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DURCH NACHT ZUM LICHT
Fidelio in den Bühnenbildentwürfen von Alfred Roller (1904), Caspar Neher (1942) und Clemens Holzmeister (1955)
Dass es sich mit Beethovens Fidelio und seinem Libretto in den Opernhäusern gut feiern lässt, ist eine bekannte Tatsache – erstaunlich ist nur die Bandbreite der politischen Instrumentalisierung: So spielte man in Wien Festvorführungen des Fidelio zum 250. Jahrestag der Osmanenbefreiung 1933, anlässlich des Besuches von Hermann Göring am 25. Mai 1938, zum Geburtstag des »großdeutschen Reiches« am 13. März 1942 und schließlich am 6. Oktober 1945 zur Feier der Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Auch zur glanzvollen Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper am 5. November 1955 zeigte man Fidelio. Die stets wechselnden politischen Anlässe lassen oft die Arbeit der Bühnenbildner vergessen: Sie schufen hochwertige Ausstattungen, deren Qualität gerade bei den Fidelio-Inszenierungen an der Wiener Staatsoper bemerkenswert ist. Drei dieser Aufführungen soll hier besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, nämlich Gustav Mahlers und Alfred Rollers bahnbrechendem Fidelio 1904, Caspar Nehers kriegsbedingt nüchterne Ausstattung von 1942 und schließlich Clemens Holzmeisters Bühnenbild zur Eröffnungsvorstellung der Staatsoper 1955.
Tradition ist Schlamperei: Gustav Mahler / Alfred Roller 1904
Als sich in der Wiener Hofoper der Vorhang am 4. Oktober 1904 – nicht zufällig der Namenstag des Kaisers – hob, hatte das Wiener Publikum die Gelegenheit, wieder ein Meisterwerk des Teams Gustav Mahler-Alfred Roller zu bewundern: den von toute Vienne mit Spannung erwarteten Fidelio, von Mahler musikalisch, von Roller optisch rundum erneuert. Nach Tristan und Isolde (1903) war Fidelio eine weitere Zusammenarbeit Mahlers und Rollers, die einer für Wien völlig neuen Bühnenästhetik den Weg ebnete. Hatte Tristan und Isolde den radikalen Bruch mit der Bayreuther Tradition bedeutet, so bedeutete dieser Fidelio eine weitere Absage an die Hör-und Sehgewohnheiten des an der Ästhetik des 19. Jahrhunderts geschulten Publikums: Ausgerechnet die konservative Hofoper wurde unter Gustav Mahler und seinem engen Mitarbeiter Alfred Roller in diesen Jahren zum Schauplatz von Inszenierungen, die keine andere große europäische Bühne an Modernität zu bieten hatte. Die vorhergehenden Inszenierungen des Fidelio an der Hofoper stammten von 1869 bzw. 1876 und waren von den bewährten Hoftheaterausstattern Theodor Jachimovicz und Carlo Brioschi in wirkungsvollen, historistischen Bildern in Szene gesetzt worden. Für Rollers Inszenierung von 1904 liegen – neben den erhaltenen Bühnenbildentwürfen und Figurinen – zahlreiche Zeugnisse vor, die uns heute noch ein ungewöhnlich gutes Bild der Aufführung ermöglichen: An erster Stelle ist ein Regiebuch Rollers mit Skizzen und Notizen für die Berliner Aufführung des Fidelio von 1926 zu nennen, für die Roller aber wohl weitgehend seine erste Fidelio-Inszenierung von 1904 übernahm. 1923 veröffentlichte Roller den Aufsatz »Die Fidelio-Bühne«, anhand dessen man die wesentlichen Punkte seiner Fidelio-Inszenierung nachvollziehen kann. Kritiken und zeitgenössische Berichte vervollständigen das Bild. Bereits für das erste Bild änderte Roller die Bildtradition: Das erste Bild zeigte die Stube Roccos. Aus Kostengründen hatte man bislang die Stube Roccos – entgegen den Bühnenanweisungen im Libretto – zumeist in den Kerkerhof gestellt, um sich eine Dekoration zu ersparen. »Wenn in dem Kerkerhof, wie dies auch jetzt noch häufig geschieht, die Außenseite von Roccos Behausung als freundliche Bauernhütte hineingestellt wird, vor der Marzelline ihre Wäsche plättet und ihr Gespräch mit Jaquino hat, so verliert der Hof die einheitliche Stimmung des Grauens, und die folgenden Vorgänge, die in ihm spielen, sind einer vollkommen entsprechenden Umgebung beraubt. Ihre Wirkung wird dann durch die Szenenumwelt nicht verstärkt, sondern abgeschwächt«, beschreibt Roller seine Absicht. In einem Brief an den Musikkritiker Ludwig Karpath betonte Roller, dass für Mahler diese Änderung ganz wesentlich war: »Großes Gewicht legte Mahler auf die Traulichkeit der Rocco-Stube. Blumen am Fenster! Diese muss der mit Beginn des Canons einfallende Sonnenstrahl streifen.