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Beethoven Fragmente
Fidelio hat etwas Hieratisches, Kultisches. Es wird darin die Revolution nicht dargestellt, sondern gleichwie in einem Ritual wiederholend nachvollzogen. Er könnte zur Feier des Jahrestags der Bastille geschrieben sein. Keine Spannung, nur die »Wandlung« im Augenblick Leonores im Kerker. Vorentschiedenheit. Exzentrische, »stilisierte« Einfachheit der Mittel. Die Komponisten sind immer auch zoon politikon, und zwar desto mehr, je emphatischer ihr rein musikalischer Anspruch ist. Keiner ist tabula rasa. In der frühen Kindheit haben sie sich angepasst an das, was rings vorgeht, später sind sie bewegt von Ideen, die ihre eigene, selbst bereits sozialisierte Reaktionsform aussprechen. Selbst individualistische Komponisten aus der Blütezeit des Privaten wie Schumann und Chopin sind darin keine Ausnahmen; bei Beethoven rumort, in Schumanns Marseillaisezitaten hallt abgeschwächt der Lärm der bürgerlichen Revolution wider wie in Träumen. Dass die Musik Beethovens strukturiert ist wie jene Gesellschaft, die man – mit fragwürdigem Recht –aufsteigendes Bürgertum nennt, oder wenigstens wie ihr
Selbstbewusstsein und ihre Konflikte, hat zur Bedingung, dass seine primär-musikalische Anschauungsform in sich vermittelt war durch den Geist seiner Klasse in der Periode um 1800. Er war nicht der Sprecher oder Advokat dieser Klasse, obwohl es an rhetorischen Zügen solcher Art bei ihm nicht mangelt, sondern ihr eingeborener Sohn. In der Ära der Französischen Revolution hatte das Bürgertum entscheidende Positionen in Wirtschaft und Verwaltung bereits bezogen, ehe es die politische Macht ergriff: das verleiht dem Pathos seiner Freiheitsbewegung das Drapierte, Fiktive, von dem auch Beethoven nicht frei war, der sich zum »Hirnbesitzer« gegen den Gutsbesitzer ernannte. Dass er, der Urbürgerliche, von Aristokraten protegiert wurde, stimmt ebensogut zum Sozialcharakter seines Œuvres wie die aus Goethes Biografie bekannte Szene, da er die Hofgesellschaft brüskierte. Berichte über Beethovens Person lassen an seinem sansculottenhaften Wesen wenig Zweifel; es kehrt wieder im plebejischen Habitus seiner Humanität. Diese leidet und protestiert. Sie fühlt den Riss ihrer Einsamkeit.
Theodor W. Adorno