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Austausch und Teilhabe
Interview mit Birte Fritsch und Matthias Rürup
Mit Matthias Rürup und Birte Frisch hat das Literaturhaus Wuppertal eine neue Leitung: Wohin die Reise in eine neue Literaturzeit gehen soll, darüber sprach Heiner Bontrup mit den beiden Vorsitzenden des Literaturvereins.
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die beste Zeit: Bevor wir zu den Perspektiven des Literaturhauses kommen: Wie sind Sie beide zur Literatur gekommen, was treibt Sie an, sich ehrenamtlich für die Literatur in Wuppertal zu engagieren?
Birte Fritsch: Die Liebe zur Literatur begann für mich schon während der Schulzeit. Interessanterweise nicht nur im Deutschunterricht, sondern insbesondere über den Französischunterricht. Da eröffnete sich mir der Zugang zu einer neuen Kultur. Literatur lädt zu Perspektivwechseln an und weitet den Horizont ungemein. Diese Erfahrung intensivierte sich dann im Studium. Da begegnete ich dann neben der französischen auch der spanischsprachigen Literatur. Das war faszinierend, und ich hoffe, dass wir im Literaturhaus den Blick für die nicht-deutschsprachige Literatur offen halten können. Matthias Rürup: Literatur, das möchte ich vorausschicken, ist für mich eine eigene, kreative Tätigkeit. Ich komme vom Geschichten erzählen und selber schreiben. Das geht weit zurück bis in Vorschulzeit. Als stark stotterndes Kind wurde ich von der behandelten Ärztin zum Sprechen angehalten, indem mir Bilderkarten vorgelegt wurden. Später entdeckte ich, dass ich beim Schreiben und gerade auch Vortragen von Gedichten, meine Atemfluss immer besser kontrollieren konnte. Insofern ist meine Liebe zur Literatur vor allem eine zur geformten, nuanciert fließenden Sprache. Das zeichnet sicherlich auch die Autorinnen und Autoren aus, die ich über die Jahre für mich entdeckt und lieben gelernt habe. Und das ist sicher auch eine Erfahrung, die ich gerne weitergeben möchte.
Das Literaturhaus feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Gegründet wurde es von der Kulturjournalistin, Filmemacherin und Publizistin Anne Linsel. Sie treten mithin ein bedeutendes Erbe an. Was haben Sie an ihrer Vorgängerin besonders geschätzt, welche Traditionslinien möchten Sie unbedingt fortsetzen?
Birte Fritsch: Anne Linsel hat bei den Anmoderationen sehr präzise, konzis formuliert. Wenige Worte genügten, schon standen Autor, Buch und Thema dem Publikum sehr genau vor Augen. Wie bei einer Portraitzeichnerin entstand mit wenigen Strichen ein genaues Bild. Anne Linsel hat sich zurückgenommen, nicht sie sollte strahlen, sondern die Autorinnen und Autoren. Und die Literatur. Das war vorbildlich. Mathias Rürup: Das habe ich genauso erlebt: eine besondere Fähigkeit zu konzentrierter Genauigkeit und Einfühlung. Und durchaus neidvoll blicke ich zurück auf die vielfältigen, guten und langjährigen Kontakte zu Autorinnen und Autoren aus ganz Deutschland und darüber hinaus, die Anne in das Programm des Literaturhauses einbringen konnte. Da ist eine beachtliche Liste an Namen und Veranstaltungen, die uns in unserer Arbeit auf jeden Fall Vorbild ist und Modell.
Das Motto des Literaturhauses ist ja ein Wort der Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler: Ich streite für mich und alle Dichter, vor allen Dingen für die Dichtung….
Birte Fritsch: Dem wollen wir treu bleiben. Literatur, das ist Freiheit. Freiheit von Weltanschauungen, Instrumentalisierungen, Festlegungen. Literatur, das ist um es in Abwandlung eines Wortes von Peter Kowald zu sagen: a open sky. Matthias Rürup: Dieses Motto gehört sicherlich auch in Zukunft zum Literaturhaus. Unbedingt. Es ist eine ideal zugespitzte Formulierung, für das, wofür wir stehen und arbeiten wollen. Dafür nämlich das Literatur Raum hat und Aufmerksamkeit findet, auch ohne eindeutig nützlich oder massentauglich zu sein. Literatur braucht in diesem Sinne besonderen Einsatz, Engagement und Kampf um Zeit, Anerkennung oder auch Geld. Das alles hat uns Else Lasker-Schüler sehr prägnant ins Stammbuch geschrieben. Die beste zeit: Sicherlich haben Sie sich, nachdem Sie den Vorsitz des Literaturhauses übernommen haben, zusammengesetzt und darüber nachgedacht, welche Perspektiven Sie für das Literaturhaus eröffnen wollen…
Heiner Bontrup, Mathias Rürup und Birte Fritsch, Fotos: Anna Schwartz
Birte Fritsch: Nun, wir haben uns auch zuvor schon zusammengesetzt und verständigt, wir wie uns unsere gemeinsame Arbeit für das Literaturhaus vorstellen können und sie anlegen wollen. Das erste größere Resultat konnte man schon am Tag nach unserer Wahl sehen und erleben, nämlich mit dem Flanierfestival „Literatur in der Stadt“ auf dem Laurentiusplatz. So ungefähr wollen wir generell das Literaturhaus gestalten. Nicht nur einladen, sondern auch hinausgehen. Aktiv zu Begegnungen einladen, zu Austausch und Teilhabe.