« Diese Briefstelle macht zudem deutlich, welchen großen Anteil Mahler an den Inszenierungen nahm und wie sehr jedes Detail von ihm und Roller geplant war. Tatsächlich transportierte dieses Bild nun eine völlig andere Stimmung als der Beginn der alten Inszenierung von 1876, die mit Carlo Brioschis Kerkerhof begann, einem noch ganz in der historistischen Tradition stehenden Burghof mit zahlreichen romantisierenden Türmen und Details. Während Brioschis Gefangenenhof noch beinahe Freundlichkeit ausstrahlte, so entwarf Roller für das zweite Bild einen finsteren Raum, der durch den monumentalen Turm an der Rückwand beklemmend wirkte und im Betrachter ein Gefühl der Enge und Bedrückung hervorrufen musste. Zunächst aber sah das Publikum, als der Vorhang sich hob, keinen Kerkerhof, sondern eine abgewohnte, einfache, aber freundliche Behausung. Als Leonore das Zimmer betrat, änderte sich das Licht; beim Kanon fiel das Licht von oben herein und ließ die Bühne in Vorwegnahme des Finales erstrahlen. Der Gegensatz zum folgenden Bild des »Kerkerhofes« hätte kaum größer sein können. Besonders eindrucksvoll inszenierten Roller und Mahler den Freiheitschor: Die Gefangenen schlüpften aus einem Loch in der Mauer; auf der linken Seite war der Schatten einer Wache bedrohlich zu sehen. Auch das dritte Bild, die Zisterne oder der Kerker, bot dem Bühnenbildner zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten: »Der ›Kerker‹ ist ein stehender Vorwurf der barocken Theaterkunst und hat durch die großen Wiener Meister häufig prachtvolle Lösungen erhalten. (...) Weiträumige Hallen mit kühnen Stiegenperspektiven, eingestürzten Gewölben, Brücken und Pfeilern sind da zu wirksamen Bildern verarbeitet«, so Roller in seinem Aufsatz. Tatsächlich zeigt der Bühnenbildentwurf von Theodor Jachimovicz für die Inszenierung von 1874 einen Kerker ganz in der Tradition der barocken Theaterarchitekten Galli Bibiena oder eines Piranesi. Auch Roller hatte die Zisterne zunächst in dieser Weise geplant, was aber von Mahler mit den Worten »zu sehr Nibelheim« zugunsten einer anderen Lösung verworfen wurde: Schließlich entwarf Roller einen riesigen dunklen Raum, ganz mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Die einzige Lichtquelle war die Laterne, die Florestan in der Hand hielt. »Wer auf sie (= »die Einleitungsmusik zu dem Kerkerbilde«) hört, wird sich den Kerker Florestans gar nicht beengend, bedrückend und vor allem dunkel genug vorstellen können. Durch den Verzicht auf ein pompöses dekoratives Bild und durch die starke Herausarbeitung der zuletzt erwähnten Eigenschaften ergibt sich auch der beste Gegensatz zu dem Schlussbilde und wird am treuesten beim Grundgefühl des ganzen Werkes: ›Von Nacht zum Licht‹ gefolgt.« Die berühmte Arie des Florestan fand damit in fast totaler Finsternis statt. Rollers Einsatz des Lichtes und vor allem der Dunkelheit sorgte bereits bei Tristan und Isolde und auch in späteren Inszenierungen immer wieder für Kritik und verunsicherte sowohl Sänger als auch Kritiker. Einem Bericht von Berta Zuckerkandl zufolge äußerte selbst Alma Mahler den Einwand, man müsse die Sänger auf der Bühne sehen können. Roller blieb jedoch seinem beinahe expressiven Umgang mit Licht und Dunkelheit auch in späteren Inszenierungen treu.
