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Der letzte Walzer von Wien?
Zwei Orchesterkonzerte der Wiener Symphoniker, Klavierabende von Alexandre Tharaud und Kirill Gerstein sowie eine Lesung mit Wien-Impressionen von Robert Schumann, Leopold Godowsky und Maurice Ravel
VON ALEXANDRA ZIANE
»Wiener, seid froh! – Oho, wieso?« So tönte der Wiener Männergesangs-Verein zu Johann Strauß’ »An der schönen blauen Donau«, als der Walzer bei der Faschings-Liedertafel 1867 erstmals aufgeführt wurde – mit Versen des Polizeikommissars und Vereinsdichters Josef Weyl. Der Wiener Walzer hatte seinen Siegeszug durch die Welt zu diesem Zeitpunkt längst angetreten. Bereits zu Zeiten Franz Schuberts verdrängte der Tanz das höfische Menuett und den ländlichen Landler und ließ verschiedene soziale Schichten gemeinsam übers Parkett walzen. Aufgrund dieser Durchmischung der Bevölkerung, der Nähe zum Tanzpartner und des zügellos wirkenden Drehens der Tanzenden galt er zunächst als sehr anstößig. Doch schnell eroberte er die Tanzsäle und fand Eingang in Bühnenmusiken.
Josef Lanner und Johann Strauß Vater sowie seine Söhne verbreiteten die in Wien ausgeprägte Form schließlich durch Arrangements, Potpourris und ausgedehnte Tourneen. Bis heute prägt der Wiener Walzer das Bild der Stadt und einer Epoche. Mit der Strauß’schen »Walzer-Industrie« einher ging der Glaube an den Fortschritt, an die Besserung der Verhältnisse durch die technischen Errungenschaften. Spätestens mit Johann Strauß’ 1874 uraufgeführter »Fledermaus« war jedoch klar, dass dieser auch in den Untergang führen konnte.
Komponisten, die die Donaumetropole besuchten oder sich mit ihrer Musik beschäftigten, ließen sich vom Walzer inspirieren. Robert Schumann kam 1838 nach Wien, wollte sich hier niederlassen und seine Musikzeitung vertreiben, scheiterte allerdings an der Zensur und kehrte der Stadt resigniert den Rücken. Zeugnis davon gibt sein »Faschingsschwank aus Wien. Fünf Fantasiebilder für Klavier«, in dessen erstem Satz im teilweise recht tänzerischen Dreivierteltakt die – in Wien verbotene – Marseillaise anklingt.
Etwa siebzig Jahre später, 1911, komponierte Maurice Ravel seine »Valses nobles et sentimentales«, eine Reverenz an Franz Schubert. Die Uraufführung der Fassung für zwei Klaviere fand im Oktober 1920 im Schubert-Saal dieses Hauses in einem Konzert des von Arnold Schönberg geleiteten Vereins für musikalische Privataufführungen statt, durch Alfredo Casella und den Komponisten.
Durch wirbelnde Wolken hindurch sind hier und da Walzer tanzende Paare erkennbar. Die Wolken zerstreuen sich nach und nach und geben den Blick auf einen gewaltigen Saal frei, in dem sich eine Menschenmenge dreht. Allmählich wird die Bühne heller, bis im Fortissimo der volle Glanz der Kronleuchter erstrahlt. Ein Kaiserhof um das Jahr 1855.
MAURICE RAVEL in der Partitur zu "La valse"
In Ravels Orchesterwerk »La valse«, vollendet 1921, tritt an die Stelle der Walzerseligkeit ein wiegendes Weltuntergangsszenario. Als Ravel das Werk 1906 konzipierte, lief diese Hommage an Johann Strauß noch unter dem Titel »Vienne«. Erst nach dem Krieg vollendete er die Komposition in völliger Zurückgezogenheit gleichzeitig in Fassungen für Orchester sowie für ein und zwei Klaviere. Obwohl von ihm für seine Ballets russes in Paris in Auftrag gegeben, lehnte Sergej Diaghilew das Werk ab, mit den Worten: »Ravel, das ist ein Meisterwerk, aber das ist kein Ballett. Es ist das Gemälde eines Balletts.«
Früh meinten einige, darin einen fratzenhaften Abgesang auf eine vergangene Epoche, ein Bild einer in den Untergang hineinwirbelnden Gesellschaft erkennen zu können. Vladimir Jankélévitch schrieb, man könne »die Katastrophe erahnen, die die Welt erschüttern und das alte Europa vom neuen trennen wird« – eine Deutung, die aufgrund der Verzerrung des Walzers naheliegt.
Ravel selbst setzte dem entgegen: »Einige Leute haben in diesem Stück den Ausdruck einer tragischen Angelegenheit gesehen; einige haben gesagt, dass es das Ende des Zweiten Kaiserreichs darstellt, andere sagten, dass es das Nachkriegs-Wien ist. Sie irren sich.« Er selbst erkannte darin vielmehr eine »tanzende, kreisende, ja fast halluzinierende Ekstase«, einen »Wirbel von Tänzerinnen, die sich mit letzter Leidenschaft bis zur Erschöpfung ausschließlich durch den Walzer mitreißen lassen.«
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Fr, 12/01/24, 19.00 Uhr · Großer Saal
So, 14/01/24, 11.00 Uhr · Großer Saal
Wiener Symphoniker · Arthur & Lucas Jussen · Jacquot
Arthur Jussen, Lucas Jussen, Klavier
Barbara Rett, Präsentation (nur am 14/01/24)
Marie Jacquot, Dirigentin
Maurice Ravel: Valses nobles et sentimentales (Fassung für Orchester) · Francis Poulenc: Konzert für zwei Klaviere und Orchester d-moll S 61 · Anatoli Ljadow: Der verzauberte See, Ein Märchenbild op. 62 (nur am 12/01/24) · Erich Wolfgang Korngold: Sinfonietta H-Dur op. 5 (nur am 14/01/24)
Im Anschluss an das Konzert Ausklang im Großen Foyer mit Arthur und Lucas Jussen & dem Johann Strauss Ensemble der Wiener Symphoniker (nur am 12/01/24)
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60750
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So, 14/01/24, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Klavierabend
Alexandre Tharaud
»à la française«
Maurice Ravel: A la manière de Chabrier Pavane pour une infante défunte La valse. Poème chorégraphique (Bearbeitung: Alexandre Tharaud) · sowie Werke von François Couperin, Claude Debussy und Erik Satie
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60761
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Mi, 14/02/24, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Literatur im Konzerthaus
Henri-Pierre Roché: Jules und Jim
Markus Meyer, Lesung
Cédric Pescia, Klavier
Henri-Pierre Roché: Jules und Jim · Maurice Ravel: Valses nobles et sentimentales · sowie Werke von Francis Poulenc, Erik Satie und Johannes Brahms
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60799
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Sa, 24/02/24, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Klavierabend
Kirill Gerstein
Robert Schumann: Faschingsschwank aus Wien. Fünf Fantasiebilder für Klavier op. 26 · Leopold Godowsky: Symphonische Metamorphosen Johann Strauß’scher Themen Nr. 2: Fledermaus · sowie Werke von Frédéric Chopin, Gabriel Fauré, Francis Poulenc und Franz Liszt
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60822
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