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VERGLEICHUNG –UND UNBEGREIFLICH HIMMLISCH
»übrigens ist die ganze Sache mit der oper die Mühsamste von der Welt, denn ich bin mit dem meisten unzufrieden – und – Es ist beynahe kein Stück – woran nicht hier und da meiner jezigen unzufriedenheit nicht einige Zufriedenheit hätte anflicken müssen.«
Ludwig van Beethoven über Fidelio, 1814
Die historische Pointe ist nicht zu übersehen. Da schreibt ein republikanisch gesinnter Komponist eine Oper gegen Tyrannei und Willkür und verwendet ein Libretto, das auf einer französischen Vorlage, verfasst von einem politisch fragwürdigen Wendehals namens Jean-Nicolas Bouilly, basiert. Diese wiederum baut auf einer angeblich wahren Geschichte auf, in der eine mutige Frau ihren Gatten aus der Hand der Jakobiner befreit. Die habsburgische Zensur beäugt und verbietet, um dann wieder zu gestatten – und als die Oper in Wien endlich zur Uraufführung kommt, sind seit einer Woche Soldaten – französische, wohlgemerkt! – als Besatzer in der Stadt. Sie repräsentieren die militärische und eroberungswütige Folge dessen, was knapp 25 Jahre zuvor als große Revolution begonnen hatte: als Französische Revolution, die die Tyrannei abzuschaffen gedachte. Nun in Wien: Napoleon.
Seit Kurzem selbstgekrönter Kaiser und Eroberer halb Europas. Beethoven, ein ehemals großer Bewunderer, hatte ihm gar seine dritte Symphonie widmen wollen, doch kratzte er nach dessen Kaiser-Ernennung wutentbrannt die Widmung wieder weg: »Ist er auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch? Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen, er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werden!« Die dritte Symphonie wurde übrigens im April 1805, ein halbes Jahr vor der Fidelio-Uraufführung, erstmals öffentlich gespielt. Wo? Im Theater an der Wien, der Uraufführungsstätte des Fidelio. Hatten sich Zuschauer bei Fidelio gefragt, welche Tyrannei bei der Uraufführung gemeint sein könnte? Wohl kaum. Denn es waren bei der ersten Aufführung nicht zu viele (Wiener) Zuhörer vor Ort; die leeren Plätze, erzählt man, wurden mit französischen Soldaten gefüllt. Der Beethoven’sche Fidelio nahm jedenfalls wenig zuvor seinen Anfang. 1804 wurden vom Theater an der Wien-Intendanten Peter Gottlieb Freiherr von Braun dem Komponisten Beethoven zwei Opern vorgeschlagen – unter anderem der damals recht bekannte Stoff der Leonore. Man geht heute davon aus, dass Beethoven von der gleichnamigen Oper Ferdinando Paërs gewusst haben muss, da die beiden Komponisten 1803 zusammengetroffen waren und ein Gespräch über mögliche attraktive Stoffe und Sujets zumindest nicht gänzlich denkfern liegt. Auch muss man annehmen, dass Beethoven bei der Privataufführung von Paërs Leonore bei seinem Gönner Fürst Lobkowitz anwesend gewesen sein muss. – Jedenfalls fand sich in Beethovens Nachlass eine Abschrift der (italienischen Fassung des) Paër’schen Werks. So oder so. Joseph von Sonnleithner übersetzte das genannte Leonoren-Libretto Bouillys ins Deutsche, Beethoven setzte es in Musik. Die Zensur verbot zunächst (siehe oben), genehmigte später nach einigen Änderungen aber doch. Die Uraufführung musste jedoch verschoben werden: Zu anspruchsvoll, so mutmaßt die Wissenschaft heute, war das neue Werk Beethovens für Sänger und Orchester. Als aber am 20. November 1805 das Werk erstmals im Theater an der Wien gespielt wurde, konnte von einem Erfolg keine Rede sein. Die Rezensionen waren vernichtend, wiesen aber teils auch auf die französische Besetzung der Stadt Wien hin, die nicht nur zu einer Flucht der Vermögenden geführt