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Große Transformation
Gut Ding braucht
Weile. Der Umstieg von Öl und Gas auf erneuerbare Energieträger braucht Zeit.
GROSSE TRANSFORMATION
Voestalpine, OMV, MPreis, Holcim und Deutsche Bahn: Fünf ganz unterschiedliche Beispiele zeigen, welchen Weg Konzerne in Richtung Klimaneutralität einschlagen.
TEXT OLIVER STOCK
Beim deutschen Stahlhersteller Thyssenkrupp war es im April 2022 wieder so weit. In Duisburg hieß es: Kurzarbeit. Rund 1.300 von etwa 18.000 Mitarbeitern mussten zumindest teilweise zu Hause bleiben. Die Stahlkocher kämpfen mit stark gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen. Thyssenkrupp ist abhängig von Gas, Öl und Kohle, vieles davon kommt aus Russland. Sollte Russland seine Lieferungen kriegsbedingt reduzieren oder sogar stoppen, wäre das für die deutsche Industrie eine mittlere Katastrophe, rund 55 Prozent seines Gasbedarfs bezieht Deutschland von der russischen Gazprom.
Ohne Energie aus Russland wäre ein Stillstand der Produktion die Folge, warnt die Wirtschaftsvereinigung Stahl. Für ihren Präsidenten Hans Jürgen Kerkhoff wäre sowohl ein vom Westen verhängtes Embargo als auch ein Lieferstopp von russischer Seite eine „Zwangsabschaltung“. Immerhin ist
die deutsche Stahlindustrie mit 40 Millionen Tonnen Rohstahlproduktion der größte Hersteller in der Europäischen Union (EU) und der achtgrößte Produzent weltweit. Der Stahl ist Basiswerkstoff für andere Produkte. Ohne Stahl kommt es auch in der Baubranche, in der Metall- und Elektroindustrie, in der Automobilindustrie und bei vielen ihrer Zulieferer zu erheblichen Problemen. Es drohten „Produktionsunterbrechungen, Kurzarbeit und Beschäftigungsverluste“, sagt Kerkhoff. Österreich mit einer Abhängigkeit von rund 80 Prozent von russischem Gas würde es noch härter treffen, die Schweiz, in der knapp die Hälfte des Gasverbrauchs durch russische Lieferungen gedeckt wird, hätte ebenfalls ein Riesenproblem.
Homöopathische Dosen
In allen drei Ländern herrscht Ratlosigkeit. Für die gesamte deutsche Industrie liegt das Substitutionspotenzial bei gerade einmal 7,9 Prozent, so viel vom Gesamtverbrauch könnte schnell ersetzt werden. Theoretisch gibt es andere Lösungen: die erneuerbaren Energien ausbauen, andere Lieferanten gewinnen, Flüssiggas einkaufen. Praktisch brauchen diese Lösungen bloß Zeit. Zwei, drei Jahre mindestens. Der nächste Winter, in dem der Gasverbrauch steigt, kommt garantiert schon eher.
Die Unternehmen müssen deswegen selber ran. Sie setzen das Thema Transformation in Richtung grüner Energieformen ganz oben auf die Tagesordnung. Dabei kommen sie unterschiedlich voran. Der österreichischer Stahlhersteller Voestalpine AG etwa hat mit seiner Strategie, die er Greentec Steel getauft hat, bereits begonnen. Es geht darum, hochwertigen Stahl mit so wenig Emissionen wie möglich herzustellen. Wasserstoff ist dazu das Mittel der Wahl. „Die Politik hat ambitionierte Ziele zur Reduktion der CO2-Emissionen gesetzt. Mit Greentec Steel wollen wir als Voestalpine Teil der Lösung sein und leisten unseren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele“, sagt Voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner. In dem Linzer Stahlkonzern ist von Breakthrough-Technologien die Rede: Verfahren also, die eine ganze Industrie entscheidend verändern. Die Stahlindustrie ist derzeit für ungefähr sieben Prozent der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen verantwortlich. Wirtschaftlich darstellbare Verfahren, die den CO2-Ausstoß der Stahlerzeugung nachhaltig senken, würden wirklich einen Durchbruch bedeuten.
Dazu beitragen könnte die H2FutureAnlage auf dem Voestalpine-Gelände in Linz, wo der Konzern grünen Wasserstoff herstellt. Die Frage ist, ob die eingesetzte Technologie für eine Produktion in großem Maßstab geeignet ist. Dafür werden etwa schnelle Lastwechsel simuliert. Bisher konnten mehr als 500 Tonnen grünen Wasserstoffs hergestellt werden, die für die Produktion von 8.800 Tonnen grünen Stahls ausreichen würden. Angesichts von rund acht Millionen Tonnen, die Österreich im Jahr 2021 an Stahl erzeugt hat, ist das allerdings eher eine homöopathische Dosis.
