aus erneuerbaren Quellen stammt und jederzeit verlässlich und leistbar zur Verfügung steht. Das ist möglich. Keine Ausreden mehr! n