In der „Ära Linsel“ gab es das engagierte Projekt „Schulhausroman“. Da haben etablierte Wuppertaler Autorinnen wie Safeta Obhodjas und Michael Zeller jungen Menschen einen Einblick in die Literaturwerkstatt gegeben und mit ihnen gemeinsam einen Roman geschrieben.
Birte Fritsch: Ja, diese Tradition wollen wir wieder aufleben lassen oder auch zu einem eigenen Arbeitsschwerpunkt des Literaturhauses machen. An eine Wiederbelebung dieses oder eines ähnlichen Formates dachten wir auch schon. Matthias Rürup: Es ist wichtig, gerade Schülerinnen und Schüler für Literatur zu begeistern. Oft geht das besser durch ästhetische Praxis als durch einen kognitiv orientierten Deutschunterricht. Ich bin hauptberuflich Erziehungswissenschaftler an der Bergischen Universität. Kinder und Jugendliche darin zu bestärken und zu unterstützen, eine eigene Stimme zu finden und sie – literarisch – zu schulen, ist somit nicht nur ein persönliches Anliegen. Es ist auch eine Chance, Kooperationen zu vertiefen und neu zu gestalten – zwischen Schulen, Autorinnen und Autoren, einer wissenschaftlichen Begleitung und nicht zuletzt Verlagen.
Man könnte mit einem gewissen Augenzwinkern und einem Sinn für Bonmots sagen, dass die Literatur in Wuppertal ein Haus hat, nämlich das Literaturhaus. Nun sind die beiden Räume in dem Haspelhaus von der Substanz her attraktiv, könnten aber doch eine Auffrischung gebrauchen… Birte Fritsch: Auf Dauer, wahrscheinlich, und wohl schon recht bald, werden diese Räumlichkeiten nicht mehr für Literaturhaus zur Verfügung stehen. Die Stadt hat sie schon verkauft, demnächst werden sie umgebaut. Zu unseren vielen Aufgaben gehört also auch, dem Literaturhaus selbst und nicht nur der Literatur neuen Raum zu geben. Oder Räume. Matthias Rürup: Der Verlust der Haspelhäuser bietet ja auch eine Chance, hinauszugehen, sehr zu verbreiten. Mehrere Orte für verschiedene Formate von Veranstaltungen zu haben. Und auch sich zu vernetzen mit anderen Literaturvereinen und -initiativen. Wie wir ja auch schon bei Literatur in der Stadt mit der Stadtbibliothek, dem Katholischen Bildungswerk oder der Bergischen VHS kooperiert haben. Oder dem Netzwerk Literatur Rheinland, mit einer wunderbaren Website, dem das Literaturhaus angehört.
Gegründet 1997 hat das Literaturhaus seit 2005 eine feste Adresse und ist im Erdgeschoss des westlichen
der beiden Haspelhäuser beheimatet. Dort finden regelmäßig Lesungen, Vorträge, Werkstattgespräche, musikalisch-literarische Soireen statt. Prominente sind darunter und Musiker, literarische Debütanten, arrivierte Autorinnen und Autoren, Regisseure und Intendanten: Andrzej Szczypiorski, Eugen Gomringer, Carola Stern, Helma SandersBrahms, Mechthild Großmann, Hanna Marron, Cornelia Froboess, Ingrid Noll, Michael Zeller, Hermann Schulz, Karl Otto Mühl, Hansgünther Heyme, Fritz Beer, Eugen Egner, Anna Badora, Judith Kuckart, Prof. Dr. Joseph Anton Kruse sowie Lutz Seiler, Jan Wagner, Ursula Krechel (die alle drei den Deutschen Buchpreis bekommen haben). Die erfolgreiche Reihe „kunsthochdrei“, in Zusammenarbeit mit dem Von der Heydt-Museum und der Musikhochschule Köln/ Standort Wuppertal, geht auf die Idee und Initiative des Literaturhauses Wuppertal e.V. ebenso zurück wie die Literarische Teezeit im Skulpturenpark Waldfrieden