Anschließend an die Kerkerszene folgte Mahlers berühmteste und richtungsweisende Änderung: Die dritte Leonoren-Ouvertüre wurde nun eingespielt – angeblich auch, weil Rollers Einbauten sehr massiv waren und man für die Umbauten zum nächsten Bild sehr lange brauchte. Auf die fast komplette Dunkelheit und Abgeschlossenheit des Kerkers folgte nach der Ouvertüre ein Bild von strahlender Helligkeit und Weite: Für das Finale hatte Roller eine Terrasse entworfen, an deren linker Seite eine fast ägyptisch anmutende Architektur stand, aus deren Tür die Gefangenen ins gleißend helle Sonnenlicht taumelten. Roller bediente sich der gesamten eindrucksvollen Tiefe der Opernbühne, um nach der Enge des Kerkers die Weite als Gegensatz zu nützen. Roller selbst weist in seinem Aufsatz darauf hin, dass es für die letzte Szene unterschiedliche Anweisungen im Libretto und in der Bühnentradition gab: Von den Möglichkeiten »Paradeplatz«, »Kerkerhof« oder »auf dem Ball« entschied sich Roller für Letzteres: »Diese Annahme bietet die Möglichkeit, im Gegensatz zu dem vorhergegangenen Bilde, eine Szene von strahlender Helligkeit zu entwickeln, und ist schon deshalb die dem Werke gemäßeste. Wenn vollends, wie in Wien durch Mahler eingeführt, als Übergangsmusik von der Kerkerszene zur letzten die »Dritte Leonoren-Ouvertüre« gespielt wird, so ist für das letzte Bild die Annahme eines anderen Schauplatzes als einer von Licht und Helligkeit umfluteten, frei und hoch gelegenen Stelle wohl überhaupt ausgeschlossen«. Ein Bühnenbild »gemalt in C-Dur«, urteilte Julius Korngold in der Neuen Freien Presse. »Von Nacht zum Licht«, schrieb Roller, sei der Grundzug des Werkes und dem folgte er in seinen vier Bühnenbildern. Rollers und Mahlers Interpretation des Fidelio wurde zur Musterinszenierung; viele andere folgten – auch noch Jahrzehnte später – ihrem Modell.
Ein Fidelio in dunklen Zeiten: Caspar Neher 1942
Mitten im Krieg ereignete sich an der Wiener Staatsoper ein kleines Theaterwunder: Karl Böhm, Regisseur Oscar Fritz Schuh und Bühnenbildner Caspar Neher (1897-1962) schufen den für lange Zeit als legendär geltenden Wiener Mozartstil, der die Opern Mozarts unprätentiös, von allem Dekorativen entschlackt und auf die Handlung konzentriert, auf die Bühne brachte, dabei unterstützt von einem hochkarätigen Sängerensemble. Neher hatte als Bühnenbildner Bertolt Brechts Berühmtheit erlangt und die Uraufführungen von Trommeln in der Nacht und Die Dreigroschenoper in Szene gesetzt. Wer an die ersten Brecht-Aufführungen denkt, denkt auch heute in den Bühnenbildern Nehers. Später konzentrierte sich Neher mehr und mehr auf das Musiktheater, was schließlich zu seiner Zusammenarbeit mit Gottfried von Einem führen sollte. Ab 1941 war Neher an der Staatsoper tätig; 1942 entschloss man sich zu einer Neuinszenierung des Fidelio. Furtwängler dirigierte eine seiner legendären Beethoven-Interpretationen, Lothar Müthel führte Regie. Nehers Bühnenbildentwürfe sind Kunstwerke für sich: Zumeist auf nassem Papier gemalt, skizzierte er seine Vorstellungen in Wasserfarben und Tusche, häufig unter besonderer Verwendung von Deckweiß. Auch Nehers Entwürfe zum Fidelio zeigen einen ähnlichen Zugang wie seine Mozart-Interpretationen: sparsame, nüchterne Räume, von allem Romantisierenden befreit. Die Geld- und Personalknappheit mitten im Zweiten Weltkrieg mag zu diesem Umstand beigetragen haben. Dominant in Nehers Konzeption ist die Festungsarchitektur, die vom ersten bis zum vierten Bühnenbild stets präsent ist: Roccos Stube ist – ganz im Gegensatz zu Rollers Entwurf – ein kühles, nüchternes Zimmer mit Wänden aus Stein; auch die wenigen Möbel vermögen der Bühne nichts Wohnliches zu geben. Der Gefangenenhof und die Zisterne folgen deutlich barocken Vorbildern und scheinen in ihrer steinernen Monumentalität die Gefangenen, die nur in Umrissen in Deckweiß skizziert sind, zu erdrücken. Auch in der letzten Szene, die bei vielen Bühnenbildnern in der Nachfolge Rollers in die Tiefe und Weite geht, bleibt Neher dem abgeschlossenen Burgraum treu. In diese Architektur setzt er ein festliches Bild, dessen Hauptfaktor das fast nach religiösem Vorbild einfallende Licht von oben bildet.