hatte, sondern auch die Stimmung naheliegenderweise empfindlich drückte. Es dürfte mehreres zusammengekommen sein: Besetzung und Ausnahmezustand, womöglich aber auch eine Irritation der Hörer ob des Neuen in Beethovens Musik. Eine genaue Bestandsaufnahme ist uns heute freilich versagt: Die Quellenlage ist überschaubar und recht dünn, zu anderer Zeit an anderem Ort hätte dieser Fidelio vielleicht durchschlagender wirken können. »Die Ouvertüre besteht aus einem sehr langen, in alle Tonarten ausschweifenden Adagio, worauf ein Allegro aus C-Dur eintritt, das ebenfalls nicht vorzüglich ist und mit andern Beethoven’schen Instrumentalcompositionen – auch nur z.B. mit seiner
Ouvertüre zum Ballett Prometheus keine Vergleichung aushält. Den Singstücken liegt gewöhnlich keine neue Idee zu Grunde, sie sind größtentheils zu lang gehalten, der Text ist unaufhörlich wiederholt und endlich auch zuweilen die Charakteristik auffallend verfehlt...«, las man in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung. Und weit mehr Kritisches noch... Nach nur zwei Folgeaufführungen verschwand Fidelio in der Versenkung. Doch nicht für lange. Die (inzwischen umstrittene!) Legende berichtet, wie eine beherzte Truppe von Künstlern und (adeligen) Freunden Beethovens sich im Dezember des Jahres mühte, den Komponisten zu einigen Kürzungen zu bewegen. Dass diese schwungvoll erzählte, nächtliche Szene tatsächlich stattfand, hinterfragt die Musikwissenschaft inzwischen heftig; jedenfalls entschied sich Beethoven bald für eine Umarbeitung: Es kam zu Straffungen, Umstellungen (die dreiaktige Oper erhielt eine zweiaktige Form) – und zu einer partiellen Schärfung der Charaktere. Es ist nun, anders als in der ersten Fassung, Leonore und nicht Marzelline, die die Gefangenen aus den Zellen lässt – man beachte die dramaturgische Präzisierung Leonores als Unterstützerin aller Gefangenen! Die textlichen Änderungen lagen in den Händen von Stephan von Breuning – der durchschlagende Erfolg war jedoch auch mit dieser Fassung, erstmals am 29. März 1806 erklungen, nicht gelungen. Zwar sind die uns überlieferten Meinungen über das Werk durchwachsen und im Großen und Ganzen besser als bei der ersten Fassung, doch verhinderte ein finanzieller Streit des Komponisten mit dem Intendanten eine längere Laufzeit des Werks: Nur zweimal erklang diese Leonore im Jahr 1806.
Dann endlich. Aus einer Spielplan-Verlegenheit heraus, wandte sich das Kärntnertortheater 1814 an den Komponisten, um ihn um den Fidelio zu bitten. Es kam erneut zu umfassenden Änderungen, als neuer Text-Bearbeiter wurde Friedrich Treitschke aufgeboten. Nur ein Detail zur inhaltlichen Umarbeitung: Leonore bittet diesmal aus eigenem Antrieb heraus und ohne Zustimmung Pizarros, die Gefangenen an die frische Luft zu lassen. Noch einmal wird hier das Profil der Protagonistin in puncto allgemeine Humanität zugespitzt. Am 23. Mai 1814 schließlich kam es zur Uraufführung der dritten Fassung – und diesmal sollte der Erfolg nicht auf sich warten lassen. Wie anders klangen nun die Rezensionen: »Die Musik zu dieser Oper ist ein tiefgedachtes, reinempfundenes Gebilde der schöpferischsten Phantasie, der lautersten Originalität, des göttlichsten Aufschwungs des Irdischen in das unbegreifliche Himmlische«, so entrückt euphorisch schrieb der Rezensent der Wiener Theaterzeitung über die erste Aufführung. Beethoven, am Gipfel des Ruhmes, wurde nun auch als Opernkomponist akzeptiert. Von nun an sollten der Fidelio die internationalen Spielpläne nicht mehr verlassen –alleine im Haus am Ring wurden in 150 Jahren rund 1000 Vorstellungen der Oper gegeben...