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Zahlen, die die Welt verbessern
Stoffe für die Welt.
Auf einem Feld in Bangladesch trocknen gefärbte Stoffe in der Sonne, was billiger und nachhaltiger ist.
ZAHLEN, DIE DIE WELT VERBESSERN SOLLEN
Die EU-Richtlinie CSRD wird mehr Unternehmen als bisher zur Transparenz bei ihren Nachhaltigkeitsdaten verpflichten. Auf welche grünen Kennzahlen Investoren dabei achten.
TEXT THOMAS MÜLLER
Nachhaltigkeitsberichte internationaler Konzerne, die die Aktivitäten und Ziele bei ESG-Kriterien dokumentieren, sind schon lange kein Nice-to-have mehr. Mit der NonFinancial Reporting Directive (NFRD) hat die Europäische Union ab 2018 die großen Unternehmen ab 500 Angestellten sogar in die Pflicht genommen und ihnen einen jährlichen Bericht vorgeschrieben. Seitdem hat sich wieder einiges getan, und mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wurde diese Verpflichtung auf weitere Unternehmen ausgeweitet. Diese gilt ab 2024 für das Berichtsjahr 2023. Zwei von drei Kriterien müssen bei Unternehmen, die nicht an einer EU-Börse notieren, erfüllt sein, um hier darunterzufallen: mindestens 250 Angestellte, 40 Millionen Euro Jahresumsatz oder 20 Millionen Gesamtvermögen. Unternehmen an einer EU-Börse sind mit einigen Ausnahmen grundsätzlich betroffen, wobei kleine und mittlere Unternehmen weitere drei Jahre Zeit bekommen haben, um die Anforderungen zu erfüllen. Diese wurden mit der CSRD ebenfalls neu geregelt. Das betrifft Publikationspflichten in Sachen Umweltschutz, Mitarbeiterschutz, Menschenrechtsstandards, Korruptionsbekämpfung und Diversity in den Gremien.
Außerdem müssen auch Nachhaltigkeitsrisiken besser offengelegt werden, die das Unternehmen selbst betreffen oder von ihm verursacht werden. „Eine zusätzliche Neuerung stellt die Entwicklung europäischer Nachhaltigkeitsstandards dar, die zurzeit von der European Financial Reporting Advisory Group, kurz EFRAG, ausgearbeitet werden und Standardisierung sowie bessere Vergleichbarkeit und Transparenz von Nachhaltigkeitsinformationen gewährleisten sollen“, erklärt Katharina Schönauer, Senior Managerin und Nachhaltigkeitsexpertin bei KPMG Österreich. Klar im Vorteil bei der Umsetzung seien jene Unternehmen, die bereits von der NFRD betroffen waren und jahrelang entsprechende Strukturen etabliert haben. „Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, dass Unternehmen spätestens jetzt damit beginnen, sich mit den künftigen Offenlegungsanforderungen auseinanderzusetzen und die nötigen Maßnahmen zu treffen“, empfiehlt die Beraterin. Was die verschiedenen Branchen betrifft, sind laut einer globalen KPMGUmfrage zur Nachhaltigkeitsberichterstattung mit 5.200 befragten Unternehmen in 52 Ländern sechs Branchen, die hier führend sind: Technologie, Medien und Telekommunikation, Bergbau, Öl und Gas, Chemie sowie Forstwirtschaft und Papier.
„Emissionen werden in Bezug zum Umsatz gesetzt.“
HENRIK PONTZEN
ALEXANDER OSOJNIK
KATHARINA SCHÖNAUER
Die Schweiz zieht nach
Vergleichbare Berichts- und Sorgfaltspflichten wie in der EU sind dieses Jahr auch in der Schweiz in Kraft getreten und müssen ebenfalls ab 2024 umgesetzt werden. „Betroffen sind aktuell Gesellschaften des öffentlichen Interesses, das heißt, insbesondere auch börsenkotierte Gesellschaften, ab einer gewissen Größenordnung, die sich verpflichtend mit den neuen Berichterstattungsanforderungen auseinandersetzen müssen“, weiß Silvan Jurt von KPMG Schweiz. Bei der Due Diligence etwa wurde analog zur entsprechenden EU-Verordnung eine Sorgfalts- und Meldepflicht für Unternehmen eingeführt, die Mineralien oder Metalle aus Konflikt- und Hochrisikogebieten in die Schweiz importieren oder hier verarbeiten.
