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Blickpunkt: Luigi Nono

Am 29. Jänner jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Luigi Nono – ein Komponist, dessen Musik ein seltenes Beispiel dafür ist, dass soziales und politisches Engagement nicht mit einem Verrat an künstlerischem Anspruch einhergehen muss

VON STEFAN JENA

Es liegt manch melancholisch stimmender Widerspruch im Leben und Wirken Luigi Nonos: Er war zugleich der introvertierteste und der engagierteste Komponist seiner Generation. Er prägte den Begriff der Darmstädter Schule, obwohl er bei den legendären Darmstädter Ferienkursen, in denen nach dem Krieg nicht weniger als die Grundlagen musikalischer Ästhetik und Theorie neu verhandelt wurden, in gewisser Weise ein Außenseiter blieb. Er schrieb Musik, um politisches Bewusstsein zu schaffen – »der Kampf gegen den Faschismus und Imperialismus ist mein Lebensinhalt. Ich bin nur zufällig Musiker«, sagte er einmal –, und war doch viel zu scheu, um sich in der Menge wohlzufühlen. Ihm fehlten die Selbstsicherheit eines Pierre Boulez und das Sendungsbewusstsein eines Karlheinz Stockhausen. Und doch ist seine Musik vielleicht so aktuell wie keine andere seiner Zeit.

Nono stammte aus einer humanistisch gebildeten Familie, und schon früh kam er mit antifaschistischen Künstlerkreisen in Kontakt. Gemeinsam mit seinem Freund Bruno Maderna studierte er intensiv die Musik der Wiener Schule, Bartóks und Strawinskis, aber erst die Begegnung mit dem Dirigenten Hermann Scherchen 1948 gab ihm in musikalischer wie in politischer Hinsicht die entscheidenden Impulse. Dass Nono 1954 Schönbergs Tochter Nuria kennenlernte und wenig später heiratete, mag man als eine besonders glückliche Fügung der Geschichte sehen, schließlich war Nono in seiner Generation der wahrscheinlich verständigste Adept von Schönbergs Kompositionstechniken, was er schon 1950 mit seinen »Variazioni canoniche sulla serie dell’ op. 41 di Arnold Schoenberg« unter Beweis gestellt hatte.

1952 trat Nono der Kommunistischen Partei Italiens bei, 1956 erzielte er seinen internationalen Durchbruch mit »Il canto sospeso«, einer Kantate auf Briefe von zum Tode verurteilten Widerstandskämpfer:innen. Die folgenden Jahre waren geprägt von Werken, die meist das politische Bekenntnis schon im Titel trugen, und so nimmt es nicht wunder, dass sein 1979/80 komponiertes Streichquartett »Fragmente – Stille, an Diotima« die Musikwelt verblüffte. Der Revolutionär Nono bediente die bürgerlichste aller Gattungen? Mit einem Werk, das lange Abschnitte der Stille mit zartesten Instrumentalklängen umhüllt und einen Text Hölderlins vor den Ohren des Publikums verbirgt?

Tatsächlich lässt sich retrospektiv das Quartett, das von Heinz-Klaus Metzger als Wendepunkt diskutiert wurde, als Schlüssel zu Nonos Œuvre begreifen. Von dieser nach innen gerichteten Musik ausgehend versteht man erst, wie viel an Zurücknahme, Verfremdung und Zartheit auch in den scheinbar plakativen Werken der frühen Zeit steckt. Und vom Quartett aus – das im Geburtstagskonzert von jenen Kompositionen flankiert wird, auf die es ausdrücklich Bezug nimmt – lässt sich das beeindruckende Spätwerk Nonos erschließen. In seinem letzten Lebensjahrzehnt entdeckte er im Freiburger Experimentalstudio die (Live-)Elektronik für sich, die ihm dazu verhalf, Klängen bis in ihr Innerstes nachzuhorchen und sie den Raum erobern zu lassen.

Im »Prometeo«, dem Musiktheaterwerk von 1984, der »Tragödie des Hörens«, wie Nono es im Untertitel nannte, vereint sich schließlich Nonos Erkenntnis, dass Musik sich dem Verstummen nähern müsse, um gehört zu werden, mit dem revolutionären Anspruch, den er nie verraten hat. Schließlich ist Prometheus der Widerstandskämpfer, in dem sich die ganze Menschheit wiederfinden kann.

Unter all jenen, die die Musik nach 1945 so nachdrücklich geprägt haben, bleibt Luigi Nono als der Komponist in Erinnerung, der sich unverbrüchlich auf die Seite der Schwachen geschlagen hat und dabei in jedem Werk sich selbst und seinen Ansprüchen treu geblieben ist. Der Religionsphilosoph Klaus Heinrich improvisierte in seiner Vorlesung am Tag nach Nonos Tod einen bewegenden Nachruf, der in dem Resümee endete: Man müsse sich »überlegen, wie es weitergehen kann mit der Musik als einer humanen Kunst. Dafür einen der entscheidenden Vorschläge gemacht zu haben, ist Nonos Ruhm.«

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Do, 29/01/24, 19.30 Uhr · Mozart-Saal

Minguet Quartett

Luigi Nono zum 100. Geburtstag

Johannes Ockeghem: Vier Chansons · Giuseppe Verdi: Ave Maria (Quattro pezzi sacri Nr. 1 ) · Ludwig van Beethoven: 3 . Satz: Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart. Molto adagio – Neue Kraft fühlend. Andante (Streichquartett a-moll op.  132) · Luigi Nono: Fragmente – Stille, an Diotima

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60788

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