Backen mit Wasserstoff
Wasserstoff ist auch das Mittel der Wahl beim Tiroler Einzelhändler MPreis. In Völs hat das Familienunternehmen die größte Single-Stack-Elektrolyseanlage Europas errichtet. Hinter dem komplizierten Namen verbirgt sich die Produktion von grünem Wasserstoff. Herzstück der 13 Millionen Euro teuren Anlage, die zur Hälfte von der EU bezahlt wurde, ist ein 3,2-Megawatt-Druck-Alkali-Elektrolyseur der Firma Sunfire aus Dresden, der Wasser durch den Einsatz elektrischer Energie in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Der Strom, den MPreis zur Wasserstoffproduktion nutzt, kommt vom im Tiroler Landeseigentum stehenden Energieversorger Tiwag und stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen. Daher trägt er das Label „grün“. Der Wasserstoff soll in einem ersten Schritt zum Ausgleich von Stromschwankungen im heimischen Stromnetz beitragen. Im nächsten Schritt hat das Familienunternehmen den selbstproduzierten grünen Wasserstoff zur Dekarbonisierung der hauseigenen Großbäckerei eingesetzt. Die Backöfen werden statt wie bisher mit Erdgas mit Wasserstoff geheizt. Inzwischen beginnt MPreis damit, seine 50 Lastwagen auf Wasserstoffantrieb umzurüsten. Damit sollen am Ende mehr als zwei Millionen Liter Diesel pro Jahr eingespart werden. Eine Tankfüllung reicht für rund 500 Kilometer Strecke, im Winter etwas weniger. Damit ergibt sich ein Infrastrukturproblem, denn Tankstellen sind selten. Zum Vergleich: Ein Diesel-Lkw fährt mit einer Tankfüllung rund 1.000 Kilometer weit.
Während Voestalpine AG und MPreis ihre Geschäftsmodelle durch nachhaltige Techniken optimieren, geht es bei Österreichs größtem Energielieferanten, der OMV AG, um eine völlige Veränderung der Strategie. Der Öl- und Gaskonzern will weg von der Förderung der Rohstoffe hin zur Produktion nachhaltiger Kraftstoffe, Chemikalien und Materialien mit einem starken Fokus auf Lösungen für die Kreislaufwirtschaft. Spätestens 2050 will die OMV AG so zu einem klimaneutralen Chemieunternehmen werden. „Wenn wir den Lebensstandard überall auf der Welt erhalten und ausbauen und gleichzeitig das Überleben unserer Gesellschaft sichern wollen, müssen wir zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise übergehen. Aus diesem Grund haben wir uns als Ziel gesetzt, Grundlagen für ein nachhaltiges Leben neu zu erfinden“, sagt OMVChef Alfred Stern. Die Idee dahinter: Die weltweite Nachfrage nach neuwertigen Polyolefinen zur Herstellung von Kunststoff wird bis 2030 voraussichtlich stärker wachsen als andere Märkte. Dabei geht es um den verstärkten Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen, von Biokunststoffen sowie die Entwicklung von
Industrie. Für die Herstellung von Stahl sind fossile Energieträger derzeit unabkömmlich. Die Hoffnung liegt auf grün produzierten Wasserstoff.
7,9%
beträgt das Substitutionspotenzial für Gas in der gesamten bundesdeutschen Industrie.
Kreislauflösungen. Genau daran arbeitet die Chemie-Division der OMV AG, und hier soll künftig der Kernbereich des Geschäfts liegen.
Die dreckige Zementindustrie
Fossile Energie zu fördern ist aus ökologischer Betrachtung der Beginn eines verhängnisvollen Prozesses. 740 Milliarden US-Dollar flossen weltweit laut der britischen Initiative Influence Map von den 30 größten Finanzkonzernen, darunter Allianz SE, Deutsche Bank AG und JP Morgan, in Projekte fossiler Energie. Zement herzustellen ist dagegen schon per se ein Drecksgeschäft, denn dabei werden erhebliche Mengen des klimabeeinflussenden Gases CO2 freigesetzt. Vier Milliarden Tonnen des später zu Beton und Mörtel vermischten Bindemittels werden schätzungsweise jährlich weltweit produziert, was zu 4,2 Milliarden Tonnen CO2 führt, die in die Atmosphäre gelangen. Das ist rund dreimal so viel, wie der gesamte Luftverkehr freisetzt. Wäre die Zementproduktion ein Land, käme sie unter den CO2-Emittenten hinter China und den USA auf Rang drei der Schadstoffproduzentenrangliste.
Finanzmärkte, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben haben und CO2-intensive Firmen generell mit negativen Bewertungen strafen, machen einen Bogen um die Zementhersteller, die deswegen aktiv werden müssen. Die Schweizer Holcim ist Weltmarktführer in Sachen Zement und hat deswegen ein Problem, die Aktie kommt seit Monaten nicht vom Fleck. Holcim setzt im größten Schweizer Zementwerk in Siggenthal immerhin weniger Braunkohle zum Feuern ein, eine Mischung aus Trockenschlamm, Lösungsmitteln, Plastik, Altöl und gebrauchten Autoreifen ersetzt die Kohle, was zumindest über die gesamte Prozesskette etwas CO2 spart. Holcim forscht an neuen Produkten wie etwa einem Zementgemisch, das Bauabfälle enthält und weniger CO2 benötigt, um daraus Beton herzustellen. Bis 2030 soll die CO2-Intensitiät um 20 Prozent auf 475 Kilogramm pro Tonne gesenkt werden. Ähnlich ambitiöse Ziele verfolgt der deutsche Konkurrent Heidelberg Cement, der bis 2030 unter 500 kg je Tonne kommen will. 2050 soll es dann CO2-neutralen Beton geben, nur wie das gehen soll, weiß noch niemand ganz genau. Wahrscheinlich läuft es auf eine sogenanntes „Carbon Capture and Storage“-Verfahren hinaus, bei dem Kohlendoxid unterirdisch gelagert wird.
