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NACHHALTIG NEU DEFINIEREN
NACHHALTIGKEIT MIT NEUER BEDEUTUNG
Geopolitisch bedeutet der Krieg in der Ukraine das Ende der Welt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, die durch die Vision einer immer enger zusammenrückenden Weltgemeinschaft gekennzeichnet war.
VITA ULRICH KATER
CHEFVOLKSWIRT DEKA BANK
Seit 1999 ist der promovierte Volkswirt (57) bei der Deka Bank. Er arbeitete dort anfangs mit am Aufbau der volkswirtschaftlichen Abteilung. 2004 wurde er Chefvolkswirt der Deka Bank, zwei Jahre später Vorsitzender des Beirats für Wirtschaftsfragen im Verband Öffentlicher Banken. Von 1995 bis 1999 war Kater im Stab der fünf Wirtschaftsweisen für die Themen Geldpolitik und Kapitalmarkt verantwortlich.
Zum ersten Mal gibt es für das demokratische Europa wieder eine militärische Bedrohung. Damit gehen weitreichende wirtschaftliche Einschnitte einher. Russland fällt als Wirtschaftspartner so lange aus, wie das gegenwärtige Regime an der Macht ist. Rücknahmen von Sanktionen wird es in dieser Konstellation nur in minimalistischem Ausmaß geben, um den Krieg zu beenden. Der Ad-hoc-Ausfall eines Hauptrohstoff- und Energielieferanten stellt auch eine Marktwirtschaft – deren Strukturen sehr anpassungsfähig sind – vor ungeheure Herausforderungen.
Wie bei so vielen Handlungsfeldern bleiben die neuen Koordinaten auch nicht ohne Auswirkungen auf das relativ neue Feld der Nachhaltigkeitspolitik. Zwei der wesentlichsten Konsequenzen arbeiten dabei gegeneinander. Zum einen bedeutet die grundlegende Neuaufstellung der Energieinfrastruktur eine Beschleunigung der bisher auf lange Zeiträume angelegten Umstellungspläne. Die Zurückdrängung der fossilen Energien zugunsten der erneuerbaren wird jetzt noch schneller vorangetrieben, selbst wenn für einige Jahre dabei ein Rückgriff auf weniger nachhaltige Energieträge wie Kohle in Kauf genommen werden muss. Die hohen Preise für Energie, die der Krieg hervorgerufen hat, unterstützen die Beschleunigung des Transformationsprozesses, indem sie eine starke Nachfragedämpfung sowie weitreichende Ausweichmechanismen beim Angebot hervorrufen. Zum anderen jedoch bedeuten diese Herausforderungen Verzicht. Das Bruttoinlandsprodukt eines Landes kann nur einmal verwendet werden. Wird ausländische Energie teurer, müssen dafür mehr Inlandsgüter hergegeben werden, die woanders fehlen. Die reale Nachfrage wird durch die hohen Preissteigerungen zurückgedrängt. Wo die Tarifparteien über zu hohe Lohnabschlüsse dieser Logik zu entfliehen suchen, erzeugen sie nur die nächste Inflationswelle – bis die Notenbank die Sache in die Hand nimmt. Auch die Fiskalpolitik kann nicht unbegrenzt Krisen wegfinanzieren und gleichzeitig die erweiterten Aufgaben des Staates bei Energie, Infrastruktur, Gesundheit und Verteidigung schultern. Der nachhaltige Umbau der Wirtschaft wird also schneller kommen, er wird aber auch zu stärker fühlbaren Kosten führen.
Die Pläne der EU sehen eine Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien gegenüber dem „Fit for 55“Plan um zehn Prozent bis 20 Prozent vor. Dabei sind 480 Gigawatt (GW) aus Windenergie geplant. Im vergangenen Jahr lag dieser Wert noch bei 190 GW. Solarenergie soll von zuletzt 165 GW auf 420 GW zulegen. Eng verbunden mit dem Ausbau der Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen ist der Anfang März veröffentlichte EU-Aktionsplan REPowerEU, um die Gasversorgung bis 2030 unabhängig von Russland zu gestalten. Die Implementierung der Fit-for-55-Agenda würde bis 2030 bereits 30 Prozent weniger Gasverbrauch in der EU bedeuten.
Aber zusätzliche Maßnahmen sind notwendig. Die REPowerEU-Agenda sieht bereits bis Ende dieses Jahres eine Reduktion der russischen Gasimporte um mindestens 60 Prozent vor. Die erste Säule der Gasunabhängigkeit von Russland ist, auf nichtrussische Erdgaslieferungen umzustellen, die nachhaltige Biomethangasproduktion zu verdoppeln und die verstärkte Produktion sowie der Import von grünem Wasserstoff. Die zweite Säule ist der erwähnte beschleunigte Übergang zu sauberen Energiequellen. Darüber hinaus ist eine Steigerung der Effizienz des EU-Strommarktes in Aussicht gestellt worden. All dies sind Anzeichen dafür, dass die Politik richtig Druck macht. Vor den Unternehmen, die diese Infrastruktur liefern, liegen große Herausforderungen. n