Transparenz ist Trumpf
Es sollte in Zukunft also keinen Mangel an Informationen für Investoren geben, wenn es um die Bemühungen der Unternehmen geht, die Welt ein Stück besser zu machen. Doch auf welche Key Performance Indicators (KPIs) wird es ankommen und worauf schauen institutionelle Anleger und Ratingagenturen besonders?
Die Schweizer Fondgesellschaft Pictet Asset Management hat eine eigene ESGScorecard entwickelt, mit der jedes Unternehmen auf Corporate Governance, Produkte, operative Risiken und Kontroversen durchleuchtet wird. „Neben diesen KPIs werden aber je nach Investmentstrategie zum Beispiel auch mögliche negative Auswirkungen, die sogenannten Principal Adverse Impacts, gemessen, da Assetmanager diese in Zukunft reporten müssen. Dazu gehören das Exposure bezüglich fossiler Energie, kontroverser Waffen oder auch Diversität im Aufsichtsrat“, sagt Alexandra Mahler, Senior ESG Specialist bei Pictet Asset Management. Deka Investments aus Deutschland schaut auf branchenspezifische Kennzahlen, da die Treiber je nach Branche unterschiedlich sind. „Beispielsweise haben CO2-Emissionen für einen Energieversorger eine andere Bedeutung als für einen Softwarekonzern. Die Kennzahlen müssen aussagekräftig sowohl im historischen als auch Wettbewerbsvergleich sein. Letzteres ist herausfordernd, da kein einheitlicher Rechnungslegungsstandard existiert. Der Weg ist noch lang, bis eine qualitativ hochwertige Nachhaltigkeitsberichterstattung in der Praxis ankommt. CSRD wird dabei sicherlich eine Hilfe sein“, sagt Ingo Speich, Leiter der Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investments. Alexander Osojnik, Senior ESG Research Analyst bei der Erste Asset Management, beurteilt die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen so umfangreich wie möglich. „Das heißt, wir berücksichtigen KPIs aus allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, Ökologie, Soziales und Governance“, sagt Osojnik zum Börsianer Grün.
Besonderer Wert werde zunächst auf höchstmögliche Transparenz in der Berichterstattung gelegt: „Es soll auch klar kommuniziert sein, nach welchem Standard das Reporting erfolgt, da es derzeit noch keinen global gültigen Standard in der Nachhaltigkeitsberichterstattung gibt.“ Die Bewertung der Daten wird in einen Score übersetzt, und wenn dieser einen festgelegten Mindestbetrag erreicht, bekommt das Fondsmanagement grünes Licht für ein Investment.
Und wie beurteilt der Analyst die Qualität der Berichte? „Vor allem in Branchen, wo real etwas produziert wird, kann man sich in vielen Bereichen noch verbessern. Beispiele dafür kennt jeder von uns: Energieverbrauch, effiziente Nutzung von Rohstoffen, Recycling, Transportwege, aber auch Einhaltung von Menschenrechten in der Lieferkette der Zulieferer, fairer Wettbewerb, stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren in Vorständen“, nennt Osojnik einige Beispiele. Den CO2-Emissionen der in den Aktienfonds gehaltenen Unternehmen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, denn die Erste Asset Management hat bereits 2015 den Montreal Carbon Pledge unterzeichnet.
Für Henrik Pontzen, ESG-Leiter im Portfoliomanagement von Union Investment, ist die CO2-Intensität sektorenübergreifend sehr wichtig. „Wir schauen uns hier als Kennzahlen die direkten Emissionen eines Unternehmens und die aus der Energienutzung resultierenden an. Diese Emissionen werden in Bezug zum Umsatz gesetzt. Das emittierte CO2 in Tonnen in Relation zum Umsatz in Millionen Euro dient als Näherungswert für die Klimaeffizienz pro Output-Einheit. Darüber hinaus ist uns entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Emissionsintensität eines Unternehmens, gemessen am Umsatz, wichtig. Dazu zählen dann auch Emissionen, die nicht direkt aus Unternehmensaktivitäten resultieren, beispielsweise durch die Nutzung der Produkte des Unternehmens“, erklärt Pontzen, der auch die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung akribisch studiert. „Der Anteil der ESG-Komponente im Rahmen der kurz- sowie langfristigen
Aufgemacht.