Der größte Stromverbraucher
Während die Zementindustrie also immerhin aktiv an neuen Verfahren forscht, setzen die Verantwortlichen bei der Deutsche Bahn AG (DB) nach außen vor allem aufs Marketing. Die Bahn ist für etwa zwei Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland verantwortlich und gilt damit als größter Stromverbraucher des Landes. Mit dem ICE schnell quer durchs Land reisen und dabei auch noch das Klima schützen, diese Botschaft vermitteln Plakate und Werbespots der Bahn. „Dein Trip nach Wien - 98 Prozent weniger CO2, wenn du mit dem ICE fährst“, lautet die bahneigene Berechnung des Unterschieds zwischen Bahn- und Flugreise. Demnach verursacht eine Flugreise 214 Gramm Treibhausgase pro Fahrgast während eines zurückgelegten Reisekilometers. Für die Fahrt über die gleiche Strecke gibt die Bahn einen Wert von vier Gramm an. Das Umweltbundesamt hingegen gibt den Emissionswert mit 29 Gramm pro Personenkilometer an. Der Unterschied liegt im Marketing, das es mit Fakten nicht so genau nimmt. „100 Prozent Ökostrom im Fernverkehr“, dichtet die Marketingabteilung der DB, was stimmt, allerdings nur auf dem Papier. In Wahrheit kommen nur rund 60 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Wenn der Fernverkehr alles davon braucht, bleibt für den Nahverkehr nur der dreckige Strom aus fossilen Energien übrig. Sauberkeit im Fernverkehr bedeutet also mehr
#INDUSTRIE
SO ABHÄNGIG IST DIE DEUTSCHE INDUSTRIE VOM ERDGAS
Emissionen im Nahverkehr. Dazu passt, dass die Bahn wichtigster Kunde des erst kürzlich ans Netz gegangenen Kohlekraftwerks im nordrhein-westfälischen Datteln ist. Ohne ihre Zusage zur Stromabnahme wäre das Kraftwerk wahrscheinlich gar nicht gebaut worden.
Industriezweig
Mogeln geht immer
Gesamtverlauf
davon Prozesswärme
Chemieindustrie (Grundstoffe) 201.593 TJ 192.02 TJ
Ernährung und Tabak
Papiergewerbe
Metallerzeugung 118.115 TJ 102.999 TJ
73.543 TJ 70.359 TJ
63.839 TJ 57.708 TJ
Glas und Keramik 59.651 TJ 56.770 TJ
Metallbearbeitung
Fahrzeugbau
Chemische Industrie 41.543 TJ 21.642 TJ
35.164 TJ 16.586 TJ
34.030 TJ 29.399 TJ
Maschinenbau 22.368 TJ 2.848 TJ
Dazu kommt: Der sogenannte Ökostrom der Bahn kommt aus zwei Quellen. Zum einen sind es tatsächlich erneuerbare Energien, zum anderen ÖkostromZertifikate. Möglich machen dies sogenannte Herkunftsnachweise. Sie werden immer dann ausgestellt, wenn irgendwo in Europa eine Megawattstunde Strom mit Wind-, Sonnen- oder Wasserkraft erzeugt wird. Das Dokument ist sozusagen die Geburtsurkunde einer ökologisch einwandfrei erzeugten Strommenge, die ins Netz eingespeist wird. Der Erzeuger kann nun beide, den Strom und den Nachweis, getrennt voneinander verkaufen. Verkauft zum Beispiel der Betreiber eines norwegischen Wasserkraftwerks die Zertifikate separat, darf er die entsprechende Strommenge nicht auch noch als Grünstrom vermarkten. Die Bahn kann sie dann aufkaufen und als ihren Grünstrom ausgeben, in Wahrheit aber mit herkömmlich erzeugtem Strom fahren. Immerhin bis 2040 soll Schluss sein mit der Mogelei: Dann wird auch die DB hoffentlich nicht nur auf dem
Gesamtindustrie 793.420 TJ 665.061 TJ
Papier klimaneutral sein.
QUELLE: BDEW
% MEINE GRÜNE RENDITE
Unterm Strich also gilt, die Unternehmen, sie unternehmen etwas. Nur brauchen sie noch alle mehr als ein Jahrzehnt, um wirklich klimaneutral arbeiten zu können. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und Ukraine-Krieges ist das viel zu langsam. n
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