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Die Höhe der Verschuldung ist das Neue“ Prof. Dr. Lars Feld
sprach exklusiv mit Professor Lars P. Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates, über die Corona-Krise und was sie für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bedeutet, den EU-Wiederaufbaufonds und was der Brexit für Deutschland, die Europäische Union und das Vereinigte Königreich bedeutet.
Das Interview führte Frederike Holewik.
–Die EU-Staaten haben sich auf Haushalt und
Rettungspaket geeinigt. Allein das Rettungspaket umfasst 750 Milliarden Euro. Wie bewerten Sie diese Einigung?
Das ist eine schwierige Frage, da sehr viele Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Das Dokument enthält einerseits den mehrjährigen Finanzrahmen, dann den Aufbaufonds und am Ende einen Ausblick auf eigene Einnahmen der
Europäischen Union (EU). Es zeigt sich in der Coronakrise, dass manche Mitgliedsstaaten damit besser umgehen können als andere. Insofern ist auch ein gewisses Maß an europäischer Solidarität angezeigt. Wenn man es rein makroökonomisch betrachtet, muss man sagen: Die Europäische Zentralbank (EZB) macht derzeit viel – wie etwa die Liquiditätsmaßnahmen über Anleihekäufe in Höhe von einer Billion Euro. Mit Blick auf die aktuelle Situation ist dies auch ein stückweit notwendig. Denn wir können uns nicht erlauben nach diesem Pandemiejahr in eine weitere EU-Schuldenkrise zu geraten. Da einige EU-Länder übermäßig verschuldet sind, muss man sich fragen, ob diese Maßnahmen in ihrer Struktur geeignet sind, dafür zu sorgen, dass sie bevor die nächste Krise kommt, besser dastehen. Ansonsten werden wir ihnen dann noch viel stärker unter die Arme greifen müssen.
Mit dem Rettungspaket erhält die EU erweiterte Kompetenzen zur Verschuldung und Besteuerung. Wenn man auf der Finanzierungsseite Besteuerungsinstrumente schafft oder über die Verschuldung auch dazu gezwungen ist, deutet vieles darauf hin, dass wir in Richtung eines europäischen Bundesstaates gehen. Die Entscheidungsträger müssen sich fragen, ob das verfassungskonform ist. Allein der Verweis darauf, das Paket sei nur temporär, zieht bei über 30 Jahren Laufzeit nicht. Das ist kein Liquiditätskredit, da geht es um mehr.
–Wie kann noch verhindert werden, dass die EU eine Schuldengemeinschaft wird?
Yves Mersch, der bald aus dem EZB-Rat ausscheiden wird, hat immer gesagt, sobald man eine gemeinsame Notenbankbilanz hat, hat man im Grunde schon eine Transferunion. Und natürlich stimmt das auch.
Schließlich handelt es sich um eine Form von Risikoausgleich, der über die EZB-Bilanz läuft. Insofern ist dieser
Schritt schon mit dem Mastricht-Vertrag unternommen
„Die Höhe der Verschuldung ist das Neue“
worden. Auch durch den EU-Haushalt haben wir bereits eine Transferunion. Aus dem Strukturfonds werden keine Kredite vergeben, sondern Zuschüsse gezahlt.
Die Höhe der Verschuldung ist das Neue und die lange Laufzeit. Temporäre Maßnahmen gab es früher auch schon in Form von Zahlungsbilanzkrediten in den 1970er Jahren. Von den Alternativen ist eine Abwicklung über die EU und den EU-Haushalt noch am ehesten erträglich. Gesamtschuldnerische Anleihen, wie sie diskutiert worden sind, sogenannte Coronabonds, sind viel problematischer. Dann lieber eine Verschuldung der EU mit Garantien der Mitgliedsstaaten. Dabei ist die Verschuldung auf die Garantiehöhe begrenzt. Ob wir da rauskommen, hängt davon ab, ob wir nach der Laufzeit auch sagen, jetzt ist Schluss mit der Verschuldung.
–Welche Implikationen hat es, wenn immer höhere
Schulden von den Notenbanken mitgetragen werden?
Die Verschuldung hat eine Laufzeit von 37 Jahren, aber der Knackpunkt könnte viel früher kommen. Sollten wir in der nächsten Krise feststellen, dass die Maßnahmen nicht gewirkt haben, gibt es nur wenige Optionen. Entweder müsste die EZB voll eintreten oder es käme zu einem echten Bail-out, bei dem die Mitgliedstaaten ein in
Bedrängnis geratenes Land unterstützen müssen.
Foto: Sachverständigenrat
„Die Höhe der Verschuldung ist das Neue“
Trotz der riesigen Summen sind die aktuellen Unternehmungen deshalb moderat, weil es von der kategorialen Einordnung noch nicht so weit ist, dass wir etwa dem italienischen Staat wirklich beispringen müssen. Mit anderen Worten: Die Maßnahmen, die getroffen werden, müssen wirklich dazu führen, dass Länder wie Italien am Ende besser dastehen.
–Ein weiteres historisches Ereignis wirft seine Schatten voraus: Nicht nur, dass der zweitgrößte Nettozahler die EU verlässt, es scheint auch auf einen ungeregelten
Brexit hinauszulaufen. Was heißt das für die Statik der EU?
Das wichtigste ist, dass das wirtschaftsliberalste Land die EU verlässt. Die Mitgliedsstaaten lassen sich von wirtschaftsliberal bis -kritisch einordnen. Bei Abstimmungen im Ministerrat waren die Zünglein an der Waage auf beiden Seiten Deutschland und Frankreich. Die deutsch-französische Achse war der Kompromisskern, der die beiden Seiten zusammengebracht hat.
Mit dem Austritt der Briten verschiebt sich dies. Das
Übergewicht der marktkritischen Staaten ist eindeutig und Deutschland versucht seine Politik jetzt schon anzupassen, ob in Fragen der Wettbewerbs- oder der Industriepolitik. Da bewegt man sich auf den französischen Kurs zu.
Man wird auf der anderen Seite noch genauer beobachten müssen, ob die Briten tatsächlich auf ein Handelsabkommen verzichten. Das kann Auswirkungen auf die EU haben. Insbesondere wenn die Briten den Schulterschluss mit den USA eingehen.
–Welche Prioritären sollte die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft Ihrer Meinung nach setzen?
Die wichtigste Priorität war es, den mehrjährigen Finanzrahmen abzustecken und den Aufbaufonds ins Werk zu setzen. Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nun darauf achten, dass die vorgelegten Aufbau- und Resilienzpläne der einzelnen
Staaten diese Namen auch verdienen und ihre Widerstandsfähigkeit erhöhen. Es muss darum gehen, Hilfen mit marktwirtschaftlichen Reformen zu verbinden. Das
Problem in Italien ist ja nicht, dass wir zu wenig Glasfaserkabel für die Digitalisierung verlegt haben, sondern, dass niemand investieren möchte. Man ist mit dem Marktanteil zufrieden, den man hat. Das ist im deutschen Mittelstand ganz anders. Wenn sich das nicht ändert in Italien, dann haben wir ein großes Problem. l