Die Nachhaltigkeitsberichte von Mondi, Nestle und Wienerberger spielen mit verschiedenen Emotionen.
variablen Vorstandsvergütung ist ein Indikator dafür, ob die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie des jeweiligen Unternehmens adäquat incentiviert und damit langfristig gesichert ist.“
„Ein Evolutionsprozess“
Luft nach oben in so gut wie allen Branchen sieht auch Rupert Welchman, Portfoliomanager Positive Impact Equity bei der Genfer Privatbank UBP: „Jeder Sektor hat enormes Verbesserungspotenzial, aber es gibt überall Unternehmen, die sich durch ambitionierte Ziele auszeichnen, sei es bei Treibhausgasemissionen in Versicherungsportfolios oder in großen Pharmakonzernen. Wir befassen uns eingehend mit diesen Unternehmen und wollen unsere Erkenntnisse als Investoren auch bei vergleichbaren Unternehmen einbringen.“ Außerdem fordere man die Unternehmen explizit auf, sich ambitioniertere Ziele zu setzen, statt sich zu sehr vor dem Verfehlen derselben zu fürchten.
Bei der Qualität und Transparenz der Berichterstattung sieht er noch einen „Evolutionsprozess“: „Wir lesen pro Jahr üblicherweise mehr als 200 Berichte, und die Bandbreite geht von fast gar keiner Offenlegung bis zu Hochglanzbroschüren mit wenig detaillierten Inhalten. Die Berichte, die wir schätzen, sagen klar aus, was Nachhaltigkeit für das Unternehmen wirklich bedeutet und wie das in die Unternehmensstrategie integriert wurde, mit festgelegten Zielen.“
Gefragt nach den KPIs, die den Unternehmen selbst am wichtigsten sind, verweisen diese in der Regel auf ihre Nachhaltigkeitsberichte mit einer Reihe von Zahlen zu so gut wie allen ESGBereichen. Je nach Branche sind die Schwerpunkte natürlich anders gelagert. Der Lebensmittelkonzern Nestle hebt neben der Treibhausgasreduktion (vier Millionen Tonnen seit 2018) vor allem Zahlen zum Umwelt- und Naturschutz hervor. Etwa Wasserverbrauchsreduktion (2,3 Millionen Kubikmeter), abforstungsfreie Produktion (97,2 Prozent) oder Plastikverbrauchsreduktion (8,1 Prozent seit 2018).
„Es gibt einen Evolutionsprozess bei Qualität der Berichterstattung.“
RUPERT WELCHMAN
Hehre Ziele
Beim Papier- und Verpackungshersteller Mondi geht es primär um Recycling oder den „Anteil an zirkulären Produkten“ (78 Prozent), wie es offiziell heißt, und um den Anteil von auf Biomasse basierten Brennstoffen (65 Prozent). „Alle Verpackungs- und Papierprodukte von Mondi sollen bis 2025 wiederverwendbar, kompostier- oder recyclebar sein“, nennt Susan Brunner, Senior Sustainability Manager, das nächste Zieldatum. Seit 2004 gingen die Treibhausgasemissionen des Konzerns um 45 Prozent zurück. Die Null soll allerdings erst 2050 erreicht werden.
Beim Baustoffkonzern Wienerberger AG stehen weniger das Erreichte, sondern drei kurzfristige Ziele bis 2023 im Vordergrund: Senkung der CO2-Emissionen um 15 Prozent (Basis: 2020), ein Programm zur Biodiversität an allen Standorten, und 100 Prozent der Produkte sollen wiederverwendbar oder recyclebar sein. Beim aktuellen Energieverbrauch gab es hingegen weniger Erfreuliches zu vermelden, denn dieser ist 2021 wieder um 7,6 Prozent gestiegen.
% MEINE GRÜNE RENDITE
Mit der neuen EU-Richtlinie CSRD kommen wieder neue Zeiten auf börsennotierte Unternehmen zu. Wer bisher das Thema Nachhaltigkeit im Geschäftsbericht als nebensächlich betrachtet hat, ist gut beraten, sich rechtzeitig Expertise ins Unternehmen zu holen. Doch nicht nur die Anforderungen durch die EU werden zunehmen. Auch institutionelle Investoren werden höhere Ansprüche an die Transparenz stellen. Schmucke Hochglanzberichte mit wenig belastbarem Inhalt werden nicht mehr reichen. Auf ein stimmiges Gesamtpaket kommt es an. n